Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. In der Wirklichkeit aber ist das leider noch lange nicht der Fall. Jahrhundertelang wurden Frauen wie das Eigentum des Mannes behandelt, und sie werden es vielfach heute noch. Und Kindern werden in vielen Bereichen noch keinerlei eigene Rechte zugesprochen.
Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, daß der Mann mit dem Ehevertrag gewissermaßen ein Anrecht auf die Sorge, Zuneigung und Gunst der Frau erworben hätte - auch in körperlicher Hinsicht. Ich zitiere etwa aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1967: - BGH, NJW 1967, 1079 -:
Die Ehe ist Geschlechtergemeinschaft und verpflichtet zum ehelichen Verkehr ... nicht in Gleichgültigkeit oder indem Widerwillen zur Schau getragen wird.
Wo solcher Geist noch herrscht, da sind Reformen dringend nötig. Gewalt in der Ehe ist - das wissen wir - beileibe kein Kavaliersdelikt.
Wir wissen auch, daß die gesellschaftliche Gewalt, die wir alle in diesem Haus immer wieder in großen Debatten beklagen, zu allergrößten Teilen eben nicht ein Phänomen zwischen Fremden ist, sondern daß die allermeisten Delikte Beziehungsdelikte sind: Tatort sind oft die Familien oder die Partnerbeziehungen. Das heißt: Ehe ein Skinhead in der U-Bahn einen Fahrgast verprügelt, haben in den umliegenden Schlaf- und Wohnzimmern schon hunderte Ehemänner ihre Frauen und Kinder gedemütigt, mißhandelt und geschlagen. Das zeigen uns die Fallzahlen. So ist - leider - die gesellschaftliche Realität in unserem Land.
Der Gesetzgeber hat hier allzu lange tatenlos zugeschaut.
Es ist dann übrigens ein Verdienst der GRÜNEN gewesen, diese Diskussion überhaupt begonnen zu haben. Manche Kolleginnen und Kollegen im Haus werden sich noch erinnern, als Waltraud Schoppe 1983 hier zum ersten Mal „Gewalt in der Ehe" auf
Gerald Häfner
I die Tagesordnung brachte und damit in ein Wespennest stach. Da erlebte das Hohe Haus wahrlich seinen Tiefpunkt. Auch heute noch sind - ich denke an Herrn von Stetten - ähnliche Äußerungen zu hören.
Auch der heutige Gesetzentwurf geht wieder auf eine Initiative der GRÜNEN zurück, die wir über Niedersachsen in den Bundesrat eingebracht haben und die dort einstimmig angenommen wurde. Ich bin etwas irritiert und enttäuscht über die Töne, die jetzt aus den Koalitionsfraktionen hörbar geworden sind, und hoffe sehr, daß wir in den Beratungen etwas detaillierter und sensibler an die Sache herangehen können; denn ich glaube, daß hier dringend Handlungsbedarf besteht.
Die jetzige Regelung des § 1361b BGB setzt für die Frauen die Hürde, nach Mißhandlungen und Gewalt nicht auch noch ihre Wohnung verlassen zu müssen, viel zu hoch. Die Realität - Frau von Renesse hat das deutlich gemacht - ist doch heute meistens die: Der Stärkere setzt sich durch, die Frau und mit ihr in der Regel die Kinder weichen der Gewalt, müssen die Wohnung verlassen, gehen ins Frauenhaus.
Hier schlägt also eine Errungenschaft der Frauenbewegung inzwischen gegen die Frauen zurück. Immer häufiger wird entschieden: Es gibt ja das Frauenhaus, also hat die Frau eine Zufluchtsmöglichkeit.
Nein, wir wollen, daß im Regelfall das Opfer und nicht der Täter geschützt wird und daß der Täter die Folgen zu tragen hat, d. h., daß die Frau in der Wohnung bleiben kann. Deshalb ist hier eine Änderung dringend geboten.
Die hohe Hürde im geltenden Recht, also in § 1361 b BGB, war gewollt - ich zitiere aus der Begründung -:
Um ehefeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken und einem Mißbrauch durch verfrühte Inanspruchnahme des Gerichts schon bei jedweder sich anbahnenden Ehekrise vorzubeugen, ist die Eintrittsschwelle bewußt hoch angesetzt worden.
Das führt dann aber dazu, daß z. B. das Kammergericht Berlin in einem Fall nachgewiesener Gewalt gegen eine Frau entschieden hat, es handele sich zwar unstreitig um Formen von Gewalt, die seien aber „nicht so schwer", sondern - ich zitiere - „eher normale Formen" von Gewalt und müßten deshalb hingenommen werden. Wenn die Frau das nicht hinnehmen wolle, habe sie eben die Wohnung zu verlassen.
Dies alles heißt, daß eine Änderung des geltenden Rechtes im Interesse der Betroffenen dringend nötig ist. Es ist nötig, auf den Schutz der Person abzustellen und nicht einen unbestimmten Rechtsbegriff wie „schwere Härte" in den Mittelpunkt zu stellen. Daneben ist es unerläßlich, vor allen Dingen auch das Kindeswohl einzubeziehen, das bisher immer unter den Tisch gefallen ist. Drittens ist es nötig, auch nichteheliche Lebensgemeinschaften einzubeziehen. Denn die Realität in unserem Land ist so, daß es immer mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften gibt. Hier ist die Gewalt genauso ein Tatbestand, ein Phänomen wie in der Ehe auch. Die Opfer bedürfen
desselben Schutzes und müssen gerade in diesem Bereich dieselben Rechte genießen, wenn es eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft ist und dieselben Gründe vorliegen.
All das sind Änderungen, die wir für nötig halten. Wir halten weiterhin eine Beweiserleichterung - allerdings nicht eine Beweislastumkehr - für nötig, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist.