Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Matthöfer, ich weiß nicht, ob Sie gestern hier waren, als der Kollege Leber, Ihr Freund aus Hessen, seine Rede gehalten hat. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß Sie diese Rede vollständig gehört haben.
In aller Freundschaft: Das, was wir in 13 Jahren zusammen in den Haushaltsberatungen und Sie in den letzten Jahren als Finanzminister gemacht haben, war ja auch nicht so, als könnte man nicht gemeinsam über das Thema „politische Erblast" und Probleme der Finanzpolitik der letzten Jahre streiten.
Wir haben doch gelegentlich ein paar Meinungsunterschiede gehabt. Ich darf Sie z. B. an Ihre eigene Prognosefähigkeit erinnern, an die Sitzung des Haushaltsausschusses am 12. Juni 1980, als wir zusammen die Frage geprüft haben, welche Risiken in den nächsten Jahren auf uns zukämen. Oder ich darf Sie noch einmal an Ihren eigenen Wende-Brief erinnern, den Sie im Januar 1981 an Ihre eigene Fraktion geschrieben haben.
Das muß man ja wenigstens noch miteinander diskutieren können.
— Herr Kiechle, Sie haben nach mir wahrscheinlich noch die Möglichkeit zu reden. Ihr Auftritt kommt noch.
Ich möchte auch noch einmal auf den Kollegen Waigel eingehen, weil ich es langsam leid bin — ich finde das ärgerlich —, daß Haushaltsberatungen nur noch in Schuldzuweisungsdiskussionen ausarten.
— Ja, man muß sich dabei nur fragen, welchen Teil des Schadens man selbst verursacht hat. Ich kann Ihnen ja einmal die Liste der Gesetze vorlesen — von 1970 an —, denen Sie alle zugestimmt haben. Heute will das keiner mehr wahrhaben. Wer hat denn, angefangen beim Bundesversorgungsausgleichsgesetz 1970 bis hin zum Mutterschaftsgeld, zugestimmt? Und wenn Sie nicht zugestimmt haben, dann deshalb, weil Ihnen die Gesetze nicht teuer genug waren, weil beispielsweise im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsgeld nur die berufstätige Mutter berücksichtigt wurde.
Jeder tut so, als ob er in den letzten Jahren nicht die Haushaltsberatungen verfolgt hätte. Es war doch erkennbar, daß es nicht ohne Auswirkungen bliebe, und zwar in Milliardengrößenordnungen, und daß es in diesem Lande, so wie die Strukturen im Augenblick sind, in einigen Branchen Probleme geben würde.
Herr Kollege Matthöfer, was das Unternehmen mit der Mikroelekronik anlangt, bitte ich Sie doch herzlich, noch einmal Ihre Kollegen in der EnqueteKommission „Neue Medien" zu fragen, welche Gedanken sie sich in diesem Zusammenhang über Wachstumseffekte und Arbeitsplatzverluste gemacht haben. Ich halte es schon für richtig, daß man über das Problem diskutiert, wo neue Arbeitsplätze, neue Wachstumsfelder geschaffen werden können. Aber dann sollte man fairerweise hinzufügen, daß das auch Probleme auf dem Arbeitsmarkt bringen kann. Das kann man nicht über die Statistik hinbiegen; vielleicht auf kurze Zeit, aber ich meine, das gehört dazu.
Man sollte einmal bei Johano Strasser nachlesen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8711
Gärtner
— Ich glaube, Sie selbst würden da auch noch ein paar Stichworte finden, die Sie überzeugen können.
Er schrieb im Februar 1982 — ich darf zitieren —:
Der Haken an aller Wachstumsförderung, gleich welcher Art, ist, daß sie nirgends mehr so funktioniert, wie ihre Verfechter uns weismachen wollen.
Er fährt fort:
Die meisten Sozialdemokraten und Gewerkschafter wollen nicht wahrhaben, daß die gegenwärtige Krise nicht eine übliche Konjunkturkrise ist und daß deswegen auch die keynesianischen Rezepte nur sehr bedingt Abhilfe schaffen können.
