Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung behan-
deln. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben
fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die
Beratung des Antrags „Belarus nach den Präsident-
schaftswahlen“ zu erweitern. Der Antrag soll in der Aus-
sprache zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
beraten werden. Die Dauer der Aussprache zu diesem
Geschäftsbereich soll um eine halbe Stunde verlängert
werden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Aufsetzungs-
antrag. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist angenommen mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
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F
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b
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B
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R
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Redet
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2006
– Drucksache 16/750 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
– Drucksache 16/751 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir für die heutig
che insgesamt neun Stunden beschlossen habe
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede neueundesregierung hat natürlich die Chance eines Neuan-angs. Sie bekommt sozusagen die ersten 100 Tage alsabatt. Dann beginnt die Diskussion; dann sieht man ge-auer hin. Wenn wir jetzt genauer hinsehen, Frau Bun-extdeskanzlerin, müssen wir eines feststellen: Maßstab derBeurteilung ist nicht das Arrangement, das die beidengroßen Parteien in der Koalitionsvereinbarung getroffenhaben, Maßstab ist die Wirklichkeit. Diese zeigt eines:Ein Personalwechsel reicht nicht; ein Politikwechsel istfür die Bundesrepublik Deutschland notwendig.
Die entscheidenden Themen für die Menschen sindArbeit und Zukunftschancen. Aber es wird noch so ge-tan, als gäbe es nur Deutschland und seine Branchen.Die Tarifverhandlungen werden so geführt. Die altenWohlfahrtsversprechen werden von Ihrer Koalition noche soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit Anspruch, dass das Prinzip „Vorfahrt fürdas wir uns mit Ihnen noch wenigeer Wahl einig waren, wieder in dene Ausspra-n.so gemacht. Dinimmt Sie so inArbeit“, überWochen vor d
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Dr. Wolfgang GerhardtHintergrund getreten ist. Es gehört aber nach vorne. Des-halb muss ein Politikwechsel erfolgen.
Er muss in einem Land erfolgen, das eigentlich daraufachten muss, dass Marktwirtschaft, Innovation undmoderne Arbeitsmarktpolitik nicht an kultureller Bo-denhaftung verlieren. Unser Land hat wie kein anderessein Selbstbewusstsein aus wirtschaftlichem Erfolg ge-zogen. Aber als ich die gestrige Debatte verfolgt habe– die Rede des Finanzministers und insbesondere dieRede des Kollegen Poß –, habe ich festgestellt, dass beiIhnen die ganze alte, wirkungslose sozialdemokratischeApotheke der Arbeitsmarktpolitik voll in Kraft bleibt.Diese hat zu 5 Millionen Arbeitslosen geführt.
Sie sprechen von Kontinuität. Ich weiß, warum Sie„Kontinuität“ sagen müssen. Sie müssen vermeiden, Ih-rem Koalitionspartner heute selbst zu sagen, dass er mitdieser ältlichen Politik die Verantwortung für 5 Millio-nen Arbeitslose trägt. Wenn Sie das nicht tun, sind dieseArbeitslosen ab heute auch Ihre Arbeitslosen.
Sie müssen Ihre Arbeitsmarktpolitik ändern.
Lassen Sie mich nur wenige Punkte ansprechen – dareicht nämlich kein Schulterklopfen in den Reihen derKoalition und keine Wohlfühlpolitik –: Die ältliche Poli-tik, die Sie machen, zeigt sich zum Beispiel an den Ich-AGs. Sie haben die Abgaben für Minijobs erhöht. Siemüssen sich in diesem Zusammenhang auch die Diskus-sion über Mindestlöhne vor Augen halten. Frau Bun-deskanzlerin, ich kann Ihnen schon jetzt sagen, wozu dieEinführung von Mindestlöhnen führen würde: Dadurchwürde kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, sondern eswürden die Arbeitsplätze derjenigen vernichtet, die sieam dringendsten brauchen: die der Geringverdiener. Dasweiß jedermann.
Aber das dringt in Ihrer Koalition nicht durch. Ihrealte Arbeitsmarktpolitik hat nur eine Wirkung: Sie stiftetFrieden zwischen Ihren Sozialausschüssen und dem Pro-gramm der Sozialdemokratischen Partei. Als Kanzlerinhaben Sie aber keine Verantwortung für ein Arrange-ment dieser beiden Flügel, sondern Sie haben Verant-wortung für Deutschland. Daher ist diese Politik falsch.
Ein weiterer Aspekt, der gerne erwähnt wird, ist dievolkswirtschaftliche Steuerquote. Jeder kennt sie
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nd dass wir den Mittelständlern Chancen geben müs-en.Sie haben beschlossen, ein 25-Milliarden-Euro-Pro-ramm aufzulegen. Dabei geht es um Verteilungen zu-unsten von Familien mit Kindern, um die steuerlichebsetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und vielesndere. Aber können Sie sich einmal ins Gedächtnis ru-en, dass Sie den Bürgern mit diesen 25 Milliarden Eurour ein Fünftel von dem geben, was Sie ihnen in den vierahren dieser Legislaturperiode wegnehmen? Davonönnen Sie doch keine Arbeitsmarkteffekte erwarten.
Sie nehmen zu viel und Sie geben zu wenig. Sie ver-ahren nach dem Prinzip Hoffnung und versuchen, mitiesen 25 Milliarden Euro die Mehrwertsteuererhöhungu Beginn des nächsten Jahres auszugleichen. Das istein Programm und kein Ziel. Das werden Sie nicht er-eichen.Das Verbraucherverhalten ist in Deutschland andersls in Amerika. Die Deutschen haben eine „sparsame“
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Dr. Wolfgang GerhardtMentalität. Wir üben selbst bei geringen Wachstumsra-ten und zarten Wachstumspflänzchen immer noch großeZurückhaltung. Meinen Sie, die Bürger geben diese Zu-rückhaltung im Verhältnis fünf zu eins auf, nur weil Siesie ermuntern, noch in diesem Jahr zu konsumieren?Wenn sie das täten, würden sie sich im nächsten Jahr zu-rückhalten. Das ist eine ganz gefährliche Politik, dienicht ausreicht, um einen Umschwung einzuleiten.
Über unsere großen sozialen Sicherungssysteme hatBarbier in der vorletzten Woche einen bemerkenswertklugen Satz in der „FAZ“ geschrieben:Die Generation der „wenigen“ wird in der Reform-verweigerung ihrer Eltern kein Argument sehen, ei-nen Generationenvertrag einzuhalten, den sie niegeschlossen hat.Wie wahr!Jetzt warten wir auf die Antwort der großen Koali-tion. Die meisten Bürger sagen: Diese Koalition ist sogroß; sie muss das jetzt packen. Dabei muss es um dieReform unserer sozialen Sicherungssysteme gehen. HerrMüntefering weiß wie ich, dass das zarte Pflänzchen, daser als großes Reformvorhaben angekündigt hat – dieRente mit 67 –, eigentlich eher dazu gedient hat, dass eres umgehen konnte, im Rentenbericht zu erwähnen, dassdie Beiträge erhöht werden müssen.
Das ist doch kein Reformbeitrag. Vielmehr geht es umhöhere Abschläge als vorher.Man leistet doch keinen Beitrag zur Reform einesRentensystems, indem man die gesetzliche Rente unterNaturschutz stellt, so wie das ein Teil der Union und dieganze SPD machen, obwohl man weiß, dass sie nur nocheine Grundsicherung im Alter sein wird. Eine Beitrags-entwicklung nach oben ist kaum zu stoppen.Sie sagen, Sie möchten die Arbeitslosenversiche-rung umorganisieren und durch Mittel aus der Mehr-wertsteuererhöhung entlasten. Uns wurde jahrelang ge-sagt – Frau Bundeskanzlerin, Sie waren mit uns in derOpposition –, dass die Rentenversicherungsbeiträgedurch die Einnahmen aus der Ökosteuer stabil gehaltenwerden sollen. Die Ökosteuer ist dauernd erhöht wor-den; die Beiträge sind aber nicht stabil geblieben. Werdas sehenden Auges weiter hinnimmt und auf Kontinui-tät verweist, der ist zu einem Reformschritt wirklichnicht in der Lage.
Es ist doch ganz simples Einmaleins – das weiß dieBevölkerung auch –: Wenn die Menschen in Deutsch-land später in den Beruf eintreten, früher aus dem Berufausscheiden und die Lebenserwartung steigt, dann ist einsolches System nicht mehr über stabile Beiträge zu fi-nanzieren. Ich kann nur jedem jungen Menschen raten,sein Geld zur Bank zu tragen und es anzulegen; denn sohat er eine größere Sicherheit als über die gesetzlicheRente.ShaesukGbzwglawdmSmBinmWztfbdtm–WdkSdwssd
ie informieren die Öffentlichkeit nicht richtig.In dieser Woche führen Sie Gespräche zur Gesund-eitsreform. Ich befürchte, dass die Reform am Ende soussehen wird, wie Spekulationen das andeuten: Es wirdin versicherungspolitisches Ungetüm geben mit ein bis-chen Bürgerversicherung, ein bisschen Kopfpauschalend ein bisschen Umlage. Frau Bundeskanzlerin, es wirdeine vernünftige Reform werden, wenn Sie nur neueeldquellen erschließen wollen. Sie müssen sich der un-equemen Aufgabe stellen, den Menschen Wahlfreiheitu geben. Sie müssen sich selbst entscheiden können, beiem sie sich wie hoch versichern.
Die Diskussion über die Föderalismusreform ist ei-entlich noch gar nicht abgeschlossen. Wir haben viel-eicht ein erstes Stück des Weges geschafft. Wenn nichtuch die Frage der Finanzbeziehungen geklärt wird,ird diese Reform ihre Wirkung verfehlen. Aber selbstie jetzige Reform ist hoch umstritten.Ich möchte auf den Punkt Bildung zu sprechen kom-en. Egal welche Ebene verfassungsrechtlich für diechulen oder für die Hochschulen zuständig ist, esuss klar sein: Die Hochschulen gehören weder demund noch den Ländern. Die Hochschulen gehören inhre eigene Verantwortung. Wenn die Länder sie über-ehmen wollen, müssen sie den Hochschulen Autono-ie geben.
enn die Länder verfassungsrechtlich für die Schulenuständig bleiben wollen, müssen sie ihre Kultusminis-er in Bewegung setzen und gleiche Qualitätsmaßstäbeür die Schulen in der Bundesrepublik Deutschland erar-eiten. Es kann doch nicht sein, dass die Kinder, wennie Familie umzieht, mit derart unterschiedlichen Quali-ätsmaßstäben an den Schulen konfrontiert werden. Dasuss ein Ende haben.
Der Bund ist nicht klüger als die Länder, Frau Künast.
enn die Länder verfassungsrechtlich zuständig sind,ann müssen sie die Maßstäbe festlegen. Daran führtein Weg vorbei.Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, derPD und der Grünen, es ist ein Irrglaube, anzunehmen,ass Sie letztendlich das erreichen, was Sie wollen,enn Sie bestimmte Forschungsfelder in den Biowissen-chaften in Deutschland verbieten. Sie können wissen-chaftliche Neugier nicht verbieten. Es waren nicht nurie Grünen, die uns daran gehindert haben, in diese
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Dr. Wolfgang GerhardtWachstumsmärkte zu gehen; es waren auch viele aus denBereichen der großen Koalition, die eine Art moralischeLetztbegründung abgegeben haben. Denjenigen möchteich von den Freien Demokraten entgegensetzen: Es istAusdruck von Moral und Ethik, wenn Gesellschaften sa-gen, dass es legitim ist, eine Brandmauer bezüglich desNichteingreifens in die Keimzelle menschlichen Lebenseinzuziehen. Es muss aber möglich sein, Medikamentezu entwickeln, die das Leiden von Menschen lindern.Auch das ist eine hohe moralische und eine klare ethi-sche Position. Wer die Forschung in diesen Feldern inDeutschland verweigern will, der muss auch die Konse-quenzen darlegen. Es werden nämlich andere von demtechnologischen Vorsprung und dem Wissensvorsprungprofitieren. Auf unseren Markt werden die Ergebnisseerst Jahre später und zu viel höheren Preisen kommen.Zwischenzeitlich werden wir Arbeitsplätze verlieren.Das ist der Sachverhalt.
Sie können dort nicht nur Kontinuität fordern, esmuss auch Änderungen geben. Frau Bundeskanzlerin,Sie sind Naturwissenschaftlerin und wissen das viel bes-ser: Entweder ist ein Kernkraftwerk sicher oder nicht.Wenn es nicht sicher ist, muss es abgeschaltet werden.Wenn es sicher ist, kann es doch keine Restlaufzeit ge-ben, die Sie bestimmen.
Zu diesem Punkt gehört auch: Sie führen jetzt denEnergiegipfel durch und wissen so wie ich, dass derVerbrauch fossiler Brennstoffe in der Welt ansteigt. Demkann man doch nur mit einem Mix begegnen, zu demauch die Kernenergie gehört. Es kann doch nicht wahrsein, dass die Kompetenz Deutschlands im Bereich derKernenergie nur wegen eines Koalitionspartners, derdauernd von Kontinuität spricht, verloren geht. Es gehtnicht um den Neubau von Kraftwerken, es geht um dieKompetenz in dieser Technologie.
Die Bürgerrechte gehören zu einer Vertrauensbezie-hung zwischen dem Staat und den Bürgern. In der altenKoalition haben Sie unter kräftiger Mitwirkung der Grü-nen Einblicke in Konten ermöglicht, wodurch der glä-serne Bürger geschaffen wurde. Mit Datenabfragen ha-ben Sie den gläsernen Steuerzahler geschaffen. In deralten rot-grünen Koalition haben Sie die Abwehrrechteder Bürger geschwächt. Meine Damen und Herren vonder SPD, es wäre eine Kurskorrektur notwendig: Nichtder Staat gewährt den Bürgern gnädig Freiheit,
sondern die Bürger gewähren dem Staat Einschränkun-gen ihrer Rechte zum Schutz und im Interesse aller.Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Deshalb gilt hier: Er-forderlich ist keine Kontinuität, sondern eine Kurs-korrektur.
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as bedeutet aber kein Outsourcing nach Brüssel. Es istine Kurskorrektur notwendig, die ja auch durchgeführtird. Es wird nicht darüber geredet; das ist richtig. Frauundeskanzlerin, ich will Sie an dieser Stelle ausdrück-ich loben. Sie haben erkannt, dass es notwendig ist, abnd zu eine Zwischenlandung in den baltischen Staatenowie in Budapest und Prag einzulegen, wenn man Mos-au besucht. Das hat Ihr Vorgänger nie begriffen. Dieseurskorrektur haben Sie vorgenommen. Wir begrüßenas ausdrücklich.
Es muss aber noch eine andere erfolgen. Die Politik iner Europäischen Union muss in den ganzen Diskussio-en eines klarstellen – das ist auf dem letzten Gipfel miter Stilblüte der Linguistik in der französischen Spracheieder deutlich geworden –: Die Identität Europas be-teht nicht aus einer rückwärts gewandten Definition ei-es alten Sozialpaktes; die Identität und die Zukunfts-hance Europas bestehen aus der Wettbewerbsfähigkeit,em Willen zum Wettbewerb, dem Willen zur Innova-ion und aus all dem, was die ganze politische und Kul-urgeschichte Europas ausmacht.
Nein, meine Damen und Herren, es ist nicht wahr,ass es in Deutschland keine reformorientierte Mehrheitibt. Wahr ist, dass die große Koalition nicht den Willenu einer wirklich innovativen Politik hat. Sie lösen sichöglicherweise wegen Ihres Koalitionspartners zuchwer vom Alten. Sie bemühen sich dauernd um Kon-ens und Ausgleichsaktivitäten. Ich weiß, dass Sie alleände voll zu tun haben, um jedem Wunsch entgegenzu-ommen.
Ich sage Ihnen aber: Weltweit werden sich nur die Ge-ellschaften behaupten, die Kompetenz im Wandel ent-alten. Dafür müssen Sie Ihre Politik ändern. Es gehticht nur ums Geld. Wir trainieren in Deutschland zuenig eine Mentalität, durch die das Land auch jenseitson materiellen Anreizen wieder nach vorne gebrachtird. Darauf kommt es aber an.
as tun Sie nicht. Genau das ist aber die Aufgabe einerpposition. Wir von der FDP werden das tun.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Dr. Wolfgang Gerhardt
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Ramsauer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Herr Kollege Gerhardt, ich glaube,wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten in unseren politi-schen Vorhaben und in unserem politischen Denken, alsdies Ihre erregte Eröffnungsrede heute vermuten lässt.
– Das lasse ich einmal so in die Öffentlichkeit hallen. –Sie haben, lieber Herr Kollege Gerhardt, einen Politik-wechsel eingefordert. Dieser erste Haushalt der großenKoalition ist das Kursbuch für einen neuen Kurs, für denPolitikwechsel, von dem Sie gesprochen haben. Er istein Kursbuch für einen Kurs der Verantwortung und desVertrauens.Herr Kollege Gerhardt, Sie haben auch kulturelle Bo-denhaftung eingefordert. Das könnte ein Wort aus mei-ner Fraktion und meiner Partei, der CSU, sein. Der CDUund der CSU liegt bei jeder von ihnen gemachten Politikganz besonders an kultureller Bodenhaftung.Sie haben davon gesprochen, wir hätten vor, die ge-setzliche Rentenversicherung unter Naturschutz zustellen. Das klang fast wie eine Anklage. Dazu muss ichIhnen allerdings sagen: Es gehört zu unserer sozialpoli-tisch-kulturellen Bodenhaftung, dass wir uns klipp undklar zur gesetzlichen Rentenversicherung bekennen.Darauf müssen sich die Menschen verlassen können.
Auch ich bin des liberalen Denkens fähig und denkeliberal und wirtschaftsliberal. Aber eines habe ich in denvielen Jahren im Ausschuss für Arbeit und Soziales ge-lernt: dass die Vergleiche hinsichtlich der Rendite zwi-schen der privaten Altersversorgung und der gesetzli-chen Rente verdammt stark hinken. Am Ende kochenalle mit Wasser. Wenn man in die private Altersversor-gung, die eben das Institut der Solidarität nicht kennt,die Risiken des Lebens einrechnet,
dann können wir nur froh sein, dass wir die gesetzlicheRentenversicherung in unserem Lande haben, und dabeibleibt es.
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ch hätte Ihnen gestern gerne noch länger zugehört. Sieaben ganz offen viele richtige Dinge angesprochen, bei-pielsweise die Entwicklung unserer Investitionsquote.Das Wichtigste war vielleicht die Überschrift, die Sieewählt haben: Wir müssen – das waren Ihre Worte –it diesem Haushalt den Weg in die Realität beschreiten.
ch kann Ihnen für meine Fraktion versprechen: Auf die-em Weg in die Realität und bei der Verwirklichung derinanzpolitischen Erfordernisse haben Sie uns fest an Ih-er Seite. Hier können Sie sich auf die CDU/CSU-Frak-ion verlassen.
Die neue Regierung pflegt auch einen neuen Stil,ämlich die Übereinstimmung von Reden und Handeln.ie neue Regierung schafft neues Vertrauen.
eutschland wird auf internationaler Ebene wieder ernstenommen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben der Stimmeeutschlands mit klaren Worten und einem klaren Kursieder Beachtung verschafft.
ie wir vom Kollegen Gerhardt gehört haben, liegenir damit völlig auf einer Linie. Das Verhältnis zu denereinigten Staaten wird Gott sei Dank wieder von ei-er guten Partnerschaft geprägt. Sie sprechen nicht nurelegentlich über Menschenrechte, Frau Bundeskanzle-in, sondern auch, wenn Sie in Moskau sind.
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Dr. Peter Ramsauer
Außen- und Sicherheitspolitik finden in unserem poli-tischen Geschehen leider nicht immer die angemesseneBeachtung.Deutschland ist mehr als jedes andere Land vomExporterfolg abhängig.
– Aber man kann es nicht oft genug sagen, Frau Künast,und zwar gerade an die Adresse Ihrer Partei gerichtet.Denn dort sitzen viel zu viele Realitätsverweigerer.Auch sie sollten das endlich zur Kenntnis nehmen. – Wirsind mehr als jedes andere Land von sicheren Handels-wegen, fairen Wettbewerbsregeln und einer verlässli-chen Rohstoffversorgung abhängig.Auch ist kaum jemand reiselustiger als wir Deut-schen. Deutschland braucht Partner, damit für seine Bür-ger und Betriebe die Welt sicher, aber auch voller Chan-cen ist. Klar ist deshalb: Wer Partner braucht und vonPartnerschaft profitiert, muss auch selbst ein verlässli-cher Partner sein. Dazu gehört die Bereitschaft zur Über-nahme internationaler Verantwortung, soweit Deutsch-land dazu in der Lage ist. Aber wir dürfen uns nichtüberfordern lassen.Frau Bundeskanzlerin, es war klug und richtig, IhreKanzlerschaft mit einem Schwerpunkt in der Außen-und Europapolitik zu beginnen. Je größer DeutschlandsEinfluss in der Außen- und Europapolitik ist, desto bes-ser kann es auch weltweit Einfluss geltend machen unddesto erfolgreicher können wir die Probleme unseresLandes in einer immer stärker globalisierten Welt lösen.Deutschland steht wieder im Zentrum europäischerEntscheidungen. Wir werden in absehbarer Zeit die Prä-sidentschaft in der Europäischen Union übernehmen.Die Lage unseres Landes mitten in Europa ist für uns einunschätzbarer Vorteil, solange die Europäische Unionstabil und erfolgreich ist. Ich glaube, Europa hat mit denVerträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza großeSprünge nach vorn gemacht. Das war nicht immer ein-fach, aber der Weg – die Einführung einer gemeinsamenWährung und die Aufnahme von zehn neuen Mitglied-staaten vor zwei Jahren – war richtig.Das Nein zum Verfassungsvertrag in Frankreich undin Holland kam nicht etwa dadurch zustande, dass dieMenschen dort den Verfassungsvertragsentwurf von derersten bis zur letzten Seite durchgelesen und sich dannnach Abwägung aller Umstände überwiegend für dieAblehnung entschieden hätten; das Nein kam in diesenLändern vielmehr dadurch zustande, dass sich die Men-schen durch die Entwicklungen in Europa, durch einenimmer stärkeren Zentralismus und eine uferlos erschei-nende Erweiterung überfordert gefühlt haben. Deswegenmuss es für uns in der Europapolitik darum gehen, dieMenschen mit dieser Entwicklung nicht zu überfordern.Europa muss sich über die Herzen der Menschen entwi-ckeln und gedeihen. Wenn wir das beherzigen, dannwvmhNDVWfansdsDldKBrdsdGgsWasdMlsRGgtFKAwPdbnmfDwF
Die neue Regierung in Deutschland gibt auch den Be-ühungen Europas den Schwung, der wettbewerbsfä-igste Wirtschaftsraum zu werden. Es ist eine guteachricht für ganz Europa, dass die neue Regierung ineutschland wieder Politik für die größte europäischeolkswirtschaft macht und Deutschland damit zu einemirtschaftsmotor in Europa werden kann.Deswegen geht die neue Regierung auch mutige Re-ormaufgaben an. Wir haben die Föderalismusreformngepackt. Wir werden diese Reform gemeinsam zu ei-em guten Ende bringen.Wir sind das nicht zuletzt – dasage ich ganz deutlich im Deutschen Bundestag und vorer deutschen Öffentlichkeit – unseren Kommunenchuldig; denn die beklagenswerten Kommunen ineutschland sind so ausgeblutet wie keine andere öffent-iche Hand. Wir werden mit der Föderalismusreformeshalb auch den Kommunen helfen. Erst wenn dieommunen wieder hinreichende Spielräume in ihrenudgets haben, entstehen beispielsweise auch Spiel-äume für geringere Kindergartengebühren – erst da-urch und nicht durch das Verschieben von Finanzmas-en, die gar nicht vorhanden sind.
Lang ist über die Notwendigkeit gesprochen worden,as Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anzuheben. Selbsterhard Schröder schloss das damals nicht aus. Dieroße Koalition packt dies an. Wohlgemerkt ist es nichto, wie manchmal getan wird, dass das schon morgenirklichkeit ist. Vielmehr erhöht sich das Renteneintritts-lter schrittweise ab 2012 und zieht sich dann – das wirdtändig verschwiegen – über 18 Jahre hin. Wir werdeneshalb manchmal im Ausland belächelt, weil man dereinung ist: Wenn mit einem Prozess, der unvermeid-ich ist, erst in sechs Jahren begonnen wird und sich die-er dann über 18 Jahre erstreckt, ist das eine regelrechteeformbremse.Die große Koalition wird auch die Reform deresundheitsversorgung rechtzeitig auf den Weg brin-en. Die Krankenkassen dürfen nicht mehr in einem soiefen Defizitsumpf versinken, wie das im Jahr 2003 derall war. Richtig ist zwar, dass die Partner in der großenoalition mit unterschiedlichen Konzepten antreten.ber ich bin zuversichtlich, ja ich bin mir sicher, dassir die richtigen Elemente in den Vorschlägen beiderartner in einem sehr guten Konzept miteinander verbin-en werden.Die Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag ha-en den Vertrauensvorschuss für die große Koalition er-euert. Die Mehrheit der Wähler setzt auf eine gute undaßvolle Reformpolitik. Wie gefestigt übrigens die Re-ormbereitschaft der großen Koalition selbst in kleineningen ist, hat jüngst der Kollege Müntefering unter Be-eis gestellt. Er beginnt neuerdings seine Briefe an dieraktionsmitglieder der großen Koalition mit „Liebe
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Dr. Peter RamsauerKolleginnen und Kollegen“ und nicht mehr mit „LiebeGenossinnen und Genossen“.
Das stimmt hoffnungsfroh; denn wer so mutig alte Zöpfeabschneidet, der springt auch über den eigenen Schatten,wenn es erforderlich ist.
Reformen bringen immer Veränderungen. Die einenempfinden diese Veränderungen als Chance. Die ande-ren empfinden sie als schmerzlichen Abschied von Be-währtem, von Besitzständen. Dies gilt auch im Hinblickauf unseren regulierten Arbeitsmarkt. Die Koalition hatsich im Interesse der Arbeitsuchenden auf Schritte hin zueinem flexibleren Arbeitsrecht und eine Überprüfungarbeitsmarktpolitischer Instrumente verständigt. Ob al-lerdings diese Schritte ausreichen werden, um die Be-reitschaft zu Neueinstellungen vor allem in kleinen undmittleren Unternehmen zu stärken, werden wir ganz ge-nau beobachten. Denkverbote dürfen wir uns jedenfallshier nicht auferlegen. Solche Verbote würden den5 Millionen Arbeitsuchenden in unserem Land nämlichnicht weiterhelfen.
Reformen werden akzeptiert, wenn sie als notwendigund gerecht empfunden werden. Oft hört man den Vor-wurf, diejenigen mit starken und breiten Schultern wür-den hierzulande zu wenig tragen. Häufige Wiederholun-gen machen dieses Argument auch nicht wahr. Ichmöchte dies mit zwei Zahlen belegen. Ein Blick auf dieEinkommensteuerstatistik des Finanzministeriums ver-hilft zu einer besseren Einsicht. Die 5 Prozent der Steu-erpflichtigen mit dem höchsten Einkommen schulternknapp 43 Prozent des gesamten Einkommensteuerauf-kommens.
Auf die Steuerpflichtigen in der oberen Hälfte der Ein-kommensstatistik entfallen sage und schreibe 92 Prozentdes Einkommensteueraufkommens. Man mag ja überexzessive Auswüchse in Einzelfällen streiten. Aber un-ser Steuersystem unter den Generalverdacht der Unge-rechtigkeit zu stellen, das geht an den Realitäten weitvorbei.
Reformen können den Hauptteil der Bundesausgabenleider nicht aussparen. Die große Koalition wird demSozialstaat neue Ziele setzen: weniger Verteilungsstaatherkömmlicher Prägung, mehr Gewicht auf Sozialinves-titionen, um es mit einem Wort des Tübinger Philoso-phen Otfried Höffe zu sagen – damit der Begriff „Sozial-investitionen“ den richtigen Klang bekommt. DeshalbtekwCnvSdb1fnFszGtDtScdDagwdisbsdeWnuvÜIndwbsd
Der Stimmungswandel und das anziehende Wirt-chaftswachstum erleichtern die Konsolidierung. Aberas alleine reicht nicht aus,
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Dr. Peter Ramsauer
um das strukturelle Defizit des Bundeshaushaltes inHöhe von etwa 60 Milliarden Euro zu beheben. Unsereerste Priorität lautet natürlich: eisern sparen, sparen undsparen.
Aber die dramatische Lage des Bundeshaushalts machtauch eine Erhöhung der Einnahmen unvermeidlich. Wirhaben das bereits im Wahlkampf unmissverständlichdeutlich gemacht – ich spreche jetzt für CDU und CSU –;das war ein Stück Wahrheit, für die wir vielleicht etwashaben büßen müssen.
Aber heute sind wir froh und glücklich, dass wir dies of-fen gesagt haben.
Was wir für Soziales, Zinsen und Tilgungen sowie fürPersonal aufzuwenden haben, übersteigt die Steuerein-nahmen. Da wird jedem deutlich, dass wir um Einnah-meerhöhungen nicht herumkommen. Der Verzicht aufdie Mehrwertsteuererhöhung wäre nicht ohne drasti-sche Einschnitte bei den Sozialausgaben möglich. Werwollte massive Rentenkürzungen oder etwa die Kürzungdes Kindergeldes? Nein, meine Damen und Herren, da-vor müssen wir zurückschrecken. Wir müssen den Wegalternativer Einnahmeerhöhungen gehen. Ich weiß na-türlich, dass wir uns damit herber Kritik ausgesetzt ha-ben. Aber Mut und das Fehlen von Denkverboten müs-sen die Politik dieser Koalition auszeichnen.Wir setzen gemeinsam auf wirksame Instrumente fürmehr Wachstum und Beschäftigung. Der Haushaltsent-wurf setzt unser Impulsprogramm um. Das muss soschnell wie irgend möglich geschehen. Wir setzen vorallen Dingen Anreize für Investitionen. Neuinvestitionen– ich sage dies noch einmal – sichern und schaffen Ar-beitsplätze. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherungwird wie versprochen von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozentgesenkt. Das bringt mehr Geld für Arbeitgeber und Ar-beitnehmer. Wir haben uns auch zum Ziel gesetzt, ent-schlossen zu entbürokratisieren. Unter Bürokratie leidendie Investoren am meisten. Wir haben jetzt schon – rück-wirkend zum 1. Januar – die degressive Abschreibungverbessert. Das bringt rasch und wirksam Investitions-impulse.Wir werden die engen Spielräume des Bundeshaus-halts bis an die Grenzen des Möglichen auch für Investi-tionen nutzen. So wurde die steuerliche Absetzbarkeitvon Handwerkerrechnungen durch private Haushalte er-weitert. Ich sage dies vor allen Dingen im Hinblick da-rauf, dass wir aus dem Bereich des Handwerks – alsMüllermeister komme ich selbst aus dem Handwerk –mBwrdgrsKkptmGwsDWSnBdlTmtWmdWDmEizWnwfVrvnG
as Verbrauchervertrauen hat zuletzt den höchstenert seit dem Jahr 2000 erreicht.Aber auch die harten Faktoren sprechen dieselbeprache. Die Auftragseingänge nehmen zu. Der Maschi-enbau und der Großanlagenbau melden eine spürbareelebung der Inlandsnachfrage. Ebenso verdeutlichenie jüngst wieder ansteigenden Steuereinnahmen, vor al-en Dingen bei der Gewerbesteuer, die wirtschaftlicherendwende. Besonders freut mich, dass der Stim-ungsumschwung den Mittelstand erreicht hat. Der Mit-elstand ist mehr denn je das Rückgrat der deutschenirtschaft, mehr vielleicht als manches DAX-Unterneh-en.Der Aufschwung gewinnt an Fahrt und Breite. Wie iner Vergangenheit müssen wir auch gegenwärtig dieachstumsprognosen korrigieren, aber diesmal Gott seiank erstmals nach oben, und darauf können wir alleiteinander stolz sein.
s wird – es gehört zur Ehrlichkeit, das zu sagen, und esst die Realität – noch eine geraume Zeit dauern, bis wiru einer grundlegenden Wende gelangen; denn dieende auf dem Arbeitsmarkt ist bekanntlich ein traditio-eller Spätindikator einer positiven wirtschaftlichen Ent-icklung.Vier Monate nach dem Regierungswechsel wird aberür jeden die Änderung im Stil der Politik deutlich. Dasertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit unse-es Landes ist gestiegen. Dies ist vor allem ein Verdienston Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, und Ihres Kabi-etts.Die Unionsparteien werden auf der Basis ihrerrundsatzpositionen ihren Beitrag dazu leisten, dass die
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2211
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Dr. Peter Ramsauerzunächst von keiner Seite gewollte große Koalition amEnde eine Erfolgsgeschichte wird.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Oskar
Lafontaine von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Kollege Ramsauer hat, wie zu erwarten war, da-von gesprochen, dass die große Koalition das Kursbuchfür einen neuen Kurs vorgelegt hat. Wenn man eine Wer-beagentur zurate ziehen würde, würde sie für den Ver-kauf immer empfehlen, von etwas Neuem, von einer In-novation zu sprechen und zu unterstreichen, dasswirklich ein Aufbruch in Deutschland stattgefunden hat,dass man also zu neuen Ufern aufbrechen will.Ich will für meine Fraktion sagen, dass die Situationsich für uns weniger vorwärts gewandt darstellt. Wirstellen zunächst einmal fest, dass die Politik der Regie-rung Merkel die Politik der Regierung Schröder/Fischerfortsetzt, und zwar in der Außenpolitik ebenso wie in derWirtschafts- und Finanzpolitik.
– Es freut mich, dass hier teilweise Beifall gespendetwird. Dies ist unsere Überzeugung. Sie können eine an-dere Auffassung haben.Wir begründen unsere Haltung damit, dass die wichti-gen Entscheidungen der letzten Jahre – ob das Hartz IVwar, ob das die Agenda 2010 war oder ob das die Betei-ligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegenwar – von allen Fraktionen dieses Hauses getragen wor-den sind. Also sehen wir keine Veränderung der Politikdurch den Wechsel zur großen Koalition.
Ich beginne mit der Außenpolitik – davon war schondie Rede – und stelle fest, dass die Außenpolitik auchdieser Regierung keine klare Grundlage hat. Ich will da-rauf hinweisen, dass derjenige, der sich zu politischenThemen äußert, zunächst gehalten ist, die Begriffe zuklären. Wenn man zum Beispiel sagt, man stelle in denMittelpunkt seiner Außenpolitik den Kampf gegen deninternationalen Terrorismus, dann muss man definierenkönnen – ich wiederhole das –, was man unter „interna-tionalem Terrorismus“ versteht. Wenn man dies nichtkann, dann gerät man in die Gefahr, eine Außenpolitikzu betreiben, die keine klare Grundlage hat.shduiEistMWdsMSrdgtksFdSJRtdIFRior–eafOmWKw
Deshalb will ich für die Linke hier noch einmal fest-tellen, dass von keiner der beteiligten Parteien bis zumeutigen Tage eine Antwort auf die Frage gegeben wor-en ist, was wir eigentlich unter Terrorismus und damitnter internationalem Terrorismus verstehen. Für unsst Terrorismus das Töten unschuldiger Menschen zumrreichen politischer Ziele.
Unter diesem Gesichtspunkt waren die Attentäter, dien das World Trade Center geflogen sind und 3 000 Un-chuldige umgebracht haben, natürlich Terroristen. Un-er diesem Gesichtspunkt sind natürlich auch die jungenenschen, die als Selbstmordattentäter in tragischereise sich ihr Leben nehmen und Unschuldige mit inen Tod ziehen, Terroristen. Unter diesem Gesichtspunktind aber auch – dieser Erkenntnis verschließt sich dieehrheit in diesem Hause – die Bombardierungen vontädten und Dörfern in Afghanistan oder im Irak terro-istische Akte,
ie man genauso qualifizieren muss wie die Handlun-en, die ich vorher beschrieben habe. Da Sie diesem Ur-eil ausweichen, hat Ihre Außenpolitik an dieser Stelleeine klare Grundlage.Die zweite Frage ist, ob Sie tatsächlich der Auffas-ung sind, dass die Kriege im Vorderen Orient Kriege fürreiheit und Demokratie sind. Wir haben eine ganz an-ere Auffassung. Ich habe schon des Öfteren Oswaldpengler zitiert, der in der ersten Hälfte des vorigenahrhunderts Außenpolitik definierte als Kämpfe umohstoffe und Absatzmärkte. Nach unserer Auffassungrifft diese konservative Definition auf die Außenpolitiker führenden Supermacht des Westens nach wie vor zu:hre Außenpolitik ist kein Kampf um Demokratie undrieden, sondern sie ist nach wie vor ein Kampf umohstoffe und Absatzmärkte. Das gilt in vollem Umfangn Bezug auf den Vorderen Orient.
Die dritte Frage, die Sie nicht beantwortet haben, ist,b Sie sich im Rahmen der Außenpolitik an das Völker-echt halten wollen. Das ist doch eine relevante Frage.
Darauf komme ich bei Gelegenheit zu sprechen. Ver-hrte Frau Roth, Sie waren Menschenrechtsbeauftragte,ls zahlreiche Rechtsbrüche hier in Deutschland – Ent-ührungen, Folter – stattgefunden haben.
ffensichtlich haben Sie in dieser Zeit gepennt. Füreine Fraktion möchte ich Ihnen noch einmal sagen:er durch die Unterstützung völkerrechtswidrigerriege für den Tod Tausender Unschuldiger mitverant-ortlich ist, der soll in diesem Hause nicht über
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Oskar LafontaineMenschenrechte reden. Das ist unsere Position in dieserFrage.
Ich werfe also noch einmal die Frage auf, ob Sie sichan das Völkerrecht halten wollen.
– Ja, regen Sie sich nur auf! Das macht durchaus Freude.Dann weiß man, dass Sie getroffen sind.
Ich stelle also die Frage, ob Sie sich an das Völkerrechthalten wollen. Es ist bekannt, dass weder der Jugosla-wienfeldzug
noch der Afghanistankrieg mit dem Völkerrecht zu ver-einbaren waren. Weniger bekannt ist, dass auch der Irak-feldzug von Deutschland mit getragen worden ist. Wenndas Bundesverwaltungsgericht feststellt, dass Deutsch-land Beihilfe zum Irakkrieg geleistet hat
und dass die Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigenKrieg ebenfalls ein völkerrechtswidriges Handeln dar-stellt, dann wäre doch zu erwarten, dass sich dieses Hausmit diesem höchstrichterlichen Urteil beschäftigt. Aberdas ist in den letzten Wochen und Monaten nicht gesche-hen.
Die Außenpolitik hat keine klare Grundlage. Wederdefiniert sie, was Terrorismus ist, noch erklärt sie sich zuder Frage, ob es hier um Freiheit und Demokratie oderum Rohstoffsicherung geht, noch hat sie klar erkannt,dass das Völkerrecht beachtet werden muss, wenn wirüberhaupt Friedenspolitik betreiben wollen. Insofernsteht die Außenpolitik auf tönernen Füßen. Es bestehtnachher Gelegenheit, diese drei Sachargumente zu ent-kräften.
Wir sind sehr gespannt darauf.
Ich komme zur Europapolitik und damit auch zurFrage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Herr Kol-lege Ramsauer, Sie haben die Europapolitik der neuenRegierung, die eine Fortsetzung der bisherigen ist, fürrichtig befunden. Wir glauben, dass es in den letzten Jah-ren zwei gravierende strukturelle Fehlentwicklungen ge-geben hat. Das eine ist der Maastrichtvertrag und das an-dere ist die Verfassung der Europäischen Zentralbank.IwsnddadbaDPpijAdZmwsdnDtsktkDdwsdDpdpenesk–N
aher müsste er nicht nur ein bisschen korrigiert wer-en, sondern er müsste grundlegend reformiert werden,enn wir Wachstum und Beschäftigung in Europa tat-ächlich wollen.
Ich komme zur Innenpolitik und zur Bekämpfunger Arbeitslosigkeit. Dabei spreche ich zwei Felder an.as eine ist die Finanzpolitik. Das andere ist die Lohn-olitik.Der Bundesfinanzminister hat hier davon gesprochen,ass seine Finanzpolitik nach seinem Urteil eine Finanz-olitik der doppelten Tonlage sei. Ich kann diese Selbst-inschätzung nicht in vollem Umfang teilen, Herr Fi-anzminister. Ich glaube, dass Sie hier weiterhin dasintönige Lied des Neoliberalismus gesungen haben; in-ofern konnte ich von doppelter Tonlage leider nichts er-ennen.
Herr Kollege Westerwelle, manchmal ist das Lied deseoliberalismus auch sehr farbig, aber es ist besonders
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Oskar Lafontaineeintönig und bitter für diejenigen in unserem Land, diedavon negativ betroffen sind, und das sind in den letztenJahren immer mehr geworden.
Zunächst noch zur Grundausrichtung der Finanz-politik. Wenn Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister, dieFinanzpolitik unterstütze Wachstum und Beschäftigung,dann müssen Sie das irgendwie begründen können. Siemüssen zumindest irgendwie belegen können, dass dieFinanzpolitik expansiv ist. Das ist sie aber nicht. Siewerden hier kein Institut zitieren können, das Ihrer Fi-nanzpolitik einen expansiven Impuls bestätigt. Vielmehrist es so, dass nicht nur der Bundeshaushalt zurückgeht,sondern auch die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte.Wenn die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte zurück-geht, ist die Finanzpolitik – das sollte man hier feststel-len – nicht expansiv, sondern eher restriktiv. Über Zah-len kann man nicht streiten, es sei denn, man redet sichdie Welt schön oder verliert sich in irgendwelchen ideo-logischen Betrachtungen, die mit einer sachlichen Erör-terung überhaupt nichts zu tun haben.
Aber nicht nur die Haushaltspolitik ist der gegenwär-tigen konjunkturellen Lage nicht angemessen. Noch vielmehr gilt das für die Steuerpolitik. Aber dazu möchte ichdas nach unserer Auffassung bestehende Kernproblemder gegenwärtigen ökonomischen Entwicklung inDeutschland formulieren, nämlich wie man die Erspar-nisse wieder zurücklenkt in Investitionen. Wenn mandies als Kernaufgabe akzeptiert, dann muss man zu-nächst feststellen, dass dazu von Ihrer Regierung über-haupt nichts angeboten wird. Das, was vorgelegt wird,sind allenfalls Trippelschrittchen; in Wirklichkeit ge-schieht viel zu wenig.Dass dies das Kernproblem ist, können Sie demjüngsten Bericht der Bundesbank entnehmen. Dort steht,bezogen auf das letzte Jahr, schlicht und einfach:Somit wurde das inländische Sparaufkommen, an-ders als in den 90er-Jahren, nicht mehr in vollemUmfang von der gesamtwirtschaftlichen Sachkapi-talbildung im Inland absorbiert.Anders ausgedrückt: Es gelingt eben nicht mehr, die Er-sparnisse in unserem Lande in die Investitionen zu len-ken. Vielmehr wurde ein beträchtlicher und steigenderTeil dem Ausland zur Verfügung gestellt.Die deutsche Wirtschaftspolitik darf nicht zulassen,dass die Ersparnisse, die hier gebildet werden, nichtmehr hier in Investitionen fließen, sondern dem Auslandzur Verfügung gestellt werden. Die Frage ist, wie wir dasändern können.
Wenn wir überlegen, wohin unsere Investitionen ge-lenkt werden können, dann müssen wir uns auf die ein-zhgDztHedskKBtvSFftTBdsAäßuambwAbSeddHwsgDvSl
eine Volkswirtschaft kann auf Dauer zu Wachstum undeschäftigung finden, wenn nicht die öffentlichen Inves-itionen einen entsprechenden Anteil an der gesamtenolkswirtschaftlichen Entwicklung haben.
eit vielen Jahren werden an dieser Stelle gravierendeehler gemacht.Noch wichtiger als Investitionen in die öffentliche In-rastruktur sind Investitionen in die geistige Infrastruk-ur. Auch hier kann man nur sagen: Es ist angesichts derradition dieses Landes nicht zu fassen, dass wir bei denildungs- und Forschungsausgaben im unteren Dritteler OECD-Statistik liegen. Das ist ein unhaltbarer Zu-tand.
uch die jetzigen Entscheidungen der Regierung Merkelndern nichts daran.Wenn wir wirklich zu den Industriestaaten aufschlie-en wollen, die in den letzten Jahren mehr Wachstumnd Beschäftigung geschaffen haben, brauchen wir einendere Quote öffentlicher Investitionen und deutlichehr Ausgaben für Forschung und Bildung. Das ist dieeste Investition in die Zukunft eines Volkes.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man dies be-erkstelligen kann. Damit komme ich zur Steuer- undbgabenquote. Ich hatte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin,eim letzten Mal die simple Frage gestellt, welcheteuer- und Abgabenquote Sie eigentlich anstreben. Ininer seriösen Debatte über Haushaltspolitik müssteiese Frage beantwortet werden können. Man müssteoch wissen, was man eigentlich will. Wenn man einenaushaltsplan aufstellt, muss man sich die Frage stellen,ie man die Einnahmeseite und die Ausgabenseite ge-taltet. Aber offensichtlich ist diese Frage aufgrund ir-endwelcher ideologischer oder anderer Barrieren ineutschland überhaupt nicht mehr zu stellen.Deshalb sage ich hier noch einmal: Wir haben eineöllig unterdurchschnittliche Steuer- und Abgabenquote.ie liegt nach der jetzigen Statistik bei 34 Prozent. Wiriegen damit um 6 Prozent unter dem europäischen
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Oskar LafontaineDurchschnitt. Umgerechnet auf unser Sozialprodukt sinddas rund 130 Milliarden Euro. Das werden wir aufDauer nicht durchhalten können, meine Damen und Her-ren.
Dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, dass wir dieEinheit finanzieren müssen. Das ist eine unglaublicheFehlentwicklung der Haushaltssteuerung in den letztenJahren, die hier nur ganz bescheiden korrigiert werdensoll.Sie haben darauf hingewiesen, dass sie korrigiertwerde, und sprachen dann von der Mehrwertsteuer. Eswar nun wirklich nicht akzeptabel, dass Sie, Herr Kol-lege Ramsauer, in diesem Zusammenhang von einerÜbereinstimmung zwischen Reden und Handeln spra-chen. Die Mehrwertsteuer ist leider ein eklatantes Bei-spiel dafür, wie Parteien dazu beitragen, dass die Bevöl-kerung immer politikverdrossener wird und sich immermehr Menschen weigern, zur Wahlurne zu gehen.
Hier haben sich die beiden Parteien der großen Koalitioneines Wahlbetruges schuldig gemacht.
Das möchte ich im Rahmen der Generaldebatte anspre-chen. Wenn eine Partei sagt, sie befürworte eine Mehr-wertsteuererhöhung um 2 Prozent, die andere Partei hei-lige Eide auf 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhungschwört und am Schluss 3 Prozent herauskommen, dannist die Bevölkerung der Bundesrepublik erbost, weil siesich betrogen fühlt, und geht eben nicht mehr zu denWahlurnen.
Das kann man Ihnen nicht so ohne weiteres durchgehenlassen.Dass Ihre Steuerpolitik, und zwar die Steuerpolitik al-ler mit uns konkurrierenden Parteien, in den letzten Jah-ren auf einem völlig falschen Pfad war, hat die Bundes-bank ebenfalls festgestellt. Ich zitiere: Die Untersuchungzeigt,dass für den starken Defizitanstieg nach dem Jahr2000 zwar auch konjunkturelle Einflüsse eine Rollegespielt haben. Ausschlaggebend war aber derRückgang der strukturellen Einnahmequote …Deutlicher kann man dies nicht sagen.Ich will es einmal anders formulieren: Hätten Sie dieSteuerreform 2000 nicht beschlossen, hätten Sie keineinziges Jahr die Maastrichtkriterien verfehlt. Auch diesist in ungezählten Untersuchungen dargestellt worden.Also stimmt die Steuer- und Abgabenquote nicht.So einfach wie der Bundesfinanzminister darf man essich nicht machen: Wenn er sagt, die einzige Alternative,die wir hätten, sei entweder eine Mehrwertsteuererhö-hung oder eine drastische Kürzung bei Renten oder an-dBkStddisdfDgttbddfsat–bwscWnsvDtwmddm
Ich habe noch keinen von euch erwischt. Deswegenraucht ihr jetzt nicht zu lachen.
Gehen Sie einmal getrost davon aus, dass ich sehrohl weiß, dass die Kapitalflucht ein Problem ist.So wie ich vorhin auf die Methoden der Naturwissen-chaft verwiesen habe, möchte ich Ihnen einen hilfrei-hen Hinweis zur Wirtschafts- und Finanzpolitik geben.enn wir in der Schule die uns gestellten Aufgabenicht lösen konnten, dann waren wir zumindest sochlau,
om Nachbarn abzugucken, der es besser gewusst hat.
as ist eigentlich auch etwas, was man von Ihnen erwar-en könnte. Anscheinend ist das aber zuviel verlangt.Wenn Sie hier mit der Ihnen eigenen Chuzpe sagen,egen der drohenden Kapitalflucht könnten wir die Ver-ögen in Deutschland nicht besteuern, dann muss manoch die Frage stellen, warum in vielen anderen In-ustriestaaten eine ordentliche Vermögensbesteuerungöglich ist. Täuschen Sie das Volk nicht in dieser unver-
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Oskar Lafontaineschämten Art und Weise, wenn es darum geht, Vermö-gen in Deutschland zu besteuern!
Wir sollten nicht so tun, als wären wir allein auf derWelt und als hätten die anderen Staaten keine Erfahrun-gen auf diesem Gebiet gemacht. Es dürfte Ihnen sichermöglich sein, sich in Ihrem Hause die OECD-Statistiküber die Vermögensbesteuerung zu beschaffen. Dannkönnten Sie sehen, dass wir hinsichtlich der Vermögens-besteuerung im Vergleich zu anderen Industriestaatenweit zurückliegen, insbesondere im Vergleich zu den an-gelsächsischen Staaten.Ich möchte noch einmal einen Vorschlag machen, denich hier schon einmal vortragen durfte. Dieser Vorschlagist für jeden überprüfbar; man kann Ja oder Nein dazusagen. Das deutsche Geldvermögen – betroffen sindalso nicht das Sachkapitalvermögen und das Immobi-lienvermögen – beträgt 4 000 Milliarden Euro. Die Hälftedavon gehört dem einen Prozent der Bevölkerung, dasSie vorhin teilweise angesprochen haben, Herr KollegeRamsauer. Das sind 2 000 Milliarden Euro. Wenn mandieses Vermögen mit 5 Prozent besteuert – ich sage zumVerständnis, dass die Durchschnittsrendite für diesesGeldvermögen derzeit weit über 7 Prozent liegt –, dannkann man 100 Milliarden Euro pro Jahr an Mehreinnah-men für die öffentliche Hand erzielen.
Wieso greifen Sie über die Mehrwertsteuererhöhung nurdem Volk in die Tasche und wieso sind Sie nicht in derLage, an das Vermögen der Wohlhabenden zu gehen?Das ist eine durchaus beschämende Entwicklung.Weil ich gerade in Richtung der Fraktion der Sozial-demokratischen Partei Deutschlands blicke, möchte ichSie daran erinnern, dass die stolze Feststellung des Bun-desfinanzministers, dass wir mit die niedrigste Steuer-quote in Europa haben, vor Jahren auf jedem SPD-Par-teitag mit großem Missfallen entgegengenommenworden wäre. Dass Sie dies jetzt als eine große Leistungverkünden, zeigt, wie sehr sich diese Partei gewandelthat.
Es zeigt auch, wie sehr sich Ihre Einstellung zu denStaatsaufgaben und zu den Aufgaben der öffentlichenHand grundsätzlich verändert hat. Das hat große Nach-teile für die Beschäftigten und die Arbeitslosen in die-sem Land.Wir brauchen eine andere Steuerpolitik. Ich habe Ih-nen dazu Vorschläge gemacht. Es bestände dann dieMöglichkeit, das Barvermögen – davon ist im Berichtder Bundesbank die Rede – in Richtung öffentliche In-vestitionen und in Bildungsinvestitionen umzulenken.Es ist ein einfacher Weg. Aber aus ideologischer Ver-blendung heraus wollen Sie diesen Weg nicht gehen, derein Kernproblem unserer Volkswirtschaft lösen würde.
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2216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrter Kollege Gerhardt, ich möchte Sie ansprechen,weil das möglicherweise die letzte längere Rede war, dieSie als Fraktionsvorsitzender in diesem Haus gehaltenhaben.
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anz im Ernst: Wir möchten Ihnen persönlich alles Guteünschen und haben zumindest vor Ihren außenpoliti-chen Ansichten Respekt, auch wenn Ihre Rede heute in-altlich wieder einmal daneben war.
Herr Lafontaine, ich kann mir vorstellen, dass es Siemmer noch ein bisschen wurmt, dass die Westausdeh-ung der PDS in Deutschland,
ie Sie betrieben haben, am vergangenen Sonntag gran-ios gescheitert ist.
ch will Ihnen auch sagen, warum mich das freut: weilie persönlich beispielsweise in Rheinland-Pfalz gegenurt Beck in übelster Art und Weise Wahlkampf betrie-en haben, auch mit Schlägen unter die Gürtellinie.
ber dass Sie heute die Unverschämtheit haben, die Au-enpolitik der Regierung unter Gerhard Schröder in ei-en Zusammenhang mit Oswald Spengler zu bringen,inde ich schon ahistorisch, um es freundlich auszudrü-ken.
Wir haben in der Amtszeit von Gerhard Schröder eineußenpolitik begründet, die auf zwei Säulen fußt:eutschland ist unter den veränderten Bedingungen derelt bereit, internationale Verantwortung zu überneh-en und sich nicht wegzuducken. Aber Deutschlandntscheidet selbst, was es mitmacht und was nicht. Des-alb lassen wir die historisch richtige Entscheidung,ein zu sagen zum Irakkrieg, von Ihnen nicht im Nach-inein diskreditieren, auch nicht in diesem Hause.
Die große Koalition hatte einen guten Start; das ister Tenor der meisten Medien. Das ist auch notwendig,eil in der Bevölkerung sehr hohe Erwartungen an dieroße Koalition bestehen. In meinem Wahlkreis sageniele: Wenn ihr schon koalieren müsst, weil das Wahler-ebnis entsprechend ist, dann müsst ihr auch Großes hin-ekommen. – Die beiden großen Volksparteien sinduch in der Lage, große Dinge in diesem Land zu bewe-en, weil die Möglichkeit besteht, die institutionalisier-
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Hubertus Heilten Blockaden von Bundesrat und Bundestag vier Jahrehinter sich zu lassen.
Bezogen auf die Wende in der Finanzpolitik, von derso oft die Rede ist, möchte ich eines sagen:
Wir haben sie uns schon früher gewünscht, im Interessevon Bund, Ländern und Kommunen. – Darauf hat PeerSteinbrück hingewiesen. – Wir hätten es auch geschafft,wenn wir früher mit dem Abbau von Steuersubventio-nen begonnen hätten. Wir haben dies jetzt gemeinsameingeleitet und ich finde, darauf können wir stolz sein.Wir haben bei den Steuersubventionen angesetzt undbeispielsweise die Eigenheimzulage abgeschafft, damitder Staat handlungsfähig bleibt. Das ist eine der Leistun-gen der großen Koalition in den ersten 100 Tagen.
Wir wollen einen Erfolg der großen Koalition. Wirwissen aber, dass nicht die ersten 100 Tage, sondern dienächsten 1 000 Tage über den Erfolg der Koalition fürunser Land entscheiden. Deshalb wollen wir Sozialde-mokraten verantwortungsbewusst und durchaus selbst-bewusst in dieser Koalition weiterarbeiten. Wir habengroße Aufgaben vor uns. Wir haben mit der Umsetzungder Genshagener-Beschlüsse begonnen und Impulse fürWachstum und Beschäftigung gesetzt. So haben wir einGebäudesanierungsprogramm aufgelegt, das ein Vielfa-ches an privaten Investitionen auslösen wird. 30 Prozentder Wärmekosten könnten in Deutschland eingespartwerden, wenn die Häuser vernünftig isoliert werden. Wirwollen mit diesem Programm ein Zeichen setzen. Wirinvestieren auch mehr in Bildung, Forschung und Wis-senschaft. Wir investieren mehr in die Familien. Das istkonkrete Politik zur Zukunftssicherung und das wurdevon der Koalition auch mit sozialdemokratischer Hand-schrift verwirklicht.
Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlungennicht in jedem Punkt durchsetzen; aber das ist das Weseneiner Koalition. Wir fühlen uns aber mit vielen Vereinba-rungen durchaus wohl. Wir sagen, was mit uns geht undwas mit uns nicht geht. Die SPD wird in den nächstenWochen und Monaten, in den nächsten Jahren in dieserKoalition Motor der Erneuerung sein, weil unser LandErneuerung braucht.
Der eingeschlagene Kurs muss konsequent fortgesetztwerden. Es geht darum, in diesem Land die Zukunft zusichern. Deshalb müssen wir auf Erneuerung setzen. Wirbrauchen aber auch soziale Gerechtigkeit.Wir sollten uns einmal damit auseinander setzen, dasswir in diesem wunderbaren Deutschen Bundestag zweiexaltierte Positionen haben: auf der einen Seite die FDP,auf der anderen Seite die PDS. Ich finde, wir müsseneinmal darüber reden, was Sie gemeinsam haben. Sie be-twainmmAssnawLrmnSP–tbzdDn–ctEbeThBdr
ll das, was sich verändert hat, wird als große Ver-chwörung des internationalen Finanzkapitals darge-tellt.Wir haben Probleme mit dem ungeregelten internatio-alen Kapitalverkehr, das ist keine Frage. Wir habenber auch hausgemachte Probleme in diesem Land, dieir selbst lösen müssen. Es gibt Probleme in diesemand, die Sie nicht lösen wollen, weil Sie die Verände-ungen der Zeit nicht begriffen haben und weil Sie im-er noch glauben, dass die Mauer steht und der Natio-alstaat alles allein lösen kann.
Das ist die eine Seite des Hauses. Sie erklären dentaat zum Löser aller Probleme und den Markt für dasroblem der Menschen.
Genau, jetzt sind Sie dran.Die FDP erklärt den Menschen, der Staat sei ihr größ-es Problem. Man müsste die Menschen nur vom Staatefreien, weil der Markt alle Probleme lösen kann, undwar nach dem alten Motto: Wenn jeder an sich selbstenkt, ist an alle gedacht.
as ist das wechselseitige Spiel dieser beiden Fraktio-en.
