Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und b sowie den Zusatzpunkt 11 auf:
10. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts
- Drucksache 13/199 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts -§ § 177 bis 179, 184c StGB
- Drucksache 13/323 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP11 Erste Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts und strafprozessualer Regelungen bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen
- Drucksache 13/536 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gesamte Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Erika Simm das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetesreform, welche wir heute wieder einmal beraten, lat einen langen Leidensweg hinter sich. Zum insgesamt fünften Mal unternimmt die SPD-Fraktion einen Anlauf, endlich die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.
Blicken wir zurück. Bereits 1972 hatte Hans de With in dem anläßlich der großen Strafrechtsreform gebildeten Sonderausschuß den Antrag gestellt, den Vergewaltigungstatbestand durch Streichung des Wortes „außerehelich" in § 177 des Strafgesetzbuches auch auf die Vergewaltigung in der Ehe auszudehnen. Er war damals mit diesem Antrag knapp gescheitert.
Gesetzentwürfe zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe brachte die SPD in den Jahren 1983, 1987 und 1991 ein, also in den letzten drei Legislaturperioden immer wieder aufs neue. Zweimal, nämlich 1986 und 1994, fielen unsere Gesetzentwürfe, obwohl sie jeweils zu Beginn der Legislaturperiode eingebracht worden waren, der Diskontinuität zum Opfer, weil die Regierungsparteien mauerten und die Beratungen vor Ablauf der Wahlperiode nicht abgeschlossen werden konnten.
Der Entwurf von 1987 wurde 1989 mit der Mehrheit der damaligen und heutigen Koalition abgelehnt. Die Taktik der CDU/CSU/F.D.P. war stets die gleiche. Man bekundete verbal, daß man das den Reformbestrebungen zugrunde liegende Anliegen teile und für dringlich halte, der SPD-Entwurf aber keine befriedigende Regelung darstelle. Ferner sagte man, daß ein besserer Entwurf des Justizministeriums in Arbeit sei und alsbald vorgelegt werde; spätestens in der kommenden Legislaturperiode werde es eine auch für die CDU/CSU/F.D.P. akzeptable Regelung zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geben.
Dasselbe Spiel wird nun wiederholt. War es 1994 die damalige Frauenministerin, Frau Merkel, die wenige Tage vor der letzten Debatte zu diesem Thema öffentlich verkündete, die Vergewaltigung in der Ehe müsse nun endlich unter Strafe gestellt werden, so ist es nun die Justizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, die sich in den letzten Tagen in
Erika Simm
den Medien mit der Ankündigung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung unter detaillierter Bekanntgabe der angeblich geplanten Regelungen profilierte.
Abgeordnete, die versuchten, beim BMJ diesen Gesetzentwurf zu bekommen, bekamen allerdings zu hören, daß es diesen Entwurf gar nicht gebe bzw. daß es noch an den notwendigen Abstimmungen zwischen den Ministerien und im Kabinett fehle.
- Das gehört zur Sache. Das hat nämlich damit zu tun, wie die Regierungsparteien mit diesem Thema in der Vergangenheit umgegangen sind.
Dieser Entwurf, mit dem sich die Justizministerin in den letzten Wochen profilierte,
ist also ein Non-paper; es gibt ihn gar nicht.
Ich habe allerdings festgestellt: Es gibt etwas. Komischerweise sind nämlich die Medien offensichtlich sehr wohl bedient worden. Aus dieser Quelle habe auch ich mich bedienen können. Ich habe dort den Entwurf bekommen und festgestellt, daß er sich in erstaunlich vielen wichtigen Punkten mit unserem Gesetzentwurf deckt.
Deswegen ist mir im nachhinein erst recht unerklärlich, warum es in der letzten Legislaturperiode nicht gelungen ist, zu einer mehrheitsfähigen gesetzlichen Regelung zu diesem Themenkreis zu kommen. Wir haben nun unseren Gesetzentwurf erneut eingebracht und erwarten, daß sich die Regierungsparteien nicht länger der lange überfälligen Neuregelung des Rechts der Sexualstraftaten verweigern.
Die vorgesehene Reform ist seit langem überfällig. Allmählich bilden wir diesbezüglich das Schlußlicht in Europa. Das gilt insbesondere für den bei uns noch immer fehlenden Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe. Andere Länder haben uns teils durch Rechtsänderungen, teils durch Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mittlerweile überholt. So wurde z. B. in den Niederlanden und in Belgien eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts durchgeführt. Die Vergewaltigung in der Ehe ist in beiden Ländern ebenso strafbar wie seit 1989 in Österreich. In der Schweiz, in Irland, in England, in
Italien und in Frankreich haben die obersten Gerichte in neueren Entscheidungen den strafrechtlichen Schutz vor sexueller Gewalt gerade auch auf den ehelichen Bereich erweitert.
Bei uns dagegen haben die Gegner der Reform alle Phantasie darauf verwandt, zu begründen, warum die Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben müsse. Alle denkbaren und eigentlich auch alle undenkbaren Argumente wurden bemüht. Nicht selten haben Juristen dabei ihr Handwerkszeug, nämlich den Gebrauch juristischer Logik, gründlich vernachlässigt.
Der Katalog der Gründe, die vorgeschoben wurden, ist lang. Auf einige wenige möchte ich eingehen. Indem man den Standpunkt vertrat, der Staat dürfe sich in die Intimsphäre der Familie nicht einmischen und folglich die Vergewaltigung in der Ehe nicht strafrechtlich sanktionieren, hat man die Wertentscheidung unseres Rechtssystems zu Ehe und Familie, wonach der Staat Ehe und Familie zu schützen hat und Eheleute einander Schutz und Fürsorge schulden, ins glatte Gegenteil verkehrt.
Übersehen hat man dabei allerdings, daß ja auch bisher schon Straftatbestände galten, nach denen sich ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigte, strafbar machte,
nämlich Körperverletzung und Nötigung. Nur sind das eben Strafvorschriften mit weit niedrigerer Strafdrohung, die dem Unrechtsgehalt einer Vergewaltigung in keiner Weise Rechnung tragen.
Die vielfach ebenfalls geäußerte Auffassung, daß die in der Ehe geübte sexuelle Gewalt weniger schwer wiege als die Vergewaltigung durch einen Außenstehenden, wird im übrigen von der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt. So haben bereits 1986 anläßlich einer repräsentativen Umfrage in der Bundesrepublik 57 % aller und zwei Drittel der jüngeren Befragten erklärt, daß die Vergewaltigung außerhalb und innerhalb der Ehe gleich hoch bestraft werden müsse. Dies war 1986; wir wissen, daß durch die mittlerweile geführte Diskussion die Sensibilität für diese Frage erheblich gestiegen ist.
Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 sperrte man sich speziell in CSU-Kreisen gegen die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung mit der Begründung, die Ehefrau könnte ihren Mann zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigen, um so im Wege der kriminologischen Indikation zu einem Schwangerschaftsabbruch zu kommen.
Erika Simm
Ich halte das für ein geradezu perfides Argument.
Es zeigt aber, welches Bild so manche Männer von der Frau und insbesondere von der Ehefrau haben, daß sie ihr so ohne weiteres zutrauen, sie könnte, um eine Abtreibung zu erhalten, den Ehemann eines der schwersten Verbrechen, die unser Strafgesetzbuch kennt, verdächtigen, anzeigen und ihn für Jahre hinter Gitter bringen.
- Ich habe es sehr wohl begriffen. Ich habe es nur weitergedacht, Herr Geis.
Meine Herren von der Union, die Sie immer noch nicht bereit sind, verheirateten Frauen gegenüber dem angetrauten Ehemann das gleiche sexuelle Selbstbestimmungsrecht einzuräumen wie einem Außenstehenden gegenüber - ich denke, es gibt noch solche unter Ihnen, man hört ja so einiges hinter den Kulissen -,
Sie sollten sich klarmachen, daß Sie dazu beitragen, weiterhin Gewalt in der Familie zu tabuisieren und Gewalt in der Familie zu tolerieren.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode einige Gesetzentwürfe zu behandeln gehabt, die sich mit diesem Problemfeld beschäftigten. Mir ist dabei aufgefallen - ich weiß nicht, ob nur mir -, daß es eigentlich immer die gleichen sind, die sich der Festschreibung eines Gebotes gewaltfreier Erziehung in der Familie widersetzt haben, die die Verlängerung der Verjährungszeit beim sexuellen Mißbrauch von Kindern nachhaltig behindert haben. Das sind zum Teil die gleichen, die sich auch insistierend einer Gesetzesreform verweigern, mit der die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird.
Bei näherem Hinschauen stellt man fest: Es sind wiederum auch solche, die in ihren Sonntagsreden das Hohelied von Ehe und Familie singen. Ich glaube, Sie müssen sich endlich die Frage der Glaubwürdigkeit stellen lassen.
Sie ignorieren auch die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Wertvorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung. Die schon erwähnte Umfrage von 1986 hat ergeben, daß 60 % der Befragten der Meinung waren, Vergewaltigung in der Ehe sei eine strafwürdige Handlung.
Es ist auch notwendig, sich einmal deutlich zu machen, welche Lebenssachverhalte sich hinter dem Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe verbergen. Lassen Sie mich zwei typische Fallkonstellationen schildern, wie sie Richtern, insbesondere Familienrichtern immer wieder begegnen.
Der erste Fall: In einer Ehe hängt seit einiger Zeit der Haussegen schief. Der Mann kommt nachts von der Spätschicht nach Hause und findet die Wohnung dunkel. In der Küche steht nicht die treusorgende Ehefrau mit dem vorbereiteten Essen, sondern auf dem Küchentisch liegt ein Zettel, auf dem steht: Das Essen ist im Kühlschrank, wärm es dir selber auf, ich schlafe heute im Kinderzimmer. - Er reagiert darauf mit Wut, tritt die Tür zum Kinderzimmer ein und vergewaltigt seine Frau.
Der zweite Fall: Die Eheleute leben getrennt, er ist aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Es kommt zu einem letzten Gespräch über die Scheidungsfolgen, das in der früher gemeinsamen Wohnung stattfindet. Im Laufe des Gesprächs mißhandelt und vergewaltigt der Ehemann die Frau. Dieser Fall ist so häufig, daß erfahrene Scheidungsanwälte ihren Mandantinnen den Rat geben, das berühmte letzte gemeinsame Gespräch an einem neutralen Ort, keinesfalls aber in der Wohnung zu führen.
Beide Fälle, die, wie gesagt, typisch und durch die Praxis durchaus belegt sind, zeigen: Es ist keineswegs die intakte Ehe, in der es zur Vergewaltigung kommt. Das bestätigen auch die Erfahrungen in den Frauenhäusern, wonach sexuelle Gewalt regelmäßig nur ein Teil einer allgemeinen, lange geübten Mißhandlung der Ehefrau durch den Ehemann ist.
Vergewaltigung in der Ehe ist Gewalt- und Machtausübung, ist Machtmißbrauch gegenüber der Ehefrau. Vergewaltigung ist das Mittel, das der Ehemann gegen die Frau einsetzt, um sie seine Macht und seine Überlegenheit spüren zu lassen, sie zu demütigen und kleinzumachen.
Vielfach geschieht die Vergewaltigung aus einer konkreten Konfliktsituation heraus. Hilflosigkeit, Unfähigkeit, solche Konflikte gewaltfrei zu bewältigen, und Verlustängste des Mannes mögen dabei häufig eine Rolle spielen. Vor allem aber spielt eine Rolle die noch immer weit verbreitete Auffassung von der Ehe als einem „besonderen Gewaltverhältnis" im ganz buchstäblichen Sinne, in dem die Ehefrau mit dem Jawort zugunsten des Ehemannes auf ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht verzichtet hat. Der gegenwärtige Rechtszustand muß solche Einstellungen bestärken und ist deswegen für uns nicht länger hinnehmbar.
Erika Simm
Mit unserem Gesetzentwurf wird die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ehelicher und außerehelicher Gewalt im Strafrecht aufgehoben. Des weiteren werden durch die geschlechtsneutrale Fassung der Tatbestände Männer in gleicher Weise geschützt wie Frauen.
Durch die zusätzliche Einfügung des Merkmals „Ausnutzung einer hilflosen Lage" beim Tatbestand der Vergewaltigung wird gewährleistet, daß künftig Taten, bei denen der Täter das Opfer in eine ausweglose Situation bringt, die jede Gegenwehr aussichtslos erscheinen läßt, als Vergewaltigung geahndet werden können. Diese Korrektur ist notwendig auf Grund der äußerst engen Auslegung des Begriffs der Gewalt in § 177 durch die Rechtsprechung im Sinne von nur körperlicher Gewalt. Sie ist notwendig, um Fallgestaltungen, die mit dem Begriff der hilflosen Lage umschrieben sind, rechtlich gleichbehandeln zu können, weil sie eben materiell-rechtlich - vom Unrechtsgehalt her - eine gleiche Behandlung erfordern.
Des weiteren werden in den Tatbestand des § 177 Sexualpraktiken einbezogen, die von den Opfern in der Regel als mindestens so gravierend empfunden werden wie die bisher nur erfaßte vaginale Penetration.
Um dem Fall der Versöhnung zwischen Täter und Opfer im Rahmen der strafgerichtlichen Entscheidung Rechnung tragen zu können - obwohl wir, wie gesagt, hierin nicht den statistisch allzu häufigen Fall sehen, weil es ja eben nicht die schützenswerte intakte Ehe ist, in die durch die strafrechtliche Sanktionierung von Vergewaltigung eingegriffen wird -, sehen wir eine Versöhnungsklausel vor, die es dem Richter ermöglicht, die Strafe zu mildern oder von Strafe ganz abzusehen. Dies soll also dann gelten, wenn sich die Eheleute versöhnt haben und weiter zusammenleben wollen.
Den in diesem Zusammenhang immer wieder gemachten Vorschlägen, den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe als Antragsdelikt auszugestalten oder aber eine Rücktrittsklausel einzuführen, wonach die Ehefrau die Anzeige zurücknehmen und die weitere Strafverfolgung damit hindern kann, wollen und werden wir nicht folgen. Wir halten es unter dem Aspekt, daß es hier um einen schweren Tatbestand, klassifiziert als Verbrechen im Strafgesetzbuch, geht, für systematisch verfehlt, hier ein Antragsdelikt oder eine derartige Rücktrittsklausel vorzusehen.
Wir meinen auch, daß dann, wenn die Vergewaltigung in der Ehe ein Antragsdelikt wäre, die Gefahr bestünde, daß der staatliche Strafanspruch zur Verfügungsmasse dessen würde, worüber Scheidungswillige miteinander verhandeln. Dann könnte nicht nur über den Fernseher, das Auto und das gute Silber, sondern auch über die Frage, ob die Ehefrau den gestellten Strafantrag zurücknimmt, verhandelt werden. Ich denke, solche Möglichkeiten verbieten sich aufgrund des Wesens des staatlichen Strafanspruchs
und angesichts der Ernsthaftigkeit der Durchsetzung dieses Anspruchs.
Zum vorliegenden Bundesratsentwurf kann ich mir viele Anmerkungen ersparen. Er entspricht im wesentlichen unserem Gesetzentwurf, allerdings mit einer Abweichung: Es fehlt die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „hilflose Lage". Das kritisieren wir an diesem Entwurf. Das ist auch der Grund dafür, daß wir stets an unserem Gesetzentwurf festgehalten und diesen wieder eingebracht haben.
Ich denke, wir haben mit diesem Entwurf, der das Ergebnis eines langen und intensiven Diskussions-
und Abwägungsprozesses in der Fraktion ist, eine Regelung vorgelegt, die eigentlich mehrheitsfähig sein müßte. Ich glaube, dieser oder ein ähnlich guter Gesetzentwurf würde auch eine Mehrheit in diesem Hause finden, wenn die Frage der Zustimmung oder Nichtzustimmung wie z. B. bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts in die freie Entscheidung eines jeden und einer jeden einzelnen Abgeordneten gestellt würde.
Lassen Sie uns diesen Weg gehen, um endlich einen unwürdigen Rechtszustand zu beenden.
Das Wort hat der Kollege Horst Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir treten heute in die Schlußphase einer langwierigen Auseinandersetzung ein. Am Ende dieser Schlußphase werden wir ein Gesetz verabschieden, das die Vergewaltigung der eigenen Frau genauso unter Strafe stellt, wie es jetzt schon bei der Vergewaltigung einer fremden Frau der Fall ist. Ich wage diese Prognose, weil wir im Grundsatz einig sind. Das Grundsätzliche ist, daß es von der Strafwürdigkeit her keinen Unterschied zwischen der Vergewaltigung der eigenen und der einer fremden Frau gibt.
Diese Übereinstimmung ist erfreulich. Deshalb will ich mich auch nicht mit der langwierigen Diskussion, die wir in den letzten Jahren geführt haben, auseinandersetzen. Ich glaube sogar, daß eine breite Mehrheit möglich ist; denn offen sind nur noch zweit- und drittrangige Fragen. Ich glaube, auch darüber kann man sich verständigen; denn auch dort stelle ich ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit fest.
Horst Eylmann
Warum brauchen wir eine Gesetzesänderung? - Das hängt mit dem gewandelten Bild der Ehe zusammen. Die Ehe ist heute eine Partnerschaft von gleichberechtigten Partnern. Das war keineswegs immer so. Im Gegenteil: Sie war jahrhundertelang eine Partnerschaft, in der ein Partner juristisch eine Vielzahl von Rechten hatte, die der andere Partner nicht hatte. Das kommt schon aus dem Römischen Recht und war im Germanischen Recht nicht anders.
Diese Auffassung von der Ehe erstreckte sich bis weit in die Neuzeit hinein. § 177 des Strafgesetzbuches stammt ja schon aus dem Jahr 1871. Im Jahre 1847 hieß es in einem Lehrbuch des Strafrechts:
Wer, wie der Ehemann, auf den Beischlaf ein vollkommenes Recht hat, macht sich durch Erzwingung desselben keiner Notzucht schuldig.
Das setzte sich so fort. Das Reichsgericht hat ähnliche Entscheidungen getroffen. Noch 1988 schrieb ein sehr bekannter Kommentator des Strafgesetzbuches, sicherlich dürfe ein Ehemann keine Gewalt anwenden, aber die Vergewaltigung der eigenen Frau sei mit der Vergewaltigung einer fremden Frau überhaupt nicht zu vergleichen, weil er sich doch nur das hole, was seine Frau ihm zu geben verpflichtet sei.
- Es war kein Professor. Ich will denjenigen an dieser Stelle nicht unnötig bloßstellen.
Warum, meine Damen und Herren, hat es eine so langwierige Diskussion gegeben? Es gab einen beachtlichen Einwand: daß sich der Staat zurückhalten solle, wenn es darum geht, in die Ehe hineinzuregieren. Daß dieser Einwand nicht völlig abwegig ist, ergibt sich daraus, daß er in den 70er Jahren der Grund dafür war, eine Gesetzesreform nicht durchzuführen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in den 70er Jahren eine sozialliberale Koalition.
Dieser Einwand ist allerdings nicht gerechtfertigt. Zunächst einmal sollte man nicht den Eindruck erwecken, als sei die Ehe, die Familie eine Brutstätte der Gewalt. Ich meine noch immer, daß sich die meisten Männer in der Bundesrepublik ihren Frauen nicht mit Gewalt, sondern mit Zärtlichkeit nähern.
Eine richtig verstandene partnerschaftliche Ehe ist sogar die beste Institution dafür, das Zerstörerische und Aggressive - auch das wohnt leider Gottes im Menschen - zu zähmen und Humanität und Mitmenschlichkeit zu verwirklichen.
Andererseits ist nicht jede Ehe eine gewaltfreie Idylle. Gerade in gefährdeten Ehen - da hat Frau Kollegin Simm durchaus recht - lauert die Aggression.
Zur Zeit wird bei uns jede dritte Ehe geschieden. Auch moralische Tabus im Hinblick auf die Gewaltanwendung gegen Frauen scheinen geringer zu werden. Vor zwei Jahren ging ein Fall durch die norddeutsche Presse, bei dem ein von seiner Frau schon getrennt lebender Ehemann diese besucht und in Gegenwart des gemeinsamen Kindes vergewaltigt und schwer mißhandelt hat. Der Mann kann nach geltendem Recht nur wegen Körperverletzung und Nötigung bestraft werden. Das ist eine völlig unangemessene Lösung. Der Staat muß die Frauen gerade in einer solchen Krisensituation schützen.
Herr Kollege Eylmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mahlo?
Gern.
Herr Kollege Eylmann, ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie mit meiner Frage unterbreche. Würden Sie aber bitte hinzufügen, daß dieser Ehemann nach geltendem Strafrecht wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall genau in dem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren zu bestrafen ist wie ein Mann, der eine mit ihm nicht verheiratete Frau in dieser Weise malträtiert?
Ich kann Ihnen leider nicht zustimmen. Der schwere Fall der Nötigung ist ein Vergehen. Die Vergewaltigung ist ein Verbrechen
mit einer Mindeststrafe von zwei bis 15 Jahren. Der Strafrahmen ist also unterschiedlich. Das läßt sich aus dem Gesetz ablesen.
Meine Damen und Herren, es wird nicht viele Verurteilungen geben; nur die Extremfälle werden vor Gericht kommen. Ich verspreche mir aber von einer Gesetzesänderung auch einen Fortschritt für das Rechtsbewußtsein. Umfragen zeigen, daß es noch immer einen relativ hohen Prozentsatz von Männern gibt, die meinen, die Gewaltanwendung gegen die eigene Ehefrau sei nicht strafbar oder zumindest nicht so schlimm. Dem müssen wir durch eine abschreckende Wirkung des Gesetzes, im Sinne also einer negativen Generalprävention, aber auch dadurch, daß wir Rechtsbewußtsein schaffen, im Sinne einer positiven Generalprävention entgegenwirken.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Worte zu den Entwürfen verlieren. Frau Simm, es ist kein „Non-Paper", sondern ein Referentenentwurf. Das
Horst Eylmann
ist eine ganz normale Geschichte. Der Referentenentwurf befindet sich im Stadium der Abstimmung. Es lohnt sich nicht, darüber weitere Bemerkungen zu machen.
Ich halte es für richtig, wie es dieser Gesetzesentwurf, nicht aber Ihr Entwurf vorsieht, § 177 und § 178 in einem Tatbestand zusammenzufassen. Es gibt sexuelle Handlungen, die, wenn sie mit Gewalt vorgenommen werden, eine Frau in noch schlimmerer Weise demütigen als der Geschlechtsverkehr. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.
Ich halte es ferner für richtig, daß wir eine dritte Tatvariante, nämlich die Ausnutzung einer hilflosen Lage, in das Gesetz hineinnehmen. Allerdings werden auch dann noch, meine Damen und Herren, in vielen Fällen Beweisschwierigkeiten bleiben. Das ist bei jeder Vergewaltigung, ob innerhalb oder außerhalb der Ehe, der Fall.
Es gibt eine Ungereimtheit in Ihrem Entwurf. Dort heißt es: Wer leichtfertig den Tod des Opfers verursacht, bekommt eine Mindesstrafe von fünf Jahren. - Wenn jemand einer Frau die Handtasche wegnimmt und dabei mit einer solchen Brutalität vorgeht, daß die Frau zu Boden fällt und zu Tode kommt, beträgt die Mindesstrafe zehn Jahre oder lebenslänglich. Es ist doch offensichtlich, daß hier eine Diskrepanz zwischen beiden Strafrahmen besteht. Darüber sollten wir noch einmal nachdenken.
Es gibt, meine Damen und Herren, schließlich Diskussionsbedarf bei der Versöhnungsklausel. Lassen Sie mich nur eines dazu sagen: Überschätzen wir nicht die praktische Bedeutung! Die Ehefrau hat ein Aussageverweigerungsrecht. Wenn sie davon Gebrauch macht, wird es in der Regel nicht zu einer Verurteilung kommen. Sie hat es in der Hand. Nun will ich mich nicht auf das Widerspruchsrecht festlegen, das ich früher einmal propagiert habe und heute noch propagiere. Es gab schon einen entsprechenden Entwurf in den 80er Jahren.
Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Bei Ihrer Lösung muß, obwohl die Frau ihre Aussage verweigert, weiter Beweis erhoben werden, und dann kommt ein Freispruch heraus. Bei meiner Lösung würde das Verfahren eingestellt. Ob im Hinblick auf die Aussöhnung die Verurteilung oder ein Freispruch das Beste ist, wage ich nicht zu entscheiden. Aber es gibt Vor- und Nachteile. Lassen Sie uns das gemeinsam erörtern!
