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ID1302204800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (§§ 177 bis 179, 184c StGB) (Drucksache 13/199) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts - §§ 177 bis 179, 184c StGB (Drucksache 13/323) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (§§ 177 bis 179 StGB) und strafprozessualer Regelungen bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen (Drucksache 13/536) Erika Simm SPD 1523 B Horst Eylmann CDU/CSU 1526 D Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 1527 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 1528 C Christina Schenk PDS 1530 D Freimut Duve SPD 1532 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1532 D Erika Simm SPD 1533 D Hanna Wolf SPD 1534 D Norbert Geis CDU/CSU 1536 B, 1539 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 1536 C Margot von Renesse SPD 1537 D Hanna Wolf SPD 1538 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 1539 A Heinz Lanfermann F.D.P 1540 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1541 C Anni Brandt-Elsweier SPD 1542 C Bärbel Sothmann CDU/CSU 1544 C Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 1545 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Drucksache 13/374) Alfred Hartenbach SPD 1547 B Norbert Röttgen CDU/CSU 1549 A Otto Schily SPD 1549 C Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 1550 B Alfred Hartenbach SPD 1551 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1552 A Jörg van Essen F.D.P. 1552 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 1554 A Jörg van Essen F.D.P. 1554 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1554 D Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes fiber die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung (Drucksache 13/196) Wolfgang Bosbach CDU/CSU 1555 D Margot von Renesse SPD 1556 D Heinz Lanfermann F.D.P 1557 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1558 C Christina Schenk PDS 1559 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1560 C Nächste Sitzung 1561 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1563* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1563* C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 1523 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bachmaier, Hermann SPD 17. 02. 95 Berger, Hans SPD 17. 02. 95 Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 17. 02. 95 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 17. 02. 95 Hartmut Dörflinger, Werner CDU/CSU 17. 02. 95 Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 17.02. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Graf von Einsiedel, PDS 17. 02. 95 Heinrich Fuchs (Köln), Anke SPD 17. 02. 95 Dr. Gysi, Gregor PDS 17. 02. 95 Hacker, Hans-Joachim SPD 17. 02. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 17. 02. 95 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 17. 02. 95 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17. 02. 95 Dr. Heuer, Uwe-Jens PDS 17. 02. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 17. 02. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 17. 02. 95 Jelena Dr. Jacob, Willibald PDS 17. 02. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 17. 02. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Kraus, Rudolf CDU/CSU 17. 02. 95 Lamers, Karl CDU/CSU 17. 02. 95 Dr. Leonhard, Elke SPD 17. 02. 95 Louven, Julius CDU/CSU 17. 02. 95 Meckel, Markus SPD 17. 02. 95 Reschke, Otto SPD 17. 02. 95 Scheffler, Siegfried SPD 17. 02. 95 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17. 02. 95 Hans Peter Frhr. von Schorlemer, CDU/CSU 17. 02. 95 Reinhard Schumann, Ilse SPD 17. 02. 95 Seiters, Rudolf CDU/CSU 17. 02. 95 Terborg, Margitta SPD 17. 02. 95 Tippach, Steffen PDS 17. 02. 95 Titze-Stecher, Uta SPD 17. 02. 95 Vergin, Siegfried SPD 17. 02. 95 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Wallow, Hans SPD 17. 02. 95 Welt, Jochen SPD 17. 02. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 17. 02.95 Heidemarie Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Drucksache 13/218 Nr. 12 Drucksache 13/218 Nr. 14 Der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlage absieht, da der Rat der Europäischen Union bereits seinen Beschluß gefaßt hat: Drucksache 13/218 Nr. 105 Der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Drucksache 13/265 Nr. 1.34
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    Rede von Claudia Nolte