Schreien Sie nicht so herum!Wir als Sozialdemokraten wissen, dass wirtschaftli-he Dynamik und soziale Gerechtigkeit sich wechselsei-ig bedingen. Die modernen Volkswirtschaften inuropa, die es zum Teil besser als wir hinbekommen ha-en, beweisen, dass eine Volkswirtschaft wie die unsriges sich nicht leisten kann, Menschen massiv von dereilhabe an Bildungschancen auszugrenzen. Das ist diearte Aufgabe, die wir bewältigen müssen.Dass die soziale Herkunft in Deutschland stärker überildungs- und Überlebenschancen entscheidet als in an-eren Ländern Europas, ist nicht nur verdammt unge-echt, wir können es uns in Zukunft auch wirtschaftlich
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Hubertus Heilnicht leisten, auch nur ein Kind in unserer Gesellschaftzurück zu lassen.
Aber wir wissen auch, dass soziale Gerechtigkeit nurdann zu verwirklichen ist, wenn wir eine dynamischeWirtschaft haben. Wir wissen auch, dass sich die Dingeverändert haben. Wir haben eine Globalisierung undEuropäisierung der Wirtschaft. Der technische Fort-schritt hat unsere Arbeitswelt verändert. Die demografi-sche Entwicklung können wir nicht wegdiskutieren. Die-sen neuen Herausforderungen müssen wir uns stellen.Diese Koalition tut das auch.Wir müssen das beispielsweise auch auf dem Feld derGesundheitspolitik tun. Darüber wird in den nächstenTagen viel zu reden sein. Ich finde es gut, dass wir unsmiteinander vorgenommen haben, zu einer Lösung zukommen. Gesundheit ist schließlich das Kernverspre-chen unseres Sozialstaates. Das Kernversprechen unse-res Staates heißt: Wenn du krank wirst, wird dir medizi-nisch geholfen und du musst nicht arm werden. Das istkeine Banalität angesichts der Situation in anderen Län-dern. Es gilt, dieses Versprechen zu halten und zu er-neuern.
Im Gesundheitswesen müssen eine Reihe von Dingenangepackt werden, beispielsweise die Ausgabenseite.Nach wie vor mobilisieren wir alle Kräfte für das Ge-sundheitswesen, aber wir erzielen damit nicht immer dasbeste Ergebnis. Wir müssen zunächst einmal darauf ach-ten, dass mit dem Geld der Beitragszahler vernünftigumgegangen wird. Es ist immer noch so, dass das Geldim Gesundheitswesen an manchen Stellen mit vollenHänden ausgegeben wird, während es an anderen Stellenbereits fehlt, beispielsweise bei der Versorgung chro-nisch Kranker. Deshalb ist unsere erste Aufgabe, dieStrukturen auf der Ausgabeseite zu verändern. Das gehtnur, wenn wir das gemeinsam angehen und ein breitesKreuz gegenüber den Lobbyisten, die hier in Berlin ver-suchen, ihre individuellen Interessen auf dem Rückender Versicherten durchzusetzen, haben. Wir wollen undwerden diese Aufgabe gemeinsam schultern. Dabei las-sen wir uns auch nicht von Lobbyistenprotesten umbla-sen. Wir wollen, dass mit dem Geld der Krankenversi-cherten im Interesse der Menschen besser umgegangenwird.
Wir müssen jetzt die Strukturen verändern. In denletzten 30 Jahren haben wir uns bemüht, die Kosten zubegrenzen. Wir brauchen aber langfristig eine breiteGrundlage für unser Gesundheitswesen. Das liegt an derdemografischen Entwicklung, an der guten Tatsache,dass wir länger leben, und an der schlechten Tatsache,dass immer weniger Menschen Beiträge an die Kranken-versicherungen leisten. Das liegt darüber hinaus an derTatsache, dass wir zwar einen großartigen medizinischenFortschritt haben, der jedoch unglaublich teuer ist.Wenn wir als Abgeordnete nicht in wenigen Jahrenden Menschen in unseren Wahlkreisen sagen wollen:„kkitGnBmeBzdsdiVZsnsDfahbbvBn–rlfrDzvDRagsgdwt
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2219
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Hubertus HeilWir wissen – Herr Westerwelle –, dass die meistenRechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernnicht im Gesetzblatt stehen, sondern in Tarifauseinan-dersetzungen hart erstritten wurden. Wir wissen, dass esunter dem Dach des Flächentarifvertrages Flexibilitätgeben muss. Es gibt sie in Deutschland aber schon tau-sendfach. Schauen Sie sich das einmal an!In meinem Wahlkreis stellen sich die Betriebsräte vordie Belegschaft, wenn es schwierig wird, und scheuensich nicht, ihren Kolleginnen und Kollegen schlechteMitteilungen zu machen, wenn es darum geht, das Un-ternehmen zu erhalten. Die in deutschen Unternehmengemachten Fehler sind meist von Managern zu verant-worten. Das muss man einmal deutlich sagen.
Die Gewerkschaften in Deutschland sind nicht das Pro-blem. Kluge Unternehmer wissen, dass man Problemegemeinsam mit Arbeitnehmervertretern lösen kann. Dasgelingt in vielen Bereichen, ohne dass darüber groß be-richtet wird.Insofern betone ich: Es bleibt bei der Tarifautonomie,es bleibt auch bei der Mitbestimmung. Mitbestimmungist ein wichtiges Thema bei den Betriebsratswahlen, diein diesen Tagen stattfinden: In Deutschland muss es eineGarantie für die Teilhabe der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer am Haben und am Sagen geben.Es bleibt auch beim geordneten Ausstieg aus derAtomenergie.
Das ist ganz wichtig. Machen wir uns nichts vor. HerrGlos, wir müssen damit leben, dass es in der Koalitionzu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen gibt.Das ist nicht schlimm. Ich betone nur, warum wir derMeinung sind, dass wir diese rückwärts gewandte De-batte jetzt hinter uns lassen sollten, und warum wir unsum andere Bereiche der Energiepolitik zu kümmern ha-ben: Energiepolitik ist eine zentrale Frage der wirtschaft-lichen Zukunft dieses Landes, ist eine Frage, die etwasmit der Zukunft der Menschheit im Bereich Klima undUmweltschutz zu tun hat, und ist im Übrigen – das hatFrank-Walter Steinmeier auf der Münchener Sicherheits-konferenz deutlich gemacht – eine zentrale Frage derAußen- und Sicherheitspolitik geworden.In den nächsten 20 bis 30 Jahren, am Ende des Erdöl-zeitalters, werden wir nationale Konflikte um Ressour-cen erleben. Es gibt sie schon heute. Deshalb war esrichtig, zu fordern, dass Deutschland eine Vorreiterrolleübernimmt – Rot-Grün hat damit angefangen –, die aufdrei Prinzipien basiert: erstens auf Versorgungssicher-heit, zweitens auf erneuerbaren Energien und drittens aufEnergieeffizienz.Wir wollen in dieser Koalition miteinander nach Lö-sungen suchen, um in Deutschland neue Investitionen inmoderne Kraftwerkstechnologien auszulösen. Nebendem notwendigen Wettbewerb auf den Strom- und Gas-märkten, den wir wollen, müssen wir in Deutschlandneue Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik auslö-sen. Dies ist das Bestreben der Sozialdemokraten.dAEaimBgd3wbsgbdigzEibuGghneaIwizpEasmbbAvlugagebd
ber sie ist ein Bündnis, das mehr bringen kann, alsiele vorher erwartet haben. Wir, Herr Kauder, haben imetzten Jahr im Wahlkampf gegeneinander gestandennd wir haben uns, wenn ich mich recht erinnere, nichteschont. Richtig ist auch, dass das Wahlergebnis keinendere verantwortbare Mehrheit für dieses Land mit sichebracht hat. Ich sage aber auch aus Überzeugung, dasss mir nicht nur darum geht, eine große Koalition zu ha-en, weil es nicht anders ging. Wir wollen die Chancenieser großen Koalition durchaus gemeinsam begreifen.
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2220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Hubertus HeilIch habe es vorhin schon gesagt: Wir können miteinan-der Großes bewegen. Wir können die Blockaden zwi-schen Bundesrat und Bundestag hinter uns lassen. Wer,wie viele der Kollegen hier im Haus, einmal in Arbeits-gruppen des Vermittlungsausschusses gearbeitet hat, derkann mit Fug und Recht sagen: Dagegen ist ein orientali-scher Bazar hin und wieder eine hochseriöse Veranstal-tung.Insofern sollten wir die Verantwortung in Deutsch-land klar strukturieren. Es ist nicht nur eine Frage derQualität und der Blockaden. Es ist auch eine Frage desVertrauens der Menschen in Politik. Wenn Menschennicht mehr klar zuordnen können, wer was auf welcherEbene zu verantworten hat, dann schafft das Verdruss.Es ist wichtig, klar zu machen, dass der Bund, der Deut-sche Bundestag mehr für sich alleine entscheiden kannund dass die Länderparlamente mehr für sich allein ent-scheiden können. Deshalb wollen wir die Föderalis-musreform. Dass man in den nächsten Tagen über daseine oder andere reden können muss, das ist unbescha-det.
Aber ich bekunde: Wir wollen diese Staatsreform fürDeutschland, damit die Verantwortlichkeiten der Ebenenklarer getrennt sind und damit die Menschen den Politi-kern Verantwortlichkeiten klarer zuordnen können.
– Ja, jetzt könnt ihr auch einmal klatschen, oder?
Ich möchte zum Schluss sagen: Wir wollen Motor derErneuerung in Deutschland sein. Diese Koalition ist gutgestartet. Die nächsten tausend Tage werden nicht ein-fach. Wir wollen in diesem Jahr beispielsweise mit derReform des Gesundheitswesens nachvollziehbare Zu-kunftssicherheit schaffen. Ich bin mir sicher, dass Ge-sundheit bzw. das Krankheitsrisiko in diesem Land nursolidarisch abzusichern ist, dass man dazu auch dieSchultern heranziehen muss, die breiter sind. Wir habendie Situation, dass 10 Prozent der Menschen in Deutsch-land privat krankenversichert und 90 Prozent gesetzlichkrankenversichert sind. Aber die 10 Prozent haben30 Prozent des Einkommens. Daher werden wir über ei-nen Ausgleich in diesem Bereich zumindest reden müs-sen.
Die Situation, dass immer mehr Menschen in unseremLand gar nicht mehr krankenversichert sind, muss unsauch beschäftigen. Diese Aufgabe haben wir uns im Ko-alitionsvertrag gestellt. Es kann nicht sein, dass immermehr Menschen ohne Krankenversicherung sind. Wennsie dann krank werden, fallen sie ins Bergfreie oder denKommunen vor die Tür. Deshalb müssen wir darüber re-den, was wir tun können. Wer als Abgeordneter Bürger-sprechstunden durchführt, der weiß, wovon ich rede.Das betrifft unter anderem kleine selbstständige Unter-nehmer, die gescheitert sind und nicht mehr in die ge-sWndtvwHkuDihdPwFsedmaaAM–iMmr„WtAg
Ein gestörtes Verhältnis zur Realität hat aber auch dieDP. Die FDP verkündet: Mit der Realität muss manich abfinden. – Ich kann mich an einen FDP-Politikerrinnern, der den grandiosen Satz gesagt hat, im Zeitalterer wirtschaftlichen Globalisierung könne Politik nichtehr gestalten. Wer so etwas denkt, der sollte sich selbstls Politiker abschaffen. Natürlich müssen wir gestalten,llerdings mit anderen Instrumenten als bisher. Unsereufgabe besteht darin, die Entwicklung im Interesse derenschen zu gestalten.Die PDS geht einen anderen Weg.
Nein, Sie bleiben die PDS, die WASG oder wer auchmmer Sie sind.
it „links“ hat Ihre linkskonservative Art, Politik zuachen, nicht viel zu tun. „Links“ hat etwas mit Aufklä-ung zu tun. „Links“ hat etwas mit Weltoffenheit zu tun.Links“ hat etwas damit zu tun, den Menschen dieahrheit zu sagen.
Deshalb sage ich: Die SPD bleibt die linke Volkspar-ei in Deutschland.
uf diese Weise werden wir unseren Beitrag zum Gelin-en der großen Koalition leisten.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2221
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Hubertus Heil
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Bundeskanzlerin! Ich finde, wir müssen unsetwas stärker den Problemen, die vor uns liegen, zuwen-den, als es in den bisherigen Beiträgen von FDP undPDS/WASG getan wurde. Sie haben in Ihrer Regie-rungserklärung klar gemacht, dass Sie eine „Koalitionder Möglichkeiten“ sein wollen, die den Bürgerinnenund Bürgern in unserem Land systematisch neue Mög-lichkeiten eröffnet. Sie wollen die Freiheitsspielräumefür alle Menschen in Deutschland unter der Parole„Mehr Freiheit wagen!“ vergrößern. Diese beiden Sätzesind die Prüfsteine für die Reformen, die jetzt vor unsliegen. Daran will ich mich bei dem, was ich für dasBündnis 90/Die Grünen sagen werde, orientieren.Ich möchte mit der Außenpolitik beginnen. In derAußenpolitik haben Sie einen viel gelobten Start hinge-legt; er sei Ihnen gegönnt. Aber klar ist: Jetzt liegen eineganze Reihe von großen Problemen vor uns. Eines vonihnen will ich ansprechen: Der Iran strebt nach dem Be-sitz von Atomwaffen und ist nicht mehr sehr weit davonentfernt, dieses Ziel zu erreichen. Wir alle machen unszu Recht Sorgen aufgrund der Bedrohungen, die dies fürEuropa und insbesondere für Israel bedeuten würde.In diesem Umfeld fand der Besuch Bushs, des Präsi-denten der Vereinigten Staaten, in Indien statt. DasAtomwaffenabkommen, über das dort verhandelt wurde,ist ein Abkommen zwischen Amerika und Indien. Indienhat den Nichtverbreitungsvertrag jahrzehntelang nichtunterzeichnet. Im Zusammenhang mit der internationa-len Diskussion über atomare Abrüstung bedeutet diesnichts anderes, als dass Indien, ein Land, das sich be-wusst nicht an die atomare Abrüstungspolitik der letztenzehn Jahre gehalten hat, nun belohnt und offiziell in denStatus einer Atommacht gehoben wird, positiv sanktio-niert durch die Vereinigten Staaten. An dieser Stellemuss die Regierung der Bundesrepublik Deutschland,wenn sie sich dazu bekennt, dass Deutschland zur welt-weiten atomaren Abrüstung steht, öffentlich deutlichmachen, dass sie dies für falsch hält.
Ich habe in der Zeitung gelesen, dass AußenministerSteinmeier gesagt hat, er hätte sich einen besseren Zeit-punkt für dieses Geschäft vorstellen können. Vielleichtist das eine Form diplomatischer Kritik. Ich habe gele-sen, dass Sie, Frau Merkel, mit Präsident Bush telefo-niert haben. So einfach funktioniert das aber nicht.
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Ich komme nun zum Bereich Innenpolitik und möchteier mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik beginnen.ie Maßnahmen, die Sie bisher ergriffen haben, nämlichen Rentenzuschuss beim Arbeitslosengeld II zu kürzennd die Pauschalen bei den Minijobs anzuheben, sindein fiskalischer Art. Das ist keine Arbeitsmarktpolitik,ie hilft, die Menschen aus der Dauerarbeitslosigkeit he-auszuholen. Es wird nur eine Diskussion um Mindest-öhne und Kombilöhne geführt. Wie wollen Sie denenschen, die lange arbeitslos sind, oder den älteren Ar-eitslosen, die eigentlich keine Chance mehr auf einenrbeitsplatz haben, helfen, wieder in Arbeit zu kom-en? Ich finde, bisher liegt von Ihrer Regierung hierzuichts vor. Auch in den einzelnen Etats des Bundeshaus-alts sind keine entsprechenden Zahlen zu finden. Esiegt kein klares Konzept vor.
Ihre Antwort ist: Sie wollen die Lohnnebenkostenenken. Sie tun dies aber nicht signifikant. Ich kann Ih-en nicht ersparen, das so deutlich zu sagen. Sie wollen,enn alles gut geht, den Beitrag zur Arbeitslosenversi-herung um 2 Prozentpunkte senken. Den Beitrag zurentenversicherung wollen Sie um 0,4 Prozentpunkterhöhen. Sie werden, so wie die Dinge im Gesundheits-ereich aussehen, die Sozialversicherungsbeiträge umast 1 Prozentpunkt anheben müssen. Sie gehen hier einisschen runter, dort ein bisschen rauf. Das ist kein Kon-ept für eine signifikante Senkung.
Frau Merkel, ich möchte von Ihnen hierzu eine klarentwort. Sie können nicht so tun, als würde die Mehr-ertsteuererhöhung die Kosten für Gesundheit nicht er-öhen. Sie wissen auch, dass die Verlagerung von Steu-rmitteln auf die Beiträge Auswirkungen haben wird undie Krankenversicherungsbeiträge steigen werden. Dieolitik, die Sie betreiben, ist nicht konsistent.
Ich habe die Sorge, dass sich der Anspruch, die großeoalition stemme große Strukturprobleme, bei Ihnenicht in die Wirklichkeit umsetzen lässt. So wie bisherie Diskussion über Mindest- und Kombilöhne geführturde, spricht alles dafür, dass auch das schief gehen
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Fritz Kuhnwird. Die einen sind für Mindestlöhne. Ich will fürmeine Fraktion sagen: Wenn man das gut macht, also re-gional und branchenspezifisch differenziert vorgeht undentsprechende Übergangsregelungen vorsieht, dann istdas Konzept der Mindestlöhne richtig. Vor allem wennman einen internationalen Vergleich vornimmt, lassensich viele Argumente dafür finden.Aber die Kombination von flächendeckendem Kom-bilohn mit Mindestlöhnen ist ökonomisch der größte Un-sinn, den Sie überhaupt anrichten können.
Ihre Vorstellung ist doch: Es wird ein Mindestlohn vor-gegeben. Wenn die real existierenden Löhne unterhalbdes Mindestlohns liegen, gleicht der Staat die Differenzaus. Wenn Sie das ernsthaft vorhaben – das war in derDiskussion –, dann sage ich: Das wird keinen einzigenArbeitsplatz schaffen. Das ist eine flächendeckende Mil-liardensubvention des Arbeitsmarkts, wodurch Dauerar-beitslose aber keine bessere Perspektive bekommen. Daswird dazu führen, dass die Wirtschaft, zum Teil mit Au-genzwinkern gegenüber den Gewerkschaften, in diesemBereich Arbeitsplätze schafft nach dem Motto: Wenn derStaat draufzahlt, kann es nicht verkehrt sein. So ein Kon-zept brauchen Sie uns in den nächsten Monaten nicht alsReformkonzept für den Arbeitsmarkt in der Bundesrepu-blik Deutschland auf den Tisch zu legen.
Frau Merkel, man muss feststellen, dass Sie für dieLösung der Probleme in diesem Land bislang keine kon-sistente Antwort haben. Die beiden vordringlichen Pro-bleme sind, wie wir erstens neue Jobs im Niedriglohnbe-reich schaffen können, sodass Arbeit auf demErwerbsarbeitssektor endlich möglich ist, und wie wirzweitens die Schwarzarbeit effektiv bekämpfen können.Rechnerisch entspricht das Schwarzarbeitsvolumen5 Millionen Vollerwerbsarbeitsplätzen. Dazu habe ichbisher nichts von Ihnen gehört.Wir Grünen haben ein Konzept. Da wir festgestellthaben, dass die Schwarzarbeit deswegen so hoch ist,weil das Entstehen von Jobs auf dem Arbeitsmarkt ge-rade im unteren Lohnbereich durch die Lohnzusatzkos-ten faktisch unmöglich gemacht wird, wollen wir dasGanze verändern: Die Lohnzusatzkosten, die das größteProblem sind, müssen wir im unteren Lohnbereich nied-riger ansetzen, nämlich nicht gleich mit 42 Prozent, wiees heute der Fall ist. Ab dem ersten Euro muss ein gerin-gerer Beitrag für die Sozialversicherungssysteme erho-ben werden. Erst bei circa 1 800 bis 2 000 Euro wollenwir beim vollen Satz sein. Das ist ein grünes Progres-sionsmodell für die Sozialversicherungsbeiträge.
Frau Merkel, der springende Punkt ist, dass Sie beidiesem Konzept mit einer bestimmten Summe Geld – sa-gen wir, mit 15 Milliarden Euro – wesentlich mehr Ar-beitsplatzeffekte erreichen können, als wenn Sie dies be-zogen auf die ganze Breite der Lohn- undEinkommensskala tun würden. Das IAB schätzt, dassSie mit 15 Milliarden Euro bei Umsetzung unserer Vor-ss2DklshwdNgsvmgdGnswsMhnatIdwknIUEiaudssiisdWs
Frau Merkel, ich will hier ein klares Konzept sehen.rgendein Mischmaschkonzept werden wir Ihnen nichturchgehen lassen. Aus dem Konzept muss erstens klarerden, wie wir in Deutschland zu mehr Präventionommen. Das beste Gesundheitssystem ist nämlich ei-es, das die Kosten vermeidbarer Krankheiten reduziert.
m Jahre 2005 haben Sie ein Präventionsgesetz – dermfang der Zahlungen sollte immerhin 250 Millionenuro betragen – im Bundesrat scheitern lassen. Bislangst an dieser Stelle nichts von Ihnen gefolgt. Wir könntenlso einsparen, indem die Leute weniger krank werdennd wir hier in Deutschland eine vernünftige Präventionurchführen. Hier sind wir im internationalen Vergleichchwächer als andere vergleichbare Länder. Das mussich ändern. Kommen Sie nicht mit einem Kompromiss,n dem zur Prävention nichts essentiell Neues formuliertt.
Zweitens. Kommen Sie nicht mit einem Kompromiss,er nur auf der Einnahmenseite greift. Ich sage Ihnen:enn Sie neues Geld für das Gesundheitssystem her-chaffen, den Verteilmechanismus zwischen der Ärzte-
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Fritz Kuhnschaft und den Kassen, zwischen denen, die heute vondem Ganzen profitieren, aber nicht substanziell verän-dern, dann wird das neue Geld so schnell weg sein, soschnell können Sie gar nicht schauen, wodurch Sienichts zur Reform des Gesundheitssystems in Deutsch-land beigetragen haben.
Deswegen sind die Frage nach mehr Wettbewerb imGesundheitssystem, die Frage nach Transparenz für diePatientinnen und Patienten und die Frage nach Präven-tion essenziell. Wir müssen nämlich auch die Ausgaben-seite des Gesundheitssystems – und nicht nur die Ein-nahmenseite – bearbeiten.Sie wissen, dass wir bei der Strukturreform für eineBürgerversicherung sind, durch die die Finanzierungdes Gesundheitssystems auf eine breitere und solidari-schere Grundlage gestellt wird. Ich habe die Sorge, dassSie aufgrund der Aufstellung, die Sie nun einmalhaben – die Kopfpauschale auf der einen Seite und dieBürgerversicherung auf der anderen Seite –, zu einemrichtig miesen, faulen Kompromiss kommen werden.
In der Diskussion sind die lohnbezogenen Arbeitge-berbeiträge – gedeckelt oder nicht gedeckelt –, die Ar-beitnehmerbeiträge auf der breiteren Grundlage allerEinkunftsarten, ein kleines Kopfgeld bzw. eine kleineKopfprämie und schließlich ein Gesundheitssoli. Ichsage Ihnen klipp und klar voraus: Dieses Gemisch, dasSie hier vorhaben, wird schlechtere Ergebnisse zur Folgehaben als jedes der einzelnen Modell allein, die vorher inder Diskussion waren. Darauf können Sie Gift nehmen.
Deswegen müssen Sie, Frau Merkel, wenn Sie denAnspruch haben, mit der großen Koalition die großenStrukturprobleme in unserem Land zu lösen, schon mehrMut beweisen als mit dieser Kompromissmischtechnik,die Sie in anderen Bereichen, so wie es im Koalitions-vertrag steht, angewendet haben.Wenn Sie die Frage zum Verhältnis zwischen gesetz-licher Krankenversicherung und der PKV nicht auf-greifen und Sie keinen Risikostrukturausgleich zwischendiesen beiden Versicherungssystemen schaffen, dannkönnen Sie alles, was Sie hier machen wollen, ein-packen. Was soll das für ein System sein, wenn nur dieKapital- oder Mieteinkünfte der Mitglieder in der gesetz-lichen Krankenversicherung herangezogen werden, abernicht die der Mitglieder in der PKV?
Das heißt, dass Sie an das Vermögen der kleinen Leute,falls diese Mieteinnahmen zur Alterssicherung haben,herangehen, dass aber die Gutverdienenden in der PKVaußen vor bleiben. Das ist keine Verbreiterung; das, wasSie offensichtlich anstreben, ist vielmehr ein richtig mie-ser Kompromiss.Wir werden die Diskussion begleiten. Aber wir lassenes Ihnen nicht durchgehen, dass Sie um des Koalitions-friedens willen – ich sage noch einmal: Der Honeymoon,aKrvsda6agnuFdDWPdsdrrseOßma–kms–lmPdsddl
Damit Ihnen der Koalitionskompromiss nicht um diehren fliegt, sitzen Sie mit dem dicken Hintern der gro-en Koalition auf dem vereinbarten Paket der Föderalis-usreform,
nstatt endlich das zu machen, was in den Ländernzum Teil auch von der SPD – als Notwendigkeit er-annt wird, nämlich das Bildungssystem der Zukunft ge-einsam zu gestalten.
Ich frage: Frau Merkel, wo ist eigentlich der Wirt-chaftsminister?
Er ist jetzt also da.Wenn es darum geht, für Deutschland Innovationspo-itik zu gestalten, dann kann ich nur sagen: Der Autis-us, Herr Glos, mit dem Sie zweimal in der Woche eineresseerklärung herausjagen, man solle den Ausstieg auser Atomenergie rückgängig machen, ist keine wirt-chaftspolitische Gestaltung für ein zukunftsfähiges In-ustrieland.
Lieber Michael Glos, ich habe in der Zeitung gelesen,ass Sie sich beim Besteigen eines Hybridautos anläss-ich eines Besuches in Japan den Kopf gestoßen hätten.
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Fritz Kuhn
Nehmen Sie das als Wink Gottes.
Der Herrgott, lieber Herr Glos, wollte Ihnen sagen, dassSie sich einmal systematisch um Themen wie ökologi-sche Modernisierung, nachhaltige Mobilität und eineneue Energiepolitik kümmern sollen; denn da liegt die in-dustriepolitische Zukunft der Bundesrepublik Deutsch-land.
Frau Merkel, ich erhebe den Vorwurf, dass Sie sichvor der Beantwortung der Fragen, mit was wir in Zu-kunft unser Geld verdienen wollen, welche Visionen wirin der Industriepolitik und beim Aufbruch Deutschlandsin eine neue Wirtschaftspolitik haben, und vor Ihrer Ver-antwortung für die Zukunft, die Sie an dieser Stelle ha-ben, mit Ihren kleinen Trippelschritten aus dem Staubmachen.
Wenn Herr Glos so weitermacht, werden Sie in derWirtschaftspolitik keinen Blumentopf gewinnen. HerrGlos, Sie haben sich etwas vorschnell in die Traditionvon Ludwig Erhard gestellt. Ludwig Erhard hatte eineklare Vorstellung von der Marktwirtschaft. Er wusste,dass man die Wirtschaft auf der einen Seite in Ruhe las-sen muss, aber auf der anderen Seite einen echten Rah-men schaffen muss, der den Wettbewerb erst ermöglicht.Wo ist Ihr Engagement für mehr Wettbewerb in derBundesrepublik Deutschland? Was machen Sie zum Bei-spiel im Energiebereich? Vier große Energiekonzernebeherrschen den Markt und können die mittelständischeEnergiewirtschaft, die es bei uns schließlich auch gibt,mit den Durchleitungsgebühren richtig in die Knie zwin-gen. Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört, HerrGlos. Vor dieser Frage haben Sie sich gedrückt. Deswe-gen sind Sie kein guter Wirtschaftsminister.
Wir müssen auch über den Haushalt reden, FrauMerkel. Dieser Haushaltsplanentwurf entspricht nichtder Gestaltung neuer Möglichkeiten – ich beziehe michdamit auf Ihre Regierungserklärung –; es ist vielmehr einziemlich bequemer Haushalt, weil er die Konsolidie-rung nicht an der Stelle in Angriff nimmt, an der sie be-ginnen müsste.Die Einnahmen brummen. Wir werden in Deutsch-land 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro – die Angabenschwanken je nach Institut – zusätzlich einnehmen. DieEinnahmen brummen, aber was machen Sie? Statt sichum Zukunftsgestaltung, Gestaltung neuer Möglichkeitenund Freiheit für künftige Generationen zu bemühen, er-höhen Sie im Jahr 2006 in dem Moment, wo die Einnah-men brummen, die Verschuldung um weitere 7 Milliar-den Euro.ewzdllKHditdwntwmmecTiVvtdGSEbsS3uzlIvfvr0lAFzF
Ich nenne Ihnen auch den Grund dafür. Es ist eine bil-ige Nummer: Sie wollen im ersten Jahr der großenoalition den schwierigen und unbequemen Weg deraushaltskonsolidierung nicht einschlagen. Sie habenen Haushalt einer Honeymoon-Koalition vorgelegt; esst kein Haushalt einer Koalition, die die Zukunft gestal-en will.
Es ist ganz einfach. Hans Eichel kam immer in Be-rängnis und Panik, wenn zu wenig Einnahmen erzielturden. Peer Steinbrück kommt in Panik, weil die Ein-ahmen plötzlich zu hoch sind. Anders ist doch die Hek-ik, mit der Sie die Mehrwertsteuererhöhung beschließenollen, nicht zu erklären.Sie betreiben in diesem Jahr eine schöne Honey-oon-Haushaltspolitik und verüben im nächsten Jahrit der Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkteinen Anschlag auf die Konjunktur und die wirtschaftli-he Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Dieheorie, die der Finanzminister gestern erläutert hat – erst leider gerade nicht anwesend –, hatte ein bisschen mitoodoo zu tun. Sie handeln nach dem Motto „Jetzt soiel Anlauf nehmen, dass der Anschlag auf die Konjunk-ur im nächsten Jahr verdaut werden kann“. Frau Merkel,as ist so, als wenn Sie über das Wasser laufen und derefahr des Einsinkens dadurch begegnen wollten, dassie schneller Anlauf nehmen.
Was Sie vorgelegt haben, ist wirtschaftlicher Unsinn.s gibt eine Alternative, und zwar den Subventionsab-au. Alle Institute – das Kieler Institut für Weltwirt-chaft, das DIW und andere – rechnen Ihnen vor, dassie schon in diesem Jahr unter der Defizitgrenze vonProzent des Bruttoinlandsprodukts bleiben könntennd auf einen solchen Anschlag auf die Konjunktur ver-ichten könnten. Unser Bundeshaushalt steckt noch vol-er Subventionen, die wir abbauen können. Wir werdenhnen das in den Beratungen im Einzelnen zahlengenauorrechnen.Ich möchte noch etwas zum Thema Entwicklungs-inanzierung sagen, Frau Merkel. Davor haben Sie sichöllig gedrückt. Sie haben sich in der Regierungserklä-ung dazu bekannt, dass die Bundesregierung ihr Ziel,,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwick-ungsfinanzierung einzusetzen, bis 2015 erreichen will.ber der Haushalt gibt keinerlei Aufschluss über dierage, wie Sie das tun wollen. Sie haben keinen Umset-ungsplan und Sie haben die französische Initiative einerlugticketbesteuerung, aus der das Vorhaben finanziert
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Fritz Kuhnwerden könnte – 13 Staaten haben dem Vorschlag zuge-stimmt –, durch Schweigen und Wegschauen nicht ge-rade positiv begleitet. Sie haben keine Antwort auf dieentscheidende Frage, wie wir in Zukunft die Entwick-lung finanzieren sollen.
Ich sage Ihnen ohne düstere Prophetie – der düstereProphet Oskar Lafontaine hält sich jetzt an OswaldSpengler mit seinem Hauptwerk „Der Untergang desAbendlandes“; ich würde sagen, das passt zu Ihnen, lie-ber Herr Lafontaine –:
Was wir an der Entwicklungsfinanzierung einer gerech-ten Weltordnung fehlen lassen, werden wir später teuerzu bezahlen haben. Deswegen ist es notwendig, unserVersprechen hinsichtlich der 0,7 Prozent endlich einzu-lösen.
Ich möchte noch zwei Punkte im Zusammenhang mitder Gesellschaftspolitik ansprechen, Frau Merkel. Dennob eine Koalition groß ist oder nur faul und behäbig,zeigt sich auch daran, ob sie zentrale Probleme unsererGesellschaft wahrnimmt, angeht und löst.Das Erste ist die Kinderpolitik. Davon wird erstaun-lich viel geredet; aber es wird sehr wenig gemacht. DieVereinbarkeit von Beruf, Karriere und Kindern ist inDeutschland im internationalen Maßstab nicht ausrei-chend gewährleistet. Wir sind an dieser Stelle ein Ent-wicklungsland. Der Hauptgrund ist, dass in Deutschland,vor allem in den süddeutschen Bundesländern, in Bayernund Baden-Württemberg, Plätze für Kinder unter dreiJahren in den Kinderkrippen fehlen. Ich rede nicht überdie Qualität der Betreuung – darüber müssten wir eigent-lich auch diskutieren –, sondern nur darüber, dass vieleMütter und Väter keine Betreuungsplätze für ihre unterdreijährigen Kinder finden. Mit dem Elterngeld – das istdurchaus ein diskutables Konzept, auch wenn es vielkostet – machen Sie aber den dritten bzw. den viertenSchritt vor dem ersten. Deswegen fordern wir vomBündnis 90/Die Grünen Sie auf: Schaffen Sie zuerst eineausreichende Zahl an Betreuungsplätzen für Kinder un-ter drei Jahre! Wenn dann noch Geld übrig ist, könnenwir darüber reden, was noch Sinnvolles gemacht werdenkann. Aber es darf nicht umgekehrt sein.
Was hat denn eine junge Mutter davon, ein Jahr lang dasvon Ihnen geplante Elterngeld in Anspruch zu nehmen,wenn sie weiß, dass es anschließend schief geht, weil siekeinen Betreuungsplatz für ihr Kind hat?Sie haben im Koalitionsvertrag eine Überprüfung derEntwicklung bei den Kinderkrippen bis 2010 vorgese-hen. Wer weiß schon, ob es, wenn Sie 2010 feststellen,dass die Situation bei den Kinderkrippen noch immer somies ist wie heute, nicht wieder vier, fünf Jahre dauert,bis eine vernünftige Zahl an Betreuungsplätzen erreichtwird? Aus heutiger Perspektive bedeutet Ihre Ankündi-gbSaIdmkgdDjWn2sKiFfsWmLttsödd6ttkdFMzzDtnnElM
enn diese noch zehn Jahre die blöde Diskussion, dieach dem Muster verläuft, diejenigen, die heute 20 oder5 sind, seien an der demografischen Entwicklungchuld, verfolgen müssen, dann werden sie noch wenigerinder bekommen. Vielmehr sollte sich die Politik aufhr Kerngeschäft besinnen, die Rahmenbedingungen füramilienfreundlichkeit und Kinderfreundlichkeit sowieür die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbes-ern. Alles andere werden dann die Menschen machen.eiter sollten wir uns nicht einmischen. Aber den Drucküssen wir herausnehmen. Sonst sagen die jungeneute: Von euch lassen wir uns das nicht mehr vorhal-en!
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Integra-ion und Einwanderung sagen. Frau Merkel, Sie habenich in Ihrer Regierungserklärung und in vielen anderenffentlichen Äußerungen zur Integration bekannt. Aberas wird durch Ihre Haushaltspolitik nicht bestätigt;enn Sie haben die Mittel für Integrationskurse um7 Millionen Euro gekürzt. Das sind 32 Prozent des be-reffenden Gesamtetats. Sie bekennen sich zwar in Sonn-agsreden zur Integration. Aber dort, wo es um Sprach-urse und Landeskunde geht, kürzen Sie rabiat. Ich halteas für nicht verantwortbar.
rau Böhmer wird sicherlich sagen, dass 2005 nicht alleittel abgerufen worden seien und dass daher die Kür-ungen gerechtfertigt seien. Aber es ist logisch, dass wirunehmend mehr Sprachkurse in Deutschland brauchen.iese Kurse sind ein Renner. Wenn Sie nachgedacht hät-en, dann wäre Ihnen bestimmt eingefallen, wie Sie dieun gestrichenen Mittel hätten vernünftig einsetzen kön-en.
Stattdessen nerven Sie die Menschen mit alberneninbürgerungstests. Sie sollten sich einmal die Paralle-ität vor Augen führen. Auf der einen Seite werden dieittel für Integration gekürzt. Auf der anderen Seite ist
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Fritz Kuhndas, was von Baden-Württemberg vorgeschlagen wurde,nichts anderes als ein Idiotentest.
Den von Hessen vorgeschlagenen Einbürgerungstesthätte selbst die Hälfte der Deutschen nicht bestanden.Deutschland würde wirklich aussterben, wenn wir dieEinwanderung mit solchen Tests regelten.Frau Merkel – ich sage das in erster Linie an dieAdresse der Union –, Sie haben noch immer ein ideolo-gisches Problem. Wir sind faktisch ein Einwanderungs-land und sind in wirtschaftlicher Hinsicht sogar auf Ein-wanderung angewiesen. Es gibt keine innovativeÖkonomie, die nicht systematisch Einwanderung zu-lässt. Schauen Sie doch auf die USA oder nach Groß-britannien! Aber Sie wollen es nicht. Sie haben nicht be-griffen, dass wir hier einen Sprung nach vorn machenmüssen,
zum Beispiel bei der konsequenten Anwendung des Ein-wanderungsgesetzes. Ich wünsche mir, dass Sie da mehrtun.Zeigen Sie mir ein Land in Europa oder auf der Welt,das systematisch hoch ausgebildete junge Schüler undSchülerinnen oder Studenten und Studentinnen, die Bes-ten, abschiebt wie zum Beispiel die junge Kurdin, diebeim Bundespräsidenten eingeladen war und vier Wo-chen später abgeschoben werden sollte, und das nur ausDogmatismus, nur weil wir nicht in der Lage sind, einevernünftige Einwanderung solcher Menschen inDeutschland zu realisieren!
Frau Merkel, wir können uns das, was Sie da – ich be-haupte: aus ideologischer Verblendung – veranstalten,weder gesellschaftlich noch unter Gerechtigkeitsge-sichtspunkten und schon gar nicht unter Wirtschaftsge-sichtspunkten leisten, weil wir gut ausgebildete Leute inunserem Land brauchen. Deswegen fordere Sie auf, Ihrideologisches Konzept zu überdenken; sonst werden SieDeutschland nicht zu einem Land der Möglichkeiten undder neuen Freiheiten machen.
Ich komme zum Schluss. Wenn ich sehe, was Sie bis-her auf den Tisch gelegt haben, dann bekomme ich nichtden Eindruck, dass Ihre Koalition groß ist. Sie ist eherbreit. Sie arbeitet nach dem Mechanismus „Von diesemein bisschen, von jenem ein bisschen“, aber vermeidetklare Strukturreformen. Dabei haben wir alle zusammenin den letzten Jahren gelernt, dass es auf strukturelle Re-formen ankommt und dass es nicht damit getan ist, le-diglich hier und dort ein bisschen zu verändern.Deswegen sage ich: Wenn Sie diese Politik nicht än-dern, werden Sie bei der ökologischen Modernisierungnichts erreichen und auch bei den Innovationen nicht.Sie werden nicht in sozial gerechter Weise mehr Freiheitfür alle bewirken und vor allem werden Sie keine nach-hsInSMSgAsgHtdstgdtwfzesensusntwd2dghn
Das Wort hat jetzt die Bundeskanzlerin Dr. Angela
erkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestattenie mir zunächst eine Vorbemerkung. Wir alle habenestern die Nachricht von der Freilassung des Afghanenbdul Rahman gehört. Ich denke, wir sind uns in die-em Hohen Hause einig: Wir haben diese Nachricht mitroßer Erleichterung aufgenommen.
Es war für uns schon erschütternd, zu hören, dasserrn Rahman der Tod drohte, nur weil er zum Christen-um konvertiert ist. Ich möchte deshalb allen danken, dieie Bemühungen der Bundesregierung um seine Freilas-ung unterstützt haben. Denn es war die einhellige Un-erstützung in unserem Land und international, die dazueführt hat, dass er freigelassen worden ist.
Warum sage ich das zu Beginn? Ich sage das, weil wiramit deutlich gemacht haben, dass wir es nicht akzep-ieren, wenn Menschenrechte missachtet werden, dassir es nicht akzeptieren, wenn die Religionsfreiheit ein-ach außer Kraft gesetzt wird. Wir akzeptieren das auswei Gründen nicht: weil es zum einen um das Schicksalinzelner Menschen geht, weil wir es den Betroffenenchuldig sind, zum anderen aber auch uns selbst. Denn ininer Zeit globaler Märkte, in einer Zeit, in der wir inter-ational vor großen Herausforderungen stehen, in einerolchen Zeit dürfen wir unsere Werte der Demokratiend der Menschenrechte nicht nur im Munde führen,ondern wir müssen sie auch behaupten. Das können wirur, wenn wir entschlossen und ohne Zögern für sie ein-reten, damit auch außerhalb unseres Landes erkennbarird, dass wir sie behaupten wollen.
Wir müssen uns immer wieder selbst vergewissern,ass wir das wollen; denn wir leben am Anfang des1. Jahrhunderts in einer veränderten Welt, in einer Welt,ie nach dem Ende des Kalten Krieges neue Gefährdun-en kennt, in einer Welt, in der wir neue Wettbewerberaben. Das heißt, unser demokratisches Selbstverständ-is steht insoweit auf dem Prüfstand, als wir in jedem
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkeleinzelnen Fall beweisen müssen, ob wir es mit unsererPolitik ernst meinen oder nicht.Wir sind in den letzten 130 Tagen schon mit vielenDingen konfrontiert worden. Ich denke nur an den Kari-katurenstreit, durch den uns bewusst geworden ist, dassauch unsere Grundwerte – auf der einen Seite die Presse-freiheit, auf der anderen Seite die Religionsfreiheit – im-mer wieder in einem Spannungsverhältnis stehen. Ichdenke auch – das wurde heute schon angesprochen – andie Diskussion über den Iran und die Frage, inwieweitwir verhindern können, dass der Iran in den Besitz vonAtomwaffen kommt, und inwieweit Deutschland in die-sem Prozess – im Übrigen seit Jahren – Verantwortungübernommen hat. Die Tatsache, dass drei Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union – Frankreich, Großbritannien, Deutsch-land – gemeinsam Verhandlungen geführt haben undweiter in diesen Prozess eingebunden sind, stellt uns vordie Herausforderung, nicht nur passiv zu kommentieren,ob die Diplomatie eine Chance hat, sondern aktiv jedenTag dafür zu arbeiten, dass Diplomatie zum Erfolg führt.Wenn an diesem Donnerstag ein Treffen der Außen-minister von sechs Staaten stattfindet, dann beweistDeutschland damit, dass es seine Chance in diesem Pro-zess nutzen und deutlich machen will, was in der inter-nationalen Gemeinschaft geht und was nicht geht undwo Schranken gesetzt werden müssen.
Wir haben in dieser Woche über die Frage gespro-chen, ob sich Deutschland im Rahmen der EuropäischenSicherheits- und Verteidigungspolitik im Kongo enga-gieren soll. Das ist eine schwierige Frage. Es kann nie-mand sagen, dass es im Kongo keinerlei Risiken gibt.Wir haben uns aber seit Jahren in einem diplomatischenProzess und in der Entwicklungshilfe engagiert und wirhaben dafür gesorgt, dass demokratische Strukturenlangsam eine Chance bekommen können. Wir habenGeld investiert, wir haben Polizisten ausgebildet und wirhaben dafür Sorge getragen, dass dort heute nicht mehrMillionen von Menschen umkommen. Das ist ein Rie-senerfolg und diejenigen, die das selber beobachtet ha-ben, wie das einige Kollegen getan haben, haben davonberichten können.Jetzt stellt sich eine ganz entscheidende Frage: Ge-lingt es, dort Wahlen durchzuführen, und soll sich dieEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik dortfür einen begrenzten Zeitraum engagieren? Darübermuss intensiv diskutiert werden. Aber das, was nichtgeht, ist, traurig zu gucken, wenn uns eines Tages wiederBilder von der Straße von Gibraltar erreichen, die zei-gen, wie Flüchtlinge aus Afrika nach Europa kommenwollen, auf der anderen Seite aber dann, wenn wir vonder UNO um Hilfe gebeten werden, Nein zu sagen undnicht mitzumachen. Das geht nicht.
Natürlich geht es bei diesen Fragen nicht nur um mili-tärische Unterstützung. Der Prozess im Kongo zeigt das.Ilnanapvar2gguIzpWhtpAlWEDwRaDdojakAwffAsdbswwnNdzt
Ich sage das deshalb zu Beginn meiner Rede, weil dasintreten für Werte unsererseits von anderen außerhalbeutschlands, außerhalb Europas beobachtet wird undeil das konsequente Eintreten für Werte natürlich auchespekt verschafft, und zwar in einer Welt, in der wiruch ökonomisch vor neuen Herausforderungen stehen.iese neuen Herausforderungen haben damit zu tun,ass Menschen in China, in Indien, in den mittel- undsteuropäischen Staaten plötzlich sagen: Auch wir habenetzt die Möglichkeit, am Wettbewerb teilzunehmen;uch wir wollen, dass unser Lebensstandard steigt. Wirönnen nicht erklären, warum wir zwar für uns etwas innspruch nehmen, es anderen aber nicht gönnen. Dasäre keine demokratische Haltung.Wegen des verstärkten Wettbewerbs sind wir aufge-ordert, deutlich zu machen, was wir wollen. Wir sindür das Modell der sozialen Marktwirtschaft, für denusgleich zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirt-chaftlicher Stärke, für die Teilhabe jedes Einzelnen, fürie Unteilbarkeit der Menschenrechte, für die Unantast-arkeit der Würde des Menschen. Das sind unsere Maß-täbe. Sie müssen sich jetzt in einer Welt beweisen, dieir nicht durch Abschottung gestalten können. Nachdemir die Mauer durch Deutschland beseitigt haben, kön-en wir jetzt nicht eine Mauer um Deutschland ziehen.ach meiner Auffassung müssen wir deutlich machen,ass wir nur durch Offenheit und durch ein Bekenntnisur Freiheit bestehen können. Ich meine eine verantwor-ete Freiheit, die neue Gerechtigkeit schafft. Das ist der
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelAnsatz, mit dem Deutschland seine Probleme lösenmuss.
Daraus erwächst die Aufgabe dieser Regierung. Wirhaben gesagt, sanieren, investieren, reformieren. Mitdieser Etappe haben wir losgelegt und dabei haben wireiniges zustande gebracht. Ich will mich damit heutenicht lange aufhalten. Ich will nur sagen: Der Haushalt,über den wir heute debattieren, ist ein Haushalt in einerLegislaturperiode, die sich das Sanieren zur Aufgabegemacht hat. Dieses Sanieren darf Wachstum aber nichtabkoppeln und nicht verhindern, sondern muss es sehrwohl möglich machen. Deshalb ist dieser Haushalt imZusammenhang mit anderen Haushalten zu sehen.
Selbstverständlich haben wir gesagt: Wir investieren.Herr Gerhardt, Sie haben heute gesagt, wir geben denMenschen nicht alles zurück, was wir zusätzlich inves-tieren. Aber Sie haben dabei nicht gesagt, dass wir aufeinem Schuldenberg sitzen und dass wir diesen Schul-denberg abbauen müssen, dass wir zumindest die Neu-verschuldung abbremsen müssen. Das ist schwer genug.
– Ich finde wirklich, Sie sollten sich das einmal ganz ru-hig anhören.
Das ist wirklich besser so. 130 Tage nach Regierungsbe-ginn kann man noch ruhig zuhören.
– Es ist das demokratische Recht, dazwischenzurufen.Aber noch schöner ist, wenn auch die Opposition auf derZeitschiene konsistent und glaubwürdig ist. Das trägtdazu bei, dass das Zutrauen zur Politik wieder besserwird.
Wenn wir Schulden abbauen und neue Investitions-spielräume schaffen wollen, dann können wir nicht allesgleichzeitig machen – Wachstum plus Haushaltskonsoli-dierung –, ohne über die Einnahmeseite zu sprechen. Ichmuss der FDP nun wirklich sagen – Sie wissen es ganzgenau –: Wenn Sie sich einmal den Bleistift nehmen, al-les in aller Ruhe richtig addieren und das, was Sie vorha-ben, in Gesetzesform gießen, dann zeigt sich, dass bei allIhren Vorschlägen riesige Lücken klaffen. Man kannkeine Steuerreform durchführen, die Mindereinnahmenin Höhe von 27 Milliarden Euro vorsieht, und so tun, alsodIlhfsddnsbwvAgtmsLzdikfntwrEes2kwdmznslndgmzw
ch finde ehrlich, was wir tun. Ehrlichkeit ist die Grund-age für Vertrauensgewinn. Es ist vernünftig, so vorzuge-en: sanieren, investieren – 25 Milliarden Euro – und re-ormieren.
Es ist gesagt worden, dass keine Strukturreformenichtbar sind. Herr Kuhn und andere, Sie wissen genau,iese große Koalition hat entschieden – diese Entschei-ung wurde übrigens in den ersten 130 Tagen, vor undicht nach den Landtagswahlen getroffen –, den Men-chen im Zusammenhang mit dem Rentenversicherungs-ericht deutlich zu sagen: Unsere demografische Ent-icklung bedingt, dass wir miteinander auch über eineerlängerte Lebensarbeitszeit sprechen müssen. Dieseussage war richtig und sie war mutig. Weil wir eineroße Koalition sind, war es auch so, dass die Volkspar-eien nicht gegeneinander, sondern miteinander argu-entiert haben. Jeder kann sich vorstellen – das kannich auch jede Regierungskoalition vorstellen –, wie dieandtagswahlkämpfe abgelaufen wären, wenn wir nichtusammen gewesen wären. Da haben wir eine Chanceieser großen Koalition genutzt. Sie hat uns – auch dasst ein Ergebnis der Wahlen – nicht geschadet. Daraufönnen wir ein Stück stolz sein.
Ich sage ganz klar: Das war die erste Etappe. Jetztolgt die zweite; denn was wir gemacht haben, reicht miricht, reicht der Koalition nicht und – das ist das Wich-ige – reicht nicht für Deutschland. Zu dieser Zeit, woir hier im Deutschen Bundestag miteinander debattie-en, werden die neuen Arbeitslosenzahlen verkündet.s sind wohl knapp unter 5 Millionen Arbeitslose. Abers sind fast 2 Millionen Menschen, die langzeitarbeitslosind, und es sind 600 000 junge Menschen unter5 Jahren, die keine Perspektive für sich sehen. Dasann uns natürlich nicht ruhen lassen. Deshalb beginnenir mit der zweiten Etappe mit acht wichtigen Projekten,ie ich Ihnen darstellen möchte, mit denen wir deutlichachen, dass wir unseren Weg sehr konsequent fortset-en.Lassen Sie mich mit der Föderalismusreform begin-en. Ich bin etwas bedrückt – ich will das unverhohlenagen – darüber, dass über die Föderalismusreform inetzter Zeit beschränkt auf ganz wenige Punkte, die auchoch relativ stark aus dem Zusammenhang gerissen wur-en, diskutiert wird, während das Anliegen, das wir ge-enüber den Menschen haben, aus meiner Sicht nichtehr in vollem Umfang dargestellt wird.In den Jahrzehnten seit Verkündung des Grundgeset-es gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Ent-icklung, in der sich die Zahl der zustimmungsbedürfti-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelgen Gesetze immer weiter erhöht hat – mit dembekannten Phänomen, dass im VermittlungsausschussLösungen gefunden werden, über deren Zustandekom-men keine Transparenz herrscht, weil aus dem Vermitt-lungsausschuss nicht berichtet werden darf. Diese Tatsa-che hat einen Beitrag zur Politikverdrossenheit geleistet.Sie hat im Übrigen zu einer schleichenden Verantwor-tungslosigkeit geführt,
weil man niemals sagen kann, ob nun der Bund oder dieLänder die Verantwortung haben.
Sie hat sogar dazu geführt – wenn man ehrlich ist, mussman das zugeben –, dass in den Ausschüssen im Deut-schen Bundestag zum Teil gar nicht mehr debattiertwurde, weil man wusste: Wenn man schon Kompro-misse schließen muss, dann schließt man sie bitte schönim Vermittlungsausschuss, aber doch nicht schon vorden Augen der Öffentlichkeit im Bundestag.Wenn wir jetzt davon wegkommen, dass 60 Prozentder Gesetzgebungsvorhaben zustimmungsbedürftig sind,und dahin kommen, dass es nur noch 40 Prozent oderunter 40 Prozent sind, dann haben wir geschafft, dass beimehr Gesetzgebungsvorhaben – die Differenz ist20 Prozentpunkte oder mehr – die Verantwortlichkeitwieder zugeordnet werden kann, dass wir, wenn wir imBundestag zum Schluss verantwortlich sind, Rede undAntwort stehen müssen, dass auf der anderen Seite auchein Land, das sich ein merkwürdiges Verfahren für denVollzug eines Gesetzes ausgedacht hat, Rede und Ant-wort stehen muss, wenn gefragt wird, warum ein anderesLand das besser macht. Ich kann Ihnen heute schon vo-raussagen, wie schön die Länder untereinander daraufachten werden, ob sie denn ein vernünftiges Verfahrenhaben, weil sie natürlich sehen, wo es besser läuft undwo es schlechter läuft.Jetzt kommt ein zweiter Punkt: Ist die Antwort aufGlobalisierung eigentlich Zentralisierung auf Bundes-ebene? Wenn ich die Diskussion über die Bildungspoli-tik höre, gewinne ich den Eindruck: Das Allerbestewäre, wir würden ein Schulministerium zentraler Arthier in Berlin errichten und von dort aus die Schulpolitikmachen.
Wenn Sie das wollen, dann muss ich Ihnen aber sagen:Sie kommen damit doch nicht einmal bis zu Ihren eige-nen Landtagsfraktionen.
Mit Verlaub – ich möchte den Kollegen Tauss jetzt nichtangreifen –, der Kollege Tauss als Generalsekretär derbaden-württembergischen SPD hat im Landtagswahl-kampf doch eine bittere Erfahrung gemacht. Man hatihm angeboten, in den Landtag zu gehen, wenn er sichfür Schulpolitik interessiert, weil das einfach nicht dieSache des Bundestages ist.Dt–ehddbdihsevmggtddwaKnwddcPKakjWsfSwadps
as ist doch auch okay. Wer die Leidenschaft Schulpoli-ik hat, der ist im Bundestag falsch aufgehoben.
Meine Damen und Herren, ganz still! Jetzt passen Sieinmal ganz ruhig auf! Wir sind, finde ich, an einemochinteressanten Punkt angekommen.
Wer möchte, dass Schulpolitik Bundespolitik wird,arf keine Föderalismusreform anstreben, sondern mussarüber sprechen, ob wir in Deutschland noch Länderrauchen. Das war aber nicht Gegenstand der Verabre-ung und fände, so wie das Grundgesetz derzeitig nochst, in der zweiten Kammer auch keine Zweidrittelmehr-eit.
Sie und wir alle – bei uns in der CDU/CSU-Fraktionind die Diskussionen doch nicht anders – müssen mit-inander überlegen, was sinnvoll ist und was nicht sinn-oll ist, aber auch, was machbar ist. Bei der Föderalis-usreform wird es zum Schluss um eine Abwägungehen, ob das, was wir jetzt mit den Ländern gemeinsameschaffen haben, besser ist als das, was wir vorher hat-en. Ich finde den Zustand, dass über die Frage von Stu-iengebühren, Juniorprofessuren und anderes jedes Malas Bundesverfassungsgericht entscheiden muss, weilir es nicht schaffen, unsere Kompetenzen zu ordnen,bsolut unzureichend. Deshalb sollten wir uns mit allerraft der Föderalismusreform zuwenden.
Meine Damen und Herren, natürlich sind – wenn ichoch einen Blick auf die Bildungspolitik in Deutschlanderfen darf – Innovationen in Bildung und Forschungringend nötig. Das gilt im Übrigen für alle. Alle Bun-esländer haben es versäumt, auf eine ganz einfache Sa-he zu achten, was ganz wesentlich zum schlechtenISA-Abschneiden beigetragen hat. Dass zum Beispielinder mit ausländischem Hintergrund, deren Elternusländischer Herkunft sind, wenn sie in die Schuleommen, Deutsch lernen müssen, müssen die Länderetzt durchsetzen.
ir müssen durchsetzen, dass die Integrationskursechrittweise weiter aufgebaut werden und die Mittel da-ür abfließen. Aber das kann man – das wissen auchie – nicht in einem halben Jahr schaffen, sondern dasird ein längerer Prozess sein. Dass die Integrationsbe-uftragte im Kanzleramt sitzt, ist ein deutlicher Beweisafür, dass diese Bundesregierung Integration schwer-unktmäßig als Gemeinschafts-, als Querschnittsaufgabeieht. Ich glaube, das war eine richtige Entscheidung.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Im Zusammenhang mit mehr Freiheiten und mehrSpielräumen möchte ich als zweiten Punkt das ThemaBürokratieabbau nennen. Wir erarbeiten jetzt ein Infra-strukturbeschleunigungsgesetz unter der Federführungdes Bundesverkehrsministers. Dieses Infrastrukturbe-schleunigungsgesetz ist etwas, was diese große Koali-tion zustande bekommen wird und was Rot-Grün nichtgeschafft hat, weil Sie, Herr Kuhn und andere, das nichtwollten. Wir müssen Folgendes sehen: Wenn wir inDeutschland 5 Millionen Arbeitslose haben, dann ist eseben nicht egal, ob ein Frankfurter Flughafen, ein Schö-nefelder Flughafen oder bestimmte andere Infrastruktur-objekte in fünf, zehn, 15 oder 20 Jahren gebaut werden.
Denn dahinter stehen Menschen, Tausende von Arbeits-plätzen. Ob die 15 000 Arbeitsplätze im Zusammenhangmit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens im Jahre2010, 2015 oder 2020 entstehen, wird über das Schicksalvon einzelnen Menschen, von jungen Menschen ent-scheiden. Diese Sichtweise gilt auch in Bezug auf mittel-ständische Unternehmen.Wir müssen uns doch einmal die Frage stellen: Wel-ches Recht haben wir eigentlich, Minderheiten überZeitspannen entscheiden zu lassen, was dazu führt, dassMehrheiten ihre Lebenschancen nicht verwirklichenkönnen? Ich finde, darüber müssen wir gemeinsamnachdenken und deutlich machen, wie es laufen muss.