Zum Schluß will ich noch hervorheben: Wir müssen die Gewalt in unserer Gesellschaft bekämpfen, wo immer sie sich zeigt:
Gewalt gegen Ausländer, gegen Deutsche, Gewalt
auf der Straße, Gewalt in der Familie, Gewalt gegen
Frauen und gegen Männer. Die Gewalt muß ein Tabu sein.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch diese Gesetzentwürfe sehen.
Ich hoffe, daß wir nach dieser langen Diskussion in diesem Jahr zu einem Ergebnis mit breiter Mehrheit kommen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Vor zwölf Jahren stand hier meine Kollegin Waltraud Schoppe und brachte den ersten „grünen" Gesetzentwurf zur Änderung der Strafrechtsparagraphen 177 bis 179 ein. Als sie davon sprach, Vergewaltigung sei ein Mord an der Seele der Frau, erntete sie insbesondere bei Ihnen, meine Herren bei der CDU/CSU, Unverständnis und Hohngelächter. Der F.D.P.-Abgeordnete Kleinert - leider ist er heute nicht da - definierte damals das eheliche Gewaltproblem gar als ein rein grünes, das bei vollem Bewußtsein mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun habe. Zwei Jahre später setzte ein Kieler Rechtsprofessor dieser Debatte noch eine wissenschaftliche Krone auf - ich zitiere -:
Eine Vergewaltigung in der Ehe kann es gar nicht geben, weil sich die Ehefrau mit dem Ja-Wort zum Beischlaf verpflichtet hat.
Wenn ein Mann sein so definiertes Recht mit Gewalt durchsetzt, handelt er nach Meinung des Juristen in Notwehr. Daß in dieser Zeit zahlreiche Frauenhäuser und Notrufstellen für vergewaltigte Frauen eingerichtet wurden, haben diese Herren offensichtlich erfolgreich verdrängt.
Sie verdrängen auch, daß Tag für Tag in der Bundesrepublik Deutschland fast 100 Frauen vergewaltigt werden. Nach Schätzungen von Justiz und Polizei liegt die Dunkelziffer bei 35 000 Vergewaltigungen im Jahr. Dabei wird nur ein Bruchteil dieser Verbrechen angezeigt. So weist die 93er Kriminalstatistik 6 376 Fälle auf. Es ist ein Verdienst der Frauenbewegung, daß Ausmaß und Umfang der männlichen Gewalt gegen Frauen enttabuisiert und öffentlich diskutiert werden.
Seit 1983 setzen sich die GRÜNEN im Bundestag dafür ein, sexuelle Gewalt innerhalb der Ehe ebenso zu bestrafen wie außerhalb. Sowohl im Parlament als auch außerparlamentarisch haben wir zu einem gesellschaftlichen Bewußtseinswandel beigetragen.
Irmingard Schewe-Gerigk
Öffentliche Entgleisungen wie die des Kieler Rechtsprofessors sind heute kaum noch vorstellbar. Es ist an der Zeit, daß das bundesdeutsche Parlament nach mehr als 20 Jahren Diskussion den meisten unserer europäischen Nachbarländer folgt und entsprechende gesetzliche Vorschriften erläßt.
Es gibt keinen Grund, verheiratete Frauen rechtlich schlechter zu stellen als unverheiratete. Es scheint in diesem Hause eine Mehrheit dafür zu geben, Gewalt in der Ehe nicht länger als Kavaliersdelikt abzutun - eine Mehrheit, die weiß, daß das geltende Recht für Frauen Unrecht ist. Um so wichtiger ist es, in diesem Gesetzgebungsverfahren eine Rechtsnorm zu schaffen, bei der die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche und seelische Integrität insbesondere von Frauen geschützt werden. In kaum einem anderen Rechtsbereich klaffen Schutzzweck und Rechtswirklichkeit so weit auseinander.
Bei der Neuregelung der §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuchs bewegen wir uns nicht in einem neutralen Raum, sondern in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext und Wertesystem. Ansichten wie „Frauen wollen erobert werden", „wenn eine Frau nein sagt, meint sie eigentlich ja", „Männer haben nun einmal einen starken Sexualtrieb, deshalb müssen Frauen aufpassen, dürfen sie nicht provozieren" existieren trotz des allgemeinen Bewußtseinswandels in manchen Köpfen immer noch.
Die Erweiterung der genannten Strafrechtsparagraphen auf den ehelichen Bereich ist daher längst überfällig. Es darf nicht sein, daß Frauen mit dem Trauschein den Schutz des Strafrechts verlieren.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Sexualstrafrechtsreform ist die Neufassung des Straftatbestandes. Das Prinzip der Rechtsgleichheit gebietet die Gleichsetzung des oralen und des analen Geschlechtsverkehrs mit dem vaginalen. Wir wollen die gerechte Bestrafung der Person, die eine andere gegen ihren Willen oder durch Drohung zum Geschlechtsverkehr nötigt. Gleiches soll gelten, wenn die Tat mittels Gegenständen oder durch sexuelle Handlungen begangen wird, die das Opfer in besonderer Weise erniedrigen oder demütigen.
Beim Strafmaß darf es unserer Meinung nach keine Rolle spielen, ob der Täter der Ehemann, der Freund, der Freier oder der völlig unbekannte Mann auf der Straße ist. Wir fordern ebenso wie der Strafverteidigertag die Streichung des sogenannten minder schweren Falles bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Für diesen Fall sieht das Gesetz bekanntlich ein minderes Strafmaß vor.
In der Rechtsprechung finden die Regelungen des minder schweren Falles Anwendung, wenn es sich um eine sogenannte Beziehungstat handelt. Also nicht die Tat, sondern das Vorleben der Frau spielt beim Strafmaß eine Rolle. In solchen Fällen schreiben Gerichte Frauen eine Mitschuld zu, wenn sie mit dem Täter bekannt oder befreundet waren bzw. auf Grund ihrer äußeren Erscheinung oder ihres Verhaltens oder Berufs „die Vergewaltigung provoziert" haben. Müßte da nicht zwangsläufig jede Vergewaltigung in der Ehe als klassische Beziehungstat ein minder schwerer Fall sein? Ich sage: Nein. Gerade eine Vergewaltigung in der Ehe verletzt in hohem Maße das Vertrauensverhältnis zum Partner. Eine Frau empfindet das Verbrechen dann besonders verwerflich, wenn der eigene Lebensgefährte der Täter ist, der ihr Vertrauen schamlos mißbraucht. Wenn es somit einen minder schweren Fall von Vergewaltigung in der Realität nicht gibt, so kann es auch kein minderes Strafmaß geben.
Ich komme zum Gesetzentwurf des Bundesrates. Hier schließe ich mich der Kritik der Justizministerin an, daß der Straftatbestand im Bundesratsentwurf zu eng gefaßt ist. Eine Bestrafung des Täters kann demnach nicht erfolgen, wenn die Frau aus Angst vor der Gewalt des Mannes dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen läßt und keine körperliche Gegenwehr zeigt.
Der im Bundesratsentwurf den §§ 177 und 178 neu angefügte Abs. 4 sieht vor, daß das Gericht die Strafe mildern oder von einer Strafe absehen kann, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung ehelicher Bindungen geboten ist. Wir lehnen diese sogenannte Versöhnungsklausel ab, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Jede Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung und muß als solche mit gleicher Strafandrohung für Beziehungstäter wie für Nichtbeziehungstäter unter Strafe gestellt werden; sonst hätte die von allen Parteien geforderte Streichung des Wortes „außerehelich" in den §§ 177 bis 179 StGB seine Wirkung völlig verfehlt.
Zweitens. Diese Versöhnungsklausel ist einmalig im Strafrecht. Nirgendwo ist die Strafverfolgung von der Beziehung der Betroffenen abhängig. Immer wird die Tat als solche verfolgt. Die Aufrechterhaltung einer Ehe kann doch kein Maßstab für die Bestrafung eines Täters sein. Und welches Vertrauen soll eine vergewaltigte Frau in die Gerichte haben, wenn nicht ihr Recht im Mittelpunkt steht, sondern es vielmehr darum geht, die Beziehung zu kitten?
Ich glaube, daß keiner Frau die Strafanzeige leichtfällt. Wenn eine Ehefrau ihren Mann wegen Vergewaltigung anzeigt, dann ist die Ehe bereits zerstört. Das zeigen alle Untersuchungen. Abzuwarten wäre nun, wie viele Frauen gleichzeitig mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung die Scheidung einreichen.
In dem vorliegenden SPD-Entwurf wurde der Kritik der Justizministerin bereits Rechnung getragen. Der Gewaltbegriff ist durch die Einbeziehung des Straftatbestandes „Ausnutzung einer hilflosen Lage", d. h. ohne körperliche Gegenwehr, erweitert worden.
Irmingard Schewe-Gerigk
Die Beibehaltung des minder schweren Falles und der Versöhnungsklausel kritisieren wir hier ebenso wie im Bundesratsentwurf.
Der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf der PDS kommt uns Bündnisgrünen in vielen Passagen bekannt vor. Einen positiven neuen Aspekt möchte ich hier jedoch besonders erwähnen, nämlich das gleiche Strafmaß in den §§ 177 und 179. Das bedeutet eine Gleichstellung des sexuellen Mißbrauchs und der Vergewaltigung Widerstandsunfähiger mit anderen. Auch ich sehe es als eine Diskriminierung an, wenn die Vergewaltigung einer behinderten Frau mit einem geringeren Strafmaß geahndet wird als die einer sogenannten Nichtbehinderten.
Der Presse ist zu entnehmen, daß die Justizministerin ebenfalls eine Änderung des Strafrechts der §§ 177 bis 179 beabsichtigt, indem die Zusammenlegung der bisher getrennten Strafrechtsparagraphen über sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vorgesehen ist. Wir sehen hierin die Gefahr, daß die Gerichte eine Vergewaltigung dadurch mit einem niedrigeren Strafmaß als bisher ahnden werden. Leider haben die Mitglieder dieses Hohen Hauses diesen Entwurf offiziell noch nicht gesehen. Ich hoffe aber sehr, daß dieses ernste Thema nicht nur als liberales hessisches Wahlkampfmäntelchen mißbraucht wurde.
Von der CDU ist zu hören, daß sie einen Sonderstraftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe schaffen will, als besonders schweren Verstoß der gesetzlich geschützten Ehe. Allerdings soll dabei gleichzeitig das Verbrechen dadurch entschärft werden, daß es ein Antragsdelikt darstellt, d. h. daß die Strafverfolgung nur auf Antrag der Frau durchgeführt wird.
Das ist eine unnötige Abschwächung des Gesetzes. In der Praxis steht es der Ehefrau vor Gericht frei, eine Aussage zu machen oder nicht. Wenn es also in ihrem eigenen Interesse liegt, kann sie immer noch von dem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, verfahren nach dem Motto: Wo keine Klägerin, da kein Richter.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?
Ich möchte das gerne zu Ende führen. - Sagt doch eine Untersuchung aus, daß jede zehnte Ehefrau schon einmal von ihrem Ehemann vergewaltigt wurde.
Ihre Angst davor, daß die in einer Studie ermittelten 1,2 Millionen vergewaltigten Frauen die Gerichte belagern, entspricht in keinem Maße der Realität. Schon heute könnte jede vergewaltigte Frau ihren Ehemann wegen Nötigung anzeigen. Auch Ihre Sorge, meine Herren von der CSU, die Ehefrauen würden ihre Männer der Vergewaltigung bezichtigen, um straflos abtreiben zu können, ist nach der Neuregelung des § 218 gegenstandslos.
Wir werden in den Beratungen sicherlich über das Eingangsstrafmaß zu diskutieren haben. Als Maßstab dafür dürfen weder Rachegefühle noch eine falsch verstandene Entkriminalisierung herangezogen werden. Das Strafmaß muß allerdings in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen. Herr Eylmann nannte vorhin ein Beispiel. Ich nenne ein anderes - jeder so, wie es ihm paßt -: Wenn für einen schweren Raub mit Waffenbesitz ein Eingangsstrafmaß von fünf Jahren vorgesehen ist, dann ist das Eingangsstrafmaß von zwei Jahren bei einer Vergewaltigung meiner Meinung nach sicher nicht zu hoch.
Lassen Sie uns in den kommenden Wochen alle Gesetzentwürfe intensiv beraten! Im Mittelpunkt unserer Auseinandersetzungen sollte jedoch stehen, daß sowohl verheiratete als auch unverheiratete Frauen ein Recht auf Unverletzlichkeit ihres Körpers und auf eine selbstbestimmte Sexualität haben. Diese Selbstverständlichkeit muß endlich im Rechtssystem ihren Ausdruck finden und darf nicht noch länger verschoben werden. Zwanzig Jahre sind genug!
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin Christina Schenk, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier schon mehrfach erwähnt worden, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß in diesem Hause die Forderung nach Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe insbesondere bei den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Zwischenrufe und Gelächter hervorgerufen hat. Heute scheinen wir einen Schritt weiter zu sein, da ein Nachdenken eingesetzt hat. Damals hatte die CDU eine Reform noch mit dem Hinweis abgelehnt, diese würde Ehe und Familie gefährden. Ich finde es schon bemerkenswert, in welcher Weise eine blinde Idealisierung der Institution Ehe den Blick auf die Realitäten zu verkleistern vermag. Die Ehe ist also in Gefahr, wenn der Täter bestraft wird, und nicht, weil er sexuelle Gewalt gegen seine Ehefrau anwendet.
Nun sieht es immerhin so aus, daß auch auf der konservativen Seite dieses Parlaments ein Umdenken begonnen hat. Aber ob das reicht, um zu politischer Handlungsfähigkeit zu kommen, ist fraglich. Bis jetzt jedenfalls hat konservatives Denken jede Reform in dieser Richtung verhindert. Die Regierungskoalition hat es bis jetzt nicht vermocht, hier einen diskutierfähigen Entwurf vorzulegen. In der
Christina Schenk
Presse geistert zwar seit einigen Tagen ein Entwurf aus dem Bundesjustizministerium umher; aber ich denke, er ist wohl eher Spielgeld für die Wahl in Hessen als ein ernst zu nehmender Beitrag in dieser Debatte.
Der Entwurf der PDS, den ich Ihnen hier vorstellen will, ist unter Einbeziehung der Erfahrungen von Notrufdiensten für vergewaltigte Frauen und der Erfahrung von Gruppen, die mit betroffenen Frauen arbeiten, entstanden. Ich glaube, daß das der Grund ist, warum er sich in wesentlichen Punkten von den Entwürfen der SPD und des Bundesrates unterscheidet.
Die gegenwärtige Rechtslage hat in sechs Punkten einen ganz dringenden Reformbedarf.
Erstens. Wir sind der Auffassung, daß die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen geschützt werden muß, und zwar unabhängig von der Art der Beziehung zum Täter. Es darf für die Beurteilung der Schwere einer Tat keine Rolle spielen, ob die Frau mit dem Täter verheiratet ist, oder ob sie in einer Lebensgemeinschaft mit ihm lebt, oder ob er ihr unbekannt ist. Die Schwere der Tat kann allein aus der Perspektive des Opfers beurteilt werden.
In diesem Punkt ist allein unser Entwurf konsequent, indem er die Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe tatsächlich gleichstellt. Die Entwürfe des Bundesrates und auch der SPD lassen da eine Hintertür offen in Gestalt der sogenannten Versöhnungsklausel, die es erlauben soll, das Strafmaß dann herabzusetzen oder die Strafe auszusetzen, wenn es im Interesse der Aufrechterhaltung der Beziehung geboten erscheint, wie es dort heißt.
Das, meine Damen und Herren, provoziert meiner Meinung nach regelrecht die Erpressung des Opfers durch den Täter. Dieser braucht seine Frau nur zu der Aussage zu zwingen, sie wolle sich mit ihm versöhnen, dann hat er praktisch allerbeste Chancen, daß das Verfahren eingestellt wird. Eine solche Regelung trägt dazu bei, daß die Gewalt in der Beziehung fortgesetzt wird. Ich meine, es gibt für eine solche Versöhnungsklausel überhaupt keinen Grund - das ist hier schon erwähnt worden -: Die Ehefrau kann sich jederzeit auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen und so ein Verfahren zum Erliegen bringen, wenn sie es denn wirklich nicht will.
Der der Versöhnungsklausel zugrunde liegende Gedanke zeugt meines Erachtens davon, daß die Realität einfach nicht zur Kenntnis genommen wird. Die Erfahrung zeigt, daß Ehefrauen, wenn sie so weit sind, zur Polizei zu gehen und ihren Mann anzuzeigen, bereits eine Kette von Gewalttaten haben hinnehmen müssen und inzwischen einen inneren Ablösungsprozeß hinter sich haben, der sie ja erst dazu befähigt, Anzeige gegen ihren eigenen Mann zu erstatten. In solchen Fällen kann davon ausgegangen werden, daß die Ehe so zerrüttet ist, daß der Gedanke an eine Rettung der Ehe abwegig geworden ist.
Merkwürdig ist auch, daß es eine solche Versöhnungsklausel bei keinem anderen Offizialdelikt, wie z. B. bei der schweren Körperverletzung, gibt. Da ist
es völlig unerheblich, ob sich die Eheleute wieder miteinander vertragen. Ich meine, das läßt doch nur die Interpretation zu, daß sexuelle Gewalt noch immer bagatellisiert wird und daß die Ehe eben noch immer mehr wert ist als die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau.
Der zweite Punkt in unserem Entwurf bezieht sich auf die Definition dessen, was eine Vergewaltigung ist. Nach unserem Entwurf zählt dazu nicht nur die vaginale, sondern auch die gegenwärtig lediglich zum Tatbestand der sexuellen Nötigung zählende orale und anale Penetration sowie - auch das ist ein Unterschied zu den Entwürfen des Bundesrates und der SPD - der entsprechende Gebrauch von Gegenständen. Hier Unterschiede machen zu wollen ist absurd.
Die Formulierung ist in unserem Gesetzentwurf geschlechtsneutral, so daß auch die Vergewaltigungen von Männern erfaßt sind.
Drittens. Bis jetzt wurde eine Vergewaltigung in der Regel nur dann als solche akzeptiert, wenn Gewalt angewandt wurde. Kriterium hierfür war die Gegenwehr des Opfers, die diese vor Gericht glaubhaft machen mußte. Das führte zu Fragen wie z. B.: Was taten Sie mit Ihrer linken Hand, als er Ihre rechte festhielt? So wird die Glaubwürdigkeit des Opfers nachgeprüft, bzw. sie muß nachgeprüft werden. Es wird vor Gericht also ein Verhalten erwartet, vor dem die Strafverfolgungsbehörden warnen, weil Gegenwehr das Risiko des Opfers, lebensgefährlich verletzt oder sogar getötet zu werden, unter Umständen erhöhen kann.
Um das künftig auszuschließen, haben wir als Tatbestandsmerkmale Handlungen „gegen den Willen" und „Drohungen mit einem empfindlichen Übel" aufgenommen. Damit liegt eine Vergewaltigung bereits dann vor, wenn die Handlung des Täters gegen den erklärten Willen der Frau erfolgt bzw. wenn sie durch Gewalt oder durch Drohung auch von geringer Intensität erzwungen worden ist.
Die SPD nennt statt dessen lediglich die „Ausnutzung einer hilflosen Lage" als Kriterium. Ich frage mich: Wer definiert, was eine „hilflose Lage" ist? Ich meine, Sie leisten damit wieder einer Fremdbeurteilung der Situation der Frau Vorschub. Es muß endlich erreicht werden, daß die Opferperspektive eine entscheidende Bedeutung bekommt.
Viertens. Der minder schwere Fall ist in unserem Entwurf gestrichen, weil die im Kommentar zum Strafgesetzbuch genannten Fälle keine sind. Als Beispiele werden genannt: wenn das Opfer bereits vor der Tat eine intime Beziehung zum Täter gehabt hat oder - wie es so schön heißt - „wenn die Frau Anlaß zur Tat gegeben hat" oder - das steht dort wörtlich -„wenn der Täter ein echtes Liebesverhältnis anstrebte". Ein weiterer Grund ist, daß die bisherige Rechtsprechung der Täterperspektive generell eine weitaus größere Bedeutung zugemessen hat als der
1532 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 22, Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995
Christina Schenk
Perspektive des Opfers und daß der minder schwere Fall bisher dazu gedient hat, Strategien der Täterentschuldigung und der Opferbeschuldigung zu konstruieren.
Wenn der minder schwere Fall bleibt, ist angesichts dieser Erfahrungen und der noch immer virulenten Vorstellung, ein Mann habe einen Rechtsanspruch auf sexuelle Dienstleistungen seiner Ehefrau, zu befürchten, daß eine eheliche Vergewaltigung zum Regelfall des minder schweren Falls wird. Das wäre ganz im Sinne der hier so propagierten Aufrechterhaltung der Ehe um jeden Preis - aber ganz sicher nicht im Sinne der vergewaltigten Frau.
Fünftens. Statt des minder schweren Falls sieht unser Entwurf einen schweren Fall vor. Der ist dann gegeben, wenn die Vergewaltigung von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder wenn die Vergewaltigung schwere psychische oder andere schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge hat. Die Mindeststrafe liegt hier nicht bei zwei, sondern bei drei Jahren.
Sechstens. Das in § 179 StGB vorgesehene geringere Strafmaß für die Vergewaltigung und sexuelle Nötigung von Behinderten ist aus unserer Sicht eine unerträgliche Diskriminierung. Unser Entwurf beendet diesen Zustand, indem er auch in solchen Fällen das gleiche Strafmaß vorsieht wie in den Fällen der §§ 177 und 178.
Ich meine, daß eine solche Angleichung überfällig ist, insbesondere weil wir mittlerweile eine neue Formulierung in Art. 3 des Grundgesetzes haben, wonach jegliche Diskriminierung auf Grund der Behinderung untersagt ist.
Zu dem Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium will ich hier jetzt nichts sagen. Ich habe ihn nur mit sehr viel Mühe beschaffen können. Ich schließe daraus, daß die Überlegungen im Bundesjustizministerium noch im Anfangsstadium sind. Ich bin gespannt, ob die nächsten dreieinhalb Jahre ausreichen werden, hier zu einer Vorlage zu kommen.
So viel zur Änderung des Strafrechts. Aber das ist nicht alles. Wir lassen es nicht dabei; wir wollen auch, daß die Situation von Frauen in Strafprozessen verbessert wird, und schlagen deshalb Änderungen der Strafprozeßordnung vor.
Immerhin zeigen die empirischen Belege, daß knapp 50 % der Frauen, die vergewaltigt wurden und die Tat angezeigt haben, wegen ihrer Erfahrungen mit Polizei und Gerichten keine Anzeige mehr erstatten würden. Wir sehen deshalb vor, daß Fragen nach dem sexuellen Vorleben der Frau in den Prozessen nicht mehr gestattet sind, daß die Rechte der Nebenklage gestärkt werden und daß die Frau den Ausschluß des Angeklagten während ihrer eigenen Aussage beantragen kann.
Zum Schluß möchte ich noch auf einen Aspekt eingehen, der in einer vorwiegend unter strafrechtlichen Gesichtspunkten geführten Debatte unterzugehen droht. Für mich ist es ein alarmierendes Zeichen, daß die Rückfallquote gerade bei Sexualstraftätern mit etwa 80 % extrem hoch ist. Ich denke, es muß in der jetzt kommenden parlamentarischen Debatte auch darauf ankommen, sich mit den Fragen der Tätertherapie und mit Fragen der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden zu befassen. In den USA sind auf diesem Gebiet schon interessante Erfahrungen gemacht worden. Ich denke, wir sollten uns umfassend informieren und gegebenenfalls auch Pilotprojekte initiieren.
Ich schlage deshalb vor, in den beratenden Ausschüssen Anhörungen durchzuführen, zu denen insbesondere Frauen aus Notrufprojekten und aus Gruppen, die mit betroffenen Frauen aus Frauenhäusern arbeiten, eingeladen werden sollten. Ich denke, sie sind die Fachfrauen. Gerade die Tatsache, daß sich der Bundestag bis jetzt mit dieser Art von Dialog sehr schwergetan hat, ist wohl auch ein Grund dafür, daß die Situation so schlecht ist. Wir sollten das ändern.
Danke.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie - auch die Ministerin - als Nichtjurist und mit der Materie nicht unmittelbar betraut um eines bitten: In den Debatten um dieses Gesetz geht es ganz besonders um den Opferschutz. Der Opferschutz wird besonders wichtig für Frauen, deren Familien aus anderen Kulturen kommen. Denn dieser aufgeklärte, moderne Familienbegriff, über den es hier im Haus heute morgen Konsens gibt, wird von den Familientraditionen vieler Mitbürger aus anderen Kulturen häufig nicht geteilt. Ich bitte sehr darum, die Frage des Schutzes einer Frau etwa aus einer islamischen Familie, die sich oft einer ganzen Männerfront gegenübersieht, sobald sie aussagt, bei den Beratungen eventuell auch mit den Bundesländern zu berücksichtigen und möglicherweise dazu eine Anhörung durchzuführen. Wir sollten dieses Problem nicht nur im Hinterkopf haben, sondern uns dazu auch von Fachleuten etwas sagen lassen. Wir dürfen das nicht außer acht lassen.