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Daß Frauen, Männer und Kinder dies in der Familie erfahren, ist entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft. Es gehört zur Lebenswirklichkeit, daß solch ein harmonisches Familienleben nicht immer gelingt. Es ist mit das Schlimmste, wenn Vertrauen mißbraucht und damit zerstört wird. Leider müssen wir beobachten, daß es auch in der Familie zu Streit und Auseinandersetzungen, zu Gewalt sowohl gegenüber den Kindern als auch zwischen den Eheleuten kommt. Wir wissen, daß dies zu schweren menschlichen Schicksalen führen kann. Wenn wir zulassen, daß Schutzbedürftige gerade in der Familie schutzlos sind, zerstören wir ein Stück weit die Familien. Zu lange war die Problematik Gewalt in der Familie tabuisiert. Es ist notwendig, daß wir darüber reden, daß wir Gewalt anprangern und ein Bewußtsein dafür schaffen, daß kein Familienmitglied Objekt eines anderen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ist man sich der Probleme bewußt, kann man auch Hilfen anbieten. Es hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von Maßnahmen gegeben, die den Kampf gegen die Gewalt in der Familie zum Ziel hatten. Mit den Kampagnen „Keine Gewalt gegen Kinder" und „Gewalt gegen Frauen" hat mein Ministerium versucht, auf Mißstände aufmerksam zu machen, auf Gefährdungen hinzuweisen und für die Problematik zu sensibilisieren.
    Es existieren inzwischen 340 Frauenhäuser in unserem Land. Selbsthilfegruppen, Notrufdienste und Kontaktstellen leisten praktische Hilfe vor Ort. Daneben müssen wir aber auch immer prüfen, inwieweit unser Rechtssystem geeignet ist, . die bestehenden Mißstände zu bekämpfen. In der letzten Legislatur-

    Bundesministerin Claudia Nolte
    periode haben wir gemeinsam eine gesetzliche Verschärfung im Strafrecht bei sexueller Gewalt gegen Kinder vorgenommen. Es ist nicht hinzunehmen, daß das Verbrechen der Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand ist, obwohl gerade dieses auf Grund der Zerstörung und des Mißbrauchs einer engen Beziehung besonders schwerwiegend ist. Die irrige Meinung, bei einer Vergewaltigung in der Ehe hole sich der Mann nur, worauf er durch Eheschließung ein Recht habe, mag althergebrachten Vorstellungen sogenannter ehelicher Pflichten entsprochen haben, aber sie ist mit unserem Verständnis vom sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht vereinbar. Dieses gibt sie mit der Eheschließung nicht auf.
    Die Notwendigkeit, der Frau in der Ehe denselben strafrechtlichen Schutz vor einer Vergewaltigung zu gewähren wie außerhalb der Ehe, ist in diesem Hause unbestritten. Das hat diese Debatte gezeigt. Bereits in der letzten Legislaturperiode haben die Bundestagsausschüsse für Familie und Senioren und für Frauen und Jugend festgestellt, daß das geltende Recht Ehefrauen benachteiligt, indem es ihnen eine Handhabung gegenüber sexuellen Übergriffen in der Ehe verweigert. Ich zitiere:
    Es schadet der Institution Ehe nicht, wenn sexuelle Übergriffe als Vergehen und Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung verfolgt werden können. Vielmehr dient es dem Erhalt der Ehe, wenn das weitverbreitete Mißverständnis beseitigt wird, in der Ehe gebe es keine sexuelle Selbstbestimmung, und die gewaltsame Durchsetzung sexueller Beziehungen sei erlaubt.
    Wir müssen jetzt im Interesse der Frauen handeln. Der Straftatbestand „Vergewaltigung in der Ehe" schafft Bewußtsein und schützt Frauen.
    Wir sollten diese Reform auch dazu nutzen, andere Unzulänglichkeiten im Sexualstrafrecht zu beseitigen. Die enge Auslegung des Gewaltbegriffs bei Vergewaltigungen hat in der Rechtsprechung dazu geführt, daß Vergewaltigungen nicht als solche angesehen werden, wenn es an einer aktiven Gegenwehr der Frauen fehlte. Dies verkennt die reale Situation der Frauen, die vielleicht vor Angst gelähmt sind bzw. sich in einer Situation befinden, die Gegenwehr als aussichtslos erscheinen läßt. Ich denke weiterhin an eine Einbeziehung von Sexualpraktiken, die für die Opfer mindestens genauso entwürdigend sind wie ein erzwungener Beischlaf, z. B. erzwungener Oral- und Analverkehr. Ebenso muß eine Lösung gefunden werden, wie den Fällen begegnet werden kann, in denen es zu einer Versöhnung der Eheleute gekommen ist und die Ehefrau kein Interesse mehr daran hat, daß ihr Mann strafrechtlich verfolgt wird. Ich bin der Auffassung, daß der Mann nicht gegen den Willen der Ehefrau verurteilt werden darf. Dies erfordert der grundgesetzliche Schutz der Ehe, der sich allerdings nicht auf andere Lebensgemeinschaften erstreckt. Wie das im Detail am besten ausgestaltet werden kann, muß noch beraten werden.
    Wir stehen nicht am Beginn der Diskussion, sondern bereits mitten im Beratungsprozeß; das zeigen auch die vorliegenden Gesetzentwürfe. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, eine befriedigende gesetzliche Regelung vorzunehmen. Ich werde mich als Frauenministerin entschieden dafür einsetzen.
    Danke.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat die Kollegin Brandt-Elsweier.