Wir werden als Bundesregierung dafür sorgen, dassdas Thema Bürokratieabbau konzeptioneller angegangenwird – das haben wir in der Koalitionsvereinbarung ge-meinsam festgelegt –: Normenkontrollrat, Standardkos-tenmodell, wie die Holländer es uns vorgemacht haben.Der Bundeswirtschaftsminister wird ein Mittelstandsent-lastungsgesetz erarbeiten lassen, in dem die Dinge kon-kret umgesetzt werden.Ich möchte Sie auf eine Sache aufmerksam machen,über die interessanterweise in Deutschland weniger dis-kutiert wird als in anderen Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union. Es gibt die so genannte Better-Regula-tion-Offensive, also bessere Gesetzgebung, bei der auchder deutsche Kommissar Verheugen sehr intensiv mitar-beitet. Man hat sich auch in der Europäischen Unionzum ersten Mal seit Jahrzehnten vorgenommen, nichtimmer neue Richtlinien zu schaffen, sondern einmal zuüberlegen, ob die Abschaffung von Richtlinien nicht einSchritt wäre, der der gesamten Wachstumsstrategie sehrviel besser bekommen würde.
Es ist jetzt gelungen, über 60 Richtlinien abzuschaffen.RJFaüZWW–wbdsdgcrdkandm–ldsIArIdwbuvdMvd
Manch einer hat seinen Wahlkreis in einer Großstadt,o dies kein Problem ist.Die Bürgernähe der Europäischen Union, die wirrauchen, zeigt sich doch darin, dass man Regelungen,ie historisch gesehen nacheinander entstanden sind, zu-ammenführt. Das wird Freiräume schaffen und uns inie Lage versetzen, uns auf die wirklich wichtigen Auf-aben Europas zu konzentrieren, von denen es hinrei-hend viele gibt. Wir werden diese Entwicklung wäh-end unserer Präsidentschaft voranbringen.
Ich möchte nun drittens zu dem aus meiner Sicht iner Tat zentralen Punkt Forschung und Innovationenommen. Da stellt sich die Frage: Wo sind wir besser alsndere, damit wir unseren Lebensstandard halten kön-en? Herr Kuhn, Sie müssen doch neidlos anerkennen,ass wir in den nächsten vier Jahren 6 Milliarden Euroehr für Forschung und Entwicklung ausgeben.
Sie werden es doch mittragen. – Das sind durchschnitt-ich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr. Wenn Sie sagen,as sei genau das Geld, das wir pro Jahr für Landwirt-chaftssubventionen ausgeben, dann muss ich erwidern:ch war es nicht, die 2002 zugestimmt hat, dass dergrarhaushalt, abgekoppelt von der Finanziellen Vo-ausschau 2007–2013, bis 2013 festgeschrieben wurde.ch war es nicht.
Es mag damals Gründe dafür gegeben haben, dass Sieie Entscheidung mitgetragen haben. Auch die Land-irtschaftsfachleute in unseren Reihen waren froh darü-er. Man konnte den Mitgliedstaaten wie zum Beispielnseren französischen Freunden, mit denen dies 2002erabredet wurde, doch 2005 nicht zumuten, dass maniese Vereinbarung einfach vergisst und neu anfängt.an muss erkennen, dass man sich nicht einfach davonerabschieden kann. Auch das gehört zur Redlichkeit iner Argumentation.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Wir haben zwar die Erhöhung um 6 Milliarden Eurobeschlossen – ich hoffe, dass uns das Parlament mehr-heitlich dabei folgt –, aber wir haben noch keine klarausgearbeitete Strategie. Deshalb befassen wir uns imRahmen eines unserer Projekte für die zweite Etappe mitder Frage, an welcher Stelle wir diesen Beitrag in Höhevon 6 Milliarden Euro ausgeben müssen, damit am Endeder Legislaturperiode Deutschland insgesamt 3 Prozentdes Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwick-lung ausgibt. Diese Sache ist noch nicht in trockenen Tü-chern, weil auf jeden Euro der öffentlichen Hand 2 Europrivater Investitionen der Wirtschaft folgen müssen.Die Bundesforschungsministerin wird jetzt in sehr in-tensive Gespräche eintreten müssen. Sie wird mit derWirtschaft darüber sprechen müssen, wie sie ihren An-teil leisten kann. Es handelt sich für die Wirtschaft umkeine langen Planungszeiträume. Es muss auch darübergeredet werden, welche Rahmenbedingungen die Wirt-schaft braucht.Eines der Projekte, das wir zu Beginn der Legislatur-periode erfolgreich durchgeführt haben, befasste sichmit der Chemikalienrichtlinie. Wir sind da zu einer ver-nünftigen Lösung gekommen – auch das war ein Erfolgder großen Koalition –, die dazu führt, dass Chemie-werke wie zum Beispiel die BASF ihren Beitrag zur For-schung leisten können. Wenn wir ihnen diese Möglich-keit nicht eröffnen und ihnen Restriktionen auferlegen,dann können sie in Deutschland auch nicht forschen.Wer sich einmal mit dem gesamten Bereich der En-zymforschung befasst hat, der weiß: Wenn nicht dieGrüne Gentechnologie hinzukommt
– das hat nichts mit Lebensmitteln zu tun –, dann kanndie Forschung nicht in einfacher Weise durchgeführtwerden. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir jetzt in die-sen Dialog eintreten.Wir werden, anknüpfend an das Projekt „Partner fürInnovation“, das vom vorherigen Bundeskanzler initiiertwurde, einen Rat für Innovationen bilden. Dieser Ratfür Innovationen ist ein Beratungsgremium für die Bun-desregierung und für die Minister, zu deren Zuständig-keitsbereich Forschung und Technologie gehören. DieserRat soll sich mit der Frage beschäftigen, wo die Stärkenin der Grundlagenforschung liegen, die wir weiterentwi-ckeln müssen, damit wir eine Chance haben, marktüber-greifende Projekte durchzuführen. Denn es müssen Pro-dukte entwickelt werden. Es ist zwar gut, ein Land derIdeen zu sein, aber am Ende müssen Produkte stehen,damit wir wirtschaftlich davon profitieren. Diesen Span-nungsbogen müssen wir schaffen.
Unter diesen Projekten befinden sich auch Leucht-türme. Dazu gehört die Gesundheitskarte. Dieses Pro-jekt zeigt, dass Deutschland ein modernes Land ist unddass die Informationstechnologie in unser AlltagslebenEtmnubtgseiiHdHTsDujEddEvIsgwsTwdwsrPwwgpdiza–Ddlnwch
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– Das ist nicht absurd. Wir werden das vernünftig regeln,Herr Kuhn.Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir eine Beimischungs-pflicht eingeführt haben werden, werden Sie von denGrünen die Ersten sein, die für sich proklamieren, dasssie diese Idee hatten. Aber dann waren wir es, die diePflicht der Beimischung von Biodiesel für alle Kfz mitDieselmotor eingeführt haben werden, was den Markterheblich erweitern wird.
Dafür müssen wir die jetzigen Umstellungsschwierigkei-ten in Kauf nehmen, vernünftig ausdiskutieren und trotz-dem unsere Haushaltsziele erfüllen.
Sie wissen: Es muss gespart werden; zum Haushaltkomme ich gleich. Aber wo man auch mit dem Sparenanfängt, ist es nicht recht. Irgendwann kommt es beimFinanzminister oder im Zweifelsfalle manchmal auchbei der Kanzlerin – vorher noch beim Kanzleramtsminis-ter – zusammen.
Wenn wir sparen wollen, dann müssen wir es an be-stimmten Stellen auch tun. Deshalb werden wir dieDinge zusammenbringen.
Ich bin sehr erleichtert, dass diese große Koalitionbzw. der Bundesumweltminister zusammen mit demBundeswirtschaftsminister bei der Ausarbeitung des Na-tCdhsgfsuegAudrgdesngawwpMVteMidehRegksadwHdlgsBuv
Wir werden das große Projekt der Unternehmensteu-rreform angehen. Das wird ein Projekt sein, das dieitarbeit vieler erfordert. Deutschland, dessen Stärkenm mittelständischen Bereich liegen – da sind wir uns iniesem Haus wahrscheinlich wieder alle einig –, mussine rechtsformneutrale Besteuerung der Unternehmeninbekommen. Mit der Begründung, dass sich dieechtsformen der Unternehmen im 20. Jahrhundert nuninmal so entwickelt haben, werden wir im Rahmen derlobalen Diskussionen des 21. Jahrhunderts nicht durch-ommen. Die Leute werden uns sagen: Ihr seid dochonst so fix und helle. Lasst euch was einfallen! – Dassber die uns oft empfohlenen Modelle, die zu Steuermin-ereinnahmen jenseits der 25 Milliarden Euro führenerden, angesichts der augenblicklichen Situation desaushalts nicht besonders hilfreich sind, muss auch je-er sehen. Insofern hat die Bundesregierung eine ziem-ich komplizierte Aufgabe zu bewältigen, und zwaremeinsam mit den Verantwortlichen in dieser Gesell-chaft, von den Kommunen über die Länder bis zumund. Ich halte diese Reform für ausgesprochen wichtignd deshalb werden wir sie auch durchführen.Für mich ist auch wichtig, die Erbschaftsteuer zuerändern, und zwar als klares Zeichen an die Mittel-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelständler. Wir müssen vor allen Dingen auch mental die-jenigen unterstützen, die trotz der Globalisierung imErbschaftsfall das Geld nicht in irgendeine Kapitalan-lage investieren, sondern ganz bewusst sagen: Ich lassedas Geld in meinem Betrieb. Ich möchte in dem Betrieb,der eine Tradition hat, weiterarbeiten. – Diesen Men-schen müssen wir den Rücken stärken. Deshalb ist dieErbschaftsteuerreform so wichtig.
Sechstens. Zur Familienpolitik kann ich an dieserStelle nur kurz etwas sagen. Wir haben ein demografi-sches Problem, wir sind kein kinderfreundliches Landund wir haben in diesem Bereich viele Aufgaben zu lö-sen. Ich weiß nicht, ob man nach der Reihenfolge vorge-hen kann, Herr Kuhn, „erst Betreuung, dann Elterngeld“.Ich glaube, wir müssen auf verschiedenen Ebenengleichzeitig arbeiten.Ich habe den Eindruck, dass hier in den letzten Jahrenein erhebliches Umdenken erfolgt ist; das sage ich auchfür die CDU/CSU-Fraktion und für die CDU als Partei.
Schauen Sie sich einmal die Betreuung der unter Drei-jährigen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg an! Die Situation ist in allenBundesländern nicht besonders befriedigend, in denStädten ist sie fast noch am besten.
– Wir können die Statistiken gerne austauschen. – Aberdas ist nicht das Problem.
Tatsache ist, dass es für Kinder unter drei Jahren zu we-nige Betreuungsmöglichkeiten gibt. Aber dafür sindvorrangig die Länder zuständig. Durch die Mehrwert-steuererhöhung und die Übernahme der Kosten für dieUnterkunft leisten wir unseren Beitrag und verschaffenden Ländern und Kommunen Spielräume, damit sie imBereich der Ganztagsbetreuung etwas machen können.
Das darf nicht in Vergessenheit geraten.
So verlässlich, wie wir an dieser Stelle waren, müssendie Kommunen jetzt auch das Geld ausgeben.
Wir beschreiten mit dem Elterngeld einen neuenWeg. Über diesen Weg müssen wir diskutieren, er wirdnicht ganz einfach sein. Denn zum ersten Mal wird dieFrage gestellt, wie wir gut ausgebildeten Frauen jenseitsder ganz kleinen Verdienste, die sich für Kinder und Be-remclBvzhecBDejKlmsmgWweWfdiewHurnkzdSfwPewIAgIüngIl
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Sie können uns dann nicht vorwerfen, wir würden ein-fach die Steuern erhöhen und Sie wüssten nicht, warum.Es muss zusammenpassen.Ich glaube trotzdem, dass die Diskussion sehr intensivgeführt werden muss. Wir müssen uns auch mit der Tat-sache auseinandersetzen, dass wir nicht in einem luft-leeren Raum leben, sondern dass andere Länder – ichverweise auf die Dienstleistungsrichtlinie – mit ganz an-deren Mindestlöhnen arbeiten. Ich habe gestern den Mi-nisterpräsidenten von Lettland empfangen. Dort ist dieLage ganz anders. Er ist voller Sorge darüber – ich er-wähne das, damit wir in Deutschland darüber Bescheidwissen –, dass seine besten Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer das Land verlassen, weil Irland und Großbri-tannien die Arbeitnehmerfreizügigkeit – anders als wir –schon gestattet haben. Lettland hat ein großes Problem,den eigenen Wirtschaftsaufbau voranzubringen, weil dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Land verlas-sen, da sie in anderen Ländern in Europa mehr verdienenkönnen. Dieser Prozess wird die Löhne in den betreffen-den Ländern steigen lassen.Das ist ein zentraler Punkt, den wir uns ansehen wer-den. Der Bundesarbeitsminister wird, mit Hilfe aller,eine Lösung finden. Wir müssen uns aber darüber einigsein, dass am Ende mehr Arbeitsplätze entstehen müs-sen und es nicht weniger werden dürfen. Das ist die Be-dingung, an der sich die Lösung messen lassen muss.
Ein achtes Projekt, das in diesen Tagen in aller Mundeist, ist die Gesundheitsreform. Im Koalitionsvertrag ha-ben wir uns viel vorgenommen: Steuerzuschüsse ausdem Bundeshaushalt werden zurückgebaut. Einer derGründe dafür war, neben dem der Haushaltskonsolidie-rung, dass wir uns selbst ein Stück weit unter Druck set-zen wollten, um strukturell etwas zu verändern.Ich will an das Gesundheitsmodernisierungsgesetz er-innern, das damals in Gemeinschaftsarbeit von Unionund SPD erarbeitet wurde. Es hat seine Wirkung durch-aus entfaltet. Die Krankenkassen sind heute weitgehendsssdsdttdwsgwst1ebWfAgwRWAh1MtuwdznsKgubmOIl„Cfhr
nsbesondere in diesem Jahr, wo der Winter nur sehrangsam geht, heißt „bis zum Sommer“ so viel wienicht vor Ostern“.
Es gibt eine öffentliche Diskussion. Das ist einehance, die die große Koalition bietet: Es gibt ein öf-entliches Interesse an schnellen Ergebnissen und eineohe öffentliche Bereitschaft, anschließend zu kritisie-en, wenn das Ganze nicht durchdacht war.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Im Namen der Bundesregierung und auch der Koali-tionsfraktionen sage ich: Wir wissen um den Zeitdruck,wir machen die Reform aber in unserem Tempo. Es gilt:Qualität vor Schnelligkeit.
Wenn ich zum Schluss über das Thema Gesundheitgesprochen habe – ähnlich wird es sich im Pflegebereichverhalten –, dann weiß ich, dass dieses Thema soschwierig ist wie kaum ein anderes, weil es jeden Men-schen betreffen kann. Krank kann ich jeden Tag werden,und zwar so krank, dass es meine finanziellen Möglich-keiten überschreitet, mich dagegen allein zu schützen.Ich glaube, dass an der Frage, wie wir die Gesundheits-reform miteinander gestalten, natürlich auch deutlichwerden kann, welche Haltung wir haben, um politischeProbleme, die es nun einmal gibt, zu lösen. Diese Hal-tung bzw. dieser Stil wird bedeuten – das sage ich fürmich und auch für andere –, dass man immer auch überden eigenen Schatten springen muss, dass das Gemein-wohl über das Partikularinteresse gehen muss. Das ist imGesundheitsbereich stark ausgeprägt.Das heißt, wir müssen Schutzmauern aufbrechen unddie Kraft haben, neue Wege zu gehen.
Das heißt, wir müssen Prinzipien anwenden und nichtPrinzipienanwendung und heilige Kühe durcheinanderbringen. Nicht jede heilige Kuh kann mit einem Prinzipgerechtfertigt werden.
Diese Anforderungen stelle ich an uns. Ich sprechefür die Bundesregierung und ich bitte die Koalitionsfrak-tionen darum. Aber es würde in Deutschland Eindruckmachen, wenn sich auch die Oppositionsfraktionen die-sem Geist verpflichtet fühlen würden, weil wir es natür-lich weit über dieses Parlament hinaus von allen Grup-pen in dieser Gesellschaft erwarten: von denGewerkschaften, von den Arbeitgebern, von den Um-weltverbänden und von den vielen Nichtregierungsorga-nisationen.Wir können nicht auf Maximalforderungen bestehen.Das gilt für alle Bereiche, die ich hier genannt habe. Ichhabe in meiner ersten Regierungserklärung – ich tue esheute in dieser Debatte wieder – bewusst gesagt: Wir ge-hen kleine Schritte, die aber konsequent und mit einerklaren Richtung. Ich glaube, dass, wenn wir diese Politikmachen – Werte, Prinzipien, Schritte, den Menschennichts Falsches versprechen –, wieder ein Stück Ver-trauen in das, was wir vor uns haben, entstehen kann.Ohne das Vertrauen der Bevölkerung in das, was wir tun,können wir die Veränderungen nicht schaffen. Wenn wirdas aber schaffen – daran glaube ich ganz fest –, dannhat Deutschland eine vernünftige Zukunft und wir kön-nen vielen, vielen Menschen ein besseres Leben garan-tieren.WrddmsadbsdDsRöevkRcüdi–vgAsaddgw
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Guido
esterwelle für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Begeisterung der SPD-Fraktion nach der Redeer Bundeskanzlerin war in diesem Raum an den Hän-en zu sehen. Ich möchte aber, Frau Bundeskanzlerin,eine Rede mit dem beginnen, was aus unserer Sichtehr wohl positiv als Richtungswechsel gegenüber derlten Regierung zu verzeichnen ist. Das ist Ihr Anfang iner Außen- und Europapolitik.
Dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, bei Ihrem Antritts-esuch in Washington das Thema Guantanamo ange-prochen haben, war richtig und es ist eine Freude, dassas endlich wieder jemand an dieser Stelle getan hat.
ass Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu Ihrem Antrittsbe-uch nach Moskau gereist sind und sich in Moskau alsegierungschefin auch die Zeit genommen haben, sichffentlich mit Vertretern der Opposition zu treffen, warin wohltuender Unterschied zu Ihrem Vorgänger, deron Präsident Putin noch als einem lupenreinen Demo-raten sprach.
Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Rede völlig zuecht auf die Erleichterung Ihrer Regierung – ich bin si-her: auch die Erleichterung des ganzen Hohen Hauses –ber die Freilassung von Herrn Rahman hingewiesen.An dieser Stelle will ich hinzufügen: Die Tatsache,ass dieser Bürger nicht zum Tode verurteilt worden ist,st das eine. Aber die Tatsache, dass er sich überhauptnur, weil er zum christlichen Glauben übergetreten ist –or Gericht verantworten musste, zeigt, dass die Reli-ionsfreiheit in Afghanistan nicht gewährleistet ist.uch das müssen Sie im Kopf haben; denn dort sind un-ere Soldaten für Freiheit und Werte im Einsatz, nichtber für Unfreiheit.
Nun will ich auf den Bereich zu sprechen kommen,er in dieser Debatte naturgemäß im Vordergrund steht:ie Innenpolitik. Sie, Frau Bundeskanzlerin, habenleich zu Beginn Ihrer Rede angeführt, dass sich das,as Ihnen die Freien Demokraten vortragen, nicht
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Dr. Guido Westerwellerechne und dass das nicht funktioniere; denn eine solcheSteuerpolitik könne man in Deutschland nicht machen.Ich habe Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, etwas mitge-bracht. Dieses Schriftstück trägt die Unterschrift vonHerrn Stoiber, es trägt meine Unterschrift und es trägtIhre Unterschrift. Es ist nicht aus dem letzten Jahrhun-dert, sondern etwa ein halbes Jahr alt. Es datiert vom1. September 2005. Wenn Sie sagen, die FDP solle mitihrem Reden über ein einfacheres und gerechteres Steu-ersystem mit niedrigen Steuersätzen aufhören, so möchteich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir dieses Do-kument wenige Tage vor der Bundestagswahl gemein-sam veröffentlicht haben. Halten Sie sich doch an das,was Sie selbst eigentlich für richtig halten!
Ich kann verstehen, dass es in Zeiten der großen Ko-alition so ist, dass die Roten schwärzer werden und dieSchwarzen erröten. Wenn Sie aber all unsere Vorschlägeals irreal bezeichnen und einwenden, sie seien nicht um-zusetzen und rechneten sich nicht, muss ich Ihnen sagen:Entschuldigen Sie, aber Sie haben doch auf Ihrem Leip-ziger Bundesparteitag einen Bierdeckelbeschluss ge-fasst.
So weit wie Sie sind wir an dieser Stelle niemals gegan-gen. Unsere Vorschläge waren viel vernünftiger und rea-litätsnäher als Ihr Bierdeckelbeschluss. Aber ich sage Ih-nen: Sie lösen die Probleme unserer Staatsfinanzen nichtdurch höhere Steuern, sondern nur durch Wachstum unddie Schaffung neuer Arbeitsplätze. Das setzt ein neuesSteuersystem voraus.
All das waren übrigens auch Ihre Worte, bis Sie dannKanzlerin wurden.Jetzt kommen wir zur zweiten tragenden Säule dergroßen Koalition, zu Herrn Müntefering.
Machen wir uns doch einmal die Freude, nachzulesen,was der Vizekanzler, der jetzt neben Ihnen, Frau Bun-deskanzlerin, sitzt, gesagt hat, und zwar nicht irgend-wann im letzten Jahrhundert,
sondern vor wenigen Monaten im Bundestagswahl-kampf, als er noch Vorsitzender der SPD war. Er hat ge-sagt, dass wir wirtschaftliche Probleme haben, weil dieBinnennachfrage in Deutschland nicht anspringt. Wür-den wir die Mehrwertsteuer jetzt erhöhen, also Pro-dukte und Dienstleistungen spürbar teurer machen,würde das die Binnennachfrage noch weiter abwürgen.Dann hat er gesagt: Wer stöhnt, weil die Benzinpreise sohoch sind, gleichzeitig aber eine Erhöhung der Mehr-wertsteuer ankündigt, der hat die Interessenlage derMenschen nicht im Blick.AMskDmmtnkUIBThgsgnDtHiwVzzlwIgf
m 3. September des Jahres 2005 hat er gesagt: „Dieehrwertsteuererhöhung kostet Arbeitsplätze.“ Ja, wennie Arbeitsplätze kostet, sollten Sie sie lassen, Herr Vize-anzler.
as alles trage ich nicht etwa mit oppositioneller Pole-ik vor. All das sind Aussagen aus Ihren eigenen Reden.
Folgendes will ich festhalten: An dieser Debatte neh-en jetzt noch 30 bis 40 Abgeordnete der SPD-Fraktioneil,
atürlich die Wichtigsten und die Schönsten; das isteine Frage.
m ungefähr so viele Abgeordnete, wie jetzt noch vonhnen anwesend sind, wäre Ihre Fraktion im Deutschenundestag kleiner, hätten Sie Ihren Wortbruch beimhema Mehrwertsteuer vor der Wahl angekündigt.
Der Vizekanzler hat heilige Eide geschworen. Gesternat Herr Steinbrück seine Rede zum Haushalt vorgetra-en, ein Finanzminister, der nur auf der Regierungsbankitzt, weil Sie, als es um die Mehrwertsteuer ging, gelo-en haben. Sie haben vor der Wahl etwas anderes alsach der Wahl gesagt.
ieser sozialdemokratische Finanzminister hat uns ges-ern erzählt – Sie haben es ja gehört –: Egal wie sich dieaushaltslage entwickelt und egal ob die Staatsfinanzenn diesem Jahr auch so ausreichen würden, die Mehr-ertsteuer wird auf jeden Fall erhöht.
om Saulus zum Paulus? Ich würde sagen: vom Paulusum Saulus. Darüber müssen wir uns auseinander set-en.
Es war geradezu bezeichnend, wie die Rede des Kol-egen Heil bei Ihnen von der CDU/CSU aufgenommenorden ist und umgekehrt die Rede von Frau Merkel beihnen von der SPD.Nach dem vergangenen Wahlsonntag kann man sa-en: Keine Regierung zuvor hat eine so große Macht-ülle in Bundestag und Bundesrat besessen wie die jet-
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Dr. Guido Westerwellezige, aber noch nie war der gemeinsame Nenner einerRegierung so klein wie jetzt bei Schwarz-Rot.
Jetzt gibt es, Frau Bundeskanzlerin, Herr Vizekanzler,keine Ausreden mehr. Sie können nicht mehr auf andereHäuser verweisen. Sie können nichts mehr auf die böseOpposition schieben, die Sie nicht so lässt, wie Sie esgerne hätten. Jetzt tragen Sie die volle Verantwortung.Sie, Frau Bundeskanzlerin, können nicht mehr philoso-phisch sagen: Liebe Genossen, Sie kennen doch unsereProbleme in der Union. Sie, Herr Vizekanzler, könnennicht mehr sagen: Liebe Unionsleute, das kriege ich inmeiner Partei nicht durch. – Sie wollten zusammen re-gieren. Sie stehen in der Verantwortung gegenüber demVolk. Sie haben sich auf die Regierungsbank gesetzt.Jetzt müssen Sie Deutschland auch dienen. Fangen Sieendlich damit an!
Kommen wir nun zu den Herausforderungen, die an-gegangen werden müssen. Wenn wir die Arbeitslosig-keit in Deutschland signifikant senken wollen, dannmüssen wir zuallererst die Strukturen in Deutschlandverändern. Das ist nichts Neues, sondern war schon im-mer, bisher jedenfalls, Programm der Kolleginnen undKollegen der Unionsfraktion. Sie, Frau Merkel, sind inIhrer Rede über die Punkte Arbeitsmarkt und Kündi-gungsschutz elegant hinweggegangen, indem Sie von ei-ner aktuellen Diskussion gesprochen haben. Wir habendas versteinerte Gesicht von Herrn Müntefering gese-hen.
– Sie lachen.
Sie mögen sich. Sie herzen sich.
Das ist prima. Da will ich nicht stören.
Angela und Franz, das ist das neue Traumpaar.Ich komme nun zu dem, was Herr Müntefering heuteim „Handelsblatt“ zum Kündigungsschutz schreibt. Ih-nen hat das gefallen, deswegen waren Sie auch so zu-rückhaltend und haben auf Ihren Händen gesessen, alsFrau Merkel geredet hat. Zitat von Herrn Müntefering,der nun wirklich nicht der liberalen Opposition zuge-rechnet werden kann:Eigentlich stand auch noch der Kündigungsschutzauf der Tagesordnung. ... Ich habe das gestoppt,nachdem Teile der Union sich Schritt für Schrittvon der Koalitionsvereinbarung in diesem Punktverabschiedet haben.acskaLdgkWktBdnnndmLnrpLebSbsvss–iaUgEdM
Sie wird durch Herrn Seehofer vertreten.Von Herrn Seehofer haben wir alle noch ein Bonmotm Kopf, als es vor drei Jahren die informelle große Ko-lition in der Gesundheitspolitik gab. Morgens um vierhr haben Sie in die Kamera gesagt: Das wird jetzt dieroße Jahrhundertreform.
ine Jahrhundertreform sollte es werden. Die Jahrhun-ertreformen haben mittlerweile Halbwertszeiten vononaten.
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Dr. Guido WesterwelleHerr Seehofer, es ist wirklich so: Ich erinnere michnoch genau daran, dass Sie morgens neben Frau Schmidtvor den Kameras standen und erklärten, das sei eine derschönsten Nächte Ihres Lebens gewesen.
– Sie rufen jetzt: „Das stimmt“. Das führt mich dazu, zusagen: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.
– Beruhigen Sie sich. Oder wollen Sie mich jetzt auchnoch verklagen?Solange Sie in der Gesundheitspolitik glauben, dassdie Planwirtschaft funktionieren könne, so lange werdenSie scheitern. In Wahrheit bereiten Sie derzeit die Bür-gerversicherung vor, nämlich die Zwangskasse durch dieHintertür. Das wird Ihr gemeinsamer Nenner sein. Siewerden sich in der Gesundheitspolitik einigen – da ma-chen wir uns gar nichts vor –, und zwar genau auf densozialdemokratischen Weg, den Ihre Genossen und zu-gleich auch die Sozialdemokraten der Union immerwollten, nämlich die Zwangskasse. Da sage ich: Plan-wirtschaft hat noch niemals funktioniert.
Warum sollte sie ausgerechnet in der Gesundheitspolitikfunktionieren können? Freiheit und Wettbewerb – dasmüsste der Ansatz in der Gesundheitspolitik sein. VonIhnen kommt nichts dazu.
Zur Rente. Sie rühmen sich damit, dass bei der Renteetwas verändert worden ist, dass nämlich die Lebensar-beitszeit auf 67 Jahre erhöht wird. Wir wollen zunächstfesthalten: Wenn Sie die Arbeitsmarktreformen unterlas-sen, dann bedeutet die Rente mit 67 für Millionen Men-schen, nämlich für die Mehrzahl der Betroffenen, nichtsanderes als eine um zwei Jahre längere Arbeitslosigkeit.Darüber reden wir jetzt.Nichts beim Arbeitsmarkt tun, keine betrieblichenBündnisse erlauben, die Flächentarife bleiben, der Kün-digungsschutz bleibt, die Änderung des Steuersystemswird vertagt: Wenn Sie trotzdem glauben, Sie könntendie sozialen Sicherungssysteme stabil machen, so ist dasein historischer Irrtum. Das kann nicht funktionieren,wenn Sie die Strukturen in unserem Lande nicht verän-dern.Die Rente wird nur sicher, die Gesundheit wird nurbezahlbar bleiben und die soziale Sicherheit für dieÄrmsten wird nur funktionieren, wenn Sie die Wachs-tumskräfte in Deutschland wieder anregen.
Das geht nur durch mehr Freiheit und indem Sie denMenschen weniger abnehmen. Sie betreiben die Politikvon Rot-Grün weiter: Steuererhöhungen, Abkassieren,mehr Schulden. Ob Sie das jetzt Schwarz-Rot nennenoeuva–bsG–ew–JeödmDdewb2snknnPSGdggsv
Übrigens: Es ist bemerkenswert, was gestern dazueröffentlicht worden ist. Auch darauf möchte ich Sieufmerksam machen.
Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. – Es ist jaerichtet worden, dass gesagt worden sei, die ökonomi-che Vernunft stehe in einem Widerspruch zur sozialenerechtigkeit; ich glaube, Herr Heil war es.
Er hat genau gesagt, unsere ökonomische Politik seiin Gegensatz zur sozialen Gerechtigkeit und Verant-ortung.
Der Weltökonom Poß hat einen Zwischenruf gemacht.etzt sind wir aber eingeschüchtert. Wirklich! Oje!
Meine Damen und Herren, wir wollen an dieser Stelleinmal festhalten: Die Armutskonferenz hat gestern ver-ffentlicht, dass im letzten Jahr eine halbe Million Kin-er mehr auf Sozialhilfeniveau oder darunter lebenussten, als das ein Jahr vorher der Fall gewesen ist.as ist eben der feine Unterschied. Es gibt eine Politiker besten sozialen Absichten; die machen Sie. Es gibtine Politik der besten sozialen Ergebnisse; die machenir. Das ist besser.
Jetzt vertagen Sie die Steuerreformen. Sie verschie-en die Unternehmensteuerreform auf den 1. Januar008. Gleichzeitig haben Sie die Idee einer Einkommen-teuerreform fallen gelassen, weil Sie an dieses Themaicht herangehen wollen. Ihre Begründung: Deutschlandann sich Steuersenkungen nicht leisten. – Wir sagen Ih-en: Deutschland kann es sich nicht leisten, auf eineues Steuersystem zu verzichten; das ist der eigentlicheunkt. Glauben Sie wirklich, Österreich wartet, bis Herrteinbrück in die Puschen kommt?
lauben Sie etwa, die Welt wartet auf die deutsche Bun-esregierung? Die anderen Länder haben längst niedri-ere, einfachere und gerechtere Steuersätze mit dem Er-ebnis, dass sie halb so viele Arbeitslose haben, wie wirie in Deutschland leider – das ist traurig – noch immererzeichnen müssen.
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Dr. Guido WesterwelleDas ist in Wahrheit eine Frage der ökonomischen Ver-nunft. Es ist Unfug, zu glauben, dass die ökonomischeVernunft der Freien Demokratischen Partei in einem Wi-derspruch zur sozialen Gerechtigkeit stehe, im Gegen-teil: Wir sind eine weit sozialere Partei als die, die Siederzeit vertreten. Das merkt man bei Ihren Kundgebun-gen am 1. Mai und wo immer Sie noch sprechen werden.
Kommen wir zu dem nächsten Punkt, den Sie, FrauBundeskanzlerin, angesprochen haben, dem Bereich Bil-dung und neue Technologien. Über die Bildungspolitikhaben Sie vieles gesagt, was ich, insbesondere was dieKompetenzen der Ebenen angeht, ähnlich sehe. Aber wirmüssen noch einen wesentlichen Punkt hinsichtlich derneuen Technologien erwähnen. Wir werden in Deutsch-land davon leben, dass wir Vorsprung vermarkten. Die-sen Vorsprung erreichen wir nur dann, wenn wir neueTechnologien zulassen. Nun haben wir gehört, wie sichHerr Kuhn über die Energiepolitik und die Energiemo-nopole kritisch ausgelassen hat. Wir haben gesehen, waser für einen Purzelbaum geschlagen hat. Diese ganzenmonopolistischen Strukturen auf dem Energiemarktgäbe es gar nicht, wenn Rot-Grün nicht diese ideologi-sche Politik gemacht hätte; das wollen wir an dieserStelle einmal festhalten.
Was machen Sie jetzt bei den neuen Technologien?Werden Sie die Laufzeiten der Kernkraftwerke wiederverlängern oder bleibt es bei dem vorzeitigen Ausstieg?Dazu habe ich von Ihnen keinen Ton gehört. Dadurchwerden 30 bis 40 Milliarden Euro volkswirtschaftlichesVermögen vernichtet.
Das einzige Ergebnis wird sein, dass der Strom aus sehrviel unsicheren Kraftwerken, vorzugsweise aus Ost-europa, nach Deutschland kommen wird. Das ist ökono-mischer und ökologischer Irrsinn! Sie wissen das; Siehaben das immer gesagt. Aber Sie finden nicht zusam-men. Der kleinste gemeinsame Nenner ist nicht das rich-tige Rezept für Deutschland. Mut zu echten Neuanfän-gen und zu einem Politikwechsel, genau das brauchtDeutschland.
Wer in diesen Zeiten noch nicht verstanden hat, dassneue Schulden und höhere Steuern nicht die Antwortsind, der wird nur erleben, dass die Arbeitslosigkeit wei-ter steigt. Im letzten Jahr sind pro Woche 2 000 sozial-versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse inDeutschland weggefallen. Das ist das Ergebnis von ver-schlafenen Reformen. Deswegen müssen Sie endlich mitden Strukturreformen anfangen. Sie können sich nichtdamit herausreden, dass andere Sie behindern. Sie habendie größte Machtfülle, die jemals eine Regierung gehabthat, und rühmen sich ihrer. Dann müssen Sie jetzt auchendlich in die Gänge kommen und anfangen, Deutsch-land zu dienen! Das haben Sie unserem Land verspro-chen. Fangen Sie endlich damit an!DlwIISwfsDgVzuIBHdsIrlndntWDGn
Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
r. Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ege Westerwelle, Ihre inhaltsleere Dröhnung ging mirirklich auf den Geist. Ich verstehe Ihre Fraktion nicht.
ch gratuliere Ihnen herzlich dazu, Frau Kanzlerin, dasshnen dieser Koalitionspartner erspart geblieben ist.
ie haben null Alternativen angeboten. Was ist Ihre Ant-ort auf die Frage, wie die Arbeitslosigkeit zu bekämp-en ist? Was sind Ihre Antworten hinsichtlich der Be-chäftigungsförderungspolitik und der Familienpolitik?
azu haben Sie nichts gesagt. Stattdessen machen Sieroße Sprüche. So wird Ihnen der Wähler nie wiederertrauen schenken – Gott sei Dank, füge ich hinzu.
Wir erleben heute eine besondere Situation. Uns liegtum ersten Mal ein Haushalt vor, den Peer Steinbrücknd die jetzige Bundesregierung zu verantworten haben.ch habe seit 1980 schon viele Haushaltsdebatten imundestag mitgemacht und ich bedanke mich bei Ihnen,err Finanzminister: Es ist ein Haushalt der Vernunft,er den Anforderungen des kommenden Jahres ent-pricht.
ch gratuliere Ihnen auch zu der soliden Haushaltsfüh-ung, die Sie damit bewiesen haben.
Das heißt zwar nicht, Herr Finanzminister, liebe Kol-eginnen und Kollegen im Kabinett, dass wir alle Maß-ahmen so beschließen werden, wie sie vorgelegt wur-en. Wir werden im Haushaltsausschuss mit Sicherheitoch einiges korrigieren.Ich will einige Punkte nennen, bei denen mir Korrek-uren wichtig sind. Das ist zum einen die Kürzung deseihnachtsgeldes für Angehörige des öffentlichenienstes. Wir wollen eine soziale Staffelung erreichen.erade in diesem Bereich kann man nicht alles über ei-en Kamm scheren.
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Dr. Peter Struck
Zum anderen müssen wir – das wird auch noch imRahmen der Einzelplanberatungen angesprochen wer-den – bei Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen,die sich gegen rechtsextremistische Bestrebungen inDeutschland wehren, auf Kürzungen verzichten oder so-gar mehr Mittel einsetzen. In diesem Bereich gibt esviele Bürgerinitiativen. Ich will nicht, dass an dieserStelle gestrichen wird.
Außerdem müssen wir die Ansätze für die Bundes-zentrale für politische Bildung korrigieren.
Herr Westerwelle hat einen Punkt besonders ange-sprochen, in dem ich ihm ausdrücklich Recht gebe. Da-bei geht es um die großen Mehrheiten in dieser Koali-tion. Nie zuvor in der Geschichte unseres Landes hat esdie Situation gegeben, dass etwa 72 Prozent der Abge-ordneten im Parlament die Regierung stützen und gleich-zeitig auch im Bundesrat entsprechende Mehrheitsver-hältnisse gegeben sind.Ich sehe es so: Die große Mehrheit, die wir haben, be-deutet eine große Verantwortung. Das bedeutet auch,dass wir die großen Zukunftsfragen unseres Landes lö-sen müssen. Wir können nicht davon ausgehen, dass dieKoalition nur bis zur Wahl 2009 besteht, und uns mitHinweis darauf, dass es dann andere Mehrheiten gibtund die das dann machen sollen, nicht einfach davon-stehlen.Wir müssen stattdessen selbst die Zukunftsfragen lö-sen. Aus meiner Sicht geht es dabei erstens um die Ar-beitslosigkeit, zweitens um Gesundheit, Pflege undRente und drittens um Familie. Von der Außenpolitikwill ich jetzt noch nicht sprechen.Was die Arbeitsmarktpolitik angeht, haben Sie zuRecht festgestellt, Herr Westerwelle: Das sieht ja nochnicht so gut aus; es müsste mehr sein. Aber ich meinenicht – auch im Gegensatz zur Kanzlerin –, wir hätten inden ersten Monaten noch nichts gemacht. Wir habendoch etwas gemacht: Wir haben ein Steuergesetz ge-macht und die Abschreibungsbedingungen verbessert.Diese Maßnahmen greifen auch. Dass das alles vonheute auf morgen wirkt, glaubt kein Mensch. Aber ichbin fest davon überzeugt, dass sich die Arbeitsmarktent-wicklung verbessern wird. Daran habe ich keinen Zwei-fel.
Der Arbeitsminister, Franz Müntefering, hat festge-stellt, dass es zwei Problemgruppen gibt. Das sind dieunter 25-jährigen und die über 50-jährigen Arbeitslosen.Für diese Gruppen müssen wir – gerade im Zusammen-hang mit der Rente ab 67 – etwas tun.Erlauben Sie mir dazu noch eine Bemerkung. Dasswir vor den Landtagswahlen, die ziemlich bedeutendwaren, weil sie in drei Ländern stattfanden und für vieleParteien sozusagen ein Gradmesser waren, ein ThemawshhHbmcpduzDsSVdPmbtODdmnskndDhtbsagMdiH
insichtlich der Rente mit 67 waren wir uns klar darü-er, dass wir gerade für die über 50-Jährigen etwas tunüssen.Lassen Sie mich einen persönlichen Einschub ma-hen. Ich kann Folgendes nicht verstehen: Auf Bilanz-ressekonferenzen verkünden Unternehmen voller Stolzie besten Gewinne in ihrer Unternehmensgeschichtend hohe Dividenden und kündigen im nächsten Atem-ug an, dass sie noch 10 000 Leute entlassen müssten.afür habe ich kein Verständnis.
Ich erwarte auch von deutschen Unternehmen, dassie sich patriotisch verhalten.
ie müssen dafür sorgen, dass nicht der Shareholder-alue der Maßstab aller Dinge ist.Zurück zum Thema Arbeitslosigkeit und insbeson-ere zum Thema Jugendarbeitslosigkeit: Wir werden dierogramme von Franz Müntefering noch intensivierenüssen. Wir sind auf dem Weg, gerade in diesen Pro-lembereichen etwas zu tun. Ich fahre morgen Nachmit-ag zu einer Firma in Berlin, die früher den Namenrenstein & Koppel trug. Diese Traditionsfirma ineutschland wurde von einem italienischen Konzern,essen Namen ich hier nicht nennen möchte, übernom-en und macht Gewinn. Obwohl vorher noch Investitio-en genehmigt worden sind, entscheidet die Konzern-pitze: Wir machen den Laden dicht. – Ich habe dafürein Verständnis. Ich werde daher morgen den betroffe-en Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern meine Soli-arität zeigen; denn so geht es in unserem Land nicht.
Ich komme nun zum Gesundheits- und Pflegebereich.ass die Menschen von uns erwarten, eine Gesund-eitsreform zu machen, die von Dauer ist und nachhal-ig wirkt, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Wir ha-en die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das zuchaffen. Wir schaffen es mit Ulla Schmidt an der Spitzeuch. Nun wird viel darüber spekuliert, wohin die Reiseeht. Auch ich weiß, dass die Unionsfraktion mit Frauerkel und Herrn Kauder, meinem Freund Kauder, aner Spitze gegen eine Bürgerversicherung ist. Das kannch zwar nicht verstehen, aber dem ist wohl so.
err Kauder ist für eine Kopfpauschale.
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Dr. Peter Struck
– Nein, es heißt Kopfpauschale.
Es wird jedenfalls weder eine Bürgerversicherungnoch eine Kopfpauschale geben; das können wir festhal-ten. Aber davon, dass wir uns einigen werden, HerrKuhn – Sie haben ebenfalls spekuliert –, können Sie aus-gehen. Wenn wir es nicht schaffen, einen „dritten Weg“zu finden, dann haben wir es nicht verdient, weiter zu re-gieren; denn die Bevölkerung erwartet, dass wir diesesKernproblem lösen. Dafür haben wir die große Mehr-heit. Wir werden es auf jeden Fall schaffen. Aber es wirdein Ergebnis herauskommen, angesichts dessen vieleüber uns herfallen werden; darin bin ich ganz sicher.Denn bei den vielen Lobbyisten, die hier sind und aufdas Ministerium von Ulla Schmidt einzuwirken versu-chen, gibt es keine Lösung, über die alle sagen: Das istdas Ei des Kolumbus. – Wir müssen dann zu dem stehen,was wir vereinbart haben. Ich habe keinen Zweifel da-ran, dass SPD und Union das tun werden.
Ich will noch ein Wort zur Familienpolitik sagen. Esgab einige Probleme nach dem Genshagener Beschlusszur steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungs-kosten. Wir haben das nun ordentlich geregelt. In diesemZusammenhang ist mir eines aufgefallen – das sage ichals Vater von drei erwachsenen Kindern und als Großva-ter von fünf Enkelkindern –: Wir geben in Deutschlandrund 100 Milliarden Euro – Peter Ramsauer hat vorhineine niedrigere Zahl genannt; das ist jedenfalls die Zahl,die man mir mitgeteilt hat – für die Familienförderungaus.
Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man alles, auchdie steuerlichen Vorteile, berücksichtigt. Ich finde, esmuss möglich sein, 1 Milliarde oder 2 Milliarden Euroaus diesen 100 Milliarden Euro quasi herauszuschnei-den, damit jeder Kindergartenplatz in Deutschland ge-bührenfrei ist.
Darin sind wir uns, Frau von der Leyen, mit der Kanzle-rin einig. Wir müssen das nun auf den Weg bringen. Esmuss doch möglich sein, in unserem so gut organisiertenStaat einen Schnitt an dieser Stelle vorzunehmen und esanders zu machen.Das Elterngeld ist ein wichtiger Schritt auf einemrichtigen Weg. Ich möchte nur eine persönliche Bemer-kung dazu machen: Der Staat kann so viel Geld für Kin-der- und Familienförderung in die Hand nehmen, wie erwill. Aber das Entscheidende sollte eigentlich sein, dassman Kinder in die Welt setzt, weil sie eine Freude undeine Bereicherung des Lebens sind, und nicht, weil mansoziale Sicherungssysteme finanzieren will.kTnMgIVWDnsadamAddnIEtDdsBihKzveCsMIkWm–
Noch ein kurzes Wort zur Außenpolitik – dannomme ich zu Ihrer Kritik an meinem Kollegen Jörgauss, Frau Kanzlerin, die ich so natürlich überhaupticht akzeptieren kann –: Wir sind von Ihnen, Frauerkel, sowie vom Außenminister und vom Verteidi-ungsminister zum Thema Kongo informiert worden.ch halte an meiner Position fest, dass Europa eine großeerantwortung für den afrikanischen Kontinent hat.er denn, wenn nicht wir, soll da helfen?
as ist so, und nicht nur aus den Gründen, die Sie ge-annt haben, Frau Merkel: Sie sehen ja die Flüchtlings-tröme, die über den Maghreb zu uns kommen. Dieserrme, geschundene Kontinent ist damals nämlich vonen Europäern kaputtgemacht worden. Also müssenuch wir dabei helfen, ihn wieder aufzubauen; das isteine persönliche Einstellung.
lso: Generell Ja zu dem Einsatz. Wir brauchen aller-ings einen klaren Auftrag für die Soldatinnen und Sol-aten, eine klare Arbeitsteilung der europäischen Natio-en und eine klare örtliche und zeitliche Begrenzung.ch werbe in meiner Fraktion um Zustimmung für deninsatz und ich habe keinen Zweifel, dass meine Frak-ion diesen Einsatz mit großer Mehrheit mittragen wird.ieser Einsatz bedeutet übrigens keine Überforderunger Bundeswehr. Herr Jung, da werden wir uns einigein: Diesen Einsatz mit diesem Kontingent kann dieundeswehr noch leisten.Im Übrigen ist das, was wir anderswo, zum Beispieln Afghanistan, machen, hier nach wie vor besonderservorzuheben. Dass die Bundesregierung da in derontinuität zu unserer rot-grünen Außenpolitik steht, istu loben und dafür bedanke ich mich. Das ist ein Beitragon Steinmeier.
Zu Weißrussland haben wir etwas gesagt: Wir habeninen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/SU, SPD, FDP und der Grünen; es ist gut, dass es die-en gemeinsamen Antrag gibt.
an muss nur fragen, warum andere nicht dabei sind.
ch sage nur: Wir in den Koalitionsfraktionen haben einelare Position zu den Menschenrechtsverletzungen ineißrussland.Zum Föderalismus. Frau Merkel, ein Wort der Kritikuss erlaubt sein, auch wenn ich Ihre Politik mittragewie Sie wissen –, mal mehr und mal weniger.
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Dr. Peter Struck– Ja, im Augenblick gerade weniger. – Es ist nicht so,dass wir der Meinung wären, dass der Bund im Rahmender Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Schu-len bekommen sollte. Manche dröhnen so – ich habe ei-nen Kollegen genannt; er spricht aber nicht für die Frak-tion –,
aber das wollen wir nicht, das will niemand, weil jederweiß: Das geht ja gar nicht.
Ich habe in meiner ersten Rede zur Föderalismusreform,die, wie ich gehört habe, auf der Regierungsbank nichtnur Freude hervorgerufen haben soll – das ist mir aberauch egal –,
einen Punkt nicht angesprochen, auf den ich jetzt aus-drücklich eingehen will: Ich glaube, dass in zehn oder15 Jahren unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger– manche von uns werden auch noch dabei sein –, diehier in diesem Plenarsaal sitzen und über Politik, überdie Probleme des Landes diskutieren werden, die Frageaufwerfen, ob wir nicht zu viele Bundesländer haben, obwir wirklich 16 Bundesländer brauchen. Brauchen wirdie? Ich sage Nein.
Ich weiß, wie schwierig das ist; mein Freund JensBullerjahn in Sachsen-Anhalt hat ja gerade in seinemWahlkampf gesagt, dass wir nicht so viele brauchen.Auch an diesem Punkt muss man ansetzen, wenn maneine wirkliche Föderalismusreform durchführen will.Es bleibt dabei – das will ich noch als ernste Bemer-kung zum Schluss sagen; Volker Kauder weiß dasauch –: Ich will im Rahmen der Föderalismusreformkeine Zuständigkeit des Bundes für die Schulen bekom-men. Ich möchte lediglich erreichen, dass die Länder be-reit sind, sich nicht dagegen zu wehren – das so genannteKooperationsverbot –, wenn der Bund in der Lage undwillens ist, ihnen Geld für Bildung zukommen zu lassen.
Ich begreife es tatsächlich nicht – da schaue ich auch inRichtung FDP; auch Sie sind in Landesregierungen ver-treten –,
dass in der Debatte so getan wird, als ob wir die Länderzwingen wollten, Geld von uns anzunehmen. Ich willdarüber reden, wie wir eine Kooperation organisierenkönnen, wenn der Bund der Meinung ist, dass im Bil-dungsbereich, an Hochschulen oder Fachhochschulen et-wikwbbrfIdLrdWRlgdvaSamwgttrsDnSh
nsgesamt sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg undas Land kann sich auf diese Regierung verlassen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Oskar
afontaine noch einmal um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Reihenfolge der Redner geht etwas durcheinan-er.
ir dachten, es sei jetzt schon der Kulturetat an dereihe. Leider ist das nicht der Fall. Das gibt mir die Ge-egenheit, auf einige der Argumente, die hier vorgetra-en worden sind, kurz einzugehen.Zunächst zu der Feststellung des Fraktionsvorsitzen-en der SPD, dass er es bedauert, dass eine Reihe guterdienender Unternehmen nach wie vor Arbeitsplätzebbauen. Ich begrüße es, Herr Fraktionsvorsitzendertruck, dass Sie dies hier angesprochen haben, möchteber darauf hinweisen, dass der Appell an Unterneh-en, sie müssten sich patriotisch verhalten, in unsererirtschaftlichen Ordnung schlicht und einfach ins Leereeht. Unternehmen verhalten sich nicht patriotisch, Un-ernehmen wollen schlicht und einfach ihre Gewinne op-imieren.Ich will die Unterhaltung mit der Kanzlerin nicht stö-en, möchte aber trotzdem einen wichtigen Punkt an-prechen.
ie Situation, dass die Unternehmen zurzeit auf der ei-en Seite exorbitante Gewinne machen, auf der andereneite aber Massenentlassungen ankündigen, ist ein un-altbarer Zustand in unserer Gesellschaft.
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Oskar LafontaineUnsere Fraktion belässt es nicht bei dem Appell andie Unternehmen, sich patriotisch zu verhalten – das ha-ben wir nun schon jahrzehntelang getan –, sondern wirmachen zwei Vorschläge: Einmal wollen wir die so ge-nannte Heuschreckendebatte aufgreifen, die der Arbeits-minister vor einigen Monaten angestoßen hat, und dieZulassung solcher Fonds in Deutschland reregulieren.Wir können dann hier testen, ob Sie es mit der Kritikernst gemeint haben, dass Unternehmen aufgekauft, aus-geschlachtet und dann wieder verkauft werden, oder obdas schlicht und einfach wieder Wahlkampfgetöse war,das keine reale Grundlage hatte. Wir werden einen sol-chen Vorschlag auf jeden Fall einbringen und namentli-che Abstimmung beantragen.
Das Zweite betrifft – da könnte dem sehr beschäftig-ten Kollegen Struck weitergeholfen werden – die Bin-dung der Managergehälter an Aktienoptionen. Das istnämlich die Erklärung dafür, warum sich Vorständenicht mehr patriotisch verhalten. Auch Vorstände neigenin unserer Wirtschaftsordnung dazu, ihre Einkommenmaximieren zu wollen. Solange Aktienoptionen in derVorstandsentlohnung in großem Umfang angeboten wer-den, werden die Vorstände auch bei exorbitanten Gewin-nen weiterhin Personalabbaupläne ausarbeiten, weil siedamit ihr eigenes Einkommen maximieren. Das mussunterbunden werden. Einen entsprechenden Vorschlagwerden wir machen. Sie können dann zu diesem Vor-schlag Ja oder Nein sagen.
Ich wollte noch einige Bemerkungen zu den Ausfüh-rungen der Bundeskanzlerin machen, die jetzt auch ver-schwunden ist. Ich frage für das Parlament, ob es über-haupt noch Sinn hat, zuzuhören, wenn diejenigen, diesich geäußert haben, gleich verschwinden oder in tiefeUnterhaltungen verstrickt sind.
Das ist auf jeden Fall keine Verfahrensweise, die demParlament zum Ansehen gereicht.
Die Bundeskanzlerin hat ein paar Bemerkungen zuihrer Politik gemacht. Entscheidend aber war der Vor-halt, den der Kollege Westerwelle gemacht hat, als erdarauf verwiesen hat, dass sie vor einigen Monaten einKonzept zur Steuerpolitik unterschrieben hat, das zwarnicht unser Konzept, aber immerhin ein Konzept war.Wenn jemand einige Monate später etwas ganz anderesvertritt, dann stellt sich die Frage, welche Konzeptionder Betreffende überhaupt hat. Das gilt nicht nur für dieSteuerpolitik, das gilt auch für die Gesundheitspolitikund eine ganze Reihe anderer Politikbereiche. Die Frage,wofür diese Regierung steht, kann nicht beantwortetwerden, wenn die Chefin dieser Regierung nicht in derLage ist, deutlich zu machen, für welche längerfristigeKonzeption sie eigentlich steht. Das ist das Bedauerli-che an dem Vorhalt, den Herr Westerwelle hier gemachthat.
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enn man mit dem Iran verhandelt, dann muss manoch eine klare Antwort auf eine Kernfrage der atoma-en Rüstung haben: Meint man, eine gerechte Weltord-ung könne aufgebaut werden, wenn die einen Atom-affen für sich beanspruchen, während man sie dennderen im gleichen Atemzug verbietet? Diese Frageuss doch beantwortet werden.
ine Regierung muss doch irgendeinen gedanklichennsatz dazu vortragen können. Es ist erschütternd, zuehen, wie heute das Prinzip der Beliebigkeit gilt.
an erzählt irgendetwas Gefälliges und glaubt, es werdergendwie ankommen. Das ist mittlerweile Grundlageer Politik.Ich will zu zwei Punkten, die die Kanzlerin angespro-hen hat, noch kurz etwas sagen:Sie hat die Rentenpolitik der Regierung mit der Aus-age gerechtfertigt, die demografische Entwicklung er-ordere zwingend die Verlängerung der Lebensarbeits-eit. Diese Aussage stößt zwar auf große Zustimmung,st aber schlicht und einfach grundfalsch. Das Lebensal-er darf nicht über die Rentengesetzgebung entscheiden.ntscheidend ist nun einmal die Produktivitätsentwick-ung unserer Volkswirtschaft. Schon seit langem steigtie Lebenserwartung der Menschen. Trotzdem habenir das Rentensystem aufgrund enormer Produktivitäts-teigerungen in diesem Umfang bewahren können. Des-alb ist es schlicht falsch, zu behaupten, die demografi-che Entwicklung bestimme die Rentengesetzgebung.ntscheidend ist die Entwicklung der Produktivität unse-er Volkswirtschaft.
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2244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Oskar LafontaineLeider wird von diesem zentralen Begriff überhauptnicht geredet, wenn diese Frage hier angesprochen wird.Ich will noch etwas zur Familienpolitik sagen. Eswar wieder sehr spannend, festzustellen, dass man da-rauf verweist, dass die Geburtenrate zurückgegangen ist.Ich sage hier für meine Fraktion: Die Geburtenrate einesVolkes ist das Urteil ebendieses Volkes über die Wirt-schafts- und Sozialpolitik seiner Regierung.
Diesen Zusammenhang muss man sehen. Wenn man ihnnicht sieht, dann kann man keine Familienpolitik ma-chen, die zu anderen Geburtenraten führt.In diesem Zusammenhang sprach die Kanzlerin vonder Verlässlichkeit und vom Kündigungsschutz. Siemeinte, beim Kündigungsschutz komme es darauf an,beim Abbau des Kündigungsschutzes verlässlich zusein. Hier möchte ich noch einmal sagen: Wenn Men-schen eine Familie gründen wollen – um diese Men-schen geht es –, dann suchen sie eine ganz andere Formvon Verlässlichkeit als die Scheinverlässlichkeit, von derdie Kanzlerin hier gesprochen hat. Diese Menschenmöchten verlässlich wissen, ob sie in ein paar Monatennoch Geld auf dem Konto haben.Solange Arbeitsmarktpolitik darin besteht, alles abzu-bauen, was den jungen Menschen diese Verlässlichkeitgeben könnte, so lange werden keine Familien gegründetund so lange werden in Deutschland immer wenigerKinder zur Welt kommen.
Ich erteile das Wort nun dem Staatsminister im Kanz-
leramt, Bernd Neumann.
B
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-deskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung am30. November 2005 gesagt – ich zitiere –:Deshalb ist Kulturförderung für diese Bundesregie-rung keine Subvention. ... Sie ist eine Investition,und zwar eine Investition in ein lebenswertesDeutschland.Ich wiederhole das gern. Die Bundesregierung bekenntsich zu ihrer kulturpolitischen Verantwortung. Kunstund Kultur stärken das geistige Fundament und den Zu-sammenhalt unserer Gesellschaft. Eine lebenswerte, einekreative und eine offene Gesellschaft ist ohne Impulse,die die Künste geben, nicht denkbar.
Mit diesem Haushalt unterstreicht die Bundesregie-rung, dass sie ihrer kulturpolitischen Verantwortung ge-recht wird. Ich konnte mich mit meiner Zielsetzungdurchsetzen, den Kulturhaushalt vor Kürzungen zu be-wbgggvgczgmDrSsrud2g–s6DP1wSsglKgLs
Es steigt der verfügbare Gesamtbetrag für 2006 ge-enüber dem Haushaltsjahr 2005 um 2,1 Prozent. Dieon uns geförderten Einrichtungen werden von Kürzun-en also verschont. Sie haben im BKM einen verlässli-hen Partner.