Danke.
Ich erteile der Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Ich begrüße im Namen der Bundesregierung, daß ein breiter Konsens in dem Grundanliegen besteht, den Schutz von Frauen vor Gewalt zu verbessern. Die Bundesregierung hat dies zu Beginn dieses Jahres in ihrer Stel-
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lungnahme zu einem Gesetzentwurf des Bundesrates - Ihnen allen als Drucksache vorliegend - zum Ausdruck gebracht.
Weil hier auch auf einige konkrete Einzelheiten des Gesetzentwurfes eingegangen wurde, ist die Debatte mit diesem Bundesratsgesetzentwurf und der Gegenäußerung der Bundesregierung zu Recht in die Öffentlichkeit getragen worden. Seitdem beschäftigen wir uns wieder einmal, aber zum erstenmal in dieser neuen Legislaturperiode, mit diesem Thema.
Das Thema ist also nicht ein Wahlkampfthema oder aus Anlaß von Wahlkämpfen in die Diskussion gekommen - Wahlkämpfe gibt es immer; wenn das nur in diesem Zusammenhang gesehen würde, dürfte man es vielleicht nie aufgreifen -, sondern wir behandeln es aus guten Gründen. Ich begrüße es, daß wir jetzt hier die Gelegenheit haben, uns sehr sachlich darüber zu unterhalten, auf welche Weise hier ein besserer Schutz - auch durch Änderungen im Strafrecht - für Frauen generell erreicht werden kann. Deshalb sollten die Vorwürfe, Wahlkampfgeplänkel zu betreiben, nicht ernsthaft erhoben werden. Zwei Tage vor der Hessen-Wahl sollte wirklich allen klar sein, daß das Thema zu ernst ist, um es in diesen Kontext zu stellen.
Mehrfach ist ein Entwurf angesprochen worden, der im Ministerium der Justiz erarbeitet worden ist. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Deshalb verstehe ich nicht die Geheimnistuerei, die hier von manchen damit verbunden wird.
- Nein; überhaupt nicht. Im Bundesministerium ist ein Entwurf erarbeitet worden, der natürlich jetzt mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und mit den beteiligten Ressorts intensiv erörtert wird.
- Hören Sie mal, Sie sind hier in Bonn. Wenn Sie hier etwas zu Papier bringen - egal, wo Sie sind -, haben Sie die Chance bzw. laufen Sie Gefahr, das zwei Tage später in der Presse lesen zu können. Hier wird wirklich ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Es ist ein ganz normaler Vorgang, daß wir uns innerhalb der Regierung über die Vorstellungen, die in einem Gesetzentwurf enthalten sind, unterhalten und über die einzelnen Fragen der Ausgestaltung intensiv beraten. Daß wir das tun, geht schon aus der Gegenäußerung der Bundesregierung hervor.
Selbstverständlich haben auch wir immer noch die Zahlen in Erinnerung, die eine EMNID-Umfrage vom April 1986 ergeben hat, nämlich daß von 1 261 Personen jede sechste persönlich Fälle kannte, daß Ehemänner ihre Frauen gegen deren Willen mit körperlicher Gewalt oder mit Drohungen zum Geschlechtsverkehr gezwungen hatten.
Von Herrn Eylmann sind die Beratungen angesprochen worden, die darüber in den 70er Jahren stattgefunden haben. Damals ist mit knapper Mehrheit eine Änderung des Strafgesetzbuches abgelehnt worden, mit den bekannten Gründen, die ich nicht wiederholen möchte. Aber ich will hier ganz klar und deutlich sagen: Die Bundesregierung ist sich einig in der Bewertung, daß Gewalt in der Ehe natürlich kein Verhalten ist, das hingenommen werden kann, und daß es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß ein mit Drohungen oder körperlicher Gewalt erzwungener Geschlechtsverkehr nicht mit Mitteln des Strafrechts geahndet werden könnte, nur weil dies in der Ehe geschehen ist. Es wurde bereits gesagt, daß bisher nur die Möglichkeit bestand, eine Bestrafung wegen Körperverletzung oder Nötigung vorzunehmen. Das halten wir nicht für ausreichend. Vor allen Dingen halten wir es nicht für richtig, daß eine Vergewaltigung in der Ehe nicht als Vergewaltigung bestraft werden kann; denn - auch das ist in der Stellungnahme der Bundesregierung klar ausgeführt - das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung ist unteilbar. Es wird durch die Entschließung weder beseitigt noch eingeschränkt.
Ich darf jetzt auf die Vorstellungen zu sprechen kommen, die im Bundesjustizministerium dazu bestehen. Zum einen wollen wir einen einheitlichen Straftatbestand schaffen. Wir wollen die Vergewaltigung und die sexuelle Nötigung - das sind die §§ 177 und 178 des Strafgesetzbuches - in einer Strafnorm zusammenfassen, und zwar aus guten Gründen. Wir wollen, daß die sexuelle Nötigung, der sexuelle Mißbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden soll.
Wir sehen vor - deshalb trifft der hier erhobene Vorwurf nicht zu -, daß die Vergewaltigung der Regelfall eines besonders schweren Falles ist. Dafür soll ein Strafrahmen von mindestens zwei und höchstens 15 Jahren gelten. Wir gehen also mit unseren Vorstellungen nicht hinter den Strafrahmen zurück, der im geltenden Recht, nur bezogen auf die Vergewaltigung außerhalb der Ehe, existiert. Ich glaube, es ist wichtig, die beiden Tatbestände in einem Grundtatbestand zusammenzufassen und entsprechende andere Verhaltensweisen mit zu erfassen, Sie haben bereits zu Beginn gesagt, daß das einer der Punkte Ihrer Kritik am Bundesratsentwurf war,
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Frau Ministerin, ist Ihnen bewußt, daß, wenn Sie diese Konstruktion wählen, den Vergewaltigungstatbestand als - im juristisch-technischen Sinne - Strafverschärfungsgrund ins Gesetz hineinzuschreiben, künftig der Vergewaltiger nicht mehr wegen Vergewaltigung, auch nicht wegen sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall, sondern nur noch - das ist das Ergebnis höchstrich-
Erika Simm
terlicher Rechtsprechung - wegen Nötigung verurteilt wird? Der schwere Straftatbestand der Vergewaltigung kommt dann im Urteilstenor nicht mehr zum Ausdruck.
Ich meine, daß Ihre Auffassung so nicht richtig ist. Denn der einheitliche Tatbestand, der hier geschaffen werden soll, ist der Tatbestand der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung. Das muß natürlich auch in der Überschrift, in der Bezeichnung deutlich werden. Ich sehe keine Herabsetzung darin, wenn wir sagen, daß ein besonders schwerer Fall immer dann vorliegt, wenn eine Frau vergewaltigt wird, und wenn wir das - ich will das nicht im einzelnen ausführen; das ist schon geschehen - besonders umschreiben und weiter fassen wollen, als das heute im geltenden Recht, bezogen auf die außereheliche Vergewaltigung, der Fall ist.
Ich bin aber auch der Meinung, daß wir bei diesen schwierigen Fragen selbstverständlich das besondere Verhältnis zwischen Täter und Opfer innerhalb bestehender Lebensgemeinschaften mit in die Überlegungen einbeziehen müssen. Denn wir müssen doch immer auch den Gesichtspunkt mit im Auge haben, daß eine von den Partnern erreichte oder angestrebte Lösung eines Konflikts nicht generell durch ein Verfahren vereitelt werden soll.
Deshalb komme ich hier auf die - aus meiner Sicht sensible - Frage zu sprechen, die mit dem Stichwort „Versöhnungsklausel" oder „Antrags-/Widerspruchsrecht" belegt wird. Ich bin der Meinung, daß es hier gute Gründe für verschiedene Ansätze gibt. In den Überlegungen des Justizministeriums ist eine Versöhnungsklausel enthalten, die es dem Gericht ermöglicht, das Strafmaß zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen, wenn dies der Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft dienen kann. Ich darf auch den Gesichtspunkt erwähnen, den Herr Eylmann angesprochen hat, daß nämlich die Ehefrau die Verurteilung ihres Mannes dadurch verhindern kann, daß sie im Strafprozeß von ihrer Möglichkeit Gebrauch macht, die Aussage zu verweigern.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Bedenken gegen das Modell eines Antrags- oder Widerspruchsrechtes der Frau. Denn damit würde sie ja immerhin die Verfahrensherrschaft über einen Verbrechenstatbestand bekommen. Man würde ihr als Opfer die Verantwortung dafür aufbürden, ob es nun zu einem Strafverfahren kommt bzw. dieses weiter durchgeführt wird oder nicht. Und die Gründe für die Ausübung eines Antrags- oder Widerspruchsrechts können durchaus problematisch sein und müssen nicht unbedingt etwas mit einer wünschenswerten Konfliktlösung zwischen den Partnern zu tun haben.
Eine Versöhnungsklausel hätte den Vorteil, daß sie eine flexible Reaktion auf den Einzelfall erlaubt. Die Strafverfolgungsbehörden könnten, wie sie das auch in anderen Konstellationen zu tun haben, prüfen: Wie hat sich das Verhältnis zwischen Täter und Opfer entwickelt? Sollte hier möglicherweise nicht ganz von Strafe abgesehen werden?
Ich sehe - ich habe das soeben zu Beginn dieses Punktes schon betont -, daß es hier um eine sensible Fragestellung geht. Ich glaube, es dient der Sache, wenn wir die Argumente, pro und kontra hinsichtlich der verschiedenen Wege, miteinander erörtern, austauschen, kritisch hinterfragen und dann zu einem gemeinsamen Lösungsweg kommen. Ich bin nicht der Meinung, daß das ganze Vorhaben, wo wir doch jetzt so weit sind, daß wir den grundsätzlichen Konsens erreicht haben, an diesem Punkt scheitern sollte. Deshalb bin ich froh, daß wir mit dieser Debatte heute mit der Umsetzung dieses Konsenses in eine konkrete Regelung beginnen. Ich werde mich dafür einsetzen, daß es hier wirklich zu einer Änderung, einer Regelung in unserem Strafgesetzbuch kommt, die der schwierigen Materie angemessen ist, ihr gerecht wird. Und da bin ich nicht so pessimistisch wie Sie, Frau Schenk, die Sie Beratungen von dreieinhalb Jahren in diesen Fragen vor sich sehen. Ich glaube, soweit waren wir zur Beginn einer Debatte - Sie haben selbst erwähnt, wie oft sie schon geführt worden ist - noch nie. Von daher sind hier ein verhaltener Optimismus und eine gewisse Zuversicht sehr angebracht. Die Bundesregierung wird jedenfalls nach den dort bisher geführten Beratungen alles tun, um zu einer vernünftigen Lösung auch mit einem Entwurf beizutragen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Hanna Wolf, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich bedaure und finde es auch bedenklich, daß wir heute nicht über einen Gesetzentwurf beraten können, der zwar der gesamten Presse zugegangen ist und den nicht irgend jemand rein zufällig erwischt hat, der aber dem Parlament nicht vorliegt. Ich meine Ihren Entwurf.
Ich begrüße jedoch diesen sogenannten nicht vorhandenen Entwurf insoweit, als er schon eine interessante Wirkungsgeschichte hinter sich hat. Der bayerische Justizminister Leeb mußte seine Meinung innerhalb einer Woche aus Parteiräson zurückziehen. Angeblich möchte er nun ebenfalls keinen Unterschied mehr machen zwischen einer Vergewaltigung in der Ehe und einer außerhalb. Immerhin ein kleiner Lernprozeß!
Sicher haben aber auch die fünfmalige Einbringung unseres Entwurfs und die zwanzigjährige Debatte und Vorarbeit dazu beigetragen, daß hier jetzt endlich ein Bewußtseinswandel eintritt. Ich hoffe, daß der Wirbel um den nicht vorliegenden Entwurf aus dem Hause der Justizministerin jetzt nicht nur - ich muß es noch einmal sagen - zum Wahlkampfgetöse gehört; denn so zufällig ist es doch nicht - ich glaube, das können Sie keinem in diesem Haus verkaufen -, daß er gerade jetzt vorliegt. Aber ich habe die Hoffnung, wir können das schreckliche Kapitel der Vergewaltigung in dieser Legislaturperiode nun endlich gemeinsam gesetzgeberisch zu Ende brin-
Hanna Wolf
gen. Ich schlage Ihnen vor, Sie nehmen den Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion als Grundlage der Beratungen und ersparen den Frauen jede weitere Verzögerung.
Ein Verfahren wie in der letzten Legislaturperiode, in der nach der ersten Lesung die entscheidende zweite und dritte immer wieder hinausgeschoben wurde, um dann schließlich durch einen Verfahrenstrick die Schlußabstimmung zu verhindern, darf sich nicht wiederholen.
Die Bundesregierung ist inzwischen sogar schon von der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Gewalt gegen Frauen, Radihika Coosmaraswany, aufgefordert worden, den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der verheirateten Frauen in Deutschland genauso gesetzlich zu gewährleisten wie den der unverheirateten. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, das nicht durch den Stand der Ehe verkürzt werden kann. Sonst würden Sie ja die Ehe in die Nähe der Sklaverei bringen.
Seit der großen Eherechtsreform von 1976 gibt es keinen Anspruch des Ehemanns auf die sexuelle Hingabe seiner Frau mehr. Mit dieser Eherechtsreform war der Auftrag des Grundgesetzes von 1949 zur Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Familie endlich rechtlich erfüllt. Daß aber die unterschiedliche Rechtslage zur Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe so lange parlamentarisch nicht geregelt werden konnte, ist nicht zu begreifen. Daß dies nicht das Verfassungsgericht auf den Plan gerufen hat, ist ebenfalls bezeichnend für die partriarchale Struktur unserer Gesellschaft. Dazu paßt, daß selbst einige Richter, wie man aus Leserbriefen in den Zeitungen entnehmen kann, heute immer noch glauben, sexuelle Hingabe gehöre zu den ehelichen Pflichten der Frau. Um Ihre Worte aus einem Hamburger Magazin aufzunehmen, Herr Eylmann: Ich habe keine Nachsicht mehr mit den Männern, die immer noch keine Einsicht haben. Auf die Bewußtseinsänderung dieser Minderheit können wir nicht mehr warten.
Es sind in diesem Punkt jedoch nicht alle Männer Bremser, wie wir wissen. Die SPD-Fraktion arbeitet schon seit 20 Jahren an einer solchen Regelung. Hier möchte ich einmal ganz ausdrücklich unserem langjährigen Kollegen Hans de With danken, der sich wirklich unermüdlich dafür eingesetzt hat.
Meine Damen und Herren, eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welchem Verhältnis die betroffenen Personen zueinander stehen. Und eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welcher Form sie stattfindet.
Herr Eylmann, Sie haben vor zwei Jahren anläßlich der ersten Lesung unseres damals zum viertenmal eingebrachten Entwurfs folgendes gesagt - ich zitiere -:
Das beunruhigend Gefährliche sexueller Aggression liegt gerade darin, daß sie sich gegen ein Objekt richtet, das der Täter nicht verachtet, sondern zu dem er sich hingezogen fühlt und das er besitzen möchte.
Herr Eylmann, Vergewaltigung hat so gut wie nichts mit sexueller Befriedigung und schon gar nichts mit Liebe zu tun, wohl aber mit Besitz. Da haben Sie recht. Es ist das Drama von Dominanz und Unterwerfung. Der Vergewaltiger versichert sich seines vermeintlichen Eigentums - Sie nennen das wohl „sich hingezogen fühlen" -, bzw. er eignet sich das vermeintliche Eigentum eines anderen an. Der Bogen reicht von der Vergewaltigung im Krieg bis zur Vergewaltigung in der Ehe. Sie können es auch einen Anfall von Versklavungsversuch nennen.
75 % der heute schon als Vergewaltigung gewerteten Taten sind Beziehungstaten, d. h. der Täter ist der Frau bekannt. Soll die Tat etwa weniger schwer wiegen, wenn sie durch den eigenen Ehemann geschieht? Bei früheren Debatten, Herr Eylmannn, haben Sie, Herr Engelhard und Frau Männle, schon angedeutet, daß diese Vergewaltigung sogar schwerer wiegen müßte, weil das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Eheleuten mißbraucht werde.
Ich habe Ihnen darin immer recht gegeben. Ich finde es nur sehr bedenklich: Sie haben hier sehr engagierte Reden dazu gehalten, sind aber leider nicht tätig geworden. Deswegen müssen wir es heute wieder behandeln.
Meine Damen und Herren, wir fordern keine Erhöhung des Strafmaßes bei Vergewaltigung. Wir fordern aber, daß Vergewaltigung nicht als sexuelle Nötigung behandelt wird. Vergewaltigung ist jede Form von Penetration gegen den Willen des Opfers. Und das ist ein Verbrechen. Es darf weiterhin nicht unter zwei Jahren bestraft werden. So sieht es unser Gesetzentwurf vor.
Die Justizministerin will das aber nur im Regelfall. Die Regel läßt Ausnahmen zu, und davon machen Richter - gerade wenn es um Sexualdelikte geht -nur zu gerne Gebrauch. Das geht mit uns nicht.
Vor allem darf nicht mehr mit der Bewertung als sogenannter minder schwerer Fall Schindluder getrieben werden. Ein Mann, der sich darauf beruft, daß er vorher getrunken habe, handelt höchstens noch vorsätzlich. Ein Mann, der angibt, er sei sexuell gereizt worden, beruft sich auf die Mär von den unkontrollierbaren Trieben und nicht auf menschliche Formen des Zusammenlebens.
Da Richter in der Vergangenheit schon gern die Definition des minder schweren Falles angewandt haben, wäre es geradezu in wörtlichem Sinne fatal, nun auch noch über eine einheitliche Bewertung von Vergewaltigung und sexueller Nötigung das Mindeststrafmaß nach unten zu verlegen. Das würde den Skandal weiter fortsetzen, daß bei uns Eigentumsde-
Hanna Wolf
likte höher bestraft werden als Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit.
Im übrigen muß noch viel getan werden, um Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Richter und Justizvollzugsanstalten in der Erkennung und adäquaten Bewertung von Vergewaltigung zu schulen. In meinem Wahlkreis sind anläßlich eines aktuellen Falles bei den Bürgerinnen und Bürgern schwere Zweifel entstanden.
Aber vielleicht ist die Handhabung des Vergewaltigungsparagraphen auch von Bundesland zu Bundesland verschieden. Möglicherweise besteht da in Bayern noch spezieller Aufklärungsbedarf. Auch die Justiz unter einem Justizminister Leeb muß wohl umdenken. Ich bin nicht mit den Vorstellungen von Minister Leeb einverstanden, der die sicherlich zusätzlichen nötigen therapeutischen Maßnahmen als Familientherapie gestalten will. Warum soll sich immer die Familie, d. h. die Frau, an dem Täter abarbeiten? Hier ist in jedem Fall Tätertherapie angesagt.
Meine Damen und Herren, es reicht nicht, daß wir Gewaltverbrechen gegen Frauen nur in anderen Ländern anklagen. Wir müssen vor unserer eigenen Türe kehren. Es ist schon so oft darauf hingewiesen worden, daß wir in Europa das Schlußlicht sind. Auch die USA haben schon längst eine Strafgesetzgebung dafür. Hier ist schon lange Handlungsbedarf. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, auch von Frauen, also auch von Ehefrauen.
Kollege Norbert Geis, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Ministerin, wir werden Ihren Entwurf in der Koalition beraten, und wir werden sicherlich versuchen, die Unterschiede, die jetzt noch bestehen mögen, auszugleichen und einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Ich meine, daß wir doch noch einmal darauf hinweisen sollten, daß die Vergewaltigung in der Ehe natürlich schon heute nach unserer Rechtsordnung strafbar ist. In der Öffentlichkeit ist durch die Diskussion in den vergangenen Monaten ein falscher Eindruck entstanden. Es ist zwar richtig, Herr Kollege Mahlo, daß zwischen Nötigung und Vergewaltigung in der Ehe insofern ein Unterschied besteht, als das eine ein Verbrechen und das andere ein Vergehen ist. Aber wir wissen, daß die gerichtliche Praxis bei der Zumessung der Strafe keinen Unterschied gemacht hat. Die eine Tat ist genauso bestraft worden - weil der Strafrahmen entsprechend groß ist - wie die andere Tat.
Dennoch meint die Union, daß ein Unterschied darin besteht, daß das eine als Verbrechen und das andere als Vergehen gekennzeichnet wird, daß dieser Unterschied beseitigt werden sollte und daß wir beides gleichermaßen im Gesetz verankern sollten.
Ich meine, daß die primitive Polemik, die gegen uns gerichtet worden ist, als wären wir diejenigen, die die Frau innerhalb der Familie geringer achten würden als die Frau außerhalb der Familie, barer Unsinn ist.
Wir haben schon immer die Vergewaltigung in der Ehe als ein zutiefst verabscheuungswürdiges Verhalten angesehen, das gegen die Würde und Freiheit der Frau gerichtet ist, nicht zuletzt deshalb, weil der Täter die räumliche Nähe, die besonderen Beziehungen und das besondere Vertrauensverhältnis, wie sie in einer Ehe entstehen, rücksichtslos ausnutzt und zerstört.
Herr Kollege Geis, die Kollegin Matthäus-Maier würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis, Sie sprachen gerade von „primitiver Polemik". Ich frage Sie: Meinen Sie wirklich, daß es primitive Polemik von uns war, als wir Ihnen in der Vergangenheit, als Sie ja noch anderer Meinung waren - Sie haben es ja viele Jahre verhindert -, vorgeworfen haben, kein Mensch könne verstehen, daß man bis zum Tag der Hochzeit eine Vergewaltigung als Vergewaltigung bestraft und vom Tag danach nicht mehr? War das primitive Polemik, daß Sie das nicht einsehen wollten?
Die Vergewaltigung wird auch ab dem Tag danach bestraft. Sie haben eben gar nicht zugehört.
- Nun lassen Sie mich doch antworten. Sie haben gefragt; ich gebe die Antwort. Das ist das Spiel.
Die Vergewaltigung wird natürlich auch nach der Eheschließung bestraft. Darüber besteht überhaupt gar kein Zweifel. Natürlich ist der Vorwurf gegen uns, wir würden die Würde der Frau, die verheiratet ist, geringer achten als die Würde der Frau, die nicht verheiratet ist, eine blanke, dumme Polemik, die ich entschieden zurückweise.
Dieser Vorwurf ist auch jetzt zum Vorschein gekommen, etwa in dem Sinne,
Norbert Geis
als seien wir die Verfechter der Rechtsphilosophie von Kant, der angenommen hat, daß die Ehe ein Vertrag sei zur Befriedigung gegenseitiger Bedürfnisse. Hegel hat diese Auffassung schon von vornherein als schändlich und ruchlos zurückgewiesen und steht damit in Übereinstimmung mit Thomas von Aquin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ehe ist für uns - das wissen Sie doch - ein Institut, das man schaffen müßte, wenn es sie nicht gäbe. Wir sind der Meinung, daß die Ehe eine Art des menschlichen Zusammenlebens darstellt, wie sie für eine Gesellschaft unbedingt erforderlich ist. Wir müssen alles dafür tun, daß der Staat die Ehe im Interesse der Menschen erhält. Wir müssen ebenfalls alles dafür tun, daß der Staat die Freiheit und den Freiraum, die die Ehe braucht, gewährleistet. Das ist liberale Auffassung vom Rechtsstaat. Wir müssen ebenfalls darauf achten, daß der Staat grundsätzlich natürlich nicht im Freiraum der Ehe herumermitteln darf und daß das Strafrecht grundsätzlich ebenfalls nichts im Freiraum der Ehe zu suchen hat. Das ist eine übereinstimmende Meinung im europäischen Kulturkreis. An diesem Grundsatz werden wir natürlich festhalten.
Dieser Grundsatz steht natürlich nicht im Widerspruch zu dem Anspruch der Ehefrau auf strafrechtlichen Schutz vor dem gewalttätigen Ehemann. Von daher jedenfalls kann es keinen Grund geben, die Vergewaltigung innerhalb der Ehe im Strafrecht anders zu verankern als die Vergewaltigung außerhalb der Ehe. Darin stimmen wir doch mit Ihnen überein.
Es ist ja wahr, daß wir der Auffassung waren, die strafrechtliche Verfolgung der Vergewaltigung in der Ehe sei durch die Körperverletzungsdelikte und das Nötigungsdelikt im Strafrecht ausreichend verankert. Es ist ja wahr.