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    Rede von Anni Brandt-Elsweier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich an die letzte Debatte zum Thema der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe denke, dann kommen bei mir äußerst zwiespältige Erinnerungen auf. Es ist eine Mischung aus Hoffnung auf Einsicht, aus Unverständnis und Empörung, aber leider auch der schale Beigeschmack, den politisches Taktieren auf Kosten der Betroffenen immer hinterläßt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Aber jetzt soll es endlich soweit sein. Das Koalitionslager hat sich geeinigt. Die bisher gezeigte Rücksichtnahme auf eine kleine Minderheit in der Koalition, die immer noch einem besitzergreifenden Ehebild anhängt, nach dem Frau und Kinder dem Ehemann gehören, wird es wohl nicht mehr geben. Ich halte es nicht für eine primitive Polemik, Herr Kollege Geis, wenn wir fordern, daß eine Vergewaltigung in der Ehe auch als eine Vergewaltigung und nicht nur als Nötigung bestraft wird.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir tun das ja!)

    Die neue Frauenministerin, so kann man lesen, hat sich mit der Justizministerin geeinigt, die Sache zügig vorantreiben zu wollen. Das haben wir hier auch deutlich gehört. Frau Ministerin Nolte, ich höre es wohl, und ich höre es gerne. Vielleicht gelingt es Ihnen ja tatsächlich, ein bißchen frischen Wind in Ihre Reihen zu bringen. Erforderlich wäre dies allemal.
    Die SPD-Fraktion im Bundestag versucht nun schon seit 22 Jahren, die Unterscheidung des Strafrechts in außereheliche und eheliche Vergewaltigung aufzuheben, seit 1972 also, Frau Ministerin. Ich glaube, in jenem Jahr wurden Sie gerade eingeschult. Das soll aber bitte nicht als Kritik an Ihrer Jugend verstanden werden, sondern nur ein Hinweis auf den Zeitablauf sein und die Hoffnung auf Veränderung ausdrücken:

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Fortschritt ist eine Schnecke!)

    Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition neben der Erkenntnis über die Schwere des Vergehens jetzt auch endlich der Wille zum Handeln durchsetzt;

