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ID1302200200

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    Plenarprotokoll 13/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (§§ 177 bis 179, 184c StGB) (Drucksache 13/199) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts - §§ 177 bis 179, 184c StGB (Drucksache 13/323) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (§§ 177 bis 179 StGB) und strafprozessualer Regelungen bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen (Drucksache 13/536) Erika Simm SPD 1523 B Horst Eylmann CDU/CSU 1526 D Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 1527 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 1528 C Christina Schenk PDS 1530 D Freimut Duve SPD 1532 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1532 D Erika Simm SPD 1533 D Hanna Wolf SPD 1534 D Norbert Geis CDU/CSU 1536 B, 1539 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 1536 C Margot von Renesse SPD 1537 D Hanna Wolf SPD 1538 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 1539 A Heinz Lanfermann F.D.P 1540 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1541 C Anni Brandt-Elsweier SPD 1542 C Bärbel Sothmann CDU/CSU 1544 C Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 1545 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Drucksache 13/374) Alfred Hartenbach SPD 1547 B Norbert Röttgen CDU/CSU 1549 A Otto Schily SPD 1549 C Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 1550 B Alfred Hartenbach SPD 1551 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1552 A Jörg van Essen F.D.P. 1552 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 1554 A Jörg van Essen F.D.P. 1554 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1554 D Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes fiber die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung (Drucksache 13/196) Wolfgang Bosbach CDU/CSU 1555 D Margot von Renesse SPD 1556 D Heinz Lanfermann F.D.P 1557 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1558 C Christina Schenk PDS 1559 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 1560 C Nächste Sitzung 1561 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1563* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1563* C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 1523 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bachmaier, Hermann SPD 17. 02. 95 Berger, Hans SPD 17. 02. 95 Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 17. 02. 95 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 17. 02. 95 Hartmut Dörflinger, Werner CDU/CSU 17. 02. 95 Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 17.02. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Graf von Einsiedel, PDS 17. 02. 95 Heinrich Fuchs (Köln), Anke SPD 17. 02. 95 Dr. Gysi, Gregor PDS 17. 02. 95 Hacker, Hans-Joachim SPD 17. 02. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 17. 02. 95 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 17. 02. 95 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17. 02. 95 Dr. Heuer, Uwe-Jens PDS 17. 02. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 17. 02. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 17. 02. 95 Jelena Dr. Jacob, Willibald PDS 17. 02. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 17. 02. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Kraus, Rudolf CDU/CSU 17. 02. 95 Lamers, Karl CDU/CSU 17. 02. 95 Dr. Leonhard, Elke SPD 17. 02. 95 Louven, Julius CDU/CSU 17. 02. 95 Meckel, Markus SPD 17. 02. 95 Reschke, Otto SPD 17. 02. 95 Scheffler, Siegfried SPD 17. 02. 95 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17. 02. 95 Hans Peter Frhr. von Schorlemer, CDU/CSU 17. 02. 95 Reinhard Schumann, Ilse SPD 17. 02. 95 Seiters, Rudolf CDU/CSU 17. 02. 95 Terborg, Margitta SPD 17. 02. 95 Tippach, Steffen PDS 17. 02. 95 Titze-Stecher, Uta SPD 17. 02. 95 Vergin, Siegfried SPD 17. 02. 95 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 17. 02. 95 90/DIE GRÜNEN Wallow, Hans SPD 17. 02. 95 Welt, Jochen SPD 17. 02. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 17. 02.95 Heidemarie Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Drucksache 13/218 Nr. 12 Drucksache 13/218 Nr. 14 Der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlage absieht, da der Rat der Europäischen Union bereits seinen Beschluß gefaßt hat: Drucksache 13/218 Nr. 105 Der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Drucksache 13/265 Nr. 1.34
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    Rede von Erika Simm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetesreform, welche wir heute wieder einmal beraten, lat einen langen Leidensweg hinter sich. Zum insgesamt fünften Mal unternimmt die SPD-Fraktion einen Anlauf, endlich die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.
    Blicken wir zurück. Bereits 1972 hatte Hans de With in dem anläßlich der großen Strafrechtsreform gebildeten Sonderausschuß den Antrag gestellt, den Vergewaltigungstatbestand durch Streichung des Wortes „außerehelich" in § 177 des Strafgesetzbuches auch auf die Vergewaltigung in der Ehe auszudehnen. Er war damals mit diesem Antrag knapp gescheitert.
    Gesetzentwürfe zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe brachte die SPD in den Jahren 1983, 1987 und 1991 ein, also in den letzten drei Legislaturperioden immer wieder aufs neue. Zweimal, nämlich 1986 und 1994, fielen unsere Gesetzentwürfe, obwohl sie jeweils zu Beginn der Legislaturperiode eingebracht worden waren, der Diskontinuität zum Opfer, weil die Regierungsparteien mauerten und die Beratungen vor Ablauf der Wahlperiode nicht abgeschlossen werden konnten.

