Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Haushaltsdebatte ist Anlaß, eine grundsätzliche Diskussion und Aussprache über wirtschaftspolitische Vorstellungen, wie sie auf den verschiedenen Seiten des Hauses gegeben sind, miteinander zu führen. Bevor ich das tue, möchte ich mich aber beim Haushaltsausschuß und bei den Berichterstattern des Einzelplans 09 für die sehr gründliche, sehr sachverständige und, soweit das den Haushältern möglich war, auch entgegenkommende Haltung hinsichtlich der Wünsche und der Erörterungen unserer Haushaltsposition bedanken.
Diese Haushaltsberatung findet vor einem schwierigen wirtschaftspolitischen und konjunkturpolitischen Hintergrunde statt. Fast drei Jahre befindet sich die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Stagnation. Derzeit gibt es kaum oder wenige Anzeichen, daß es sehr bald, daß es sehr rasch aufwärts gehen könnte. Die meisten Nachfrageindikatoren sind abwärts gerichtet. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nehmen zu.
Es kommt hinzu, daß vor uns die Wintermonate liegen, daß wir damit rechnen müssen, daß die Arbeitslosenzahlen in den kommenden Monaten stark ansteigen. So bedrückend es auch ist, ich glaube, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit recht hatte, als er gestern sagte, daß im schwierigsten Wintermonat — das ist normalerweise der Februar — eine Arbeitslosenziffer in der Spitze von 2,5 Millionen durchaus möglich ist.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
In dieser Lage hilft uns allen Gesundbeterei nicht. Sie wäre eher schädlich, weil darauf gegründete Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden. Wir dürfen aber trotz der schwierigen Ausgangslage nicht in Pessimismus verfallen; denn Pessismismus ist der Feind jeder Belebung der wirtschaftlichen Aktivität.
Wie sehr Optimismus und Zuversicht anfeuernde Wirkung haben können, haben wir am Ende der vergangenen Woche auf der Wirtschaftskonferenz in Berlin erlebt.
Ich wünschte mir, daß die dort versammelt gewesenen Unternehmensleiter aus der Bundesrepublik einen Teil des Optimismus, einen Teil der Zuversicht und der Tatkraft, die sie dort zur Schau gestellt haben, aus Berlin, angereichert mit Berliner Luft und Berliner Geist, mit in die Bundesrepublik herübernehmen, um auch hier den Problemen zu Leibe zu rücken.
Wir wissen alle, daß ohne Investitionen, ohne Innovationen, die zu mehr Wachstum führen, die Bewältigung unserer Probleme nicht möglich ist. Ich füge auch gleich hinzu: Ich nehme das Wort Wiederherstellung der Vollbeschäftigung unter den gegenwärtigen Umständen nicht in den Mund, weil ich das beim Anlegen der Maßstäbe der Möglichkeiten ebenfalls eher für Gesundbeterei halte und weil anschließend Hoffnungen enttäuscht würden.
Aber wenn es ohne Wachstum nicht geht, dann müssen wir, so meine ich jedenfalls, mit aller Deutlichkeit und aller Klarheit den politischen Gruppierungen im Lande, die für eine wachstumslose Wirtschaft und Gesellschaft eintreten, sagen, daß sie damit arbeitnehmerfeindliche und beschäftigungsfeindliche Politik betreiben.
Wenn die Kollegen — —
— Es ist ein sehr interessantes Phänomen, meine Damen und Herren, daß auf den Vorwurf hin, man wolle kein Wachstum, eine aufgeregte Reaktion von der Sozialdemokratischen Partei kommt, ohne daß ich einen Adressaten beim Namen genannt habe!
— Ich habe Sie gar nicht gemeint, sondern ich meine die grünen und alternativen Gruppierungen, deren Denken aber bei Ihnen schon so weit in die Köpfe geraten ist, daß Sie sich mit angesprochen fühlen.
Wer Wachstum ablehnt, wer Nullwachstum propagiert, betreibt eine beschäftigungsfeindliche und arbeitnehmerfeindliche Politik.
Wenn Sie nicht glauben, daß das richtig ist, Herr Hoffmann und Herr Roth und Herr Wolfram, dann erkundigen Sie sich doch bei den Gewerkschaften, die in dieser Frage völlig eindeutig der von mir vertretenen Meinung sind.
So behaupte ich überhaupt nicht, daß Sie Wachstumsfeinde seien; einige bei Ihnen sind es. Ich höre j a nichts mehr von den Epplerschen Sprüchen, mit denen das Nullwachstum vor einigen Jahren propagiert wurde.