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Anni Brandt-Elsweier
    Hoffnung darauf, daß jetzt endlich nicht mehr eine Minderheit, vor allein wohl auch eine männliche Minderheit, das politische Handeln bestimmt; Hoffnung darauf, daß sich in der Regierungskoalition jetzt niemand mehr hinter „eigentlich", „sicherlich" und „im Prinzip einig" versteckt und damit doch nur halbherziges Handeln kaschiert.
    Allerdings gebe ich zu, daß ich gerade gestern wieder sehr hellhörig wurde, als mir die Pressemitteilung Nr. 11 des Frauenministeriums vorgelegt wurde. In der Erklärung beziehen Sie sich, Frau Ministerin, auf den Sonderbericht an die Vereinten Nationen zum Thema „Gewalt gegen Frauen", schildern die von der Bundesregierung bereits ergriffenen Maßnahmen und weisen auf die in der Bundesrepublik geführte Diskussion hin. Genau in dieser Erklärung kann man sie wieder erahnen, die Halbherzigkeit, die Unentschlossenheit.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Frau Ministerin, warum sprechen Sie dort wieder nur von einer „möglichen" Erweiterung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe? Warum fällt Ihnen hier eigentlich eine Formulierung so schwer, die die Notwendigkeit einer Änderung ganz deutlich macht? Und, Frau Ministerin, warum haben Sie nur „verhaltenen" Optimismus? Mir wäre ein deutlicher Optimismus sehr viel lieber.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich erinnere mich noch an die Rede von Frau Professor Männle im letzten Jahr und an das ungute Gefühl, das sie bei mir hinterlassen hat. Frau Männle hat darauf hingewiesen, daß im Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung die Eheschließung mit einem ständigen Verfügungsrecht des Mannes über die Frau gleichgesetzt und daß die Vergewaltigung vom ehelichen Täter daher häufig nicht als Unrecht empfunden würde. Sollte diese damalige Erklärung eigentlich dazu dienen, die angebliche Notwendigkeit einer Anhörung zu untermauern, obwohl es nach dem damaligen richtigen Hinweis des Kollegen van Essen überhaupt keinen Anhörungsbedarf mehr gab?
    Damals haben fast alle Koalitionsredner einen ziemlichen Eiertanz aufgeführt. Da wimmelte es nur davon, daß ehelicher Mißbrauch ja „eigentlich" schwerer wiegen würde als außerehelicher, daß die daraus resultierenden Verletzungen ja „sicherlich" gravierend seien. Daß sexuelle Gewalt in der Ehe ein strafwürdiges Unrecht sei, darüber sei man sich ja „im Prinzip einig". Dennoch, das Aber war ganz deutlich zu hören: Aber wir ziehen nicht die Konsequenzen.
    Damals haben Sie unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Nun liegt er Ihnen wieder vor. Zumindest scheinen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, heute nicht mehr das Stichwort „kriminologische Indikation" in die Diskussion zu werfen - eine Verknüpfung, die ich im übrigen nie nachvollziehen konnte. Und sollte sie wiederholt werden: Gerade gegen diese unsinnige Verknüpfung
    hat ja unser damaliger Kollege Hans de With in der letzten Debatte ausführliche und scharfsinnige Argumente angeführt. Eine Wiederholung erübrigt sich daher.
    Eine Streitfrage scheint mir jedoch noch immer die gleiche zu sein: Soll die vergewaltigte Ehefrau ein Strafverfahren aufhalten können, wenn sie denn die Ehe aufrechterhalten will? Wir meinen: nein, lassen aber dem Gericht die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von der Strafe abzusehen, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe oder der eheähnlichen Gemeinschaft geboten erscheint. Die Entscheidung des Gerichts würde sicher durch den Wunsch der Ehefrau, es noch einmal mit dem Partner versuchen zu wollen, und die Einwilligung des Täters in eine Partnerschaftstherapie beeinflußt. Ich habe das Vertrauen in die Gerichte, daß sie mit dieser Möglichkeit richtig umgehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Ministerin Nolte, Sie haben die Frage nach dem Vetorecht der Ehefrau mit Ja beantwortet. Zwar sehen Sie die Gefahr, daß der Ehemann Druck auf seine Frau ausüben könnte. Dennoch sind Sie dagegen, daß der Mann auch gegen den Willen der Frau verurteilt wird. Ich meine, es kommt immer auf den Einzelfall an.
    Daß auch Druck von anderer Seite kommen kann, haben Sie dabei nicht berücksichtigt. Druck auf die Frau wird auch durch die aktuelle Wohnungsnot ausgeübt, eine Wohnungsnot, die sich unter der Regierungskoalition dramatisch verschärft hat.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

