Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich an die letzte Debatte zum Thema der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe denke, dann kommen bei mir äußerst zwiespältige Erinnerungen auf. Es ist eine Mischung aus Hoffnung auf Einsicht, aus Unverständnis und Empörung, aber leider auch der schale Beigeschmack, den politisches Taktieren auf Kosten der Betroffenen immer hinterläßt.
Aber jetzt soll es endlich soweit sein. Das Koalitionslager hat sich geeinigt. Die bisher gezeigte Rücksichtnahme auf eine kleine Minderheit in der Koalition, die immer noch einem besitzergreifenden Ehebild anhängt, nach dem Frau und Kinder dem Ehemann gehören, wird es wohl nicht mehr geben. Ich halte es nicht für eine primitive Polemik, Herr Kollege Geis, wenn wir fordern, daß eine Vergewaltigung in der Ehe auch als eine Vergewaltigung und nicht nur als Nötigung bestraft wird.
Die neue Frauenministerin, so kann man lesen, hat sich mit der Justizministerin geeinigt, die Sache zügig vorantreiben zu wollen. Das haben wir hier auch deutlich gehört. Frau Ministerin Nolte, ich höre es wohl, und ich höre es gerne. Vielleicht gelingt es Ihnen ja tatsächlich, ein bißchen frischen Wind in Ihre Reihen zu bringen. Erforderlich wäre dies allemal.
Die SPD-Fraktion im Bundestag versucht nun schon seit 22 Jahren, die Unterscheidung des Strafrechts in außereheliche und eheliche Vergewaltigung aufzuheben, seit 1972 also, Frau Ministerin. Ich glaube, in jenem Jahr wurden Sie gerade eingeschult. Das soll aber bitte nicht als Kritik an Ihrer Jugend verstanden werden, sondern nur ein Hinweis auf den Zeitablauf sein und die Hoffnung auf Veränderung ausdrücken:
Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition neben der Erkenntnis über die Schwere des Vergehens jetzt auch endlich der Wille zum Handeln durchsetzt;
Anni Brandt-Elsweier
Hoffnung darauf, daß jetzt endlich nicht mehr eine Minderheit, vor allein wohl auch eine männliche Minderheit, das politische Handeln bestimmt; Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition jetzt niemand mehr hinter „eigentlich", „sicherlich" und „im Prinzip einig" versteckt und damit doch nur halbherziges Handeln kaschiert.
Allerdings gebe ich zu, daß ich gerade gestern wieder sehr hellhörig wurde, als mir die Pressemitteilung Nr. 11 des Frauenministeriums vorgelegt wurde. In der Erklärung beziehen Sie sich, Frau Ministerin, auf den Sonderbericht an die Vereinten Nationen zum Thema „Gewalt gegen Frauen", schildern die von der Bundesregierung bereits ergriffenen Maßnahmen und weisen auf die in der Bundesrepublik geführte Diskussion hin. Genau in dieser Erklärung kann man sie wieder erahnen, die Halbherzigkeit, die Unentschlossenheit.
Frau Ministerin, warum sprechen Sie dort wieder nur von einer „möglichen" Erweiterung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe? Warum fällt Ihnen hier eigentlich eine Formulierung so schwer, die die Notwendigkeit einer Änderung ganz deutlich macht? Und, Frau Ministerin, warum haben Sie nur „verhaltenen" Optimismus? Mir wäre ein deutlicher Optimismus sehr viel lieber.
Ich erinnere mich noch an die Rede von Frau Professor Männle im letzten Jahr und an das ungute Gefühl, das sie bei mir hinterlassen hat. Frau Männle hat darauf hingewiesen, daß im Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung die Eheschließung mit einem ständigen Verfügungsrecht des Mannes über die Frau gleichgesetzt und daß die Vergewaltigung vom ehelichen Täter daher häufig nicht als Unrecht empfunden würde. Sollte diese damalige Erklärung eigentlich dazu dienen, die angebliche Notwendigkeit einer Anhörung zu untermauern, obwohl es nach dem damaligen richtigen Hinweis des Kollegen van Essen überhaupt keinen Anhörungsbedarf mehr gab?
Damals haben fast alle Koalitionsredner einen ziemlichen Eiertanz aufgeführt. Da wimmelte es nur davon, daß ehelicher Mißbrauch ja „eigentlich" schwerer wiegen würde als außerehelicher, daß die daraus resultierenden Verletzungen ja „sicherlich" gravierend seien. Daß sexuelle Gewalt in der Ehe ein strafwürdiges Unrecht sei, darüber sei man sich ja „im Prinzip einig". Dennoch, das Aber war ganz deutlich zu hören: Aber wir ziehen nicht die Konsequenzen.
Damals haben Sie unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Nun liegt er Ihnen wieder vor. Zumindest scheinen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, heute nicht mehr das Stichwort „kriminologische Indikation" in die Diskussion zu werfen - eine Verknüpfung, die ich im übrigen nie nachvollziehen konnte. Und sollte sie wiederholt werden: Gerade gegen diese unsinnige Verknüpfung
hat ja unser damaliger Kollege Hans de With in der letzten Debatte ausführliche und scharfsinnige Argumente angeführt. Eine Wiederholung erübrigt sich daher.
