Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kreile, da ich Sie und Ihre Argumentationsfähigkeit aus dem Ausschuß kenne, muß ich Sie fragen: Meinen Sie wirklich im Ernst, daß Abgaben- und Steuererhöhungen, wenn sie von der CDU/CSU oder von einer von ihr geführten Koalition vorgenommen werden, gute Abgaben- und Steuererhöhungen sind, während es ein halbes Jahr zuvor, als dieselben Steuererhöhungen zur Förderung der Investitionen, zur Förderung der Beschäftigungspolitik von der sozialliberalen Koalition vorgeschlagen wurden, schlechte Erhöhungen waren?
Wenn Sie das alle bejahen — der Kollege Kreile ist da etwas differenzierter als seine Fraktionskollegen —, dann ist das schon eine komische Moral, um es ganz, ganz höflich auszudrücken.
Nun haben Sie und der Kollege Köhler, der auch im Finanzausschuß sitzt, das Beispiel des Finanzministers Posser zur Steuerbelastung und die Frage angesprochen, wann eine durchschnittliche Einkommensteuerbelastung von 55 % eintritt. Das ist nicht der Grenzsteuersatz, was er ausdrücklich gesagt hat, sondern der Durchschnittssteuersatz.
Dann wurden die von ihm vorhin genannten Beträge, die soeben zitiert worden sind, aufgeführt. Wenn ein Kollege aus dem Finanzausschuß darauf eine Frage gründet, hätte ich erwartet, daß er keinen Buhmann aufbaut, sondern unmittelbar an die präzise Formulierung des Beispiels von Herrn Posser anknüpft.
Das heißt also, das war nicht ganz sauber.
Lieber Kollege Kreile, ein bißchen enttäuscht es mich schon, wenn Sie hier wie allerdings auch viele andere, insbesondere CSU-Kollegen, die sich sonst nicht so differenziert äußern, sagen, die SPD habe beschlossen, man müsse die „Belastbarkeit der Wirtschaft" ausprobieren. Das hat einmal ein Debattenredner — ich möchte sagen: ein Kabarettist — auf einem Parteitag der SPD gesagt. Dies ist nie und nimmer ein Beschluß der Sozialdemokraten gewesen. Es ist wirklich auch Unsinn, um kein härteres Wort zu gebrauchen. Deswegen sollten Sie, da Sie das wissen — ich war damals selbst dabei und habe das selbst gehört — nicht immer wieder hier hervorholen und so tun, als ob diese hübsche kabarettistische Formulierung, die wirklich jedes sachlich-politischen Inhalts entbehrt, ein Beschluß der Sozialdemokraten sei.
Meine Damen und Herren, in der Zirkuskuppel geschehen so manche Dinge, die flott und schnell gehen.
Da meistens mit Netz geturnt wird, passiert auch nicht so viel. Wenn man das allerdings auf das überträgt, was in den letzten Wochen seit dem 1. Oktober 1982 finanz- und steuerpolitisch geschehen ist, so staune ich schon sehr darüber, wie schnell man einen Salto rückwärts vollführen kann. Das haben Sie wirklich außerordentlich schnell geschafft.
Ich habe jetzt zwar eine Person angeguckt, lieber Herr Kollege von Wartenberg, aber keine Person genannt, und ich will auch das Stichwort Vorsorgepauschale hier nicht weiter vertiefen. Das meine ich gar nicht so konkret.
Sehr viel konkreter meine ich die Schnelligkeit, mit der Sie die Rückfahrt in die 60er Jahre im Bereich der Finanz- und Steuerpolitik angetreten haben, mit der Sie das Parlament hier dazu gebracht haben, Steuergesetze zu verabschieden, die
8760 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Gobrecht
wir nicht ausreichend intensiv haben beraten können. Wenn die Sozialdemokraten nicht dringend und schnell zu einer Neuwahl hätten kommen wollen, dann hätten wir sicherlich ein ganz großes Stopplicht aufstellen müssen; denn in dieser Schnelligkeit kann man nun wirklich keine Steuergesetze machen. Ich spreche da nicht wie ein Blinder von der Farbe, sondern ich weiß um die Schwierigkeiten und um die Vorwürfe, die es in der Vergangenheit gegeben hat, wenn wir im Finanzausschuß schnell arbeiten mußten. Allerdings: Die absolute Prämie für Schnelligkeit, für Hektik, die haben Sie in diesen Wochen verdient. Denn heute, eine Woche vor dem vierten Advent, sollen ganz immense steuergesetzliche Änderungen hier verabschiedet werden. In der Woche vor Heiligabend, in der nächsten, sollen die noch den Bundesrat passieren. Am 1. Januar 1983 sollen sie in Kraft treten. Dieses D-Zug-Tempo hat es hier nun wirklich noch nicht gegeben. Das bekommt der Steuerpolitik nicht gut.
