Jawohl. Ich bedanke mich für die Erweiterung meines Informationsstandes, Herr Kollege Graf Lambsdorff.
Meine Damen und Herren, das gilt ja übrigens auch, wie der Kollege Schneider Ihnen hier in der Wohnungsbaudebatte am Freitag vorgehalten hat, zu dem von Herrn Ehmke wiederaufgenommenen Thema Mietrecht. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Jahn in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Mieterbundes hier demagogische und entstellende und in wichtigen Punkten wahrheitswidrige Flugblätter gegen uns verbreitet,
wobei in entscheidenden Punkten Beschlüsse angegriffen und verdreht werden, die die alte Koalition unter der Federführung des Bundeskanzlers Schmidt beschlossen hat. Das Protokoll des Bundestages weist auf, daß Herr Jahn seinen Protest denn gerade bis zur Stimmenthaltung vorgetrieben hat.
Meine Damen und Herren, ich muß Sie wirklich dringend bitten, sich in dieser Hinsicht zu mäßigen und nicht mit den Sorgen mancher Bürger Schindluder zu treiben,
wie Herr Ehmke das getan hat.
Herr Ehmke, wenn Sie, alles sorgfältig aufgeschrieben, diese Reform des Mietrechts mit dem Ausdruck „Bauernlegen" bezeichnen, dann ist das eine üble Entgleisung
einer politischen Gruppierung, die zu den konkreten Zukunftsproblemen unseres Landes nicht mehr
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viel beizutragen hat, eine Entgleisung, die nichts weiter als Angst und Panikmache bedeutet.
Meine Damen und Herren der SPD, Sie haben auch in dieser Debatte kein eigenes Konzept für die Lösung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme vorgetragen.
Nach dem Ausscheiden des Bundeskanzlers Schmidt aus der tatsächlichen Führung auch der SPD entwickelt sich die Sozialdemokratische Partei zunehmend zu einer linken Protestpartei; das ist ihre neue Funktion;
zu einer Partei, die die im Ansatz durchaus verständliche Kritik mancher Menschen über die jetzt kommenden Kürzungen benutzen will, um eine Massenbewegung der Angst, der Sorge und der Emotionen bis zur Bundestagswahl parteipolitisch für sich zu mobilisieren. Das ist Ihre gegenwärtige Rolle, die Sie in dieser Debatte übernehmen.
Gleichzeitig — Herr Ehmke, daran kommen Sie nicht vorbei — suchen Sie die neue Mehrheit mit den Grün-Alternativen, wie das Ihr Bundesvorsitzender Brandt in einer Stunde für ihn ungewöhnlicher Offenheit am Abend der Hessenwahl verkündet hat. Das soll die neue negative Mehrheit mit den Grün-Alternativen sein. Aber mit dieser Kursänderung verstoßen Sie gegen die elementaren Interessen der Arbeitnehmer, derjenigen, die Sorge über ihre wirtschaftliche Zukunft haben. Es ist schon ein Symptom für die Situation der Sozialdemokratischen Partei, daß Georg Leber eine Abschiedsrede hält und Herr Ehmke ein Comeback im neuen Bundestag anstrebt. Auch das scheint mir nicht ganz untypisch zu sein.
Herr Ehmke, die klassenkämpferischen Töne nehmen zu. Bisher waren es die Leute mit den breiten Schultern, die die Lasten tragen sollen. Jetzt sind es nach dem Text Ihrer Rede die Leute mit dem Bauchspeck. Wir werden noch weitere erstaunliche Bilder vor Augen geführt bekommen. Wenn wir die Leute mit dem Bauchspeck suchen, fällt der Blick auch auf den einen oder anderen in Ihren Reihen; übrigens in mehr als in einer Hinsicht.
Da seit 1970 die Investitionen nur noch um 6 % gestiegen sind, aber der private Konsum um 32 %, ist natürlich die Zahl der wohlbeleibten und gut genährten Männer — das sage ich jetzt nur aus Höflichkeit — in allen politischen Gruppierungen noch groß. Nur, wenn wir jetzt einmal die wirtschaftliche Situation mit der schlimmen Vernachlässigung der Investitionen hinzuziehen, müssen wir feststellen, daß die Zahl derer, die ökonomisch noch erhebliche Mehrbelastungen ertragen können, eben doch leider sehr zusammengeschmolzen ist,
auch wenn wir immer von den sogenannten Reichen soviel hören.