Da liegt heute mancher wie ein Hase in der Ackerfurche und legt die Löffel an und läßt den Wind der Probleme über sich hinwegblasen und will nichts mehr von dem wissen, was er vor einigen Jahren verkündet hat.
— Das kann sehr wohl sein.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch gute Gründe — dies sollte man nun auch nicht verschweigen —, mit vorsichtiger Zuversicht nach vorn zu schauen. Unsere Leistungsbilanz ist wieder ausgeglichen, nachdem sie vor zwei Jahren das höchste Defizit aufwies, das je ein Industrieland nach dem Krieg vorzeigen mußte. Dieser Tatbestand — ich bitte, das nicht zu übersehen — ist ein Grundelement für unsere Spielräume in der Zinspolitik, in der Geldpolitik und für den Außenwert der Deutschen Mark.
Ich erinnere daran, daß der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt am Anfang das Defizit der Leistungsbilanz immer für einen vernachlässigenswerten Posten gehalten hat. Wir haben gelernt, und wir wissen heute, daß mit dieser Entwicklung vieles bei uns im Lande im Zusammenhang steht, daß die Beschäftigung ganz gewiß auch von der Leistungsbilanzsituation abhängt.
— Herr Spöri, ich komme auf diese sehr kurzfristige Argumentationsweise, die von vielen Seiten gepflogen wird, gleich noch zurück.
Es ist ein Zeichen für die wiedergewonnene Stabilität und die wiedergewonnene geldpolitische und wirtschaftspolitische Sicherheit, daß trotz einer
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Leitzinsensenkung der Wechselkurs gegenüber dem Dollar nach der jüngsten Entscheidung des Zentralbankrats gestiegen ist.
Er stiege nicht und hätte nicht steigen können, wenn nicht die Grundtatsachen der Außenbeziehungen, wie sie sich in der Leistungsbilanz niederschlagen, wieder positiv zum Vorschein kämen.
Weil das so ist, sind auch die Zinsen zurückgegangen. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht zu übersehen, daß durch den Zinsrückgang eine ganz erhebliche Vergrößerung unseres Spielraums gegenüber der amerikanischen Zinspolitik in den letzten Wochen und Monaten in Erscheinung getreten ist.
— Habe ich das gesagt?
— Ich weiß schon, was ich sage, verehrte Frau Kollegin, und warum ich es so formuliere.
Die Bundesbank hat ihren Spielraum genutzt. Ich habe mit Bedenken gesehen, wie man sofort nach dem Regierungswechsel, auch von Helmut Schmidt, mit scharfer öffentlicher Kritik auf die Bundesbank losgegangen ist, mit der man die Zusammenarbeit bis dahin immer gerühmt hatte.
Ich tue Ihnen sicherlich nicht Unrecht, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wenn ich Sie frage, ob denn eigentlich die Idee, die Autonomie der Bundesbank einzuschränken, bei Ihnen wirklich aufgegeben ist oder ob das stimmt, was der Kollege Ehrenberg in seinen Büchern früher ganz offen vorgetragen und was Herr Roth immer wieder gesagt hat, nämlich die ZweiSchlüssel-Theorie einzuführen.
Mit uns, meine Damen und Herren, wird eine solche Einschränkung der Autonomie der Bundesbank nicht stattfinden können,
weder mit der Bundesregierung noch mit der FDP-Fraktion.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen hier nur heraufzukommen und zu sagen, das sei nicht so. Ich habe eine Frage gestellt; die können Sie doch beantworten.
Meine Damen und Herren, Kosten und Preise stabilisieren sich. Die Konsolidierung des Staatshaushalts ist eingeleitet. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung sind die Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessert. Das ist eine Reihe positiver Grundtatsachen, die zu dem, was ich gesagt habe, nämlich zu vorsichtiger Zuversicht, Anlaß geben und die wir nicht unter den Teppich kehren wollen.
Ich habe mich darum — die Frage ist an mich gerade von Ihnen häufig genug gestellt worden — seit Jahren bemüht, die Verbesserung der Rahmenbedingungen zu erreichen, zum Teil auch zu Zeiten unserer gemeinsamen Regierung, durchaus mit Ergebnissen, die ich von dieser Stelle begrüßt und für richtig gehalten habe und heute nicht für falsch halte.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Es ist mit großen Teilen des damaligen Koalitionspartners, mit Ihnen, immer schwerer geworden.
Aber ich möchte mir die Fähigkeit zur objektiven Beurteilung dessen — ich gebe allerdings zu, daß man nie ganz objektiv urteilen kann —, was wir versucht haben, dessen, was wir erreicht haben, und dessen, was wir nicht erreicht haben, gern bewahren.
