Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Vor zwölf Jahren stand hier meine Kollegin Waltraud Schoppe und brachte den ersten „grünen" Gesetzentwurf zur Änderung der Strafrechtsparagraphen 177 bis 179 ein. Als sie davon sprach, Vergewaltigung sei ein Mord an der Seele der Frau, erntete sie insbesondere bei Ihnen, meine Herren bei der CDU/CSU, Unverständnis und Hohngelächter. Der F.D.P.-Abgeordnete Kleinert - leider ist er heute nicht da - definierte damals das eheliche Gewaltproblem gar als ein rein grünes, das bei vollem Bewußtsein mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun habe. Zwei Jahre später setzte ein Kieler Rechtsprofessor dieser Debatte noch eine wissenschaftliche Krone auf - ich zitiere -:
Eine Vergewaltigung in der Ehe kann es gar nicht geben, weil sich die Ehefrau mit dem Ja-Wort zum Beischlaf verpflichtet hat.
Wenn ein Mann sein so definiertes Recht mit Gewalt durchsetzt, handelt er nach Meinung des Juristen in Notwehr. Daß in dieser Zeit zahlreiche Frauenhäuser und Notrufstellen für vergewaltigte Frauen eingerichtet wurden, haben diese Herren offensichtlich erfolgreich verdrängt.
Sie verdrängen auch, daß Tag für Tag in der Bundesrepublik Deutschland fast 100 Frauen vergewaltigt werden. Nach Schätzungen von Justiz und Polizei liegt die Dunkelziffer bei 35 000 Vergewaltigungen im Jahr. Dabei wird nur ein Bruchteil dieser Verbrechen angezeigt. So weist die 93er Kriminalstatistik 6 376 Fälle auf. Es ist ein Verdienst der Frauenbewegung, daß Ausmaß und Umfang der männlichen Gewalt gegen Frauen enttabuisiert und öffentlich diskutiert werden.
Seit 1983 setzen sich die GRÜNEN im Bundestag dafür ein, sexuelle Gewalt innerhalb der Ehe ebenso zu bestrafen wie außerhalb. Sowohl im Parlament als auch außerparlamentarisch haben wir zu einem gesellschaftlichen Bewußtseinswandel beigetragen.
Irmingard Schewe-Gerigk
Öffentliche Entgleisungen wie die des Kieler Rechtsprofessors sind heute kaum noch vorstellbar. Es ist an der Zeit, daß das bundesdeutsche Parlament nach mehr als 20 Jahren Diskussion den meisten unserer europäischen Nachbarländer folgt und entsprechende gesetzliche Vorschriften erläßt.
Es gibt keinen Grund, verheiratete Frauen rechtlich schlechter zu stellen als unverheiratete. Es scheint in diesem Hause eine Mehrheit dafür zu geben, Gewalt in der Ehe nicht länger als Kavaliersdelikt abzutun - eine Mehrheit, die weiß, daß das geltende Recht für Frauen Unrecht ist. Um so wichtiger ist es, in diesem Gesetzgebungsverfahren eine Rechtsnorm zu schaffen, bei der die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche und seelische Integrität insbesondere von Frauen geschützt werden. In kaum einem anderen Rechtsbereich klaffen Schutzzweck und Rechtswirklichkeit so weit auseinander.
Bei der Neuregelung der §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuchs bewegen wir uns nicht in einem neutralen Raum, sondern in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext und Wertesystem. Ansichten wie „Frauen wollen erobert werden", „wenn eine Frau nein sagt, meint sie eigentlich ja", „Männer haben nun einmal einen starken Sexualtrieb, deshalb müssen Frauen aufpassen, dürfen sie nicht provozieren" existieren trotz des allgemeinen Bewußtseinswandels in manchen Köpfen immer noch.
Die Erweiterung der genannten Strafrechtsparagraphen auf den ehelichen Bereich ist daher längst überfällig. Es darf nicht sein, daß Frauen mit dem Trauschein den Schutz des Strafrechts verlieren.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Sexualstrafrechtsreform ist die Neufassung des Straftatbestandes. Das Prinzip der Rechtsgleichheit gebietet die Gleichsetzung des oralen und des analen Geschlechtsverkehrs mit dem vaginalen. Wir wollen die gerechte Bestrafung der Person, die eine andere gegen ihren Willen oder durch Drohung zum Geschlechtsverkehr nötigt. Gleiches soll gelten, wenn die Tat mittels Gegenständen oder durch sexuelle Handlungen begangen wird, die das Opfer in besonderer Weise erniedrigen oder demütigen.
Beim Strafmaß darf es unserer Meinung nach keine Rolle spielen, ob der Täter der Ehemann, der Freund, der Freier oder der völlig unbekannte Mann auf der Straße ist. Wir fordern ebenso wie der Strafverteidigertag die Streichung des sogenannten minder schweren Falles bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Für diesen Fall sieht das Gesetz bekanntlich ein minderes Strafmaß vor.
