Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Zimmermann, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich glaube, daß das, was Sie zur Ausländerpolitik gesagt haben, einiger Anmerkungen bedarf.
Lassen Sie mich hinzufügen: Ich glaube, daß das, was Sie gesagt haben, trotz der freundlichen und verbindlichen Art, wie Sie es hier vorgetragen haben, einseitig ist. Ich habe den Eindruck: Es muß ergänzt werden. Ihre Pläne werden sich unmenschlich auswirken, und sie würden, wenn sie Gesetz würden, die politische Landschaft nicht nur in unserem Lande verändern, sondern auch außenpolitisch die Bundesrepublik in große Schwierigkeiten führen.
Lassen Sie mich sagen, warum ich der Meinung bin, daß gerade die Frage der Ausländerpolitik hier in diesem Haus zu einem anderen Zeitpunkt sehr ausführlich und sehr offen besprochen werden muß. Wir Sozialdemokraten — das wissen Sie — gehen von drei Punkten aus, die heute wichtig sind. Erstens davon, daß wir den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien, die zurückgehen wollen, dabei Hilfe leisten. Allerdings haben wir den von der rechten Seite des Hauses vorgetragenen Vorstößen für Rückkehrprämien widersprochen, weil wir das nicht für bezahlbar halten. Wir wollen Rückkehrhilfen.
Zweitens. Wir sagen: Denjenigen Arbeitnehmern und ihren Familien, die hierbleiben wollen, muß dazu die Möglichkeit gegeben werden. Sie werden mir zustimmen: die weitaus größte Zahl der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien sind heute länger als acht oder neun Jahre hier.
Drittens. Wir sind der Auffassung, daß man über die Familienzusammenführung nicht so reden darf, wie Sie es tun,
auch nicht so, wie Sie es gestern in Zirndorf getan haben. Sie reden über Seiteneinsteiger und deren schulische Probleme und deren Probleme bei der Integration hier. Wenn wir uns alle — auch Sie sich — darauf beschränkten, dann wären unsere Standpunkte, glaube ich, gar nicht so weit auseinander. Sicherlich weiß jeder von uns, daß die Integration erleichtert wird, wenn Kinder bei uns aufwachsen. Darum geht der Streit nicht.
Was Sie wollen und was Sie in Ihrer Rede in Zirndorf auch erklärt haben, war, daß Sie das mit einem Nachzugverbot für über sechsjährige Kinder verbinden wollen. Hier wird es problematisch.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8795
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Herr Minister Zimmermann, ich will jetzt gar nicht erwähnen, daß ich im Bereich der Ausländerpolitik solche Formulierungen für falsch halte, bei uns würden sich „unter dem Deckmantel der Familienzusammenführung" junge Ausländer „einschleichen", um hier in den Genuß unserer Arbeitswelt zu kommen. Ich bin mir nicht sicher, ob man so reden darf, wenn man acht- oder neunjährige Kinder ausländischer Arbeitnehmer im Auge hat und gegen Ausländerfeindlichkeit vorzugehen vorgibt.
Weiter finde ich es sehr erstaunlich, daß Sie es nicht deutlicher sagen, daß Sie gerade mit einem Nachzugverbot eine ganze Reihe von Problemen erst erzeugen. Wir wissen doch alle, daß wir zunächst langfristige Lebensplanung ermöglichen müssen, um ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien überhaupt vor die Wahl: Integration oder Rückkehrentscheidungen zu stellen. Zur langfristigen Lebensplanung gehört aber, daß wir zunächst von Bundesseite an das Ausländergesetz herangehen. Wenn wir das verbessert haben und Lebensplanbarkeit ermöglicht haben werden, dann können wir zu einem Zeitpunkt, der in der Zukunft liegen wird, auch — und zwar von den ausländischen Arbeitnehmern selbst — Integrationsobliegenheiten verlangen, und zwar dann, wenn wir, Herr Minister, zu dem Ergebnis kommen sollten, daß die ausländischen Eltern für ihre Kinder nicht das Beste wollten. Ich glaube heute, daß wir den Eltern in der Frage, was für ihre Kinder das Beste ist, nicht vertrauen können. Wir haben den Eindruck, daß man das kann, wenn man die Voraussetzungen schafft.
Wenn Sie jetzt ein Nachzugverbot für Kinder ab sechs Jahren anstreben, so fällt — Sie wissen ja, wie der Altersaufbau der in Betracht kommenden Kinder ist, deren beide Eltern sich legal hier aufhalten — für die weitaus größte Zahl der Kinder, die ja schon über sechs Jahre alt sind, das Fallbeil, d. h. sie müssen im Ausland bleiben, dürfen nicht zu ihren Eltern.
Dann findet das statt, was Sie, Herr Minister, draußen ständig vertreten: Zusammenführung von Familien eben nicht in der Bundesrepublik, sondern im Ausland. Das wäre mit der Verfassung — ich glaube, auch darüber gibt es keinen Zweifel — nicht vereinbar.
Nun ist es natürlich folgendermaßen, meine Damen und Herren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie da noch kurz zuhören würden.
Wenn man in ein solches Nachzugverbot Übergangsregelungen und Härteklauseln einbaute, könnte man vielleicht ein bestimmtes verfassungsrechtliches Minimum erreichen. Nur: Moralisch und innen- und außenpolitisch wünschbar kann das nicht sein, und zwar deshalb nicht, weil Sie sich mit den Übergangsregelungen und Härteklauseln einen Wust an Bürokratie und mit einem Vollaufen der Gerichtsbarkeit erkaufen und weil diese Regelung
unser Land zudem innen- und außenpolitisch in Verruf bringen würde.
Über die Probleme einer Sogwirkung, die mit der Übergangsfrist zwangsläufig verbunden sein muß, habe ich noch gar nichts gesagt. Darauf will ich jetzt nicht mehr eingehen.
Jetzt gestatten Sie mir noch eine Anmerkung, die sich auf den Satz des Herrn Ministers Zimmermann bezieht, er habe qualifizierte Gegenargumente gegen seinen Standpunkt nicht gehört. Mich verwundert das. Der Herr Minister Zimmermann hat sich selber eine Kommission zusammengerufen. Das sagt er auch. Diese Kommission hat am 30. November getagt. An dieser Tagung haben eine ganze Reihe von Verbänden — keine Ausländer übrigens — teilgenommen. Die Sitzungsniederschrift, die in Ihrem Hause angefertigt wurde, Herr Minister, weist aus, daß sich so seriöse Verbände wie Caritas, Diakonie, Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutsche Angestelltengewerkschaft — also nicht nur Kirchen, und alles Verbände, die wissen, wovon sie reden — alle außer BDA ganz entschieden mit wesentlichen Gründen gegen Ihr gesetzliches Nachzugverbot ausgesprochen haben.
Und jetzt komme ich zu meinem letzten Satz: Wenn ich an Ihrer heutigen und gestrigen Rede, Herr Minister, sonst nichts mißbilligen würde, dann auf jeden Fall eines: daß Sie sich diese Kommission zusammensuchen, sie tagen lassen und wenige Tage, nachdem sie getagt hat, in Zirndorf Feststellungen treffen, die die Meinung der Kommission nicht nur in ihr Gegenteil verkehren, sondern ihr Ergebnis absolut präjudizieren. — Danke schön, meine Damen und Herren.