Sie sollten sich da wirklich einmal etwas an Ihre eigene Kritik erinnern und daraus Folgerungen ziehen, auch wenn Sie ab 6. März nicht so viele Chancen haben werden, konkrete Terminbestimmungen vorzunehmen, weil dann hier wieder eine andere Mehrheit Politik machen wird.
Bei diesem schnellen Salto rückwärts ist die Steuergerechtigkeit in vielen, vielen Punkten abhanden gekommen. Während Sie von der CDU/ CSU-Fraktion immer wieder Sozialdemokraten bei bestimmten Bereichen Ideologie vorgeworfen haben, muß man hier in aller Sachlichkeit sagen: die schwarze Steuerideologie zieht sich, einem schwarzen Faden entsprechend, durch die wesentlichen steuergesetzlichen Änderungen. Zum Beispiel: Wir müssen jetzt offensichtlich zurück — wenn auch, hoffe ich, nur für kurze Zeit — zu dem alten ungerechten steuerlichen Kinderfreibetrag, dessen unsoziale Wirkung jeder kennt, weil damit praktisch das Kind des Arbeiters dem Staat nur ein Drittel von dem „wert" ist, was das Kind eines Millionärs dem Staat an Steuerentlastungen „wert" ist.
Das ist mit Sicherheit keine soziale Steuerpolitik.
Hier ist mehrfach schon diskutiert worden — man muß ja leider das eine oder andere wiederholen — über die Zwangsanleihe. Als wir hier in der ersten Lesung über die sogenannte Zwangsanleihe die Investitionsanleihe sprachen, haben wir gesagt, wir würden mit allem Engagement prüfen, wie es denn mit der Verfassungsrechtlichkeit dieser Zwangsanleihe bestellt sei. Dies ist inzwischen sehr intensiv geprüft worden. Jeder, der die Unterlagen hat lesen können, die sich aus dem Anhörungsverfahren im Rechtsausschuß ergeben haben, jeder, der nur die Berichterstattung darüber in der Presse hat lesen können, konnte feststellen, daß die Verfassungsrechtler, die einvernehmlich bestellt worden waren, zu dem Ergebnis kamen, daß diese Zwangsanleihe in zweifacher Hinsicht verfassungsrechtlich zumindest nicht einwandfrei sei. Gleichwohl haben Sie daran festgehalten. Gleichwohl muten Sie dem Deutschen Bundestag zu, hier mit Mehrheit eine solche Zwangsanleihe zu verabschieden.
Dies ist an sich schon ein Vorgang, den man wirklich ganz entschieden kritisieren muß. Als Sozialdemokrat füge ich über diesen gewichtigen Punkt hinzu, daß es natürlich völlig unverständlich ist, daß hier so eine Art Feigenblatt gemacht wird, mit dem scheinbar die Besserverdienenden zu etwas herangezogen werden, was sie nachher auch noch wiederkriegen. Wenn es überhaupt Tatsache wird, wenn sie sich nicht entziehen wollen, haben sie bestenfalls einen Zinsverlust — und das noch mit einem Instrument, das eindeutig nicht verfassungskonform ist.
— Dagegen, verehrter Herr Kollege Zwischenrufer, gibt es ein sauberes Instrument,
mit dem man eindeutig und klar und ohne Rückzahlung die Besserverdienenden im Lande heranziehen kann, das im Grundgesetz verankert ist, das also wirklich sauber ist —
sowohl rechtlich als auch sozial. Das ist die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer,
mit der man genügend Mittel hereinbekommen könnte, um beschäftigungswirksame Maßnahmen zu finanzieren. Damit könnte man die Besserverdienenden auch wirklich einmal heranziehen, ohne daß sie sich mit Leichtigkeit davonstehlen könnten.
Sie werden doch wohl auch gefragt werden, wenn Sie mit den Bürgern sprechen, was ich von Abgeordneten annehme: Wie ist es denn eigentlich überhaupt vertretbar, daß hier etwas erhoben wird, was vielleicht gar nicht kommt — nämlich diese Zwangsanleihe —, und später zurückgezahlt wird, während Sie auf der anderen Seite das SchülerBAföG definitiv kürzen — keiner von Ihnen denkt daran, das jemals zurückzugeben —, das Wohngeld definitiv kürzen — keiner denkt daran, das einmal zu erstatten —, die Renten weniger erhöhen als vorgesehen ist — keiner denkt daran, das einmal nachzuzahlen? Das muß man auch einmal im Kontext sehen. Das heißt, diese Zwangsanleihe ist verfas-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8761
Gobrecht
sungsrechtlich wirklich nicht sauber, nicht in Ordnung und absolut unsozial.
Wenn Sie wenigstens — und das hat gerade in einem Frage-und-Antwort-Spiel eine gewisse Rolle gespielt — aus dem Entwurf eines Einkommensteueränderungsgesetzes von SPD und FDP die Kappung des Ehegattensplittings übernommen hätten, wären die Besserverdienenden wenigstens in einem einzigen Punkt herangezogen worden.
Eines ist doch klar: Wenn man das Urteil liest — und der Herr Finanzminister hat es, so, wie er heute morgen gesprochen hat, zumindest nicht präzise im Kopf gehabt; er sollte das noch einmal nachprüfen —,
stellt man fest, daß es eindeutig sagt, daß dies ein Bestandteil sei, der durchaus der politischen Disposition des Gesetzgebers zur Verfügung stehe, daß nur keine beliebigen Änderungen vorgenommen werden dürften. Das heißt also, die Kappung des Ehegattensplittings ist in einem Kontext ohne weiteres möglich. Ich kann angesichts des Beitrages, den auch Besserverdienende in einer so schwierigen Lage leisten müssen, überhaupt nicht einsehen, daß nun ausgerechnet die 150 000 am besten verdienenden Ehepaare sozusagen in einem Naturschutzpark von leistungslosen Steuervergünstigungen bleiben sollen.
— Das Wort Klassenkampf höre ich ganz besonders gern. Dazu bin ich besonders geeignet.
Wenn ich dann von Familiensplitting höre, als ob das eine Wunderwaffe sei, mit der nun wirklich alles gemacht werden könnte — zudem sei es aufkommensneutral —, muß ich sagen: In meinen Augen ist das wirklich eine Art ideologisches Phantom, das niemals konkret in die Tat umgesetzt werden kann, schon gar nicht ohne immense finanzielle Belastungen für die Haushalte von Bund und Ländern. Denn, meine Damen und Herren, bisher gibt es kein Modell — und da sollten sich die Kolleginnen und Kollegen doch einmal bei den sachkundigen Leuten im Bundesfinanzministerium oder, wenn sie denen nicht glauben, in einem Landesfinanzministerium erkundigen —, wo sich das Kind durchschlagend positiv und entlastend auswirkte, sondern es ist immer das Einkommen, das die entscheidende steuerliche Entlastung auslöst. Der Faktor Einkommen — wenn ich das einmal so technisch sagen darf — wird bei jeder Form von Familiensplitting sehr viel stärker gewichtet, unsozialer gewichtet, als der Faktor Kind.
Das kann also überhaupt nichts werden, schon gar nicht, ohne daß das die Haushalte stark belastete.