In Zeiten knapper Kassen und dramatischer Spar-wänge ist dies für die Kultur in Deutschland ein wichti-es positives Signal, auch in Richtung Länder und Kom-unen.
ie Kultur darf eben nicht zum Steinbruch bei der Sanie-ung der Staatsfinanzen werden.
ie ist die geistige Basis, die Klammer, die unsere Ge-ellschaft bei zunehmender Globalisierung und Orientie-ungslosigkeit zusammenhält. Sie gibt uns Halt, Heimatnd Identität zugleich.
Im Zeitraum von 2001 bis 2004 verzeichnen wir aufer Länderseite einen Rückgang der Kulturausgaben um50 Millionen Euro und bei den Gemeinden einen Rück-ang um 230 Millionen Euro.
Herr Otto, das war die Antwort auf die von Ihnen ge-tellte Frage. Das ist ein Minus von 6,8 Prozent bzw.,2 Prozent.
ie Kulturausgaben des Bundes bleiben dagegen imrinzip stabil. Wir haben im letzten Jahr, 2005, mit,038 Milliarden Euro etwa die gleiche Ausgabenhöheie 2001.Es verwundert daher nicht, dass in diesen Tagen dietädte Wittenberg, Wolfenbüttel und Weimar ihre The-en zur kulturpolitischen Situation in Deutschland vor-estellt haben. Das hat seinen Grund. Die Autoren stel-en fest, man könne nicht die kulturpolitischenompetenzen auf Bundesebene beschneiden wollen beileichzeitiger Absenkung der Kulturfinanzierung aufänder- und Kommunalebene; das schade dem An-pruch Deutschlands als Kulturstaat.
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Staatsminister Bernd Neumann
Ihre Schlussfolgerung angesichts der sinkenden Aus-gaben der Länder ist ein Appell an den Bund, hier stär-ker tätig zu werden. Das ist gut gemeint, aber der Bundkann nicht finanziell das ausgleichen, was die Ländereinsparen,
zumal sich seine Verantwortung auf Bereiche von natio-naler und gesamtstaatlicher Bedeutung beschränkt.Diese nimmt er sehr engagiert wahr.Ich habe in der vergangenen Woche Weimar – inter-national Inbegriff deutscher Kultur – besucht. Hierkommt der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwor-tung nach. Wir unterstützen die Klassik Stiftung Weimarmit 11 Millionen Euro im Jahr und wir verlängern dieTraditionslinien Weimars zur zeitgenössischen Kunstauch in diesem Jahr, indem wir, anders als geplant, dasKunstfest Weimar erneut fördern. Hier wird das Be-kenntnis zur Kulturnation mit Taten unterlegt.
Nicht alles ist finanzierbar. Deutschland ist kein Staa-tenbund, sondern ein Bundesstaat. Deutschland ist eineeuropäische Kulturnation. Daraus ergibt sich für michgeradezu eine Verpflichtung zu föderaler Kooperationzwischen Bund und Ländern. Dieser Verpflichtungkommt die Bundesregierung nicht nur durch einen stabi-len Haushalt, sondern auch durch Verbesserung der Rah-menbedingungen für die Kultur nach. Wir haben im letz-ten Vierteljahr die Beibehaltung des ermäßigtenMehrwertsteuersatzes für Kulturgüter beschlossen.
Wir haben mit dem Folgerecht im Kunsthandel fürKünstler EU-weit vergleichbare Bedingungen geschaf-fen.
Wir haben mit der UNESCO-Konvention zum Verbotder rechtswidrigen Übereignung von Kulturgut auchdem Kunsthandel weltweit eine sichere Grundlage gege-ben. Wir haben mit der im Kabinett beschlossenen No-velle des Urheberrechts mit dem Wegfall der Bagatell-klausel, die an sich vorgesehen gewesen ist, einwichtiges Signal für den Schutz des geistigen Eigentumsvon Künstlern und Autoren gesetzt.
Die kulturpolitische Rolle des Bundes liegt ganz kon-kret in der Förderung dessen, was von nationaler ge-samtstaatlicher Bedeutung ist. Das gilt nicht nur, aberauch für die Hauptstadt.UMnEWztzzrdaDfHguSGdFssHfuIw
Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, der Be-eutung der Kultur und ihrer Förderung auch mit Blickuf den Haushalt Nachdruck zu verleihen.
iese Anstrengung muss sich jährlich wiederholen, auchür den Haushalt 2007, Herr Kollege Kampeter.
Ich bin der Überzeugung: Der vorgelegteaushaltsentwurf 2006 ist eine Basis, die fraktionsüber-reifend tragfähig ist und die an sich von allen Parteiennterstützt werden könnte.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dr. Angelica
chwall-Düren für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!estern war die positive Nachricht zu vernehmen, dasser Geschäftsklimaindex erneut, zum vierten Mal inolge, angestiegen und auf ein Niveau geklettert ist wieeit 1991 nicht mehr. Wahrlich eine erfreuliche Bot-chaft; aber die FDP, insbesondere Herr Gerhardt underr Westerwelle, setzt das Schlechtreden Deutschlandsort
nd trägt damit weiterhin zu einem Klima bei, das dennvestitionen nicht gerade zuträglich ist.
Deutschland ist auf einem guten Weg. Das ist auchichtig; denn Deutschland wird als Motor in Europa
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2246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Dr. Angelica Schwall-Dürengebraucht. Gleichzeitig profitiert unser Land aber auchvon der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Initiativen. Deshalb ist es richtig und wichtig,dass sich die Regierung der großen Koalition zusammenmit den Regierungen der anderen EU-Mitgliedstaatenfür eine koordinierte Wachstumspolitik mit sozialem Ge-sicht einsetzt. Damit steht sie in der Tradition der sozial-demokratisch geführten Vorgängerregierungen, die sichmit den Reformen der Agenda 2010 den Herausforde-rungen der Zeit gestellt hatten.Zugegeben: Die unter mehrheitlich sozialdemokrati-schen Regierungschefs im Jahr 2000 aus der Taufe geho-bene Lissabonstrategie war in den vergangenen Jahrennur mäßig erfolgreich. Vielleicht fehlte hier der starkeImpuls aus Deutschland; denn Reformen waren ja nichtleicht umzusetzen. Nicht umsonst – so weit mein dezen-ter Hinweis – wollen wir einen Teil der Blockademög-lichkeiten durch eine Föderalismusreform aufheben.Dies ist aber kein Grund, an den Zielen der Lissa-bonstrategie zu zweifeln. Die EU hat einen neuen Anlaufgenommen. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet,nationale Reformprogramme zu erstellen. Die wesentli-chen Elemente des deutschen nationalen Reform-programms sind in die Koalitionsvereinbarung einge-gangen. Unser Programm setzt die begonnenenStrukturreformen der Vorgängerregierungen fort.
Heute ist schon viel zu den einzelnen Schwerpunkten inden Bereichen Arbeitsmarkt, Altersversorgung und Fa-milienpolitik gesagt worden. Ich will hier nur betonen,dass die EU-Kommission uns in ihrem Bericht zu dennationalen Reformprogrammen ausdrücklich bescheinigthat, dass wir auf einem guten Wege sind.Das nationale Reformprogramm zeigt: Wir werden inunserem Land mehr investieren und private Investi-tionen unterstützen. Im Bereich Forschung und Ent-wicklung werden bis 2009 mehrere Milliarden zusätzlichzur Verfügung gestellt, sodass wir realistischerweise bis2010 das Ziel der Investitionen in Höhe von 3 Prozentdes Bruttoinlandsproduktes erreichen können.Wir investieren in die Verkehrsinfrastruktur bis 2009zusätzlich insgesamt 4,3 Milliarden Euro.
Wir geben Bürgern, Unternehmen und Kommunen Un-terstützung für ihre Investitionen. Dazu haben wir unteranderem ein ehrgeiziges CO2-Minderungsprogrammaufgelegt. Wir schaffen die Möglichkeit, bis zu 600 Euroan Handwerksleistungen von der Steuerschuld abzuzie-hen. Damit ermöglichen wir nicht nur Einsparungen vonKosten und Energieverbrauch; wir sorgen auch für güns-tige Voraussetzungen für die Schaffung und Erhaltungvon Arbeitsplätzen.
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Wie schon in der Vergangenheit wird auch in dieseregislaturperiode daran gearbeitet, die Unternehmen ineutschland und in der Europäischen Union von unnöti-em bürokratischem Ballast zu befreien. Die Kanzlerinat bereits darauf hingewiesen. Bürokratieabbau darfber nicht Deregulierung um ihrer selbst willen bedeutenach dem neoliberalen Motto der FDP „Der Markt wirdchon alles regeln“.
Ich sage das deswegen, weil es richtig ist. – Der Marktann gerade nicht die menschlichen Beziehungen regeln.nzwischen weiß es fast jeder, vielleicht mit Ausnahmeer FDP: Der soziale Zusammenhalt, den wir ineutschland und in Europa gewöhnt sind, ist ein ganzichtiger Produktionsfaktor, dem wir unsere hohe Pro-uktivität entscheidend zu verdanken haben.
Darum ist es unabdingbar, dass wir in Deutschlandnd in Europa die soziale Dimension stärken. Ich bineshalb der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie ver-angene Woche auf dem Frühjahrsgipfel für den Kom-romiss bei der Dienstleistungsrichtlinie eingetretenst, den das Europäische Parlament erarbeitet hat. Wirönnen Europa nur gemeinsam mit der Bevölkerungauen, wenn wir den Menschen nicht jegliche Sicherheitehmen. Deshalb sage ich: Dynamisierung des Dienst-eistungsmarktes durch freien Marktzugang für alle EU-ürger: ja, aber unter Einhaltung der jeweiligen Sozial-,ualitäts- und Verbraucherschutzstandards am Ort derrbringung der Dienstleistungen.
Wir setzen darauf, dass die Bundesregierung im wei-eren Beratungsverlauf zur Erarbeitung eines gemeinsa-en Standpunktes des Rates die noch offenen Fragenorgfältig klärt und in Abstimmung mit dem Bundestagie Präzisierung der Dienstleistungsrichtlinie voran-ringt.
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Dr. Angelica Schwall-DürenFreier Marktzugang für Dienstleister und Arbeitneh-merfreizügigkeit nach Ablauf der Übergangsfrist verlan-gen auch nach einer Regelung heimischer Mindeststan-dards. Ich bin deshalb sehr froh, dass ArbeitsministerFranz Müntefering bis zum Herbst ein Paket vorlegenwill, mit dem der Niedriglohnbereich geregelt werdensoll. Ob hier Kombilöhne eine stärkere Rolle als in derVergangenheit spielen können, halte ich für sehr frag-lich. Sicher müssen wir Lösungen für das Entsendege-setz und für die Mindestlöhne finden. Denn wer hart ar-beitet, braucht eine anständige und existenzsicherndeEntlohnung.Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung kannnur gelingen, wenn die ökonomischen Zusammenhängebeachtet werden. Dabei sind tragfähige öffentliche Fi-nanzen ein zentrales Element. Das gilt für Deutschlandund für Europa. Beim Europäischen Rat im Dezember2005 haben die Staats- und Regierungschefs eine Eini-gung über die künftige Finanzierung der EU erzielt.Die Bundesregierung konnte maßgeblich zum Zustande-kommen dieses Kompromisses beitragen.
Mit dieser Einigung wurde die finanzielle Grundlagefür die künftige europäische Politik geschaffen. Gleich-zeitig überfordert der gefundene Kompromiss die Leis-tungsfähigkeit der Mitgliedstaaten nicht, sondern erunterstützt die notwendigen Konsolidierungsanstrengun-gen. Es ist nun wichtig, dass dieser Kompromiss zusam-men mit dem Europäischen Parlament und der Kommis-sion umgesetzt wird. Ich bin jedoch zuversichtlich, dassrechtzeitig eine Einigung gelingt, damit die europäi-schen Politiken kontinuierlich fortgesetzt werden kön-nen.
Im Hinblick auf die nationalen öffentlichen Finanzenwurde mit der Reform des europäischen Stabilitäts-und Wachstumspaktes – das sage ich auch in RichtungHerrn Lafontaine – die Voraussetzung für eine ökono-misch sinnvolle Anwendung des Paktes geschaffen. Un-ser Finanzminister Peer Steinbrück hat gestern klar ge-macht, dass wir einerseits den Pakt künftig wiedereinhalten werden, dass aber andererseits eine nachhal-tige Konsolidierung nicht allein durch Einsparungen er-reicht werden kann.
Wir müssen die Konjunktur stärken und entsprechendeAnreize schaffen.
– Das tun wir auch. Wir sparen jede Menge.
Das in Genshagen beschlossene Investitionspro-gramm trägt dazu bei, die Wachstumsschwäche inDrrfiiWwidvdöDtrAaputensSvkVbnddatentVUfls–dn
st ökonomisch geboten und macht den Stabilitäts- undachstumspakt bei den übrigen Mitgliedstaaten glaub-ürdiger.
Viele Menschen sind durch die Auswirkungen desnternationalen Wettbewerbs verunsichert. Sie habenie EU im Verdacht, für den Verlust von Arbeitsplätzenerantwortlich zu sein. In der Summe ist das Gegenteiler Fall. Die Erweiterung der Europäischen Union hatkonomisch positive Auswirkungen insbesondere aufeutschland. Die Zahl der deutschen Exporte in die Bei-rittsländer ist enorm gestiegen. Deutschland und Öster-eich haben bislang von der erweiterten europäischenrbeitsteilung am meisten profitiert. Die Gewinner sindllerdings vor allem technologisch fortgeschrittene, ka-italintensive Wirtschaftszweige wie der Maschinen-nd Anlagenbau, die Chemie- und Kraftfahrzeugindus-rie und die Umwelttechnologien.Wir wissen aber auch, dass Direktinvestitionen west-uropäischer Unternehmen in die neuen Mitgliedstaatenicht nur durch das Interesse der Markterschließung,ondern ganz wesentlich auch durch teilweise niedrigereteuern und Lohnkosten bestimmt werden. Standort-erlagerungen dienen dazu, Teile der Wertschöpfungs-ette in Niedriglohnländer zu verlagern und damit dieorleistungen für die Produktion im Stammland zu ver-illigen. Damit lässt sich zwar die Position der Unter-ehmen im globalen Wettbewerb stärken. Doch fallenie sozialen Kosten insbesondere für Arbeitsplätze, fürie eine geringe Qualifizierung nötig ist, im Stammlandn. Importwettbewerb und die Verlegung von Produk-ionsstandorten erzeugen in den betroffenen Brancheninen enormen Druck auf die Löhne, vor allem auf dieje-igen niedrig qualifizierter Beschäftigter.Um Europapolitik für die betroffenen Menschen posi-iv erfahrbar zu machen, müssen neben Standards imerbraucherschutz, bei der Produktionssicherheit und immweltschutz dringend notwendige Regelungen getrof-en werden, zum Beispiel die Festlegung von Mindest-öhnen, die ich schon erwähnt habe. Es gilt, lange Ver-äumtes unverzüglich nachzuholen.
Das war unter anderem deswegen nicht möglich, weilie Debatte in den Gewerkschaften noch nicht weit ge-ug vorangekommen ist.
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2248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Dr. Angelica Schwall-DürenAber wir kommen in dieser Frage voran und werdendazu noch in diesem Herbst eine Entscheidung treffen.Mit uns wird Deutschland ein Land mit hohen Löh-nen und hoher sozialer Sicherheit bleiben.
Angesichts der angespannten Situation am deutschenArbeitsmarkt kann gegenwärtig die generelle Öffnungfür Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten nicht ernsthafterwogen werden. Ein Zuzug besonders von gering quali-fizierten Arbeitnehmern würde zu weiteren Verwerfun-gen führen und von unseren Bürgern und Bürgerinnennicht verstanden. Der Beschluss der Bundesregierungbeweist, dass die Sorgen und Nöte der Menschen in un-serem Land ernst genommen werden und sie die kon-krete Politik beeinflussen. Das schafft Akzeptanz fürdeutsche Politik und für die europäische Integration.Dies wirft aber auch die Frage nach den nächsten Er-weiterungsschritten auf. Der Vertrag über den BeitrittBulgariens und Rumäniens zur EU wurde am25. April 2005 in Luxemburg unterzeichnet und mussvon allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die deut-sche Bundesregierung steht zu unterzeichneten Verträ-gen. In der Koalitionsvereinbarung haben wir verabre-det, im Lichte der für Mai angekündigten Berichte undder Empfehlung der EU-Kommission über die Ratifizie-rung zu entscheiden. Der Deutsche Bundestag wird aus-führlich darüber beraten. Wir wissen, dass die Länderderzeit noch Defizite bei der Implementierung des Ge-meinschaftsrechts aufweisen. Wenn wir die Bürger in al-len Mitgliedstaaten von der Richtigkeit der europäischenPolitik überzeugen wollen, müssen die Beitrittskandida-ten die vereinbarten Kriterien für die Aufnahme in dieEU einhalten. Rumänien und Bulgarien stehen also voreiner großen Aufgabe, die in sehr kurzer Zeit gelöst wer-den muss. Aber beide Länder wissen Deutschland an ih-rer Seite. Wir werden, soweit möglich, Unterstützungleisten.
An der Entscheidung über die Beitrittsverhandlungenmit Kroatien und der Türkei mit dem Ziel, ihnen dieVollmitgliedschaft zu eröffnen, halten wir ebenso fest.
Die Verhandlungen werden ergebnisoffen geführt undwir wissen, dass sie noch viele Jahre dauern werden.Deutschland wird weiter daran arbeiten, mit einer um-sichtigen Erweiterungspolitik, die die Aufnahmefähig-keit der EU nicht überfordert, einen wichtigen Beitrag zuFrieden und Stabilität auf unserem Kontinent zu leisten.Wir werden auch zukünftig in Europa keine religiösenGrenzen ziehen. Die EU ist eine Werte-, aber keine Reli-gionsgemeinschaft. Das muss auch für Ministerpräsiden-ten deutscher Bundesländer gelten.
Gleichwohl sind wir in der Pflicht, das Spannungsver-hältnis zwischen der außen- und sicherheitspolitisch ge-botenen und erwarteten Fortführung des Erweiterungs-pesnsdtdfbAfhgdEzsEkFffGWkkabmSdbKzsgfaBfbS
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel,PD-Fraktion.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Debatte über den Haushalt des Bundes-kanzleramtes nähert sich dem Ende und gleich beginntdie Debatte über die Außenpolitik. An dieser Schnitt-stelle versuche ich, den Blick auf unsere europäischenNachbarn, das heißt auf Weißrussland und die Ukraine,zu richten.
Einige von uns haben die Wahl in Weißrussland be-obachtet. Wir haben gemeinsam feststellen müssen, dassdiese Wahl, so die formale Sprache der OSZE, wederfair noch frei war. Wir könnten auch sagen: Es war einegut organisierte Wahlfarce, die wir miteinander erlebthaben.
Das war nichts Neues, wir haben das vorher schon beieinem Referendum und früheren Wahlen erlebt. Neu istaber – das ist ein Zeichen der Hoffnung –, dass es dies-mal mit Milinkewitsch einen gemeinsamen Kandidatender Opposition gab und dass der Wahlkampf gut organi-siert war. Neu war auch, dass die Sozialdemokraten imVorfeld kooperiert haben, auch wenn die Sozialdemokra-ten aus der Koalition – wir müssen das leider bekennen –später nicht mitgemacht haben.
Ihre Kooperation war wichtig. Wir können nur hoffenund sie auffordern, die Gemeinsamkeit der Oppositionauch in Zukunft weiter zu erhalten. Das ist eine Schlüs-selfrage für die Zukunft von Belarus.
Wir haben mit Zittern auf den Sonntagnachmittag und-abend gewartet, weil angekündigt war, dass Blut fließenwürde. Gewalt wurde angekündigt, und zwar durch ver-schiedenste Intrigen und Mittel. Es wurden öffentlicheSMS versandt, in denen davor gewarnt wurde, zum Ok-toberplatz zu kommen. Es war ungeheuer bewunderns-wert, dass plötzlich 10 000 Menschen zum Oktoberplatzkamen, die viele Stunden lang in großer Kälte trotz derDrohungen für Freiheit und Demokratie protestiert ha-ben. Es war ein großes Erlebnis für diejenigen, die dabeiwaren. Diese Menschen haben deutlich gemacht: Wirlassen uns die Zukunft durch den Wahlbetrug und dasautoritäre System nicht verbauen.
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Zu den 700 muss man noch die hinzuzählen, die schonorher in Haft waren. Wir müssen Lukaschenko in allereutlichkeit auffordern, diese Menschen freizulassen.arüber hinaus müssen wir auch Präsident Putin auffor-ern, sich für die schnelle Freilassung der Menschen ein-usetzen.
Die Vorkommnisse machen deutlich: Belarus und diekraine sind eine europäische Herausforderung. Wirüssen deutlich machen, dass wir an der Seite der De-okratiebewegung stehen. Es ist daher gut, dass der Eu-opäische Rat vorgeschlagen hat, Milinkewitsch impril einzuladen, um mit ihm über die Zukunft zu spre-hen.Wir müssen uns auch fragen: Was tun wir? Es ist rich-ig und gut, dass wir in der EU beschlossen haben, dieanktionen bei der Visaerteilung deutlich zu erweitern.ch sage: Jeder Polizist, von dem man namentlich weiß,ass er Gewalt angewandt hat, jeder Richter, der an Ver-rteilungen beteiligt war, und jeder Schuldirektor oderniversitätsrektor, der Menschen, die sich an den De-onstrationen beteiligt haben, von der Schule oder Uni-ersität verweist, gehört auf die Liste derjenigen, dieein Visum für Länder der Europäischen Union erhalten.
ir müssen natürlich auch die Nachbarländer, das heißtie Ukraine, Kroatien, Rumänien und Bulgarien – dieänder, in die die Nomenklatura gern in Urlaub fährt –,ür dieses Vorhaben gewinnen, damit diese Liste Gel-ung erhält.Wir müssen aber noch mehr tun. Wir müssen dieontakte in die Gesellschaft hinein befördern. In diesemusammenhang wäre es eine Katastrophe, wenn in Zu-unft die Schengenvisa nach Polen und Litauen, in dienmittelbaren Nachbarländer – bisher kosteten die Visa0 Euro –, bezahlt werden müssten. Wir müssen uns da-ür einsetzen, dass die Gebühren für Schengenvisa füreute, die sich in NGOs oder der Opposition engagieren,illiger sind. Ansonsten würden wir die Kommunikationbbrechen, indem wir Barrieren schaffen. Das wäre eineatastrophe.Ebenso sollten wir neue und bessere Instrumente zurnterstützung von NGOs schaffen. In der EU haben wirurchaus manches versucht. Das ist aber zu bürokratischnd zu schwerfällig. Das reicht nicht wirklich. Ich treteaher sehr dafür ein, dass wir eine europäische Stiftungür Demokratie schaffen, die kurzfristig kleinere Sum-en zur Verfügung stellen kann, damit wir NGOs inelarus und anderen Ländern flexibel unterstützen kön-en. Wir wissen, dass eine Zivilgesellschaft oft keinenterstützung in Millionenhöhe braucht, sondern klei-ere Summen, die schnell, flexibel und auf direktem
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2250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Markus MeckelWeg von einer kompetenten Stiftung zur Verfügung ge-stellt werden können. Das sollten wir, so denke ich, mit-einander auf den Weg bringen.Klar ist, dass die Länder zwischen Russland und derEuropäischen Union – Belarus ist im Augenblick amstärksten gefährdet – in Zukunft unsere Aufmerksamkeitbrauchen werden. Ich hoffe sehr, dass es uns währendder deutschen EU-Präsidentschaft im nächsten Jahr ge-lingen wird, europäische Initiativen zu entwickeln, damitwir gerade diesem Raum mehr Aufmerksamkeit schen-ken und ihm mehr Unterstützung für eine demokratischeund Wohlfahrtsentwicklung bieten können.
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich schlage den Bogen zurück zur Kultur. DieGoethe-Institute können im Bereich der Kultur, alsounterhalb der politischen Ebene, durch ihre Programmeund Begegnungen in den Ländern, in denen die politi-schen Bedingungen noch nicht so gut sind, sehr viel er-reichen. Das gilt auch für Belarus. Insofern ist die Kul-turpolitik für uns ein sehr wichtiger Faktor.Wenn man die Struktur eines Haushaltsentwurfs alsGradmesser dafür nimmt, welche Bedeutung man einembestimmten Bereich beimisst, dann kann man zur Kul-turpolitik vielleicht sagen: 1 Milliarde Euro im Haushaltdes Kulturstaatsministers und etwa 545 Millionen Euroim Haushalt des Auswärtigen Amtes – das ist nicht wirk-lich viel. Wenn man aber berücksichtigt, was wir damitbewegen und dass im Haushalt des Kulturstaatsministerseine Erhöhung stattgefunden hat, sieht das anders aus.Mit den Mitteln, die wir für den Dialog zur Verfügungstellen, haben wir viele Kontakte mit den NGOs und Op-positionsbewegungen vor Ort ermöglichen können. DieKulturpolitik ist daher ein sehr wichtiger Faktor, den wiralle unterstützen müssen.Deswegen freue ich mich, dass wir in diesem Jahr so-wohl im Haushalt des BKM als auch bei den Stipendien– auch das ist ein wichtiger Austauschfaktor – eine Stei-gerung verzeichnen können. Aus dem 6-Milliarden-Pro-gramm werden dem DAAD, der Humboldt-Stiftung undanderen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Da-durch haben wir die Möglichkeit, in den Ländern direktMultiplikatoren zu gewinnen.
Damit haben wir das umgesetzt, was wir im Koalitions-vertrag festgeschrieben haben.Der Etat für Kultur ist der kleinste und damit sensi-belste Etat im Bundeshaushalt. Deswegen sollte er vor-sazamtwguuS––dtSMgnVDDhteutbGhbttwepgDD
Ich fand es beeindruckend, dass er so etwas sagt.
Dass von einem Schwaben so etwas kommt – genauas habe auch ich gedacht.Ich finde, dass ein wichtiger Satz in unserer Koali-ionsvereinbarung lautet: „Kulturförderung ist keineubvention, sondern Investition in die Zukunft.“
it der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern en-agieren wir uns für kulturelle Kreativität. Das isticht nur ein Lebensmittel für Menschen, sondern auchoraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.enn nur mit Kreativität können wir neue Produkte undesigns entwickeln und damit in der Welt konkurrenzfä-ig sein.
Kulturelle Kompetenz schafft auch fachliche Kompe-enz. Wer beispielsweise ein Musikinstrument erlernt,rlangt bessere Fähigkeiten in den Bereichen Sprachend Mathematik. Das müssen wir alle erkennen und un-erstützen. So, wie unser Körper täglich Vitamineraucht, so braucht unser Geist Kunst und Kultur.
enauso brauchen Künstlerinnen und Künstler die Frei-eit, um künstlerisch tätig zu sein. Aus diesem Grundleibt es – das ist mir ganz wichtig – Aufgabe des Staa-es, zu gewährleisten, dass Kunst und Kultur unbelaste-er von ökonomischen Zwängen entstehen können. Wirerden sie nicht ganz unbelastet machen können, aberin bisschen unbelasteter. Das ist ein wichtiger Punkt.Wir brauchen allerdings auch Stiftungen und Privat-ersonen als Förderer, um die kulturelle Vielfalt, die wirlücklicherweise immer noch haben, zu gewährleisten.ie Kombination macht es. Aber ich sage ausdrücklich:er Staat hat hierbei eine wichtige Aufgabe.
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Monika GriefahnAls wunderbares Beispiel für einen sehr guten Beitragzur freien Entfaltung der Künste können wir die Kultur-stiftung des Bundes erwähnen. Der Etat von nunmehrknapp 38 Millionen Euro bedeutet eine Erhöhung derMittel um knapp 2,2 Millionen Euro als letzten der dreiErhöhungsschritte.
So können wir innovative Programme und Projekte mitnationaler und internationaler Ausstrahlung fördern undwir können Deutschland im Dialog mit vielen Ländernals Kulturnation präsentieren. Herr Otto – ich kommedazu –, wir hoffen, dass die Fusion mit der Kulturstif-tung der Länder die Möglichkeit für zusätzliche Pro-jekte, also für einen Mehrwert, schafft, den wir gemein-sam mit den Ländern erreichen können. Ich glaube, dassdas eine gute Perspektive ist.
Zur Außendarstellung Deutschlands trägt in ganz be-sonderem Maße die Deutsche Welle bei. Auch ihrkommt in diesem Haushalt eine kleine Steigerung zu-gute. Ich denke, das ist nötig. Denn der Etat der Deut-schen Welle ist seit 1998 erheblich geschrumpft. Wennwir wollen, dass die Deutsche Welle weiterhin die Dia-logarbeit und die Präsentation Deutschlands in der Weltleistet, wenn wir wollen, dass unsere Sichtweisen zuPolitik, Kultur und Wirtschaft in vielen Ländern vermit-telt werden, und wenn wir wollen, dass die deutscheSprache gefördert wird, dann müssen wir uns auch fi-nanziell zur Deutschen Welle bekennen.
Ganz besonders begrüße ich die immer stärker wer-dende Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit den öf-fentlich-rechtlichen Anstalten. Nachdem deutlich ge-worden ist, dass German TV kein tragfähiges Konzeptdarstellt, arbeiten die Sender nun mit Hochdruck zusam-men daran, das Deutsche Welle Fernsehen zu einem at-traktiven Angebot zusammenzuführen und damit allenMenschen in der Welt anzubieten. Ich glaube, das ist einganz wichtiger Punkt.
Mit diesem Haushalt wollen wir deutlich machen,dass der Dialog der Kulturen für uns einen besonderenStellenwert hat. Mit Programmen in den Sprachen Dariund Paschtu zur Unterstützung der Afghanen, jetztselbstständig zu werden, mit einem arabischen Fernseh-programm, mit der Ausbildung von Journalisten und mitdem Internetportal der Deutschen Welle in 30 Sprachengehen wir einen guten Weg. Wenn wir einen friedlichenDialog wollen, müssen wir auch die Verständigung för-dern. Das geht über diese Medien sicherlich ganz beson-ders gut.adiedhhlzhstBsavtndwdnswabDgfWdfrsFUeigesbDp
ohen Qualität und Vielfalt dessen, was es in Berlin zuehen gibt. Es liegt aber auch an dem Klima von Innova-ion und Offenheit für Kultur. Dies wird auch durchundesmittel gefördert, nämlich für die Stiftung Preußi-cher Kulturbesitz, für viele Einzeleinrichtungen, aberuch zum Beispiel für den Hauptstadtkulturfonds, alsoon der individuellen Szene bis hin zu den großen tradi-ionellen Einrichtungen. Ich glaube, das ist ganz wichtig.
Wenn wir über Berlin reden, dann liegen das Faszi-ierende und die Kraft von Innovation und Fortschrittarin, dass wir auch Vergangenes einbeziehen und be-usst machen. Die Kultur einer Gesellschaft wird auchadurch geprägt, dass sie sich an das, was sie war, erin-ert und daraus Schlüsse zieht. Insofern spielt auch un-ere Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit eine ganzesentliche Rolle für die Bundeskulturarbeit und damituch für diesen Haushalt.
Nachdem wir in den vergangenen Legislaturperiodenereits ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der NS-iktatur erarbeitet haben, werden wir jetzt auch die jün-ere deutsch-deutsche Geschichte in ein Gesamtkonzeptassen.
ir haben die Birthler-Behörde in den Aufgabenbereiches Bundesbeauftragten für Kultur und Medien über-ührt. Wir arbeiten an einem Gesamtkonzept zur stärke-en Vernetzung und systematischen Förderung der ge-ellschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte und derolgen der SED-Diktatur. Den verantwortungsvollenmgang mit der Zukunft der Birthler-Behörde, die jaine ganz besondere Behörde ist, werden wir dann auchn den maßgeblichen haushaltsrelevanten Entscheidun-en zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel wollen wirndlich ein Modellprojekt angehen, um die alten, zerris-enen Akten wieder zusammenzusetzen; ich meine daserühmte „Schnipselprojekt“.
as wollen wir im Rahmen eines Modellprojekts aus-robieren. Dann wird sich zeigen, ob das funktioniert.
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2252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Monika GriefahnDie Aufarbeitung von Geschichte spielt auch in ei-nem anderen Zusammenhang eine wichtige Rolle. DasEuropäische Netzwerk Erinnerung und Solidaritätwird im Haushalt 2006 erstmals mit 300 000 Euro etati-siert. Damit stellen wir als Koalition klar, dass wir dieThemen Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration in ei-nem europäischen Kontext angehen, insbesondere mitunseren Partnern in Polen, Ungarn, der Slowakei undÖsterreich; weitere sollen hinzukommen.
Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, um die vielfälti-gen bereits bestehenden Institutionen und Initiativen indiese Netzwerkstruktur einzubinden und in einen Dialogüber diesen Teil der europäischen Vergangenheit zu tre-ten.
Da der Etat für das Haus der Geschichte in Bonn um2,5 Millionen Euro erhöht wurde, kann auch das Kon-zept der Ausstellung zum Thema Vertreibung weiterge-führt werden. Diese Ausstellung wird bald auch in Ber-lin zu sehen sein, später vielleicht auch in Polen.
Das entspricht unserer gemeinsamen Forderung, die wirauch in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dasswir mit Bedacht sichtbare Zeichen für unsere Auseinan-dersetzung mit der Vertreibung in Europa setzen wollen.Für das Jüdische Museum in Berlin wird es eineBauerweiterung geben. Für die geplante Überdachungdes Innenhofes, die so genannte Laubhütte, wurde in denHaushalt eine Verpflichtungsermächtigung von 2,5 Mil-lionen Euro eingestellt. An dieser Stelle möchte ichMichael Blumenthal, dem Direktor des Jüdischen Mu-seums, Dank sagen;
denn er hat in bewundernswerter Weise private Sponso-rengelder eingeworben, um dieses Projekt verwirklichenzu können.
Jetzt kann eine sinnvolle und architektonisch gute Er-weiterung realisiert werden, um die jährlich 700 000 Be-sucher dieses Museums – das muss man sich einmal vor-stellen; das hat man nie erwartet – sehr ausführlich überdie Geschichte der Juden in Deutschland zu informieren,damit sie nicht nur durch das Mahnmal mit dem Holo-caust konfrontiert werden, sondern die gesamte und sehrvielfältige Geschichte der Juden erfahren, sowohl unterkulturellen als auch unter wissenschaftlichen Gesichts-punkten. Das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Aspekt.PhKannkgvwaIe1ddkgbwMeKsmsdLwW
Wir haben noch viel vor. Das gilt für die auswärtige
ultur- und Bildungspolitik wie auch für die gemein-
ame Arbeit mit den Ländern im Rahmen der Föderalis-
usreform. Wir müssen immer aufs Neue für den ent-
prechenden Platz der Kultur kämpfen. Das gilt auch für
as Staatsziel Kultur, das wir noch erkämpfen müssen.
iebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie mit!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Aus-ärtigen Amtes, Einzelplan 05.Außerdem rufe ich Zusatzpunkt 1 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENBelarus nach den Präsidentschaftswahlen– Drucksache 16/1077 –Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Frank-alter Steinmeier.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2253
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Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Vor wenigen Wochen habenwir Johannes Rau in einem Staatsakt verabschiedet.Viele, die ihn kannten, wissen, dass ihn in den letztenJahren vor allen Dingen eine Frage umgetrieben hat,nämlich die Frage der Möglichkeiten von Politik ange-sichts radikal veränderter Politikbedingungen. Viele vonIhnen waren so wie ich Gast bei seiner Berliner Rede2002, in der er schon fast beschwörend an uns alle appel-liert hat:Wir müssen die Globalisierung als politische He-rausforderung verstehen und politisch handeln.Damit wir die Globalisierung gestalten können,brauchen wir neue politische Antworten.Ich sage: Um beides müssen wir uns bemühen, auchund gerade in der großen Koalition: um politische Ant-worten auf Veränderungen, die von vielen Menschen alsbedrohlich empfunden werden, und um neue Antworten,um den Menschen Mut zu machen. Ich finde, wir brau-chen Mut zur Veränderung, Mut, manchen ausgetretenenPfad zu verlassen, Mut, der der allgemeinen Mutlosig-keit ohne Arroganz, aber mit Selbstbewusstsein begeg-net.
Meine Damen und Herren, das ist sicherlich zuvör-derst Aufgabe der Innenpolitik. Es ist, wie ich mittler-weile erfahren habe, aber auch und gerade Aufgabe derAußenpolitik; denn Globalisierung bedeutet, dass dieKontinente zusammenrücken, dass Informationen inEchtzeit überall verfügbar sind. Das verändert die Rah-menbedingungen unserer Außenpolitik, und zwar ganzgravierend. Das möchte ich an drei kleinen Beispielenerläutern.Erstens. Mit fortschreitender Globalisierung wächstder Anspruch an Tempo und Qualität der Informa-tionsverarbeitung. Ob es sich um Naturkatastrophenoder Bürgerkriege handelt, die Menschen in aller Weltverfügen nach kurzer Zeit über einen Wust von Informa-tionen, deren schnelle und zuverlässige Bewertung undEinordnung oft kaum möglich ist. Gleichwohl oder viel-leicht sogar deswegen erwarten sie von uns rasche undüberzeugende Reaktionen.
Aus meiner Sicht als Außenminister sage ich: Wo frü-her möglicherweise die Weisung an eine Botschaft ge-nügt hat, um eine Reaktion auszulösen, ist heute eineganze Kaskade von Abstimmungen notwendig: mit Part-nern in Europa und den Vereinten Nationen, es gibt öf-fentliche Erklärungen, Erläuterungen im Parlament undGespräche mit den NGOs.Zweitens. In den letzten Jahren haben immer mehrStaaten demokratische Transformationsprozessedurchlaufen; das haben Sie intensiv verfolgt, auch hierim Parlament. Auch wenn man das beim Zeitunglesennicht glauben mag: Die Mehrzahl der Weltbevölkerungw–kswzltuTRdDwDvwukdpInaReePfutiDßizHlruerkwndhAaV
Das Auswärtige Amt beschäftigt sich seit vielen Jah-en sehr intensiv mit der zivilen Katastrophenvorsorgend setzt sich in Wissenschaft, Politik und Praxis dafürin. Ich selbst habe in dieser Woche gemerkt, wie erfolg-eich wir dabei sind, ohne dass das die breite Öffentlich-eit bisher zur Kenntnis genommen hat. Deutschlandar in dieser Woche Veranstaltungsort der Dritten Inter-ationalen Frühwarnkonferenz, die nicht nur deshalb be-eutsam war, weil Bill Clinton dort war. Die Anwesen-eit von Bill Clinton war aber natürlich auch einusdruck dafür, auf welches Maß an Respekt diese Ver-nstaltungen und die Bemühungen im Zuge dieser dreieranstaltungen in Deutschland inzwischen stoßen.
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2254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Bundesminister Dr. Frank-Walter SteinmeierMeine Damen und Herren, die Anforderungen – Siekönnen sie mühelos aus den drei Beispielen entnehmen –verlangen allen Beteiligten in der Außen- und Sicher-heitspolitik erhebliche Anpassungsleistungen ab. Ichfreue mich, dass wir den Menschen, die sich im Auslandfür deutsche Interessen engagieren – Soldaten, Entwick-lungshelfer und Diplomaten –, in unserer Koalitionsver-einbarung ausdrücklich gedankt haben und ich möchtedies auch heute tun. Ich sage auch hier noch einmal aus-drücklich: Wir im Parlament brauchen diese Helfer fürdie Durchführung der Tätigkeiten, die wir auf finanziel-lem Wege unterstützen.
Europäische Integration und soziale Marktwirt-schaft sind die zwei zentralen Pfeiler, auf denen unserFrieden und unser Wohlstand ruhen. Gerade angesichtsder europäischen Krise nach den verlorenen Referendenin Frankreich und in den Niederlanden müssen wir wie-der deutlich machen – hier haben alle Recht, die das imVerlaufe der Debatte schon gesagt haben –, dass dasHaus, das wir auf diesen Pfeilern bauen, ein menschli-ches Maß hat und so solide gebaut ist, dass es den Stür-men der Globalisierung standhalten kann.
Ich sage das deshalb, weil in unsere Ratspräsidentschaftder 50. Jahrestag der Unterzeichnung der RömischenVerträge fällt. Ich finde, dies ist ein guter Anlass, selbst-bewusst auf das Erreichte zurückzusehen – das ist ganzsicher –, aber auch mit neuem Mut die drängenden Ver-fassungsfragen in Angriff zu nehmen.Jürgen Habermas hat gerade – Sie werden erstauntsein – auf Einladung von Wolfgang Schüssel in Salzburgmit ihm und anderen über die Zukunft Europas disku-tiert. Er hat in seinem Beitrag appelliert, die Frage nachder Zukunft Europas energisch anzugehen, andernfallsstünde Europa erstmals in der Gefahr eines Rückfallshinter den erreichten Stand der Integration. In diesemFall müssten wir zusehen – ich zitiere –,wie sogar die bestehende politische Handlungs-macht der Europäischen Union zugunsten einer dif-fus erweiterten europäischen Freihandelszone abge-wickelt wird.Diese Sichtweise wird nicht nur von ihm geteilt. Weil sievermutlich die Gefahr durchaus richtig beschreibt, müs-sen wir dem umso engagierter entgegentreten. Ich binzuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Das sage ichnicht einfach nur aus einem Gefühl der Hoffnung heraus,sondern weil mich die Erfahrungen der letzten vier Mo-nate, die hinter uns liegen, zuversichtlich machen.Ich habe hier schon einmal darauf hingewiesen: Ent-gegen manchen Erwartungen ist es gelungen, uns überdie finanzielle Vorausschau zu verständigen. Entgegenmanchen Erwartungen ist es gelungen, in der Balancezwischen Binnenmarkt und sozialem Ausgleich einentragfähigen Kompromiss bei der Dienstleistungsrichtli-nie zustande zu bringen. Auch die Schlussfolgerungen,die die Regierungschefs auf dem letzten europäischenGEgIdsEuUhüaesTwniddfhdfngeKDnhWweiMr1rhrWgnrg
Lassen Sie mich zum nächsten Thema kommen. Ori-ntiert an einem erweiterten Sicherheitsbegriff, unter-tützt Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern dieransformationsprozesse in vielen Regionen. Gegen-ärtig engagiert sich die EU in über zehn Krisenma-agementoperationen. Wir stehen im Augenblick – dasst heute Morgen mehrfach angeklungen – vor der Frageer Beteiligung an einer europäischen Mission, gestützturch VN-Mandat, im Kongo.Frau Bundeskanzlerin hat die Argumente, wie ichinde, heute Morgen völlig richtig genannt. Es ist daraufinzuweisen, dass wir mit der Entscheidung zugunstener Beteiligung an einer solchen Mission nicht am An-ang der europäischen Bemühungen stehen, sondernach meiner Hoffnung eher am Ende unseres jahrelan-en EU-Engagements. In Europa haben wir jahrelangnorme Summen für die demokratische Zukunft imongo aufgebracht, zuletzt 150 Millionen Euro für dieurchführung von Wahlen. Deutschland hat bilateraloch einmal 10 Millionen Euro beigetragen.Wir haben Tausende von Polizisten ausgebildet. Wiraben über Europa den Aufbau einer Armee unterstützt.ir finanzieren – das darf auch nicht ganz verschwiegenerden, selbst wenn wir den Unterschied zwischen eineruropäischen Mission und der MONUC-Mission immerm Auge haben – über die Europäische Union und ihreitgliedstaaten einen großen Teil dieser größten militä-isch gestützten Mission im Kongo selbst mit insgesamt7 000 Soldaten über mehrere Jahre.Vieles ist in den letzten Jahren in diesem Stabilisie-ungsprozess erreicht worden – ich hatte Gelegenheit, esier schon einmal vorzustellen –: ein friedliches Refe-endum, ein neues Wahlgesetz, die Aufstellung vonahllisten und die Festlegung eines Wahltermins. Jetzteht es darum, den erreichten Stand der Stabilisierungicht noch kurz vor dem Ziel zu gefährden.Bei all dem – das sage ich mit Blick auf die Stabilisie-ung – ist von den 4 Millionen Toten in den Bürgerkrie-en seit Mitte der 90er-Jahre noch nicht die Rede. Des-
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierhalb ist meine Meinung: Wenn wir über diese Frage zuentscheiden haben, müssen wir unseren Beitrag dazuleisten, dass sich das Morden im Kongo nicht wieder-holt.
Ich weise aber darauf hin, dass die Vereinten Nationenund die kongolesischen Streitkräfte die Hauptverantwor-tung für die Sicherheit im Land tragen. Die Rolle derEU-Mission wird zeitlich und räumlich begrenzt sein.Wir werden mit dem Mandat all den Fragen und Beden-ken, die in der Vergangenheit dazu vorgebracht wordensind, entsprechend Rechnung tragen.Wir haben Wert darauf gelegt, dass die Mission nichtgegen den Willen der Regierung im Kongo zustandekommt. Deshalb sind wir mit dem erzielten Ergebnis zu-frieden, wonach nicht nur Kabila selbst, sondern auchdie Vertreter der anderen ethnischen Gruppen im Kongoihr Einverständnis und ihre Absicht erklärt haben, dassdie Mission mit europäischer Präsenz stattfinden soll.
Natürlich bedarf es dazu eines VN-Mandats, das in dennächsten 14 Tagen diskutiert wird. Wir gehen davon aus– das war unsere Voraussetzung –, dass ein Einsatz nachdiesem VN-Mandat zeitlich und räumlich befristet ist.Sollten alle diese Voraussetzungen erfüllt sein, dannsollte sich Deutschland aus meiner Sicht der Teilnahmean einer solchen Mission nicht entziehen.
Ich bin zuversichtlich, dass der Bundestag – wenn diegenannten Bedingungen erfüllt sind – einer solchen Mis-sion seine Zustimmung erteilen wird.Ein anderes Beispiel für fortgeschrittene Transforma-tionsprozesse ist in diesen Tagen der Balkan. Der Todvon Milošević hat uns gerade die Bilder aus den 90er-Jahren noch einmal in Erinnerung gerufen: die Toten vonSrebrenica, die massiven Menschenrechtsverletzungenim Kosovo und die tausendfache Gewalt gegen Frauen,Kinder und Greise.Dieses in Erinnerung habend frage ich: Welches Bildzeigt sich heute? Slowenien ist Mitglied der EU. Kroa-tien steht in Beitrittsverhandlungen. Mazedonien hat denStatus eines Beitrittskandidaten. Mit Serbien und Bos-nien haben Verhandlungen über den Abschluss vonAssoziierungsabkommen begonnen.Auf diesen Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausru-hen. Gerade die Region, von der ich spreche, bedarf un-serer besonderen Aufmerksamkeit. Das gilt nicht nur fürdie Zukunft, sondern besonders jetzt, in einem Jahr, indem wir in entscheidenden Verhandlungen zur Klärungdes endgültigen Status des Kosovos stehen und in dem inBosnien eine neue Regierung gewählt wird und das Endeder Verwaltung durch den Hohen Repräsentanten abseh-bar ist und die Regierungsgewalt vollständig in bosni-sche Hände übergehen soll. Diesen Vorgang hatCgAsnPhlIm–ldnsdsnMUülnZntEzsrdhdcNUwndSeAsedlg
uch dies ist übrigens nicht nur ein Zeichen für die be-ondere Verantwortung in der Region, die wir dort wahr-ehmen, sondern auch für die Anerkennung, die unsereolitik in den letzten Jahren auf dem Balkan gefundenat.Eine endgültige Befriedung des Balkans, der ja wirk-ich vor unserer Haustür liegt, ist in unserem ureigenennteresse. Deshalb werden wir uns darauf einstellenüssen, unseren Beitrag dazu politisch, finanziell undsoweit erforderlich – militärisch auch auf längere Sichteisten zu müssen.Das wichtigste Thema, das uns derzeit alle miteinan-er umtreibt, ist unsere gestiegene Verantwortung in ei-em grundlegend veränderten Sicherheitsumfeld, dieich bei unseren Bemühungen im Zusammenhang mitem iranischen Nuklearprogramm zeigt. Wie Sie wis-en, wird derzeit im Sicherheitsrat der Vereinten Natio-en über die nuklearen Ambitionen des Irans verhandelt.orgen Vormittag kommen die Vertreter der EU 3, derSA, Russlands und Chinas in Berlin zusammen, umber das weitere Vorgehen zu beraten. Wir sind – das isteider zu bekennen – trotz monatelanger Bemühungenoch nicht am Ziel. Das Ziel muss sein, dass der Iran alleweifel an einer eventuellen militärischen Nutzung sei-es Atomprogramms ausräumt und das Vertrauen der in-ernationalen Staatengemeinschaft wieder herstellt.
s bleibt unsere Pflicht – darauf wird auch morgen Wertu legen sein –, weiter nach diplomatischen Lösungen zuuchen. Wege dafür sind aufgezeigt. Es kommt nun da-auf an, dass der Iran mit der gleichen Ernsthaftigkeit anen Gesprächen teilnimmt, wie wir es in der Vergangen-eit getan haben. Die Ernsthaftigkeit kann, wie wir stän-ig betonen, nur unterstrichen werden, wenn die Anrei-herungsaktivitäten suspendiert werden.
Herr Kuhn, Sie haben einige Ausführungen zu denuklearvereinbarungen zwischen Indien und denSA gemacht. Ich will Ihnen sagen: Ganz so einfach,ie Sie es sich machen, geht es nicht und ist es auchicht. Sie haben, quasi aus oppositioneller Verzweiflung,ie zu treffende Entscheidung vorweggenommen, indemie den Gegenstand der Vereinbarung von vornherein alsinen Akt der Belohnung qualifizieren, und so uns dieblehnung nahe gelegt. Ich finde, so können wir mit die-er Sache nicht umgehen. Ich räume gerne noch einmalin, was ich schon öffentlich gesagt habe: Der Zeitpunktieser Vereinbarung war vor dem Hintergrund unsereraufenden Gespräche über das iranische Atomprogrammanz sicher nicht hilfreich.
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier– Ich komme gleich zu den Inhalten. – Aber das zeichnetaus meiner Sicht den Weg zu einem Nein Deutschlandsin der Nuclear Suppliers Group, wie Sie es unterstellt ha-ben, nicht ohne weiteres vor; denn die entscheidendeFrage ist, ob mit dieser Vereinbarung ein Prozess ange-stoßen worden ist, mit dem wir – darüber haben wirschon im Ausschuss diskutiert – Indien Zug um Zug indas Nichtverbreitungsregime einbeziehen. Herr Kuhn,wenn diese Möglichkeit gegeben wäre, dann wäre esnicht sehr verantwortlich, sozusagen Ihnen zuliebe aufeine sorgfältige Bewertung dieser Kooperationsverein-barung zu verzichten.
Was ich Sie gerne fragen möchte, ist: Gibt es Ihnendenn nicht zu denken, wenn al-Baradei als Vertreter derIAEO in Gesprächen mit uns, der Bundesregierung, aberauch, wie ich gehört habe, in Gesprächen mit Ihnen, denAbgeordneten, dafür wirbt, den politischen Mehrwertdieser Vereinbarung für die internationale Staatenge-meinschaft angemessen zu bewerten? Gibt es Ihnennicht zu denken, wenn der Träger des Friedensnobelprei-ses, den nicht nur wir, sondern auch Sie beglückwünschthaben, dafür wirbt, sich den Bemühungen um größereTransparenz im indischen Atomprogramm sowie verbes-serte – wenn auch nicht ausreichende – Zugangsmög-lichkeiten, die Safeguards und eine Stabilisierung desTeststoppabkommens nicht in den Weg zu stellen? Gibtes Ihnen nicht zu denken, wenn sowohl in der indischenÖffentlichkeit als auch im indischen Parlament darübergestritten wird, ob die indische Regierung durch dieseVereinbarung zu viel von ihrer Autonomie in der Atom-politik aufgegeben hat? Ich verlange von Ihnen nicht,dass Sie diese amerikanisch-indische Vereinbarung beju-beln; darum geht es nicht. Was ich aber erwarte, sind– dies hat die Haltung der Grünen in der Außen- und Si-cherheitspolitik in den letzten Jahren immer ausgezeich-net – eine redliche Nachdenklichkeit und ein Verzichtauf Schnellschüsse.
Einige wenige Worte zum Thema Naher Osten, aufden wir nach den israelischen Wahlen mit besondererAufmerksamkeit schauen. Ich habe schon in meiner letz-ten Rede gesagt, dass der Erfolg der Hamas bei den pa-lästinensischen Wahlen die Bemühungen um eine Fort-setzung des Friedensprozesses nicht einfacher macht,jedenfalls solange nicht unsere drei Kriterien erfüllt sind:Gewaltverzicht, Anerkennung Israels und Akzeptanz derbisherigen Verhandlungsergebnisse.Was sagt uns das Ergebnis der Wahlen vom gestrigenTage? Ich finde, wir dürfen sie so interpretieren: DieWählerinnen und Wähler in Israel wollen, dass es zuFortschritten auf dem Weg zu Frieden und Sicherheitkommt. Deshalb darf ich für mich sagen: Ich begrüße es,dass Olmert in seinen ersten öffentlichen AusführungenBereitschaft hat erkennen lassen, die Friedensverhand-lungen wieder aufzunehmen. Wir werden alles dafür tun,uldTZgsErrgpsfddfsHgzguwunTTnuDBguSbw–WglfWgnsdd
Spätestens seit dem Gasstreit zwischen Russland under Ukraine sind uns die Augen geöffnet worden für einhema, dessen Bedeutung, wie ich überzeugt bin, in derukunft eher noch zunehmen wird: die Frage der Ener-iesicherheit. Deshalb ist es überhaupt nicht überra-chend, dass dieses Thema sowohl auf der nationalenbene als auch auf der europäischen Ebene höchste Prio-ität gefunden hat. Ich glaube, wir sind in der Tat aufge-ufen, uns zugunsten einer Sicherung der Energieversor-ung unseres Landes entschlossen zu engagieren: fürolitische Stabilität in den Krisenregionen, für konsen-uale Lösung für Verteilungs- und Zugangskonflikte undür ein System kooperativer Energiesicherheit. Ich bittearum, auf eines zu achten: All das ist eingegangen inie Schlussfolgerungen des Gipfels in Brüssels. Ichinde, wir dürfen aus deutscher Sicht durchaus zufriedenein, dass diese Schlussfolgerungen erkennbar deutscheandschrift tragen.
Ich habe an anderer Stelle deutlich gemacht, dass ichlaube, dass ein solches energiepolitisches Gesamtkon-ept, wie es in Deutschland mit dem nächste Woche be-innenden Energiegipfel entstehen wird, einer außen-nd europapolitischen Flankierung bedarf. Deswegenerden wir uns bemühen, mit Norwegen, mit Russlandnd mit den Staaten Nordafrikas zu klären, wie wir in ei-er engeren Kooperation zwischen Konsumentenstaaten,ransit- und Förderländern mehr Planbarkeit, mehrransparenz und mehr Verlässlichkeit in die internatio-alen Energiebeziehungen bringen können.Ein letztes Thema: Weißrussland. Natürlich erfüllenns die Ereignisse in Weißrussland mit tiefer Sorge.eutschland und seine europäischen Partner haben dieehinderungen freier Wahlen und das gewaltsame Vor-ehen gegen Demonstranten mit deutlichen Worten ver-rteilt und wir haben uns auf eine Reihe von gezieltenanktionsmöglichkeiten verständigt. Wir werden darü-er hinaus die demokratischen Kräfte in Weißrusslandeiter unterstützen. Der Deutsche Bundestag wird sichdarüber freuen wir uns – gleich im Anschluss mit demeißrusslandantrag der Koalitionsfraktionen beschäfti-en. Ich bin mir sicher: Auch die Menschen Weißruss-ands werden den Weg zur Demokratie mit unserer Hilfeinden.
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.o immer man hinreist, überall spürt man: Deutschlandenießt hohes Ansehen als verlässlicher politischer Part-er, als wirtschaftliches Schwergewicht. Ich habe in die-er Rede viel von Transformation gesprochen und vonem Interesse, das wir daran haben, Stabilität und Frie-en zu befördern. Zur politischen Gestaltung der Globa-
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierlisierung gehört aber auch ein waches Auge für diekulturelle Dimension dieses Vorgangs. Gerade der Kari-katurenstreit hat uns den Blick geschärft für die immenseSprengkraft, die Fragen nach den kulturellen Identitätenentfalten können. Deswegen will ich abschließen mit ei-nem Plädoyer für die Bedeutung der deutschen auswär-tigen Kulturpolitik. Gerade in einer globalisierten Weltist Kultur mehr als eine Feierabendbeschäftigung oderein Mittel zur Markierung feiner sozialer Distinktionen.Kultur und Sprache sind das Medium, in dem sich Men-schen und Völker begegnen oder aber verfehlen. Sie sinddie Grundlage für politische Verständigung und wirt-schaftlichen Austausch. Wer die Chancen der Globalisie-rung nutzen will, darf deshalb diese kulturelle Grund-dimension nie vergessen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach sieben Jahren rot-grüner Außenpolitik unter
Schröder war einiges an Nachjustierung, an Neuorientie-
rung fällig. Das hat die Bundeskanzlerin in den letzten
Monaten teilweise in wirklich beachtlicher Weise hinbe-
kommen. Mein Parteivorsitzender Guido Westerwelle
hat das vorhin gewürdigt. Dem schließe ich mich an. Das
war erforderlich und das war erfolgreich.
Ich möchte darauf nicht im Einzelnen eingehen, son-
dern nur einen Aspekt herausstellen. Die Situation in
Bezug auf Russland war besonders schwierig, weil
manche erwartet hatten, jetzt, da die schrödersche Ka-
meraderie von einem neuen Politikansatz abgelöst ist,
werde gewissermaßen der russlandpolitische Rollback
stattfinden. Genau der hat nicht stattgefunden. Es war
auch richtig, dass er nicht stattgefunden hat. Vielmehr ist
deutlich geworden, dass es möglich ist, unser Interesse
an einer Zusammenarbeit mit diesem wichtigen strategi-
schen Partner Russland, nicht nur dem Energielieferan-
ten, in Übereinstimmung mit unserer klaren Positionie-
rung in Menschenrechtsfragen und mit unserer
Auffassung über die nicht erfreuliche Entwicklung der
Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Russland zu
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Chapeau!
Mein Kollege Markus Löning und mein KollegeHarald Leibrecht werden noch auf Weißrussland und dieUkraine eingehen. Ich will mich daher bei diesemThema beschränken. Aber ich finde es schon bedenklichund indikativ für das, was in Russland vorgeht, wie Prä-sident Putin den Wahlausgang in der Ukraine kommen-tiert hat. Das bekräftigt unsere Bedenken.WzddeDRdBwsdPdrdbggfehmtuzgWsmgatgdpDRnedÄenzwaZ
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch inashington ist es gelungen, neue Akzente zu setzen, undwar ohne dass man darauf verzichtet hat, klare Worteazu zu finden – ich glaube, diese Auffassung wird iniesem Hause im Großen und Ganzen voll geteilt –, dasss in der amerikanischen Politik Fehlentwicklungen gibt.ie klaren Worte zu Guantanamo Bay im Vorfeld Ihrereise waren fällig und gut.