Herr Eylmann hat es Ihnen vorhin schon gesagt: Wir befinden uns damit in bester Gesellschaft. Sie haben es doch noch Mitte der 70er Jahre im vierten Strafrechtsreformgesetz selbst verkündet und einen eigenen Tatbestand für die Vergewaltigung in der Ehe abgelehnt, und zwar mit der Begründung, das würde in der Praxis keine Rolle spielen. Die Praxis würde einer solchen eigenständigen Normierung widersprechen. Das war doch Ihre Auffassung.
- Das können Sie doch nicht leugnen. Das war Mitte der 70er Jahre.
Haben Sie es nicht bei der großen Eherechtsreform als einen großen Erfolg gefeiert, daß die Staatsanwaltschaft und die Richter nun endlich nicht mehr im Schlafzimmer herumschnüffeln können? Das war doch Ihr Erfolg und Ihre Redensweise. Denken Sie doch ein bißchen daran.
Es ist ja wahr, daß wir dieser Auffassung waren. Ich wiederhole: Wir befanden uns damals und befinden uns heute mit denen von damals in bester Gesellschaft.
Daran kann sich doch nichts ändern. Das muß man einmal festhalten.
Sie haben erst in den 80er Jahren diese Linie verlassen, dafür mag es viele vernünftige Gründe geben
- warten Sie doch erst einmal ab - die von Zeit zu Zeit gewechselt haben mögen. Aber sicherlich ist für diese Kehre der SPD auch die Ideologie der 60er und 70er Jahre verantwortlich, die den Unterschied von ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaft beseitigen wollte und die die Familie als tragende Säule unserer Gesellschaft einfach abschaffen wollte.
Die Ehe wurde in diesen Kreisen als patriarchalische Vorherrschaft des Mannes, dem sich die Frau zu unterwerfen hat, diffamiert. Statt dessen haben diese Ideologen damals und heute das Leben in Kommunen und in alternativen Lebensgruppen propagiert. Heute redet niemand mehr davon, daß diese Experimente mit furchtbaren und unzähligen Lebenskatastrophen bezahlt werden mußten.
Herr Kollege Geis, die Kollegin von Renesse würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege Geis, betrachten Sie es als eine Verbesserung des Bildes der Ehe in der Öffentlichkeit, wenn die Vergewaltigung einer Partnerin in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als solche benannt und bestraft wird, hingegen bei der Vergewaltigung der Ehefrau das nicht geschieht? Ist das eine Verbesserung des Bildes der Ehe in der Öffentlichkeit?
Frau von Renesse, erstens stimme ich mit Ihnen vollkommen darin überein, daß wir diesen Unterschied, wie er im Strafgesetzbuch verankert ist, einmal Körperverletzungs-
und Nötigungsdelikt und zum anderen Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung in §§ 170ff, beseitigen müssen.
Ich wiederhole: Ihre Frage übersieht natürlich - ich wiederhole das, auch wenn es Ihnen nicht paßt -, daß heute schon die Vergewaltigung in der Ehe bestraft werden kann und auch bestraft worden ist, Es ist völlig falsch, das Gegenteil anzunehmen.
Norbert Geis
Sie waren es doch selber im Jahre 1973 bei der vierten Strafrechtsreform, die es gerade aus diesem Grund und aus praktischen Überlegungen
abgelehnt haben, einen eigenen Straftatbestand zu normieren.
Bei dieser Debatte kommt auch die Frage auf, wo bleibt der Ruf „helfen statt strafen". Wäre nicht eigentlich die eheliche Lebensgemeinschaft, gerade weil sie eine so enge und intime Beziehung darstellt, in diesem Sinne des Rufens - wir haben ihn nie erhoben - etwas, was man mit „helfen statt strafen" versehen sollte.
Herr Kollege Geis, die Kollegin Wolf würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Könnten Sie mir etwas genauer darlegen, was Sie mit „helfen statt strafen" meinen? Meinen Sie, die Strafe soll ausgesetzt und dem Täter geholfen werden?
Ich meine folgendes: Ich wollte darauf hinweisen, daß ich nichts dagegen habe, wenn diejenigen, die - wie Sie immer so lauthals sagen - vor der Keule des Strafrechts warnen - das ist ein Ausdruck, der hier ja oft genug gebraucht wird -, plötzlich meinen, hier müßten Sie die große Keule des Strafrechts herausholen. Ich möchte aber auf diesen Widerspruch hinweisen dürfen. Er ist ganz offensichtlich da.
Wo bleiben denn eigentlich diejenigen, die beim Schutz des ungeborenen Kindes vehement vor dem Einsatz des Strafrechtes warnen?
- Ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt. Aber Sie bringen mich nicht davon ab, darauf hinzuweisen. Das ist nämlich der wunde Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Da verweigern Sie den strafrechtlichen Schutz. Hier wollen Sie ihn. Ich stimme ja mit Ihnen überein, aber ich meine das eine und das andere, und ich halte dies für konsequenter als das, was Sie propagieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies erweist sich auch noch auf einer anderen Ebene. Geht es nämlich um das Lebensrecht des Kindes - das hat Herr Eylmann Ihnen genau vor acht Tagen vorgehalten -, dann wollen Sie es bei der Nötigung belassen; wenn es um den Schutz der Schwangeren vor dem Einfluß des Partners, der Verwandten und des Umfeldes geht, da wollen Sie es bei der Nötigung belassen.
- Herr Fischer, daß Ihnen dieses Problem Schwierigkeiten bereitet, das weiß ich. Bei der Schau, die Sie hier immer abziehen, weiß ich nicht, ob das viel mit der Würde dieses Hauses zu tun hat. Aber das Wort „Würde" ist für Sie wahrscheinlich ein Fremdwort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie es mich - das mag Ihnen allerdings nicht passen - ruhig ausführen: In dem angesprochenen Fall wollen Sie es bei der Nötigung belassen, obwohl das Verfassungsgericht etwas ganz anderes fordert. Das wissen Sie. Bei unserem heutigen Thema meinen Sie, die Nötigung sei nicht angezeigt. Ich bin zwar auch Ihrer Meinung, aber ich bitte Sie: Bleiben Sie konsequent. Machen Sie das dann auch in dem anderen Fall. - Darum bitte ich Sie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit kein Zweifel besteht, wiederhole ich noch einmal, daß es im Gesetz keinen Unterschied mehr zwischen der Gewalt in der Ehe und außerhalb der Ehe geben darf.
Dies soll aus folgendem Grund so sein: Wir registrieren mit großer Besorgnis, wie die Gewalt in unserer Gesellschaft auf breiter Front ansteigt.
Wir lesen und hören täglich von der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen, von der Gewalt gegen Schwache, insbesondere gegen Ausländer, gegen ältere Menschen, die sich nicht wehren können, und gegen Kinder. Wir wissen, daß die Gewalt natürlich auch nicht vor dem intimsten Bereich zweier Menschen, der Ehe, haltgemacht hat. Davon legen die Frauenhäuser leider ein allzu starkes Zeugnis ab.
Deshalb sind wir der Auffassung, daß die Vergewaltigung in der Ehe genauso unter Strafe und in genau denselben Zusammenhang zu stellen ist wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe, auch wenn wir wissen, daß ein solcher Tatbestand im Einzelfall nur schwer nachweisbar sein wird. Aber wir meinen, es ist ein richtiges Signal und damit der richtige Schritt in die Richtung, daß wir uns insgesamt gegen den Anstieg der Gewalt auf breiter Front wehren müssen.
Wie wir das im einzelnen ausgestalten, das mögen wir von den Beratungen mit den Experten abhängig machen. Es mag sein, daß da ein Unterschied zwischen Ihnen und uns insoweit besteht, als wir sagen: Widerspruchsregelung. Wir sprechen nicht von einer
Norbert Geis
Antragsregelung. Ich gebe auch zu, Frau Simm, daß dies ein Systembruch ist. Es ist jedoch nach meiner Auffassung - ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen - kein Bruch unserer Rechtsordnung. Unsere Rechtsordnung sieht nämlich in Art. 6 des Grundgesetzes vor, daß der Staat die Ehe zu schützen hat.
Wenn sich die Frau, die vergewaltigt worden ist, mit ihrem Mann aussöhnt und zu dem Ergebnis kommt, sie könne die Ehe retten, und deshalb versucht, dem Verfahren zu widersprechen, es also nicht in das Ermessen des Gerichtes stellt, dann kommt der Staat seiner Verpflichtung aus Art. 6 des Grundgesetzes nach, wenn er in diesem Fall sagt: Das Verfahren ist einzustellen. - Ich weiß, daß dies ein Systembruch ist, aber ich bin sicher, es ist kein Bruch unserer Rechtsordnung.
Deshalb meinen wir, daß die Verfahrensherrschaft bei der Frau verbleiben muß. Ich wiederhole noch einmal: Unsere endgültige Entscheidung werden wir von der Anhörung der Experten abhängig machen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Herrn Professor Dr. Jürgen Meyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Geis hat das geltende Recht zu verteidigen versucht und um Verständnis dafür geworben mit der Bemerkung, daß Vergewaltigung nicht nur vor der Ehe, sondern auch nach der Eheschließung, wenn auch nach anderen Normen, strafbar sei. Dazu stelle ich fest:
Erstens. Sie haben überhaupt keinen Anhaltspunkt und erst recht kein Argument dafür geliefert, daß das Delikt, wenn es nach der Eheschließung begangen wird, drastisch nach unten gestuft und lediglich zu einem Vergehen gemacht wird. Die englischen Richter, die in den vergangenen Jahrhunderten auf die Vertragstheorie hingewiesen und gesagt haben, nun ginge es um Vertragserfüllung, haben wenigstens noch den Versuch gemacht, ein Argument zu finden. Das hat sich als vorgestrig erwiesen. Das sollte man heute auch klar feststellen.
Zweitens. Wenn Sie sagen, es komme nicht darauf an, nach welchen Normen bestraft werde, dann müßten Sie konsequent sein und sagen, eigentlich könnte man das gesamte Strafgesetzbuch durch folgenden Paragraphen ersetzen: „Wer sich nicht anständig verhält, wird bestraft."
Daß dieses u. a. dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot widerspricht, dürfte zwischen uns nicht streitig sein.
Drittens. Herr Kollege Geis, Sie haben sich sehr kritisch zu Kommunen und alternativen Lebensformen geäußert. Ich bleibe einmal in der Logik Ihrer
Äußerungen und stelle fest: Frauen, die in den von Ihnen als so kritisch angesehenen Lebensformen leben, werden durch den Strafgesetzgeber viel besser geschützt als Ehefrauen. Das kann man doch im Ernst nicht verteidigen.
Schließlich, Herr Kollege Geis, bitte ich Sie herzlich, sich einfach einmal mit der Entwicklung in den Rechtskreisen der Welt vertraut zu machen. Überall wird die Frage der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zunehmend geradezu als Testfrage für den Entwicklungsstand der Rechtskultur angesehen. Diese Entwicklung gibt es im nordischen und im angloamerikanischen, ja sogar im islamischen Rechtskreis. Ich bitte Sie herzlich, dieses zu berücksichtigen. Wir befinden uns nicht auf einer Insel, sondern mitten in der Rechtskultur dieser Welt, und dem sollten wir Rechnung tragen.
Zur Replik hat der Kollege Geis das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Professor Meyer, Sie wissen doch ganz genau - Sie kennen die gerichtliche Praxis so gut wie ich -, daß die Vergewaltigung in der Ehe in gleichgelagerten Fällen vom Strafmaß her in der Praxis, d. h. im Gerichtssaal, unter dem Strich genauso behandelt worden ist wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe. Deshalb ist es nicht richtig, wenn wir uns hier gegenseitig solche Vorwürfe machen. Ich stimme mit Ihnen darin überein - das war auch Inhalt meiner Rede -, daß die Unterscheidung, die es bislang im Strafgesetzbuch in der Form gibt, daß das eine bei der Nötigung und das andere bei den §§ 170ff., nämlich der Strafbarkeit von Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, angesiedelt ist, beseitigt werden muß, und zwar deshalb, weil sonst ein falsches Signal gegeben wird, und nicht etwa deshalb, weil die Ehefrauen bislang nicht ausreichend geschützt worden wären. Insofern erübrigt sich auch Ihr Vorwurf hinsichtlich der Kommunen und der nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.
Es ist auch nicht so, wie Sie behaupten, daß der übrige Rechtskreis der Welt anderer Meinung wäre als wir. Auf die nordischen Länder und auch die sozialistischen Länder trifft das zu. Daher kommt die Entwicklung.
- Sie sollten es selber nachlesen. Dann werden Sie feststellen, daß es so ist.
Norbert Geis
Ich gebe Ihnen aber recht, daß sich inzwischen insgesamt die Meinung durchsetzt, daß man hier nicht einen Unterschied aufbauen sollte, den es in der Sache eigentlich nicht geben sollte. Da stimme ich mit Ihnen voll und ganz überein.
Herr Kollege Heinz Lanfermann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es auch in einer schwierigen rechtspolitischen Debatte durchaus hilfreich ist, wenn Weltbilder ausgetauscht werden. Dadurch kommt man sich im Ergebnis vielleicht doch wieder etwas näher.
Zunächst einmal möchte ich daran erinnern, daß unser damaliger Justizminister Engelhard bereits in der 11. Legislaturperiode einen Vorschlag zur Reform des Sexualstrafrechts vorgelegt hat. Es wird den geschätzten ehemaligen Kollegen besonders freuen, daß der Durchbruch zu Beginn der 13. Legislaturperiode endlich geschafft zu sein scheint. Ich sehe es genauso optimistisch wie meine Vorredner, daß wir hier bald zu einer vernünftigen und vor allem auch einvernehmlichen Regelung kommen.
Bei allem Verständnis für manches Geplänkel, für manches Hin und Her: Es ist nicht so entscheidend, ob sich der einzelne früher oder später zu einer Meinung durchringt. Bei diesem Punkt ist es vielmehr besonders wichtig, daß man später mit einer breiten Mehrheit einen Konsens findet, um über dieses schwierige Problem nicht in einer Kampfabstimmung mit knapper Mehrheit entscheiden zu müssen.
Tatsächlich ist - das ist dargestellt worden - die jetzige Gesetzeslage unbefriedigend. Die Bestrafung, die jetzt schon mit den Tatbeständen „Nötigung" und „Körperverletzung" möglich ist, privilegiert natürlich trotzdem den Ehemann als Täter. Der Schutz wird zudem nicht allein durch die Höhe der Strafe, über die vorhin etwas gestritten worden ist, gewährleistet, sondern auch durch das Rechtsbewußtsein, das der Gesetzgeber beeinflussen und verändern kann, indem er dieselbe Strafnorm für Taten außerhalb und innerhalb der Ehe vorsieht. Gerade in den Fällen, wo die Ehe eigentlich schon zerstört ist, sich die Partner auseinandergelebt haben und getrennt wohnen, ist es überhaupt nicht mehr einsehbar, warum, wenn es unter dem formalen Dach der noch bestehenden Ehe zu einer Vergewaltigung kommt, dies anders behandelt werden soll.
Richtig ist aber auch, meine Damen und Herren, daß dieser Bereich bei der Strafrechtsreform im Jahre 1973 ausgeklammert worden ist. Die praktischen Erwägungen waren, daß das Strafrecht grundsätzlich kein Mittel zur Lösung zwischenmenschlicher Probleme ist, daß es dafür zumindest wenig geeignet ist.
Diese Grundsätze haben sich ebensowenig geändert wie das Problem, daß jeder staatliche Eingriff in die Ehe immer Gefahr läuft, nicht gerade hilfreich zu sein, sondern auch Möglichkeiten zu verbauen.
Aber - das ist natürlich entscheidend - der Gesetzgeber darf nicht den Anschein erwecken, daß die Rechtsordnung sexuelle Gewalt in der Ehe billigt. Hier den generalpräventiven Charakter des Strafrechts zu stärken und der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zum Durchbruch zu verhelfen ist der F.D.P. seit Jahren ein Anliegen. Deswegen begrüße ich es für die F.D.P.-Fraktion ausdrücklich, daß wir alle nun im Grundsatz eine Strafrechtsänderung für notwendig halten.
Meine Damen und Herren, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist unteilbar. Es gilt für Frauen wie für Männer, verheiratet oder nicht verheiratet. Es wird also durch die Eheschließung weder beseitigt noch eingeschränkt. Die Politik muß aber zur Kenntnis nehmen, daß neben Ehe und Familie traditioneller Prägung auch viele nichteheliche Lebensgemeinschaften entstanden sind, so daß sich hier auch auf Grund der veränderten gesellschaftlichen Realität eine unterschiedliche Behandlung verbietet.
Bei der Neuregelung wird es insbesondere auf folgende Punkte ankommen.
Die neue Strafvorschrift muß Frauen wie Männer als mögliche Opfer umfassen sowie gleichzeitig einerseits den Besonderheiten der ehelichen Lebensgemeinschaft Rechnung tragen, ohne andererseits die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu diskriminieren. Dazu gibt es einige Vorschläge, die bereits angesprochen worden sind. Es gibt hierzu eine schwierige rechtspolitische Debatte. Ich warne ein wenig davor, denjenigen, die die eine oder andere Lösung präferieren, die eher an ein Antrags- oder Widerspruchsrecht denken oder eine Versöhnungsklausel im Auge haben, eine bestimmte Haltung in der Sachfrage an sich zu unterstellen, was die Strafbarkeit angeht.
Hier geht es um eine schwierige rechtspolitische Debatte, die wir im Rechtsausschuß führen werden. Da gibt es keine Geplänkel mit irgendwelchen Entwürfen. Auch der Arbeitskreis der F.D.P. hat sich keineswegs intensiv oder schon abschließend in dieser Legislaturperiode mit diesen speziellen Fragen beschäftigt. Lassen Sie uns das in Ruhe ausdiskutieren. So richtig es einerseits ist, das Opfer in den Mittelpunkt zu stellen, so schwierig kann es werden, ihm das Verfahren an die Hand zu gehen.
Die Ausübung des Drucks kann in bestimmten Fällen nicht nur von dem Täter, sie kann indirekt auch einmal von dem Opfer ausgehen.
Heinz Lanfermann
Wenn der Gesetzgeber eine Strafvorschrift erläßt, muß er auch an die Fälle denken, in denen eventuell ein Mißbrauch der Strafvorschrift möglich wäre, und versuchen, ein Verfahren zu finden, bei dem dies nach Möglichkeit ausgeschlossen wird. Dieser Frage müssen wir uns ebenso ernsthaft stellen.
Die Versöhnungsklausel hat zwar einen guten Sinn - das kann doch gar nicht bestritten werden -, wir sollten aber einmal die Richter fragen, wie sie damit umgehen würden, wer das in der Hand haben,, sollte und was sie eigentlich prüfen würden, wenn sie auf Grund einer solchen Klausel die Strafe mildern oder sogar davon absehen. Hier gibt es eine Fülle von Problemen, meine Damen und Herren, die wirklich gründlich beraten werden müssen, ohne daß dies etwas mit der Grundeinstellung zu tun hat.
Ich darf noch kurz hinzufügen: Auch die Unterscheidung zwischen sexueller Nötigung und Vergewaltigung, wie im Bundesratsentwurf noch vorgesehen, scheint mir in der Tat überholt zu sein. Ich halte sehr viel von dem Vorschlag, hier einen einheitlichen Tatbestand zu schaffen.
Meine Damen und Herren, haben Sie doch ein bißchen mehr Vertrauen in die Richter. So wie an anderer Stelle immer wieder betont wird, daß man auch die weibliche Sprachform benutzen soll: Auch in diesen Fällen werden Richterinnen entscheiden. Also bitte kein grundsätzliches Mißtrauen zwischen den Geschlechtern, wenn es darum geht, ob Richter vielleicht eine größere Bandbreite zur Verfügung haben sollen, wenn es darum geht, solche Taten abzuurteilen.
Wenn man hingeht und sagt: Wir wollen über den Beischlaf hinaus auch die anderen Formen des Eindringens in den Körper gegen den Willen des Opfers mit einbeziehen, dann ist das zunächst einmal von der Systematik her ein Argument dafür, eine Strafnorm zu schaffen, die vom unteren bis zum oberen Rand des Strafmaßes dem Gericht viele Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Es ist immer der Einzelfall, der am Ende bestimmt, wie hoch die Strafe ist. Es geht dabei nicht nur, wie hier fälschlich gesagt worden ist, Frau Schewe-Gerigk, um das Vorleben der Frau, sondern um alle Tatumstände. Das Gericht hat alle Umstände zu berücksichtigen.
Es ist auch lobenswert, daß jetzt das Ausnutzen einer hilflosen Lage als weiteres Tatbestandsmerkmal hinzukommt. Natürlich kann der Täter nicht privilegiert werden, der ausgerechnet eine solche Situation nutzt, die es ihm einfacher macht. Deswegen ist sein Verhalten nicht minder strafwürdig.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir uns einig werden können. Ich denke, es wird sehr konstruktive, vernünftige Beratungen im Rechtsausschuß geben. Ich freue mich, daß wir hier auf einem guten Weg sind und bald zu Ende kommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen um die Bedeutung der Familie für den einzelnen und die Gesellschaft. Sie ist die beständigste Form des Zusammenlebens, und in ihr erfahren Menschen Orientierung und Geborgenheit. Sie lebt von einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern, zwischen Eltern und Kindern.
Gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis, gemeinsame Entscheidungen und solidarisches Handeln zeichnen eine echte Partnerschaft aus.
Frau Kollegin, fangen Sie doch erst mit den Zwischenrufen an, wenn etwas gesagt worden ist und nicht gleich bei ein paar einleitenden Sätzen.
Daß Frauen, Männer und Kinder dies in der Familie erfahren, ist entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft. Es gehört zur Lebenswirklichkeit, daß solch ein harmonisches Familienleben nicht immer gelingt. Es ist mit das Schlimmste, wenn Vertrauen mißbraucht und damit zerstört wird. Leider müssen wir beobachten, daß es auch in der Familie zu Streit und Auseinandersetzungen, zu Gewalt sowohl gegenüber den Kindern als auch zwischen den Eheleuten kommt. Wir wissen, daß dies zu schweren menschlichen Schicksalen führen kann. Wenn wir zulassen, daß Schutzbedürftige gerade in der Familie schutzlos sind, zerstören wir ein Stück weit die Familien. Zu lange war die Problematik Gewalt in der Familie tabuisiert. Es ist notwendig, daß wir darüber reden, daß wir Gewalt anprangern und ein Bewußtsein dafür schaffen, daß kein Familienmitglied Objekt eines anderen ist.
Ist man sich der Probleme bewußt, kann man auch Hilfen anbieten. Es hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von Maßnahmen gegeben, die den Kampf gegen die Gewalt in der Familie zum Ziel hatten. Mit den Kampagnen „Keine Gewalt gegen Kinder" und „Gewalt gegen Frauen" hat mein Ministerium versucht, auf Mißstände aufmerksam zu machen, auf Gefährdungen hinzuweisen und für die Problematik zu sensibilisieren.
Es existieren inzwischen 340 Frauenhäuser in unserem Land. Selbsthilfegruppen, Notrufdienste und Kontaktstellen leisten praktische Hilfe vor Ort. Daneben müssen wir aber auch immer prüfen, inwieweit unser Rechtssystem geeignet ist, . die bestehenden Mißstände zu bekämpfen. In der letzten Legislatur-
Bundesministerin Claudia Nolte
periode haben wir gemeinsam eine gesetzliche Verschärfung im Strafrecht bei sexueller Gewalt gegen Kinder vorgenommen. Es ist nicht hinzunehmen, daß das Verbrechen der Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand ist, obwohl gerade dieses auf Grund der Zerstörung und des Mißbrauchs einer engen Beziehung besonders schwerwiegend ist. Die irrige Meinung, bei einer Vergewaltigung in der Ehe hole sich der Mann nur, worauf er durch Eheschließung ein Recht habe, mag althergebrachten Vorstellungen sogenannter ehelicher Pflichten entsprochen haben, aber sie ist mit unserem Verständnis vom sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht vereinbar. Dieses gibt sie mit der Eheschließung nicht auf.
Die Notwendigkeit, der Frau in der Ehe denselben strafrechtlichen Schutz vor einer Vergewaltigung zu gewähren wie außerhalb der Ehe, ist in diesem Hause unbestritten. Das hat diese Debatte gezeigt. Bereits in der letzten Legislaturperiode haben die Bundestagsausschüsse für Familie und Senioren und für Frauen und Jugend festgestellt, daß das geltende Recht Ehefrauen benachteiligt, indem es ihnen eine Handhabung gegenüber sexuellen Übergriffen in der Ehe verweigert. Ich zitiere:
Es schadet der Institution Ehe nicht, wenn sexuelle Übergriffe als Vergehen und Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung verfolgt werden können. Vielmehr dient es dem Erhalt der Ehe, wenn das weitverbreitete Mißverständnis beseitigt wird, in der Ehe gebe es keine sexuelle Selbstbestimmung, und die gewaltsame Durchsetzung sexueller Beziehungen sei erlaubt.
