Rede von
Prof. Dr.
Jürgen
Meyer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Geis hat das geltende Recht zu verteidigen versucht und um Verständnis dafür geworben mit der Bemerkung, daß Vergewaltigung nicht nur vor der Ehe, sondern auch nach der Eheschließung, wenn auch nach anderen Normen, strafbar sei. Dazu stelle ich fest:
Erstens. Sie haben überhaupt keinen Anhaltspunkt und erst recht kein Argument dafür geliefert, daß das Delikt, wenn es nach der Eheschließung begangen wird, drastisch nach unten gestuft und lediglich zu einem Vergehen gemacht wird. Die englischen Richter, die in den vergangenen Jahrhunderten auf die Vertragstheorie hingewiesen und gesagt haben, nun ginge es um Vertragserfüllung, haben wenigstens noch den Versuch gemacht, ein Argument zu finden. Das hat sich als vorgestrig erwiesen. Das sollte man heute auch klar feststellen.
Zweitens. Wenn Sie sagen, es komme nicht darauf an, nach welchen Normen bestraft werde, dann müßten Sie konsequent sein und sagen, eigentlich könnte man das gesamte Strafgesetzbuch durch folgenden Paragraphen ersetzen: „Wer sich nicht anständig verhält, wird bestraft."
Daß dieses u. a. dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot widerspricht, dürfte zwischen uns nicht streitig sein.
Drittens. Herr Kollege Geis, Sie haben sich sehr kritisch zu Kommunen und alternativen Lebensformen geäußert. Ich bleibe einmal in der Logik Ihrer
Äußerungen und stelle fest: Frauen, die in den von Ihnen als so kritisch angesehenen Lebensformen leben, werden durch den Strafgesetzgeber viel besser geschützt als Ehefrauen. Das kann man doch im Ernst nicht verteidigen.
Schließlich, Herr Kollege Geis, bitte ich Sie herzlich, sich einfach einmal mit der Entwicklung in den Rechtskreisen der Welt vertraut zu machen. Überall wird die Frage der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zunehmend geradezu als Testfrage für den Entwicklungsstand der Rechtskultur angesehen. Diese Entwicklung gibt es im nordischen und im angloamerikanischen, ja sogar im islamischen Rechtskreis. Ich bitte Sie herzlich, dieses zu berücksichtigen. Wir befinden uns nicht auf einer Insel, sondern mitten in der Rechtskultur dieser Welt, und dem sollten wir Rechnung tragen.