Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sie wissen ganz genau, daß angesichts der Situation beim BAföG die entscheidenen Auswirkungen nicht nächstes Jahr kommen werden, sondern daß wir bereit sind, bereits jetzt, vor Wahlen, strukturelle Verbesserungen für später durchzuführen, und wir damit mehr Mut und mehr Wahrheit vor Wahlen und vor der Bevölkerung beweisen, als Sie dazu je in der Lage gewesen sind.
Die privaten Unternehmen sehen sich bei anhaltendem Kostendruck erheblich geringeren Erträgen gegenüber. Nach Angaben der Bundesbank haben sich die Unternehmenserträge in den beiden vergangenen Jahren zusammen nach Steuern um fast 30 % verringert. Die Jahresüberschüsse sind damit auf das Niveau des Jahres 1973 zurückgefallen. Die Rendite des in Unternehmen investierten Kapitals liegt seit Jahren unter der Umlaufrendite für festverzinsliche Wertpapiere. Damit wurde es — gerade für jene Unternehmen, die z. B. gestern vom Kollegen Ehmke in der Debatte über die Regierungserklärung erwähnt wurden — attraktiver, Kapital in Staatspapieren, anstatt in Unternehmen anzulegen. Auch das ist eine Konsequenz Ihrer Finanzpolitik und hat genau die verderblichen Strukturverzerrungen in unserer Wirtschaft herbeigeführt, vor denen wir jetzt stehen, die wir bewältigen müssen, die Sie uns in unverantwortlicher Weise hinterlassen haben.
Ein besonders bedauerliches Bild zeigt die Situation der Eigenkapitalquote, d. h. der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme. Diese Eigenkapitalquote ist von knapp 27 % im Jahre 1970 auf nur noch 21 % im Jahre 1982 abgesunken. In der Bauwirtschaft liegt die Eigenkapitalquote bereits unter 10 %. Wer in Sonntagsreden für eine Verstärkung der Eigenkapitalquote eintritt und gleichzeitig eine höhere steuerliche Belastung der Unternehmenserträge, von der Anhebung des Spitzensteuersatzes angefangen bis hin zur Einführung einer Ergänzungsabgabe, weiterhin fordert, handelt in höchstem Maße unredlich, und angesichts dessen, daß man weiß, wie sich Rendite-, wie sich Gewinn-, wie sich Eigenkapitalssituationen ergeben haben und wie sie von der Bundesbank dargestellt werden, ist eine solche Rede, wie sie gestern Herr Ehmke gehalten hat, ein Hohn auf das, was sich wirtschaftlich wirklich vollzogen hat.
Nicht jedes Unternehmen ist wie beispielsweise die Neue Heimat in der Lage, in Krisenzeiten auf finanziell potente Aktionäre zurückgreifen zu können. Im gewerblichen Bereich ist im Jahre 1982 mit über 12 000 Konkursen und Vergleichen zu rechnen.
Diese Entwicklung können wir nur stoppen, wenn in unserem Land Unternehmensgewinne nicht mehr diffamiert, sondern als das anerkannt werden, was sie sind, nämlich Grundlage für die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit.
Meine Damen und Herren, ich wünsche jedem Arbeitnehmer, daß er in einem Betrieb arbeitet, der Gewinne macht, weil er nur dann einen sicheren Arbeitsplatz hat, weil er nur dann sicher sein kann, daß dort investiert wird, sein Arbeitsplatz gesichert wird und möglicherweise neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Wenn es zu Krisen in unserem Staatswesen kam, waren CDU und CSU stets bereit, Verantwortung zu übernehmen und ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise zu leisten. Ich erinnere zunächst an die Jahre unmittelbar nach der Währungsreform, wo es galt, mit marktwirtschaftlichen Lösungsprinzipien den Wiederaufbau unseres vom Krieg zerstörten Landes in Gang zu setzen, die Wohnungsnot abzubauen und Millionen von Heimatvertriebenen einzugliedern. Damals waren es die Ideen Ludwig Erhards, die die Wirtschaft überhaupt wieder in Schwung brachten. Und damals trug Fritz Schäffer als erster Finanzminister Verantwortung. Er brachte die Bundesfinanzen in Ordnung und schuf ohne zusätzliche Steuern und ohne zusätzliche Schulden die finanziellen Voraussetzungen zur Einführung der Bundeswehr und zum Beitritt der Bundesrepublik zur westlichen Allianz — eine wahrhaft großartige Leistung in diesen Jahren!
Im Jahre 1967, als es wegen heute geradezu als unbedeutend erscheinender Beiträge zum Bruch der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP und zur Bildung der Großen Koalition kam, übernahm Franz Josef Strauß das Bundesministerium der Finanzen. Er brachte den Haushalt in Ordnung, hinterließ geordnete Staatsfinanzen und zahlte Schulden zurück — in einem Wahljahr!
