Rede von
Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den gesellschaftlichen Befund, der der Bundesratsinitiative zugrunde liegt, dürfen wir uns keine Illusionen machen. Gewaltbereitschaft ist ein gesellschaftliches Phänomen, von dem gerade die Familie nicht verschont bleibt. Man mag zwar im Zweifel sein, ob Aggressivität und Gewalt in der Familie nach Art und Umfang eigentlich neu sind, ob sie nicht vielmehr schon früher in vergleichbarer Weise vorhanden waren und nur unter der Decke einer scheinbaren Familienidylle versteckt worden sind. Sicher aber ist der Umstand, daß die Sensibilität gegenüber Gewaltphänomenen auch in der Familie und damit auch die Bereitschaft, solchen Gewalttätigkeiten mit den Mitteln des Rechts entgegenzutreten, gewachsen sind. Dieser Umstand ist mit der entscheidende Grund dafür, daß wir uns heute mit Gesetzesvorlagen wie dem vorliegenden Entwurf des Bundesrates befassen.
Der Entwurf beschränkt sich auf einen ganz kleinen Ausschnitt familiärer Gewalt und betrifft doch einen Bereich von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Zeiten von Wohnungsknappheit in manchen Regionen spielt die Zuweisung der Ehewohnung noch vor einer Scheidung eine ganz zentrale Rolle. Wer seinen gewohnten Lebensbereich verlassen muß, hat es oftmals viel schwerer, an anderer Stelle und ohne materielle oder psychische Probleme weiterzuleben. Das gilt wohl auch dann, wenn Frauen und Kinder scheinbar geborgen im Frauenhaus Zuflucht finden und sich dort einen neuen, zugleich aber begrenzten Lebensbereich aufbauen müssen.
Deshalb unterstützt die Bundesregierung alle Maßnahmen, mit denen verhindert werden kann, daß die Opfer von Gewalt noch ein zweites Mal zum Opfer werden und auch noch aus ihrem gewohnten Lebensbereich weichen müssen.
Aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung frühzeitig, d. h. einige Zeit vor der niedersächsischen Gesetzesinitiative, mit diesem Problem auseinandergesetzt und die Landesjustizverwaltungen um Stellungnahme gebeten. Die vorliegenden Antworten lassen - das wurde heute schon gesagt - den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Präzisierung des § 1361 b BGB - ganz vorsichtig ausgedrückt - zumindest sehr fraglich erscheinen. Wer Frau und Kind mißhandelt, muß schon nach geltendem Recht die Wohnung verlassen. Auch Unterschlupf im Frauenhaus ist für die Justiz kein Grund, von einer Zuweisung der Ehewohnung abzusehen.
Es spricht nach diesen Berichten alles dafür, daß an dem gegen die Justiz erhobenen Vorwurf, drohender Wohnungsnot für den Ehemann größeres Gewicht beizumessen als den Interessen und dem Wohl von Frauen und Kindern, die in Frauenhäusern unterkommen können, nichts dran ist.
Und doch ist die Bundesregierung der Ansicht, daß uns dies nicht von der Notwendigkeit entbindet, sorgsam zu prüfen, ob die Kriterien der Wohnungszuweisung verdeutlicht werden sollten. Wie so oft im
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Familienrecht muß letztlich auch hier die praktische Bewährung des geltenden Rechts gegen den Signalwert einer besonderen gesetzlichen Klarstellung abgewogen werden.
Was die Erstreckung auf nichteheliche Lebensgemeinschaften angeht, bin ich mit dem Entwurf in der Einschätzung einig, daß wir über eine Erweiterung der bestehenden Schutzmechanismen für diesen Personenkreis ernsthaft nachdenken müssen. Aber der im vorliegenden Gesetzentwurf gemachte Vorschlag ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß.
§ 1361b BGB zielt auf die Übergangszeit bis zur Scheidung ab, mit der dann - in Anwendung der Regelung in der Hausratsverordnung - endgültig über die Wohnung entschieden wird. Für das ehelos zusammenlebende Paar ist aber die Herstellung des Getrenntlebens identisch mit der Scheidung. Die Zuteilung der Wohnung nähme hier also - systemwidrig - den Charakter einer Dauerlösung an. Dies ist natürlich, schon rein praktisch gesehen, mißlich. Denn diese Vorschrift weist kaum das schuld- und sachenrechtliche Instrumentarium auf, um eine Dauerregelung entscheidend abzusichern, gerade auch im Verhältnis zum Vermieter. Deshalb bin ich der Auffassung, daß wir uns angesichts der unterschiedlichen Einschätzungen mit dieser Initiative wirklich in Ruhe beschäftigen sollten.
Vielen Dank.