Wenn ich dann wieder diese schönen Worte höre, es müsse endlich weniger Bürokratie geben, es gäbe viel zu viele Gesetze, und dann konkret an dem vorliegenden Haushaltsbegleitgesetz prüfe, was darin an Bürokratieabbaumaßnahmen enthalten ist, muß ich Ihnen sagen: Ich sehe da überhaupt keine Entlastungsmaßnahmen, was Bürokratie, was Papierflut anlangt, sondern das sind lauter neue Instrumente, die einen immensen bürokratischen Aufwand bewirken. Die Zwangsanleihe, die ich unter einem anderen Gesichtspunkt schon behandelt habe, erfordert doch nun Auflistungen, Vorbereitungen, damit das Geld irgendwann wieder erstattet werden kann. Das ist mit unheimlich viel Papieraufwand für alle Beteiligten verbunden. Die sogenannte Insolvenzrücklage, die mit einem Bescheinigungsverfahren eingeführt werden soll, das zwar bei obersten Landesbehörden angesiedelt werden soll, das aber natürlich bis zu den gemeindlichen Ordnungsämtern hinunterreichen wird, damit solche Bescheinigungen überhaupt erstattet werden können, taugt einfach nichts, um kein härteres Wort zu sagen.
Es löst nicht das Problem, das dahintersteckt — das ist wirklich ein Problem —, und es bringt auch noch einen unheimlichen Papieraufwand mit sich. Das kann man weiß Gott nicht positiv bewerten.
Meine Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion, meine Damen und Herren, lehnt mit Entschiedenheit den neuen Eingriff in die Gewerbesteuer ab;
denn dies ist der Weg in die Aushöhlung der kommunalen Finanzautonomie. Dies führt dahin, daß die Gemeinden schließlich nur noch von Subsidien des Landes oder möglicherweise des Bundes abhängig wären.
Das hat nichts mehr mit der Autonomie der Gemeinden zu tun. Ich muß mich da wirklich wundern: Warum hören Sie denn nicht wenigstens, wenn Sie schon nicht auf vernünftige Argumente, wenn Sozialdemokraten sie vorbringen, eingehen, auf die eigenen Oberbürgermeister — es gibt ja noch einige bei der CDU und CSU?
Fragen Sie doch z. B. einmal Herrn Rommel, den Oberbürgermeister von Stuttgart, der dazu sehr klar und sehr deutlich etwas gesagt hat.
Sie fahren auch da so eine Art Doppelweg, wenn nicht sogar so eine Art eine doppelte Moral, indem Sie auf der einen Seite abräumen und sich auf der anderen Seite zu Hause, in den Gemeinden, als ganz besonders kommunalfreundliche Partei darstellen.
Meine Damen und Herren, Sie sind da ein bißchen der gemeindefeindlichen Steuerideologie der
8762 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Gobrecht
FDP aufgesessen, die in den Gemeinden j a überhaupt keine Rolle spielt. Sie spielt in den Gemeinden im Grunde genommen, um es anders zu sagen, heute schon die Rolle, die die FDP im Bund nach dem 6. März spielen wird. Sie sollten gleichwohl der Steuerideologie der FDP da nicht aufsitzen.
Ein letzter Punkt noch, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben hier neulich ausführlich über den Finanzausgleich debattiert. Hier hat der Finanzausschuß auch eine Anhörung von Sachverständigen quer durch die Farben gemacht. Eines ist dabei auf jeden Fall klipp und klar herausgekommen, daß das, was jetzt mit Mehrheit in das Haushaltsbegleitgesetz zum vertikalen und horizontalen Finanzausgleich hineingeschrieben werden soll, nicht verfassungskonform ist.
Da ich sicher bin, daß hier mindestens ein Land klagen wird, werden Sie das alsbald auch noch bestätigt bekommen. Wenn Ihnen so viel Sachverstand dies sagt, dann verstehe ich nicht, wie man sehenden Auges sozusagen gegen die Verfassung einen solchen Punkt mit Mehrheit verabschieden kann, der automatisch negativ ausgehen muß, und zwar dann leider negativ für alle, die hier gesessen haben.
Wir weisen Sie noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß das nicht geschehen sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie zum Schluß: auch aus diesem Grunde der Finanz- und Steuerpolitik stimmen Sie am Freitag bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers mit Nein oder enthalten Sie sich wenigstens; denn damit fällen Sie auch ein Urteil über diese falsche Politik der Übergangsregierung der Rechtskoalition. Sie sorgen damit dafür, daß am 6. März eine neue, eine fortschrittliche Regierung gewählt werden kann. — Vielen Dank.