    Wo soll die mißhandelte und vergewaltigte Frau denn hin, wenn der Mann die Wohnung nicht verläßt? Ist Ihnen bekannt, daß Alleinerziehende in der Regel das Dreifache der Miete als Nettoeinkommen nachweisen müssen, bevor sie einen Mietvertrag erhalten? Unterhaltsansprüche werden hier übrigens nicht angerechnet.
    Anders als z. B. in Israel oder Argentinien muß der gewalttätige Ehemann die Wohnung eben nicht zwangsläufig räumen. Deshalb setze ich große Hoffnungen in den Entwurf des Bundesrates - er liegt vor -, der die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung anstrebt. Nach diesem Entwurf soll der Begriff der schweren Härte durch ein Benennen der schutzwürdigen Interessen der Frau und der Kinder ersetzt werden. Bei vorausgegangenen Mißhandlungen soll kraft Gesetzes vermutet werden, daß solche auch weiterhin zu befürchten sind, eine Annahme, die nach Aussage Sachkundiger leider der Realität entspricht.
    Äußerer Zwang wird aber auch durch rasche Verschlechterung der finanziellen Lage der Familien auf die Frau ausgeübt, eine finanzielle Misere übrigens, die von der Regierungskoalition ganz offensichtlich billigend in Kauf genommen wird.

    (Beifall bei der SPD - Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Leider!)


    Anni Brandt-Elsweier
    Denn oft reicht das Familieneinkommen für ein Getrenntleben nicht aus. Unter diesem Druck entscheidet sich die Frau nicht selten für ein Verbleiben in einer Ehe, in der sie sexuelle Gewalt zu erdulden hat. Sie hat Schlichtweg Existenzängste, hat Angst davor, mit ihren Kindern von der Sozialhilfe abhängig zu werden, die ja bekanntermaßen von der Bundesregierung ebenfalls immer weiter gekürzt wird.
    In der Debatte des letzten Jahres wurde von den Rednern der Regierungskoalition immer wieder darauf hingewiesen, daß die Frau gerade auch in der Ehe einen besonderen Schutz genieße, daß der eheliche Mißbrauch eben auch deshalb besonders schwer wiege, weil er das Vertrauen der Frau gröblich mißachte. Wenn Sie aber mit mir einig sind, daß die Frau mit dem Ja auf dem Standesamt nicht ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verliert, wenn Sie mit mir einig sind, daß die Ehegemeinschaft vom Grundsatz her auf gleichberechtigte Partnerschaft, auf gegenseitige Liebe und Achtung angelegt ist, dann, meine Damen und Herren, sollte es unter uns eigentlich nicht strittig sein, daß der Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, einen Strafanspruch geltend zu machen, wenn dieser Grundsatz gewaltsam außer Kraft gesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Dieser Verpflichtung darf sich der Staat nicht dadurch entziehen, daß er erst einmal den Strafantrag des Opfers abwartet. Hier muß der Staat von sich aus tätig werden.
    Eines lassen Sie mich noch anmerken: Jeder, dem hier für den erzwungenen ehelichen Beischlaf ein niedrigeres Strafmaß vorschwebt als für die außereheliche Vergewaltigung, der entlarvt damit seinen Wunsch, im Grunde alles beim alten belassen zu wollen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Damit zeigt er auch, daß er traurigerweise nichts begriffen hat.
    Vergessen Sie nicht die tragischen Fälle - sie wurden hier schon erwähnt -, in denen der getrennt lebende Ehemann sein angebliches Recht auf Beischlaf, oft einhergehend mit Hausfriedensbruch, gewaltsam und brutal einfordert. Er genießt ebenfalls den Schutz des Strafrechts, d. h. er kann nur wegen Nötigung oder Körperverletzung belangt werden, weil er ja noch verheiratet ist.
    Zum Schluß nur noch eine kurze Frage an Sie, Frau Ministerin Nolte: Bedauern Sie es nicht, daß diese Strafrechtsänderung nur deshalb nicht schon unter „bereits erledigt" in dem genannten Bericht an die Vereinten Nationen erscheint, weil ebendiese Änderung von Ihrer Koalition ganz bewußt verzögert wurde?
    Ich denke, diese Bundesrepublik hätte es verdient, auf der Seite der Nationen zu stehen, die allen Opfern gleiches Recht sprechen, gleich, ob ihnen außerhalb oder innerhalb der Ehe Gewalt angetan wurde.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christina Schenk [PDS])