Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich bedaure und finde es auch bedenklich, daß wir heute nicht über einen Gesetzentwurf beraten können, der zwar der gesamten Presse zugegangen ist und den nicht irgend jemand rein zufällig erwischt hat, der aber dem Parlament nicht vorliegt. Ich meine Ihren Entwurf.
Ich begrüße jedoch diesen sogenannten nicht vorhandenen Entwurf insoweit, als er schon eine interessante Wirkungsgeschichte hinter sich hat. Der bayerische Justizminister Leeb mußte seine Meinung innerhalb einer Woche aus Parteiräson zurückziehen. Angeblich möchte er nun ebenfalls keinen Unterschied mehr machen zwischen einer Vergewaltigung in der Ehe und einer außerhalb. Immerhin ein kleiner Lernprozeß!
Sicher haben aber auch die fünfmalige Einbringung unseres Entwurfs und die zwanzigjährige Debatte und Vorarbeit dazu beigetragen, daß hier jetzt endlich ein Bewußtseinswandel eintritt. Ich hoffe, daß der Wirbel um den nicht vorliegenden Entwurf aus dem Hause der Justizministerin jetzt nicht nur - ich muß es noch einmal sagen - zum Wahlkampfgetöse gehört; denn so zufällig ist es doch nicht - ich glaube, das können Sie keinem in diesem Haus verkaufen -, daß er gerade jetzt vorliegt. Aber ich habe die Hoffnung, wir können das schreckliche Kapitel der Vergewaltigung in dieser Legislaturperiode nun endlich gemeinsam gesetzgeberisch zu Ende brin-
Hanna Wolf
gen. Ich schlage Ihnen vor, Sie nehmen den Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion als Grundlage der Beratungen und ersparen den Frauen jede weitere Verzögerung.
Ein Verfahren wie in der letzten Legislaturperiode, in der nach der ersten Lesung die entscheidende zweite und dritte immer wieder hinausgeschoben wurde, um dann schließlich durch einen Verfahrenstrick die Schlußabstimmung zu verhindern, darf sich nicht wiederholen.
Die Bundesregierung ist inzwischen sogar schon von der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Gewalt gegen Frauen, Radihika Coosmaraswany, aufgefordert worden, den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der verheirateten Frauen in Deutschland genauso gesetzlich zu gewährleisten wie den der unverheirateten. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, das nicht durch den Stand der Ehe verkürzt werden kann. Sonst würden Sie ja die Ehe in die Nähe der Sklaverei bringen.
Seit der großen Eherechtsreform von 1976 gibt es keinen Anspruch des Ehemanns auf die sexuelle Hingabe seiner Frau mehr. Mit dieser Eherechtsreform war der Auftrag des Grundgesetzes von 1949 zur Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Familie endlich rechtlich erfüllt. Daß aber die unterschiedliche Rechtslage zur Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe so lange parlamentarisch nicht geregelt werden konnte, ist nicht zu begreifen. Daß dies nicht das Verfassungsgericht auf den Plan gerufen hat, ist ebenfalls bezeichnend für die partriarchale Struktur unserer Gesellschaft. Dazu paßt, daß selbst einige Richter, wie man aus Leserbriefen in den Zeitungen entnehmen kann, heute immer noch glauben, sexuelle Hingabe gehöre zu den ehelichen Pflichten der Frau. Um Ihre Worte aus einem Hamburger Magazin aufzunehmen, Herr Eylmann: Ich habe keine Nachsicht mehr mit den Männern, die immer noch keine Einsicht haben. Auf die Bewußtseinsänderung dieser Minderheit können wir nicht mehr warten.
Es sind in diesem Punkt jedoch nicht alle Männer Bremser, wie wir wissen. Die SPD-Fraktion arbeitet schon seit 20 Jahren an einer solchen Regelung. Hier möchte ich einmal ganz ausdrücklich unserem langjährigen Kollegen Hans de With danken, der sich wirklich unermüdlich dafür eingesetzt hat.
Meine Damen und Herren, eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welchem Verhältnis die betroffenen Personen zueinander stehen. Und eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welcher Form sie stattfindet.
Herr Eylmann, Sie haben vor zwei Jahren anläßlich der ersten Lesung unseres damals zum viertenmal eingebrachten Entwurfs folgendes gesagt - ich zitiere -:
Das beunruhigend Gefährliche sexueller Aggression liegt gerade darin, daß sie sich gegen ein Objekt richtet, das der Täter nicht verachtet, sondern zu dem er sich hingezogen fühlt und das er besitzen möchte.