Eine Streitfrage scheint mir jedoch noch immer die gleiche zu sein: Soll die vergewaltigte Ehefrau ein Strafverfahren aufhalten können, wenn sie denn die Ehe aufrechterhalten will? Wir meinen: nein, lassen aber dem Gericht die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von der Strafe abzusehen, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe oder der eheähnlichen Gemeinschaft geboten erscheint. Die Entscheidung des Gerichts würde sicher durch den Wunsch der Ehefrau, es noch einmal mit dem Partner versuchen zu wollen, und die Einwilligung des Täters in eine Partnerschaftstherapie beeinflußt. Ich habe das Vertrauen in die Gerichte, daß sie mit dieser Möglichkeit richtig umgehen.
Frau Ministerin Nolte, Sie haben die Frage nach dem Vetorecht der Ehefrau mit Ja beantwortet. Zwar sehen Sie die Gefahr, daß der Ehemann Druck auf seine Frau ausüben könnte. Dennoch sind Sie dagegen, daß der Mann auch gegen den Willen der Frau verurteilt wird. Ich meine, es kommt immer auf den Einzelfall an.
Daß auch Druck von anderer Seite kommen kann, haben Sie dabei nicht berücksichtigt. Druck auf die Frau wird auch durch die aktuelle Wohnungsnot ausgeübt, eine Wohnungsnot, die sich unter der Regierungskoalition dramatisch verschärft hat.
Wo soll die mißhandelte und vergewaltigte Frau denn hin, wenn der Mann die Wohnung nicht verläßt? Ist Ihnen bekannt, daß Alleinerziehende in der Regel das Dreifache der Miete als Nettoeinkommen nachweisen müssen, bevor sie einen Mietvertrag erhalten? Unterhaltsansprüche werden hier übrigens nicht angerechnet.
Anders als z. B. in Israel oder Argentinien muß der gewalttätige Ehemann die Wohnung eben nicht zwangsläufig räumen. Deshalb setze ich große Hoffnungen in den Entwurf des Bundesrates - er liegt vor -, der die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung anstrebt. Nach diesem Entwurf soll der Begriff der schweren Härte durch ein Benennen der schutzwürdigen Interessen der Frau und der Kinder ersetzt werden. Bei vorausgegangenen Mißhandlungen soll kraft Gesetzes vermutet werden, daß solche auch weiterhin zu befürchten sind, eine Annahme, die nach Aussage Sachkundiger leider der Realität entspricht.
Äußerer Zwang wird aber auch durch rasche Verschlechterung der finanziellen Lage der Familien auf die Frau ausgeübt, eine finanzielle Misere übrigens, die von der Regierungskoalition ganz offensichtlich billigend in Kauf genommen wird.
Anni Brandt-Elsweier
Denn oft reicht das Familieneinkommen für ein Getrenntleben nicht aus. Unter diesem Druck entscheidet sich die Frau nicht selten für ein Verbleiben in einer Ehe, in der sie sexuelle Gewalt zu erdulden hat. Sie hat Schlichtweg Existenzängste, hat Angst davor, mit ihren Kindern von der Sozialhilfe abhängig zu werden, die ja bekanntermaßen von der Bundesregierung ebenfalls immer weiter gekürzt wird.
In der Debatte des letzten Jahres wurde von den Rednern der Regierungskoalition immer wieder darauf hingewiesen, daß die Frau gerade auch in der Ehe einen besonderen Schutz genieße, daß der eheliche Mißbrauch eben auch deshalb besonders schwer wiege, weil er das Vertrauen der Frau gröblich mißachte. Wenn Sie aber mit mir einig sind, daß die Frau mit dem Ja auf dem Standesamt nicht ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verliert, wenn Sie mit mir einig sind, daß die Ehegemeinschaft vom Grundsatz her auf gleichberechtigte Partnerschaft, auf gegenseitige Liebe und Achtung angelegt ist, dann, meine Damen und Herren, sollte es unter uns eigentlich nicht strittig sein, daß der Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, einen Strafanspruch geltend zu machen, wenn dieser Grundsatz gewaltsam außer Kraft gesetzt wird.
Dieser Verpflichtung darf sich der Staat nicht dadurch entziehen, daß er erst einmal den Strafantrag des Opfers abwartet. Hier muß der Staat von sich aus tätig werden.
Eines lassen Sie mich noch anmerken: Jeder, dem hier für den erzwungenen ehelichen Beischlaf ein niedrigeres Strafmaß vorschwebt als für die außereheliche Vergewaltigung, der entlarvt damit seinen Wunsch, im Grunde alles beim alten belassen zu wollen.
Damit zeigt er auch, daß er traurigerweise nichts begriffen hat.
Vergessen Sie nicht die tragischen Fälle - sie wurden hier schon erwähnt -, in denen der getrennt lebende Ehemann sein angebliches Recht auf Beischlaf, oft einhergehend mit Hausfriedensbruch, gewaltsam und brutal einfordert. Er genießt ebenfalls den Schutz des Strafrechts, d. h. er kann nur wegen Nötigung oder Körperverletzung belangt werden, weil er ja noch verheiratet ist.
Zum Schluß nur noch eine kurze Frage an Sie, Frau Ministerin Nolte: Bedauern Sie es nicht, daß diese Strafrechtsänderung nur deshalb nicht schon unter „bereits erledigt" in dem genannten Bericht an die Vereinten Nationen erscheint, weil ebendiese Änderung von Ihrer Koalition ganz bewußt verzögert wurde?
Ich denke, diese Bundesrepublik hätte es verdient, auf der Seite der Nationen zu stehen, die allen Opfern gleiches Recht sprechen, gleich, ob ihnen außerhalb oder innerhalb der Ehe Gewalt angetan wurde.
Ich danke Ihnen.