Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, begrüßen den Vorschlag des Bundesrates, endlich einmal eine, wenn auch nur geringfügige Entkriminalisierung vorzunehmen. Dies hebt sich wohltuend von der Neigung der Bundesregierung ab, immer neue Strafverschärfungen in die Debatte zu bringen. Seit Jahren versucht die Regierung, mit dem Drehen an der Strafrechtsschraube von gesellschaftlichen Mißständen abzulenken.
Da kann es nicht verwundern, daß die Justizministerin selbst einen derart abgespeckten Gesetzentwurf ablehnt, der endlich einmal die Rechtswirklichkeit berücksichtigen und die Justiz tatsächlich entlasten würde.
Wie lange wollen Sie denn noch kriminelle Karrieren fördern, indem Sie kleine Ladendiebe oder Schwarzfahrer ins Gefängnis stecken, wo diese dann mit den richtig „schweren Jungs" in Kontakt kommen? Ja, es gibt sie, die Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer. Immerhin 630 Menschen wurden beispielsweise im Jahr 1992 wegen Erschleichens von Leistungen - und das meint in der Regel Schwarzfahren - zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Meine Damen und Herren, über das Schwarzfahren wird nicht das erste Mal diskutiert. Die hessische Strafrechtskommission will nur noch die Beförderungserschleichung gegenüber einer Kontrollperson bestrafen. Die niedersächsische Strafrechtskommission hatte bereits vor drei Jahren empfohlen, § 265a StGB ganz zu streichen.
Wie auch immer, alle Vorschläge weisen zu Recht darauf hin: Weder die Begehung der Tat noch das Verhalten der Verkehrsunternehmen oder das Ausmaß des Schadens rechtfertigen es, Schwarzfahren weiterhin als kriminelles Unrecht zu behandeln.
Worin liegt denn heutzutage das Erschleichen, also das heimliche, listige, täuschende Handeln, wenn offene Bahnsteige und Verkehrsmittel zur Fahrt ohne jede Kontrolle einladen?
Wir alle kennen die beträchtliche Mühe, die einige Oberlandesgerichte aufwenden mußten, um das einfache Mitfahren ohne Fahrschein unter diesen Umständen als Straftatbestand nach § 265 a StGB zu beurteilen.
Wir halten das Strafrecht als Ultima ratio in diesen Fällen des Ausnutzens einer fehlenden Kontrolle für eine viel zu scharfe Reaktion.
Ohnehin wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Stellen Sie sich vor, jemand hält sich an das F.D.P.-Motto „Freie Fahrt für freie Bürger" und erschleicht sich eine Schwarzfahrt in der Straßenbahn. Dann drohen Sie ihm mit der Strafrechtskeule. Wenn ein Autofahrer falsch parkt, ist das nur eine Ordnungswidrigkeit, egal, wie listig er sich den verbotenen Parkraum auch erschlichen haben mag.
Der Schaden sieht nur auf den ersten Blick beträchtlich aus. Schätzungen gehen von der beachtlichen Dunkelziffer von etwa 40 Millionen Schwarzfahrten pro Jahr aus. Dreistellige Millionenbeträge, die den Verkehrsbetrieben dadurch verlorengehen sollen, erscheinen nicht zu hoch gegriffen. Schaut man aber genauer hin, wird klar: Ein Großteil der Schäden wird durch die Einnahmen in Form des erhöhten Beförderungsentgelts kompensiert, das erwischte Sünder zahlen müssen.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Der Hamburger Verkehrsverbund schätzte die hierdurch entstehenden jährlichen Verluste Mitte der 80er Jahre auf bis zu 10 Millionen DM, hatte aber durch das erhöhte Beförderungsentgelt Einnahmen in etwa gleicher Höhe.
Auch wir wollen das Schwarzfahren nicht sanktionslos stellen, sondern es zu einer bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeit machen. Wenn jemand allerdings aus sozialer Not schwarzfährt, dann darf man ihn nicht mit einem Bußgeld belegen. Das hieße nämlich in der Tat, Armut zu bestrafen.
Zum Bereich der Bagatelldelikte gehört wesentlich mehr als Schwarzfahren. Wir werden demnächst eine parlamentarische Initiative einbringen, die auch den Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins zum Ladendiebstahl aufgreift. Wir halten eine Entkriminalisierung der Bagatelldelikte für überfällig. Es muß endlich Schluß sein damit, daß man ständig mit Kanonen auf Spatzen schießt.