Wir müssen jetzt im Interesse der Frauen handeln. Der Straftatbestand „Vergewaltigung in der Ehe" schafft Bewußtsein und schützt Frauen.
Wir sollten diese Reform auch dazu nutzen, andere Unzulänglichkeiten im Sexualstrafrecht zu beseitigen. Die enge Auslegung des Gewaltbegriffs bei Vergewaltigungen hat in der Rechtsprechung dazu geführt, daß Vergewaltigungen nicht als solche angesehen werden, wenn es an einer aktiven Gegenwehr der Frauen fehlte. Dies verkennt die reale Situation der Frauen, die vielleicht vor Angst gelähmt sind bzw. sich in einer Situation befinden, die Gegenwehr als aussichtslos erscheinen läßt. Ich denke weiterhin an eine Einbeziehung von Sexualpraktiken, die für die Opfer mindestens genauso entwürdigend sind wie ein erzwungener Beischlaf, z. B. erzwungener Oral- und Analverkehr. Ebenso muß eine Lösung gefunden werden, wie den Fällen begegnet werden kann, in denen es zu einer Versöhnung der Eheleute gekommen ist und die Ehefrau kein Interesse mehr daran hat, daß ihr Mann strafrechtlich verfolgt wird. Ich bin der Auffassung, daß der Mann nicht gegen den Willen der Ehefrau verurteilt werden darf. Dies erfordert der grundgesetzliche Schutz der Ehe, der sich allerdings nicht auf andere Lebensgemeinschaften erstreckt. Wie das im Detail am besten ausgestaltet werden kann, muß noch beraten werden.
Wir stehen nicht am Beginn der Diskussion, sondern bereits mitten im Beratungsprozeß; das zeigen auch die vorliegenden Gesetzentwürfe. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, eine befriedigende gesetzliche Regelung vorzunehmen. Ich werde mich als Frauenministerin entschieden dafür einsetzen.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Brandt-Elsweier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich an die letzte Debatte zum Thema der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe denke, dann kommen bei mir äußerst zwiespältige Erinnerungen auf. Es ist eine Mischung aus Hoffnung auf Einsicht, aus Unverständnis und Empörung, aber leider auch der schale Beigeschmack, den politisches Taktieren auf Kosten der Betroffenen immer hinterläßt.
Aber jetzt soll es endlich soweit sein. Das Koalitionslager hat sich geeinigt. Die bisher gezeigte Rücksichtnahme auf eine kleine Minderheit in der Koalition, die immer noch einem besitzergreifenden Ehebild anhängt, nach dem Frau und Kinder dem Ehemann gehören, wird es wohl nicht mehr geben. Ich halte es nicht für eine primitive Polemik, Herr Kollege Geis, wenn wir fordern, daß eine Vergewaltigung in der Ehe auch als eine Vergewaltigung und nicht nur als Nötigung bestraft wird.
Die neue Frauenministerin, so kann man lesen, hat sich mit der Justizministerin geeinigt, die Sache zügig vorantreiben zu wollen. Das haben wir hier auch deutlich gehört. Frau Ministerin Nolte, ich höre es wohl, und ich höre es gerne. Vielleicht gelingt es Ihnen ja tatsächlich, ein bißchen frischen Wind in Ihre Reihen zu bringen. Erforderlich wäre dies allemal.
Die SPD-Fraktion im Bundestag versucht nun schon seit 22 Jahren, die Unterscheidung des Strafrechts in außereheliche und eheliche Vergewaltigung aufzuheben, seit 1972 also, Frau Ministerin. Ich glaube, in jenem Jahr wurden Sie gerade eingeschult. Das soll aber bitte nicht als Kritik an Ihrer Jugend verstanden werden, sondern nur ein Hinweis auf den Zeitablauf sein und die Hoffnung auf Veränderung ausdrücken:
Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition neben der Erkenntnis über die Schwere des Vergehens jetzt auch endlich der Wille zum Handeln durchsetzt;
Anni Brandt-Elsweier
Hoffnung darauf, daß jetzt endlich nicht mehr eine Minderheit, vor allein wohl auch eine männliche Minderheit, das politische Handeln bestimmt; Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition jetzt niemand mehr hinter „eigentlich", „sicherlich" und „im Prinzip einig" versteckt und damit doch nur halbherziges Handeln kaschiert.
Allerdings gebe ich zu, daß ich gerade gestern wieder sehr hellhörig wurde, als mir die Pressemitteilung Nr. 11 des Frauenministeriums vorgelegt wurde. In der Erklärung beziehen Sie sich, Frau Ministerin, auf den Sonderbericht an die Vereinten Nationen zum Thema „Gewalt gegen Frauen", schildern die von der Bundesregierung bereits ergriffenen Maßnahmen und weisen auf die in der Bundesrepublik geführte Diskussion hin. Genau in dieser Erklärung kann man sie wieder erahnen, die Halbherzigkeit, die Unentschlossenheit.
Frau Ministerin, warum sprechen Sie dort wieder nur von einer „möglichen" Erweiterung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe? Warum fällt Ihnen hier eigentlich eine Formulierung so schwer, die die Notwendigkeit einer Änderung ganz deutlich macht? Und, Frau Ministerin, warum haben Sie nur „verhaltenen" Optimismus? Mir wäre ein deutlicher Optimismus sehr viel lieber.
Ich erinnere mich noch an die Rede von Frau Professor Männle im letzten Jahr und an das ungute Gefühl, das sie bei mir hinterlassen hat. Frau Männle hat darauf hingewiesen, daß im Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung die Eheschließung mit einem ständigen Verfügungsrecht des Mannes über die Frau gleichgesetzt und daß die Vergewaltigung vom ehelichen Täter daher häufig nicht als Unrecht empfunden würde. Sollte diese damalige Erklärung eigentlich dazu dienen, die angebliche Notwendigkeit einer Anhörung zu untermauern, obwohl es nach dem damaligen richtigen Hinweis des Kollegen van Essen überhaupt keinen Anhörungsbedarf mehr gab?
Damals haben fast alle Koalitionsredner einen ziemlichen Eiertanz aufgeführt. Da wimmelte es nur davon, daß ehelicher Mißbrauch ja „eigentlich" schwerer wiegen würde als außerehelicher, daß die daraus resultierenden Verletzungen ja „sicherlich" gravierend seien. Daß sexuelle Gewalt in der Ehe ein strafwürdiges Unrecht sei, darüber sei man sich ja „im Prinzip einig". Dennoch, das Aber war ganz deutlich zu hören: Aber wir ziehen nicht die Konsequenzen.
Damals haben Sie unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Nun liegt er Ihnen wieder vor. Zumindest scheinen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, heute nicht mehr das Stichwort „kriminologische Indikation" in die Diskussion zu werfen - eine Verknüpfung, die ich im übrigen nie nachvollziehen konnte. Und sollte sie wiederholt werden: Gerade gegen diese unsinnige Verknüpfung
hat ja unser damaliger Kollege Hans de With in der letzten Debatte ausführliche und scharfsinnige Argumente angeführt. Eine Wiederholung erübrigt sich daher.
Eine Streitfrage scheint mir jedoch noch immer die gleiche zu sein: Soll die vergewaltigte Ehefrau ein Strafverfahren aufhalten können, wenn sie denn die Ehe aufrechterhalten will? Wir meinen: nein, lassen aber dem Gericht die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von der Strafe abzusehen, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe oder der eheähnlichen Gemeinschaft geboten erscheint. Die Entscheidung des Gerichts würde sicher durch den Wunsch der Ehefrau, es noch einmal mit dem Partner versuchen zu wollen, und die Einwilligung des Täters in eine Partnerschaftstherapie beeinflußt. Ich habe das Vertrauen in die Gerichte, daß sie mit dieser Möglichkeit richtig umgehen.
Frau Ministerin Nolte, Sie haben die Frage nach dem Vetorecht der Ehefrau mit Ja beantwortet. Zwar sehen Sie die Gefahr, daß der Ehemann Druck auf seine Frau ausüben könnte. Dennoch sind Sie dagegen, daß der Mann auch gegen den Willen der Frau verurteilt wird. Ich meine, es kommt immer auf den Einzelfall an.
Daß auch Druck von anderer Seite kommen kann, haben Sie dabei nicht berücksichtigt. Druck auf die Frau wird auch durch die aktuelle Wohnungsnot ausgeübt, eine Wohnungsnot, die sich unter der Regierungskoalition dramatisch verschärft hat.
Wo soll die mißhandelte und vergewaltigte Frau denn hin, wenn der Mann die Wohnung nicht verläßt? Ist Ihnen bekannt, daß Alleinerziehende in der Regel das Dreifache der Miete als Nettoeinkommen nachweisen müssen, bevor sie einen Mietvertrag erhalten? Unterhaltsansprüche werden hier übrigens nicht angerechnet.
Anders als z. B. in Israel oder Argentinien muß der gewalttätige Ehemann die Wohnung eben nicht zwangsläufig räumen. Deshalb setze ich große Hoffnungen in den Entwurf des Bundesrates - er liegt vor -, der die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung anstrebt. Nach diesem Entwurf soll der Begriff der schweren Härte durch ein Benennen der schutzwürdigen Interessen der Frau und der Kinder ersetzt werden. Bei vorausgegangenen Mißhandlungen soll kraft Gesetzes vermutet werden, daß solche auch weiterhin zu befürchten sind, eine Annahme, die nach Aussage Sachkundiger leider der Realität entspricht.
Äußerer Zwang wird aber auch durch rasche Verschlechterung der finanziellen Lage der Familien auf die Frau ausgeübt, eine finanzielle Misere übrigens, die von der Regierungskoalition ganz offensichtlich billigend in Kauf genommen wird.
Anni Brandt-Elsweier
Denn oft reicht das Familieneinkommen für ein Getrenntleben nicht aus. Unter diesem Druck entscheidet sich die Frau nicht selten für ein Verbleiben in einer Ehe, in der sie sexuelle Gewalt zu erdulden hat. Sie hat Schlichtweg Existenzängste, hat Angst davor, mit ihren Kindern von der Sozialhilfe abhängig zu werden, die ja bekanntermaßen von der Bundesregierung ebenfalls immer weiter gekürzt wird.
In der Debatte des letzten Jahres wurde von den Rednern der Regierungskoalition immer wieder darauf hingewiesen, daß die Frau gerade auch in der Ehe einen besonderen Schutz genieße, daß der eheliche Mißbrauch eben auch deshalb besonders schwer wiege, weil er das Vertrauen der Frau gröblich mißachte. Wenn Sie aber mit mir einig sind, daß die Frau mit dem Ja auf dem Standesamt nicht ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verliert, wenn Sie mit mir einig sind, daß die Ehegemeinschaft vom Grundsatz her auf gleichberechtigte Partnerschaft, auf gegenseitige Liebe und Achtung angelegt ist, dann, meine Damen und Herren, sollte es unter uns eigentlich nicht strittig sein, daß der Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, einen Strafanspruch geltend zu machen, wenn dieser Grundsatz gewaltsam außer Kraft gesetzt wird.
Dieser Verpflichtung darf sich der Staat nicht dadurch entziehen, daß er erst einmal den Strafantrag des Opfers abwartet. Hier muß der Staat von sich aus tätig werden.
Eines lassen Sie mich noch anmerken: Jeder, dem hier für den erzwungenen ehelichen Beischlaf ein niedrigeres Strafmaß vorschwebt als für die außereheliche Vergewaltigung, der entlarvt damit seinen Wunsch, im Grunde alles beim alten belassen zu wollen.
Damit zeigt er auch, daß er traurigerweise nichts begriffen hat.
Vergessen Sie nicht die tragischen Fälle - sie wurden hier schon erwähnt -, in denen der getrennt lebende Ehemann sein angebliches Recht auf Beischlaf, oft einhergehend mit Hausfriedensbruch, gewaltsam und brutal einfordert. Er genießt ebenfalls den Schutz des Strafrechts, d. h. er kann nur wegen Nötigung oder Körperverletzung belangt werden, weil er ja noch verheiratet ist.
Zum Schluß nur noch eine kurze Frage an Sie, Frau Ministerin Nolte: Bedauern Sie es nicht, daß diese Strafrechtsänderung nur deshalb nicht schon unter „bereits erledigt" in dem genannten Bericht an die Vereinten Nationen erscheint, weil ebendiese Änderung von Ihrer Koalition ganz bewußt verzögert wurde?
Ich denke, diese Bundesrepublik hätte es verdient, auf der Seite der Nationen zu stehen, die allen Opfern gleiches Recht sprechen, gleich, ob ihnen außerhalb oder innerhalb der Ehe Gewalt angetan wurde.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Kollegin Bärbel Sothmann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frau sei dem Manne untertan. So steht es in der Bibel geschrieben, und jahrtausendelang haben die unterschiedlichsten Gesellschaften dieses Gebot auch anerkannt. Auch heute noch, auch in Deutschland, gilt für viele Männer und auch für den Gesetzgeber der Grundsatz: Die Frau ist Eigentum des Mannes. Der Beischlaf gilt bei ihnen nach wie vor als eheliche Pflicht der Frau. Denn wie anders ist es zu erklären, daß Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in unserem Land nach geltendem Recht nur dann bestraft werden, wenn sie außerehelich erfolgen?
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe finden im rechtsfreien Raum statt und können bisher nur als Nötigung und/oder Körperverletzung - wir haben das alles bereits gehört - strafrechtlich geahndet werden. Das ist nicht akzeptabel. Diese Praxis entspricht nicht mehr dem heutigen partnerschaftlichen Verständnis von Ehe und Familie.
Die Frau ist nicht das Eigentum des Ehemannes. Es darf nicht sein, daß eine verheiratete Frau schlechter vor den sexuellen Übergriffen eines Mannes geschützt wird als eine geschiedene oder ledige Frau.
Genaue Zahlen gibt es zwar nicht; aber man schätzt, daß in jeder fünften Ehe schon mindestens einmal eine Vergewaltigung vorgekommen ist. Die Dunkelziffer liegt natürlich sehr hoch. Es besteht also Handlungsbedarf. Ich bin deshalb sehr froh, daß das Thema heute wieder auf der Tagesordnung steht. Vergewaltigung in der Ehe darf nicht länger ein gesellschaftliches Tabuthema bleiben.
Ich finde es deshalb außerordentlich positiv, daß nach jahrelanger Diskussion endlich eine Lösung in Sicht ist. Alle Seiten signalisieren Kompromißbereitschaft. Über die Parteigrenzen hinweg ist man sich einig, daß die Vergewaltigung in der Ehe ein ebenso strafwürdiges Unrecht ist wie die außereheliche Vergewaltigung. Hier wie dort wird das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau verletzt.
Bärbel Sothmann
Als Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion begrüße ich den Referentenentwurf der Bundesjustizministerin,
der für uns eine sehr gute Diskussionsgrundlage ist. Es ist ein wichtiges Anliegen von uns, daß bei der Änderung des Sexualstrafrechts dem besonderen Charakter der Ehe Rechnung getragen wird. Zu prüfen ist deshalb auch, ob nicht ein eigenständiger Verbrechenstatbestand „Vergewaltigung in der Ehe" geschaffen werden sollte.
Meine Damen und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Vergewaltigung in der Ehe ist ebenso verwerflich wie eine außereheliche Vergewaltigung. Hinzu kommt, daß der Täter in der Ehe ein besonderes Vertrauensverhältnis mißbraucht. Trotzdem kann es auch im Interesse des betroffenen Paares bzw. der Familie liegen, die Ehe nach einer Vergewaltigung fortzusetzen und die Familie zu erhalten. Der Staat darf sich einem solchen Wunsch nicht widersetzen, zumal Art. 6 unseres Grundgesetzes Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt.
Wir Frauen von der CDU/CSU fordern daher, daß der staatliche Strafanspruch bei einer Vergewaltigung hinter dem Willen der Ehepartner, sich zu versöhnen, zurücktreten muß. Deshalb befürworten wir eine Regelung, die es der Staatsanwaltschaft ermöglicht, auf eine Strafverfolgung zu verzichten, wenn eine Versöhnung zwischen den Eheleuten stattgefunden hat und der vergewaltigte Ehepartner eine Einstellung des Verfahrens beantragt. Dieses Recht darf dem Opfer nicht genommen werden. Wie eine solche Regelung genau aussehen soll, muß jedoch noch intensiv diskutiert werden.
Die Gesetzentwürfe von SPD und Bundesrat - vom Bundesrat ist übrigens keiner hier - und der Referentenentwurf der Bundesjustizministerin enthalten eine Versöhnungsklausel, d. h., sie schlagen vor, daß die Gerichte die Strafe mildern oder von Strafe absehen können, wenn eine Versöhnung stattgefunden hat und dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe sinnvoll erscheint.
Sie enthalten jedoch kein Widerspruchsrecht des Opfers gegen die Strafverfolgung des Vergewaltigers. Dies wirft Probleme auf. Denn an Hand welcher Kriterien und Maßstäbe soll das Gericht beurteilen und entscheiden, ob eine Versöhnung stattgefunden hat bzw. zweckmäßig ist? Wenn die Frau ihre Anzeige zurückzieht, sollte das Gericht dann tatsächlich das Recht haben, das Verfahren fortzusetzen und das Intimleben des Paares weiter zu durchforsten?
Aber auch ein Widerspruchsrecht des Opfers, wie es Rechtspolitiker der Union vorschlagen und dem auch ich zuneige, kann problematisch sein. Es besteht nämlich eine erhöhte Gefahr, daß die Frau von ihrem Mann oder dessen Familie erpreßt wird, ihre Anzeige zurückzuziehen.
Welche Lösung hier für die vergewaltigte Frau am besten ist - die Einführung eines Antrags- oder eines Offizialdelikts oder eines Offizialdelikts mit Widerspruchsrecht -, muß also noch geprüft werden. Im Moment tendiere ich jedoch dazu, zu sagen: Die Verfahrensherrschaft muß beim Opfer liegen.
Vor einer endgültigen Lösung müssen selbstverständlich auch noch andere Punkte geklärt werden. Dazu gehören z. B. die Frage nach der Höhe des Mindeststrafmaßes und die Frage, ob außer dem erzwungenen Beischlaf auch noch andere sexuelle Übergriffe in den Straftatbestand der Vergewaltigung aufgenommen werden sollen.
Die offenen Fragen können und müssen jetzt im Interesse aller Frauen schnell beantwortet werden. Ich erwarte, daß wir noch in diesem Jahr zu einer einvernehmlichen Regelung kommen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile nun das Wort unserer Präsidentin, der Abgeordneten Frau Professor Süssmuth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute einen Entwurf des Bundesrates, sind aber weit mehr an dem Referentenentwurf der Bundesregierung interessiert.
Es geht heute nicht um eine Frauenfrage, sondern um eine Menschenrechtsfrage. Sie betrifft Frauen und Männer, Mädchen und Jungen.
Ich stelle zu Beginn fest: Der heutige Tag zeigt, daß es lange dauert, Tabus aufzubrechen, Gewalt im intimsten Bereich beim Namen zu nennen, menschlich Abartiges nicht zu verschweigen und an der bestehenden Situation etwas ändern zu wollen. Dazu ist offenbar ein langer Atem notwendig.
Es lohnt sich, beharrlich an dem Ziel der Beseitigung eines Unrechts festzuhalten, auch wenn es lange dauert. Wenn ich mich an den ungeheuren Widerstand gegen den Referentenentwurf vor zehn Jahren und an die Anhörung von 1986 erinnere, in der bereits 23 Experten sehr klar sagten, daß der Tatbestand der Vergewaltigung außerhalb der Ehe und in der Ehe nicht unterschiedlich zu behandeln sei, so sehe ich heute, daß damals ganz andere Fragen im Vordergrund standen.
Es ging in der Tat zum einen um die kriminologische Indikation, die Befürchtung, daß eine Veränderung des Straftatbestandes zu einer Vielzahl von Anzeigen führen würde. Zum anderen ging es um die Ansicht, daß der Staatsanwalt in der Ehe nichts verloren habe und daß die Ehe ein Verhältnis besonderer Art sei, wo Tatbestände der Vergewaltigung anders zu bewerten seien.
Dr. Rita Süssmuth
Was ist mir daran wichtig? Wir dürfen heute nicht sagen, daß Vergewaltigung in der Ehe ein minder schwerer Fall sei. Für mich galt damals und gilt heute, daß die Vergewaltigung in der Ehe gerade ungleich schwerer wiegt als außerhalb der Ehe und von daher gar nicht als minder schwerer Fall angesehen werden kann.
Denn hier geht es um ein Verhältnis besonderer Nähe, des Vertrauens und der wechselseitigen Rücksichtnahme, wo es besonders ungewöhnlich und abartig ist, wenn es zur Vergewaltigung kommt.
Bei dem Thema Ehe und Gewalt oder Ehe und Vergewaltigung bekam man jahrelang zu hören: Frauenphantasien, Feministinnengeschrei, Ehezersetzerin, Männerfeinde; nein, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Heute sind die Töne jener, die all dies leugneten, leiser geworden. Kein menschlicher Bereich ist von brutalster körperlicher und seelischer Gewalt ausgenommen, schon gar nicht der sexuelle.
Das betrifft vor allem Frauen und Kinder. Ich bin heute davon überzeugt, daß das Ausmaß an sexuellem Mißbrauch von Kindern für pornographische Zwecke, für die Prostituierung von Kindern erheblich dazu beigetragen hat, uns das Ausmaß sexueller Gewalt an Kindern und Frauen vor Augen zu führen. Wir wissen aus jüngsten Untersuchungen, daß immer stärker auch Jungen davon betroffen sind. Also machen wir es nicht zu einer Frauenfrage, sondern zu einer Menschenfrage. Dann kommen wir endlich aus diesem verengten Blick heraus.
Wenn wir uns weiter vor Augen führen, was seit der Strafrechtsreform 1973 geschehen ist, hilft es nicht, uns heute bei der Frage auseinanderzudividieren, ob wir damals schon richtig gehandelt haben. Die Vergewaltigung in der Ehe galt damals als marginales Problem. Es ist erst viel später in das Bewußtsein aller gerückt, daß dies eben kein marginales Problem ist.
Es gab 1976 das erste Frauenhaus. Wenn ich an die Vielzahl der Untersuchungen gerade aus Ihrem Hause, Frau Ministerin, denke, muß ich feststellen, daß es einen Zeitraum von fast 20 Jahren gab, innerhalb dessen wir die Tatbestände aufgearbeitet haben. Ich finde es wichtig, daß wir uns heute nicht damit begnügen, dieses Problem sozialpädagogisch bearbeiten zu wollen; denn das allein reicht nicht aus.
Es hat auch keinen Sinn, dem Kollegen Geis eine unterschiedliche Behandlung vorzuwerfen. Es geht hier und bei der Abtreibung um unterschiedliche Tatbestände. Ich denke, hier ist der Unrechtsgedanke genauso klar herauszustellen wie in allen anderen Bereichen.
Man muß auch um die Reichweite und die Grenzen des Strafrechts wissen. Aber es kann nicht angehen, daß insbesondere die Männer immer noch von der Auffassung ausgehen, Frauen haben ihnen sexuell verfügbar zu sein, sie sind in der Beziehung Objekte und nicht Subjekte.
Deswegen ist hier ganz entscheidend, daß, wie schon gesagt, der generalpräventive Charakter deutlich wird, daß die Tatsache des Unrechts zum Ausdruck kommt. Von daher gesehen finde ich es weit wichtiger, uns nicht schon jetzt über die Frage zu streiten, wie wir in dem Fall verfahren, daß ein Ehepartner zurückwill vom Strafrecht.
Wir gehen offenbar gemeinsam davon aus: Vergewaltigung ist ein Offizialdelikt. Es geht bei den schwierigen Beweistatbeständen und dem Bestimmtheitscharakter, von dem bereits gesprochen wurde, darum, Sorge dafür zu tragen, daß einerseits ausgeschlossen wird, daß Frauen unter Druck gesetzt werden, nicht auszusagen und die Anzeige zurückzuziehen, daß ihnen andererseits nicht die Möglichkeit genommen wird, ein Verfahren auch einstellen lassen zu können.
Ich setze sehr darauf, daß wir in der Anhörung um manches klüger werden, nicht nur durch die Vertreter des Strafrechts, sondern auch seitens einer Vielzahl solcher Einrichtungen, die mit diesen Tatbeständen zu tun haben. Wir sollten uns im Augenblick für die bestmögliche Lösung offenhalten; eine hundertprozentige Lösung werden wir in diesem Bereich nicht finden. Das aber hat viele europäische und außereuropäische Länder nicht davon abgehalten, Regelungen im Strafrecht zu finden, verbunden mit anderen Maßnahmen.