Die Welt ist seit 75 Tagen ganz gewiß nicht auf den Kopf gestellt, es sei denn, man stellt sich selber auf den Kopf oder man hat plötzlich die Brillen ausgewechselt.
Ich habe immer wieder gesagt: Auch wenn wir einen Koalitionswechsel haben, von dem Sie wissen, daß ich ihn für nötig gehalten habe, und den ich mit herbeigeführt habe — ich bekenne mich zu dieser Verantwortung ganz uneingeschränkt, das wissen Sie —
— ich bekenne mich aber dazu —, liegen die Probleme noch auf dem Tisch und müssen gelöst werden. Sie können nicht von heute auf morgen in Ordnung gebracht werden. Dazu sind sie zu schwergewichtig. Aber wenn die Weichenstellung stimmt und besser wird und wenn die Lösung des Problems, die wir suchen, vertretbar und erfolgversprechender ist, dann allerdings meine ich, daß wir diesen Weg gehen müssen, und wir mußten ihn gehen.
Ich habe meine Brille nicht zu wechseln brauchen. Das gilt auch für meine politischen Freunde. Es ist dieselbe Brille, mit der ich dieselben Probleme betrachte. Aber es war notwendig, die erforderliche Unterstützung für eine gleiche oder ähnliche, mindestens für eine gleichgerichtete Betrach-
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tungs- und dann Handlungsweise zu finden und herzustellen.
Wir haben uns immer — jetzt spreche ich nicht nur für mich selber, sondern auch für meine Partei — als einen Garanten einer marktwirtschaftlichen Politik in der Bundesrepublik Deutschland verstanden, wo und mit wem wir auch immer in den vergangenen 35 Jahren Bundesrepublik zusammengearbeitet haben. Daran wird sich gar nichts ändern.
Die ordnungspolitische Grundsatzentscheidung in der Bundesrepublik zugunsten der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft wäre ohne die Beteiligung der Freien Demokraten, der Liberalen im Jahr 1949 nicht zustande gekommen. Bei der Verteidigung dieser Wirtschaftsordnung in Zeiten, als sie von den Sozialdemokraten noch aufs heftigste bekämpft wurde — ich erinnere an die Auseinandersetzungen, die großen Diskussionen zwischen Ludwig Erhard und Professor Nölting —, hat man uns immer an der Seite von Ludwig Erhard gefunden. Ludwig Erhard hat uns an seiner Seite auch gefunden, als es darum ging, seine Positionen gegen den Bundeskanzler Konrad Adenauer und den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Fritz Berg, zu verteidigen,
als es darum ging, ein Wettbewerbsgesetz durchzusetzen, das den Mindestanforderungen an eine marktwirtschaftliche Ordnung entspricht.
Aber wir haben, meine Damen und Herren, auch in der sozialliberalen Koalition unsere marktwirtschaftliche Grundhaltung und Ausrichtung sowohl in der täglichen praktischen Arbeit wie in unserer Programmatik immer wieder unter Beweis gestellt, vom Freiburger Parteitag 1971 über die Kieler Thesen, die ich immer noch für das marktwirtschaftlichste Programm aller Parteien in der Bundesrepublik halte, bis hin zum Wahlprogramm 1980. Wir haben — lassen Sie mich das sagen — in den 13 Jahren Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei verhindert, daß sozialistische Wirtschaftspolitik eine Chance bekam.
Herr Kollege Matthöfer, Sie haben vorhin die Freundlichkeit besessen, unter Benutzung einer Frage, die der bayerische Ministerpräsident formuliert hat, eine Frage an mich zu richten. Ich gebe zu, daß die Frage witzig formuliert war und daß man sie deswegen ruhig einmal aufgreifen kann, zumal dann, wenn einem selber nichts Besseres einfällt. Die Frage hätten Sie sich auch selbst beantworten können, denn ich habe lange neben Ihnen im Kabinett gesessen, Herr Matthöfer. Ich habe manches mit Ihnen zusammen verhindert. Erinnern Sie sich noch daran, wie wir bei den Haushaltsberatungen im Sommer 1981 drüben im Bungalow gemeinsam gegen die Einführung der Ergänzungsabgabe gestritten haben? Damals waren wir auf einer Seite.
Ich habe natürlich auch manches gegen Sie verhindert. Die Mineralölsteuererhöhung, die Sie uns 1982 aufs Auge drücken wollten und die mit Nachfrageabschöpfung ja wohl auch einiges zu tun gehabt hätte, war mit uns nicht durchzusetzen. Sie sehen, ich war nicht in einer Taucherglocke in der Südsee. Ich habe neben Ihnen gesessen und immer aufmerksam verfolgt, was Sie veranstalten wollten, Herr Kollege Matthöfer.