Ich will diese Bilanz nicht fortsetzen, zumal ich beier Europapolitik sagen müsste, dass der Erfolg, der inrüssel im Dezember erreicht worden ist, teuer erkauftorden ist. Darüber wird an anderer Stelle noch zu redenein. Insgesamt finde ich es richtig, dass gerade aufgrundes anderen Umgangs mit unseren kleinen und mittlerenartnern, auch den neuen in der Europäischen Union,eutlich geworden ist, dass von Deutschland aus – ge-ade angesichts der Präsidentschaft im nächsten Jahr, aufie viele in Europa große Hoffnungen setzen – ein Neu-eginn in einer Situation erfolgt, in der eigentlich eineroße Griesgrämigkeit bezüglich des europäischen Inte-rationsprozesses herrscht und in der manche viel zurüh, wie ich finde, den Verfassungsprozess für beendetrklären wollen.Der Außenminister hat bisher wenig Gelegenheit ge-abt, seine Markierungen zu setzen. Er hat zugegebener-aßen auch Pech gehabt. Wer sich in den ersten Mona-en seiner Amtszeit mit schlimmen Entführungsfällennd ähnlichen Themen, die eher mit der Vergangenheitu tun haben als mit Zukunft und Gegenwart, beschäfti-en musste, kann nicht so ohne weiteres die neueneichenstellungen vornehmen. Ich möchte im Übrigenagen, dass ich das, was das Auswärtige Amt im Zusam-enhang mit den Entführungsfällen geleistet hat und ge-enwärtig in dem akuten Entführungsfall leistet, hochnerkenne. Sowohl das Auswärtige Amt als auch die be-eiligten Sicherheitsbehörden leisten Tag und Nacht eineroßartige Arbeit. Selbstverständlich hoffen wir, dassas gut ausgeht.
Herausforderungen, um einen außenpolitischen Stem-el aufzudrücken, gibt es in der nächsten Zeit reichlich.er Minister hat sie angesprochen. Bei einer so langenede kann man nicht alles kommentieren. Ich möchteur sagen, dass es in Bezug auf Israel und Palästina jetztine Hoffnung gibt. Ich hoffe übrigens auch, dass wir iner Frage des Umgangs mit einem Gesprächspartner, derußerungen macht, die für uns völlig inakzeptabel sind,ine Lernkurve zeigen. Hoffentlich brauchen wir heuteicht so lange, wie es seinerzeit gedauert hat, bis wirum Beispiel mit der PLO einigermaßen gesprächsfähigaren. Nur, eines muss klar sein: An dem Recht Israelsuf gesicherte Existenz als jüdischer Staat darf es keinenweifel geben.
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Dr. Werner HoyerZum Thema Iran. Angesichts der völlig unerträgli-chen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten überIsrael, über den Holocaust und über Antisemitismus lässtsich sagen – man kann fast von einem direkten Übergangsprechen –: Hier wird noch eine riesige Herausforderungzu bewältigen sein. Die Bundesregierung bemüht sichdarum. Ich wünsche Ihnen für die Konferenz der P 5, diehier in Berlin in den nächsten Tagen mit Vertretern derEU und Deutschlands stattfinden wird, viel Erfolg.Bei aller Klarheit der bisherigen Verhandlungsstrate-gie müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dasswir nicht nur denjenigen, die gegenwärtig im Iran regie-ren, Angebote machen müssen – sie sind in dem bisheri-gen Verhandlungsprozess übrigens teilweise in beachtli-cher Form gemacht worden –, sondern auch denjenigenMenschen im Iran – ich denke an die große junge Gene-ration; ihre Angehörigen sind gut ausgebildet und sehrstark westlich orientiert –, die mit uns nur zu gern zu-sammenarbeiten würden. Interessanterweise teilen dieseMenschen in der Nuklearfrage eher die Position des Prä-sidenten als unsere.Der Minister hat es gerade angesprochen: Angesichtsdessen ist die Entwicklung des amerikanisch-indischenNukleardeals so problematisch. Zumindest was dasTiming angeht, war die Botschaft falsch. Nicht nur HerrTharoor redet das schön, sondern auch Herr al-Baradeihat sich dazu positiv geäußert, weil das Geschäft trans-parenter wird. Betrachtet allerdings ein völlig unbefan-gener Iraner diese Angelegenheit, so erhält er die Bot-schaft: Das, was in unserer Umgebung zu sehen ist,zeigt, dass man über Nuklearmaterial verfügen muss, umin dieser Welt ernst genommen zu werden. Wenn das soläuft, dann ist das doch nicht in unserem Interesse.
Deutschland hat ein für allemal auf eine nukleare Op-tion militärischer Art verzichtet. Dabei muss es auch blei-ben. Auch unser Ansatz muss es sein, durch eine konse-quente Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik dafürzu sorgen, dass diejenigen, die sich auch für die Zukunftganz bewusst als Habenichtse im nuklearen Sinne definie-ren, für andere Länder, die möglicherweise in Versuchunggeraten, eine Perspektive darstellen.
Herr Minister, ich würde es deswegen sehr begrüßen,wenn die Bundesregierung eine Initiative zur Wahrungder Interessen und zur Entwicklung einer Perspektive fürdie Nichtnuklearmächte starten würde. Ich denke,Deutschland ist ein glaubwürdiger Partner, nicht nur fürden Iran, sondern auch für viele andere Teile in der Welt,die sich die Frage stellen, ob sie auf die nukleare Optionnicht verzichten könnten.Wenn es im Zusammenhang mit der Klärung der Iran-frage nicht gelingt, dieses Thema einzudämmen, dannstehen wir vor einem Scheitern der Nonproliferationspo-litik und vor einem gigantischen neuen Rüstungswett-lauf.FdcwdwrgdbsedccwZudmBntKgBIedzdWcasDczNgDc
Ich möchte noch etwas zum Kongo sagen; denn dieserage bewegt uns alle sehr. Die Freien Demokraten wer-en sich dieses Thema mit Sicherheit nicht leicht ma-hen. Das ist eine ganz schwierige Abwägung. Keinerird es sich leicht machen. Ich wehre mich dagegen,ass der Eindruck erweckt wird, hier werde nicht abge-ogen. Natürlich gibt es ein ganz starkes menschen-echtliches, ein entwicklungspolitisches Interesse. Esilt, Glaubwürdigkeit in Sachen Afrikapolitik zu vertei-igen. Das ist gar keine Frage.Wenn es darum geht, einen militärischen Einsatz zuefürworten, dann steht dem – gewissermaßen im clau-ewitzschen Sinne – die Beantwortung einiger Fragenntgegen:Erstens. Was ist das politische Ziel, das erreicht wer-en soll? Wie kann man die Zielerreichung messen?Zweitens. Was ist das militärische Ziel, dessen Errei-hung dazu beitragen kann, das politische Ziel zu errei-hen?Drittens. Wie kommt man wieder heraus?Wir haben sehr viele Fragen gestellt. Weder im Aus-ärtigen Ausschuss – dort hatten wir ganze 27 Minuteneit dafür – noch im Verteidigungsausschuss – er warnlängst in Brüssel – sind diese Fragen beantwortet wor-en. Es ist deutlich geworden, wie stümperhaft dieserögliche Einsatz bisher sowohl in Berlin als auch inrüssel vorbereitet worden ist.
Was sind das eigentlich für Konfliktparteien, mit de-en wir es dort zu tun haben und von denen wir erwar-en, dass sie das Wahlergebnis akzeptieren? Präsidentabila hat die Richtigkeit dieses Ergebnisses nach lan-em Zögern eingeräumt. Gelten seine Zusagen auch inezug auf die anderen, die dort kandidieren? Amnestynternational und Human Rights Watch behaupten, dassin Vizepräsident dieses Landes – er hat dort kandi-iert – sich schwerste Menschenrechtsverletzungen hatuschulden kommen lassen. Kann es eigentlich sein,ass wir – wenn er die Wahlen gewinnt – ein solchesahlergebnis mit unseren Soldaten militärisch absi-hern? Das ist eine ziemlich heikle Frage. Der Hinweisuf Demokratie und Wahlprozess allein kann in einerolchen Frage nicht entscheidend sein.
arüber muss diskutiert werden.Dann fragt man sich: Ist die Bundesregierung mögli-herweise in eine selbst gebaute Falle gelaufen, als sieunächst nach einer Internationalisierung gerufen hat?achher hat sie gemerkt: Das Einzige, was es dann daibt, ist die EU-Battle-Group und die besteht nur auseutschen.Die Frage ist auch: Sollen das eigentlich Abschre-kungsaktivitäten sein oder geht es letztlich darum, für
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Dr. Werner Hoyerden Fall, dass etwas schief geht, eine Evakuierung vor-zubereiten? Sollen die paar Hundert Soldaten, die tat-sächlich vor Ort sein werden, in der Lage sein, eine sol-che Abschreckung zu gewährleisten? Was ist daseigentlich für ein Konzept, das dahintersteht? Was ist dasfür eine Denke? Wenn man mit französischen Kollegendarüber spricht und sie fragt, ob es nicht ein ziemlich ab-gestandenes postkoloniales Gehabe sei, zu sagen:„Hauptsache, es sind ein paar Hundert weiße Europäerda; dann ist dort schon Ruhe“, bekommt man ohne wei-teres die Antwort: Ja, das ist nun mal eben so. – UnsereDenke im Zusammenhang mit Afrika war das bishernicht. Bis vor kurzem haben wir in jeder Rede zu diesemThema den Begriff „African Ownership“ gehört.
Das scheint gegenwärtig nicht mehr en vogue zu sein.Weitere Fragen sind: Wie verhalten wir uns eigentlichgegenüber MONUC? Wie ist da der Zusammenhang or-ganisiert? Werden wir tatenlos zusehen, wenn MONUCin Schwierigkeiten gerät und die europäischen Kräftehelfen könnten?Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind sehrviele Fragen offen. Vor allem aber ist die Frage: Sind wirnicht längst auf einer schiefen Ebene, weil die zeitliche,quantitative und inhaltliche Eingrenzung dieses Einsat-zes längst auch von Mitgliedern der Bundesregierungund der Koalition selbst infrage gestellt wird?
Herr Kollege, Sie reden ein bisschen zulasten Ihrer
Kollegen.
Ich bin mit meiner Rede auch durch, Frau Präsidentin.
Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass von der
FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Zustim-
mung – nach sorgfältiger Abwägung – erst dann erwartet
werden kann, wenn diese Fragen und die Fragen, die wir
in den Ausschüssen gestellt haben, befriedigend beant-
wortet worden sind.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Der Kollege Hoyer hat gerade den bevorstehendenEinsatz der Bundeswehr im Kongo angesprochen. HerrKvsdiwPdwDLlSBsdDbdwsessgRUshÜddFmmbßFnpegdww
as scheint mir der Versuch gewesen zu sein, vor denandtagswahlen am letzten Sonntag aus einem außenpo-itischen Thema noch einmal Profit zu schlagen. Wennie das mit der Verfassungswidrigkeit des Verhaltens derundesregierung bei den Verhandlungen auf europäi-cher Ebene tatsächlich ernst meinen würden, dann wäreie letzte Konsequenz daraus, dass die Bundesrepublikeutschland nicht mehr bündnisfähig ist.
Jeder weiß – die Bundesregierung weiß es; ich selbstin in Brüssel gewesen und habe mit Javier Solana überiese Frage gesprochen –, dass ein Einsatz der Bundes-ehr im Kongo natürlich unter dem Parlamentsvorbehaltteht. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht – dasrgibt sich aber auch aus dem Parlamentsbeteiligungsge-etz selbst –, dass es der Bundesregierung selbstver-tändlich möglich sein muss, entsprechende Vorbereitun-en oder Verabredungen in internationalen Gremien, imahmen der NATO, im Rahmen der Europäischennion, zu treffen. Wenn das nicht mehr möglich seinollte, dann wären wir in der Tat nicht mehr bündnisfä-ig.
Die Außenpolitik der Bundesregierung steht unter derberschrift „Kontinuität und Wandel“. Wenn man anie zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen zurück-enkt, die wir in den letzten Monaten und Jahren überragen der Außen- und Sicherheitspolitik geführt haben,ag sich der eine oder andere darüber wundern, wie har-onisch und erfolgreich die neue Bundesregierung ar-eitet. Zu diesem außerordentlich guten Start in der Au-en- und Sicherheitspolitik will ich im Namen meinerraktion Bundeskanzlerin Merkel, aber auch Außenmi-ister Steinmeier sehr herzlich gratulieren.
Die Außenpolitik der Bundesregierung ist davon ge-rägt, dass das transatlantische Verhältnis wieder zuinem Vertrauensverhältnis geworden ist. Die Bundesre-ierung hat deutlich gemacht – die Bundeskanzlerin haties in ihrer Rede in München getan –, dass die NATOieder zum zentralen Ort des transatlantischen Dialogserden soll, dass man dort diskutieren, gemeinsam ent-
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Eckart von Klaedenscheiden und schließlich auch gemeinsam handeln will.Die Überlegungen bezüglich einer Achse Paris-Berlin-Moskau sind ad acta gelegt. Beide Partner der großenKoalition legen Wert darauf, dass gerade im Hinblick aufunsere Russlandpolitik die kleineren Partner, vor allemaus Mittel- und Osteuropa, einbezogen werden. Deswe-gen freue ich mich, dass das Instrumentalisieren außen-politischer Fragen für innenpolitische Zwecke ein Endehat.
Die Kontinuität besteht insbesondere aus vier Ele-menten: die Einigung Europas, die transatlantischeWerte- und Interessenpartnerschaft, unsere Verantwor-tung gegenüber Israel und die Verpflichtung, in interna-tionalen Organisationen wie den Vereinten Nationen zu-sammenzuarbeiten und diese Organisationen zu stärken.Gleichzeitig ist unsere Außenpolitik aber einem Wan-del ausgesetzt. Wir stehen vor neuen Herausforderun-gen: Globalisierung, transnationaler Terrorismus, Ausei-nandersetzung mit den Modernisierungskonflikten in derislamischen Welt, der Aufstieg neuer Mächte wie Indienund China, der Versuch anderer Mächte, alte Macht zu-rückzugewinnen – ich erinnere hier insbesondere anRussland –, die Energiepolitik, die Anfang des Jahresendlich auch als Teil der Außenpolitik auf die deutscheAgenda gekommen ist und nicht mehr nur aus demBlickwinkel der Wirtschaft und der Ökologie betrachtetwird, die demografische Entwicklung, auch im interna-tionalen Zusammenhang, die Rückkehr der Nuklearpoli-tik als ein Faktor der internationalen Politik sowohl inziviler wie auch in militärischer Hinsicht – über dieFrage des iranischen Nuklearprogramms hat der Außen-minister gerade gesprochen; ich lobe ausdrücklich denVerhandlungsstil der Bundesregierung im Rahmen derEU 3 – und schließlich die Fortsetzung der Freiheits-und Selbstbestimmungsbestrebungen, die wir schon seitJahrzehnten beobachten können, die in den Jahren 1989und 1990 durch die Überwindung der Teilung von Jaltaerfolgreich waren und die sich jetzt fortsetzen in derUkraine, in Georgien und auch in Weißrussland; dazuwird der Kollege Grund später noch etwas sagen.Wir brauchen also eine strategische Debatte überKontinuität und Wandel in unserer Außen- und Sicher-heitspolitik. Wir müssen deutlich machen, wie wir diePrinzipien und die Kontinuität, die ich zu Anfang be-schrieben habe, mit den Herausforderungen durch denWandel, der sich in der Welt vollzieht, verbinden. Wirhaben unsere Außen- und Sicherheitspolitik in den letz-ten Jahren seit der Wiedervereinigung zu sehr vernach-lässigt. Wir sind als Deutsche zu sehr selbst- und gegen-wartsbezogen gewesen. Nun besteht die Möglichkeit,den guten Start der neuen, großen Koalition dazu zu nut-zen, eine Standortbestimmung unserer Außenpolitik vor-zunehmen und die Kontinuität mit dem Wandel und des-sen Herausforderungen zu verbinden.Da stellt sich zunächst einmal die Frage, wie wir dasVerhältnis zu den Vereinigten Staaten gestalten unddie transatlantischen Beziehungen verbessern. Auf dieEinbeziehung der NATO habe ich schon hingewiesen.Es ist ein historischer Fehler, zu glauben, unsere Verbin-dszdSllmknWdGDdtzsTCdsdkDaknFeßSgusBdnidchwtgd
as ist die Lehre, die wir als Europäer zu ziehen haben;enn das hat Europa gespalten. Aber auch die Vereinig-en Staaten haben ihre Lehre aus der Auseinanderset-ung um den Irakkrieg gezogen. Sie wissen jetzt, dassie auf Bündnispartner angewiesen sind, dass es keineoolboxmentalität geben darf, dass man nicht eineoalition of the Willing durchsetzen kann, sondern inen bewährten Bündnissen und insbesondere in der Zu-ammenarbeit mit den europäischen Bündnispartnernafür sorgen muss, dass man zu guten Ergebnissenommt.
azu gehört für uns insbesondere die Frage, wie wir unsls Bündnispartner der Vereinigten Staaten profilierenönnen, wie wir dafür sorgen können, dass die Amerika-er auf uns angewiesen sind.Es geht kein Weg an der Weiterentwicklung eigenerähigkeiten und Kompetenzen vorbei. Dazu gehörtben auch die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Au-en- und Sicherheitspolitik und ihres militärischentandbeins, der Europäischen Sicherheits- und Verteidi-ungspolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass sich NATOnd EU stärker ergänzen und nicht gegeneinander einge-etzt werden.Wir müssen auch ein Interesse daran haben, dass daserlin-Plus-Abkommen stärker mit Leben erfüllt wer-en kann. Wir sehen, dass diese Zusammenarbeit in Bos-ien ein großer Erfolg ist. Aber wir wissen auch, dass esn der NATO auf den Widerstand der Türkei trifft undass auf europäischer Seite die Franzosen und die Grie-hen dieser Zusammenarbeit skeptisch gegenüber ste-en.Wenn die Türkei Mitglied der Europäischen Unionerden will, muss sie beweisen, dass sie diesen euro-ransatlantischen Ansatz unterstützt. Sie muss dafür sor-en, dass die gemeinsame Zusammenarbeit im Rahmenes Berlin-Plus-Abkommens mit Leben erfüllt werden
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Eckart von Klaedenkann. Die Forderung nach einer verstärkten Zusammen-arbeit gilt, wie gesagt, auf NATO-Ebene für die Türkeiund genauso auf europäischer Ebene – auch das will ichganz deutlich sagen – für Frankreich.Die euro-transatlantische Politik nach 1990 ist enormerfolgreich gewesen. Wir wollen und müssen diese Er-folge fortsetzen.
Wer heute einmal seinen Blick auf den Balkan richtetund sich vor Augen führt, welche Situation wir dort da-mals vorgefunden haben – Genozid, Kriege, Massengrä-ber –, und wer heute sieht, wie sich die Gesellschaftenund Staaten auf dem Balkan nach und nach in Richtungmehr Demokratie und mehr Rechtsstaatlichkeit transfor-mieren, der kann wirklich von einem großen Erfolg spre-chen. Selbst die 80 000 Menschen, die zum Begräbnisvon Milošević in Belgrad von der dortigen Sozialisti-schen Partei zusammengekarrt worden sind, sind docheher ein Beweis für den Erfolg als für das Gegenteil.Es ist diese euro-transatlantische Perspektive, die die-sen Ländern Stabilität gegeben hat. Deswegen müssenwir trotz aller Fragen, wie es mit der Erweiterung so-wohl im Hinblick auf die NATO als auch auf die Euro-päische Union weitergeht, diese Perspektive fortentwi-ckeln. Ich habe großes Verständnis dafür, dass wir überdie Frage der Vertiefung innerhalb der EuropäischenUnion sprechen müssen. Aber wir dürfen diese euro-päisch-transatlantische Perspektive für die betroffenenLänder nicht aufgeben.
Sie ist die Grundlage dafür, dass die demokratische Ent-wicklung in diesen Ländern erfolgreich fortgesetzt wird.Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, diesen Wegweiterzugehen.
Diese Perspektive, die Heranführung an die Europäi-sche Union und eine mögliche Mitgliedschaft in derNATO, gilt eben auch für die Ukraine. Der Ukrainekommt aufgrund ihrer Größe, ihrer geostrategischenLage und ihrem Potenzial eine besondere Bedeutung zu,die wir in den zurückliegenden Jahren nicht ausreichendgewürdigt haben. Deswegen haben wir ein großes Inte-resse am Gelingen des Transformationsprozesses. Wirwürden unsere eigenen Prinzipien verraten, wenn wir dieUkraine auf diesem Weg nicht unterstützen würden.
Das heißt zum Beispiel, dass wir alle Bitten aus derUkraine beachten sollten. Dazu gehören die Ausbildungvon Richtern, mit denen wir die Entwicklung zurRechtsstaatlichkeit unterstützen, und der Aufbau vonwirtschaftlichen Beziehungen. – Wir sollten der UkraineadDfdTsaaeggsedSnkBgztrreulavzdgdrefAShgnehlkitVdS
ieses Projekt wird erfolgreich sein, wenn wir es aufreundschaftlicher Basis und in enger Abstimmung miter Europäischen Union verfolgen.Es ist ebenfalls wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieransformation der Ukraine und auch anderer Nachbar-taaten nicht gegen Russland gerichtet ist. Wir müssenuch sagen, dass die Beziehungen zu Russland davonbhängen, wie glaubwürdig sich Russland verhält, wenns um die Beachtung der Prinzipien des Europarateseht. Ich denke da vor allem an den Umgang mit den ei-enen Nachbarn und an die Frage, ob Russland Rechts-taatlichkeit und Demokratiebewegung unterstützt oderher ein Hindernis dafür darstellt.Es geht auch – auch dieser Punkt gehört dazu – umie innenpolitische Entwicklung in Russland. Die letztenignale, die wir von dort empfangen haben, haben unsicht hoffnungsfroh gestimmt. Deswegen, Frau Bundes-anzlerin, meinen herzlichen Dank dafür, dass Sie in derotschaft in Moskau Mitglieder der Bürgerrechtsbewe-ung und der Opposition empfangen haben.Wir müssen alles dafür tun, Russland auf seinem Wegu mehr Demokratie und mehr Rechtsstaatlichkeit zu un-erstützen. Ich glaube, dass das letztlich auch im Inte-esse Russlands, insbesondere im wirtschaftlichen Inte-esse Russlands, ist. Denn Rechtsstaatlichkeit ist auchin enormer Standortfaktor. Investitionen in Russlandnd in anderen Transformationsländern werden sichangfristig nur dann lohnen können, wenn man sich dortuf rechtsstaatliche Verfahren verlassen kann.
Die Herausforderung, die vom Iran ausgeht, ist schonom Außenminister angesprochen worden. Auch dorteigt sich, dass die enge Kooperation zwischen Europa,en EU 3, und den Vereinigten Staaten bisher erfolgreichewesen ist. Es hat immer wieder die Gefahr gegeben,ass der Iran mit seinem Versuch, die P 5 im Sicherheits-at voneinander oder die europäischen Drei von den Ver-inigten Staaten zu trennen, Erfolg haben würde. Dieeste gemeinsame Überzeugung auf beiden Seiten destlantiks, auf europäischer Seite und auf amerikanischereite, hat dazu geführt, dass der Iran mit seinen Bemü-ungen bisher nicht erfolgreich gewesen ist. Ich be-rüße, dass es im UN-Sicherheitsrat wohl zu einer so ge-annten präsidentiellen Erklärung kommen wird. Das istin gutes Zeichen. Wir müssen auf dem Weg weiterge-en, eine diplomatische Lösung zu suchen. Denn ein mi-itärisches Nuklearprogrammm des Irans ist für uns untereinen Umständen akzeptabel.Es ist der Iran gewesen – um daran zu erinnern –, dernternationales Vertrauen verletzt und internationale Ver-räge gebrochen hat. Die Europäische Union und dieereinigten Staaten haben dem Iran immer wieder gol-ene Brücken gebaut. Es ist nicht zuletzt die barbarischeprache des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad Is-
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Eckart von Klaedenrael gegenüber, die uns zeigt, dass wir dort eine beson-dere Verantwortung tragen. Deswegen ist es nicht zuletztzur Stärkung der Vereinten Nationen wichtig, dass wirzusammenbleiben und unsere Interessen entschlossenvertreten.
Das Erfordernis eines Zusammenspiels und der Koor-dination zwischen Europa und den Vereinigten Staatengilt nicht zuletzt für den Nahostfriedensprozess. Andieser Stelle möchte ich auch im Namen meiner FraktionEhud Olmert ganz herzlich zu seinem Wahlsieg gratulie-ren.
Beeindruckend ist für mich vor allem, dass er unmittel-bar nach der Wahl angekündigt hat, neue Friedensge-spräche mit den Palästinensern aufzunehmen, und ange-deutet hat, dass er in diesem Zusammenhang zuZugeständnissen bereit ist. Das ist der Weg, auf dem wirjetzt weitergehen müssen.Auch bei meinen Gesprächen in Brüssel habe ich er-fahren, dass es im Hinblick auf den Nahostfriedenspro-zess noch nie eine so starke Übereinstimmung zwischender Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ge-geben hat, wie es derzeit der Fall ist. Das gilt insbeson-dere für die Aufstellung der Kriterien, was die Zusam-menarbeit mit der Hamas angeht. Diese Kriterien hat dieBundeskanzlerin Ende Januar bei ihrem Besuch in Israelbetont. Auch hier zeigt sich, dass die Kooperation zwi-schen Amerika und Europa neue Früchte trägt bzw. tra-gen kann.Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist dieZusammenarbeit in den Vereinten Nationen und dieWeiterentwicklung der Vereinten Nationen. Wir müssenalles dafür tun, um die Vereinten Nationen zu stärken.Wir müssen sehen, dass wir das Völkerrecht in den Ver-einten Nationen weiterentwickeln. Die Kanzlerin hat beiihrem Besuch der Vereinigten Staaten in Washingtonentsprechende Anmerkungen dazu gemacht. Wir müssenerkennen, dass die Vereinten Nationen das Forum seinmüssen, in dem wir versuchen, soweit es geht, globaleVerantwortung wahrzunehmen, und in dem wir uns fürdie Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechtenund Rechtsstaatlichkeit einsetzen.Wenn wir einen Blick nach Afghanistan werfen, sostellen wir fest, dass sich dort Staaten wie Australien undNeuseeland engagieren und PRTs mit aufbauen. Dassind gute Beispiele. Sie zeigen, dass globale Verantwor-tung eben nicht regional begrenzt ist, sondern es ein we-sentlicher Auftrag ist, gemeinsam für Demokratie undRechtsstaatlichkeit einzutreten und gemeinsam im Rah-men der Vereinten Nationen dafür zu sorgen, dass esnicht zu weiteren Failing States kommt.Das gilt auch für unsere Verantwortung, die wir inAfrika wahrzunehmen haben. Dazu gehört aber auch,dass wir uns strategisch auf diese neuen Herausforderun-gen einstellen, dass wir uns selber nicht in eine Situationbringen, in der wir den Eindruck haben, Getriebene derEgDiFugMgkteswdgiIrdaRsdegsuesDdSzGsdMk
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche,
raktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Herrennd Damen Abgeordnete! Ich möchte mich zunächsterne an Sie wenden, Herr Dr. Hoyer.
ir haben Ihre letzten Ausführungen zum Kongo sehrut gefallen. Wer sich das EU-Mandat genau anschaut,ann sich angesichts der Zusammensetzung der Forma-ion des Eindrucks nicht erwehren, dass die ehemaligenuropäischen Kolonialmächte in Afrika wieder präsentind. Was wir auf gar keinen Fall akzeptieren können,eder wir Linke noch der Deutsche Bundestag – ichenke, hier spreche ich im Interesse der Menschen in deresamten Bundesrepublik –, ist eine neokoloniale Politikn Afrika. Das muss auf jeden Fall vermieden werden.
ch denke, der eleganteste, der beste, der politisch kor-ekteste Weg wäre es, deutsche Soldaten gar nicht erstorthin zu schicken.
Ich möchte jetzt den Zusammenhang herstellen undufgreifen, was der Außenminister an den Anfang seinerede gestellt hat. Sie haben von der Globalisierung ge-prochen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren,ass die Menschen – auch durch die deutsche Politik –rfahren, dass die Globalisierung latent immer ein krie-erisches, nicht friedliches Unterfangen sein wird. Wirehen, dass sich die Interessen in Afrika auf den Sudannd jetzt auch auf den Kongo konzentrieren. Wir habenrlebt, dass der Kampf gegen den Terror in einer globali-ierten Welt in Afghanistan zu einem Krieg geführt hat.ie Antworten auf die Globalisierung fallen aber auf an-eren Kontinenten völlig anders aus als in Deutschland.chauen wir uns zum Beispiel den postneoliberalen Pro-ess in Lateinamerika an! Das ist eine Antwort auf dielobalisierung, mit der man sich gegen den Verlusttaatlicher Sicherungssysteme und für die Beibehaltunger Ressourcenwahrung in nationaler Hand ausspricht.
an ist dort aus Erfahrung gegen die Privatisierung. Ichann nicht verstehen, warum in der Rede des Außen-
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Monika Knocheministers kein einziges Wort zu dem Kontinent Latein-amerika gefallen ist.
Das muss doch allmählich in unseren Fokus aufgenom-men werden, wenn wir über diese weltweiten Fragestel-lungen sprechen.
– Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie sich über die de-mokratischen und zivilen Errungenschaften in Kuba Ge-danken machen würden. Manches Bild, das Sie zeich-nen, würde sich angesichts der Realität nicht mehrbehaupten können. Da bin ich mir sehr sicher.
Ich möchte jetzt aber keine Rede über Kuba oder La-teinamerika halten. Wir werden, wenn der EU-Gipfel inWien stattfindet, sicherlich noch über unsere Position zuLateinamerika sprechen können.Ich halte es allerdings für sehr wichtig, dass sich die-ses Haus Gedanken darüber macht, wie in dieser globali-sierten Welt die Reform der UNO und des UN-Sicher-heitsrates aussehen wird. Wir haben schon gelegentlichunsere Vorstellung transportiert, dass in einem refor-mierten UN-Sicherheitsrat Lateinamerika unbedingt ei-nen Sitz haben muss und dass es erforderlich ist, dassauch Afrika mit einer eigenen Stimme spricht. Das zeigtsich jetzt besonders deutlich, da die Afrikanische Unionin der Frage des Kongos sozusagen übergangen wordenist.
Die UNO hat sich in dieser Sache an die EU-Ebene ge-wandt. Nun muss Solana in den Kongo reisen, umKabila davon zu überzeugen, dass er europäisches Mili-tär zur Sicherung der Wahlen braucht.Es bedarf unbedingt einer Veränderung unseresBlicks auf die Welt, um die neue eine Welt als einenfriedlichen Prozess zu begreifen, der die Demokratisie-rung und die Gleichheit aller zum Ziel hat und dies mitfriedlichen Mitteln durchsetzt.
Eine solche UNO brauchen wir. Im Deutschen Bundes-tag brauchen wir eine Debatte darüber, was der originärdeutsche Anteil sein kann, um einen solchen Prozesseinzuleiten.Herr Steinmeier, Sie haben über die EuropäischeVerfassung gesprochen. Sie dürfen nicht übersehen,dass es der europäische Verfassungskonvent nicht ge-schafft hat, die politische Willensbildung der Bevölke-rungen in einen Verfassungsentwurf zu transportieren.Manche Parlamente haben dem Entwurf zugestimmt,manche Voten der Bevölkerung waren positiv, aber dieEuropäische Verfassung ist im Ergebnis tot. Sie ist ge-scheitert. Viele osteuropäische Staaten, die neu hinzuge-ksgwueIDVgsmIwGnWrdgK–UikknAjFWazwMwws
ir haben bereits vor der Wahl eine Debatte über Bela-us geführt. Ihnen war es damals ein Anliegen, uns zuiskreditieren, was Ihnen aber nachweislich nicht gelun-en ist. Die Linke kann nicht als antidemokratischeraft diskreditiert werden.
Ich glaube, Sie reden im Moment ziemlich heftigennsinn. Sie sollten die Debatte nachlesen.Ich finde es viel wichtiger, sich das Ergebnis der Wahln der Ukraine anzuschauen. Die orangene Revolutionann als gescheitert betrachtet werden; denn die Bevöl-erung hat ihre Erfahrung damit gemacht und ein Jahrach der Revolution völlig anders gewählt. Das solltenlass für uns sein, mit den Staaten, die einen postsow-etischen Prozess durchgemacht haben, in eine andereorm des Dialogs einzutreten.
ir müssen uns hier im Parlament mit diesem Themanders befassen, als demokratische Revolutionen mit an-uzetteln, wie es die Kollegin Beck formulierte.
Ich glaube, es geht nicht um Menschenrechtspolitik,ie wir sie uns vorstellen. Menschenrechtsfragen undenschenrechtspolitik dürfen nicht instrumentalisierterden, um Systemwechsel herbeizuführen. Das ist eineichtige Komponente einer wirklich aufgeklärten Men-chenrechtspolitik.
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Monika KnocheWir müssen jetzt eine Entscheidung bezüglich desKongos fällen und Sie lenken mit Debatten zu Weißruss-land ab.
Mit dem Kongo müssen wir uns ausgiebig befassen, ichwill hier nur einige wenige Worte dazu sagen. Schauenwir uns an, wie das Mandat zustande gekommen ist. Al-ler Voraussicht nach wird es ein UN-Mandat nachKap. VII sein. Es soll also ein militärischer Einsatz er-folgen, an dem sich die Deutschen vielleicht nicht aktiv,aber passiv beteiligen, während die Franzosen die aktiveRolle übernehmen. Ich möchte dazu sagen: Es sollte ge-währleistet sein, dass freie demokratische Wahlen durch-geführt werden.
Die Menschen im Kongo haben nicht die Zuversichtund den Glauben, dass Wahlen ihnen Frieden, Freiheitund Demokratie bringen werden.
Denn es gibt dort verschiedene Milizen, deren Führerdemokratische Wahlen ablehnen. Niemand kann voraus-sagen, ob eine Wahl bürgerkriegsähnliche Zustände aus-lösen wird. Auch der Einsatz deutscher Soldaten imKongo kann nicht gewährleisten, dass die Präsident-schaftswahl friedlich verläuft.
Eine freie demokratische Wahl muss aber unser erstesZiel sein.
Was geschieht, wenn das Ziel nicht innerhalb des vor-gesehenen Zeitraums von vier Monaten erreicht wird?Sie werden doch hier nicht in aller Öffentlichkeit sagenwollen, dass die Truppen dann unverrichteter Dinge wie-der abziehen werden. Sie werden ein neues Mandat for-dern und dann werden die europäischen Truppen zu ei-ner Bürgerkriegspartei werden. Sie könnten Parteinahmebetreiben und genau das muss vermieden werden.
Wenn man den Prozess unterstützen will, dann darfman keine europäischen Truppen dorthin führen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Die Hierarchie der europäischen Entscheidungen er-
laubt es de facto nicht – das ist ein zentrales Argument –,
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Ich bin der festen Überzeugung, dass deutsche Au-enpolitik Friedenspolitik bleiben muss. Das heißt, sieuss in die Politik der Vereinten Nationen eingebundenein. Sie muss im Rahmen einer gemeinsamen europäi-chen Außen- und Sicherheitspolitik gestaltet werden.eswegen ist es notwendig, dass die Herausbildung ei-er gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik – ge-ade um diesen Teil des Verfassungsvertrages geht es –atsächlich Wirklichkeit wird. Wir müssen von den na-ionalen Alleingängen wegkommen.Wenn man das aber sagt und wenn man das Mandater Vereinten Nationen am Anfang einer Rede hochhält,ann muss man auch bereit sein, einen Beitrag zu leisten,enn es darauf ankommt. Wir können uns keine Debatteber die Frage leisten, wie es zum Beispiel der Bundes-ehrverband getan haben soll, ob es wohl möglich ist,us einer 250 000 Personen starken Armee 450 Soldatenür vier Monate zur Absicherung eines Wahlprozesses zuchicken. Das würde, wenn das wahr wäre, in der Taton einer falschen Prioritätensetzung zeugen.
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Jürgen TrittinWir sollten auch nicht so tun, als wenn die Debatteüber den Kongo – darin stimme ich dem Bundesaußen-minister ausdrücklich zu – erst jetzt begonnen hätte. Sieist sehr viel älter. Ich will an dieser Stelle all denen, dievon Neokolonialismus und ähnlichem Zeug schwätzen,
ganz deutlich sagen: Ich möchte mich bei den17 000 MONUC-Soldaten aus Bangladesch, aus Indien,aus Guinea-Bissau und aus Pakistan bedanken, die dortseit Jahren im Einsatz sind.
Ich möchte mich bei ihnen bedanken, weil sie dazu bei-getragen haben, dass über 80 Prozent der Kongolesengesagt haben: „Ja, wir wollen wählen.“ Sie haben dazubeigetragen, dass über 16 000 Kindersoldaten jetzt nichtmehr rauben, plündern und vergewaltigen, sondern de-mobilisiert worden sind.Vor diesem Hintergrund muss man die Bitte der Ver-einten Nationen sehen. Sie wollen, dass die Europäer füreinen befristeten Zeitraum von wenigen Monaten zurAbsicherung des Wahlprozesses in der Hauptstadt sind.Die Europäer sollen diese mutigen Soldaten unterstüt-zen. 60 MONUC-Soldaten haben ihr Leben für die Mis-sion hergegeben. Diese mutigen Menschen wollen wirnicht nur bezahlen. Wir wollen sichtbar Flagge zeigen,damit diese Wahlen ordentlich zu Ende gehen.Wir alle wissen, dass am Ende einer Wahl immer aucheiner feststeht, der die Wahl verloren hat. Wir haben unszwar angewöhnt, bei uns im Fernsehen so zu tun, alswürde das nicht stimmen. In Wirklichkeit verliert aberjemand.
Dazu beizutragen, diese demokratische Normalität zu er-fahren und das durchzustehen, das ist die Anforderungan uns. Ich finde, die Bundesregierung muss hier fol-gende Fragen deutlich beantworten: Sind die Kräfte vorOrt hinreichend? Sind sie hinreichend multinational?Wie ist der zeitliche Rahmen abzusichern? Das ist dieAufgabe der Bundesregierung.Aber man kann sich hier nicht so schlank aus der Ver-antwortung stehlen, wie Sie von der Linkspartei das ge-macht haben.
Lieber Herr Hoyer, ich glaube, von der heutigen Um-armung werden Sie sich so schnell nicht erholen.
Die Partei Hans-Dietrich Genschers steht heute in dieserFrage Seite an Seite mit Oskar Lafontaine. Sie sollten indwrNbssndabwePksEUlrDlEffwzsEmDcriSkteBdhrafD
Wenn wir uns einig sind, dass das die Herausforde-ungen sind, dann werden wir gerade mit Blick auf denahen Osten unsere Bemühungen, zu einem Dialogeizutragen, der tatsächlich auf Verständigung zielt, fort-etzen. Ich habe die erste Reaktion von Herrn Olmert aufeinen Wahlsieg mit großem Interesse zur Kenntnis ge-ommen, nämlich die Ansage: Wir wollen auf der Basiser Zweistaatlichkeit zu einer Lösung kommen. Wennls Ergebnis freier Wahlen in den palästinensischen Ge-ieten aber eine Bewegung gewonnen hat, deren Zieleir in Europa nicht teilen, sondern sogar als terroristischingestuft haben, dann muss es in dieser Situation einenrozess des Aufeinanderzubewegens geben. Es musslar sein, dass das Existenzrecht Israels nicht infrage ge-tellt werden darf.
s muss klar sein, dass es einen Gewaltverzicht gibt.nd es muss klar sein, dass die Zweistaatlichkeit wirk-ich anerkannt wird. Das ist eine unabdingbare Forde-ung an jede palästinensische Regierung.
as ist – ich füge das an dieser Stelle hinzu – aber natür-ich auch eine Anforderung an die israelische Regierung.s gehört sich bei Zweistaatlichkeit nicht, dass man Ge-ängnisse im anderen Staat besetzt, um das einmalreundlich auszudrücken.Schließlich komme ich zu den Themen Iran undeltweite Abrüstung. Wir wollen, dass dieser Konfliktivil gelöst wird. Ich sage Ihnen deutlich: Solch eine Lö-ung wird es nur geben, wenn sie gemeinsam mituropa, mit Russland, mit China und, ich füge hinzu:it den USA gefunden wird.
enn der Iran wird zu Recht darauf beharren, dass er Si-herheitsgarantien bekommt. Sie wird er nicht akzeptie-en, wenn er sie nicht auch von den USA bekommt. Dasst aber genau der Hintergrund, vor dem, lieber Frankteinmeier, der Deal zwischen Indien und den USA soontraproduktiv gewesen ist. Wie sieht denn die Situa-ion weltweit aus? Es ist doch frappierend, dass sehrnergiereiche Länder – nicht nur der Iran, sondern auchrasilien – Atomkraftwerke möchten. Sie wollen sieoch nicht, weil sie sie für die Energieversorgung nötigaben, sondern weil ihnen klar ist, dass mit der Uranan-eicherung ein wunderbares Instrument besteht, um Uranls Rückversicherung für nicht friedliche Mittel zur Ver-ügung zu haben.
as ist der Kern des Ganzen.
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2266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Jürgen TrittinWenn wir wollen, dass der Iran seine Urananreiche-rung aussetzt, wenn wir auf die Strategie setzen, imRahmen der Nichtverbreitung zu sagen, dass Urananrei-cherung und, ich füge hinzu: Wiederaufbereitung konse-quent internationalisiert werden sollen, dann ist es vordiesem Hintergrund kein Fortschritt, dass Inspektoren inIndien künftig alle Bereiche ansehen dürfen, aber genaudiesen Schlüsselbereich nicht. Ich habe Verständnis,wenn Mohammed al-Baradei sagt: Ich finde es schön,dass ich da überhaupt einmal reinkomme. – Aber wir alsStaatengemeinschaft, die wir an dem Regime der Nicht-verbreitung interessiert sein müssen, dürfen uns diesesInteresse nicht zu Eigen machen. Dieser Deal war kon-traproduktiv und falsch. Ich finde, dass dieser falscheSchritt, der den Iran in seiner Verhandlungsposition ge-stärkt hat, nicht auch noch nachträglich damit belohntwerden darf, dass hier nun nuklear verwendbares Mate-rial geliefert wird. Sie stehen nun in der Verantwortung,bei Ihrem Einsatz für die Errichtung eines globalenNichtverbreitungsregimes tatsächlich Standhaftigkeit zuzeigen und diesem Deal nicht hinterherzulaufen.
Ich glaube, dass wir uns zurzeit in einer Phase befin-den – das wird auch an der Debatte über die Energie-politik deutlich –, in der Europa, das bei Klimaverhand-lungen, bei Fragen des Welthandels und der Gestaltungder Globalisierung bisher eigentlich eine treibende undproduktive Kraft war, seltsam ziellos daherkommt.Diese Ziellosigkeit hat auch etwas mit der Haltung unddem Verhalten der Mitgliedstaaten zu tun.Ich habe heute bereits einige erstaunliche Aussagengehört. Herr von Klaeden zum Beispiel befürwortetplötzlich die Visumfreiheit für die Ukraine.
– Das ist doch Ihre neue Position. – Aber mit noch grö-ßerem Erstaunen habe ich zur Kenntnis genommen, dassausgerechnet die Linkspartei erklärt hat, die Position derpolnischen Regierung, die den europäischen Verfas-sungsprozess für tot erklärt, sei richtig.
Das, was dazu in der Verfassung steht, ist das kompletteGegenteil von neoliberal.
Die polnische Regierung möchte nichts anderes als dieSchaffung eines gigantischen Binnenmarktes, um ihrekorporativen Vorteile nutzen zu können. Sie will aberkeine politische Vertiefung, also keine Demokratisierungder Europäischen Union.pcwKEsdnRknAgDwazrlssdIg–umehmEEeuudfh
Mit Blick auf die EU-Präsidentschaft der Bundesre-ublik im nächsten Jahr sage ich: Es ist gerade kein Zei-hen einer ambitionierten europäischen Orientierung,enn sich Deutschland in einer Situation, in der dieommission zu Recht sagt, dass wir eine europäischenergiepolitik brauchen, mit den Staaten an die Spitzeetzt, die der Meinung sind, dass das Letztentschei-ungsrecht in der Energiepolitik auch weiterhin bei denationalen Großunternehmen – in Deutschland also beiWE, Eon, EnBW und anderen – bleiben soll. Das istein Schritt in Richtung mehr Versorgungssicherheit, ge-auso wenig wie eine erneute Subventionierung dertomkraft. Das ist das Ziel.Wir werden Europa nur dann für die Bürger überzeu-ender gestalten können, wenn wir mehr Europa wagen.aher müssen wir Schluss damit machen, uns immer,enn es – wie in diesem Fall in der Energiepolitik – hartuf hart kommt, auf den nationalen Vorbehalt zurückzu-iehen. Wir brauchen in dieser Frage eine Europäisie-ung.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kol-
egin Knoche.
Herr Trittin, Sie waren sehr bemüht, Allianzen zwi-chen der FDP und der Linken und womöglich auch zwi-chen der polnischen rechtskonservativen Regierung under Linken herzustellen.
ch möchte Ihnen sagen: Das war ein sehr kurzes Ver-nügen für Sie; denn nichts davon trifft zu.
Ja, in dieser Einschätzung besteht zwischen der FDPnd der Linken keine Differenz.
Was ich aber bedenklich finde, ist, dass Sie die Argu-ente gegen den Einsatz der Parlamentsarmee im Falleines EU-Mandats für den Kongo, die ich vorgetragenabe, einfach von sich gewiesen haben. Das wundertich sehr. Vielleicht sind Ihnen die Institutionen und dientscheidungswege nicht sehr vertraut. Aber wenn diesentscheidung auf EU-Ebene angesiedelt und das Mandatrst einmal erteilt ist, werden interne Vereinbarungennd Übereinstimmungen getroffen, was eine Krise istnd was im Falle einer Krise zu tun ist. Dann wird daseutsche Parlament nicht mehr gefragt sein.Nun sagen Sie, die Parteien, die sich hier im Hauseür ein verfassungskonformes Vorgehen ausgesprochenaben, gingen schräge Allianzen ein. Ich denke, die Ar-
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Monika Knochegumentation von Frau Homburger ist nicht ganz tref-fend. Aber zumindest einen wichtigen Punkt hat sie an-gesprochen: dass ab dem Moment, ab dem dieeuropäische Armee unter europäischem Mandat steht,kein nationales Parlament mehr seine Pflichten erfüllenkann. Das kann niemanden kalt lassen, der sich Demo-krat nennt und die Demokratie in anderen Teilen Euro-pas verteidigen will.
Als wir über das Thema Belarus schon einmal disku-tiert haben, habe ich unzweideutig zum Ausdruck ge-bracht, wie sehr wir das dortige diktatorische Systemverurteilen.
In dieser Debatte habe ich vorgeschlagen, diese Frageeinmal kompakt zu behandeln und dabei auch einzube-ziehen, welche Wege der Demokratisierung – auch wel-che nicht importierbaren oder exportierbaren Wege derDemokratisierung – es beim Prozess der Transformationpostsowjetischer Staaten gibt. Man muss eine ernsthaftePolitik betreiben und darf sich nicht in ideologischeSchlagwörter verlieben, die man hier im Bundestag ver-breitet. Man darf andere Positionen nicht diskreditieren.
Wir werden Ihren Antrag nicht ablehnen, wir werdenihm nur nicht zustimmen. Sie wissen auch, warum. Siehaben uns bewusst nicht an diesem Prozess beteiligt. Siewollen uns außen vor haben. Wir karten nicht nach. Wirverlangen, dass eine solche Debatte als eine eigenstän-dige Debatte in diesem Haus geführt wird.Zu Ihrer Bemerkung, wir würden darüber hinwegse-hen, dass Demonstranten abgeführt wurden, möchte ichsagen: Zwei Abgeordnete der Linksfraktion werdendemnächst als Prozessbeobachter nach Genua reisen.
Dort hat es schwerste Verletzungen – wenn Sie so wol-len: Menschenrechtsverletzungen – gegeben; schließlichkam jemand zu Tode. Es ging gegen das Demonstra-tionsrecht, das die Menschen beim G-8-Gipfel wahrge-nommen haben.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit von drei Minuten ist um.
Wenn es um ein Europa der Demokratie geht, dann
müssen wir zum Beispiel die Vorgänge in Italien in un-
sere Beobachtung mit einschließen.
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ir wollen nicht mit unterschiedlichen Maßstäben mes-en. Dazu gehört auch, dass man das Unrecht auf der ei-en Seite nicht dadurch entschuldigt, dass es auf der an-eren Seite auch Unrecht gibt.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf intellek-uelle Redlichkeit. Ich bin gerne bereit, Ihren Text nach-ulesen. Ich habe gehört, Sie haben sich zur Haltung dersteuropäischen Regierungen zum Verfassungsprozessxplizit positiv geäußert. Es tut mir Leid, wenn ich dasalsch verstanden habe. Ich meine aber, dass ich dasichtig verstanden habe.
s gibt in diesem Zusammenhang nur eine fundierteussage, und das ist die Aussage des polnischen Staats-räsidenten. Das fand ich in der Tat bemerkenswert.Es passt im Übrigen auch. Als ich mir angehört habe,as die Vertreterinnen und Vertreter der Linksfraktionei der gemeinsamen Ausschusssitzung mit dem franzö-ischen Europaausschuss über die Frage, wie es inuropa weitergeht, vertreten haben, habe ich eine ver-lüffende Übereinstimmung bis ins Wörtliche mit dennhängern von Sarkozy festgestellt. Das ist nicht meinuropa. Mein Europa ist ein Europa der Demokratie under sozialen Rechte. Sie finden in dieser Verfassung sehriele demokratische und soziale Rechte, die wir imrundgesetz übrigens vermissen.
Dritte Bemerkung. Wenn man über die Rolle des Par-amentes beim Einsatz der Bundeswehr und dessenechte spricht, dann brauchen wir keine Belehrung. Ichage Ihnen: Es wird auch in Europa Zusagen über deninsatz deutscher Soldaten generell nur unter dem Vor-ehalt des Parlamentes geben.Ich finde, dass man solche Anfragen seriös prüft undicht nach dem Motto verfährt: Weil die Anfrage vonen Vereinten Nationen kommt, können wir nicht Neinagen. Nicht dass Sie mich missverstehen! Ich hätte vonhnen erwartet, auf die Anfrage der Vereinten Nationenicht mit einem einfachen Verweis auf Neokolonialis-us zu reagieren, sondern sich ernsthaft mit der Situa-ion vor Ort zu beschäftigen und mit der Frage, wie eselingen kann, die Wahlen vernünftig über die Bühne zu
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Jürgen Trittinbringen. Das ist das Minimum, um außenpolitischeGlaubwürdigkeit zu beweisen.
Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Der Stand der Debatte lässt mich andersbeginnen als geplant. Es ist festzuhalten – das werdenauch der Kollege Grund, die Kollegin Zapf und der Kol-lege Bodewig, die Beobachter bei den Wahlen in Belaruswaren, noch zum Ausdruck bringen –, dass Ihre Positiongegenüber diesen unfairen Wahlen unhaltbar und diesemParlament unwürdig ist. Sie ist nicht hinzunehmen.
Das ist ein Schlag ins Gesicht von Alexander Konsulinund der anderen Verhafteten sowie der Demokratiebewe-gung und der Zivilgesellschaft. Das können Sie von derLinkspartei am besten dadurch wieder gutmachen, dassSie unserem Antrag zustimmen. Das wäre die richtigePosition.
Ich bin dem Kollegin Trittin sehr dankbar, dass ernoch einmal nicht nur auf die Notwendigkeit, sondernauch auf die Selbstverständlichkeit des Parlamentsvor-behalts bei der Entscheidung darüber hingewiesen hat,ob man sich auf Anfrage der UN an einer EU-Missionim Kongo beteiligt. Das ist das Nonplusultra. Hier undnirgendwo anders wird entschieden.
Bis zur Entscheidung werden alle Fragen zu stellen undauch zu beantworten sein. Manchmal ist es auch so, dassman sich diese Mandate erarbeiten und Informations-lücken und Emotionen, die man durch Sozialisationmöglicherweise gewonnen hat, schließen bzw. überwin-den muss, um zu richtigen Entscheidungen zu kommen.Dies scheint doch eine zu gelingende Mission zu sein.Sie wird gelungen sein, wenn wir die Wahlen erfolgreichabgesichert haben, wenn zum Verfassungsprozess auchnoch der Demokratisierungsprozess – durch Wahlvor-gänge zum Präsidentenamt und zum Parlament – hinzu-gekommen ist und wenn wir – auch das ist gesagt wor-den – 15 000 Kindersoldaten entwaffnen, demobilisierenund wieder mit ihren Familien zusammenführen konn-ten. Wir wollen und müssen die gute Arbeit der NGOsugswhudsdVdsgddsBmlgNiEgiaBdMGzfMtwEgrWdstEgks
Der Herr Außenminister hat hier selbstverständlichie strategischen und operativen Schwerpunkte dereutschen Außenpolitik vorgetragen. Ja, die Globali-ierung muss positiv gestaltet werden. Ja, die deutscheneiträge zur Bekämpfung des internationalen Terroris-us sind zu leisten. Die EU muss vertieft und verträg-ich erweitert werden. Die transatlantischen Beziehun-en sind zu intensivieren und die Reform der Vereintenationen ist weiter zu betreiben. Dabei gilt es – auch dasst in den Debattenbeiträgen angeklungen –, die Feldernergieversorgung und internationale Sicherheit, Demo-rafie und internationale Sicherheit sowie Migration undnternationale Sicherheit aktiv zu begleiten.Ich denke, wir sind uns in diesem Haus einig, dassuch für die neue Regierung das gilt, was bisher für alleundesregierungen nach dem Krieg gegolten hat: Dieeutsche Außen-, Sicherheits-, Entwicklungshilfe- undenschenrechtspolitik dient dem Frieden. Das ist dierundkonstante unserer Politik, die Demokratie und so-iale Gerechtigkeit auch außerhalb unseres Vaterlandesördert.
Ich denke, dass wir hier – das hat die Kanzlerin heuteorgen zu Recht gesagt – unsere Werte mit unseren In-eressen in Einklang bringen werden. Dabei wünschenir dem Außenminister, der einen guten Start hatte, vielrfolg. Herr Hoyer, Sie haben sich mit Ihren Anmerkun-en fahrlässig oder sogar vorsätzlich an der Erschwe-ung dieses Starts beteiligt.
ir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion sind aufiesem Weg an der Seite der Bundeskanzlerin. Wir wün-chen Ihnen viel Glück und Erfolg bei diesen verantwor-ungsvollen Aufgaben.Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik sowie dientwicklungs- und Menschenrechtspolitik werden auf-rund ihrer Professionalität und Verlässlichkeit aner-annt und brauchen den weltweiten Vergleich nicht zucheuen. Die Markenzeichen der deutschen Politik sind
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Walter Kolbowund bleiben Kontinuität und Verantwortungsbewusst-sein. Die Anmerkung sei mir gestattet: Wer Überlegun-gen zu Veränderungen anstellt oder gar versehentlich dasWort Revision in den Mund nimmt, der sollte diesen Teilseiner Ausdrucksweise im Dialog privatissime et gratisüberdenken.
An dieser Stelle sollte unser Glückwunsch nicht nuran Herrn Olmert, sondern auch an unseren Freund Peretzvon der Arbeiterpartei gehen. Diese beiden Politiker tra-gen eine große Verantwortung. Die neue israelische Re-gierung braucht alle Kräfte, um zu einer friedlichen Ent-wicklung zu kommen. Ich glaube, wir sind uns darübereinig, dass nach den Wahlen die Hamas und die neue is-raelische Regierung endlich aufeinander zugehen kön-nen. Wir in Deutschland unterstützen die politische For-derung des Nahostquartetts nach einer schnellenWiederaufnahme der Roadmap.
Ich komme gerade von einer Balkanreise zurück. Ichhabe in Belgrad, aber auch in Priština gesehen, wie beiden Wiener Verhandlungen um ein Ergebnis gerungenwird. Wir müssen dafür Sorge tragen, Präsident Tadić inSerbien in seinem Bemühen zu unterstützen, die demo-kratischen Kräfte gegen die radikalen Nationalisten undgegen die Milošević-Sozialisten zu stärken, damit vondort Friedens- und Verhandlungsbereitschaft erkennbarist,
die die Kosovaren signalisieren, die – darin sind sie sicheinig – zur Kooperation mit den Serben bereit sind. Um-gekehrt scheint mir dies im Augenblick nicht der Fall zusein.Herr Außenminister, Sie werden in der internationa-len Gemeinschaft akzeptable, nicht besserwisserische,aber engagierte deutsche Beiträge einbringen. Die so-zialdemokratische Bundestagsfraktion ist an Ihrer Seite.
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Löning, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrSteinmeier, Sie sagten vorhin, dass die EU mehr als nurBinnenmarkt und Verfassung ist. Ich will Ihnen in die-sem Punkt ausdrücklich zustimmen. Als Vorbemerkung will ich deutlich machen, wiewichtig es ist, dass wir unsere Werte in Osteuropa hoch-halten und dort die Bemühungen um Demokratie unter-stützen.Die EU ist aber eben auch Binnenmarkt und Verfas-sung. Die Frage, die wir uns angesichts der Krise undder fehlenden Glaubwürdigkeit der EU stellen müssen,ist: Wie begegnen wir der Europamüdigkeit und Euro-paskepsis unserer Bevölkerung und wie überzeugen wirsrhkwIgthzmRdVhTsMszmdgdddndwzDIesngduSsssPkcv
Lassen Sie mich zwei kurze Anmerkungen zur Ener-iepolitik der Europäischen Union machen. Ich glaube,ass es auch in der Energiepolitik wichtig ist – darin wi-erspreche ich Ihnen ausdrücklich, Herr Trittin –, dassie EU zunächst ihre ureigene Aufgabe wahrnimmt,ämlich einen funktionierenden Binnenmarkt im Sinneer Verbraucher sicherzustellen. Wir brauchen Wettbe-erb auf dem Energiemarkt. Günter Rexrodt hat seiner-eit im Deutschen Bundestag damit begonnen, ineutschland auf diesen Wettbewerb hinzuarbeiten, undhre Regierung, Herr Trittin, hat dann dafür gesorgt, dasss kein Erfolg geworden ist.Wir müssen für Wettbewerb auf dem Energiemarktorgen, damit unsere Verbraucher davon profitieren kön-en. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, dass wir unsere Energieinteressenegenüber Dritten gemeinsam vertreten müssen. Dassie Energiepolitik ein Teil der Gemeinsamen Außen-nd Sicherheitspolitik wird, ist ein guter und wichtigerchritt. Gemeinsam sind wir stärker. Wir haben gemein-ame Interessen, die wir endlich einmal definieren müs-en. Das Durcheinander am Schwarzen Meer, im kauka-ischen Raum und anderswo, wo jeder der europäischenartner seine eigene Politik verfolgt, ist unerträglich undontraproduktiv. Es geht zu unseren Lasten. Andere ma-hen deutlicher, was sie wollen, und sie profitieren da-on.