Herr Eylmann, Vergewaltigung hat so gut wie nichts mit sexueller Befriedigung und schon gar nichts mit Liebe zu tun, wohl aber mit Besitz. Da haben Sie recht. Es ist das Drama von Dominanz und Unterwerfung. Der Vergewaltiger versichert sich seines vermeintlichen Eigentums - Sie nennen das wohl „sich hingezogen fühlen" -, bzw. er eignet sich das vermeintliche Eigentum eines anderen an. Der Bogen reicht von der Vergewaltigung im Krieg bis zur Vergewaltigung in der Ehe. Sie können es auch einen Anfall von Versklavungsversuch nennen.
75 % der heute schon als Vergewaltigung gewerteten Taten sind Beziehungstaten, d. h. der Täter ist der Frau bekannt. Soll die Tat etwa weniger schwer wiegen, wenn sie durch den eigenen Ehemann geschieht? Bei früheren Debatten, Herr Eylmannn, haben Sie, Herr Engelhard und Frau Männle, schon angedeutet, daß diese Vergewaltigung sogar schwerer wiegen müßte, weil das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Eheleuten mißbraucht werde.
Ich habe Ihnen darin immer recht gegeben. Ich finde es nur sehr bedenklich: Sie haben hier sehr engagierte Reden dazu gehalten, sind aber leider nicht tätig geworden. Deswegen müssen wir es heute wieder behandeln.
Meine Damen und Herren, wir fordern keine Erhöhung des Strafmaßes bei Vergewaltigung. Wir fordern aber, daß Vergewaltigung nicht als sexuelle Nötigung behandelt wird. Vergewaltigung ist jede Form von Penetration gegen den Willen des Opfers. Und das ist ein Verbrechen. Es darf weiterhin nicht unter zwei Jahren bestraft werden. So sieht es unser Gesetzentwurf vor.
Die Justizministerin will das aber nur im Regelfall. Die Regel läßt Ausnahmen zu, und davon machen Richter - gerade wenn es um Sexualdelikte geht -nur zu gerne Gebrauch. Das geht mit uns nicht.
Vor allem darf nicht mehr mit der Bewertung als sogenannter minder schwerer Fall Schindluder getrieben werden. Ein Mann, der sich darauf beruft, daß er vorher getrunken habe, handelt höchstens noch vorsätzlich. Ein Mann, der angibt, er sei sexuell gereizt worden, beruft sich auf die Mär von den unkontrollierbaren Trieben und nicht auf menschliche Formen des Zusammenlebens.
Da Richter in der Vergangenheit schon gern die Definition des minder schweren Falles angewandt haben, wäre es geradezu in wörtlichem Sinne fatal, nun auch noch über eine einheitliche Bewertung von Vergewaltigung und sexueller Nötigung das Mindeststrafmaß nach unten zu verlegen. Das würde den Skandal weiter fortsetzen, daß bei uns Eigentumsde-
Hanna Wolf
likte höher bestraft werden als Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit.
Im übrigen muß noch viel getan werden, um Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Richter und Justizvollzugsanstalten in der Erkennung und adäquaten Bewertung von Vergewaltigung zu schulen. In meinem Wahlkreis sind anläßlich eines aktuellen Falles bei den Bürgerinnen und Bürgern schwere Zweifel entstanden.
Aber vielleicht ist die Handhabung des Vergewaltigungsparagraphen auch von Bundesland zu Bundesland verschieden. Möglicherweise besteht da in Bayern noch spezieller Aufklärungsbedarf. Auch die Justiz unter einem Justizminister Leeb muß wohl umdenken. Ich bin nicht mit den Vorstellungen von Minister Leeb einverstanden, der die sicherlich zusätzlichen nötigen therapeutischen Maßnahmen als Familientherapie gestalten will. Warum soll sich immer die Familie, d. h. die Frau, an dem Täter abarbeiten? Hier ist in jedem Fall Tätertherapie angesagt.
Meine Damen und Herren, es reicht nicht, daß wir Gewaltverbrechen gegen Frauen nur in anderen Ländern anklagen. Wir müssen vor unserer eigenen Türe kehren. Es ist schon so oft darauf hingewiesen worden, daß wir in Europa das Schlußlicht sind. Auch die USA haben schon längst eine Strafgesetzgebung dafür. Hier ist schon lange Handlungsbedarf. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, auch von Frauen, also auch von Ehefrauen.