Wenigstens an der Stelle merke ich, daß Ihnen der Text gefallen hat. Ich hoffe, daß Sie dies genauso kritisch lesen wie das, was der Kollege Häfele vor dem Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte, als er auf die wahnwitzige Idee kam zu glauben, man könnte die Neuverschuldung des Staatshaushalts auf Null bringen. Auf diese Idee kann nur jemand kommen, der die Ökonomie noch nicht begriffen hat und das mit „Ökumene" verwechselt.
Die Probleme, die in den nächsten Jahren vor uns liegen, sind vergleichsweise klein, wenn man sich anschaut, was jenseits unserer Grenzen passiert. Wenn man über die Grenzen hinausschaut, kann man nicht so reden wie Herr Waigel und auch Herr Matthöfer, frei nach dem Motto „Protektionisten aller Länder, vereinigt euch!" Man kann die geplante Fusion zwischen Grundig und Thomson-Brandt nicht so beurteilen, aber in demselben Satz erklären, man wolle ein gemeinsames Europa schaffen.
Es ist mir völlig unverständlich, wie man über ein gemeinsames Europa reden — Herr Matthöfer sprach sogar die Frage an, inwieweit wir die 1 %-Regelung noch nach oben drücken können; fragen Sie einmal Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß, was die davon halten — und gleichzeitig über eine solche Fusion in dieser sehr nationalistischen Art und Weise diskutieren kann.
— Lieber Herr Kollege Spöri, wenn man — wie wir gemeinsam — das Ergebnis der GATT-Verhandlungen kritisiert, kann man doch nicht auf dem Standpunkt stehen: Das gilt alles nur dann, wenn es uns nutzt; wenn es uns möglicherweise schadet, sind wir prinzipiell dagegen! Das kann, wie ich finde, nicht überzeugend und ehrlich sein. Wollen wir vielleicht soweit kommen wie die Franzosen, die sozusagen in Anlehnung an die Geschichte in Poitiers, wo früher einmal die Mauren geschlagen wurden, jetzt versuchen, die Japaner zu schlagen? Das kann
man doch wohl nicht ernsthaft auf diese Art und Weise betreiben. Das ist jedenfalls eine Position, die gegen alle internationalen Absprachen verstößt.
Lösungsansätze sind hier fast gar nicht diskutiert worden. Der Kollege Matthöfer hat allerdings auf ein paar Positionen hingewiesen, die auch von uns sehr kritisch gesehen werden. Das betrifft beispielsweise den Ausbau des Fernstraßennetzes. Der Kollege Stoltenberg wird hoffentlich im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung sagen, ob der Kollege Dollinger für seine großen Pläne überhaupt das Geld bekommen kann. Der Kollege Leber hat gestern in seiner Rede an seine Vergangenheit erinnert, als die Straßenbaupolitik sozusagen nach vorn ging. Er hat allerdings bei seiner kritischen Position geflissentlich übersehen, daß zu seiner Zeit der Spatenstiche und Neueinweihungen eine ganze Menge von Brücken entstanden sind, die den berühmten Namen „So-da-Brücken" tragen, weil sie so da in der Landschaft stehen und nicht angeschlossen sind. Da sind eine ganze Menge von Ruinen vorhanden. Ich will hoffen, daß das bei der neuen Regierung, daß das überhaupt bei kommenden Regierungen nicht wieder vorkommt.
— Der Kollege Dollinger wird wohl nicht viel mehr übernehmen können, als ihm der Bundestag genehmigt. Ich weiß nicht, ob die Kollegen der CDU/CSU bereit sind, an irgendeiner Stelle Kürzungen vorzunehmen. Ich wage zu bezweifeln, daß wir für ein funktionierendes Straßensystem der Bundesrepublik noch ein paar Kilometer zusätzlich brauchen.