Wir sollten uns auch nicht erneut um die Formen des Zusammenlebens streiten. Es geht darum, jeder Frau denselben Schutz vor Gewalt zu bieten, ganz gleich, welche Form des Zusammenlebens sie gewählt hat.
Ich füge hinzu: Opfer sind Frauen und Männer. Wir müssen sowohl Frauen als auch Männern den Schutz zukommen lassen.
Ich kann nur wiederholen, was Horst Eylmann gesagt hat: Wenn wir in unserer Gesellschaft das Gewaltphänomen nur noch unter der Fragestellung sehen, wie wir von der Betrachtung unter Kriminalitätsaspekten zur Betrachtung unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten kommen, reicht das nicht aus, weil wir dann immer nachsichtiger werden gerade gegenüber Straftatbeständen im sozialen Nahraum.
Es ist wichtig, ja ausschlaggebend, daß wir nach mehr als 20 Jahren - das ist dieHoffnung heute im Hause - zu einer möglichst einvernehmlichen Lösung kommen. Freuen wir uns doch darüber, daß hinzugelernt wird! Werfen wir es den Menschen nicht vor, daß sie gestern noch anders gedacht haben! Ich finde viel wichtiger, was an Veränderungen stattfindet, und freue mich darüber, daß wir heute so
Dr. Rita Süssmuth
weit gekommen sind. Ich hoffe, daß wir die nun anstehende Beratung der Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr abschließen und die einschlägigen Tatbestände zufriedenstellend regeln werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Alfred Hartenbach.
Herr Präsident, ich möchte nicht zu diesem Tagesordnungspunkt reden, sondern zum nächsten.
Entschuldigen Sie bitte, das war ein Redaktionsirrtum.
Es liegen zu diesem Tagesordnungspunkt keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Es ist Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/199, 13/323 und 13/536 an die Ausschüsse vereinbart, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das sehe ich nicht. Ich sehe auch sonst keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
- Drucksache 13/374 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Ausschuß für Verkehr
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Und nun hat das Wort der Abgeordnete Alfred Hartenbach.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß der vom Herrn Präsidenten initiierte Frühstart kein schlechtes Omen für meine erste Rede ist.
Wir begeben uns von dem Thema, das Frau Präsidentin Süssmuth soeben als ein Menschenthema bezeichnet hat, weg auf eine andere Ebene des Strafrechts, aber auf eine, wie ich denke, genauso entscheidende - und vielleicht auch zu entscheidende - Ebene, nämlich auf die der Bagatellstraftaten.
Bagatellstraftaten lähmen zunehmend die Arbeit der Justiz und der Strafverfolgungsorgane. Da, wo Polizei, Staatsanwalt und Gerichte Zeit und Kraft haben sollten, sich mit der wirklich gemeinschädlichen
Kriminalität zu befassen, müssen sie sich abmühen, den täglichen Kleinkram zu bewältigen - was ja auch etwas einfacher ist -, ohne wirkliche Erfolge dabei zu erzielen.
Schon lange haben Polizei und Justiz kapituliert: In den größeren Städten erscheinen die Ordnungshüter nur noch dann, wenn die Personalien zu ermitteln sind oder Täter gewaltbereit sind. Die Justiz versucht durch immer großzügigere Anwendung des Opportunitätsprinzips zunehmend, sich der Flut von Kleinstkriminalität und Bagatellstrafsachen zu erwehren. In fast allen Bundesländern gibt es Richtlinien und Erlasse, die der Staatsanwaltschaft Verfahrenseinstellungen in nie gekanntem Umfang anempfehlen. Diese durchaus legale, gewollte und bitter notwendige Praxis zeigt, daß es dem Staat bei einer Vielzahl von Bagatellstrafsachen nicht mehr um Strafe geht, sondern nur noch um eine möglichst schnelle, elegante Erledigung und Bereinigung von Statistiken.
Die Verkehrsunternehmen bringen erstmals ertappte Schwarzfahrer in aller Regel nicht zur Anzeige. In einigen Städten registrieren sie erst einmal drei Schwarzfahrten, ehe sie zur Anzeige schreiten. Das Strafrecht ist mithin als Mittel der Abschreckung ungeeignet. Die Handhabung in der Praxis läßt vielmehr erhebliche Zweifel aufkommen, ob die Strafdrohung als solche überhaupt noch ernst genommen wird oder ob sie nicht nur als Druckmittel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche dient.
Vor diesem Hintergrund muß der Gesetzgeber Antworten finden auf die Fragen: Wie können wir die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz von der Flut der Massendelikte entlasten? Was können wir tun, um die ohnehin fragwürdige und teilweise undifferenzierte Pönalisierung von Bagatelldelikten zurückzudrängen, ohne - das ist für uns Sozialdemokraten entscheidend - bei der Bevölkerung den Anschein zu erwecken, kleinkriminelles Handeln sei künftig erlaubt?
Die Antwort bietet der vorliegende Gesetzentwurf. Er entpönalisiert die Erst- und Einmaltäter und enthält gleichwohl geeignete Sanktionen für begangenes Unrecht. Er gibt den Geschädigten nach wie vor Rechtsgüterschutz. Wiederholungstaten und qualifizierte Handlungen bleiben strafbar. Er gibt der Polizei mehr Handlungsspielraum, und er entlastet die Justiz, ohne in anderen Bereichen zu wesentlichen neuen Belastungen zu führen.
Bei der großen Strafrechtsänderung 1973 hat man sehr viele Übertretungen in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten eingereiht; einige hat man jedoch zu Vergehen aufgestuft mit dem Hinweis, daß man diese Vergehenstatbestände beobachten müsse, um
Alfred Hartenbach
gegebenenfalls die Korrektur der Sanktionen herbeizuführen. Ich denke, es ist nun an der Zeit, einmal über eine solche Korrektur nachzudenken, nachdem mehr als 22 Jahre verstrichen sind.
Der Tatbestand der Beförderungserschleichung betrifft sehr häufig junge Menschen. Er betrifft aber undifferenziert alle, ob sie nun besondere Tricks anwenden oder lediglich die fehlende Kontrolle ausnutzen. In letzterem allein sehen wir kein strafwürdiges Unrecht und halten für diese Fälle eine Kriminalstrafe für unangemessen. Allerdings können wir uns auch nicht denen anschließen, die das Schwarzfahren gänzlich ohne Sanktionen billigen wollen. Wer einen anderen schädigt, muß mit Sanktionen rechnen.
Allerdings ist die angemessene Reaktion des Staates nicht das Strafrecht; die angemessene Reaktion ist in diesem Fall die Ahndung als Ordnungswidrigkeit für die, die keine sonderlich kriminelle Energie aufgewendet haben. Wir befreien mit dieser Maßnahme sehr viele, vor allem junge Menschen vom Makel der Vorbelastung.
Die Behandlung als Ordnungswidrigkeit ist aber auch geeignet, die bisherige Regelung vollständig zu ersetzen; denn sie trifft teilweise härter, als dies in der jetzigen Praxis der Fall ist. Während bisher in aller Regel in Fällen mit geringem Verschulden eine Einstellung weder finanzielle noch gesellschaftliche Reaktionen nach sich zieht, wird künftig bei einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit ein Bußgeld verhängt werden können.
Wir haben weiterhin die Möglichkeit - auch das sieht unser Gesetzentwurf vor -, daß der Mehrfachtäter, der Wiederholungstäter und der qualifizierte Täter bestraft werden. Wenn die Bundesregierung meint, es sei nicht feststellbar, ob jemand zu einer der drei Tätergruppen gehört, dann, denke ich, soll sie einmal nachfragen, wie denn die Verkehrsunternehmen die Wiederholungstäter feststellen und im dritten Fall zur Anzeige bringen.
Es wird auch keine Mehrbelastung auf die Strafverfolgungsorgane zukommen. Wir brauchen derzeit auch kein zusätzliches Register. Wir werden aber sicherlich eine ganz erhebliche Entlastung der Gerichte bekommen.
Mich hat die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf etwas enttäuscht. Noch 1993 sprachen Sie von der Notwendigkeit, zur schnelleren und effektiveren Bekämpfung der Massenkriminalität effektive Mittel zur Verfügung zu stellen. Heute, sehr geehrte Frau Justizministerin, stellen Sie wieder einen antiquierten Vermögensbegriff in den Mittelpunkt Ihrer Überlegungen und nehmen auch noch die angebliche Sozialschädlichkeit hinzu. Ich frage Sie ernsthaft: Wie können 5 DM sozialschädlich sein?
Sie sind der irrigen Ansicht, man könne mit dem bisherigen Instrumentarium auskommen. Von etwa 100 000 festgestellten und erfaßten Schwarzfahrern wurden jedoch ganze 15 000 verurteilt. Von diesen
15 000 wiederum erhielten nur 600 eine Freiheitsstrafe. Dies zeigt, daß 5 DM leider - so sage ich - ausreichend sein können, um eine Freiheitsstrafe zu verhängen.
Daher frage ich mich sehr ernsthaft, was die Aussage in der Stellungnahme der Bundesregierung soll, man könne mit der im Verbrechensbekämpfungsgesetz - der Begriff allein macht mich schaudern, wenn ich an 5-DM-Straftaten denke -
vorgesehenen Neuregelung des beschleunigten Verfahrens etwas erreichen.
Sie haben kürzlich den GRÜNEN eine Kleine Anfrage beantwortet. Da gäbe es bei den erweiterten Möglichkeiten genau sechs Fälle, auf die das zutreffen würde. Es ist also sicherlich nicht das geeignete Mittel.
Ich sehe, daß ich leider zum Schluß kommen muß, obwohl ich, sehr geehrte Frau Justizministerin, dazu noch einiges zu sagen hätte.
Die Umstufung der einfachen Schwarzfahrt zur Ordnungswidrigkeit führt dazu, daß wir insbesondere junge Menschen entkriminalisieren. Wir werden in einer Fülle von Erstfällen - ich meine, es werden etwa 50 000 im Jahr sein - die Staatsanwaltschaften von der Ermittlung entlasten. Da es sich bei dem Ordnungswidrigkeitenverfahren um ein entbürokratisiertes, schnelleres und effektiveres Verfahren handelt, wird es auch nicht zu wesentlich höheren Belastungen auf dem Verwaltungsweg führen.
Gestatten Sie mir nun, Herr Präsident, zum Schluß zu kommen und zusammenzufassen. Meine Uhr ist abgelaufen.
- Meine Uhr hier vorn, die andere noch nicht. Ich hoffe, noch ein paar Jahre hier zu sein. Ich bin bekannt dafür, manchmal solche Sätze zu sagen.
Ich fasse zusammen. Das Gesetz läßt eine deutlich geringere Zahl - das ist für uns sehr wichtig - von mit einem Strafmakel behafteten, vor allem jungen Menschen und einen gleichen, wenn nicht sogar verbesserten Rechtsgüterschutz für die Verkehrsunternehmen erwarten, weiterhin eine strafrechtliche Sanktion für qualifizierte Taten und Wiederholungstaten, schnelle und effizientere Verfahren und vor allen Dingen - damit wende ich mich an die vier Damen und Herren von der F.D.P. - weniger Staat. Allein diese Aussicht müßte Sie doch dazu bringen, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen.
- Des Bundesrates. Danke schön, Herr Geis, für den Hinweis. Man ist doch etwas aufgeregt, wenn man hier vorn steht.
Alfred Hartenbach
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Gemeinheit. Ich hoffe nicht, daß Herr Kanther unserer verehrten Justizministerin bei der Abfassung der Stellungnahme der Bundesregierung die Hand geführt hat.
Danke schön.
Herr Kollege, ob Ihnen eine Gemeinheit gestattet wird oder nicht, liegt bei mir. Aber es war Ihre erste Rede in diesem Haus, und ich möchte Ihnen, wie das üblich ist, im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Norbert Röttgen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf wirft die Frage auf, wie der Staat auf sogenannte Massenkriminalität - das sind in der Regel kleinere Delikte, die in großer Zahl begangen werden - reagieren soll. Beispiele solcher Kriminalität sind das Schwarzfahren - darum geht es in dem Gesetzentwurf des Bundesrates -, aber auch der Ladendiebstahl und andere Delikte.
Man mag sicher sagen, daß diese Delikte im Einzelfall Bagatelldelikte sind; dennoch sind wir der Auffassung, daß der Vorstoß des Bundesrates alles andere als eine rechtspolitische Bagatelle ist.
Der Vorschlag lautet nämlich: entkriminalisieren. Der Staat soll also von einem bestimmten sozial schädlichen Verhalten, wie etwa dem Schwarzfahren, in Zukunft einfach nicht mehr behaupten, es sei sozial schädliches, strafbares Unrecht. Sie merken schon, meine Damen und Herren, die Befürworter der Entkriminalisierung haben gewissermaßen statt der Straftat das Strafgesetzbuch als ihren eigentlichen Gegner ausfindig gemacht. Und das kann nicht richtig sein.
Entkriminalisieren heißt, nicht die Wirklichkeit, sondern nur das Reden über die Wirklichkeit, die Sprache zu verändern. In dieser Sprachverwirrung das Unrecht dadurch beseitigen zu wollen, daß wir es einfach nicht mehr Unrecht nennen, darin sehen wir die eigentliche Gefahr, die eigentliche gesellschaftliche Gefahr der sogenannten Entkriminalisierung.
Meine Damen und Herren, bei Schwarzfahren und Ladendiebstahl handelt es sich nicht nur um Vermögens- bzw. Eigentumsdelikte, die jährlich Schäden in Millionenhöhe verursachen. Diese Delikte stellen auch ein egoistisches, unsolidarisches Verhalten dar. Der Täter nimmt sich seinen Vorteil, und die Allgemeinheit, die Ehrlichen sollen bezahlen, und das insgesamt in Millionenhöhe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie weisen mit Recht darauf hin, daß natürlich bestimmte Fakten, Normverletzungen als kriminell dargestellt werden sollen. Ist es nicht so, Herr Kollege, daß das in einem Rechtsstaat durch ein Urteil geschieht? Findet eine Entkriminalisierung nicht de facto dadurch statt, daß im Bereich schwerer Straftaten, beispielsweise der Wirtschaftskriminalität, die Bagatellgrenze sehr hoch angesiedelt ist? Ist das de facto nicht ebenfalls eine Entkriminalisierung? Ist es dann nicht besser, wenn wir die Jugendlichen mit ihren kleinen Normverletzungen einmal außer acht lassen und lieber dafür sorgen, daß die Bagatellgrenze bei der Wirtschaftskriminalität stärker abgesenkt wird?
Ich halte das für im Ansatz verfehlt, weil Sie versuchen, die eine Form von Kriminalität gegen die andere auszuspielen.
Die eine Form von Kriminalität zu bekämpfen kann doch nicht heißen, die andere stehenzulassen und nicht mehr bekämpfen zu wollen.
Sehr geehrter Herr Schily, das Problem besteht doch gerade darin, daß die Gesellschaft auch im kleinen geprägt wird, daß sich die Verhaltensweisen in bezug auf soziales und unsoziales Verhalten auch im kleinen herausbilden. Ich habe eben darauf hingewiesen, daß dieses Verhalten egoistisches, unsolidarisches Verhalten auf Kosten der Allgemeinheit ist. Wenn sich der einzelne auf Kosten der Allgemeinheit seinen Vorteil verschafft, dieses Verhalten um sich greift und zu einem Massendelikt wird, dann müssen wir daraus den Schluß ziehen, daß wir offensichtlich auf dem Weg in eine Gesellschaft sind, in der es normal ist, daß sich der einzelne auf Kosten der Gesellschaft seinen Vorteil einfach verschafft. Diese Entwicklung, Herr Kollege Schily, müssen wir bekämpfen; wir können sie nicht gutheißen.
Norbert Röttgen
Indem Sie bereits bei der Norm beginnen wollen, indem Sie vom Strafrecht zum Ordnungswidrigkeitenrecht zurückstufen wollen,
setzen Sie doch das völlig falsche Signal.
Sie machen doch deutlich: Es ist nicht so schlimm. Diese egoistische Entwicklung in der Gesellschaft wird doch gerade dadurch gefördert, daß Sie sagen: Es ist nicht so schlimm. Sie beugen sich dieser Entwicklung ein Stück weit. Sie tolerieren sie ein Stück weit, indem Sie sagen: Diesem Verhalten nehmen wir den Makel der Sozialschädlichkeit. Das ist das Ergebnis. Im kleinen fängt es an, was sich dann im großen auswirkt. Darum ist Ihr Ansatz verfehlt.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Däubler-Gmelin?
Bitte sehr.
Herr Altmaier - -
Röttgen ist mein Name. Herr Altmaier ist ein geschätzter Kollege.
Entschuldigen Sie. Es ist völlig in Ordnung, daß Sie mich darauf aufmerksam machen. Ich werde Sie, wie ich hoffe, ja bald besser kennenlernen. Danach werde ich Sie nicht mehr verwechseln. Bitte entschuldigen Sie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es macht nichts.
Es geht mir in der Tat darum, daß man jetzt nicht wieder anfängt, mit Rechthaberei und Beckmesserei an diese Fragen heranzugehen. Deswegen habe ich an Sie die Frage, ob Sie bereit wären, einfach noch einmal zu überdenken, was der Kollege Hartenbach gesagt hat. Es geht uns in der Tat nicht um das falsche Signal. Es geht uns, genau wie Ihnen, darum, daß man Normverletzungen weiter verfolgt. Wir wollen - darum meine Bitte -, daß man diese Formen der Massenkleinkriminalität sehr viel bürokratieärmer sanktioniert. Es geht uns darum, daß wir jetzt nicht in der Öffentlichkeit Schaukämpfe veranstalten, sondern darum, daß wir uns gemeinsam um diese bürokratieärmeren Sanktionen bei Normverletzungen bemühen, damit wir - jetzt kommt das hinein, was der Kollege Schily gesagt hat -
in der Justiz die Ressourcen haben, um das zu tun, was die Justiz heute häufig nicht tut, nämlich Wirtschaftskriminalität zu verfolgen. Können wir dabei, Herr Kollege, mit Ihrer Unterstützung rechnen?
Sie können mit unserer Unterstützung in dieser Frage ganz sicher nicht rechnen, weil wir uns gegeneinander nicht ausspielen lassen. Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen: auf der einen Seite Justizentlastung zu betreiben - -
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, es ist in diesem Hause üblich, daß wir die Anwort stehend entgegennehmen.
Ich werde gleich gern auf den Bereich der Justizentlastung konkret eingehen. Ich will jetzt aber Ihre grundsätzliche Frage beantworten.
Wir machen es nicht mit, daß Sie unter dem Etikett, das Sie übrigens fälschlich in Anspruch nehmen, der Justizentlastung hier die Normen abbauen und sozialschädlichem Verhalten einen Damm im kleinen brechen.
Wir sind für Justizentlastung, aber wir sind auch dafür, daß das Rechtsbewußtsein nicht deformiert wird. Aber dies ist das Ergebnis Ihres Gesetzentwurfs.
Welche Funktion hat das Strafrecht in solch massenhaften Delikten? Die Funktion des Strafrechts kann doch nur darin bestehen, zu demonstrieren,
zu verdeutlichen, klarzumachen, wo das sozialschädliche Verhalten liegt. Das ist die Funktion des Strafrechts. Auf die setzen wir. Diese Funktion wollen Sie aber wegnehmen.
Darum: Entkriminalisierung im Bereich der Massen- und Bagatellkriminalität ist nach unserer festen Überzeugung ein Beitrag zu einer egoistischeren Gesellschaft, in der der Stärkere belohnt und der Ehrliche zum Dummen gemacht wird. Das wäre das Ergebnis Ihrer Rechtspolitik.
Da Sie an dieser Stelle den Gesetzentwurf offensichtlich nicht gut begründen, wird jetzt der Aspekt der Justizentlastung genannt. Ich möchte das sagen,
Norbert Röttgen
was auch der Vertreter des Bundeslandes Hamburg im Bundesrat dazu vorgetragen hat. Denn wenn dieser Gesetzentwurf eines nicht bringt, dann ist es Justizentlastung. Die bringt er ganz sicher nicht.
Insofern leidet er an einem Konstruktionsfehler. Denn wenn in einem bestimmten Zeitraum eine Wiederholungstat geschieht, dann soll sie strafbar sein. Das hat folgende Konsequenzen: Zum einen muß für die Ersttat ein Register geführt werden. Die Ersttat müßte erfaßt, bearbeitet, beurteilt und verwaltet werden. Das bedeutet Verwaltungsaufwand, weitere Komplizierung und Bürokratisierung und das Gegenteil von Entbürokratisierung.
Wir kämen zu einem Nebeneinander von Verfolgungsbehörden: der Verfolgungsbehörde, die für die Ordnungswidrigkeit zuständig ist, sowie der Staatsanwaltschaft, die die Straftat verfolgt. Dieser Vorschlag bringt im Grunde also mehr Komplizierung, weitere Bürokratie und keine Justizentlastung.
Sind Sie bereit, eine Frage des Kollegen Hartenbach zuzulassen?
Bitte.
Herr Kollege Hartenbach, bitte schön.
Ist Ihnen bekannt, daß wir in vielen Fällen des Verwaltungsrechts sowohl die Ordnungswidrigkeit als auch die Straftat haben? Auch hier gibt es zwei Verfolgungsbehörden. Ist Ihnen bekannt, daß wir im Straßenverkehrsrecht zwei Möglichkeiten haben, einmal die Ordnungswidrigkeit und zum anderen die Straftat? Das behandeln auch zwei unterschiedliche Verfolgungsbehörden.
Ist Ihnen bekannt, daß die Masse der Ersttaten von der Staatsanwaltschaft über die §§ 153 und 153 a StPO geregelt wird? Können Sie sich vorstellen, daß der Arbeitsaufwand eines Staatsanwalts bei der Behandlung dieser Fälle mit dem Arbeitsaufwand eines Staatsanwalts bei der Abfassung der Anklageschrift oder des Strafbefehls vergleichbar ist?
Es liegen die Erfahrungen des Nebeneinanders von Verwaltungsbehörde und Staatsanwaltschaft vor. Die Praktiker tragen vor, daß dieses Nebeneinander zusätzliche Kosten und Zeitaufwand verursacht. Sie sagen, die §§ 153 und 153a StPO regeln das. Das heißt doch, es gibt schon heute, im geltenden Strafverfahrensrecht, ein System abgestufter Verhaltensweisen, die vollkommen ausreichen und flexibel sind. Darum ist dieser Gesetzentwurf zumindest unnötig, denn die gesetzlichen Instrumente sind bereits heute vorhanden.
Ich mache jetzt eine grundsätzliche Bemerkung zum Thema „weniger Staat". Herr Kollege Hartenbach, Sie haben das angesprochen und gesagt, auch
die CDU müßte doch für weniger Staat sein. Die F.D.P. ist selbstverständlich auch dafür.
An dieser Stelle unterscheiden wir uns nicht.
Auch wir sind ganz sicher für weniger Staat, für Konzentration des Staates. Aber wir verstehen darunter etwas anderes.
Wir sind der Auffassung, daß wir den Staat von unnötigen Aufgaben befreien müssen, damit er sich seinen nötigen und dringenden Aufgaben besser widmen kann. Wenn es eine klassische, verbesserungswürdige Aufgabe des Staates gibt, dann ist es die, die innere Sicherheit der Bürger neben der äußeren Sicherheit zu gewährleisten.
Justizentlastung wollen wir nicht so praktizieren, daß der Staat von seiner Aufgabe befreit wird, die Kriminalität zu bekämpfen, sondern wir wollen bessere und beschleunigtere Verfahren. Das ist die Aufgabe des Staates. Es geht um den Bürokratieabbau im Bereich der Justiz. Es soll nicht zu weniger Strafrechtsschutz für die Bürger kommen, sondern es muß zu besseren Verfahren kommen. Das ist unser Ansatzpunkt in dieser Frage, meine Damen und Herren.
Hier ist auch schon einiges passiert. Zu einem Ausbau des beschleunigten Verfahrens in der Strafprozeßordnung im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes ist es gekommen. Hier ist ein wesentlicher Beitrag geleistet worden. Wir können uns vorstellen, daß es im Bereich der Rechtsmittel im Strafverfahren Reformmöglichkeiten und Beschleunigungsmöglichkeiten gibt. Dafür sind wir offen.
Ich möchte auf das Kienbaum-Gutachten verweisen, das das Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hat. Auch hier sind Potentiale im organisatorischen und technischen Bereich sichtbar geworden, die wir nutzen wollen. Auf diese Weise wollen wir Justizentlastung betreiben, und wir sind auf dem Wege, dies auch zu tun.