In der Rechtsprechung finden die Regelungen des minder schweren Falles Anwendung, wenn es sich um eine sogenannte Beziehungstat handelt. Also nicht die Tat, sondern das Vorleben der Frau spielt beim Strafmaß eine Rolle. In solchen Fällen schreiben Gerichte Frauen eine Mitschuld zu, wenn sie mit dem Täter bekannt oder befreundet waren bzw. auf Grund ihrer äußeren Erscheinung oder ihres Verhaltens oder Berufs „die Vergewaltigung provoziert" haben. Müßte da nicht zwangsläufig jede Vergewaltigung in der Ehe als klassische Beziehungstat ein minder schwerer Fall sein? Ich sage: Nein. Gerade eine Vergewaltigung in der Ehe verletzt in hohem Maße das Vertrauensverhältnis zum Partner. Eine Frau empfindet das Verbrechen dann besonders verwerflich, wenn der eigene Lebensgefährte der Täter ist, der ihr Vertrauen schamlos mißbraucht. Wenn es somit einen minder schweren Fall von Vergewaltigung in der Realität nicht gibt, so kann es auch kein minderes Strafmaß geben.
Ich komme zum Gesetzentwurf des Bundesrates. Hier schließe ich mich der Kritik der Justizministerin an, daß der Straftatbestand im Bundesratsentwurf zu eng gefaßt ist. Eine Bestrafung des Täters kann demnach nicht erfolgen, wenn die Frau aus Angst vor der Gewalt des Mannes dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen läßt und keine körperliche Gegenwehr zeigt.
Der im Bundesratsentwurf den §§ 177 und 178 neu angefügte Abs. 4 sieht vor, daß das Gericht die Strafe mildern oder von einer Strafe absehen kann, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung ehelicher Bindungen geboten ist. Wir lehnen diese sogenannte Versöhnungsklausel ab, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Jede Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung und muß als solche mit gleicher Strafandrohung für Beziehungstäter wie für Nichtbeziehungstäter unter Strafe gestellt werden; sonst hätte die von allen Parteien geforderte Streichung des Wortes „außerehelich" in den §§ 177 bis 179 StGB seine Wirkung völlig verfehlt.
Zweitens. Diese Versöhnungsklausel ist einmalig im Strafrecht. Nirgendwo ist die Strafverfolgung von der Beziehung der Betroffenen abhängig. Immer wird die Tat als solche verfolgt. Die Aufrechterhaltung einer Ehe kann doch kein Maßstab für die Bestrafung eines Täters sein. Und welches Vertrauen soll eine vergewaltigte Frau in die Gerichte haben, wenn nicht ihr Recht im Mittelpunkt steht, sondern es vielmehr darum geht, die Beziehung zu kitten?
Ich glaube, daß keiner Frau die Strafanzeige leichtfällt. Wenn eine Ehefrau ihren Mann wegen Vergewaltigung anzeigt, dann ist die Ehe bereits zerstört. Das zeigen alle Untersuchungen. Abzuwarten wäre nun, wie viele Frauen gleichzeitig mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung die Scheidung einreichen.
In dem vorliegenden SPD-Entwurf wurde der Kritik der Justizministerin bereits Rechnung getragen. Der Gewaltbegriff ist durch die Einbeziehung des Straftatbestandes „Ausnutzung einer hilflosen Lage", d. h. ohne körperliche Gegenwehr, erweitert worden.
Irmingard Schewe-Gerigk
Die Beibehaltung des minder schweren Falles und der Versöhnungsklausel kritisieren wir hier ebenso wie im Bundesratsentwurf.
Der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf der PDS kommt uns Bündnisgrünen in vielen Passagen bekannt vor. Einen positiven neuen Aspekt möchte ich hier jedoch besonders erwähnen, nämlich das gleiche Strafmaß in den §§ 177 und 179. Das bedeutet eine Gleichstellung des sexuellen Mißbrauchs und der Vergewaltigung Widerstandsunfähiger mit anderen. Auch ich sehe es als eine Diskriminierung an, wenn die Vergewaltigung einer behinderten Frau mit einem geringeren Strafmaß geahndet wird als die einer sogenannten Nichtbehinderten.
Der Presse ist zu entnehmen, daß die Justizministerin ebenfalls eine Änderung des Strafrechts der §§ 177 bis 179 beabsichtigt, indem die Zusammenlegung der bisher getrennten Strafrechtsparagraphen über sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vorgesehen ist. Wir sehen hierin die Gefahr, daß die Gerichte eine Vergewaltigung dadurch mit einem niedrigeren Strafmaß als bisher ahnden werden. Leider haben die Mitglieder dieses Hohen Hauses diesen Entwurf offiziell noch nicht gesehen. Ich hoffe aber sehr, daß dieses ernste Thema nicht nur als liberales hessisches Wahlkampfmäntelchen mißbraucht wurde.
Von der CDU ist zu hören, daß sie einen Sonderstraftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe schaffen will, als besonders schweren Verstoß der gesetzlich geschützten Ehe. Allerdings soll dabei gleichzeitig das Verbrechen dadurch entschärft werden, daß es ein Antragsdelikt darstellt, d. h. daß die Strafverfolgung nur auf Antrag der Frau durchgeführt wird.
Das ist eine unnötige Abschwächung des Gesetzes. In der Praxis steht es der Ehefrau vor Gericht frei, eine Aussage zu machen oder nicht. Wenn es also in ihrem eigenen Interesse liegt, kann sie immer noch von dem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, verfahren nach dem Motto: Wo keine Klägerin, da kein Richter.