Zu der Frage, ob das etwas bringt, möchte ich Ihnen, Herr Kollege Matthöfer, die Lektüre der „Frankfurter Rundschau" vom heutigen Tag empfehlen. Dort inseriert eine Ihnen bekannte Bank, nämlich die Bank für Gemeinwirtschaft, unter dem Titel „Rückgewinn für Bauherren" mit einem Sonderprogramm für öffentlich gefördertes und steuerbegünstigtes Wohnungs- und Hauseigentum. Das steht unter der Überschrift „Tut Bonn etwas?". Dann wird das Programm vorgetragen.
Ich glaube, wenn das nicht wäre, was hier beschlossen wird, verstünde sich die Bank für Gemeinwirtschaft kaum zu einer solchen Anzeige.
Dennoch: Das, was im Haushaltsentwurf 1983 steht, ist ja in allen Teilen so neu nicht. Das müssen wohl alle, die sich im Hauhaltsausschuß mit den Einzelansätzen beschäftigt haben, feststellen. Von daher ist die Diskussion durch die Begriffe „Erblast" und „Erbschleicherei" zwar sehr polemisch, aber wenig an der Sache orientiert.
Wir haben uns in vielen Fällen auch mit Problemen der Vergangenheit herumzuschlagen. Ich sage dazu etwas selbstkritisch zu uns allen, weil wir die Sache ja auch gemeinsam diskutiert und verabschiedet haben. Ich meine das Thema der kreditfinanzierten öffentlichen Ausgabenprogramme. In dieser Debatte ist viel von einer Umverteilungsak-
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tion von unten nach oben, von oben nach unten und wie auch immer die Rede gewesen. Das wird auch in den nächsten Debatten so sein. Dafür werden dann Leistungsgesetze in Anspruch genommen, die sich jetzt zur Vornahme von Kürzungen anbieten.
Die heutige Diskussion hat der Kollege Matthöfer bestritten. Er hatte auf die Umverteilungseffekte kreditfinanzierter Ausgabenprogramme schon einmal im Ausschuß hingewiesen, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Wenn wir in der einen Hinsicht jetzt durch ein Haushaltsbegleitgesetz 5,6 Milliarden DM einsparen, dann ist das weniger als das, was die Steigerungsrate des Einzelplans 32 für die Zinslasten von 1982 auf 1983 ausmacht. Das ist doch etwas, was uns irgendwo zu denken geben muß. Das ist mit Sicherheit auch eine Umverteilung an diejenigen, die es sich möglich machen können, mit festverzinslichen Papieren zu leben. Ich muß sagen: Das ist etwas, was nicht einen Facharbeiter, sondern den betrifft, der weit über 50 000 DM im Jahr hat. Auf diese Funktion wollte ich noch einmal hinweisen.
Sicherlich gibt es im Haushalt auch eine ganze Menge Probleme, wo wir durch vergangenes Tun auch heute noch einiges nachfinanzieren müssen. Ich will gar nicht an Ruinen erinnern, die wahrscheinlich jeder von uns in irgendeinem der späteren Haushalte finden wird. Aber, Herr Kollege Matthöfer, den SNR 300 kann ich Ihnen nicht schenken. Den schenke ich niemandem mehr in diesem Hause. Das ist auch ein Stück Erblast, wo man zu Lasten der Förderung alternativer Technologien und der Mikroelektronik — Sie haben beklagt, daß sie nicht direkt gefördert wird — heute nachfinanzieren muß.
Ganz witzig finde ich, daß Ihre Fraktion nicht bereit ist, wenigstens das zu bezahlen, was bestellt worden ist, nämlich von dem Kollegen von Bülow. Ich weiß nicht, ob Herr von Bülow in der Fraktionssitzung war, als der Änderungsantrag beschlossen wurde. Darin steht nämlich, daß man beim THTR und beim SNR 300 jeweils um 100 Millionen DM kürzen will. Das halte ich schon für ein kleines Bubenstück in der Haushaltspolitik.