Er übergab seinem Nachfolger eine Schlußbilanz, die den Namen „stocksolide" auch tatsächlich verdiente.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8699
Dr. Waigel
Auch heute, wo die Probleme ungleich größer sind als 1967, ist die CSU bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die neue Koalition wird in dieser Woche das Sofortprogramm verabschieden, mit dem wir erste Maßnahmen ergriffen haben einmal zur Sicherung der Finanzlage der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für 1983; dann zum Abbau des strukturellen Haushaltsdefizits, d. h. des Teils des Defizits, das nicht auf rein konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben beruht; zur Entlastung der Wirtschaft im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern sowie zur Ankurbelung des Wohnungsbaus.
Wir haben ferner — das ist nicht minder wichtig als das, was sich im ökonomischen Bereich vollzieht — der Bevölkerung reinen Wein über den tatsächlichen Ernst der Lage und über die realistischen Zukunftsaussichten eingeschenkt. Es hat keinen Zweck, der Bevölkerung illusionäre Zukunftshoffnungen zu machen. Wir können heute keine Schecks mehr ausstellen, die dann später nicht mehr einlösbar sind.
In den vergangenen Jahren gingen die Zusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik weitgehend verloren. Auf Dauer aber — das weiß jeder — können wir nicht über unsere Verhältnisse leben. Jede Mark unseres Sozialprodukts kann nur einmal verteilt werden. In dieser Gesamtwirtschaftlichen Verteilungspolitik wurden entscheidende Fehler begangen. Der vordergründige Erfolg der Tarifpolitik der vergangenen zwölf Jahre bestand darin, den Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen von 66 % auf nahezu 74 % zu steigern. Der Anteil des Nettoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen ging jedoch im selben Zeitraum von über 44 % auf rund 41 % zurück. Für die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer sind jedoch nicht die Brutto-, sondern die Nettolöhne entscheidend, so daß jene Verteilungspolitik, die mit soviel Euphorie gefeiert wurde, den Arbeitnehmern letztlich nicht mehr, sondern weniger eingebracht, uns aber insgesamt zusätzlich in eine Wachstums- und Investitionsschwäche hineingeführt hat. Diese Verteilungspolitik ist damit die Ursache für die Massenarbeitslosigkeit dieser Tage.
Von der Verwendungsseite her wurde das Sozialprodukt mehr und mehr von den Investitionen hin zum privaten und vor allem zum öffentlichen Konsum verlagert. Der Rückgang der Investitionstätigkeit war die logische Folge dieser Entwicklung.
Hauptursache der Krise der Staats- und Sozialversicherungsfinanzen ist die Überforderung mit Ansprüchen. Das betrifft vor allem die Subventionen und die Sozialleistungen. Wir können auf die Dauer Subventionen und Sozialleistungen nicht mit Krediten finanzieren, wie es vorher der Kollege Carstens schon dargelegt hat. Wir können auf Dauer keine Subventions- und Sozialleistungsansprüche befriedigen, wenn darunter die Finanzierung der Zukunftsaufgaben leidet. Wer heute mehr fordert oder wer sich heute den notwendigen Kürzungen verschließt, muß wissen, daß er die Last damit der nächsten Generation aufbürdet, ohne Kenntnis davon zu haben, ob dann die ökonomischen Umstände nicht noch viel schwieriger sind als in unserer Zeit. Wir haben kein Recht, noch mehr zu Lasten der zukünftigen Generationen zu verbrauchen. Wir müssen endlich zu mehr Verantwortung für die nächsten Generationen zurückfinden.
CDU und CSU sind bereit, die neue Koalition der Mitte über den 6. März 1983 hinaus fortzusetzen. Die Hauptaufgaben im innenpolitischen Bereich bilden dabei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Behebung der Wachstumsschwäche sowie die Sicherung der Staats- und Sozialversicherungsfinanzen. Unserem Sofortprogramm müssen deshalb — auf mehrere Jahre verteilt — weitere Maßnahmen folgen.
Der Anstieg der öffentlichen Gesamtausgaben muß über Jahre hinweg deutlich unter dem Anstieg des nominalen Sozialprodukts liegen. Nur so ist es möglich, die jährliche Neuverschuldung schrittweise zu reduzieren, die Staatsquote auf ein gesamtwirtschaftlich vernünftiges Niveau zu senken und einen weiteren Anstieg der Steuer- und Abgabenbelastung zu verhindern. Nur so ist es möglich, den zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben erforderlichen finanzpolitischen Handlungsspielraum in den öffentlichen Haushalten wiederzugewinnen. Die Investitionen in den öffentlichen Haushalten müssen verstärkt werden. Wir müssen auch hier wieder weg von einer Konsumdynamik hin zu einer Investitionsdynamik finden. Weitere Kürzungen, weitere Umschichtungen werden unerläßlich sein.
Auch bei der Besteuerung ist eine weitere Umstrukturierung mit dem Ziel einer steuerlichen Entlastung der Wirtschaft, vor allem des Mittelstands, erforderlich. Wir müssen dabei in einem weiteren Abschnitt auch die Reform des Tarifs in Angriff nehmen, nicht, um weitere Steuererhöhungen durchzuführen, sondern um mit einer wachstums-
und leistungsfördernden Umgestaltung des Steuersystems neue Impulse zu setzen.