Wir müssen die Grundlagen für eine Gesundung der Wirtschaft und eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in diesen wenigen Wochen schaffen. Diese Politik muß fortgesetzt werden. Das gilt auch für 1984 und die mitttelfristige Planung. Weitere Sparbeschlüsse zugunsten der Investitionen sind erforderlich. Wenn wir Ihnen jetzt nicht nach wenigen Wochen sozusagen aus dem Handgelenk schon wieder ein neues komplettes Programm vorlegen, dann hat das nichts mit finsteren Absichten oder dunklen Geheimüberlegungen zu tun, wie Sie schon wieder großzüzig unterstellen.
— Herr Ehmke, die letzte Unterstellung stammt ausnahmsweise nicht von Ihnen. Aber auch einige andere Mitglieder der SPD sind doch in der Lage, mit Unterstellungen zu arbeiten.
Nein, es geht um die schlichte Tatsache, daß nach dem festen Brauch auch unserer Vorgänger der Jahreswirtschaftsbericht Ende Januar gründlich beraten und dann beschlossen wird. Natürlich kann man nur auf der Basis dieses Jahreswirtschaftsberichts in seiner Prognose für 1983 und für 1984 überhaupt eine Finanzplanung aufbauen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses aus Ihrer Fraktion wissen das ganz genau. Deswegen reden j a auch andere um so unbekümmerter über Dinge, über die man überhaupt nicht zu streiten braucht.
Natürlich hat es eine schmerzliche Enttäuschung hinsichtlich der letzten Prognose gegeben. Deswegen wollen wir es nach Kräften sorgfältiger machen. Natürlich hat auch der Bundeswirtschaftsminister, den Sie pausenlos attackieren, eine Verantwortung. Aber das gesamte Kabinett hat eine Verantwortung. Die wollen wir dann auch ohne Zeitdruck wahrnehmen. Es belustigt mich doch etwas, in dieser Debatte die neueste Variante der Verratslegende zu hören. So wie Sie das gestern und heute vorgetragen haben, klingt das so, als ob ein edler, ahnungsloser Bundeskanzler — der andererseits ständig als der größte Weltökonom gepriesen wurde — von dem Bundeswirtschaftsminister heimtükkisch in die Irre geführt worden sei. Das ist die neueste Variante.
Der Bundeskanzler bestimmt immer noch die Richtlinien der Politik, und ohne den Bundeskanzler Helmut Schmidt ist diese Prognose nicht verabschiedet worden. Er und Sie müssen dafür die volle Verantwortung übernehmen.
Sie sollten auch hier Schluß machen mit den Verratslegenden, die für rührselige Zeitgenossen in immer neuen Kapiteln weitergeschrieben werden.
Herr Kollege Zumpfort hat vollkommen recht: Die Neuverschuldung von über 40 Milliarden DM ist noch viel zu hoch. Wir müssen auch sehen, daß
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wir ungern, aus der Notsituation heraus, den Bundesbankgewinn mit über 10 Milliarden DM einsetzen. Das ist j a nicht eine dauerhafte sichere Finanzierung.
Ich will auch hier bei aller Befriedigung über das in diesen wenigen Wochen Erreichte noch einmal sehr deutlich sagen: Es gibt für niemanden von uns, in allen Parteien, Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Aufgabe, durch einen Doppelansatz — durch eine stärkere und weitergehende Belebung der Wachstums- und Wirtschaftskräfte in unserem Land und durch weitere Sparmaßnahmen — das Defizit drastisch zurückzuführen, bleibt die wichtigste innenpolitische Aufgabe auch der kommenden zwei Jahre für alle im Deutschen Bundestag. Das ist nicht ein Spezialthema für einige Kollegen im Haushaltsausschuß oder einen Bundesfinanzminister; es ist die Verpflichtung, vor der wir alle stehen.
Es wird, Herr Kollege Matthöfer, auch von Ihnen über das Thema der Verschuldung und der gewaltigen Zukunftsbelastung immer noch etwas zu sehr mit leichter Hand geredet. Ich will das nur in aller Kürze sagen.
Denn dies gilt nicht nur in der Perspektive der sozialethischen Verantwortung für die nächsten Generationen, es gilt auch aus konkreten ökonomischen Gründen. Ich will hier nicht auf Kreislauftheorien eigehen, sondern etwas ganz anderes sagen. Wenn die Wirtschaft wieder Wachstum erreicht, was wir alle dringend wünschen und erhoffen — die Stimmen des Nullwachstums sind, wie ich hoffe, auf Dauer verstummt, zumindest in der SPD —, wenn der Kapitalmarkt dann wieder stärker durch Investitionspläne der Wirtschaft, durch Anschaffungspläne für langlebige Wirtschaftsgüter von Privaten und anderen beansprucht wird, darf das staatliche Defizit, darf die öffentliche Kreditaufnahme nicht zu hoch sein, also das, was wir wie der Sachverständigenrat als „strukturelles Defizit" bezeichnen.