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Markus LöningWas wir in der Energiepolitik nicht brauchen – inso-weit ist die Entscheidung des Gipfels zu begrüßen –,sind weitere gemeinsame Institutionen und eine Erweite-rung der Zuständigkeiten der EU. Die EU sollte zunächsteinmal das erfolgreich machen, wofür sie schon zustän-dig ist.Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Lissabon-prozess machen. Das Abschlussdokument enthält eineendlose Aufreihung von Punkten, die im Wesentlichenrichtig sind. Aber ich warne ausdrücklich davor, Zielewie die Schaffung von jährlich 2 Millionen neuer Ar-beitsplätze innerhalb der EU festzuschreiben. AndereLänder sind damit erfolgreich; wir sind es nicht. Damitwerden Erwartungen an die EU geweckt, die sie nicht er-füllen kann.Es ist unredlich, wenn wir vom Europäischen Rat et-was beschließen lassen, das wir in Deutschland nichtumsetzen. Das führt zu Verdrossenheit, weil dann, wennes nicht klappt, mit dem Finger auf die EU gezeigt undder Vorwurf erhoben wird, dass nur große Sprüche ge-macht werden, aber nichts umgesetzt wird. Dabei liegtdie Schuld dafür bei den nationalen Regierungen. Dortmüssen die Hausaufgaben gemacht werden, statt zu ver-suchen, die Schuld auf Brüssel zu schieben.
Auf dem EU-Gipfel wurde die Umsetzung derDienstleistungsrichtlinie begrüßt. Es ist zwar schön,dass etwas passiert, aber es handelt sich in diesem Fallum einen völlig mutlosen Schritt. Es fehlt der politischeMut. Ich glaube, das müssen wir alle deutlicher nach au-ßen vertreten. Der Erfolg der Europäischen Union be-steht gerade darin, dass wir alle unsere Märkte geöffnetund den politischen Mut gehabt haben, darauf zu bauen,dass wir letztendlich alle gewinnen, wenn wir unsereMärkte auch für unsere Nachbarn öffnen. Das war dasErfolgsrezept der Europäischen Union. In diesem Sinneist der Kompromiss der Dienstleistungsrichtlinie außer-ordentlich enttäuschend.An dieser Stelle lässt sich auch noch die Position derBundesregierung zur Freizügigkeit anführen, die eben-falls von großer Mutlosigkeit geprägt ist. Es ist sehrschade. Sie verschenken eine große Chance, zu zeigen,welchen Mehrwert Europa bringen kann.
Lassen Sie mich zur Verfassungsdebatte nur so vielfeststellen: Sie haben sich im Koalitionsvertrag sehr vielvorgenommen. Inzwischen haben Sie erkannt, dass das,was Sie angepeilt haben – nämlich schnell neue Impulsezu geben –, nicht realistisch ist, und jetzt rudern Sie zu-rück. Die Kanzlerin rudert zurück, auch öffentlich.Ich glaube, dass es neben der Denkpause, die wir hin-sichtlich der Verfassung einlegen müssen, wichtig ist, inder Zeit bis zur Ratifikation der Verfassung Erfolge vor-zuweisen. Es wird nicht genügen, den Text etwas zu än-dern. Für die Stimmung in den Mitgliedsländern wirdvielmehr wichtig sein, klar zu machen, dass Europa einEwtgeBnudwwdzwuEGrfsenUctinouwgadzzwusne
s ist uns nicht egal, wenn Tausende verhaftet und inefängnisse gebracht werden – die Angehörigen erfah-en noch nicht einmal, wo sie sind – und ihnen Haftstra-en von bis zu zwölf Jahren drohen, nur weil sie von die-em Recht Gebrauch gemacht haben. Es darf uns nichtgal sein, wenn Menschen beginnen, ihre Angst vor ei-er Diktatur zu überwinden. Das bedarf unserer aktivennterstützung.
Liebe Frau Knoche, ich verstehe oft nicht die mögli-herweise besondere Affinität der Linkspartei zu Dikta-uren. Ob es Milošević oder Saddam Hussein gewesenst, ob es Fidel Castro oder Lukaschenko ist, ich versteheicht, was an der Politik dieser Diktatoren sozialistischder demokratisch sein soll. Sie ist einfach reaktionärnd menschenverachtend.
Am 19. März dieses Jahres fanden Präsidentschafts-ahlen in Belarus statt. Diese Wahlen waren per se ille-itim; denn sie beruhten auf einer Verfassungsänderung,uf einem Referendum vom 17. September 2004, mitem sich Lukaschenko die Möglichkeit verschafft hat,u einer dritten bzw. sogar zu einer vierten Amtszeit an-utreten. Die OSZE-Beobachter, die schon 2004 dort ge-esen sind, bestätigen: Diese Wahlen waren gefälschtnd widersprachen der belarussischen Verfassung. Dasteht unzweifelhaft fest.Nun hat sich Lukaschenko am 19. März selbst inthro-isiert. Er hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, sichinen demokratischen Anschein zu geben; denn 50 bis
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Manfred Grund60 Prozent der belarussischen Gesellschaft – wir könnenes nicht genauer quantifizieren – sind durchaus mit derwirtschaftlichen Situation einverstanden. Hinzu kommt,dass die Entwicklungen in den Nachbarländern alles an-dere als ermutigend sind. Den Belarussen fehlt es erstensan Perspektiven und zweitens an Informationen.Ich, der ich zusammen mit anderen Kollegen alsWahlbeobachter dort gewesen bin – es wäre wünschens-wert gewesen, wenn auch die Linksfraktion einen Wahl-beobachter gestellt hätte – und erlebt habe, wie manWahlen manipuliert und Menschen einschüchtert, weilich aus einer Diktatur komme, habe in Belarus die glei-che Situation vorgefunden, die ich bis 1989 in der DDRzur Genüge erlebt habe. Den Menschen werden Informa-tionen vorenthalten. Sie leben in Angst und Abhängig-keit und es fehlt ihnen an Perspektiven. Wir konzedierenaber mit Freude, dass die Belarussen beginnen, ihreAngst abzulegen, und dass sich die Oppositionsparteiendas erste Mal seit 1996 organisieren und sich mitAlexander Milinkewitsch auf einen Kandidaten verstän-digt haben, der durchaus in der Lage ist, Vertrauen zuvermitteln.Die entscheidende Frage ist aber, wie die Menschennicht nur in Minsk, sondern auch in der belarussischenProvinz informiert werden können. Hier haben wir, dieEuropäische Union und insbesondere Deutschland, mitInformationsprogrammen, mit Radioprogrammen zuwirken begonnen, um das Meinungsmonopol des Staatesbzw. des Regimes zu brechen. Wir sollten an diesen In-formationsprogrammen festhalten bzw. sie sogar aus-dehnen.
Wir wollen keine Subversion ausüben. Aber wir wollen,dass die Menschen Informationen bekommen. Das istder erste Punkt.Zweitens. Mit unserem fraktionsübergreifenden An-trag – eine Fraktion trägt ihn nicht mit – fordern wirLukaschenko und sein Regime auf, die Verhafteten frei-zulassen bzw. für faire und transparente Verfahren zusorgen, zu denen auch die Öffentlichkeit zugelassen ist.Wir möchten, dass Alexander Kosulin, einer der Opposi-tionsführer, umgehend freigelassen wird und dass ein in-tensiver Dialog darüber geführt wird – das sage ich andie Adresse der Europäischen Union, aber auch an dieunserer Regierung –, wie wir in Zukunft mit dem Re-gime in Belarus umgehen sollen. Welches Angebot ha-ben wir im Rahmen der europäischen Nachbarschafts-politik zu machen? Bei welchen Angeboten ist dasRegime bereit, mit uns zusammenzuarbeiten? Wie kön-nen wir die Zivilgesellschaft und die Opposition stär-ken? Das hat viel mit Information zu tun.Möglicherweise, Herr Kollege Trittin, müssen wir unsauch überlegen, ob wir demnächst tatsächlich 60 Eurofür ein Schengenvisum nehmen können, das jemand ausBelarus braucht, um in die baltischen Staaten, nachPolen oder nach Deutschland zu kommen. Ich glaube,dass wir in der Lage sind, Visaerleichterungen von Visa-missbrauch zu trennen. Wir sind aufgefordert, der bela-rzddRWJmBssAucvWnstdfUsPlUdadkaSlgssMsaUgi
Ich erteile das Wort Kollegen Norman Paech, Frak-
ion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-esaußenminister, Sie haben es erwähnt: Morgen emp-angen Sie Vertreter der fünf ständigen Mitglieder desNO-Sicherheitsrates, um mit ihnen ein Problem zu be-prechen, das die USA als das größte außenpolitischeroblem der nächsten Zukunft bezeichnet haben, näm-ich das iranische Atomprogramm. Nun haben dieSA sich entschlossen, wie damals im Falle des Iraksen Schraubstock des UN-Sicherheitsrats auch dem Irannzulegen. Man weiß allerdings nie, wer dabei mehr inie Klemme kommt: der, der dreht, oder der, der einge-lemmt werden soll.
Sie versichern zwar immer – ich glaube Ihnen dasuch –, Herr Steinmeier, dass es nicht zu militärischenanktionen kommen soll. Aber was verleitet Sie eigent-ich, Ihren Kollegen Rumsfeld und Cheney nicht zulauben, die immer wiederholen, dass nichts ausge-chlossen werden darf und damit auch nicht die militäri-che Option? Wer sich – das ist die Warnung – in denechanismus des UNO-Sicherheitsrats begibt, wird eschwer haben, sich aus ihm wieder herauszulösen, bevorlle seine Mittel ausgeschöpft sind. Kapitel VII derNO-Charta ist in den Händen Ihrer Kollegen ein ver-iftetes Friedensangebot, weil die militärische Optionmmer enthalten ist.
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Dr. Norman PaechVor zwei Tagen erst hat das hier in Berlin eine großeRolle gespielt, als der ehemalige US-SicherheitsberaterZbigniew Brzezinski auf einem Forum der HessischenStiftung Friedens- und Konfliktforschung diese Optionals ein Hindernis für die Verhandlungen bezeichnet hat,weil sie auf der Seite derer, mit denen man verhandelnwill, eigentlich nur Furcht erzeugt. Wenn Sie, Herr Bun-desminister, den Verhandlungsweg noch nicht abge-schrieben haben, wird es morgen auch um einen Kom-promissvorschlag an den Iran gehen, das heißt konkret:um den Abschied von der Maximalforderung an denIran, vollständig und auf unbestimmte Zeit auf die Uran-anreicherung zu zivilen Zwecken zu verzichten. Staats-minister Erler hat einen solchen Schritt bereits angedeu-tet und das ist sehr positiv.Machen wir uns Folgendes einmal klar: Da gebensich die Staaten einen Atomwaffensperrvertrag alsAtomwaffenordnung und dann kommen die mächtigstenStaaten daher und zwingen die schwächeren Staaten, aufdie Rechte aus diesem Vertrag zu verzichten. Gleichzei-tig kümmern sich die stärksten Staaten einen Dreck umihre eigenen Verpflichtungen aus diesem Vertrag,
indem sie immer neue Generationen von Atomwaffen– ob Mininukes oder Trident-Nachfolger – entwickeln.Diesen Zynismus können Sie niemandem vermitteln; soetwas ist zutiefst unglaubwürdig.
Eine Maxime jeder glaubwürdigen Außenpolitik lautetdoch: Behandle andere nach den gleichen Prinzipien,nach denen du selbst behandelt werden möchtest!Das gilt auch für einen zweiten Konflikt, den ich an-sprechen möchte und der seit langem die Form einesZermürbungskrieges angenommen hat, den Konfliktzwischen Palästina und Israel. Ohne eine Lösung wirdder ganze Nahe und Mittlere Osten nie zur Ruhe kom-men. Sie kennen den Vorschlag, den wir gemacht haben:eine Konferenz für Frieden und Zusammenarbeit im Na-hen Osten einzuberufen, die nicht nur helfen soll, das Pa-lästinaproblem, sondern auch das Problem des irani-schen Atomprogramms zu lösen. Nach zwei Wahlen inPalästina und in Israel kann die deutsche Außenpolitikihre immer zu Recht betonte Verantwortung für die Re-gion nicht mehr dadurch erfüllen, dass sie auf der einenSeite Druck erzeugt, der anderen Seite aber alles, was siemacht, ohne einen offenen Kommentar durchgehen lässt.Es ist vollkommen richtig, von einer von der Hamasgeführten Regierung die Anerkennung des Existenz-rechts Israels, die Einhaltung der abgeschlossenen Ver-träge und der internationalen Verträge und die Einstel-lung aller Terrorakte und aller Gewalt zu fordern. Aberfordern Sie auch von der neuen Regierung in Jerusalemnicht nur die Einhaltung der Roadmap, die – auch durchdie vergangene israelische Regierung – vollkommenverschlissen ist, sondern auch ganz konkret die Anerken-nung eines souveränen palästinensischen Staates, dieEinhaltung aller Verträge und des Völkerrechts, die Auf-gabe der Besatzung der Westbank und den Abzug allerSThdeOtNednmrehBiwdalBWhaDlnLfPseba
Ich erteile das Wort Kollegin Marieluise Beck, Frak-ion Bündnis 90/Die Grünen.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-EN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nurin Satz zu Herrn Paech: Wer sich in dieser Weise voner Politik der Vereinten Nationen absetzt, für den bleibtur noch nationale oder nationalistische Politik. Dasöchte ich hier festhalten.
Ich bin dem Kollegen Grund sehr dankbar – wir wa-en uns über alle Fraktionen hinweg darin einig –, dassr so eindringlich die Situation in Belarus geschildertat. Es gibt seitenlange Listen mit Verhafteten. Es gibterichte von jungen Frauen, von Studentinnen, dass sien der Haft von Milizen mit Vergewaltigung bedrohtorden sind und ihnen gesagt worden ist, sie würden inen Wald verschleppt und dort umgebracht. Es geht dortlso ganz fürchterlich zu.Wir sollten uns darüber im Klaren sein: Das eigent-ich Entscheidende wird sein, dass wir unser Interesse anelarus aufrechterhalten.
ir haben in kurzer Zeit zweimal darüber debattiert. Sieaben sicherlich eine realistische Einschätzung gegeben,ls Sie sagten, wir würden einen langen Atem brauchen.ie Reformbewegung und die Opposition werden einenangen Atem brauchen. Deswegen brauchen auch wir ei-en langen Atem.Es gibt über ganz vieles Einigkeit: Das Regimeukaschenko ist diktatorisch. Die Wahlen waren wederrei noch fair. Das Lukaschenko-Regime ist für uns keinartner. Es gibt Einigkeit in der Forderung nach Freilas-ung der Verhafteten. Ich möchte noch einmal daranrinnern, dass es nach wie vor seit dem 16. Septem-er 1999 vier Verschwundene gibt, deren Schicksal nieufgeklärt worden ist, und es gibt einen ehemaligen
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Marieluise Beck
Oppositionsführer, der auch schon sehr profiliert war,Herrn Marinitsch, der mit seiner Verhaftung aus demVerkehr gezogen worden ist und fast schon vergessen zuwerden droht. Das darf nicht noch einmal mitMilinkewitsch passieren.
Es gibt aber auch eine andere Entwicklung. Die Angstscheint gebrochen zu sein. Es gibt eine sichtbare Opposi-tion und es gibt Führungspersonen in dieser Opposition.Wir können vor allen Dingen feststellen: Der nächsteAnlauf wird von einem höheren Niveau aus beginnen.Die Frage ist jetzt, was es für uns zu tun gibt. Wir ha-ben eben über die Informationspolitik gesprochen. DieReichweite des erwähnten Radiosenders ist vollkommenunzulänglich. Da muss etwas passieren. Zum Beispielmuss der Visabann auf diejenigen ausgeweitet werden,die sich Verbrechen schuldig machen. Ich glaube, dasind wir uns einig, Stichwort „Einfrierung von Aus-landskonten“.Sanktionen zu verhängen, ist ein zweischneidigesSchwert. Wir wissen, dass Saddam Hussein ökonomi-sche Misswirtschaft immer auf Sanktionen statt auf dieeigene Politik schieben konnte. Wir sollten wissen: Bela-rus exportiert Energie, die es billig von Russland be-kommt, und erzeugt Düngemittel in großem Umfang.Wir sind Abnehmer. Devisen sind ein mächtiges Mittel.Über diesen Zusammenhang ist nachzudenken.Das Wichtigste bleibt allerdings die Unterstützungder mutigen Menschen in Belarus. Wir wissen, es sindvor allen Dingen junge, gut ausgebildete Menschen, diesich in dieses dumpfe System Lukaschenko nicht mehreinbinden lassen wollen. Hier kommt jetzt unsere Ver-antwortung ins Spiel. Wir wissen, dass viele dieser jun-gen Menschen eine Exmatrikulation zu erwarten haben.Uns ist bekannt, dass viele Wissenschaftler nicht mehrwerden weiterarbeiten können. Wir sollten dem Beispielder polnischen Rektorenkonferenz folgen. Sie hat sichdazu bereit erklärt, 200 Studenten an polnischen Univer-sitäten aufzunehmen.
Ich hoffe – damit verbunden ist ein eindringlicher Ap-pell –, dass wir uns in Deutschland – vielleicht sogar zu-sammen mit Frankreich und Polen – zu einer solchenInitiative durchringen können; denn sonst leisten wirkeine Unterstützung, sondern weinen nur Krokodilsträ-nen. Das sollten wir nicht tun. Um es hier klar zu sagen:Es wird dabei auch um Stipendien gehen, um Sprach-kurse und Ähnliches mehr.Über die Frage der restriktiven Visavergabe kannhier anscheinend wieder rational gesprochen werden.Wer sich isoliert, der darf sich nicht wundern, dass derInformationsaustausch nicht funktioniert. Wir müssennach Wegen der Öffnung suchen. Die 60 Euro für einSiPBssRkdZggrshgassshlnDdsiwnwgkVgdcmDTsdNRwz
Wir müssen in diesem Haus auch wieder über Tschet-chenien reden. Die schwierigen Auseinandersetzungenm Irak, der Extremismus eines Ahmadinedschad, daseltweite islamistische Terrornetz, das alles rechtfertigticht die nackte, oft ziellose und immer haltlosere Ge-alt gegenüber den Tschetschenen, übrigens auch ge-enüber Inguschen, Nordosseten und anderen nordkau-asischen Völkern. Entführungen, wahlloseerhaftungen, Folter, erpresste Geständnisse, erzwun-ene Denunziationen, ein Marionettensystem Kadyrow,as immer mehr paramilitärische Terrortruppen entwi-kelt, das alles dürfen wir hier nicht schweigend hinneh-en.
erzeit hat niemand eine Antwort darauf, wie es inschetschenien weitergehen soll.Anders als damals aus Bosnien gibt es aus Tschet-chenien keine Bilder. Ich fordere dieses Haus und auchie Regierung auf, den Blick dennoch wieder in denordkaukasus zu richten und dem strategischen Partnerussland sehr deutlich zu sagen, dass G 8 zu G 7 wird,enn man nicht zu Rechtstaatlichkeit und Demokratieurückkehrt.
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2274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Für den Europarat heißt das: Einen Vorsitz kann nichthaben, wer im Windschatten des Kampfes gegen den is-lamistischen Terror viele Menschen im Kaukasus zu Un-recht terrorisiert.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechtesind unteilbar. Wir sind uns in diesem Haus darüberweitgehend einig. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch indiesem Hause, im Plenum und im Ausschuss, wiederüber das schwierige Thema Tschetschenien sprechen.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Axel Schäfer, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist erfreulich, dass es in diesem Hause in der außen- und
europapolitischen Debatte unter vier Fraktionen eine
große Übereinstimmung gibt, vor allem weil das nicht
überall in Europa der Fall ist.
Dennoch sollten wir gerade auf dieser Grundlage durch-
aus unterschiedliche Pointierungen vornehmen. Es
kommt ja nicht nur darauf an, dass man diskutiert, son-
dern auch darauf, wie man diskutiert. Also: nach vorn
gewandt, mit Mut und nicht mit Kleinmut!
Der erste Punkt. Wir setzen den europäischen Ver-
fassungsprozess fort. Ende dieses Jahres werden zwei
Drittel aller Länder ratifiziert haben; wir sind dabei. Wir
sollten diejenigen, die jetzt die Ratspräsidentschaft über-
nehmen – Portugal, Tschechien, Schweden –, daran erin-
nern, dass sie eine besondere Verantwortung haben, in
der Zeit ihrer Präsidentschaft die Ratifizierung erfolg-
reich durchzuführen.
Wenn wir diesen Prozess am Leben halten, setzen wir
auch ein eindeutiges Kontra zu Sprüchen wie „Die Ver-
fassung ist tot“ oder „Nizza oder der Tod“. Wir können
seriös nicht vor 2009 entscheiden, wie bestimmte Pro-
bleme überwunden werden müssen; Stichwort: die bei-
den Referenden in den Niederlanden und in Frankreich.
Ein Zweites. Die Beitrittsperspektive bleibt. Europa
ist für europäische Länder offen, seit die Grenzen offen
sind. Es darf sich keine Methode entwickeln, die da
heißt: Das Boot ist voll. – Das Boot braucht wohl eine
neue Steuerung und einen stärkeren Motor, aber wir
müssen die von uns eingegangenen Verpflichtungen er-
füllen und mit der europäischen Perspektive auch allen
Hoffnungen gerecht werden, die in den Ländern beste-
hen. Gleichzeitig müssen wir deutlich machen – da sind
wir wieder bei der Verfassung –, dass die Aufnahme
weiterer Staaten nur möglich ist, wenn wir eine gemein-
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Zusammenfassend Folgendes, liebe Kolleginnen und
ollegen: Wir leisten als Deutsche einen Beitrag zu
uropa. Der deutsche Europabeitrag in der ersten Hälfte
es 20. Jahrhunderts waren der Griff danach, Weltmacht
u werden, und der Weltkrieg. Der deutsche Beitrag in
er zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, in einem
emeinsamen Europa als Deutsche dem Frieden in der
elt zu dienen. Daran arbeiten wir; das ist wichtig. Das
st deutsche Politik in Europa; das ist europäische Politik
n Deutschland.
Kollege Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage desollegen Dehm? – Das verlängert Ihre Redezeit.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2275
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Meine Redezeit war schon zu Ende.
Ich frage Sie trotzdem sehr gerne, Kollege Schäfer.
Geben Sie mir Recht, dass es keinen Hauch von Natio-
nalismus gibt, wenn man sich auf den heißen konstitutio-
nellen Atem unseres Grundgesetzes von 1949 und nicht
auf den eiskalten Hauch des Neoliberalismus bezieht, in-
dem man in einer neuen europäischen Verfassung, in ei-
nem neuen Europa die Sozialbindung des Eigentums
nach Art. 14 – „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch
soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ –
verankert, statt Neoliberalismus hineinzuwünschen?
Die europäische Verfassung hat wichtige, zentrale
Elemente des Grundgesetzes übernommen. Sie brauchen
hier keine Ausrede zu finden, warum Sie zusammen mit
den französischen Neofaschisten eine Kampagne gegen
die EU-Verfassung machen. Dafür gibt es keine Ent-
schuldigung!
Ich erteile das Wort Kollegen Harald Leibrecht, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dasweißrussische Volk hat gewählt; aber eine echte Wahlwar es nicht. Ich danke den Wahlbeobachtern, auch ausdiesem Hohen Haus, die nach Weißrussland gefahrensind, sich die Sache dort angeschaut haben und scho-ckiert zurückgekommen sind. Das weißrussische Volkwurde einmal mehr von Lukaschenko betrogen; dasmüssen wir deutlich und klar aussprechen.
Der Betrug fing bereits sehr viel früher an, schon bei derKandidatenaufstellung, und hat sich durch den ganzenWahlkampf gezogen.Ein Regime wie in Weißrussland, das die Menschen-rechte mit Füßen tritt, das seinem eigenen Volk freieWahlen abspricht, das friedliche Demonstranten mitKnüppeln niederschlägt und unbequeme Kritiker ohneGrund verhaften lässt, muss endlich deutlich und klarvon der internationalen Völkergemeinschaft in dieSchranken gewiesen werden.
DIztlgAMsNvdemWactduhsZdrvPuUhpmKaakorDbdEdd
atürlich werden hier Erinnerungen an die orangene Re-olution in der Ukraine wach, wo die Demokratie beien Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag letzt-ndlich wieder beeindruckend bestätigt wurde.Jetzt geht es darum, das weißrussische Volk, die De-okraten dort nicht allein zu lassen. Die Menschen ineißrussland haben wahrlich etwas Besseres verdientls diesen ewiggestrigen Diktator Lukaschenko.
Ich danke Kollegen Grund, dass er klar ausgespro-hen hat, dass gerade wir Deutschen im wiedervereinig-en Deutschland eine besondere Verantwortung haben,emokratische Kräfte in unterdrückten Staaten zunterstützen. Ich bin froh über die Debatte, die wir heuteier führen, und über den interfraktionellen Antrag. Dasind, glaube ich, ganz wichtige Signale, die zur richtigeneit aus diesem Hohen Haus kommen. Solche Signaleer Unterstützung und der Solidarität werden in Weiß-ussland durchaus gehört, auch wenn es dort nach wieor große Unterdrückung und Einschränkungen derressefreiheit gibt.Mit dieser Debatte machen wir Lukaschenko und Conmissverständlich deutlich, dass wir die Existenz einesnterdrückungsregimes mitten in Europa nicht einfachinnehmen. Wir Deutschen, aber auch die anderen euro-äischen Regierungen müssen jetzt endlich handeln. Wirüssen die Demokratiebewegung dort unterstützen, mitontakten, Besuchen und Einladungen, aber natürlichuch mit Geld, Material und Informationen. Wir müssenuch Sanktionen gegenüber der weißrussischen Nomen-latura durchsetzen, also zum Beispiel Konten einfrierender weitere Reisebeschränkungen für politische Füh-ungskräfte aussprechen.
a muss auch Russland mitmachen.Ich bin Frau Kollegin Beck für ihre klaren Worte dank-ar. Wir haben diese oft eingefordert. Aber ich hätte miriese kritischen Worte im Hinblick auf die demokratischentwicklung in Russland, über die wir sehr besorgt sind,amals von unserem früheren Außenminister Fischer undem früheren Bundeskanzler Schröder gewünscht.Danke schön.
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2276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Harald Leibrecht
Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Silberhorn,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Selten stand eine Bundesregierung in der Au-
ßen- und Europapolitik so kurz nach Regierungsantritt
vor so gewaltigen und auch drängenden Herausforderun-
gen. Ich glaube, es ist sowohl der Bundeskanzlerin als
auch Ihnen, Herr Bundesaußenminister, ausgesprochen
gut gelungen, mit Umsicht, mit Hartnäckigkeit und mit
einigem Geschick diese Herausforderungen anzugehen
und zu zeigen, dass Sie Ihr Amt vom ersten Tag an im
Griff haben. Deswegen möchte ich die Gelegenheit nut-
zen, Ihnen dafür ein herzliches Dankeschön zu sagen.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind in
der Tat gewaltig. Gestatten Sie mir, dass ich mich hier
auf die europäischen Fragen beschränke.
Die Europäische Union hat nach der Osterweiterung
und nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages in den
Niederlanden und in Frankreich ihren neuen Rhythmus
ersichtlich noch nicht gefunden. Ganz im Gegenteil: Wir
müssen feststellen, dass die Heterogenität in den Mit-
gliedstaaten zugenommen hat. Wir müssen auch feststel-
len, dass ganz entgegengesetzte Vorstellungen in der
Ordnungspolitik und bei den integrationspolitischen Zie-
len vorherrschen. Wir müssen erneut folgende Fragen
beantworten: Wollen wir in Richtung Liberalisierung
oder in Richtung eines neuen Wirtschaftspatriotismus
gehen? Wollen wir weiterhin vertiefte Integration oder
wollen wir zurück zu einer gehobenen Freihandelszone?
Es ist an der Zeit, dass wir gemeinsam unsere Ziele
neu definieren und den Kurs neu bestimmen. Für mich
ist dabei klar: Wir können nicht den Weg zurück in Rich-
tung einer neuen Abschottung gehen. Dieser Weg ist si-
cherlich nicht dazu geeignet, die vor uns stehenden He-
rausforderungen zu bewältigen. Wir müssen vielmehr
weiter nach vorne schauen. Dabei dürfen wir aber nicht
in eine operative Hektik verfallen, solange noch weitge-
hend geistige Windstille über den zukünftigen Kurs
herrscht. Ich rate uns deswegen, beim Vorwärtsgehen
nicht so schnell zu laufen, dass wir über die eigenen
Füße stolpern, wie das jetzt beim europäischen Verfas-
sungsvertrag passiert ist. Ich hoffe, dass dies im Hinblick
auf die Erweiterungsstrategie nicht ein weiteres Mal pas-
siert.
Ein erster denkbarer Schritt ist die Hinwendung zu ei-
ner soliden Finanzpolitik in der Europäischen Union.
Ich möchte dieses Thema im Rahmen dieser Haushalts-
debatte nur kurz streifen. Das betrifft zwar erst die
Haushalte ab 2007, aber ich denke, es muss auch in der
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Ja, bitte schön.
Nachdem ich die Redezeit des einen Koalitionspart-ers verlängert habe, möchte ich das in paritätischereise auch für den anderen Koalitionspartner tun.Herr Kollege Silberhorn, Sie waren mit uns in Paris.ieses Treffen hat sowohl in der Rede des Kollegenrittin wie auch vorhin in der Rede des Kollegen Schäferine Rolle gespielt. Als Kollege Schäfer die Nähe zu deneofaschisten aufgemacht hat, hat es ganz gewiss nichtur uns, sondern auch einigen anderen den Atem ver-chlagen. Können Sie sich wirklich dem Eindruck an-chließen, dass die Gaullisten, Konservativen, Sozialde-okraten und andere, also diejenigen Kolleginnen undollegen aus Frankreich, die mit uns zusammen saßennd über die Parteigrenzen hinweg sagten, der Vertrags-ntwurf der europäischen Verfassung sei gescheitert,an wolle nicht wieder zurück zu ihm, in irgendeinerähe zu den Neofaschisten standen? Können Sie sichorstellen, warum ausgerechnet während der „Non-ampagne“, die von Links dominiert wurde, die Akzep-anz von Le Pen, also der Neofaschisten, auf ein Drittelesunken ist?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2277
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Herr Kollege Dehm, Sie haben schon vorhin an denheißen Atem appelliert, den Sie dem Grundgesetz ent-nehmen wollen. Ich meine, dass anstatt des heißenAtems ein kühler Kopf angebracht wäre, damit Sie sichin den politischen Aussagen, die Sie zum europäischenVerfassungsvertrag treffen, nicht in einer Linie mit Par-teien am rechten Rand wiederfinden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kollegen ausder Assemblée Nationale in Paris den Verfassungsver-trag keineswegs für tot erklärt, uns aber die Problematikgeschildert haben, dass sie ihrer Bevölkerung nach demScheitern des Referendums nicht ein zweites Mal einenidentischen Vertragstext zur Abstimmung vorlegen kön-nen, weil sich die Abgeordneten aus der Assemblée Na-tionale natürlich verpflichtet fühlen – das muss man an-erkennen –, vor dem Votum ihrer Wähler Respekt zubezeugen.
Die Wähler könnten es möglicherweise als einen Affrontempfinden, wenn man den Eindruck erweckt, als müsseman die Dinge nur richtig erklären und dann würden dieMenschen beim zweiten Mal schon richtig abstimmen.Das war also keine Absage an den Verfassungsver-trag. Sie wissen sehr gut, dass es in Frankreich konkreteVorstellungen gibt, wie man in Bezug auf diesen Vertragweiter vorgehen könnte. Deswegen wird dieser Vertragauch von französischer Seite nicht beerdigt. Aber eswird nach Möglichkeiten gesucht, wie man weiter vor-gehen kann.Ich rate dazu, dass wir uns die Denkpause, die die Eu-ropäische Kommission vorgeschlagen hat, auch wirklichzu Herzen nehmen und sie möglicherweise bis Mitte2007, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die französischenWahlen stattgefunden haben, verlängern. Wir solltendiese Zeit nutzen, von den hehren Zielen des Wün-schenswerten hin zu dem zu kommen, was in der Situa-tion, in der wir uns jetzt befinden, tatsächlich machbarist.Wir werden – davon bin ich fest überzeugt – Hand-lungsdruck bekommen, die institutionelle Reform, diemit diesem europäischen Verfassungsvertrag angegan-gen werden sollte, tatsächlich zu erledigen, denn wir se-hen, dass wir nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäni-ens mit dem Vertrag von Nizza nicht weiterkommen.Jeder weitere Beitritt setzt zwingend voraus, dass wir dieinstitutionelle Reform regeln, das heißt, die EuropäischeUnion tatsächlich handlungsfähig machen. Meine Emp-fehlung dazu wäre, dass wir spätestens den Beitritt, dernach dem von Bulgarien und Rumänien folgt, als politi-schen Hebel nutzen, um Druck zu erzeugen, damit wirmit der institutionellen Reform – ich füge hinzu: mit alldem, was ansonsten im Verfassungsvertrag steht – tat-sächlich vorankommen.BsffbenawSabipuRrMgiUtnnawWDdEwsEgacuhmikgdgfWnjgtaied„
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Hören Sie auf mit dem Unsinn! Es ist doch ein Pro-lem, dass man bald die Haushaltsberatungen zur Au-en- und zur Verteidigungspolitik zusammen abhaltenönnte, weil die deutsche Außenpolitik in so starkemaße zu Verteidigungs- und Militärpolitik geworden ist,eil man die Bundeswehr immer stärker als ein Instru-ent der deutschen Außenpolitik betrachtet und ein-esetzt hat.
eswegen ist eine Abkoppelung von den USA angesagt.ie Hauptgefahren für den Zustand der Welt geheneute von den USA aus. Das kann man auch politischachweisen; es ist die Wahrheit.
aran kommen auch Sie – gerade die Grünen – nichtorbei.Wir wollen eine Agenda der Abrüstung. Das wäreinmal etwas Neues. Wir wollen, dass mit den Militär-insätzen Schluss gemacht wird, dass der Sozialstaatauch auf europäischer Ebene – endlich wieder eineolle spielt. Wir wollen soziale Balance statt Marktradi-alität. Ich möchte Ihnen zum Schluss noch einen gutenat mit auf den Weg geben – man redet manchmal in
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Wolfgang Gehrckeden Wind, aber immerhin! –: Schauen Sie sorgfältignach Frankreich! Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das,was momentan in Frankreich abläuft, eine Frühwarnungdavor ist, was passiert, wenn man bei der jetzigen Politikbleibt.
Die Zustände waren auch der Grund für das Nein derFranzosen zum Verfassungsvertrag. Das könnte die Re-gierung berücksichtigen.Ich sage meiner Fraktion – man kann auch der eige-nen Fraktion Ratschläge geben –:
Wir müssen lernen, mit unserer Regierung, mit unserenUnternehmern „französisch“ zu reden; denn die Sprache,die in Frankreich gesprochen wird, versteht selbst einekonservative Regierung. Auch die große Koalitionwürde sie auf jeden Fall verstehen.
Das ist ein Weg, Politik zu gestalten.Schönen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass Sie hier im
Parlament mit Ihrem Beitrag wahrscheinlich in den
Wind reden. Sie sind heute der dritte von den Rednern
der Linken, die im Zusammenhang mit dem Kongo von
Krieg und Frieden gesprochen haben. Mich würde inte-
ressieren, ob ein Einziger von Ihnen in diesem Gebiet
gewesen ist, der die mit Macheten zerstückelten Kinder
gesehen hat, der in den Flüchtlingslagern gewesen ist,
der mit Mädchen gesprochen hat, die über Jahre hinweg
vergewaltigt worden sind, die seit drei Jahren sehen,
dass es die Chance gibt, zu einer Regierung zu kommen,
die von diesem Volk gewählt wird und das Land auf ei-
nen besseren Weg bringt. Das ist die Zielsetzung eines
solchen Einsatzes. Darüber sollten Sie sich unterhalten;
darüber sollten Sie reden.
Kollege Gehrcke, Sie haben die Chance zu einer Er-
widerung.
Lieber Kollege, ich weiß nicht, bei welcher Rede Sie
zugehört haben.
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ch habe von Grunddifferenzen gesprochen, ich habe die
rage von Krieg und Frieden angesprochen. Ich will
ber Ihre Frage beantworten.
Mich stören an diesem Einsatz folgende Punkte: Man
st nicht bereit, öffentlich die schlimmen und tatsächlich
m Neokolonialismus wurzelnden Ursachen für den jahr-
ehntelangen Bürgerkrieg im Kongo sowie die Verant-
ortung von Belgien, anderen europäischen Ländern
nd von großen europäischen Konzernen mit zu disku-
ieren. Mich stört, dass der kongolesische Staatspräsi-
ent Kabila das – sagen wir es einmal freundlich – An-
ebot, Truppen zu entsenden, der Presse entnehmen
usste und vorher nicht gefragt wurde. Dass er das An-
ebot von Solana nicht ablehnen konnte, versteht sich
on selbst. So springt man mit Kolonien, aber nicht mit
elbstständigen Staaten um. Das ist ein ungeheuerlicher
ustand. Das wird keiner leugnen können.
iese Information hat eine Reihe von Kollegen in die-
em Hause in Gesprächen mit dem belgischen Außen-
inister erhalten. Das darf nicht sein.
Schlussendlich kann, so glaube ich, eine gut ausgebil-
ete Polizei – die sollte man unterstützen – mehr aus-
ichten als die europäischen Truppen, denen man mehr
urchsetzungsvermögen zutraut als der multinationalen
rmee, die schon im Kongo steht.
All das sind Argumente für die Feststellung: Um den
chrecken im Kongo zu beenden, müssen wir mehr und
twas anderes tun, als nur Militär dorthin zu schicken.
Ich erteile das Wort Kollegin Erika Steinbach, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! In der heutigen Debatte haben praktisch alle Frak-ionen dieses Hauses, mit Ausnahme der Linken, deut-ich gemacht: Deutsche Außenpolitik ist in einemrheblichen Ausmaß Menschenrechtspolitik.
Natürlich ist deutsche Außenpolitik – das ist eine Bin-enweisheit – auch Interessenpolitik für dieses Land. Zuiesen Interessen gehören aber nicht nur gute Handels-eziehungen, die wir als Exportnation brauchen, um un-ere Produkte verkaufen zu können, und die wir als Im-ortland brauchen, um Rohstoffe und Energie einkaufenu können; das ist elementar. Vielmehr brauchen und
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Erika Steinbachwollen wir auch ein versöhntes Europa, ein Europa, indem die vielen Völker nach den Verwerfungen zweierWeltkriege dauerhaft friedlich miteinander leben kön-nen. Davon ist die deutsche Außenpolitik geprägt.So wie in Deutschland noch heute Millionen vonMenschen mit ihren Traumata und ihren unverarbeitetenKriegs- und Nachkriegserfahrungen leben, gibt es auchin unseren Nachbarländern millionenfache Empfindlich-keiten und Schmerzen, die ihre Ursache in der Vergan-genheit haben. Davon blieb und bleibt insbesondere diedeutsche Europapolitik bis heute nicht unberührt. Sie istvielmehr von dem Bestreben geleitet, das aufzuarbeiten.Nahezu jede Begegnung mit mittel- und osteuropäi-schen Staatschefs ist von diesen Erfahrungen geprägt.Aber auch in den Begegnungen zwischen einzelnenMenschen, die glücklicherweise tagtäglich tausendfachstattfinden, wird dem Rechnung getragen. Auf diesemFeld brauchen wir eine sensible Politik, die einen Aus-gleich zwischen Innen- und Außenpolitik findet, die dieMenschen in ihrer Würde und ihre Menschenrechte nichtverletzt, sondern von dem Grundsatz, dass Menschen-rechte unteilbar sind, geleitet ist.Wir brauchen und wollen mit unseren weltweitenKontakten eine Frieden stiftende und Demokratie för-dernde globale Außenpolitik. Die Grundlagen jedwederDemokratie sind doch garantierte und gelebte Men-schenrechte. Sie dürfen nicht nur auf dem Papier stehen– Papier ist geduldig –, sondern das, was in den Verfas-sungen der Länder steht, muss mit Leben erfüllt sein.Wir hören aber: Was geht uns Afrika an? Was gehtuns Afghanistan an? Was kümmert uns Tschetschenien?Was kümmern uns Belarus, Kuba oder China? DieseFragen begegnen allen Politikern dieses Hauses tagtäg-lich. Wir müssen eines deutlich machen: In einer globali-sierten, in einer klein gewordenen Welt geht uns das alleetwas an. Wir alle müssen uns darum kümmern; denndas Fehlen von elementaren Menschenrechten und Le-bensmöglichkeiten in anderen Ländern führt zu Wande-rungsbewegungen und zu Verwerfungen, die früher oderspäter bis nach Deutschland reichen. Das können undmüssen wir den Menschen im Lande erklären und deut-lich machen.Eine engagierte Menschenrechtspolitik hat eine dop-pelte Wirkung:Erstens die Wirkung – das stelle ich bewusst an denAnfang, weil es mir am Herzen liegt –, dass sie geschun-denen, unterdrückten und missbrauchten Menschen inden Ländern hilft, mit denen wir Handel und Wandeltreiben. Hier haben wir die Verantwortung, nicht nurGeschäfte zu machen, sondern auch zu schauen, unterwelchen Bedingungen die Menschen in diesen Ländernleben, unter welchen Bedingungen diese Geschäfte amEnde ablaufen und ob die Menschen, mit denen wir han-deln, ein menschenwürdiges Dasein haben.Zweitens – das ist für eine stabile Innenpolitik imeigenen Lande wesentlich – dämmt eine menschen-rechtsorientierte Außenpolitik millionenfache Wande-rungsbewegungen nach Deutschland ein. So können wirfeststellen, dass Humanismus einerseits und EgoismusagdhAKdGzasnmSredswiszdddddhsvsslDDbnsgMaf
Ich begrüße sehr, dass Bundesaußenministerteinmeier und Bundeskanzlerin Merkel Menschen-echtsdefizite in ihren bilateralen Gesprächen nicht mitinem Mantel falsch verstandener Rücksichtnahme be-ecken, sondern den Finger in die Wunde legen und un-er eigenes Wertefundament damit deutlich machen. Esar ein bedeutsames Zeichen der Bundeskanzlerin, beihrem Antrittsbesuch in Russland ein intensives Ge-präch mit den Vertretern von Menschenrechtsgruppenu führen. Hier hat wirklich ein Paradigmenwechsel iner deutschen Außenpolitik stattgefunden, der unter-rückten Menschen hilft und ihnen ein wenig das Gefühler Verlorenheit nimmt.Ich bin mir sicher, dass bei dem anstehenden Besucher Bundeskanzlerin in China nicht über die gravieren-en Defizite geschwiegen wird, die China vorzuweisenat, sondern dass die Menschenrechtsdefizite dort ange-prochen werden, zum Beispiel die Laogai-Lager, dieon einer elementaren Menschenrechtsfeindlichkeitind.Der heutige Tag hat eines deutlich gemacht: Die men-chenrechtspolitischen Themen werden in der Außenpo-itik Deutschlands heute wirksamer vertreten als zuvor.as ist gut so.
ie Bundeskanzlerin und der Außenminister haben daseide deutlich gemacht. Ich danke Ihnen, Herr Außenmi-ister Steinmeier. Ich begrüße das nachdrücklich undage nur eines: Weiter so!
Ich erteile das Wort Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichlaube, über die Frage, wer den Wettbewerb in Sachenenschenrechte gewinnt, sollten wir uns vielleicht einnderes Mal unterhalten, wenn wir etwas mehr Zeit da-ür haben.
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Uta Zapf
Wir haben heute schon, weil fast alle Redner Belaruserwähnt haben, sehr viel über Menschenrechte gespro-chen. Die letzten freien und fairen Wahlen in Belarus ha-ben 1994 stattgefunden. Damals wurde Lukaschenkozum Präsidenten gewählt; übrigens war er Herausforde-rer eines amtierenden Präsidenten. Seitdem hat es keinefreien und fairen Wahlen mehr gegeben. Ich habe dies-mal mit fünf Kollegen und Kolleginnen dieses Hausesdie Wahlen beobachtet. Wir sind alle zum selben Ergeb-nis gekommen.Dies war bereits die dritte Wahl, die ich in Belarus be-obachtet habe. Sie wissen ja, dass ich mich seit überzehn Jahren sehr intensiv mit diesem Land beschäftige.Man kann nicht sagen, dass eine dieser Wahlen frei undfair gewesen ist. Allerdings kann man sagen, dass es beiall diesen Wahlen überhaupt nicht notwendig gewesenwäre, Manipulationen vorzunehmen und Repressionenauszuüben, weil Lukaschenko – das ist Ironie und Tragikzugleich – vermutlich bei allen drei Wahlen zwar nichtdas prozentuale Ergebnis erreicht hätte, das er erreichtzu haben vorgibt, dass er aber doch eine Mehrheit desVolkes hinter sich gehabt hätte. Auch Herr Grund hatdarauf schon hingewiesen.Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2001 hatdie OSZE in ihrem Wahlbeobachtungsbericht festge-stellt, dass es in diesem Land eine sehr lebendige, sehrgute und sehr intensive zivile Gesellschaft gibt. Es gibtsie immer noch. Aber seit 2001 beobachten wir, dass dieRepressionen gegen diese zivile Gesellschaft von Jahr zuJahr zunehmen. Es wird versucht, die freie Presse unddie politische Opposition mundtot zu machen, und dieEinhaltung der Menschenrechte gestaltet sich immerproblematischer.Je stärker die Opposition wurde – sie hat sich zusam-mengefunden und sich geeinigt; sie hat ihren Wahlkampfauf demokratische Weise geführt –, je stärker sich dieZivilgesellschaft zu Wort gemeldet hat, desto brutaler istdie Repression geworden, mit dem Ziel, den MenschenAngst zu machen. Wir alle, die wir diese Wahl beobach-tet haben, waren am letzten Sonntag auf dem Platz, aufdem die Demonstrationen stattgefunden haben. Dort ha-ben wir die Menschen gesehen und in ihre Gesichter ge-schaut. So wir ihrer Sprache mächtig waren – ich hattedas Glück, einen Dolmetscher dabei zu haben –, habenwir auch mit ihnen reden können.Man konnte gegenüber früheren Wahlen deutlich spü-ren, dass sie sich nun getraut haben, in Mengen auf dieStraße zu gehen.
Sie haben ihre Angst verloren, weil der Druck so starkist, dass sie ihn nicht mehr ertragen können. Anschlie-ßend sahen sie sich natürlich enormen Repressionendurch die Polizei ausgesetzt.ddaIKnshmwmrzwbmGmdZwüvLhdrwAldmhLndddfdnewsd
ch bin besonders dankbar, dass Herr Steinmeier denontakt zu seinem russischen Kollegen Lawrow aufge-ommen und mit ihm über die Situation in Belarus ge-prochen hat. Danach haben beide erklärt, auch weiter-in die dortigen Vorgänge zu beobachten. Diesen Ansatzüssen wir wählen. Wie bereits mehrfach erwähnturde, führt der Weg über Russland.Lukaschenko hat, wie ich gestern der Presse entnom-en habe, die „tollen“ Polizisten gelobt, die dort abge-äumt haben. Er hat sie „tolle Kerle“ genannt, die ein-elne Zwischenfälle schnell und genau geregelt und allesieder in Ordnung gebracht hätten. „In Ordnung ge-racht“ heißt, dass im Moment Hunderte friedlicher De-onstranten – manche sprechen von bis zu 1 000 – imefängnis sitzen. Dort werden sie unter Umständenisshandelt; davon haben wir schon gehört. Ich weiß,ass auch Freunde von mir darunter sind. Zum jetzigeneitpunkt wissen wir nicht, wo sie sich befinden.Rund 200 Personen sind bereits verurteilt worden, je-eils zu zehn bis 15 Tagen Gefängnis; das ist dort dasbliche Strafmaß. 42 Journalisten sitzen im Knast, zwölfon ihnen sind aus dem Ausland. Von vielen fehlt einebenszeichen. Kosulin ist wegen Hooliganismus ver-aftet worden. Das ist eine „schöne Sache“; aber nunroht ihm unter Umständen eine Anklage wegen Terro-ismus. Milinkewitsch ist zwar noch in Freiheit; aberir wissen nicht, was noch geschieht.Ich bin froh, dass er nach Wien, nach Oslo und impril zum Außenministertreffen nach Luxemburg einge-aden worden ist;
enn das wird dazu beitragen, dass man in Belaruserkt, dass wir ein Auge auf die dortigen Geschehnisseaben. Wir wollen ihn schützen. Wir wollenukaschenko nicht stürzen. Wir wollen Milinkewitschicht als Präsidenten etablieren. Aber wir wollen zeigen,ass wir die Einhaltung der demokratischen Werte, zuenen sich auch Lukaschenko bekannt hat, einfordern:er Redefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Medien-reiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte undes Rechts auf Opposition, also des Rechts, anderer Mei-ung als Lukaschenko zu sein. Dafür ist Milinkewitschin Symbol. Deshalb ist er als Person so wichtig.
Es ist vieles über Dialog und über Sanktionen gesagtorden. Bei allem Ärger und bei aller Wut, die uns ange-ichts dessen, was dort passiert ist, erfüllen, müssen wirennoch den Dialog weiterführen.
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Uta Zapf
Wir haben früher eine Politik der Sticks and Carrots be-trieben. Aber sie essen die Karotten nicht und wir habenauch nicht so viele Stöcke. Deshalb müssen wir übereine ausgewogene Politik nachdenken; denn ohne Dia-log wird es uns von außen nicht gelingen, diejenigen inder Administration, die Demokratie wollen, auf den Wegin eine bessere Zukunft für Belarus mitzunehmen. Aufdiesem Weg wollen wir Belarus begleiten und wollenunsere Freunde, die heute schon so mutig sind, schützen.
Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Hörster, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich binder 17. und letzte Redner in dieser Debatte.
Ich habe mir also die Frage gestellt, welche Punkte ichnoch vortragen kann, die noch nicht erörtert wordensind. Es gibt tatsächlich einige. Deshalb will ich dieMöglichkeit nutzen und sie im Folgenden konkretisie-ren.Wir haben im Zusammenhang mit der Entwicklung inWeißrussland eine sehr intensive Debatte über Men-schenrechte geführt. Damit beschäftigt sich auch dieParlamentarische Versammlung des Europarates, diekeine unbedeutende Einrichtung ist, die aber in diesemHohen Hause weitestgehend unbeachtet bleibt. IhreChancen werden nach meinem Dafürhalten nur sehr un-zureichend genutzt.In der Parlamentarischen Versammlung des Europa-rates sind Parlamentarier aus 46 Ländern versammelt;25 Länder von ihnen gehören der Europäischen Unionan. Die meisten der anderen Länder haben aller Voraus-sicht nach nie eine Chance, Mitglied der EuropäischenUnion zu werden. Das wäre im Übrigen weder für dieseLänder noch für die Europäische Union gut. Gleichwohlkönnte der Europarat helfen, dass sich diese Länder, dieNachbarstaaten der Europäischen Union sind, an dieStandards annähern, die wir zum Beispiel auf dem Ge-biet der Menschenrechte oder durch die Europäische So-zialcharta haben. Deswegen wäre es sinnvoll, den Euro-parat in der deutschen Außenpolitik stärker undintensiver wahrzunehmen und für diese Möglichkeitenzu nutzen.In diesem Zusammenhang halte ich es für ziemlichkontraproduktiv, dass die Europäische Union darübernachdenkt, in Wien eine Menschenrechtsagentur ein-zurichten,ohelcrbptwslAsedMduImndwwsKmittmwKsDodAsnvshAgwtshdE
ch richte also die Bitte an die Bundesregierung, im Rah-en ihrer Möglichkeiten zu prüfen, ob die Schaffung ei-er Menschenrechtsagentur wirklich zu den Prioritätener Europäischen Union gehören sollte.Weil der Herr Bundesaußenminister so freundlichar, am Schluss seiner Rede ein Plädoyer für die aus-ärtige Kultur- und Bildungspolitik zu halten – ichtimme völlig mit ihm überein – und die auswärtigeultur- und Bildungspolitik als kulturelle Grunddi-ension der deutschen Außenpolitik zu bezeichnen, willch anmerken, dass wir versuchen müssen, die auswär-ige Kultur- und Bildungspolitik in der praktischen Poli-ik – je mehr, umso besser – tatsächlich auch zu instru-entalisieren und entsprechend einzusetzen; denn esird ja immer davon gesprochen, dass die auswärtigeultur- und Bildungspolitik die dritte Säule der deut-chen Außenpolitik sei.Ich glaube, wenn das so ist, dann können wir es aufauer nicht dabei bewenden lassen, dass die Mittler-rganisationen – das Goethe-Institut, der Deutsche Aka-emische Austauschdienst, das ifa, die deutschenuslandsschulen usw. – diese Aufgaben wahrnehmen,ondern dann müssen wir sie bündeln und in den Regio-en der Welt zielgerichtet einsetzen, in denen es für unson größtem Interesse ist. Das betrifft auch den Wissen-chaftsaustausch und den Bildungsaustausch.Ich will ein praktisches Beispiel nennen. Ich habeeute Morgen in einer Sitzung des Unterausschussesuswärtige Kulturpolitik des Auswärtigen Ausschussesehört, dass in Syrien eine deutsche Schule errichtetird. Die syrischen Absolventen deutscher Universitä-en machen ungefähr 24 Prozent der dortigen Hoch-chullehrer aus. Das hängt noch mit unserer Vergangen-eit aus der Zeit der Teilung zusammen. Das sind Leute,ie unserem Kulturkreis gegenüber aufgeschlossen sind.s macht keinen Sinn, dass wir dort eine entsprechende
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Joachim HörsterVereinigung haben, während wir gleichzeitig beimGoethe-Institut Stellen abbauen.In der arabischen Region gibt es ein Defizit in der Bil-dung und beim Zugang zu Informationen und dieAnalphabetenrate ist besonders bei Frauen hoch. Des-halb bin ich der Auffassung, dass wir, wenn wir die deut-sche auswärtige Kulturpolitik zielgerichteter einsetzen,mithelfen können, diese Zustände dort abzubauen; dennBildung, Wissen und Kenntnisse sind die besten Mittelgegen Fundamentalismus und gegen Risiken, die unsvon dort drohen.In diesem Sinne wäre ich dankbar, wenn der auswärti-gen Kulturpolitik die entsprechende Aufmerksamkeitgewidmet würde und die Bereitschaft bestünde, im Rah-men der bestehenden Strukturen – vielleicht mit kleinenÄnderungen – die Voraussetzungen dafür zu schaffen,dass die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik operativbegleitend neben den anderen außenpolitischen Maßnah-men eingesetzt werden kann.
Herr Präsident, ich schenke den Kollegen, die hier an-wesend sind, 30 Sekunden und bedanke mich für dieAufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP unddes Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Belarusnach den Präsidentschaftswahlen“. Wer stimmt für denAntrag auf Drucksache 16/1077? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-men der Antrag stellenden Fraktionen bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetztzum Geschäftsbereich des Bundesministeriums derVerteidigung, Einzelplan 14. Ich erteile dem Bundes-minister der Verteidigung, Franz Josef Jung, das Wort.Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn die Bundeswehr ihre hervorragende Ar-beit für die Sicherheit Deutschlands positiv fortsetzensoll, dann braucht sie dafür die notwendige finanzielleGrundlage. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass es beiden Beratungen des Haushalts 2006 gelungen ist, eineStabilisierung zu erreichen und den Abwärtstrend zustoppen, weil dies zur Erledigung der Aufgaben derBundeswehr notwendig ist.Gerade im Hinblick auf die Auslandseinsätze – sei esder auf dem Balkan, der am Horn von Afrika oder der inAfghanistan – brauchen wir die notwendige finanzielleUnterstützung auch für den Schutz und die Ausbildungunserer Soldatinnen und Soldaten. Ich finde, unsere Sol-dEfSSrtdBFSktKsSdlfnVNtIddusazWLksbpd5hzdwsnd
Herr Lafontaine hat heute Morgen behauptet, unsereoldatinnen und Soldaten seien in Afghanistan an terro-istischen Aktivitäten beteiligt. Ich halte eine solche Un-erstellung für unsere Soldatinnen und Soldaten für gera-ezu ehrabschneidend und beleidigend und weise dieseehauptung mit Nachdruck zurück. Sie leisten einenriedensdienst.
Ich bin dafür dankbar, dass die Auslandszulage deroldatinnen und Soldaten steuerfrei bleibt und diese Dis-ussion hier nicht fortgesetzt worden ist. Es ist ein Un-erschied, in einem Büro in Brüssel zu arbeiten oder inabul in einem gefährlichen Einsatz für unser Land zuein. Ich bin der Auffassung: Unsere Soldatinnen undoldaten haben diese steuerfreie Auslandszulage ver-ient.