Meine Damen und Herren, wir werden diese Wege der Justizentlastung, der Beschleunigung und der Verbesserung von Verfahren weiter beschreiten. Wir werden aber einen Weg ganz sicher nicht beschreiten: den Weg der sogenannten Entkriminalisierung. Entkriminalisierung heißt nicht, Kriminalität zu bekämpfen, sondern Entkriminalisierung bedeutet im Grunde nur Resignation vor der Kriminalität. Da machen wir nicht mit.
Danke sehr.
Herr Kollege Röttgen, auch das war eine Premiere, und zwar eine
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
sehr lebhafte. Darum möchte ich auch Ihnen im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, begrüßen den Vorschlag des Bundesrates, endlich einmal eine, wenn auch nur geringfügige Entkriminalisierung vorzunehmen. Dies hebt sich wohltuend von der Neigung der Bundesregierung ab, immer neue Strafverschärfungen in die Debatte zu bringen. Seit Jahren versucht die Regierung, mit dem Drehen an der Strafrechtsschraube von gesellschaftlichen Mißständen abzulenken.
Da kann es nicht verwundern, daß die Justizministerin selbst einen derart abgespeckten Gesetzentwurf ablehnt, der endlich einmal die Rechtswirklichkeit berücksichtigen und die Justiz tatsächlich entlasten würde.
Wie lange wollen Sie denn noch kriminelle Karrieren fördern, indem Sie kleine Ladendiebe oder Schwarzfahrer ins Gefängnis stecken, wo diese dann mit den richtig „schweren Jungs" in Kontakt kommen? Ja, es gibt sie, die Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer. Immerhin 630 Menschen wurden beispielsweise im Jahr 1992 wegen Erschleichens von Leistungen - und das meint in der Regel Schwarzfahren - zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Meine Damen und Herren, über das Schwarzfahren wird nicht das erste Mal diskutiert. Die hessische Strafrechtskommission will nur noch die Beförderungserschleichung gegenüber einer Kontrollperson bestrafen. Die niedersächsische Strafrechtskommission hatte bereits vor drei Jahren empfohlen, § 265a StGB ganz zu streichen.
Wie auch immer, alle Vorschläge weisen zu Recht darauf hin: Weder die Begehung der Tat noch das Verhalten der Verkehrsunternehmen oder das Ausmaß des Schadens rechtfertigen es, Schwarzfahren weiterhin als kriminelles Unrecht zu behandeln.
Worin liegt denn heutzutage das Erschleichen, also das heimliche, listige, täuschende Handeln, wenn offene Bahnsteige und Verkehrsmittel zur Fahrt ohne jede Kontrolle einladen?
Wir alle kennen die beträchtliche Mühe, die einige Oberlandesgerichte aufwenden mußten, um das einfache Mitfahren ohne Fahrschein unter diesen Umständen als Straftatbestand nach § 265 a StGB zu beurteilen.
Wir halten das Strafrecht als Ultima ratio in diesen Fällen des Ausnutzens einer fehlenden Kontrolle für eine viel zu scharfe Reaktion.
Ohnehin wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Stellen Sie sich vor, jemand hält sich an das F.D.P.-Motto „Freie Fahrt für freie Bürger" und erschleicht sich eine Schwarzfahrt in der Straßenbahn. Dann drohen Sie ihm mit der Strafrechtskeule. Wenn ein Autofahrer falsch parkt, ist das nur eine Ordnungswidrigkeit, egal, wie listig er sich den verbotenen Parkraum auch erschlichen haben mag.
Der Schaden sieht nur auf den ersten Blick beträchtlich aus. Schätzungen gehen von der beachtlichen Dunkelziffer von etwa 40 Millionen Schwarzfahrten pro Jahr aus. Dreistellige Millionenbeträge, die den Verkehrsbetrieben dadurch verlorengehen sollen, erscheinen nicht zu hoch gegriffen. Schaut man aber genauer hin, wird klar: Ein Großteil der Schäden wird durch die Einnahmen in Form des erhöhten Beförderungsentgelts kompensiert, das erwischte Sünder zahlen müssen.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Der Hamburger Verkehrsverbund schätzte die hierdurch entstehenden jährlichen Verluste Mitte der 80er Jahre auf bis zu 10 Millionen DM, hatte aber durch das erhöhte Beförderungsentgelt Einnahmen in etwa gleicher Höhe.
Auch wir wollen das Schwarzfahren nicht sanktionslos stellen, sondern es zu einer bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeit machen. Wenn jemand allerdings aus sozialer Not schwarzfährt, dann darf man ihn nicht mit einem Bußgeld belegen. Das hieße nämlich in der Tat, Armut zu bestrafen.
Zum Bereich der Bagatelldelikte gehört wesentlich mehr als Schwarzfahren. Wir werden demnächst eine parlamentarische Initiative einbringen, die auch den Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins zum Ladendiebstahl aufgreift. Wir halten eine Entkriminalisierung der Bagatelldelikte für überfällig. Es muß endlich Schluß sein damit, daß man ständig mit Kanonen auf Spatzen schießt.
Ich erteile nun dem Kollegen Jörg van Essen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind einer anderen Auffassung, als sie hier von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgetragen worden ist, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen. Wir beobachten nämlich auf der einen Seite, daß es eine immer intensivere Tendenz gibt, bei kriminellem Unrecht zu bagatellisieren. Wir haben z. B. im Rechtspflegeentlastungsgesetz in der letzten Legislaturperiode den Be-
Jörg van Essen
reich, in dem ein Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden kann, vorsichtig bis in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein ausgeweitet. Die Umwidmung von bisherigen Straftaten wie dem Schwarzfahren wird diese Tendenz natürlich zusätzlich verstärken.
Wir wissen im übrigen auch, daß dieser Vorschlag des Bundesrates nur ein Versuchsballon ist. Die Absicht, auch Ladendiebstähle mit ihren immensen wirtschaftlichen Schäden, die von den ehrlichen Kunden zu zahlen sind, in gleicher Weise zu behandeln, wird im Falle des Erfolges dieser Initiative auf dem Fuße folgen. Die offenen Geschäfte - Herr Kollege Beck, wenn ich Ihrer Argumentation folgen darf - laden ja geradezu dazu ein, daß man die Gegenstände unentgeltlich mitnimmt. Von daher würde ja auch dort das kriminelle Unrecht fehlen.
Auf der anderen Seite - das ist das Gefährliche - steigern wir im Bereich der kleinen Sünden des Alltags, inbesondere im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten - übrigens mit Unterstützung der GRÜNEN -, ständig die Schärfe der Sanktionen. Der Unterschied zwischen einer bloßen Verwarnung ohne jeglichen Punkt in Flensburg und einem Fahrverbot, mit dem immense wirtschaftliche Folgen verbunden sein können - etwa dann, wenn man beruflich auf das Auto angewiesen ist -, kann ganze 10 km/h betragen. Das Ergebnis ist absurd. Ich habe es in meinem persönlichen Umfeld erlebt. In dem einen Fall hat es eine gravierende Urkundenfälschung gegeben. Das Verfahren ist ohne jegliche Sanktion eingestellt worden. In dem anderen Fall mußte ein Bekannter dafür, daß er, als er seine gehbehinderte Schwiegermutter zum Arzt gefahren hat, kurz im Halteverbot gehalten hat, zahlen. Da passen die Enden nicht mehr zusammen.
Die unerträgliche Schieflage zwischen kriminellem Unrecht und bloßer Ordnungswidrigkeit, die wir jetzt schon haben, würde durch diese Vorschläge weiter verstärkt.
Außerdem, Herr Kollege Hartenbach, scheinen Sie lange nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren zu sein. Bei uns kostet eine Fahrkarte jedenfalls nicht 5 DM, wie Sie sagten, sondern 2,70 DM.
Im übrigen werden nicht nur diese Täter vom Tatbestand des Schwarzfahrens erfaßt, sondern auch diejenigen, die z. B. die mehrere hundert Mark teure Fahrkarte bei der Deutschen Bahn von Flensburg nach Freilassing nicht bezahlt haben.
Deshalb kann man nicht nur von Bagatellbeträgen sprechen, wie Sie es getan haben.
Der Bundesrat ist auch die Antwort auf die geradezu naheliegende Frage schuldig geblieben, wie der Wiederholungsfall, der ja dann zur Straf würdigkeit führen soll, eigentlich festgestellt werden kann. Herr Kollege Hartenbach, Ihre Erklärung dafür war wirklich nicht überzeugend.
Es ist klar, daß die Verkehrsbetriebe die Schwarzfahrer registrieren werden. Ein Wiederholungsfall kann aber doch nicht nur dann gegeben sein, wenn man im Bereich des gleichen Verkehrsbetriebes noch einmal ohne Fahrkarte fährt, sondern auch dann, wenn das in Berlin, in Stralsund oder sonstwo geschieht. Wie wollen Sie das eigentlich feststellen? Das ginge doch nur dann, wenn ein Netz möglich wäre. Die Datenschutzbeauftragten haben sich im Dezember letzten Jahres mit dieser Frage befaßt und deutlich gesagt, daß es nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen keinen solchen Verbund geben darf.
Das zentrale Verfahrensregister, für das ich besonders gekämpft habe und das wir mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingerichtet haben, wird diese Fälle natürlich nicht aufnehmen, sondern ausschließlich Ermittlungsverfahren wegen kriminellen Unrechts. Wir haben also überhaupt keine Möglichkeit, auf dieses Register zurückzugreifen.
Das bedeutet, daß es sich um eine Mogelpackung handelt. Wiederholungsfälle werden nicht festgestellt werden können. Das ist ein gravierender Mangel in diesem Vorschlag des Bundesrates.
Trotzdem sind wir aufgerufen, uns im Rechtsausschuß mit der Frage zu befassen: Wie werden wir mit der Bagatellkriminalität besser fertig? Wir haben dieses Problem; wir wollen nicht darum herumreden.
Ich meine, daß die Ansätze, die wir bisher unternommen haben, der richtige Weg sind: Wir brauchen eine schnellere Reaktion auf das Unrecht. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß wir im Verbrechensbekämpfungsgesetz die Möglichkeiten für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens verbessert haben; wir müssen die Erfahrungen auswerten. Zudem - das ist für mich als jemand, der wie Sie, Herr Hartenbach, aus der Justiz kommt, das Wichtigste -, wissen wir doch als Praktiker, wo überall es in der Organisation der Justiz klemmt. Sie werden doch auch bei Ihrem Gericht erlebt haben, wie die Geschäftsstellen ausgestattet sind und welche Belastung für die Justiz daraus resultiert.
Das Bundesjustizministerium hat ja erfreulicherweise ein Kienbaum-Gutachten in Auftrag gegeben, in dem viele gute Wege aufgezeigt worden sind. Ich denke, wir sind in der Verantwortung, dafür zu sorgen, daß diese Dinge schnellstmöglich umgesetzt werden.
Vielen Dank.
Ich erteile nun der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz gerne einmal die Probe aufs Exempel machen, wenn ich darf. - Also einmal ganz ehrlich, Hand aufs Herz: Wer von Ihnen ist denn schon einmal schwarzgefahren?
- Ich wette, fast alle,
sei es, weil die Automaten defekt waren, sei es, weil Sie Ihre Monatskarten vergessen haben, sei es, weil Sie nicht das nötige Kleingeld für die Automaten hatten etc. Ich denke, man sollte ehrlich sein: Wir waren alle irgendwie einmal davon betroffen.
Daß Sie hier schwindeln, zeigt letzten Endes nur die Wirkung der bisherigen Regelung, daß Sie nämlich in eine kriminelle Ecke gestellt werden; genau da wollen Sie nicht hin.
- Ach, wissen Sie, der Kollege Röttgen hat, glaube ich, als Kind nicht einmal in der Nase gepopelt, weil ihm das seine Eltern verboten haben.
Ich denke, dann wird er auch das nicht zugeben.
Um es gleich zu sagen: Die PDS begrüßt die Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens als Schritt in die richtige Richtung. Wir denken, daß das Strafrecht dort in der Tat völlig fehl am Platz ist, wo es sich um Tatbestände wie das bloße Ausnutzen fehlender Kontrollmaßnahmen bei der Beförderung handelt.
In Ihrer Stellungnahme lehnt die Bundesregierung den Gesetzentwurf ab. Sie möchte bei sogenannter Bagatellkriminalität weiter hart durchgreifen, obwohl sie - das haben wir hier mehrfach erleben dürfen - bei Wirtschaftskriminalität oder Steuerhinterziehung schon einmal wegschaut, wenn es sich nur um entsprechend große Beträge, also meistens in Millionenhöhe, handelt. Da, Herr Röttgen, sprechen Sie nicht von Egoismus. Ich will Ihnen eines sagen: Diejenigen, die heute schwarzfahren, sind nicht die, die irgendwann einmal Millionen nach Luxemburg transferieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jörg van Essen?
Okay.
Frau Kollegin, da Sie der Bundesregierung vorgeworfen haben, bei Wirtschaftskriminalität wegzuschauen, frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, sondern nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland Aufgabe der Länderjustiz?
Gut, aber notwendig ist es, daß der entsprechende Rahmen auch durch die Bundesregierung gesetzt wird. Ich denke, hier gibt es noch viel zu tun, Herr Kollege van Essen.
Nun gibt die Bundesregierung vor, daß sie - ich zitiere - „gegenüber allen Erscheinungsformen der Kriminalität das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat und in das Funktionieren seiner Institutionen stärken" will. Das allerdings möchten auch wir, und genau deshalb wollen wir, daß niemand kriminalisiert wird, nur weil er sich von seiner Sozialhilfe, seiner Arbeitslosenunterstützung oder von seiner Rente die teuren Fahrkarten im Nahverkehr nicht mehr leisten kann. Aus diesem Grund stimmen wir dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu.
Am wirksamsten allerdings kann das Schwarzfahren nach unserer Auffassung jedoch nur durch die Senkung der Tarife im ÖNPV verhindert werden. Der öffentliche Nahverkehr ist eine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge und muß für alle Menschen erschwinglich sein. Sobald er dies ist, werden die Fälle von Schwarzfahren deutlich weniger werden, obwohl ich Ihnen zugestehe, sie werden nicht aufhören, denn es gibt auch Schwarzfahren als Sport. Dagegen muß man sicher etwas tun.
Im übrigen meine ich: besser schwarzfahren als schwarz wählen. Das auch im Vorgriff auf die nächste Wahl.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Nun hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ihren Beitrag, Frau Enkelmann, nicht unbedingt als einen Beitrag in der Sachdebatte verstanden. Die paar Minuten haben es auch nicht ermöglicht, weitere Sachargumente vorzutragen.
Ich habe nur gemerkt, daß Ihre Argumentation doch
sehr widersprüchlich gewesen ist. Es soll wohl nur
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
der Preis, die Höhe eines Preises maßgebend dafür sein, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht. Es sind hier Dinge miteinander verbunden worden, die einer Debatte, in der es darum geht, wie wir die Funktionsfähigkeit der Justiz verbessern und erhalten können, nun wirklich nicht angemessen sind.
Ich brauche, glaube ich, die Argumente, die schon häufig für und wider Entkriminalisierung von Massendelikten ausgetauscht worden sind, nicht zu wiederholen. Es ist dankenswerterweise - auch meine Zeit ist knapp - die Äußerung der Bundesregierung zur Vorstellung des Bundesrates schon mehrfach zitiert worden. Aber ich möchte den Punkt deutlich machen, daß der Entwurf, der uns vorliegt, mehr Probleme aufwirft als Lösungen aufzeigt. Denn - es ist schon problematisiert worden - wie sollen Wiederholungsfälle erfaßt werden, wenn man den ersten Fall nicht kennt und erfaßt hat? Entweder kommt es zu mehr Anzeigen, um wenigstens sicherzustellen, daß ein erster Fall einmal erfaßt worden ist, oder es müssen, natürlich in Form von Registern, möglicherweise auch von Privatregistern, bei den Verkehrsbetrieben personenbezogene Daten gesammelt werden. Dabei haben wir alle das Anliegen, nur die Register zu schaffen, die notwendig sind, um die Arbeit der öffentlichen Behörden, der Gerichte zu vereinfachen und zu verbessern, aber das Ansammeln von Daten bei anderen Trägern so gering wie möglich zu halten. Ich sehe hier, gerade bei dem vorgeschlagenen Lösungsweg, eigentlich nicht den bezweckten Erfolg, auch nicht die Entlastung und Erleichterung. Hinzu kommen selbstverständlich die grundsätzlichen Bedenken in der Sache an sich.
Ich bin froh, daß heute schon mehrfach angesprochen wurde, daß Entlastung der Justiz - 1972 gab es 103 000 Verfahren zu § 265a StGB - mehr ist als die Prüfung, ob es ein Delikt gibt, von dem man sagen kann, wenn man dies den Richtern und Staatsanwälten wegnehme, könne man die Justiz in die Lage versetzen, andere Verfahren zügiger zu betreiben. Das ist nun wirklich viel zu kurz, das greift nicht. Da müssen wir sehr viel grundsätzlicher herangehen. Wir haben es in einem Aspekt, nämlich was den Strafprozeßweg betrifft, mit der Schaffung von Möglichkeiten, ein Strafverfahren beschleunigter durchzuführen, im Zweiten Verbrechensbekämpfungsgesetz getan. Sie sagen jetzt, das hat alles nichts gebracht. Aber sicher sind Sie mit unserer Einschätzung einig, daß diese Beurteilung heute noch gar nicht getroffen werden kann, denn dieses Gesetz ist erst am 1. Dezember letzten Jahres in Kraft getreten. Wenn jetzt dennoch ganz positive Reaktionen, gerade auch von der Justizsenatorin aus Berlin, zur Anwendung dieses Verfahrens kommen, dann kann ich nur sagen: Wahrscheinlich war es doch richtig, was wir hier getan haben. Natürlich muß insgesamt stärker geprüft werden, wie wir im Bereich der Justiz selbst mit Änderungen der vorhandenen Strukturen zu einer Entlastung der Richter und der Staatsanwälte kommen können. Da dürfen wir uns nicht immer nur in den alten Bahnen bewegen, etwas an Rechtsmittelsummen, etwas an Beschwerdesummen zu drehen, sie zu erhöhen, sondern dann müssen wir diese Debatte sehr viel grundsätzlicher führen und nicht wie hier
auf einen Punkt, die Entkriminalisierung bei der Beförderungserschleichung, begrenzen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich möchte eine Bemerkung dazu machen. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf des Bundesrates. Der Bundesrat ist - das möchte ich für das Protokoll ausdrücklich festhalten - überhaupt nicht vertreten.
Wir sollten uns einmal überlegen, ob wir Gesetzentwürfe und andere Tagesordnungspunkte von der Tagesordnung absetzen, wenn derjenige, der sie eingebracht hat, sie nicht für so wichtig hält, daß er selber anwesend ist.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/374 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Ich sehe keine anderen Vorschläge. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung
- Drucksache 13/196 -Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Bemerkung, die ich zu dem eben gelesenen Gesetzentwurf gemacht habe, gilt für meine Begriffe auch für diesen. Ich stelle anheim, hier dazu Anträge zu stellen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist im übrigen für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der zur Beratung vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist sicherlich mit guten Absichten eingebracht worden. § 1361 b BGB will die persönlichen Spannungen zwischen den Ehegatten abbauen und diejenigen, die von ihrem Ehepartner in der eigenen Wohnung körperlich mißhandelt, bedroht oder auf andere Art und Weise schwerwiegend beeinträchtigt werden, vor weiteren Übergriffen schützen. Namentlich Frauen und Kinder brauchen diesen Schutz, weil gerade sie es sind, die unter Gewalt in der Familie und in der häuslichen Umgebung in der Regel besonders leiden.
Wolfgang Bosbach
Wie in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber tätig werden soll, müssen wir aber sorgsam prüfen, ob tatsächlich ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Deshalb müssen wir auch bei diesem Gesetzentwurf sorgfältig abwägen, ob die angestrebten Änderungen des § 1361b BGB und der Zivilprozeßordnung tatsächlich zwingend geboten sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf unterstellt, daß dieser Paragraph in seiner jetzigen Form mißhandelten Frauen keinen ausreichenden Schutz biete, weil die gesetzlichen Voraussetzungen einschließlich der Beweisanforderungen zu hoch angesetzt seien, so daß eine Neuformulierung dieser Vorschrift zur Erreichung des Gesetzeszweckes geboten sei. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, daß sie die rechtspolitische Diskussion zur Frage einer Novellierung dieser Vorschrift frühzeitig aufgegriffen hat.
Die auf Initiative des Bundesministeriums der Justiz eingeholten Stellungnahmen der gerichtlichen Praxis neigen gegenüber einer Änderung der bestehenden Regelung jedoch überwiegend zur Zurückhaltung. Mit Ausnahme der Bundesländer Hessen und Niedersachsen verneinen alle anderen Justizministerien der Länder einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Dies entspricht ebenfalls der Auffassung des Rechtsausschusses des Bundesrates, der eine Änderung für nicht notwendig hält, da die geltende gesetzliche Regelung den Gerichten eine ausreichende Rechtsgrundlage biete, um die Zuweisung der Ehewohnung in den streitbefangenen Fällen zu ermöglichen. Der jetzige Gesetzestext verwendet den Begriff der „schweren Härte", der nach dem Willen des Bundesrates durch eine andere Formulierung ersetzt werden soll, da mit der geltenden Formulierung die „Eintrittsschwelle", so die Begründung, für den Richter zu hoch angesetzt sei. Bei dieser Argumentation wird allerdings die Auslegung der Vorschrift durch die juristische Literatur und die Rechtsprechung übersehen, die schon heute nicht erst bei einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben, sondern schon bei „schweren Störungen des familiären Zusammenlebens" § 1361b BGB anwenden. Das ist auch richtig so, weil es dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
In diesem Zusammenhang muß allerdings auch darauf hingewiesen werden, daß eine Wohnungszuweisung für den weichenden Ehegatten eine einschneidende belastende Entscheidung ist, so daß der Gesetzgeber die Schwelle auch nicht zu tief ansetzen darf. Bloße Unbequemlichkeiten oder Unannehmlichkeiten können daher für eine Wohnungszuweisung nicht ausreichend sein.
Im Hinblick auf die angestrebte Novellierung des § 620c ZPO ist darauf hinzuweisen, daß der vorliegende Entwurf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen jede nach mündlicher Verhandlung ergangene Entscheidung über den Antrag auf Wohnungszuweisung eröffnet. Der Gesetzgeber sollte sich - ohne Aufgabe rechtsstaatlicher Grundsätze - darum bemühen, streitige Zivilverfahren zu straffen und zu beschleunigen. Die beabsichtigte Neufassung des § 620c ZPO läuft diesen Bestrebungen zuwider. Zu Recht weist die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme darauf hin, daß die hier in Rede stehende Entscheidung einen nur vorläufigen Charakter hat, so daß es hinnehmbar erscheint, daß nur die Zuweisung der Ehewohnung beschwerdefähig gestellt wird.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß die im Entwurf des Bundesrates vorgesehene Gleichstellung der ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften auch - aber nicht nur - aus rechtspolitischen Gründen bedenklich ist. Auch hierauf hat der Rechtsausschuß des Bundesrates hingewiesen.
Für mich und meine Fraktion hat die Ehe einen hohen Stellenwert, und das soll auch so bleiben. Aus der Ehe entwickelt sich die Familie als Basis unserer Gesellschaft,
die nach dem Willen unserer Verfassung in ganz besonderer Weise des staatlichen Schutzes und der staatlichen Förderung bedarf. Diesen Verfassungsauftrag sollten wir nicht vergessen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile nun der Abgeordneten Margot von Renesse das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl ich Ihre Worte im Ohr habe, daß der Bundesrat, zumindest zu Beginn der Verhandlung, nicht im Saal vertreten war, habe ich diesen Antrag nicht gestellt. Denn es ist irgendwie eine listige Weisheit, auch über dieses Thema im Zusammenhang mit der Diskussion am heutigen Vormittag zu sprechen, und der Blumenstrauß der unterschiedlichen Themen hat eines gemeinsam: Es wird hier insgesamt darüber zu reden sein, inwieweit sich Recht, Strafrecht und Zivilrecht, auf schwerwiegende „Übergriffe" und „Verletzung von Menschenrechten", wie es die Präsidentin genannt hat, konzentriert, gleichzeitig aber davon Abstand nimmt, riesigen Verfahrensaufwand in den Angelegenheiten zu betreiben, in denen der Vermögensschutz in Rede steht, weil die Geschädigten selbst aus Kostengründen ihren Eigenschutz massiv vernachlässigen. Insofern besteht ein Zusammenhang, den man eigentlich gar nicht missen möchte, so daß ich heute schon aus Vergnügen an der Zusammenstellung der Themen zu diesem Bereich sprechen möchte.