Das soziale Netz muß wieder mit dem gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögen in Einklang gebracht werden. In erster Linie ist dies über die Ausgabenseite zu bewerkstelligen. Die finanziellen Spielräume für Bundeszuschüsse und für weitere Abgabenerhöhungen sind weitgehend ausgereizt.
Von den gesamten Investitionen werden rund 80% vom privaten Sektor getragen. Die privaten Investitionen sind der Schlüssel für Wachstum und für Vollbeschäftigung. Mit defensiven Strategien wie etwa der Arbeitszeitverkürzung können vielleicht gewisse Entlastungen erreicht, aber nicht die Probleme gelöst werden.
Die Lösung der wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Probleme ist nur auf der Grundlage einer wachsenden Wirtschaft möglich. Offensichtlich ist diese Einsicht Teilen der SPD verlorengegangen,
8700 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Dr. Waigel
wie die Diskussion über die Thesen von Professor Löwenthal in der SPD zeigt.
Aber alle jene, die glauben, Wohlstand, saubere Umwelt und soziale Sicherheit gebe es zum Nulltarif, unterliegen einem gewaltigen Irrtum. Wie in der Zeit des Wiederaufbaus müssen in den kommenden Jahren Fleiß, Leistungsbereitschaft, Unternehmensgeist und Mut zum Risiko im Vordergrund stehen.
Ich will auch zu einem Antrag der SPD in Sachen Grundig/Thomson-Brandt eine Bemerkung machen. Nach Lage der Dinge kann der Grundig-Konzern ohne ein Zusammengehen mit anderen Unternehmen — ob auf bloß vertraglicher oder aber kapitalmäßiger Grundlage, sei einmal dahingestellt — mittelfristig nicht überleben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion würde es begrüßen, wenn es gelänge, eine nationale Lösung zu finden.
Ich denke dabei vor allem an die Bosch-Gruppe und an den Siemens-Konzern. Sollte es jedoch zu einer europäischen Lösung kommen, dann können wir das nur unterstützen, wenn sichergestellt wird, daß dabei die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben und kein Ausverkauf deutscher Spitzentechnologien stattfindet.
Was jedoch den Antrag der Opposition, über den man in der Sache durchaus diskutieren kann, betrifft, kann ich nicht umhin, Ihnen eine kritische Frage zu stellen. Was soll denn eigentlich Ihr Bekenntnis zur Sozialistischen Internationale, zur Arbeitnehmerfreundlichkeit der Sozialisten, wenn Sie befürchten, daß Ihre französische Schwesterpartei, die ja bekanntlich bei Thomson-Brandt das Sagen hat, im Fall der geplanten Fusion Arbeitsplätze in Deutschland vernichten würde? Mit der Arbeitnehmerfreundlichkeit der Sozialisten scheint es offensichtlich auch hier nicht sehr weit her zu sein.
Noch eine Bemerkung zur Seerechtskonvention. Gestern ist hier von der SPD gesagt worden, man solle sie zeichnen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, daß sie jedenfalls jetzt nicht bereit ist, eine Zeichnung dieser Konvention vorzunehmen.
Hier sind gravierende Nachteile für die Bundesrepublik Deutschland zu befürchten. Hier ist zu befürchten, daß Zeichen für eine neue Weltwirtschaftsordnung gesetzt werden, die nicht in unserem Sinne liegen kann, wo nur mehr Dirigismus, mehr Umständlichkeit und mehr Marktfeindlichkeit eintreten, statt auch hier dem Markt und den Möglichkeiten der Industriestaaten die entsprechenden Chancen zu geben. Wir sind hier der Hauptbetroffene. Es handelt sich dabei um die größte „Landnahme zur See". Wir brauchen uns
dann ganz bestimmt nicht zu beeilen, als erste dabei zu sein.
Finanzminister Stoltenberg hat die wirtschaftspolitische Herausforderung, vor der wir heute stehen, treffend mit der Formel umschrieben: „Umverteilen zugunsten von Investitionen". Ein derartiger Umweltverteilungsprozeß hat nichts mit sozialer Demontage oder einer Umverteilung von unten nach oben zu tun. Eine Ankurbelung der privaten Investitionen ist nur möglich, wenn der für Investitionen benötigte Teil des Volkseinkommens zu Lasten konsumtiver Zwecke erhöht wird. Wer diese Zusammenhänge nicht einsehen will, verkennt den Ernst der Lage, vor der wir stehen.
Einige gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen haben sich Gott sei Dank in erfreulicher Weise verändert. Der Preisauftrieb hat sich verlangsamt, und beim Abbau des Leistungsbilanzdefizits sind Fortschritte zu verzeichnen. Dank der klaren und einschneidenden finanzpolitischen Entscheidungen dieser Bundesregierung und dieser Koalition sah sich die Bundesbank in der Lage, innerhalb weniger Wochen die Leitzinsen zweimal um jeweils einen Prozentpunkt zu senken.
— Ich kann verstehen, daß es Sie schmerzt. Aber das Vertrauen der Bundesbank in Sie war nicht groß genug, um das vorher durchführen zu können.