Mit diesem Haushaltsentwurf schaffen wir die Grund-age dafür, den Transformationsprozess der Bundeswehrortzusetzen. Dabei füge ich hinzu: Unsere internatio-alen Verpflichtungen sind groß. Das gilt für unsereerpflichtungen im Zusammenhang mit den Vereintenationen und der NATO, aber auch für unsere Verpflich-ungen im Zusammenhang mit der Europäischen Union.m Hinblick auf den Einsatz zur Gewährleistung einesemokratischen Prozesses im Kongo, der notwendig ist,iskutieren wir über diese Verpflichtungen.Ich will hier nur noch folgende Bemerkung machen,m die Debatte von vorhin nicht zu verlängern. Estimmt schon: Bisher sind im Kongo 4 500 Polizistenusgebildet worden, die selbstverständlich einen Beitragur Gewährleistung der Sicherheit leisten. Aber es ist derunsch der Vereinten Nationen und es entspringt ihreragebeurteilung, dass es zur Absicherung dieses demo-ratischen Prozesses eines Engagements der Europäi-chen Union bedarf. In diesem Sinne sollten wir die Sta-ilisierung und die demokratische Entwicklung dortositiv unterstützen und unseren Beitrag leisten.Wir sind mittlerweile der größte Truppensteller fürie von der NATO geführten Operationen; es sind rund000. Wir leisten den größten Beitrag im Zusammen-ang mit den europäischen Missionen. In Bosnien-Her-egowina sind rund 1 000 deutsche Soldatinnen und Sol-aten im Einsatz. Ich will vor diesem Haus sagen, dassir auch Verantwortung und Verpflichtung für diechnelle Einsatztruppe haben. Es ist in der Bevölkerungicht jedem bekannt, dass wir im zweiten Halbjahr beier NATO-Response-Force, der schnellen Einsatztruppe
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Bundesminister Dr. Franz Josef Jungder NATO, mit 6 600 deutschen Soldatinnen und Solda-ten im Einsatz sind.Im Zusammenhang mit dem Einsatz im Kongo gab esdie Überlegung, die aufzustellende europäische Battle-Group mit zunächst 1 500 deutschen Soldaten und vierfranzösischen Soldaten in den Einsatz zu schicken. Dashaben wir jetzt anders geregelt. Aber ab dem 1. Januar2007 sind wir bei der Battle-Group, also der schnellenEinsatztruppe Europas, mit 1 200 oder 1 300 Soldatin-nen und Soldaten dabei. Damit will ich deutlich machen,welche internationalen Verpflichtungen wir übernom-men haben und dass dafür eine finanzielle Grundlage ge-schaffen werden muss, damit solche Einsätze gewähr-leistet werden können.Wir leisten unseren Beitrag bei den erwähnten Aus-landseinsätzen, aber auch unseren Beitrag für die Sicher-heit in Deutschland. Während der Amtszeit der neuenBundesregierung haben wir bereits in Bad Reichenhallgeholfen. Wir haben Hilfestellung bei der Bewältigungder Schneekatastrophe in Bayern geleistet.
Wir haben ebenso auf Rügen geholfen, als dort die Vo-gelgrippe ausbrach.
Ein weiterer Einsatz betraf den Unfall, bei dem ein Last-wagen in einen Trauerzug gerast ist.Ich will noch etwas zur Leistungsfähigkeit und Ein-satzfähigkeit unserer Bundeswehr sagen. Der Anruf mitder Bitte um Amtshilfe auf Rügen hat mich am Samstag-nachmittag gegen 16.45 Uhr erreicht. Normalerweise istum diese Uhrzeit im öffentlichen Dienst und auch beiprivaten Unternehmen die Handlungsfähigkeit stark ein-geschränkt. Aber unsere Soldatinnen und Soldaten wa-ren am Samstagabend um halb zehn auf Rügen, um dortihren Einsatz zu leisten. Ich finde, das zeigt die Leis-tungs- und Einsatzfähigkeit unserer Bundeswehr, für dieich dankbar bin.
Deshalb werden wir diese Entwicklung jetzt weiterausbauen und die zivil-militärische Zusammenarbeit imZusammenhang mit den föderalen Strukturen ins Blick-feld nehmen. Wir werden uns auch mit den Verbindungs-stellen befassen, bei denen wir insbesondere die Reser-visten mit einbeziehen wollen, damit auch sie imHinblick auf den Schutz Deutschlands Unterstützungleisten. Das ist ebenfalls ein wichtiger Beitrag, den dieBundeswehr gewährleistet.Zur Diskussion im Zusammenhang mit der vor unsliegenden Fußballweltmeisterschaft: Zunächst war derEinsatz von 2 000 Soldatinnen und Soldaten im Rahmenunseres verfassungsgemäßen Auftrags vorgesehen. Aberda uns mittlerweile hundert Anträge auf technischeAmtshilfe vorliegen, haben wir die Zahl um weitere5 000 auf insgesamt 7 000 Soldatinnen und Soldaten er-höht, die zum Beispiel in der ABC-Abwehr, im Sanitäts-wsrAducacwsmrfhOrawaGadlDtlznZMd7WhhhpwkVsPsdegF
Lassen Sie mich noch einen weiteren Gedanken aus-ühren. Ich denke, dass die Bundeswehr mit zum Anse-ensgewinn Deutschlands beiträgt. Als vor kurzem dielympiade in Turin stattfand, haben wir uns alle da-über gefreut, dass Deutschland beim Medaillenspiegeln erster Stelle lag. Tatsache ist aber: Ohne die Bundes-ehr hätten wir an 13. Stelle gelegen. Die Bundeswehrllein hätte an zweiter Stelle gelegen. Neun von elfoldmedaillen hat die Bundeswehr errungen, außerdemcht Silbermedaillen und zwei Bronzemedaillen. Auchas zeigt, welchen positiven Beitrag die Bundeswehreistet, wenn es um die Erhöhung des Ansehenseutschlands beispielsweise bei einer Olympiade geht.
Wir wollen selbstverständlich den Weg der Umstruk-urierung im Innern fortsetzen. Damit geht eine erheb-iche Personalreduktion einher. Die mit größten Redu-ierungen am Personalbestand des Bundes werdenämlich von der Bundeswehr geleistet. Die derzeitigeahl von etwa 120 000 zivilen Mitarbeiterinnen unditarbeitern soll den Planungen zufolge auf 75 000 re-uziert werden. Wir wollen die Betriebskosten von4 Prozent auf 68 Prozent des Gesamtplafonds senken.ir werden aber auch im Hinblick auf Planungssicher-eit an der getroffenen Stationierungsentscheidung fest-alten.Wir wollen auch den Modernisierungsprozess inner-alb der Bundeswehr fortentwickeln und unter dem As-ekt der Effektivität unseren Beitrag leisten, um – auchas die Entbürokratisierung anbelangt – weiter voranzu-ommen. Ich denke aber, dass wir auch hier die sozialeerantwortung berücksichtigen müssen, die wir für un-ere Soldatinnen und Soldaten haben. Deshalb muss derrozess sozialverträglich gestaltet werden.Wir erarbeiten zurzeit einen Gesetzentwurf, der bei-pielsweise vorsieht, dass ein Soldat oder eine Soldatin,er bzw. die in einem Einsatz eine gesundheitliche Be-inträchtigung erfährt, Anspruch auf Weiterbeschäfti-ung bei der Bundeswehr hat. Ich glaube, dass das derürsorgepflicht dieses Landes entspricht.
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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Wir wollen die Bundeswehr als Wehrpflichtarmeeweiterentwickeln. Sie hat sich als Wehrpflichtarmee be-währt und ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Da-durch trägt sie zu einem positiven Ansehen der Bundes-wehr in der Gesellschaft bei. Wir müssen aber auch dieWehrgerechtigkeit bzw. die Einberufungsgerechtigkeitim Blick behalten. Deshalb haben wir davon abgesehen,die Zahl der Wehrpflichtigen auf 30 000 zu senken, son-dern wir wollen sie bei 35 000 stabilisieren. Wir ziehenjährlich rund 60 000 Wehrpflichtige ein. Davon ver-pflichten sich 25 000 freiwillig weiter und 35 000 leistenihren Grundwehrdienst. Ich bin dafür dankbar, dass es inden Haushaltsberatungen gelungen ist, den Wehrpflichti-gen das Weihnachtsgeld und das Entlassungsgeld zuerhalten.
Es geht bei den Wehrpflichtigen um rund 250 Euro proMonat. Das entspricht noch nicht einmal dem Verdiensteines Minijobbers. Wer in der Bundeswehr die allge-meine Dienstpflicht für unser Land erfüllt, der hat es ausmeiner Sicht verdient, 170 Euro Weihnachtsgeld und dasEntlassungsgeld zu behalten.
Wir sind dabei, ein Weißbuch zur sicherheitspoliti-schen und strategischen Standortbestimmung der Bun-deswehr zu erarbeiten. Das ist richtig und gut. Seit 1994gibt es ein solches Weißbuch nicht mehr. Die letzte Re-gierung hat diesbezüglich auch keine Kabinettsbe-schlüsse gefasst. Es gibt nur die Verteidigungspoliti-schen Richtlinien. Ich finde aber, die Sicherheit unseresLandes ist so wichtig, dass sie nicht nur Angelegenheiteines einzelnen Ministers sein darf, sondern Angelegen-heit der gesamten Bundesregierung sein muss. Deswe-gen werden wir das Weißbuch im Bundeskabinett verab-schieden.
Die Bundeswehr leistet mit ihren Investitionen einenerheblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung.Im Jahreswirtschaftsbericht sind 6 Milliarden Euro In-vestitionen durch die Bundeswehr vorgesehen, und zwarin verschiedensten Bereichen, vom Satellitenkommuni-kationssystem über den Eurofighter, Hubschrauber, Fre-gatten, das Luftverteidigungssystem bis hin zu Trans-portfahrzeugen. Ich will nicht alles aufführen, aber einessage ich Ihnen: Wir sind es unseren Soldaten schuldig,ihnen eine optimale Ausrüstung für ihre gefährlichenEinsätze im Ausland zu geben. Deshalb ist es notwendig,die Investitionen in diesem Bereich weiter voranzutrei-ben.
Im Mittelpunkt unserer Überlegungen und unseresandelns stehen die Soldatinnen und Soldaten. Sie be-ürfen – genauso wie die zivilen Mitarbeiterinnen unditarbeit – der Fürsorge. Sie riskieren Leib und Lebenür unsere Sicherheit und haben deshalb Anspruch aufesellschaftliche Würdigung und Unterstützung. Wirürfen aber auch nicht diejenigen vergessen, die im Ein-atz für unsere Sicherheit sowie für Frieden und Freiheithr Leben gelassen haben. Wir sollten ihnen in Berlin, anem Ort, der für die Bundeswehr steht, ein Ehrenmalrrichten. Ich bin der Meinung, dass wir dazu verpflich-et sind.
Die Belastungen der Truppe sind hoch. Deshalb ist esnsere gemeinsame Verantwortung, die Bundeswehreistungsfähig zu halten. Dafür braucht sie im Hinblickuf die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger sowieen Erhalt von Frieden und Freiheit die notwendigen fi-anziellen Grundlagen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Frak-
ion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Minister Jung, Sie haben in sehr ein-rucksvollen Worten die vielfältige Aufgabenstellungnd Zielsetzung dargelegt, die die Bundeswehr erfüllenoll. Aber der Blick auf den Verteidigungshaushalt lässtn der einen oder anderen Stelle erhebliche Zweifel auf-ommen.
Als Ausdruck all Ihrer hehren Zielsetzungen legenie heute den Verteidigungshaushalt für das Jahr 2006or. Ihn kann man aber nur als Übergangshaushalt be-eichnen. Er orientiert sich nämlich weitgehend an derisherigen Bundeswehrplanung. Bei seiner Verabschie-ung wird das Haushaltsjahr zur Hälfte vergangen seinnd die finanzpolitischen Grausamkeiten werden erst imahr 2007 über den Einzelplan 14 hereinbrechen.Der Transformationsprozess, den Sie eben ange-prochen haben, Herr Minister, bleibt aber nicht stehen.us diesem Grund wird auch dieser Haushalt den Anfor-erungen nicht gerecht.
er investive Anteil ist mit 25 Prozent erneut viel zu ge-ing veranschlagt. Ein investiver Anteil von annähernd0 Prozent ist für die Aufgaben einer Armee im Einsatz,
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Elke Hoffdie sich nach dem Willen der Bundesregierung darüberhinaus verstärkt um den Heimat- und Katastrophen-schutz kümmern soll, unerlässlich. Bis zum Jahr 2011wird die Unterdeckung bei den Rüstungsinvestitionenauf mehr als 6 Milliarden Euro anwachsen. Dass diesunmittelbare Auswirkungen auf unsere Rüstungsindus-trie und die damit verbundenen Arbeitsplätze habenwird, steht außer Zweifel. Die notwendige deutliche An-hebung im investiven Bereich wird nur durch eine wei-tere Absenkung der Betriebs- und Personalkosten mög-lich sein. Ich kann an dieser Stelle aber wenigEntschlossenheit zur Eröffnung neuer Spielräume erken-nen, zum Beispiel indem Dienstleistungen wie das Tra-velmanagement der Bundeswehr, Teile der Ausbildung,der Personalgewinnung und vieles mehr konsequent pri-vatisiert werden.
Wie Sie, Herr Minister, bei den bestehenden Rahmenbe-dingungen das ehrgeizige Ziel erreichen wollen, die Zahlder zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr von heute100 000 auf 75 000 abzusenken, steht in den Sternen.
Der Transformationsprozess lebt unbestritten zu ei-nem erheblichen Teil von der Einsicht in seine Notwen-digkeit, er lebt aber auch von sicheren finanzpolitischenRahmenbedingungen. An dieser Stelle möchte ich michdaher ausdrücklich bei allen Soldatinnen und Soldatender Bundeswehr bedanken, die diesen unsicheren Pro-zess bisher so bravourös begleitet und gemeistert haben.
Herr Minister, außerdem möchte ich noch sagen, dassich wenig Verständnis dafür habe, dass sich der Gesamt-personalumfang der Bundeswehr seit 1989 halbiert hat,während die Zahl der Spitzendienstgrade – der Besol-dungsgruppe B 3 und höher – seither lediglich um11 Prozent reduziert wurde. Gerade Streitkräfte mit ho-hen Belastungen brauchen im Verhältnis mehr und bes-ser bezahlte Indianer als zu viele hoch dotierte Häupt-linge.
– Auch das wäre eine Lösung gewesen.Herr Minister, Sie haben am 8. März in einer Presse-meldung der dpa angekündigt, noch in diesem Jahr – ichbetone: noch in diesem Jahr – 4 000 zusätzliche Stellenfür Wehrpflichtige zu schaffen. Offenbar ist diese Mel-dung Ihren Haushältern entgangen; denn gegenüber demStellenansatz für das Jahr 2005 mit 38 000 Grundwehr-dienstleistenden finden sich im aktuellen Entwurf geradeeinmal 32 000 wieder – auf den ersten Blick ein Minusvon 6 000 Stellen. Aber wie wir ja auch bei der Mehr-wertsteuererhöhung gelernt haben, ist zwei plus nicht injedem Fall ein Mehr. Vielleicht kommen wir im Laufeder Debatte auch in diesem Bereich des Haushalts zu be-lastbaren Zahlen.bwVnDpvubFrgn„dhsStEwskBvAbdsnbhDSSswndhdWawwzwu
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Tut mir Leid, dies sagen zu müssen. Lesen Sie nach,as der ehemalige Generalinspekteur Naumann gesagtat! – Wir können vor einer solchen Entwicklung nurntschieden warnen. Die neuen Fregatten: nicht mit uns.
Die Bundeswehr ist, wie wir hören, eine Armee iminsatz. Dort, wo sie im Einsatz war, ist sie geblieben.ie Einsätze haben länger gedauert, als man gedacht hat.s gibt immer mehr neue Einsatzszenarien: morgen imongo, übermorgen möglicherweise – im Herbst werdenir vielleicht diese Debatte führen – im Sudan.Nun können wir gerne über die Sinnhaftigkeit der ein-elnen Missionen diskutieren; ich bin sehr dafür. Aberenn es so ist, dass immer mehr militärische Zwangs-ittel benötigt werden, um auf Konflikte einzuwirken,ann stimmt etwas an der Grundrichtung der internatio-alen Politik nicht.
ann müssen wir noch viel schärfer nach den Ursachener gewaltträchtigen Konflikte in vielen Teilen der Weltragen und noch viel gründlicher überlegen, wie manurch langfristige und auf Deeskalation ausgerichtetentwicklungsstrategien diese Konflikte wirklich bewäl-igen kann.Wenn Länder durch Strukturanpassungsprogrammees IWF in noch größere Armut gestürzt werden undenn sich das Wettrennen um gewinnträchtige Rohstoff-essourcen vor Ort verschärft und durch westliche Fir-en angeheizt wird, dann müssen wir zuerst über eineerechtere Weltwirtschaftsordnung und über eine ge-echtere Ressourcenverteilung reden und nicht über Ein-reiftruppen der NATO und der EU.
Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammen-rbeit und Entwicklung hat jüngst mehrfach auf die Rie-endiskrepanz zwischen den Weltmilitärausgaben unden globalen Ausgaben für öffentliche Entwicklung hin-ewiesen: hie 1 Billion Dollar und da 58 Milliarden Dol-ar.
Entschuldigung, 78 Milliarden Dollar. Die Diskrepanzleibt trotzdem bestehen. – Sie hat gefordert, dass dieeutsche Politik hier zu einer grundlegenden Gewichts-erschiebung beitragen müsse. Dumm ist nur, dass zweirittel dieser Weltmilitärausgaben von der NATO aufge-
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Paul Schäfer
bracht werden. Der NATO-Generalsekretär wird nichtmüde, eine Steigerung dieser Ausgaben zu fordern.
Hier wäre ein wichtiges Betätigungsfeld für die Bun-desregierung. Sie könnte die Überprüfungskonferenzhinsichtlich der konventionellen Streitkräfte in diesemJahr nutzen, um über eine qualitative Abrüstung zu re-den. Sie könnte auch den diesjährigen NATO-Gipfelnutzen, um eine Initiative einzubringen, wonach sich dieNATO-Mitgliedsländer zu einer jährlichen Absenkungihres Wehretats um 5 Prozent verpflichten.
Das wäre eine ganz tolle Initiative.Herr Minister, setzen Sie sich doch einmal mit IhrerFachkollegin zusammen. Sie könnten das sozusagen in-nerhessisch regeln und sich überlegen, ob nicht eine sol-che Initiative im November anlässlich des NATO-Gip-fels eingebracht werden könnte. Abrüstung immer nurwoanders zu fordern, geht nicht. Nein, auch hier bei unsgeht es um Abrüstung.Danke.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben es in dieser Debatte schon oft gehört:Die Bundeswehr befindet sich in einer Transformations-phase und die Anforderungen an die Angehörigen derBundeswehr sind enorm.Unsere Soldatinnen und Soldaten beweisen in vielfäl-tigen Auslandseinsätzen, dass wir unter gewissen Vo-raussetzungen Sicherheit und Stabilität in Krisenregio-nen verbessern können. Aber nicht zuletzt seit demletzten Bericht des Wehrbeauftragten wissen wir alleauch, dass die Bundeswehr in ihrer bisherigen Strukturbei den aktuellen Einsätzen an der Belastungsgrenze an-gekommen ist.Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Frak-tion den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus-drücklich für ihr Engagement danken. Ebenso möchteich allen zivilen Helferinnen und Helfern der Polizei, ausder Entwicklungshilfe, den NGOs und den internationa-len Organisationen danken; denn ein Großteil unsererMissionen findet in enger zivil-militärischer Koopera-tion statt.
Dieser Zusammenhang ist auch bei der Frage desMahnmals, die Sie, Herr Minister, angesprochen haben,wichtig. Denn aus unserer Perspektive und bei einemumfassenden Sicherheitsbegriff darf man nicht nur einesTeils derjenigen, die bei Auslandseinsätzen zu SchadenknahzumgiwuDlmsddkArsEtGKSSdwnsdzPCtvgmdgawEvebmsef
Leider muss man aber sagen, dass sich der Transfor-ationsprozess nicht in dem Maße, wie dies in den Re-en betont wurde, in dem neuen von Schwarz-Rot vor-elegten Entwurf des Einzelplans 14 wiederfindet. Dennn manchen Stellen wird unter Minister Jung bewusstieder der Weg in die falsche Richtung eingeschlagen.s werden zu viele Mittel für die herkömmliche Landes-erteidigung und zu wenige für den bei den Auslands-insätzen und der Krisenprävention bestehenden Bedarfereitgestellt. Es gibt zu viel Logik des Kalten Kriegesit Bedrohungsszenarien, in denen von Kriegen zwi-chen hoch gerüsteten Staaten ausgegangen wird, undine zu geringe Anpassung an außenpolitische Heraus-orderungen, an reale Einsatzszenarien im Bereich der
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Alexander Bondeasymmetrischen Bedrohung, der Nation Building undder Stabilisierung.
Wenn man die tatsächliche Situation bei den Einsät-zen dem Einzelplan gegenüberstellt, sieht man, dass im-mer noch eine zu geringe Ausstattung für die konkretenEinsatzsituationen vor Ort vorgesehen ist. Wir erleben,dass weder das richtige Personal noch das richtige Mate-rial für die tatsächlichen Einsätze eingeplant werden.Vielmehr fließt ein Großteil der Investitionen in den Be-reich der klassischen Landesverteidigung, in den Be-reich dessen, wo man wieder sozusagen die großen, altenKriege befürchtet. Insofern ist das Problem der Bundes-wehr nicht in erster Linie Geldmangel, sondern die rich-tige Prioritätensetzung. Diese, sehr geehrter Herr Bun-desverteidigungsminister, setzen Sie falsch.
Sie selbst haben das im Bereich der Beschaffungensehr deutlich gemacht. Die Beschaffungen erfolgen wei-ter nach dem Produktkatalog der Industrie und wenigernach dem aktuellen Bedarf. Ich will es an drei Beispielendeutlich machen. Den Eurofighter haben Sie genannt.Jeder von uns weiß: Wir brauchen keine 180 neuenKampfflugzeuge, weil die Bedrohungssituation diesnicht erforderlich macht. Jeder weiß: Dies ist eine Ver-schwendung von Steuermitteln. Gleichwohl ist unserAntrag, nun endlich Verhandlungen mit der Industrieaufzunehmen, um aus der dritten Tranche des Eurofigh-ters auszusteigen, im Haushaltsausschuss von der großenKoalition abgelehnt worden – interessanterweise beiEnthaltung der FDP, wenn ich das an dieser Stelle ein-mal kritisch äußern darf.Zweites Stichwort: die IRIS-T-Anpassung für dasFlugabwehrsystem MEADS. Wir entwickeln ein Flug-abwehrsystem, um uns gegen Flugkörper mit mittlererReichweite anderer hochgerüsteter Staaten zu verteidi-gen. So weit, so schlecht. Jetzt will das Verteidigungsmi-nisterium dieses internationale Projekt aber noch mit ei-nem nationalen Flugkörper aufmotzen, damit diedeutsche Flugkörperindustrie mehr Aufträge erhält. DasSystem wird komplizierter, schwieriger zu warten undteurer. Das ist sozusagen die Schweinslederlösung mitGoldnahtkante; im Sprachgebrauch der MTV-Genera-tion könnte man auch sagen: Pimp my MEADS.
Drittes Stichwort: PARS 3 Long Range. Das Panzer-abwehrraketensystem für den Hubschrauber Tiger, vonRot-Grün aus guten Gründen in die Mottenkiste gelegt,ist wieder da. Ich weiß nicht, wo Sie herannahende Pan-zerarmeen vermuten. Bei den täglichen Einsätzen derBundeswehr reden wir über Minen, Heckenschützen undAutobomben.Keines der drei Systeme, die ich benannt habe, wer-den Sie jemals in Kabul oder auf dem Balkan einsetzen.Auch im Kongo – sollte der Einsatz beschlossen wer-den – werden Sie keines dieser Systeme jemals einset-zOEFzpusfvkSdÖsNEkmhthudsnhdlPdmatnutkrWddhgwandSdji
Wenn man alles zusammennimmt, also Ihre Planun-en bezüglich der Beschaffung und des Personals, dannundert es mich schon, dass die Sozialdemokraten denlten Weg der Transformation überhaupt wiedererken-en; denn Sie nehmen die Reform des vorherigen Vertei-igungsministers Struck mit Ihren Maßnahmen Stück fürtück zurück.Man kann darüber streiten, ob das nicht immer schonas Ziel der CDU/CSU in diesem Bereich war. Wir sinda froh, dass zumindest Sie inzwischen, was den Einsatzm Innern angeht, von der Bundeswehr bekehrt worden
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Alexander Bondesind. An dieser Stelle wünsche ich Ihnen viel Erfolgbeim Kampf gegen den Bundesinnenminister. Wir sindgespannt, ob Sie sich wenigstens an dieser Stelle einmaldurchsetzen werden, Herr Jung.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Sie haben mituns, der grünen Fraktion, einen Diskurspartner, der ver-antwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik mitge-stalten will und der sich solidarisch damit erklärt, dass esin bestimmten Fällen geeigneter Streitkräfte bedarf. Wirwissen, dass die Bundeswehr ein Partner bei vielen frie-denserhaltenden Einsätzen ist. Wenn Gewalt als letztesMittel eingesetzt werden muss, wenn die Bundeswehr inzivile und entwicklungspolitische Maßnahmen einge-bunden werden soll, stehen wir mit Ihnen auf einer Seite.Wir erwarten aber von der Bundesregierung, dass siedie Herausforderung annimmt und Führung zeigt, dasssie die Aufgabe als sicherheitspolitisches Projekt trägtund nicht als industriepolitische Spielwiese versteht.Herr Jung, Ihr heutiger Redebeitrag hat uns gezeigt, dassSie sich ein Stück weit als zweiter Wirtschaftsministerdieser Bundesregierung sehen.
Ich kann gut nachvollziehen, dass man diese Lücke inder Bundesregierung füllen möchte, weil keiner so rechtweiß, ob der bisherige Wirtschaftsminister diese Rolletatsächlich jemals ausfüllen kann.
Solange Sie, Herr Jung, die Rolle des Verteidigungsmi-nisters nicht gänzlich ausfüllen – uns scheint, es ist nochein langer Weg, bis das der Fall ist –, sollten Sie die Fin-ger von den Ressorts anderer lassen. Betreiben Sie Si-cherheitspolitik und hören Sie mit dem industriepoliti-schen Unsinn auf!Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Herrmann,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Minister, Sie haben es eben angedeutet:Die Sicherheitspolitik steht im 21. Jahrhundert vorneuen großen Herausforderungen. Für uns Parlamenta-rier bedeutet dies, dass alle sicherheitspolitischen Instru-mente daran gemessen werden müssen, wie effizient ihreWirksamkeit gegenüber heutigen, aber auch künftigenBedrohungen ist.kGaswDwvBptsugiEVwnln2v6dgmgvHsglduHBilMl–wvsuh
aran müssen unsere Sicherheitsstrukturen ausgerichteterden. Innere und äußere Sicherheit sind nicht mehroneinander zu trennen.Sicherheitsvorsorge setzt sich aus verschiedenenausteinen zusammen. Neben den rein militärischen As-ekten gehört eine Reihe von anderen Bereichen un-rennbar dazu. Ich begrüße es deshalb sehr, dass wir un-ere Vorstellungen zur inneren und äußeren Sicherheitnter Berücksichtigung des erweiterten Sicherheitsbe-riffes – Herr Minister, Sie haben es angekündigt – nochn diesem Jahr in einem Weißbuch wiederfinden werden.in wesentlicher Baustein der Sicherheitsstrategie ist dieerteidigung. Dafür bietet der Einzelplan 14, mit demir uns heute befassen, den entscheidenden Rahmen.Angesichts des von der Bundesregierung vorgegebe-en Kurses der Konsolidierung der Finanzen ist natür-ich auch der Finanzrahmen des Verteidigungshaushaltesicht unbegrenzt. Das Volumen für 2006 hat sich bei3,88 Milliarden Euro eingependelt. Durch Verkäufeon Bundeswehrliegenschaften sollen noch circa0 Millionen Euro hinzukommen. Vor dem Hintergrundes Konsolidierungskurses sind Erhöhungen Grenzenesetzt. Daher müssen wir prüfen, wo Einsparungenöglich und wo Erhöhungen notwendig sind. Der Re-ierungsentwurf, der uns heute vorliegt, ist ein Lösungs-orschlag, der den Spagat zwischen wirtschaftlicheraushaltsführung und nötigen Investitionen schafft.Unsere Aufgabe als Parlamentarier besteht darin, die-en Prozess verantwortungsbewusst und kritisch zu be-leiten. Dabei sollten wir uns erstens von der Maximeeiten lassen, den bestmöglichen Schutz unserer Sol-aten und Soldatinnen im Einsatz zu gewährleistennd zu verbessern.
err Schäfer, ich möchte zu Ihren Einwürfen eben, zumeispiel zum Programm MEADS, sagen: Wir haben unsn der Gruppe „Bodengebundene Luftverteidigung“ange mit diesem Thema beschäftigt und sind mit großerehrheit übereingekommen, dieses Projekt zu verwirk-ichen.
Ja, in der Gruppe sogar einstimmig. Ich glaube nachie vor, dass es Sinn und Zweck hat, dieses Projekt zuerwirklichen.Zweitens sollten wir uns von der Maxime leiten las-en, die internationalen Verpflichtungen gegenübernseren Bündnispartnern einzuhalten. Herr Schäfer, Sieaben vorgeschlagen, die Zahl der Bundeswehrsoldaten
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Jürgen Herrmannauf 100 000 zu reduzieren. Sie müssen mir erklären, wiewir uns dann überhaupt noch an internationalen Einsät-zen beteiligen könnten. Die Politik, die Sie hier betrei-ben – Sie haben von Kanonenbootpolitik gesprochen –,zeugt davon, dass Sie kein Interesse daran haben, Sicher-heit für die Bundesrepublik zu gewährleisten. Das istpure Stimmungsmache. Ich kann nur davor warnen, denbestehenden Konsens im Verteidigungsausschuss aufzu-kündigen.
Wir sollten uns drittens von der Maxime leiten lassen,die wehrtechnische Industrie zu stärken. Es ist sicher-lich wichtig, ihre Konkurrenzfähigkeit auf internationa-lem Parkett zu erhalten. Es liegt in unserem Interesse,uns nicht von der ausländischen Rüstungsindustrie ab-hängig zu machen. Sie wartet nämlich nur darauf, dasswir unsere Kernfähigkeiten vernachlässigen. Letztend-lich zahlen wir einen hohen Preis, wenn wir nicht mehrselbst produzieren.Die Bundeswehr hat sich im Laufe des Transforma-tionsprozesses zu einer Armee im Einsatz entwickelt,deren Aufgabe darin besteht, Frieden sichernde undFrieden erhaltenden Maßnahmen auszuführen. Ein Endedieser Entwicklung und der damit verbundenen Fragenach weiteren Einsätzen im Ausland ist nicht absehbar.Herr Minister, Sie haben vorhin die NATO-Response-Force und die EU-Battle-Groups angesprochen. Das sindAufgaben, die wir in Zukunft zu bewältigen haben.Es ist sicherlich wichtig, einen ausreichenden Plafondbereitzuhalten, damit wir Truppen zur Verfügung stellenkönnen, wenn sie angefordert werden. Daher ist eineTruppenstärke von 250 000 Männern und Frauen sicher-lich angemessen.Die Bundeswehr wird auch – der Minister hat das an-gesprochen – in Katastrophengebieten im In- und Aus-land eingesetzt, in jüngster Zeit, um nur einige Beispielezu nennen, in Bad Reichenhall, in Hochwassergebieten,im Erdbebengebiet in Pakistan und bei der Bekämpfungder Vogelgrippe auf Rügen. Das ist das Aufgabenspek-trum, dem sich unsere Bundeswehr gegenübersieht.Unsere Soldaten stellen die Einsatzfähigkeit der Bun-deswehr tagtäglich – das muss man hier einmal sagen –unter Beweis. Sie zeigen, zu welchen Leistungen sieletztendlich bereit sind und dass sie verantwortlich han-deln können. Die Organisationsstruktur und das Engage-ment jedes einzelnen Soldaten ist, das kann ich hier nurfeststellen, vorbildlich. Mein herzlicher Dank an die Sol-datinnen und Soldaten, die dies immer wieder möglichmachen.
Eine ganze Reihe von Haushaltsstellen desEinzelplans 14 ist dem Umbau zu einer modernen, effi-zienten sowie schnell einsatzfähigen und leicht verlegba-ren Truppe geschuldet. Ich begrüße daher sehr, dass dieverteidigungsinvestiven Ausgaben, die bei 6 Milliar-den Euro liegen, auf 25 Prozent des Etats angewachsensind. Wir müssen daran arbeiten, diesen Anteil noch zusptrodwagadnrlswu1snrDkIEnNnrsBdsMEbdsNdugsddndlud
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Nun hat das Wort die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeswehr muss sich auf die neuen Herausforde-
rungen und auch auf neue Aufträge einstellen. Mit den
ihr zur Verfügung gestellten Mitteln hat sie diese Auf-
gabe bisher sehr gut gemeistert. Allerdings sind die poli-
tischen Vorgaben mit den zugebilligten Mitteln häufig
nicht kompatibel. Der in aller Munde geführte und hier
schon einige Male angesprochene Transformationspro-
zess hat nicht in allen Bereichen die richtige Zielsetzung,
vor allem nicht in der Grundsatzfrage der Struktur unse-
rer Streitkräfte. Ich finde, da liegt das Grundproblem für
die Zukunft der Bundeswehr.
Allerdings – das hat sich in der heutigen Debatte ge-
zeigt – ist eine Strukturkorrektur vonseiten der Regie-
rung nicht ins Auge gefasst. Stattdessen beschäftigt sich
die Bundesregierung im Augenblick mit weiteren Aus-
landseinsätzen, beispielsweise in Afrika. Auch wir sehen
die dringende Notwendigkeit, uns mit Afrika zu beschäf-
tigen, aber dann bitte mit einem klaren Konzept und in
internationalem Rahmen. Die Art und Weise, wie das im
Augenblick stattfindet – man hat kein klares Konzept
und dann legt die Bundesregierung auch noch das Parla-
ment de facto im Vorhinein fest, indem sie international
bereits klare Zusagen macht –, ist inakzeptabel. Die
Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Daran
sollten wir weiter festhalten.
Der komplette Entscheidungsablauf bei der Bundes-
regierung in diesem Zusammenhang ist ein Desaster.
Beispielsweise ist nach wie vor völlig unklar, wie die
mittlerweile nur noch 200 für Kinshasa eingeplanten
Soldaten denn tatsächlich eine Abschreckung darstellen
sollen.
Und was passiert eigentlich, wenn sich die Sicherheits-
lage nach den Wahlen drastisch verschlechtert? Behalten
in einem solchen Fall Einsatzraum und Einsatzdauer tat-
sächlich ihre Gültigkeit? Ich weiß, dass die Kolleginnen
und Kollegen der SPD und CDU/CSU im Verteidigungs-
ausschuss diese Fragen genauso gestellt haben wie die
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Im Übrigen, Herr Verteidigungsminister Jung, haben
ie wiederholt erklärt, dass Deutschland sich, wenn
berhaupt, lediglich in Form von logistischer und Luft-
ransportunterstützung beteiligen werde, aber auf gar
einen Fall mit Kampftruppen. Sie haben zu Beginn der
iskussion auch gesagt, Deutschland werde auf gar kei-
en Fall eine Führungsrolle übernehmen. Jetzt ist es so,
ass Deutschland nicht nur irgendeine Führungsrolle,
ondern sogar die Gesamtführung für diesen Einsatz
bernehmen soll.
Vor diesem Hintergrund muss ich schon sagen: Das
in und Her in der Diskussion war unnötig und ist ver-
ntwortungslos, weil die Soldatinnen und Soldaten der
undeswehr Sicherheit brauchen. Ich finde, man sollte
ber solche Fragen erst diskutieren, wenn man Klarheit
at, und nicht schon über alles Mögliche vorher in der
ffentlichkeit diskutieren und es anschließend revidie-
en.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen der SPD-Fraktion?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Homburger, ist Ihnen möglicherweise
ntgangen, dass das Operation Headquarter in Potsdam
war auch national führen und den Beitrag für Afghanis-
an leisten soll, aber strukturell in erster Linie darauf
usgerichtet ist, unter der politischen Verantwortung der
uropäer – multinational eingebettet, was sich auch im
ersonal zeigt – zu führen? Insofern ist Ihre Aussage,
ass die Operation unter deutscher Führung stehe,
alsch. Es ist eine europäische Führung. Möglicherweise
aben Sie das übersehen.
Herr Kollege Arnold, das habe ich nicht übersehen.s ist in der Tat so, dass die Deutschen die gesamte Füh-ungsverantwortung übernehmen sollen.
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Birgit HomburgerSelbstverständlich wird dieses Headquarter in Potsdamteilweise auch mit Offizieren aus anderen Ländern be-setzt; das ist völlig klar. Aber es stellt sich beispielsweisedie Frage, warum man in diesem Zusammenhang, wasdie Führungsfrage angeht, nicht zunächst einmal mit derNATO gesprochen hat. Auch hier herrscht eine Sprach-losigkeit, die völlig inakzeptabel ist.
Wir sagen Ihnen: Eine solche Art und Weise des Vorge-hens – dass man erst öffentlich das eine sagt und an-schließend das andere macht – ist zu kritisieren. DiesenPunkt habe ich angesprochen.
Herr Minister, Sie haben das Weißbuch erwähnt. ImHinblick auf die Entwicklung der Bundeswehr hin zu ei-ner Armee im Einsatz ist es tatsächlich unumgänglich,endlich die sicherheitspolitischen Interessen Deutsch-lands und in der Folge auch die Grenzen für zukünftigeAuslandseinsätze klar zu definieren. Das ist nach wievor noch nicht passiert.Wir als FDP-Bundestagsfraktion hoffen, dass dieseFragen im neuen Weißbuch beantwortet werden, weil esdringend erforderlich ist, sowohl die sicherheitspoliti-schen Interessen Deutschlands als auch die Grenzen fürzukünftige Auslandseinsätze klar zu definieren. Das istschon lange überfällig und muss in diesem Jahr endlichgemacht werden.Nun möchte ich eine Bemerkung zum Einsatz inAfghanistan machen. Abdul Rahman, der zum Chris-tentum übergetreten ist, wurde heute bereits in anderenDebatten erwähnt. In der Debatte, die wir heute Morgengeführt haben, war unser Informationsstand aber nochein anderer. Wir alle gingen davon aus, dass man ihn ausdem Land ausreisen lässt. Zwischenzeitlich haben wirerfahren, dass das afghanische Parlament einen Antragbeschlossen hat, wonach man ihn nicht ausreisen lassenwill.Ich finde, vor diesem Hintergrund sollten wir alledeutlich machen: Es ist unseren Soldatinnen und Solda-ten im Einsatz in Afghanistan nur sehr schwer zu vermit-teln, dass man Respekt vor einer anderen Religion zei-gen und entwickeln soll, wenn man gleichzeitig erfährt,dass der Respekt vor der eigenen Religion, die viele un-serer Soldatinnen und Soldaten haben, in dieser Art undWeise mit Füßen getreten wird. Das ist inakzeptabel unddas sollten wir als Parlament, aber das sollten auch Sieals Regierung deutlich festhalten.
Trotz aller Einsparungspläne muss der bestmöglicheSchutz unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleistetsein. Ausrüstung und Bewaffnung der Streitkräfte berei-ten uns allerdings Sorgen. Deutsche Soldatinnen undSoldaten, die in Afghanistan im Einsatz sind, sitzen inFahrzeugen, von denen lediglich die Hälfte Schutz ge-gen Sprengstoff- und Minenanschläge bietet. Im BerichtddlsWttbbjdtwhSgmwbdPtimginnDSSuDgdwSidAggszKae
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Der positive Ansatz des 39. Finanzplans darf nichtdurch die vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung von 16auf 19 Prozent, die auch auf die Bundeswehr zukommt,zurückgenommen werden. Deshalb wird man mit denHaushältern und Finanzpolitikern der großen Koalitionüber die 300 Millionen Euro, mit denen der Verteidi-gungsetat dadurch belastet wird, noch diskutieren undnach Lösungen suchen müssen. Ziel muss es sein, derBundeswehr einen ihren Aufträgen angemessenen Etatzur Verfügung zu stellen. Hier stehen wir alle im Wort.Lassen Sie mich einige Worte zur Struktur desHaushaltes 2006 und dessen zukünftiger Entwicklungsagen. Für Personal sind im Entwurf des Haushaltesrund 11,8 Milliarden Euro veranschlagt. Mit 49,3 Pro-zent sinkt der Anteil der Personalkosten das erste Malseit der Wende auf unter 50 Prozent. Der KollegeSchäfer von der PDS hat gefordert, dass wir laufend ab-rüsten. Wir haben, seit der real existierende Sozialismusendlich untergegangen ist und mit ihm Ihr Verein, beider Zahl der Soldaten eine Einsparung und Abrüstungerreicht, die ihresgleichen sucht. Dazu haben Sie durchden planwirtschaftlichen Ruin dieses Staates beigetra-gen.
– Getroffene Hunde bellen. So ist das nun einmal. Abge-sehen davon sind Sie Wessi, der in der DKP war.Das Verteidigungsministerium hat in den letzten15 Jahren deutlich mehr Personal abgebaut, als der Bun-desfinanzminister das für die ganze Bundesverwaltungvorgegeben hat. Ein Großteil der Einsparung insgesamtist also auf die Einsparungen bei der Bundeswehr zu-rückzuführen. Das muss auch den Haushältern der ande-ren Bereiche gesagt werden, wenn dort über Einsparun-gen gesprochen wird. Die Bundeswehr hat 85 Prozentder gesamten Einsparungen beim Personal des Bundeserbracht. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.Gleichzeitig muss man noch etwas anderes zurKenntnis nehmen: Obwohl der Personalumfang nahezuhalbiert wurde, sind die Personalkosten fast gleich ge-blieben. Das zeigt, wie schwierig Personalkosten beimBsdFBdvpfdOssbkmuagLEstielsezssrtbznlsWmb6dztvu–HG
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle allen, dieei der unverzichtbaren Nachwuchsgewinnung mitwir-en. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind gemeinsamit unseren zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternnser wichtigstes Kapital.Für Materialerhaltung sind 1,9 Milliarden Euro ver-nschlagt; das sind 7,9 Prozent des Etats. Für die sonsti-en Betriebsausgaben wie Verpflegung, Unterhalt voniegenschaften oder Kraftstoffe stehen 3,5 Milliardenuro im Entwurf; das sind 14,8 Prozent des Etats. Zu-ammen kommt man auf 72 Prozent des gesamten Ver-eidigungsetats für Personal- und Betriebsausgaben. Dasst ein erschreckend hoher Anteil. Hier wird sich nochiniges bewegen müssen. Das kann man mit aller Deut-ichkeit feststellen. Ansonsten werden wir die ange-trebte Investitionsquote nämlich nicht erreichen.Die Betriebsausgaben sollen unter anderem durchine stärkere Kostensenkung in der Materialerhaltung,um Beispiel über weitere Kooperationen mit der Wirt-chaft, und durch eine weitere Konsolidierung des Per-onalhaushalts – insbesondere beim Zivilpersonal –eduziert werden. Der Anteil der Personal- und Be-riebsausgaben wird bis 2009 auf 68 Prozent sinken, wo-ei der Anteil der Personalkosten dann nur noch 46 Pro-ent dieses Etats ausmachen soll. Das ist auch dringendotwendig.Durch Betreiberlösungen, die so genannten öffent-ich-privaten Partnerschaften, lassen sich einige Kosten-enkungen bewerkstelligen. Die Kooperationen mit derirtschaft gewinnen bei uns an Gewicht. Seit der erst-aligen Veranschlagung im Jahre 2003 ist dieser Ausga-enbereich um mehr als das Zehnfache auf über50 Millionen Euro angewachsen. Eines muss man beiiesem Bereich allerdings auch sagen: Man muss hierur Vorsicht mahnen. Nicht jede Lösung, durch die Leis-ungen aus Kostengründen aus der Bundeswehr heraus-erlagert werden, ist unbedingt besser. Die Probephasennd den späteren Betrieb dieser Kooperationslösungenwie zum Beispiel die BwFuhrpark-Service GmbH, dieIL, die LH Bundeswehr BekleidungsgesellschaftmbH und andere – müssen wir kritisch und konstruktiv
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Johannes Kahrsbegleiten. Wir wollen das, wir wollen aber auch, dass esfunktioniert, und es muss für die Bundeswehr die bes-sere Lösung sein. Das ist nicht immer die preiswertereLösung.
Wirtschaftlichkeit kann nicht das einzige Kriterium sein.Die Effizienz muss auch stimmen. Gleichzeitig darf manaber auch nie vergessen, den innovativen und flexiblenMittelstand zu beteiligen. Das gerät hier manchmal unterdie Räder. Gerade als SPD-Fraktion werden wir deutlichdarauf schauen, dass sich das ändert.Die Bundeswehr muss sich auf ihre Kernaufgabenkonzentrieren können. Das ist wichtig. Die Privatwirt-schaft soll Aufgaben erfüllen, die sie besser und preis-werter leisten kann. Das geht aber eben auch nicht im-mer. Schauen Sie sich zum Beispiel das Marinearsenalan. Dort haben wir gesehen, dass das so nicht funktio-niert.Ein Anheben der verteidigungsinvestiven Ausgabenauf 30 Prozent kann bei einem gegebenen Plafond nurdurch eine Senkung der Betriebsausgaben erfolgen. Dieswerden wir entsprechend umsetzen. Gleichzeitig wollenwir die Investitionsausgaben insbesondere für die Berei-che Forschung, Entwicklung und Erprobung sowie fürdie militärische Beschaffung steigern. Alle großen Vor-haben, die unter Rudolf Scharping und Peter Struck an-gestoßen worden sind, sind hier abgebildet. Dies giltauch für den gültigen Finanzplan bis zum Jahre 2009.Das ist auch gut so. Schwierigkeiten gibt es für die Jahredanach. Wir alle werden darauf schauen müssen, dasswir nicht Dinge beschließen und versprechen, die wirdann in den Jahren 2010 ff. nicht halten können.Weiterhin darf nie in Vergessenheit geraten, dass derTransformationsprozess, die Anpassung der Bundeswehran sich immer wieder ändernde Aufträge, bedeutet, dasssich auch Beschaffungsaufträge ändern können. Dasheißt, Dinge, die wir noch vor wenigen Jahren beschlos-sen haben, können in zwei oder drei Jahren schon falschoder nicht mehr ganz so richtig sein. Es kann sein, dassman geringere Stückzahlen braucht, weil sich die Lageverändert hat. Wenn wir die Bundeswehr immer mit demaktuellen und besten Gerät ausrüsten wollen, dann müs-sen wir auch hier flexibel sein und prüfen, wie man mitsolchen Verträgen umgeht. Man sollte also auch inDeutschland im Bereich der Rüstungsbeschaffung inno-vative Wege gehen. Wir können uns ja einmal unsereNachbarländer anschauen. Vielleicht kann man von denPartnern in der NATO ja das eine oder andere lernen.
Unsere Bundeswehr kann nur funktionieren, wenn un-sere Soldatinnen und Soldaten optimal ausgerüstet sind.Deswegen ist insbesondere die persönliche Ausstattungder Soldaten wichtig.
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azu möchte ich unbedingt nicht nur der Bundeskanzle-in, sondern auch dem Außenminister und allen demo-ratischen Kräften in diesem Hohen Hause danken,
ie sich sehr dafür eingesetzt haben, dass diese Lösungöglich wurde.
Gestatten Sie mir eine zweite persönliche Bemer-ung. Der Minister ist auf die Einsatzfähigkeit der Bun-eswehr eingegangen und hat lobend erwähnt, dass die-er Teil des öffentlichen Dienstes Einsatz auch nach demnde der offiziellen Dienstzeit zeige. Ich möchte als Ab-eordnete aus Mecklenburg-Vorpommern an diesertelle der Bundeswehr ganz besonders für ihren dortigeninsatz – vor allen Dingen auf Rügen – im Zusammen-ang mit der Vogelgrippe danken. Das sage ich alsaushälterin auch im Hinblick darauf, dass wir es schaf-en, die „Generosität“ so weit zu treiben, dass das Bun-esland die Kosten dafür nicht übernehmen muss.Ich möchte drittens auch im Namen des Kollegenartholomäus Kalb der Bundeswehr danken, die bei derchneekatastrophe im Bayerischen Wald so tapfer ge-ämpft hat. Wir alle haben noch die Bilder in Erinnerungnd genießen jetzt die drei Tage, an denen das Wetterchön war, ganz besonders. Was die vielen kleinenlüsse im Bayerischen Wald angeht, die eventuell vonochwasser betroffen sein könnten, bleibt abzuwarten,b wir die Bundeswehr nicht noch einmal brauchen kön-en.
Des Weiteren möchte ich auch den Soldatinnen undoldaten, die sich im Einsatz befinden, meinen Dankussprechen. Denn sie sorgen sich um Freiheit und Men-chenwürde. Das ist oft ein schwieriger Dienst. Die der-eit circa 7 500 Soldaten im weltweiten Einsatz tragenlso nicht nur unser Verständnis von Demokratie undoleranz im Wertegefüge in andere Kulturkreise, son-ern sie sind auch im besten Sinne des Wortes Botschaf-er für die Bundesrepublik Deutschland.Mit dem Ansatz von circa 23,9 Milliarden Euro hater Entwurf zum Wehretat eine Verstetigung erfahren.arüber ist schon berichtet worden. Ich möchte in die-em Zusammenhang darauf hinweisen, dass auch derehretat einen kleinen Einsparbeitrag leistet. Denn trotzer Verstetigung ist er mit einem Anteil von 9,1 Prozentm Bundeshaushalt im Vergleich zum vergangenen Jahr,
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Susanne Jaffkeals der Wehretat noch 9,4 Prozent des Gesamtetats be-trug, etwas abgeschmolzen worden.Im Zuge der Strukturanpassungen bleibt auch dieTransformation der Bundeswehr mit einer Zielstrukturvon 250 000 Soldatinnen und Soldaten sowie75 000 zivilen Angestellten, Beamten und Arbeitern imJahr 2010 eine besondere Herausforderung. Es ist un-schwer zu erkennen, dass in den nächsten Monaten dieDurchplanung der neuen Strukturen im Mittelpunkt ste-hen muss. Die Regierungskoalition wird also zum Endedieses Jahres die Personalbedarfsermittlungen zur Ziel-stellenstruktur vor allem bei den Zivilbeschäftigten beimMinisterium abfragen.Kommen wir zu den großen Ausgabenblöcken. Es istbereits angesprochen worden, dass die Personalausgabenmit 11,8 Milliarden Euro erstmalig unter 50 Prozent desWehretats gesunken sind. Des Weiteren sind 6,02 Mil-liarden Euro für die verteidigungsinvestiven Ausgabenund 5,43 Milliarden Euro für allgemeine Betriebsausga-ben und Materialerhaltung veranschlagt. 650 MillionenEuro sind für so genannte Betreiberlösungen veran-schlagt.Zu den Betreiberlösungen möchte ich einiges aus-führen. In diesem Parlament ist lange und heftig über dieBereiche GEBB, HIL oder Herkules gestritten worden.Nach dem Vorliegen erster Prüfberichte des Bundesrech-nungshofes und den persönlichen Erfahrungen vielerKollegen in diesem Haus denke ich, dass der beschrit-tene Weg der Weiterentwicklung der Betreiberlösungenbegrüßt werden kann.Erfahrungen, die im Bereich Liegenschaftsmanage-ment gesammelt wurden, sollen mit den Erfahrungen derBImA verglichen werden und zu Optimierungen in derLiegenschaftsverwaltung führen. Auch die BwFuhrpark-service GmbH und die Bekleidungsgesellschaft werdenstrategisch weiterentwickelt und mit zusätzlichen Aufga-ben betraut. Dass sie durch die Organisationsumstruktu-rierung im Ministerium mit der neu zu schaffendenAbteilung M besser kontrolliert werden sollen, ist eben-falls zu begrüßen.Die weitere Einführung der Heeresinstandsetzungslo-gistik steht noch unter Parlamentskontrolle.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gleich. – Hier sehe ich unsere besondere Verantwor-
tung, durch Transparenz in der Vergabe vor allen Dingen
dem Mittelstand weiterhin die Möglichkeit zu geben, an
Aufträgen zu partizipieren und die Kosten insgesamt zu
senken, damit Spielräume für notwendige Investitions-
maßnahmen geschaffen werden können.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bonde von den Grünen?
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Die Kürze der Zeit erlaubt es mir nur, sporadischauf einige Ausführungen zu antworten. Ich möchte aberversuchen, es so darzulegen, dass sich jeder wiederfin-det.Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Aufstellung ei-nes Verteidigungsetats – es heißt nicht „Wehretat“; da-rauf sollten wir uns einigen – ist, dass man über Szena-rien unabhängig voneinander nachdenken muss. Der alteKalte Krieg und bestimmte schreckliche Dinge, dieschon passiert sind, vernebeln unsere Gedanken daran,was wir eigentlich beschaffen sollten und was nicht. Ichweise Sie darauf hin, dass – teilweise aufgrund von Er-findungen wie Dual-Use-Produkten – eine bedrohlicheEntwicklung entstehen kann, der man begegnen muss,bevor man in die Nähe der Bedrohung kommt. Dasmacht die Ausgestaltung der Ausrüstung der Bundes-wehr sehr schwierig und führt dazu, dass manche Dingedoppelt genutzt werden, sehr verehrte Frau Hoff. DieEntwicklungshilfeministerin – sie ist leider nicht mehranwesend – wird froh sein, wenn statt 60 beispielsweise80 A400M zur Verfügung stehen; denn ich vermute, dassdie Masse dieser Transportflugzeuge genutzt wird, umhumanitäre Hilfe zu leisten, und dass weniger militäri-sches Personal in diesen Flugzeugen transportiert wirdals ziviles Hilfspersonal. So wird es wahrscheinlichkommen.Der Kalte Krieg hätte zwar auf deutschem Bodenstattgefunden, wenn er sich erhitzt hätte. Aber man hättekeine strategische Verlegefähigkeit zur See und in derLuft gebraucht, genauso wenig wie manch andere Dinge.Es ist gut, dass die Geschichte darüber hinweggegangenist; denn wenn wir uns anschauen würden, welchesSchutzpotenzial das alte Material bis 1989/90 hatte, kä-men wir heute zu ganz anderen Erkenntnissen. HerrBonde, insofern handelt es sich nicht um eine Industrie-politik, die nur dann etwas tut und brav springt, wenn dieIndustrie ein Stöckchen hochhält; so ist es tatsächlichnicht. Wenn der Minister ein Doppelminister sein sollte,dann hat er zumindest seine Verdienste um den Erhaltbestimmter Kernfähigkeiten in der BundesrepublikDeutschland. Das ist auch gut so.Herr Schäfer, man sollte immer das Ganze vor seinenTeilen sehen. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dassder Haushalt des Verteidigungsministers unverhältnis-mäßig hoch ist und den Gesamthaushalt übermäßig be-lastet. Das Spiel, das ich immer wieder von kleinerenGruppen höre, ist natürlich beliebt – es ist immer dasGwmddmkSrdjndesntKsiDnlsDdsSsadlsfKLdSdsOsSlaEmBbltgsUr
Lassen Sie mich einen etwas dezidierteren Blick inen Haushalt werfen. Art. 87 a des Grundgesetzeschreibt vor, dass der Haushaltsplan die zahlenmäßigetärke der Bundeswehr und die Grundzüge ihrer Organi-ation erkennen lassen muss. Wer sich in Kapitel 1403uskennt, sieht, wie die Bundeswehr gegliedert ist. Dassie SKB die passende Stelle noch nicht gefunden hat,iegt daran, dass die neue Gliederung der Bundeswehrich erst einspielen muss; diese Abbildung wird noch er-olgen.Was mich nachdenklich stimmt – da möchte ich denollegen Kahrs nachdrücklich unterstützen –, ist, wer dieast der Einsätze trägt. Das ist natürlich überwiegendas Heer; wobei die Verdienste von Luftwaffe, Marine,KB und Sanitätsdienst in keiner Weise geschmälert wer-en sollen. Es geht mir um etwas anderes: In Kapitel 1403ind allein 30 012 A-7-plus-Zulage-Stellen – das sind dieberfeldwebel – ausgewiesen, 29 930 A-6-Stellen – dasind die Stabsunteroffiziere –, 20 742 A-8-plus-Zulage-tellen – die Hauptfeldwebel – und 19 188 A-4-plus-Zu-ge-Stellen – das sind die Hauptgefreiten. Die Last derinsätze tragen also die Soldatinnen und Soldaten desittleren Dienstes, den wir in einigen Bereichen derundesrepublik Deutschland überhaupt nicht mehr ha-en.Der Hinweis des Kollegen Kahrs auf die Nachwuchs-age hat etwas mit der Attraktivität der Bezahlung zuun. Daran, dass andere sicherheitsrelevante Berufe Ein-angsbesoldungen haben, die bei A 5 oder A 7 beginnen,ehen wir, welche Schwierigkeiten auf uns zukommen.m die Attraktivität zu steigern, werden wir im mittle-en Dienst, möglicherweise abgestuft, sicherlich etwas
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Gerd Höfertun müssen, damit wir die Leistungsträger, die dieHauptlast der Einsätze tragen, also vom Hauptgefreitenbis zum Hauptfeldwebel, in ausreichender Zahl und ho-her Qualität bekommen können. Dies ist eine Zukunfts-aufgabe, die sich sicherlich auch der Bundeswehrver-band auf die Fahnen geschrieben hat. Wir solltenmöglichst zügig daran arbeiten.
Da der Name des Kollege Beck erwähnt worden ist,lassen Sie mich abschließend etwas zu den Reservistensagen. Zunächst danke ich allen Kolleginnen und Kolle-gen, die am 14. März 2006 am Parlamentarischen Abendim Haus der Deutschen Wirtschaft teilgenommen haben.Dem Haus der Deutschen Wirtschaft vielen Dank für dieGastfreundschaft und für die hervorragende Organisa-tion dieses Abends!Die Reservisten stellen bis zu 12 Prozent der an denAuslandseinsätzen der Bundeswehr Beteiligten. DerKollege Beck und ich haben uns bei einer Reise in dasKosovo ausschließlich mit der Frage der Reservisten be-fasst und sie dort besucht. Ohne Reservisten geht bei derBundeswehr gar nichts mehr, allerdings geht bei den Re-servisten ohne die Bundeswehr auch nichts mehr.