Insofern müssen wir schon Vorsorge für jene Situation treffen, die wir alle erhoffen und die wir fördern wollen. Wir müssen die Bundesbank untersützen, statt sie nach Art mancher Sozialdemokraten zu beschimpfen.
Niedrigere Zinsen müssen verdient werden; auch das ist eine Begründung für die Sparpolitik.
Sie müssen sich übrigens noch abstimmen. Herr Ehmke hat die zweimalige Zinssenkung laut Manuskript als einen letzen Erfolg, sozusagen als späte Frucht der sozialliberalen Ara gepriesen. Einige gute Dinge reichen sozusagen in unsere schlechte Zeit noch hinein. Andere unter Ihren Genossen haben gesagt, das sei ganz unerhört, was die Bundesbank mache; kaum sei die neue Regierung da, würden die Zinsen gesenkt. Sie müssen sich also ein-
mal über die Sprachregelung einigen. Das eine ist aber so aburd wie das andere.
Schlichte Wahrheit, Herr Kollege Matthöfer, ist: Unsere Politik ist keine Kopie der amerikanischen Politik. Auch das sollten Sie nun endlich einmal in Ihre weiteren Reden einbeziehen. Sie ist keine Kopie der amerikanischen Politik.
Wir haben von Anfang an der Begrenzung der Kreditaufnahme und der Vermeidung eines nicht mehr tragbaren öffentlichen Defizits einen ganz anderen Stellenwert zugewiesen und eingeräumt, als es die jetzige amerikanische Administration in den ersten 18 Monaten ihrer Amtsführung getan hat. Ich warne zwar davor, sich jetzt in jeder Hinsicht auch hier über die Amerikaner zu erheben, was wirtschaftspolitische Debatten angeht, aber hier gehen wir bewußt einen anderen Weg. Ich würde sogar etwas überspitzt sagen: In der Frage der Unbedenklichkeit der Neuverschuldung sind Sie der gegenwärtigen amerikanischen Administration näher als die Koalition aus CDU/CSU und FDP. Sonst legen Sie j a Wert auf Distanz.
Weil hier immer so beredt über die sozialen Belastungen durch die Kürzung von Transferleistungen geklagt wird: Herr Kollege Ehmke, Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß eine zweiprozentige Diskontsenkung, wenn sie von den Hypothekenbanken jetzt im wesentlichen weitergegeben wird, für Millionen von Mitbürgern aus allen Berufsgruppen, die in den letzten Jahren Häuser gebaut haben, eine Entlastung, eine Verbesserung ihrer Realeinkommenssituation von 200 bis 300 DM im Monat darstellt. Das ist für diese Millionen Familien sicher genauso bedeutsam wie viele Punkte, die wir auf der Seite der Transferleistungen hier hervorgehoben haben. Das bedeutet für manche sogar eine spürbare Verbesserung in der Saldorechnung. Wir dürfen nicht immer nur auf die Transferleistungen starren, wir müssen die Zukunftsprobleme in den Vordergrund unseres Handelns stellen.
Meine Damen und Herren, bezüglich der Zukunft der Wirtschaft hat gestern eine große Zeitung ihre Konjunkturprognose unter das Leitwort „Ein schmaler Korridor der Hoffnung" gestellt. In der Tat, neben den vielen bedrückenden und bestürzenden Meldungen dieser Wochen über Konkurse, Vergleichsverfahren, Entlassungen und Arbeitslosigkeit gibt es auch einige sichtbare Zeichen, die Hoffnung begründen. Ich sage das ohne Überbewertung dieser Faktoren. Aber namhafte Wirtschaftswissenschaftler und Präsidenten großer Organisationen, wie etwa der Vorsitzende des Deutschen Sparkassenverbandes sprechen deutlicher die Erwartungen aus, daß es im Laufe des Jahres 1983 zu einer Trendwende kommen kann. Wir müssen dafür sorgen, daß es nicht ein kurzfristiges schwaches Zwischenhoch bleibt, dem ein neuer Rückschlag folgt. Wir müssen unsere politischen Kräfte im Rahmen
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unserer Handlungsmöglichkeiten einsetzen, einen dauerhaften Aufschwung zu ermöglichen und zu unterstützen, auch als Grundlage für eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt und zur Gesundung der Finanzen des Staates und der sozialen Sicherung.