Meine Damen und Herren, ich finde es berechtigt, über den § 1361b noch einmal sehr intensiv nachzudenken. Darum ist die Initiative des Bundesrates begrüßenswert. Es wurde die Frage gestellt, ob das geltende Recht nicht ausreiche, die Generalklausel des § 1361 b mache doch vieles möglich.
Margot von Renesse
Herr Kollege, Sie haben die Umfragen unter den Justizministerien der Länder zitiert. Vielleicht sollte man auch einmal Umfragen unter den betroffenen Frauen machen.
Denn der Blickwinkel, unter dem Richter das sehen, die ihre Entscheidungen in der Regel ja nicht so schlecht finden, und die Art, wie Betroffene das sehen, mögen doch mitunter zwei Paar Schuhe sein.
Hierbei spielt auch eine Rolle - damit greife ich schon einen Bereich auf, den der Bundesrat hier vorgeschlagen hat -, daß eine Vielzahl dieser Entscheidungen nicht rechtsmittelfähig sind, d. h., der Einzelrichter, dem ich persönlich viel zutraue, hat nur den blauen Himmel über sich und entscheidet über schwere Konflikte, bei denen zumindest ein Betroffener Angst vor der Zukunft hat.
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Entscheidung der Wohnungszuweisung an einen Ehegatten allein für den sogenannten weichenden Ehegatten eine schwerwiegende und belastende, auch grundrechtsrelevante Entscheidung ist. Aber ist sie für den anderen Ehegatten nicht genauso belastend, wenn es zur Antragszurückweisung kommt? Denn auch für ihn bedeutet dies - genauso wie im umgekehrten Fall der Wohungszuweisung -, daß ihm in Zukunft die Wohnung verschlossen bleibt, die für ihn und seine Kinder bisher das Heim war.
Die Gesellschaft gewöhnt sich allmählich - das ist meine Sorge; sie steht hinter dieser Initiative - an eine Umkehr der Verhältnisse. Wir wissen, die Frauenhausbewegung hat das Thema „Gewalt in der Familie" aus den Kellern der Gesellschaft, wo sie ihre Wunschträume und ihre Ängste versteckte, herausgeholt und ein grelles Licht auf die geschundenen Gesichter von Frauen und Kindern gerichtet, von Frauen, die mit Veilchen, mit Schrammen, mitunter noch im Nachthemd, die Kinder heulend an der Seite, zur Nachbarin, zur Freundin oder zur Mutter eilen, fliehen, flüchten, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann. Dies war lange nicht gesehen worden. Aber gleichzeitig hat sich die Gesellschaft, weil es die Frauenhäuser gibt, daran gewöhnt, zu sagen: Es gibt doch die Frauenhäuser, sollen sie doch dorthin gehen. - Das Opfer muß gehen, und der Gewalttäter bleibt.
Das sind verkehrte Verhältnisse. Das ist gesamt sozial und auch rechtshygienisch nicht erwünscht.
Dies muß geändert werden: für die Allgemeinheit und für die Geschädigten. Darum erscheint es mir wichtig, daß hier die Gesichtspunkte nicht mehr nach der Frage „Was ist die schwere Härte?" sortiert werden, sondern daß bei Verletzungen der Person, und zwar von Frauen und Kindern, die wir bisher noch gar nicht im Gesetz berücksichtigt haben, der Schutzgesichtspunkt in den Vordergrund gestellt wird.
Wir haben über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gesprochen und haben gesagt, daß der Schutz - lassen Sie mich das einmal etwas salopp sagen - in der Ehe für die möglichen Opfer verbessert werden muß, damit es nicht geradezu eine Verstärkung des Arguments gibt, die Frauen brauchten vielleicht eher den Schutz vor der Ehe. Das könnte ja der Fall sein.
Aber die Verfolgung der strafbaren Handlung braucht viel Zeit. Die Opfer brauchen dagegen Schutz auf der Stelle. Sie müssen aber erleben, daß sich die Polizei, wenn sie gerufen wird, dem Familienkonflikt nur mit langen Zähnen nähert. Sehr oft nehmen die Polizisten nicht den Täter, sondern die Opfer mit und verfrachten sie gleich ins Frauenhaus, die oft, worauf der Bundesrat mit Recht hinweist, zu Frauenwohnheimen werden - in Klammern: mit sehr kostenintensiven Folgen für die Kommunen. Die Ausweisung des Täters wäre erheblich preisgünstiger, einmal ganz abgesehen von den weiteren Folgen, die so etwas hätte.
Ich denke, daß man sehr ernsthaft über die Bundesratsinitiative nachdenken muß und daß man nicht so tun kann, als bestehe dazu kein Bedürfnis. Wir sollten vielleicht in einer Anhörung klären, wo dieses Bedürfnis liegen könnte, und andere zu Wort kommen lassen als die Richter, die sich mit dem einschlägigen Paragraphen wohl zufriedengeben können, weil er kurze Verhandlungen ermöglicht.
Danke sehr.
Herr Kollege Bosbach, ich muß eine Unterlassungssünde wiedergutmachen. Ich habe übersehen, daß Sie hier heute Ihre erste Rede gehalten haben. Sie haben so routiniert gesprochen, daß uns das gar nicht aufgefallen ist. Ich möchte auch Ihnen im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Heinz Lanfermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein vernünftiges Miteinander der Menschen zu schaffen. Dabei sollte in der Tat völlig unstreitig sein, daß in Fällen von Gewalt in der Familie bei allen Entscheidungen vorrangig an den Schutz des Gewaltopfers und an das Wohl der Kinder zu denken ist. Aber ebenso unstreitig sollte es unter uns sein, daß nur die Gesetzesnovelle sinnvoll ist, die tatsächlich zu einer Verbesserung der Rechtslage führt.
Deshalb hat, wie schon erwähnt, das Justizministerium Stellungnahmen der gerichtlichen Praxis eingeholt und haben die Gerichte überwiegend erklärt, daß sie bereits heute das geltende Recht, nach dem die Wohnung einem der Ehegatten zur Vermeidung
Heinz Lanfermann
einer schweren Härte zugewiesen werden kann, im Sinne der vorgeschlagenen Novelle auslegen. Eine schwere Härte wird demzufolge insbesondere bei Mißhandlungen und der Gefährdung des Kindeswohles mit der Folge angenommen, daß einem der Ehegatten - dies ist meistens in der Tat die Ehefrau - die Wohnung zugewiesen wird.
Ich habe - weil Sie die Verknüpfung mit der vorherigen Debatte ansprachen, Frau Kollegin von Renesse - auch bei Ihrer Kollegin Brandt-Elsweier sehr wohl vernommen, wie argumentiert wurde. Sie hat nämlich wirklich innerhalb von zwei Sätzen als erstes gesagt: Jeder Einzelfall muß differenziert behandelt werden, und zweitens hat sie eine gleiche Regelung für alle Fälle gefordert. Dieser Versuchung sind auch Sie gerade in Ihren Ausführungen hier erlegen.
Ich denke, wenn das geltende Recht zur Lösung der Problemfälle ausreicht, dann ist eine Novelle einfach überflüssig. Es entsteht auch ein bißchen der Eindruck, als solle Symbolpolitik jetzt an die Stelle von vernünftigen, sachgerechten Entscheidungen gesetzt werden. Ich möchte gern wissen: Welche Entscheidungen waren wie falsch? Wo ist offensichtlich ein falscher Gebrauch von Recht durch Gerichte geschehen? Wie könnte man dies tatsächlich ändern? Denn eine Klausel, die die Wohnung generell nur der Ehefrau zuweisen würde, wird von Ihnen nicht gewollt, wäre auch nicht denkbar. Was anders geschehen soll, als nach dem Begriff der „schweren Härte" vorzugehen, ist mir auch aus Ihrer Rede, Frau Kollegin, nicht recht verständlich geworden.
Das heißt, der Gesetzgeber wäre in der Tat überfordert, jede im Rahmen zulässiger Auslegung vernünftigerweise gefundene Rechtsentwicklung in geltendes Recht zu überführen, was bei der Auslegung aber eher noch mehr Probleme schaffen würde.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. verkennt gerade nicht, daß sich neben Ehe und Familie vielfältige neue Lebensformen bilden. In nichtehelichen Lebensgemeinschaften lebende Kinder sind natürlich ebenso vor jeder Diskriminierung zu schützen wie die Kinder eines Ehepaares.
Diesem berechtigten Anliegen will die F.D.P. jedoch nicht mit einer isolierten einzelnen Gesetzesvorschrift Rechnung tragen, sondern es im Rahmen einer umfassenden Reform des Kindschaftsrechts berücksichtigen. Das erscheint auch gerade deshalb sachgerecht, weil die Politik es akzeptieren muß, wenn sich eine zunehmend größer werdende Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft als Lebensform entscheidet. Entsprechend können wir die rechtlichen Regelungen meiner Auffassung nach ergänzen.
Allerdings - auch das muß man sagen - erfordert dies eine umfassende und auf vielfältige Einzelfragen Rücksicht nehmende Gesamtregelung, die nicht isoliert für einen ganz bestimmten Sachverhalt vorgenommen werden kann.
Abschließend möchte ich hinsichtlich der vorgeschlagenen Erweiterung der Beschwerdemöglichkeiten nur kurz darauf hinweisen, daß dadurch natürlich die aktuellen Bemühungen um eine Straffung und Beschleunigung des Zivilverfahrens konterkariert werden.
Meine Damen und Herren, da durch den Gesetzentwurf des Bundesrates eine qualitative Verbesserung der Rechtsstellung einer Antragstellerin sowie ihrer Kinder im Moment nicht zu erkennen ist, sehe ich auch keinen aktuellen Handlungsbedarf.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gerald Häfner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. In der Wirklichkeit aber ist das leider noch lange nicht der Fall. Jahrhundertelang wurden Frauen wie das Eigentum des Mannes behandelt, und sie werden es vielfach heute noch. Und Kindern werden in vielen Bereichen noch keinerlei eigene Rechte zugesprochen.
Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, daß der Mann mit dem Ehevertrag gewissermaßen ein Anrecht auf die Sorge, Zuneigung und Gunst der Frau erworben hätte - auch in körperlicher Hinsicht. Ich zitiere etwa aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1967: - BGH, NJW 1967, 1079 -:
Die Ehe ist Geschlechtergemeinschaft und verpflichtet zum ehelichen Verkehr ... nicht in Gleichgültigkeit oder indem Widerwillen zur Schau getragen wird.
Wo solcher Geist noch herrscht, da sind Reformen dringend nötig. Gewalt in der Ehe ist - das wissen wir - beileibe kein Kavaliersdelikt.
Wir wissen auch, daß die gesellschaftliche Gewalt, die wir alle in diesem Haus immer wieder in großen Debatten beklagen, zu allergrößten Teilen eben nicht ein Phänomen zwischen Fremden ist, sondern daß die allermeisten Delikte Beziehungsdelikte sind: Tatort sind oft die Familien oder die Partnerbeziehungen. Das heißt: Ehe ein Skinhead in der U-Bahn einen Fahrgast verprügelt, haben in den umliegenden Schlaf- und Wohnzimmern schon hunderte Ehemänner ihre Frauen und Kinder gedemütigt, mißhandelt und geschlagen. Das zeigen uns die Fallzahlen. So ist - leider - die gesellschaftliche Realität in unserem Land.
Der Gesetzgeber hat hier allzu lange tatenlos zugeschaut.
Es ist dann übrigens ein Verdienst der GRÜNEN gewesen, diese Diskussion überhaupt begonnen zu haben. Manche Kolleginnen und Kollegen im Haus werden sich noch erinnern, als Waltraud Schoppe 1983 hier zum ersten Mal „Gewalt in der Ehe" auf
Gerald Häfner
I die Tagesordnung brachte und damit in ein Wespennest stach. Da erlebte das Hohe Haus wahrlich seinen Tiefpunkt. Auch heute noch sind - ich denke an Herrn von Stetten - ähnliche Äußerungen zu hören.
Auch der heutige Gesetzentwurf geht wieder auf eine Initiative der GRÜNEN zurück, die wir über Niedersachsen in den Bundesrat eingebracht haben und die dort einstimmig angenommen wurde. Ich bin etwas irritiert und enttäuscht über die Töne, die jetzt aus den Koalitionsfraktionen hörbar geworden sind, und hoffe sehr, daß wir in den Beratungen etwas detaillierter und sensibler an die Sache herangehen können; denn ich glaube, daß hier dringend Handlungsbedarf besteht.
Die jetzige Regelung des § 1361b BGB setzt für die Frauen die Hürde, nach Mißhandlungen und Gewalt nicht auch noch ihre Wohnung verlassen zu müssen, viel zu hoch. Die Realität - Frau von Renesse hat das deutlich gemacht - ist doch heute meistens die: Der Stärkere setzt sich durch, die Frau und mit ihr in der Regel die Kinder weichen der Gewalt, müssen die Wohnung verlassen, gehen ins Frauenhaus.
Hier schlägt also eine Errungenschaft der Frauenbewegung inzwischen gegen die Frauen zurück. Immer häufiger wird entschieden: Es gibt ja das Frauenhaus, also hat die Frau eine Zufluchtsmöglichkeit.
Nein, wir wollen, daß im Regelfall das Opfer und nicht der Täter geschützt wird und daß der Täter die Folgen zu tragen hat, d. h., daß die Frau in der Wohnung bleiben kann. Deshalb ist hier eine Änderung dringend geboten.
Die hohe Hürde im geltenden Recht, also in § 1361 b BGB, war gewollt - ich zitiere aus der Begründung -:
Um ehefeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken und einem Mißbrauch durch verfrühte Inanspruchnahme des Gerichts schon bei jedweder sich anbahnenden Ehekrise vorzubeugen, ist die Eintrittsschwelle bewußt hoch angesetzt worden.
Das führt dann aber dazu, daß z. B. das Kammergericht Berlin in einem Fall nachgewiesener Gewalt gegen eine Frau entschieden hat, es handele sich zwar unstreitig um Formen von Gewalt, die seien aber „nicht so schwer", sondern - ich zitiere - „eher normale Formen" von Gewalt und müßten deshalb hingenommen werden. Wenn die Frau das nicht hinnehmen wolle, habe sie eben die Wohnung zu verlassen.
Dies alles heißt, daß eine Änderung des geltenden Rechtes im Interesse der Betroffenen dringend nötig ist. Es ist nötig, auf den Schutz der Person abzustellen und nicht einen unbestimmten Rechtsbegriff wie „schwere Härte" in den Mittelpunkt zu stellen. Daneben ist es unerläßlich, vor allen Dingen auch das Kindeswohl einzubeziehen, das bisher immer unter den Tisch gefallen ist. Drittens ist es nötig, auch nichteheliche Lebensgemeinschaften einzubeziehen. Denn die Realität in unserem Land ist so, daß es immer mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften gibt. Hier ist die Gewalt genauso ein Tatbestand, ein Phänomen wie in der Ehe auch. Die Opfer bedürfen
desselben Schutzes und müssen gerade in diesem Bereich dieselben Rechte genießen, wenn es eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft ist und dieselben Gründe vorliegen.
All das sind Änderungen, die wir für nötig halten. Wir halten weiterhin eine Beweiserleichterung - allerdings nicht eine Beweislastumkehr - für nötig, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Wir hoffen sehr, daß wir in den Beratungen hier zu einer einvernehmlichen Lösung auf der Grundlage des Gesetzentwurfs des Bundesrates kommen. Ich darf Sie zu diesen Beratungen einladen.
Danke schön.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Grund für den heute hier diskutierten Gesetzentwurf des Bundesrates ist häusliche Gewalt, präziser: die Gewalt von Ehemännern gegen ihre Ehefrauen. Ich meine - ich sage das jetzt sozusagen in die Mitte der CDU/CSU-Fraktion hinein -, es würde sich durchaus lohnen, darüber nachzudenken - allerdings ist das hier nicht der Platz dafür -, inwieweit die mit Steuermitteln geförderte Hierarchie in einer Ehe zwischen Männern und Frauen zur Gewaltförmigkeit dieser Beziehung, dieser Institution, ihren Beitrag leistet.
- Ich konnte das leider akustisch nicht verstehen. Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Ihnen danach ist!
Frauen mit gewalttätigen Männern geraten in eine scheinbar ausweglose Situation: Einerseits wünschen sie sich ein Leben ohne Gewalt, ohne Mißhandlungen, andererseits haben sie Angst, ihren sozialen Rahmen, ihre Existenz aufzugeben, und haben auch nicht die finanziellen Möglichkeiten, das aus eigener Kraft zu tun.
Wir meinen, daß sich durch eine erleichterte Zuweisung der Ehewohnung dieser Konflikt für die Frau entscheidend entschärfen könnte. Sie könnte sich und ihren Kindern, wenn sie welche hat, langfristig wenigstens die gewohnte Umgebung erhalten.
Wir sind der Ansicht, daß die vorgeschlagenen Änderungen im § 1361b in mehreren Punkten eine deutliche Verbesserung der jetzigen Situation darstellen. Aber ich meine auch, daß diese Verbesserun-
Christina Schenk
gen noch nicht ausreichend sind, und ich möchte das hier erläutern.
In der Praxis zeigt sich nämlich immer wieder, daß bei gewalttätigen Übergriffen gegen Frauen das Bewußtsein über diese Problematik bei den entsprechenden Behörden oft außerordentlich mangelhaft ist.
Ich will nur ein Beispiel dafür nennen: Kürzlich hat es sich in Berlin zugetragen, daß eine Frau die Polizei zu Hilfe rief, weil ihr Ehemann versuchte, in die ihr zugewiesene Ehewohnung einzudring en. Sie mußte erleben, daß die Polizisten nicht ihr, sondern dem Mann glaubten und ihm sogar unrechtmäßigen Zugang zur Wohnung verschafft haben.
Für Frauen heißt also recht haben noch lange nicht recht bekommen. Aufklärung und Weiterbildung der Polizei und auch der Justiz in solchen Fragen sind ganz offensichtlich dringend erforderlich.
Ein weiterer Punkt ist, daß es im Entwurf heißt, daß derjenige, der gewalttätig geworden ist und die Wohnung überlassen muß, verpflichtet ist, das Benutzungsrecht des anderen nicht zu vereiteln. Wir meinen, daß das bei weitem nicht ausreichend ist. Es muß über Schutzzonen um die Wohnung nachgedacht werden, die der Täter bei Androhung von empfindlichen Geldbußen oder auch der Eröffnung eines Strafverfahrens nicht betreten darf. In den USA gibt es Erfahrungen mit solchen Verordnungen. Ich denke, wir sollten uns hierüber sehr genau informieren lassen, insbesondere auch in Anhörungen.
Noch etwas: In der Bundesrepublik ist es Realität, daß die schlagenden Männer mit dem Verweis auf die prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Regel in der Wohnung bleiben können, während die Frauen in die überfüllten Frauenhäuser flüchten und sich dann auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung suchen müssen. Wir meinen, daß dem Täter durchaus das gleiche zugemutet werden kann, z. B. vorübergehend in einem Hotel oder in einer Obdachlosenunterkunft zu wohnen. Es kann nicht angehen, daß die Belange des mißhandelnden Ehegatten in gleicher Weise berücksichtigt werden wie die des mißhandelten.
Wir meinen, daß der entsprechende Passus im Bundesratsentwurf gestrichen werden muß. Der Schutz der geschlagenen Frau ist in jedem Fall höher zu bewerten als das komfortable Leben des Gewalttäters.
Wir werden demnächst einen Änderungsantrag zu dem vorliegenden Gesetzentwurf einbringen, der die Erfahrungen von Fachfrauen, die in Frauenhäusern arbeiten, aufgreift und darauf abzielt, die noch bestehenden Unzulänglichkeiten zu beseitigen.
Das Wort hat nun die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den gesellschaftlichen Befund, der der Bundesratsinitiative zugrunde liegt, dürfen wir uns keine Illusionen machen. Gewaltbereitschaft ist ein gesellschaftliches Phänomen, von dem gerade die Familie nicht verschont bleibt. Man mag zwar im Zweifel sein, ob Aggressivität und Gewalt in der Familie nach Art und Umfang eigentlich neu sind, ob sie nicht vielmehr schon früher in vergleichbarer Weise vorhanden waren und nur unter der Decke einer scheinbaren Familienidylle versteckt worden sind. Sicher aber ist der Umstand, daß die Sensibilität gegenüber Gewaltphänomenen auch in der Familie und damit auch die Bereitschaft, solchen Gewalttätigkeiten mit den Mitteln des Rechts entgegenzutreten, gewachsen sind. Dieser Umstand ist mit der entscheidende Grund dafür, daß wir uns heute mit Gesetzesvorlagen wie dem vorliegenden Entwurf des Bundesrates befassen.
Der Entwurf beschränkt sich auf einen ganz kleinen Ausschnitt familiärer Gewalt und betrifft doch einen Bereich von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Zeiten von Wohnungsknappheit in manchen Regionen spielt die Zuweisung der Ehewohnung noch vor einer Scheidung eine ganz zentrale Rolle. Wer seinen gewohnten Lebensbereich verlassen muß, hat es oftmals viel schwerer, an anderer Stelle und ohne materielle oder psychische Probleme weiterzuleben. Das gilt wohl auch dann, wenn Frauen und Kinder scheinbar geborgen im Frauenhaus Zuflucht finden und sich dort einen neuen, zugleich aber begrenzten Lebensbereich aufbauen müssen.
Deshalb unterstützt die Bundesregierung alle Maßnahmen, mit denen verhindert werden kann, daß die Opfer von Gewalt noch ein zweites Mal zum Opfer werden und auch noch aus ihrem gewohnten Lebensbereich weichen müssen.
Aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung frühzeitig, d. h. einige Zeit vor der niedersächsischen Gesetzesinitiative, mit diesem Problem auseinandergesetzt und die Landesjustizverwaltungen um Stellungnahme gebeten. Die vorliegenden Antworten lassen - das wurde heute schon gesagt - den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Präzisierung des § 1361 b BGB - ganz vorsichtig ausgedrückt - zumindest sehr fraglich erscheinen. Wer Frau und Kind mißhandelt, muß schon nach geltendem Recht die Wohnung verlassen. Auch Unterschlupf im Frauenhaus ist für die Justiz kein Grund, von einer Zuweisung der Ehewohnung abzusehen.
Es spricht nach diesen Berichten alles dafür, daß an dem gegen die Justiz erhobenen Vorwurf, drohender Wohnungsnot für den Ehemann größeres Gewicht beizumessen als den Interessen und dem Wohl von Frauen und Kindern, die in Frauenhäusern unterkommen können, nichts dran ist.
Und doch ist die Bundesregierung der Ansicht, daß uns dies nicht von der Notwendigkeit entbindet, sorgsam zu prüfen, ob die Kriterien der Wohnungszuweisung verdeutlicht werden sollten. Wie so oft im
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Familienrecht muß letztlich auch hier die praktische Bewährung des geltenden Rechts gegen den Signalwert einer besonderen gesetzlichen Klarstellung abgewogen werden.
Was die Erstreckung auf nichteheliche Lebensgemeinschaften angeht, bin ich mit dem Entwurf in der Einschätzung einig, daß wir über eine Erweiterung der bestehenden Schutzmechanismen für diesen Personenkreis ernsthaft nachdenken müssen. Aber der im vorliegenden Gesetzentwurf gemachte Vorschlag ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß.
§ 1361b BGB zielt auf die Übergangszeit bis zur Scheidung ab, mit der dann - in Anwendung der Regelung in der Hausratsverordnung - endgültig über die Wohnung entschieden wird. Für das ehelos zusammenlebende Paar ist aber die Herstellung des Getrenntlebens identisch mit der Scheidung. Die Zuteilung der Wohnung nähme hier also - systemwidrig - den Charakter einer Dauerlösung an. Dies ist natürlich, schon rein praktisch gesehen, mißlich. Denn diese Vorschrift weist kaum das schuld- und sachenrechtliche Instrumentarium auf, um eine Dauerregelung entscheidend abzusichern, gerade auch im Verhältnis zum Vermieter. Deshalb bin ich der Auffassung, daß wir uns angesichts der unterschiedlichen Einschätzungen mit dieser Initiative wirklich in Ruhe beschäftigen sollten.
Vielen Dank.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/196 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Ich sehe keine anderen Vorschläge. Dann ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der Tagesordnung.
Wie Sie wissen, werden wir uns erst nach den „hohen christlichen Feiertagen" wiedersehen, die jetzt auf uns zukommen. Nach dem Verlauf der Debatte wage ich es nicht, Ihnen zu wünschen, daß Sie diese Tage mannhaft überstehen, aber ich wünsche Ihnen, daß Sie sie unbeschadet überstehen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. März 1995, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.