Das ist so. Wir müssen der Transformation der Bun-deswehr folgen. Wir haben schließlich den Ehrgeiz, dieReservisten so auszubilden, dass sie in der Bundeswehrjederzeit einsatzbereit sind und dass sie die Erfahrungen,die sie bei der Bundeswehr gesammelt haben, nicht nurbei uns einbringen, sondern auch bei der Industrie, diedaraus möglicherweise Vorteile zieht.Ich bitte Sie herzlich, aufmerksam zu beobachten,wenn der Reservistenverband im Verteidigungsaus-schuss seinen Rechenschaftsbericht wird abgeben müs-sen. Im Kap. 1403 auf Seite 30 steht klar, dass wir nichtüberflüssig sind:Dem „Verband der Reservisten der Deutschen Bun-deswehr e. V.“ ist die Aufgabe übertragen worden,aus der Bundeswehr ausgeschiedene Offiziere, Un-teroffiziere und Mannschaften nach Richtlinien desBundesministeriums der Verteidigung im Rahmendes Wehrrechts zu betreuen und fortzubilden.Das wollen wir gerne tun. Dazu brauchen wir Ihre parla-mentarische Unterstützung; denn von der Qualität derdort organisierten Reservistinnen und Reservisten hängtauch ab, wie sich die Bundeswehr demnächst in der Flä-che präsentiert. Wir haben mit über 2 000 Reservisten-kameradschaften eine ziemlich große Verbreitung in derBundesrepublik Deutschland. Den Bürgerinnen und Bür-gern ist es egal, ob jemand, der in Bundeswehruniformerscheint, ein Reservist oder ein Aktiver ist. DiesesPotenzial weiterhin aufrecht zu erhalten und qualifiziertzu begleiten, darum darf ich Sie auch im Namen desKollegen Beck, des Präsidenten des Verbandes, hier undheute herzlich bitten.Damit beende ich meine Rede.VdubStwDsGswmftabnfD2–s2dzffhiMfdfasW2dhsdid
enn wir erreichen wollen, dass die ODA-Quote bis010 bei 0,51 Prozent und bis 2015 bei 0,7 Prozent liegt,ann müssen wir nicht nur die entsprechenden Haus-altsmittel zur Verfügung stellen, sondern auch dafürorgen, dass – zweitens – weitere Schritte zur Entschul-ung der Entwicklungsländer ergriffen und – drittens –nnovative Finanzierungsinstrumente gefunden wer-en.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulIch möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem franzö-sischen Staatspräsidenten Chirac für seine antreibendeRolle bei der Entwicklung von innovativen Finanzie-rungsinstrumenten danken. Eine Reihe von Ländernschreitet voran: Frankreich, aber auch Brasilien undChile haben erklärt, dass sie in nächster Zeit eine Ent-wicklungsabgabe auf Flugtickets einführen werden. Wirals Bundesregierung haben über die Frage eines be-stimmten Instruments zur innovativen Finanzierungnoch nicht entschieden. Sie können aber ganz sichersein, dass wir darüber so rechtzeitig entscheiden, dasswir die Zielmarke erreichen werden.
Das können wir anhand der jetzt erreichten 0,35 Prozentbelegen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: VieleMenschen in Deutschland, die helfen möchten, wollen– wir haben das immer wieder gesehen –, dass der Skan-dal, dass an jedem Tag 30 000 Kinder an vermeidba-ren Krankheiten sterben, ein Ende hat. Lassen Sie unsalles dafür tun! Lassen Sie uns dazu unsere Beiträgebündeln!
Ich möchte auf etwas zu sprechen kommen, was mitder globalen Armutsbekämpfung und mit gerechter Glo-balisierung zusammenhängt: Es geht um die Energie-politik. Am 3. April 2006 findet der Energiegipfel statt.Gerade für Entwicklungsländer ist die effiziente Nut-zung von Energie, auch von erneuerbarer Energie, be-sonders wichtig. Dieser Bereich ist zu einem Markenzei-chen deutscher Entwicklungszusammenarbeit geworden.Wir kooperieren auf dem Gebiet der erneuerbaren Ener-gien mit 35 Ländern in Afrika, Lateinamerika, Asien,Südosteuropa und im Nahen Osten. Wir kooperieren aufdem Gebiet der Energieeffizienz mit 28 Ländern.Die Gründe liegen auf der Hand: Einheimische Quel-len sind erreichbar und verlässlich; die Energie, die dortproduziert wird, hat erschwingliche Preise. Zugleichsind diese Quellen ökologisch nachhaltig, weil durchihre Nutzung Klimarisiken abgewendet werden. IhreNutzung bedeutet Sicherheit, weil sie die Abhängigkeitvom Öl reduziert. Im Sinne einer friedlichen Lösung istdieser Weg sinnvoll.
Deshalb werden wir diesen Bereich besonders stärken.
Ich bin der Debatte den ganzen Tag gefolgt.
Ich hoffe, dass andere der Debatte über das Thema Ent-wicklungshilfe genauso zuhören. Lassen Sie mich daheretwas zum Kongo sagen. Ich wende mich hier geradeauch an die Linke.wwddSsCWtw9wsFdagmiigMggnncSmmgKkiguFEddae
Deshalb betone ich an dieser Stelle: Wenn wir diehance haben, einen Beitrag zur Stabilisierung diesesahlprozesses und dieses Übergangsprozesses zu leis-en, dann müssen wir sie nutzen, und zwar gerade dann,enn man sich als links versteht.
4 Millionen Menschen in dieser Region sind in den0er-Jahren Opfer interner Auseinandersetzungen ge-orden. Dennoch fragen manche: Liegt es denn im deut-chen Interesse, einzugreifen? Die Welt hat schwereehler gemacht, als sie sich dem Völkermord in Ruandaamals nicht entgegengestellt hat. Ruanda wird nur dannuf Dauer sicher sein, wenn es einen stabilen Kongoibt. Wir sind gemeinsam überzeugt, dass wir alles tunüssen, um dem Blutvergießen ein Ende zu setzen. Dasst eine gemeinsame Verpflichtung und sie ist – das willch ausdrücklich sagen – nicht von der Hautfarbe abhän-ig.
Manche reden darüber wie der Blinde von der Farbe.an könnte besser darüber reden, wenn man einmal dortewesen wäre. Mittlerweile – das hat uns der UN-Unter-eneralsekretär Egeland gestern gesagt – sind 1,6 Millio-en Flüchtlinge ins Land zurückgekehrt. Wollen wiricht dazu beitragen, dass sie eine eigene Zukunfts-hance haben?Heute ist gesagt worden – ich glaube, es war Herrchäfer –, das Militär sei dabei doch nicht alles. Wasachen wir in der Entwicklungszusammenarbeit? Wasachen wir schon bisher, was wir verstärkt voranbrin-en wollen? Wir tragen zur Wiedereingliederung vonämpfern in das zivile Leben bei. Wir helfen bei der Be-ämpfung von Aids. Wir helfen Kindersoldaten zurückn ein Leben ohne Gewalt. Wir unterstützen die Versor-ung mit sauberem Trinkwasser. Wir helfen beim Schutznd Management der natürlichen Ressourcen. Herrischer, wer das einmal vor Ort erlebt hat, der dankt denntwicklungsmitarbeitern, die ihre Arbeit dort unter Be-ingungen leisten, die – das will ich an dieser Stelle aus-rücklich sagen – wirklich schwierig sind.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Die UN hatusdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser Regionines der Probleme die Rohstoffextraktion und die
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulAusbeutung im Interesse bestimmter Firmen und viel-leicht auch mancher Länder ist. Es gibt den Friedenspro-zess in der Region der Großen Seen. Ein Teil dieses Frie-densprozesses soll dabei sein – das soll beschlossenwerden –, eine Kommission einzurichten, die dazu bei-trägt, dass es eine Kontrolle der Rohstoffnutzung undeine Zertifizierung der Rohstoffe beim Export gibt.Wir als Entwicklungsministerium werden diesen re-gionalen Ansatz unterstützen und dazu beitragen, dassder Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen ein Endegesetzt wird und die Mittel den Menschen in diesemLand zugute kommen. Das ist ein Prozess, der alles zu-sammen umfasst. Man kann nicht einen Punkt heraus-nehmen.Ich appelliere an Sie, gerade unter dem Gesichtspunkt„links“, sich klar zu machen: Es gibt nichts Wichtigeres,als Prozesse zu fördern, die dazu beitragen, Demokratieund Menschenrechte voranzubringen. Bitte bedenkenSie, dass unter diesen Gesichtspunkten niemand sagenkann, da müsse man solche Einsätze ablehnen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michnoch ein Wort zu Abdul Rahman sagen. Natürlich freuenwir alle uns darüber, dass er freigelassen worden ist; wiralle haben uns ja dafür engagiert. Ich sage an dieserStelle aber auch: Wir werden weiter alle Anstrengungendazu unternehmen, dass für die Menschen in Afghanis-tan Religionsfreiheit herrscht und die Menschenrechtevorangebracht werden. Glaube und Religionszugehörig-keit dürfen kein Grund für Verfolgung, Verhaftung undBestrafung sein, nicht in Afghanistan und nirgendwo aufder Welt.
Dafür müssen gerade wir uns, die wir in Afghanistanbeim Wiederaufbau helfen, engagieren.Religionsfreiheit darf auch kein Gnadenakt sein.Afghanistan hat die UN-Menschenrechtskonvention un-terschrieben. Darin ist die Religionsfreiheit garantiert –für alle.
Ausdrücklich will ich sagen, dass jemand, der zumChristentum übergewechselt ist, deshalb nicht gezwun-gen sein darf, sein Land zu verlassen.
Ich weiß, wie es ist. Aber es gibt einfach Werte, für diewir uns engagieren müssen, gerade wenn wir in diesemBereich tätig sind.Lassen Sie mich zum Schluss ein Grundproblem an-sprechen, das dabei wieder deutlich geworden ist. Fastalle Verfassungen der Länder mit muslimischer Mehr-hjfhQsdrMtuuPIdwndbgMmmsUrghagFoanHMls
as ist ja doch eine sehr grundsätzliche Sache. – Danke.
Wir wollen durch unsere Entwicklungszusammenar-
eit dazu beitragen, dass die innerislamischen und inner-
esellschaftlichen Prozesse der Verwirklichung der
enschenrechte, gerade der Frauenrechte, vorankom-
en und dass sie in diese Richtung verlaufen. Dabei
üssen diejenigen unterstützt werden, die die Moderni-
ierungsprozesse vorantreiben. Gleichzeitig gilt unsere
nterstützung aber auch denjenigen, die von Menschen-
echtsverletzungen betroffen sind oder sein könnten.
Zum Schluss sage ich, liebe Kolleginnen und Kolle-
en: Gerade was die Frauen in Afghanistan betrifft,
abe ich nach vielen Gesprächen große Sorgen. Deshalb
n dieser Stelle die Aufforderung an die afghanische Re-
ierung, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die für die
rauenrechte eintreten, nicht diskriminiert, benachteiligt
der gar mit Gewalt überzogen werden. Das ist die
fghanische Regierung ihrem Volk, aber auch der inter-
ationalen Gemeinschaft schuldig.
Ich danke Ihnen.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
ellmut Königshaus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frauinisterin, es war ja erfrischend, dass Sie auch über po-itische Inhalte, über den Kongo, gesprochen haben. Wirprechen hier aber eigentlich über Ihren Haushalt und
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Hellmut KönigshausIhre Ziele. Sie haben zwar einige allgemeine Ziele ge-nannt und die Zielmarke ist ein Erfolg für Sie; das mussman anerkennen. Aber trotz allem muss man eines fest-halten: Dieser Haushaltsentwurf schreibt ein Grundübelfrüherer Haushaltspläne fort. Es geht in großen Teilenüberhaupt nicht um eine Haushaltsplanung. Der Entwurfbeschränkt sich weithin wieder darauf, eine Globalzu-weisung an Dritte vorzunehmen, oftmals an internatio-nale Organisationen, wo wir die Mittelverwendungkaum steuern und erst recht nicht kontrollieren können.Ich weiß, dass das nicht allein Ihre Schuld ist; aberSie setzen dieses Handeln fort. Nun, da die Koalition be-rechtigtermaßen die Haushaltsansätze in den kommen-den Jahren unseren internationalen Verpflichtungen an-passen will, ist es wohl an der Zeit, dass wir uns mitdieser Frage noch einmal befassen.Die so genannte ODA-Quote scheint in der politi-schen Diskussion zum Selbstzweck zu werden. Aber esgeht in erster Linie, liebe Kolleginnen und Kollegen,liebe Frau Ministerin, darum, dass wir nicht einfachmehr ausgeben, sondern mehr bewirken und besser hel-fen, darum, dass die Mittel dort ankommen, wo sie benö-tigt werden, und dass sie für die Zwecke verwendet wer-den, für die sie gedacht sind. Die vorrangige Frage nachinhaltlichen und regionalen Prioritäten wird von Ih-nen aber überhaupt nicht beantwortet und wurde aucheben nicht angesprochen. Wir hören immer nur, dassDeutschland bisher insgesamt zu wenig investiere; aberwir haben nicht gehört, welche Ziele wir dabei eigentlichstrategisch verfolgen wollen.Es ist im Übrigen auch zu bezweifeln, dass wir hierfürdas richtige Instrumentarium bereithalten. Es gibt eineZersplitterung der politischen Zuständigkeiten; das giltim Übrigen auch für Ihr Budget. Ein Drittel geht direktoder indirekt an internationale Institutionen, ein Drittelan die EU und in das letzte Drittel regieren andereMinisterien mit hinein. Es sind eben, wenn man das zu-sammenfasst, Globalzuweisungen mit gewissen Ausnah-men.Noch undurchsichtiger ist das Dickicht derDurchführungsorganisationen. Was die OECD in ih-rem Peer-Review über die deutsche Entwicklungszu-sammenarbeit geurteilt hat, war von Ihnen als ein großerErfolg angesehen worden. Sie hat Ihnen aber beschei-nigt, dass gerade dieses Geflecht an Beziehungen in denverschiedenen Durchführungsorganisationen die Em-pfängerländer überlaste. Es belastet aber nicht nur diese,sondern auch die Durchführungsorganisationen selbst.Ich will, weil Sie vielen gedankt haben, diesen abernicht, hinzufügen, dass auch die Mitarbeiter der Durch-führungsorganisationen vor Ort unter all dem leiden unddie Probleme, die damit verbunden sind, bewältigenmüssen.Staatssekretär Stather hat kürzlich zugegeben, dassdie Institutionenvielfalt einen ungeheuren Koordinie-rungsbedarf nach sich ziehe. Er hat dafür aber keine Lö-sung und gibt stattdessen Gutachten in Auftrag. Das istdoch nicht mehr als ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
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Dabei geht es nicht um Peanuts. Wir reden hier über61 Millionen Euro allein in diesem Jahr. Dieser Betragoll bis 2008 auf 900 Millionen Euro pro Jahr gesteigerterden. Das ist mehr, als wir für die bilaterale techni-che und finanzielle Hilfe insgesamt jährlich aufwenden.as ist doch verrückt. Dabei ist schon die Zielrichtungieses Fonds, nämlich ausschließlich die Unterstützunger AKP-Staaten, zweifelhaft. Wir zahlen dort – den Zu-örern sei dieses Betriebsgeheimnis einmal verraten –m Grunde genommen nur für das gute Gewissen derhemaligen Kolonialmächte. Ich will von Ihnen schonissen, warum wir ausgerechnet in diesen großen Fondsehr einzahlen, als es die ehemaligen Kolonialmächteelbst tun.Es gibt noch ein haushaltstechnisches Risiko in Mil-iardenhöhe, über das weder die Kanzlerin heute Morgenoch der Finanzminister noch Sie etwas gesagt haben.m letzten Jahr mussten Sie einen Mehrbedarf des EEFon 97 Millionen Euro aus dem Haushalt erwirtschaften.as ist also in den kommenden Jahren? Sagen Sie dazuinmal etwas! Wir wollen es wissen. Wir können es unsinfach nicht leisten, weiterhin nicht abgerufene Mittelus den vergangenen Jahrzehnten nun nachzuschießen.ir haben in Zukunft eine völlig unübersichtliche Haus-altssituation, weil wir nicht wissen, über welche Mittelir tatsächlich verfügen können.
Die FDP fordert daher, die Mittel für den EEF zuperren, bis dieser Sachverhalt nachvollziehbar dargelegtird. Da gibt es mehrere Einzelpunkte, auf die ich aberus Zeitgründen nicht eingehen kann, es sei denn, derollege Ruck würde mir einige Minuten seiner Redezeiteben. Ich glaube aber nicht, dass er dazu bereit ist.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur bila-eralen Entwicklungszusammenarbeit machen. Es istlar, dass wir uns auch da bei den Zielen und Partnerlän-ern beschränken müssen. Wir können nicht mit derießkanne alles bedienen wollen.
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Hellmut Königshaus
Der Mitteleinsatz muss in Zukunft an der Bedürftig-keit und an der Kooperationswilligkeit der Empfänger-länder orientiert werden. Good Governance, über die im-mer gesprochen wird, darf nicht zu einer Modephraseverkommen, sondern sie muss die Grundlage für diestaatliche Entwicklungszusammenarbeit sein. Das giltfür Afghanistan – Sie haben den Fall Rahman schon an-gesprochen – genauso wie für jeden anderen Landstrichdieser Erde.Frau Ministerin, Sie müssen auch loslassen lernen.Die Länder, die auf eigenen Beinen stehen können, soll-ten dies auch tun. Wir brauchen jeden Cent für die wirk-lich Bedürftigen dieser Welt. Sie haben das gerade beider Vorstellung Ihrer Globalziele beschrieben. Entwick-lungszusammenarbeit, nur um vor Ort präsent zu sein, istpure Geldverschwendung.
Wir müssen deshalb unsere Zusammenarbeit mit denSchwellenländern überdenken. Ihr Ankerländerkon-zept geht in die falsche Richtung. Länder wie China, In-dien, Südafrika und Brasilien sind in der Lage, aus eige-ner Kraft zu wachsen. Wir müssen den Mut aufbringen,Ländern, die es aus eigener Kraft geschafft haben, zu sa-gen: Ihr könnt es jetzt alleine; ihr braucht unser Geldnicht mehr; wir konzentrieren die Mittel auf die, die siewirklich brauchen.
Wir konnten bei Vertretern dieser Länder eine posi-tive Resonanz für diese Position finden. Von einem Landwie beispielsweise China, das über die größten Wäh-rungsreserven der Erde verfügt, kann man aufgrund sei-ner Wirtschaftskraft verlangen, die Armutsursachenbe-kämpfung und die Armutsfolgenbekämpfung selber indie Hand zu nehmen. Dazu sind diese Länder auch be-reit. Das gilt natürlich nicht, wenn sie dazu nicht aufge-fordert werden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Es ist gut,dass sich die CDU/CSU ganz offenkundig dieser Posi-tion der FDP nun anzuschließen gedenkt. Der KollegeKampeter hat sich sehr glaubhaft und eindeutig in dieserRichtung geäußert.
– Genau, ein kluger Mann. – Wir würden uns freuen,wenn die Koalition insgesamt sich dem anschließenwürde. Nur Mut, Frau Ministerin! Schließen auch Siesich an!Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz für die
CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Bundesministerin, auch wenn Sie schon daraufingegangen sind, möchte ich dennoch einen Gesichts-unkt zum Thema Afghanistan hervorheben. Der afgha-ische Bürger Abdul Rahman, der lange Zeit ineutschland gelebt hat, zum Christentum übergetretenst und in einem politischen Prozess mit dem Tode be-roht war, wurde erwähnt. Es ist unbefriedigend, dass esberhaupt zu diesem Prozess gekommen ist. Es ist unbe-riedigend, dass Rahman mit der Begründung der Unzu-echnungsfähigkeit freigesprochen worden ist.
s ist unbefriedigend, dass wir darüber nachdenkenüssen, ob er bei uns Asyl bekommen könnte.
ber es ist ein riesiger Erfolg, dass dieser Prozess über-aupt vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattgefun-en hat. An diesem riesigen Erfolg haben unsere ge-einsame Außenpolitik und unsere Entwicklungspolitikinen ganz wesentlichen Anteil.
Die Ministerin hat über den Kongo gesprochen. Es istnbefriedigend, dass es im Kongo noch immer einigeicht demobilisierte Milizen gibt. Es ist unbefriedigend,ass es dort noch Kindersoldaten gibt. Es ist unbefriedi-end, dass sich dort noch Geschäftemacher die Boden-chätze dieses Landes auf dunklen Kanälen illegal aneig-en. All das ist unbefriedigend. Aber es ist ein riesigerrfolg unserer gemeinsamen Politik und im Übrigenuch der Koordination unserer Politik mit den Politikener afrikanischen Staaten, dass es zu Wahlen kommt under Präsident des Kongo bereit ist, internationale Trup-en als Garant eines ordnungsgemäßen Verlaufs dieserahlen in sein Land hineinzulassen.
uch das ist ein Erfolg der Abstimmung der Außenpoli-ik und der Entwicklungspolitik sowie ein Erfolg der po-itischen Koordination der Staaten in Afrika, die letztenndes von den demokratischen Staaten Europas ihrenusgang genommen hat.Aus diesem Grunde halte ich es für in höchstem Maßenverantwortlich, wenn wir wie beispielsweise die FDPm letzten Augenblick sagen: Okay, die Dinge sind gutingerichtet. Alles läuft auf Demokratie und eine posi-ive Entwicklung zu. Aber für den letzten Schritt, um zuremokratie überzuleiten, nämlich für demokratische
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2307
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Arnold VaatzWahlen und die Respektierung des Ergebnisses, setzenwir uns nicht mehr ein. Das lassen wir sie jetzt selbermachen. – Wenn wir so denken, dann machen wir diejahrelangen Anstrengungen in der Entwicklungspolitikmit einem Schlag zunichte.
Wir müssen uns in diesem Fall berechtigterweise fragenlassen, welchen Sinn unsere Entwicklungspolitik hat,wenn wir davor zurückscheuen, das letzte Ziel in Angriffzu nehmen.Meine Damen und Herren, wir reden über die Finan-zierung unserer entwicklungspolitischen Ziele. Das istder Sinn einer Haushaltsdebatte. Die ODA-Quote, überdie wir heute auch reden, nämlich bis zum Jahr 2015 imHaushalt die Marke von 0,7 Prozent des Bruttonational-produktes für Entwicklungshilfe vorzusehen, ist ein sehrehrgeiziges Ziel. Wir haben dafür keine Zaubermittel.Wir haben die Möglichkeit, die Haushaltsmittel zu erhö-hen.
Wir haben die Möglichkeit, das Instrument des Schul-denerlasses zu nutzen. Wir haben die Möglichkeit, inno-vative Finanzierungsinstrumente zu mobilisieren, die dieFrau Ministerin eben genannt hat.
Zur Erhöhung der Haushaltsmittel: Wir haben es tat-sächlich geschafft, 300 Millionen Euro zusätzlich – dassind 8 Prozent mehr – in diesen Haushalt einzustellen.Frau Ministerin, mein Kompliment, dass das gelungenist! Das ist das Ergebnis einer guten Gemeinschaftsleis-tung der Koalition. Darauf können wir stolz sein.
Wir sind uns natürlich darüber im Klaren, dass das In-strument des Schuldenerlasses zweischneidig ist. Schul-denerlass darf nicht dazu führen, dass sofort wieder neueSchulden gemacht werden.
Darauf haben wir zu achten. Herr Kollege Löning, dasbedeutet aber nicht, dass wir das Instrument mit dempauschalen Argument, es würden nach dem Erlass neueSchulden gemacht, von vornherein entwerten sollten.Das darf nicht sein. Das Instrument des Schuldenerlassesist im Kontext der jeweiligen Situation zu betrachten.Genau das werden wir tun. Entsprechend werden wir2006 auf diesem Wege dem Irak und Nigeria – das Fi-nanzministerium hat es errechnet – 1,6 Milliarden Eurozukommen lassen.
Herr Löning, das ist richtig. Sie wissen aber ganz ge-au, dass es in Nigeria nicht nur die von Ihnen angespro-henen ölreichen Küstengebiete gibt. Ich halte es für au-erordentlich wichtig, dass wir uns in diesem Landntsprechend unserem Ziel, Haushaltsmittel als Kataly-ator für die Mobilisierung anderer Finanzquellen einzu-etzen, engagieren.Insbesondere in Nigeria hat sich die Gewährung vonikrokrediten als erfolgreiches und sehr effizientes Mit-el zur Finanzierung von Existenzgründungen erwiesen.
enn es uns möglich ist, Haushaltsmittel nicht bloß aus-ugeben, sondern sie als Katalysator zur Entwicklungon Eigeninitiative und zur Entwicklung von Existenzenn diesem Lande zu nutzen, dann sollten wir das tun.an sollte die Länder, die aufgrund der hohen Verschul-ung ihre Hände ausstrecken, nicht verhungern lassen.
Sie wissen selber, dass die Mikrokredite nicht an Staa-en, sondern an Privatpersonen gehen.
Meine Herren Kollegen, Sie können versuchen, eine
wischenfrage zu stellen. Vielleicht interessiert sich
ann der Redner.
Richtig. – Es ist außerdem wichtig, dass wir überle-en, was wir tun können, um die Privatwirtschaft ineutschland zu aktivieren und zu ermutigen, in Nigeriau investieren. Ich glaube, dass hier in der letzten Zeit zuenig über die Frage der Aktivitäten der Privatwirt-chaft gesprochen worden ist. Wir müssen alles tun, umrivaten die Möglichkeit zu geben, entwicklungspoliti-che Impulse zu setzen.Unsere Entwicklungspolitik besteht aus mehrerenomponenten. Eine davon ist die Armutsbekämpfung.uch hier muss das Stichwort „Hilfe zur Selbsthilfe“ alsrstes genannt werden.
o das nicht reicht, ist es notwendig, auch über andereaßnahmen nachzudenken. Es ist außerordentlich wich-ig, dass wir eine regionale Subsidiarität fordern. Wasedeutet das? Wenn in einem Land eine Hungersnot aus-richt, ist es natürlich nicht allein die Aufgabe des weitntfernten Deutschland, dort zu helfen. Es ist auch un-ere Aufgabe; aber es ist ebenso notwendig, dass sichbenfalls die Anrainerländer in solchen Fällen verant-ortlich fühlen und ihre Hilfe zur Verfügung stellen.arauf müssen wir in der Entwicklungshilfe drängen.
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Arnold VaatzWir müssen dabei auch stärker beachten, dass derMultilateralismus in diesem Bereich effizienter gestaltetwerden muss als bisher. Das heißt, wir müssen etwastun, um die internationalen Institutionen, zum BeispielWTO, Weltbank und IWF, in ihrem Ansehen zu stärken.Der Bürger der Bundesrepublik Deutschland wird be-rechtigterweise fragen, wie es um die Effizienz beimUmgang mit dem Geld, das wir geben, gestellt sei. Des-halb stellt sich die Frage: Wie stark ist unser Einfluss indiesen Institutionen? Es ist notwendig, unseren Einflussin Zukunft zu stärken.Meine Damen und Herren, man könnte die Diskus-sion noch wesentlich weiter führen. Ich möchte – mit Ih-rer Genehmigung, Frau Präsidentin – nur noch ein Wortsagen: Unsere innere und äußere Sicherheit ist so gut,wie es uns gelingt, die innere und äußere Sicherheit an-derswo auf der Welt – Stichworte „Demokratie“ und„gute Regierungsführung“ – zu entwickeln und stärkenzu helfen und daran auch die Intensität unseres entwick-lungspolitischen Beitrags festzumachen. Das sollte einesunserer Kernziele sein. Nicht Projektitis und Gießkanne,sondern direkte Hilfe beim Aufbau von nachhaltigenStrukturen!Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort die Kol-
legin Heike Hänsel.
Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte kurz einen Satz aus der Koali-
tionsvereinbarung zitieren. Darin steht zum Thema Ent-
wicklungspolitik unter anderem:
Die Folgen der sich verschärfenden Entwicklungs-
probleme vor allem in Afrika, aber auch in Teilen
Asiens und Lateinamerikas, gefährden unmittelbar
Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa.
Wenn ich das lese, dann muss ich feststellen, dass das
eine völlig falsche Darstellung von Wirkung und Ursa-
che mit weit reichenden Folgen ist.
Nicht wir sind bedroht; es ist genau umgekehrt: Die jahr-
hundertelange Ausbeutung der Länder des Südens sowie
die jetzige neoliberale Weltwirtschaftsordnung und die
Kriegspolitik bedeuten eine ständige Bedrohung für die
Existenz von Millionen von Menschen.
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o sind denn jetzt Ihre Leute, die einen demokratischen
ahlprozess und den Zugang zu Medien absichern?
0 bis 100 Dollar muss eine Person zahlen, um sich auf-
tellen zu lassen. 50 000 Dollar müssen von einem Präsi-
entschaftskandidaten gezahlt werden. Der Zugang zu
olchen Wahlen ist doch nicht demokratisch.
ichern wir nachher den Sieger einer undemokratischen
ahl militärisch ab? Das ist doch völlig unrealistisch.
ir müssen jetzt aktiv werden und dort breite Prozesse
rganisieren. Wir dürfen nicht meinen, mit dem Militär
ort etwas zu lösen.
Wir brauchen, was die Lösung der Flüchtlingsfrage
ngeht, keine Soldaten in Afrika. Wir brauchen auch
eine höheren Zäune und dickeren Mauern an den euro-
äischen Außengrenzen. Wir brauchen erst recht keine
uffanglager, wie sie zum Beispiel in Tansania oder
steuropa geplant sind.
as ist eine menschenfeindliche Politik. Das sind die
alschen Antworten auf eine falsche Analyse. Sie sind
chon gar kein Beitrag zur Entwicklungszusammenar-
eit.
Frau Kollegin – –
Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu. Ich möchterst einmal meine Gedanken entwickeln. Sie können da-ach gerne eine Kurzintervention machen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2309
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Heike HänselDas Problem ist, dass solche Auffanglager dann wo-möglich aus dem Haushalt finanziert werden. Wir müs-sen Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Menschen,die zu uns kommen. Wir müssen ganz klar aufzeigen,was die herrschende Weltwirtschaftsordnung und unserePolitik, die dazu beiträgt, bedeuten.Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht aufNahrung, Jean Ziegler, sagt: Die Weltwirtschaftsordnungtötet tagtäglich Menschen und verhindert eine selbstbe-stimmte Entwicklung der Menschen in den Ländern desSüdens.Eine Säule dieser Weltwirtschaftsordnung ist dieWelthandelsorganisation WTO. Sie hat sich den freienMarkt und den Freihandel auf die Fahnen geschrieben;das ist ihr oberstes Prinzip.
Wir lehnen diese Politik der WTO ab, die auf umfas-sende Handelsliberalisierung, auf Deregulierung und aufLiberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen setzt.
Wir haben in vielen Ländern, zum Beispiel Lateinameri-kas, ganz klar gesehen, dass genau diese neoliberaleAusrichtung den Menschen ihre Existenzgrundlagen ent-zieht, dass sie zu Armut, zu Ausgrenzung und zu fehlen-dem Zugang zur Grundversorgung führt.
Das sind fundamentale Menschenrechte, die ständig ver-letzt werden. Dazu habe ich heute in der Debatte zu denMenschenrechten keinen einzigen Ton gehört.Auch der Begriff „Armutsbekämpfung“ wurde viel zuselten erwähnt. Die Millenniumsziele, auf die wir unsalle stützen, wurden in der heutigen Debatte überhauptnicht genannt.Entscheidend ist, dass wir konkrete Vorschläge ma-chen, wie wir das Ziel der Halbierung der Armut bis2015 erreichen wollen. Wir setzen ganz eindeutig aufeine eigenständige Entwicklung der Länder des Südens.Sie müssen vor einer aggressiven Marktöffnungspolitikder Industrieländer und der multinationalen Konzernegeschützt werden. Wir brauchen umfassende Entschul-dungsinitiativen ohne daran geknüpfte neoliberale Be-dingungen.
Die Entwicklung des ländlichen Raumes, kleinbäuerli-cher Strukturen – sie wollen wir übrigens ohne die Ver-wendung gentechnisch veränderten Saatgutes schaffen –und regionaler Märkte spielen dabei eine entscheidendeRolle.
Frau Wieczorek-Zeul, Ihre Initiative zu den regenera-tiven Energien finde ich sehr gut. Dabei unterstützen wirSie. Die regenerativen Energien sind eine zentrale Säulefür die Entwicklung des ländlichen Raumes.ddsLEugkmmDNStlDhkussWsPtufhnnKStswaiEWsl
ir brauchen eine grundsätzlich andere, eine solidari-che Politik in den weltwirtschaftlichen Beziehungen.
Ich möchte einen weiteren für uns entscheidendenunkt anführen. Die Entwicklungspolitik ist laut Koali-ionsvertrag integraler Bestandteil der deutschen Außen-nd Sicherheitspolitik. Wer die heutige Debatte ver-olgt hat, hat aber erkannt, dass es in der Außenpolitikauptsächlich nur noch um wirtschaftliche und hegemo-iale Interessen geht. Im Grunde ist das Ziel, die EU alseue Großmacht in der Welt zu etablieren.In diesem Zusammenhang wurde oft genug derampf gegen den Terrorismus genannt. Unter diesemtichwort wird die Militarisierung der Politik vorange-rieben und der Kampf um den Zugang zu Energieres-ourcen geführt, der die zivile und soziale Entwicklungeltweit hemmt.Es geht nicht nur generell um Militäreinsätze, sondernuch darum, dass sie zunehmend, wie nun zum Beispielm Sudan, aus Mitteln des Entwicklungshilfefonds derU finanziert werden sollen.
ir lehnen den gesamten Komplex der zivilmilitäri-chen Zusammenarbeit ab. Das ist die falsche Entwick-ung.
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2310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Heike HänselWenn wir zivile und militärische Aufgaben, wie zumBeispiel in Afghanistan, vermischen, sind Entwicklungs-hilfeorganisationen vor Ort gefährdet. Die Entwick-lungshilfe wird instrumentalisiert. Infolgedessen brauchtdas Militär noch mehr finanzielle Mittel.Wir sind der Meinung: Soldaten sind keine Entwick-lungshelfer. Wir brauchen eine Stärkung der zivilen Auf-gaben und keine weitere Militarisierung der Politik.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Wieczorek-Zeul, insofern unterstützen wir den
zivilen Friedensdienst, den Sie angeregt haben. Wir
glauben aber, dass der zivile Friedensdienst nicht paral-
lel zu Militärinterventionen stattfinden soll und nicht zur
Nachsorge von militärischen Interventionen geeignet ist,
sondern die Alternative zu der Politik, die hier formuliert
wurde, ist. Darum wünschen wir uns eine umfassende
Erhöhung der Mittel.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja. – Weltweit gibt es immer mehr Menschen, die ge-
gen diese Politik aufstehen. Das erleben wir in vielen
Ländern und den Sozialforen. Die Linke versteht sich als
Teil dieser weltweiten Bewegung.
Danke.
Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede in diesem
Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu, verbunden
mit den besten Wünschen.
Nun hat das Wort der Kollege Thilo Hoppe von der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Keine Attacke, ich bin friedlich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zum Haushalt spreche, muss ich kurz auf das
Vorangegangene eingehen. Liebe Kollegin Hänsel,
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! Ich teile durchaus ei-
nige, sogar viele Ihrer Positionen und die Kritik an unge-
rechten Strukturen der Weltwirtschaft. Aber ich hoffe
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ie Absicherung eines Wahlprozesses ist kein Kriegs-
insatz. Ich hoffe sehr, dass Sie da zu einer differenzier-
eren Sichtweise kommen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Aydin?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Hoppe. – Bezüglich des
öglichen Kongoeinsatzes wird hier immer wieder be-
auptet, dass wir im Kongo Soldaten einsetzen müssen,
amit die Wahlen ordnungsgemäß organisiert und zu
nde geführt werden können.
Das ist ein Teil der Argumentation; ich habe heute gut
enug zugehört.
Für diese Wahl sollten sich bis morgen 500 Personen
ls Kandidaten anmelden. Laut BBC haben sich bis
eute Morgen erst 100 Kandidaten angemeldet.
Dazu komme ich jetzt. – Es hat nur ein einziger Präsi-
entschaftskandidat ohne Milizen die Kandidatur ange-
eldet; allerdings wird er wahrscheinlich die erforder-
ichen 50 000 Dollar nicht haben.
Jetzt frage ich Sie, all die Befürworter: Glauben Sie
rstens, dass die Wahlen unter diesen Bedingungen über-
aupt im Juni stattfinden werden? Glauben Sie zweitens,
ass wir unter diesen Bedingungen mit militärischem
insatz eine demokratisch organisierte Wahl durchfüh-
en können?
Herr Kollege, haben Sie zur Kenntnis genommen,ass die Wahl bereits um einige Wochen verschobenorden ist, um genau diesen Unregelmäßigkeiten undroblemen noch nachzugehen? Der Einsatz der Soldatenient nicht dazu, die Wahlurnen an den richtigen Ort zuringen, sondern es ist eine Absicherung, damit die
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Thilo HoppeWahlverlierer nicht in die Versuchung geraten, dasWahlergebnis zu korrigieren. Das Ganze ist nicht dieIdee der Europäischen Union, sondern beruht auf einerAnfrage der Vereinten Nationen, der MONUC, einer An-frage von Kofi Annan. Es ist auch wichtig für Ihre Frak-tion, zur Kenntnis zu nehmen, dass viele NGOs, die Ih-nen sehr nahe stehen, diesen Einsatz befürworten.
– Und auch die Afrikanische Union. Danke für diesenHinweis.Ich wollte eigentlich zum Haushalt sprechen, aber ichmuss noch eines vorwegschikken: All das, was von mei-nen Vorrednern, von Herrn Vaatz und von der Ministe-rin, zum Fall Abdul Rahman gesagt wurde, möchte ichhier ausdrücklich unterstreichen und mit einem großenAusrufezeichen versehen.
Jetzt zum Haushalt. Wäre ich noch entwicklungspoli-tischer Sprecher einer Koalitionsfraktion, dann würdeich sicherlich den erfreulichen Aufwuchs der Barmittelim Einzelplan 23 loben. Jetzt gehöre ich zur Opposition,aber mache das Gleiche.
Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist das einSchritt in die richtige Richtung. Es ist zwar weniger, alseigentlich nötig wäre, wenn man sich der Erreichung derMillenniumsziele konsequent verschriebe, aber ich weißum die Schwierigkeiten und sage: Immerhin.Genauso hätte ich Folgendes getan und tue es jetztauch, egal ob aus einer Koalition oder aus der Opposi-tion heraus: Ich kritisiere die deutliche Absenkung derVerpflichtungsermächtigungen scharf. Das hat in derHaushaltsdebatte bisher noch gar keine Rolle gespielt.Einige werden sich noch an die Haushaltsdebatten in derletzten Legislaturperiode erinnern. Auch da habe ichkein Blatt vor den Mund genommen, egal ob die Kritiksich an die eigene Regierung, an den Finanzministeroder an die Opposition richtete.Verpflichtungsermächtigungen stecken den Rahmendafür ab, was in den nächsten Jahren passieren soll.Noch unter Rot-Grün – besonders auf Betreiben unsererFraktion, aber auch der Entwicklungsministerin – hatsich die Bundesregierung darauf festgelegt und dazu ver-pflichtet, bis 2015 – das wissen wir alle – mindestens0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwick-lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfü-gung zu stellen. Erfreulicherweise – das erkennen wir an –hat die neue Koalition dies nicht widerrufen, sondernausdrücklich bestätigt.AdgEdtnlgzEkbtmgimdAptiKsPrmdvnmemdateTWlrrhWgsk
Wenn die Erreichung der Millenniumsziele ein ernstemeintes Ziel ist, dann müssten die Barmittel sowohlm Einzelplan 23 als auch in den ODA-Quoten-wirksa-en Titeln anderer Ministerien Jahr für Jahr erhöht wer-en. Als Beispiel nenne ich ausdrücklich das Auswärtigemt, den Bereich der humanitären Hilfe, die Minenräum-rogramme und den Aktionsplan „Zivile Krisenpräven-on, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Imabinettsentwurf waren leider sogar Kürzungen vorge-ehen.Um in den Regierungsverhandlungen mit unserenartnerländern gerade für die Zukunft den nötigen Spiel-aum zu haben, müssen sich diese Erhöhungen der kom-enden Jahre in den Verpflichtungsermächtigungen wi-erspiegeln. Ich kenne das Barmittelproblem, von demiele Projekte, gerade im letzten Quartal eines Rech-ungsjahres, betroffen sind. Aber dieses Problem löstan nicht durch eine Kürzung der VEs, sondern durchine noch kräftigere Erhöhung der Barmittelansätze.Einige von Ihnen werden nun vielleicht sagen: Wennan in der Opposition ist, ist es leicht, mehr Geld zu for-ern. Aber auch hier gilt: Wie wir es bereits letztes Mal,ls wir noch in der Regierungsverantwortung waren, ge-an haben, legen wir auch nun aus der Opposition herausine Gegenfinanzierung, die durchgerechnet ist, auf denisch. Wir sagen also, woher das Geld kommen kann.ir hätten uns zum Beispiel sehr gefreut, wenn Deutsch-and auf der Konferenz in Paris Seite an Seite mit Frank-eich und elf anderen Ländern hinsichtlich der Einfüh-ung einer Flugticketabgabe schon Fakten geschaffenätte.
ir wissen, dass auch die zuständige Ministerin diesern getan hätte. Aber dafür hatte sie im Kabinett – ichage hoffnungsvoll: noch – keine Rückendeckung undeine Mehrheit.
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Thilo Hoppe
Die Ticketabgabe, die Kerosinsteuer und die Devisen-umsatzsteuer, die Tobin Tax, all diese innovativen Finan-zierungsinstrumente müssen jetzt endlich in Angriffgenommen werden. Dabei sollte Deutschland eine füh-rende Rolle spielen, statt ständig nur zu zaudern, zu zö-gern und sich wegzuducken.
Ich bin mir natürlich bewusst, dass es im Bereich derEntwicklungszusammenarbeit auch, aber nicht nur aufGeld ankommt. Wir müssen enorme Reformanstrengun-gen unternehmen, bei uns und in den Entwicklungslän-dern selbst. Wir müssen für gerechtere Strukturen imWelthandel und in der internationalen Finanzarchitektursorgen.In unserer Entwicklungszusammenarbeit stehengroße Reformen an; das wurde schon gesagt. In diesemZusammenhang ist bereits ein Gutachten in Auftrag ge-geben worden.Jetzt möchte ich im Namen des gesamten AWZ an-mahnen: Wir Parlamentarier möchten in all diese Über-legungen eng einbezogen werden. Wir möchten nichtvor vollendete Tatsachen gestellt werden, sowohl wasdie Reform der Institutionen betrifft als auch was dienotwendige Reduzierung der Zahl der Partnerländer unddie Schwerpunktsetzung angeht.
Da es im Kampf gegen den Hunger keine Fortschrittegibt – bei der Erreichung dieses Millenniumsziels habenwir sogar die größten Rückschritte zu verzeichnen –,brauchen wir eine enorme Aufwertung des ländlichenRaumes.
In der Anhörung, die hierzu in der letzten Legislatur-periode durchgeführt wurde, war das fraktionsübergrei-fend Konsens. Aber auch das spiegelt sich bisher nochnicht in der Politik des BMZ wider. Hier wünsche ichmir vor allem von der SPD-Fraktion grundsätzlich mehrEngagement für den ländlichen Raum. Von der CDU/CSU-Fraktion wünsche ich mir, dass sie darauf verzich-tet, dieses Thema immer sofort mit einem Werbefeldzugfür manipuliertes Saatgut, also für die grüne Gentechnik,zu verbinden. Sie löst das Hungerproblem nicht, sondernsie ist in einigen Teilen der Welt sogar ein Teil diesesProblems und verschärft es sogar noch.
Da ich auf meine Vorredner eingegangen bin, läuftmir meine Redezeit davon. Eigentlich wollte ich noch alldie Bereiche aufzählen, in denen mehr Engagement not-wendig ist. So müsste zum Beispiel beim Thema Bio-diversität ein Ruck durch die Entwicklungspolitik gehen.
–EsdIpblAVSwwwFgngFIdIBdwsMzLlrSKmaeLsm
ch greife nur einen Punkt heraus. Sie haben in Ihremeitrag den Sudan angesprochen. Man muss sich dochie Frage stellen, wie die Entwicklungspolitik gestalteterden muss, damit sie den Menschen dient. Man mussich überlegen, wie man den Menschen den Zugang zuedikamenten, zu Ressourcen, zur Unterstützung undur Entwicklungshilfe gewähren kann, wenn in ihremand Krieg herrscht und ihnen, wenn sie ein Flüchtlings-ager verlassen, Gefahr für Leib und Leben droht. Eseicht nicht, zu sagen, Militär sei prinzipiell etwaschlechtes.
Zum anderen möchte ich auf den Beitrag von Herrnönigshaus eingehen. Herr Königshaus, wir werden ge-einsam nach China reisen und uns dort das eine oderndere ansehen können. Vielleicht kommen Sie dann zuiner anderen Einsicht, was die Entwicklungspolitik mitändern wie China angeht.Selbstverständlich ist nicht alles Gold und Sonnen-chein; das hat von uns und von der Regierung auch nie-and behauptet. Natürlich ist China als Geberland ge-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2313
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Dr. Bärbel Koflerfordert, wenn es darum geht, Standards einzuhalten, zumBeispiel bei der Kreditvergabe oder bei seiner Afrikapo-litik. Sich aber aus der Entwicklungszusammenarbeitmit Ländern wie China ausklinken zu wollen, halte ichfür extrem kontraproduktiv. Sie können die Zusammen-arbeit mit China zum Beispiel im Bereich der erneuerba-ren Energien nicht einfach beenden. China ist der welt-größte Emittent von Schwefeldioxid und der zweitgrößteEmittent von Kohlendioxid. China importiert aus Indo-nesien, aus Afrika und anderen EntwicklungsländernHolz in enormen Mengen, was entsprechende Schädi-gungen der Natur und der Lebensgrundlagen der Men-schen in diesen Ländern zur Folge hat.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Königshaus?
Bitte. Sie verlängern meine Redezeit.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass ich nicht gesagt habe, dass wir die Entwick-
lungszusammenarbeit einstellen sollen? Das habe ich
nicht gefordert. Wir erwarten aber, dass die Länder, die
dazu in der Lage sind, ihre Ressourcen und reichlichen
Finanzmittel dazu einsetzen – China ist eines der Länder
mit den größten Devisenreserven –, um etwas im eige-
nen Land für die Armutsbekämpfung und den Aufbau
entsprechender Systeme zu tun. Wir sind für Entwick-
lungszusammenarbeit mit diesen Ländern, aber diese
Länder sollen selber dafür bezahlen. Sie sind dazu auch
bereit. Warum sollten wir dort also Geld mit der Gieß-
kanne verteilen, das dann woanders fehlt?
Herr Königshaus, das hört sich jetzt schon etwas mo-
derater an als das, was Sie vorhin gesagt haben. Ich bin
der Meinung, dass wir nicht mit der Gießkanne Mittel in
anderen Ländern verteilen. Selbstverständlich sollen
diese Länder ihre eigenen Ressourcen in Anspruch neh-
men. Aber ich habe gerade versucht, Ihnen an einem
Beispiel deutlich zu machen, wo Entwicklungszusam-
menarbeit besonders dringend ist. Ich bitte darum, nicht
mit einem Wisch alle diese Projekte vom Tisch zu fegen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage des Kollegen Bonde von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen?
Gerne.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, dass der Vor-
schlag, die Entwicklungshilfe an China zu streichen,
nicht von der FDP kommt, sondern von Ihrem Koali-
tionspartner, nämlich von Herrn Kampeter aus dem
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ch bin aber guten Mutes, dass wir in der Koalition eineute Zusammenarbeit pflegen und dass die Kollegen derDU/CSU mit ihrem Kollegen noch einmal ein Ge-präch über diesen Punkt führen werden.
Na also.Ich komme noch einmal kurz auf den Energiebedarfn China zurück. Ich bin der Meinung, dass wir damit einnorm wichtiges Projekt voranbringen können und wer-en. Das liegt übrigens gerade auch im Interesse dereutschen Unternehmen, der deutschen Energiepolitiknd der deutschen Wirtschaft. Dieses Anliegen liegt Ih-en ja vielleicht auch am Herzen.
Dann sind wir uns ja einmal einig, Herr Königshaus.Auf einen Punkt wollte ich natürlich schon noch ein-ehen. Von der Kollegin Hänsel ist die Aussage gekom-en, die ODA-Quote sei eigentlich gar nicht wichtignd interessant. Ihrer Ansicht nach ist das, worüber wirier reden, eher Makulatur. Deswegen möchte ich nochinmal feststellen, dass es nur mit finanziellen Mittelnöglich ist, Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben.ir haben jetzt 300 Millionen Euro mehr zur Verfügung.as ist ein enormer Aufwuchs in einem Haushalt wieem, den wir in diesem Jahr verabschieden werden. Esst bereits gesagt worden, dass die Mittel im Vergleichum Haushalt 2005 um knapp 8 Prozent steigen. Geradeamit kann man nämlich auch im Sinne der Millenniumevelopment Goals, zu denen wir uns alle verpflichtetaben, den Ressourcenschutz, die Armuts- und Krank-eitsbekämpfung und den Zugang zur Bildung in denntwicklungsländern unterstützen und fördern. Wennin Haushalt 300 Millionen Euro mehr umfasst und manas als Makulatur und nicht wichtig bezeichnet, dannalte ich das eigentlich für der Diskussion nicht ganzürdig.
Die Industrienationen haben sich in Gleneagles aufinen Schuldenerlass für die ärmsten Länder dieserelt verständigt. Ich halte das für eine wichtige undichtige Maßnahme. Die Frau Ministerin hat dankens-erterweise auch über den Dreiklang gesprochen, der innseren Haushalt einziehen muss und durch den unsereinanzierungsmöglichkeiten im Haushalt des Ministeri-ms für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den nächstenahren gestaltet werden müssen.
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2314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
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Dr. Bärbel KoflerDas Erste ist die Entschuldung; sie wurde angespro-chen. Das Zweite ist die Aufstockung des Etats desBMZ. Ich bin mir sehr sicher, dass dank der Energie un-serer Ministerin in diesem Bereich noch etwas vorange-hen wird. Das Dritte sind die innovativen Finanzierungs-instrumente. Auch hier möchte ich eines deutlichmachen: Es gibt viele gute Ideen im Bereich der innova-tiven Finanzierungsinstrumente. Die Ministerin hat eineherausgegriffen, nämlich die Entwicklungsabgabe aufFlugtickets.
– Ach, du meine Güte. Wollen wir jetzt ein Seminar da-raus machen? Ich kann Ihnen die Kerosinsteuer, dieCO2-Abgabe, die Tobin Tax und sonst noch was nennen,Herr Königshaus. Das können wir gerne tun.
Uns als Arbeitsgruppe der SPD ist es wichtig, deut-lich zu machen, dass wir große Sympathien für die Ent-wicklungsabgabe auf Flugtickets empfinden und sieentsprechend unterstützen wollen.
– Ja, so etwas tun wir.
– Das können Sie gerne tun, Frau Koczy.
Allerdings – auch das ist wichtig – dürfen wir unsnicht von vornherein nur auf eines der vielen Instrumen-tarien festlegen, sondern wir müssen mit der Ministerin,die uns in der Leading Group vertritt, die verschiedens-ten Instrumentarien intensiv prüfen und schauen, welcheVor- und Nachteile diese verschiedenen Instrumentarienbringen. Eine Frage muss dabei die Maßgabe sein: Wasbringt das meiste Geld für die Entwicklungspolitik?
Das kann ein Bündel von Maßnahmen sein. Es mussnicht nur eine Maßnahme sein.
– „Umso besser“, eben.
– Danke, dass Sie meine Redezeit verkürzen, HerrKönigshaus.Ich möchte gerne noch einen Punkt ansprechen, derdie Ausgewogenheit zwischen bilateralen und multilate-ralen Finanzierungsinstrumenten beinhaltet. Ich möchtedzsdzgEsadRVZedSreDhndtLepdsgdhp
Frau Kollegin, Sie haben schon richtig gesehen, dass
ie Ihre Redezeit überschritten haben.
Gut. Dann sage ich nicht mehr das, was ich zur bilate-
alen Zusammenarbeit sagen wollte, die ich aber explizit
rwähnen möchte, weil sie für uns sehr wichtig ist.
as wird man auch im nächsten Haushalt sehen. Auch
insichtlich der Verpflichtungsermächtigungen ist noch
icht aller Tage Abend.
Ich bedanke mich. Auf Wiedersehen!
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun das Wort
er Kollege Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Frak-
ion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!assen Sie auch mich am Schluss dieser Debatte nochinmal feststellen, dass wir uns trotz des Diktates knap-er Kassen über eine Steigerung der Mittel im Entwurfes Einzelplans 23 sehr freuen, die weit über die durch-chnittliche Entwicklung des Gesamthaushaltes hinaus-eht. Diese deutliche Steigerung in dem ersten Haushaltieser neuen Koalition ist ein gutes Signal für die Ernst-aftigkeit, die wir neue Koalitionäre der Entwicklungs-olitik beimessen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006 2315
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Dr. Christian Ruck
Wir haben im Koalitionsvertrag lange über die Inhaltediskutiert. Das finde ich positiv, weil wir in der Sacheum ein gemeinsames Ziel gerungen haben. Wir warenuns einig, dass wir die Entwicklungspolitik weiter stär-ken und sie national und international treffsicherer ma-chen wollen. Der Etatentwurf setzt dazu auch in Rich-tung ODA-Stufenplan neue Akzente. Auch ich möchtenoch einmal sagen, dass ich mich über die klare Rücken-deckung durch unsere Kanzlerin gefreut habe. HeuteVormittag hat sie gesagt, dass sie an dem ODA-Stufen-plan festhält. Allerdings hat sie auch erklärt, dass diessehr schwer werden wird, weil zwar das Ziel klar ist,aber der Weg noch gefunden werden muss.Das ist unsere Aufgabe. Wir sind gefordert, diesenWeg mitzugehen. Wir müssen uns kreativ betätigen unduns etwas einfallen lassen. In der Tat gibt es unglaublichviele Einfälle zu Einnahmen aus allen möglichen Steu-ern. Da können wir aus dem Vollen schöpfen. Allerdingssollten wir weiter darüber nachdenken, wie wir verschie-dene Dinge unter einen Hut bekommen, zum Beispiel ei-nen haushaltsschonenden Aufwuchs. Dies könnte inForm neuer innovativer Finanzierungsinstrumente ge-schehen, zu denen wir uns auch als Diskussionsgrund-lage ausdrücklich bekennen. Dabei müssen wir verschie-dene Dinge bedenken, zum Beispiel die wirtschaftlicheTragfähigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit und die Interna-tionalität.
Das ist sehr wichtig, weil wir für dieses Problem einenachhaltige Lösung brauchen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Eid?
Ja. Die Kollegin Eid kennt sich in der Regel sehr gut
aus.
Bitte sehr, Frau Eid.
Herr Kollege Ruck, ich finde, wir brauchen gar nicht
so innovativ zu sein, wie Sie das eben angekündigt ha-
ben; denn Sie wissen, dass das mit der Umsetzung von
Ankündigungen immer so eine Sache ist.
Ihre Koalition hat die Erhöhung der Mehrwertsteuer
beschlossen. Ab dem nächsten Jahr werden Sie aufgrund
der Mehrwertsteuererhöhung mehr Geld in die Kasse be-
kommen. Wie wäre es denn, wenn diese Koalition, bevor
man über eine Abgabe auf Flugtickets nachdenkt – dafür
bin ich selbstverständlich –, einfach beschließen würde,
einen Teil der Einnahmen aus der erhöhten Mehrwert-
steuer für die internationale Kooperation zu verwenden?
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Wir bekennen uns dazu, dass wir uns auf den Wegachen. Dabei hoffen wir auf eine konstruktive Zuarbeiton allen Seiten, um den Stufenplan für die ODA-Quoteit Leben zu erfüllen. Es gibt viele Punkte, über die wiroch nicht diskutiert haben und die wir andiskutierenönnen, zum Beispiel eine vertiefte Zusammenarbeit miter Wirtschaft über PPP. Auch dabei gibt es noch Luftür die ODA-Quote.Wir sollten jedenfalls alles ausschöpfen, was uns auferiösem Weg weiterbringt. Dazu gehört auch die Frageer Entschuldung. Ich kann mich gut erinnern, Herrollege Hoppe, wer zuletzt die Entscheidung kritisiertat, den Irak zu entschulden: Das war ich.
Ich weiß, was ich damals gesagt habe, und muss auchichts zurücknehmen. Dabei ist eines wichtig – ich möchte in diesem Zu-ammenhang aufgreifen, was der Kollege Vaatz gesagtat –: Die Entschuldung ist, ob wir wollen oder nicht,ereits ein Teil des Stufenplans, zumindest für die nächs-en Jahre. Das ist völlig klar. Wir haben uns auch immerazu bekannt, dass wir uns an der Kampagne zur Ent-chuldung beteiligen. Wir lassen aber keine unkonditio-ierte Entschuldung zu. Um das Instrument der Ent-chuldung zu schärfen, haben wir im AWZ einenhörung zu diesem Thema beschlossen. Ich glaube,as ist eine gute Verfahrensweise. Wir sollten uns des-alb nicht jetzt schon gegenseitig Vorwürfe machen.Aber bei allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehenbeispielsweise durch Mischfinanzierung aus privatennd öffentlichen Mitteln –, kommen wir nicht umhin,uch mehr Haushaltsmittel einzusetzen. Dabei müssenir darauf achten – insofern gebe ich Ihnen Recht –,echtzeitig eine vernünftige Politik der Verpflichtungser-ächtigungen zu betreiben. Wir können in den nächstenochen darüber diskutieren, wie wir dabei vorgehenönnen.
Wichtig ist aber auch: Wenn wir in einer Zeit knapperassen mit dem vorgesehenen Aufwuchs bis 2015 dieDA-Quote erfüllen wollen – dabei geht es schließlichm beträchtliche Summen –, dann müssen wir deutlichachen, dass dies zum Nutzen aller – und zwar auch al-er deutschen Bürger – ist. Wir müssen auch deutlichachen – das ist bereits angeklungen –, dass es im Inte-esse von uns allen ist, soziale Zeitbomben und Flucht-rsachen aus dem Weg zu räumen und Lebensperspekti-en auch für den Süden zu schaffen. Denn es kostet
Metadaten/Kopzeile:
2316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006
(C)
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Dr. Christian Ruckallemal mehr Geld, mit Notoperationen, UN-Missionenoder gar Militäreinsätzen zu versuchen, die Problemeeinzudämmen.Wir müssen auch daran erinnern, dass Entwicklungs-politik strategische Partnerschaften schafft. Man kannsich zwar gerne über die Politik gegenüber den Schwel-lenländern unterhalten, aber man muss deutlich machen,dass auch die Entwicklungspolitik Arbeitsplätze im eige-nen Land schafft und erhält. Auch darauf müssen wir ineiner Zeit hoher Arbeitslosigkeit hinweisen.Wir müssen zudem deutlich machen, dass wir be-strebt sind, im Entwicklungshaushalt ein Portfolio zuschaffen, das Win-Win-Situationen fördert, durch diewir Deutschen und unsere Arbeitsplätze, aber auch dieArbeitsplätze in Entwicklunglaube, es ist wichtig, den Bmachen, dass es nicht nur umgeht, sondern dass die Entwiureigensten Interesse liegt.
sselfeldt:en nicht vor. unserer heutigen Tages-ung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Donnerstag, den 30. März 2006,9 Uhr, ein.die nationale Arbeitsteilung zu verbessern; außerdemmüssen die Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenpoli-tik besser verzahnt werden.Berichtigu27. Sitzung, Seite II, nach „desministerium für GesundheSeite 2152 2. Absatz, delesen: „Sie wollen nicht nur insondern auch bei Projekten, dieche Standards zu erhalten undzu gewährleisten, zugunsten deforschung rasieren.“(DDie Sitzung ist geschlossen.