    (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

    Der Entwurf von 1987 wurde 1989 mit der Mehrheit der damaligen und heutigen Koalition abgelehnt. Die Taktik der CDU/CSU/F.D.P. war stets die gleiche. Man bekundete verbal, daß man das den Reformbestrebungen zugrunde liegende Anliegen teile und für dringlich halte, der SPD-Entwurf aber keine befriedigende Regelung darstelle. Ferner sagte man, daß ein besserer Entwurf des Justizministeriums in Arbeit sei und alsbald vorgelegt werde; spätestens in der kommenden Legislaturperiode werde es eine auch für die CDU/CSU/F.D.P. akzeptable Regelung zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geben.
    Dasselbe Spiel wird nun wiederholt. War es 1994 die damalige Frauenministerin, Frau Merkel, die wenige Tage vor der letzten Debatte zu diesem Thema öffentlich verkündete, die Vergewaltigung in der Ehe müsse nun endlich unter Strafe gestellt werden, so ist es nun die Justizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, die sich in den letzten Tagen in

    Erika Simm
    den Medien mit der Ankündigung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung unter detaillierter Bekanntgabe der angeblich geplanten Regelungen profilierte.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die brauchen eben länger! Weiterer Zuruf von der SPD: 23 Jahre!)

    Abgeordnete, die versuchten, beim BMJ diesen Gesetzentwurf zu bekommen, bekamen allerdings zu hören, daß es diesen Entwurf gar nicht gebe bzw. daß es noch an den notwendigen Abstimmungen zwischen den Ministerien und im Kabinett fehle.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zur Sache! - Gegenrufe von der SPD)

    - Das gehört zur Sache. Das hat nämlich damit zu tun, wie die Regierungsparteien mit diesem Thema in der Vergangenheit umgegangen sind.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ihr seid vielleicht gut! 20 Jahre habt ihr das verzögert!)

    Dieser Entwurf, mit dem sich die Justizministerin in den letzten Wochen profilierte,

    (Zuruf von der SPD: Versucht hat!) ist also ein Non-paper; es gibt ihn gar nicht.


    (Freimut Duve [SPD]: Vielleicht gibt es im Archiv oder irgendwo etwas, was man nach 20 Jahren wiederfinden kann!)

    Ich habe allerdings festgestellt: Es gibt etwas. Komischerweise sind nämlich die Medien offensichtlich sehr wohl bedient worden. Aus dieser Quelle habe auch ich mich bedienen können. Ich habe dort den Entwurf bekommen und festgestellt, daß er sich in erstaunlich vielen wichtigen Punkten mit unserem Gesetzentwurf deckt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Im Abschreiben waren die doch schon immer gut!)

    Deswegen ist mir im nachhinein erst recht unerklärlich, warum es in der letzten Legislaturperiode nicht gelungen ist, zu einer mehrheitsfähigen gesetzlichen Regelung zu diesem Themenkreis zu kommen. Wir haben nun unseren Gesetzentwurf erneut eingebracht und erwarten, daß sich die Regierungsparteien nicht länger der lange überfälligen Neuregelung des Rechts der Sexualstraftaten verweigern.
    Die vorgesehene Reform ist seit langem überfällig. Allmählich bilden wir diesbezüglich das Schlußlicht in Europa. Das gilt insbesondere für den bei uns noch immer fehlenden Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe. Andere Länder haben uns teils durch Rechtsänderungen, teils durch Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mittlerweile überholt. So wurde z. B. in den Niederlanden und in Belgien eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts durchgeführt. Die Vergewaltigung in der Ehe ist in beiden Ländern ebenso strafbar wie seit 1989 in Österreich. In der Schweiz, in Irland, in England, in
    Italien und in Frankreich haben die obersten Gerichte in neueren Entscheidungen den strafrechtlichen Schutz vor sexueller Gewalt gerade auch auf den ehelichen Bereich erweitert.
    Bei uns dagegen haben die Gegner der Reform alle Phantasie darauf verwandt, zu begründen, warum die Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben müsse. Alle denkbaren und eigentlich auch alle undenkbaren Argumente wurden bemüht. Nicht selten haben Juristen dabei ihr Handwerkszeug, nämlich den Gebrauch juristischer Logik, gründlich vernachlässigt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Der Katalog der Gründe, die vorgeschoben wurden, ist lang. Auf einige wenige möchte ich eingehen. Indem man den Standpunkt vertrat, der Staat dürfe sich in die Intimsphäre der Familie nicht einmischen und folglich die Vergewaltigung in der Ehe nicht strafrechtlich sanktionieren, hat man die Wertentscheidung unseres Rechtssystems zu Ehe und Familie, wonach der Staat Ehe und Familie zu schützen hat und Eheleute einander Schutz und Fürsorge schulden, ins glatte Gegenteil verkehrt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Übersehen hat man dabei allerdings, daß ja auch bisher schon Straftatbestände galten, nach denen sich ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigte, strafbar machte,

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Eben!)

    nämlich Körperverletzung und Nötigung. Nur sind das eben Strafvorschriften mit weit niedrigerer Strafdrohung, die dem Unrechtsgehalt einer Vergewaltigung in keiner Weise Rechnung tragen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die vielfach ebenfalls geäußerte Auffassung, daß die in der Ehe geübte sexuelle Gewalt weniger schwer wiege als die Vergewaltigung durch einen Außenstehenden, wird im übrigen von der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt. So haben bereits 1986 anläßlich einer repräsentativen Umfrage in der Bundesrepublik 57 % aller und zwei Drittel der jüngeren Befragten erklärt, daß die Vergewaltigung außerhalb und innerhalb der Ehe gleich hoch bestraft werden müsse. Dies war 1986; wir wissen, daß durch die mittlerweile geführte Diskussion die Sensibilität für diese Frage erheblich gestiegen ist.
    Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 sperrte man sich speziell in CSU-Kreisen gegen die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung mit der Begründung, die Ehefrau könnte ihren Mann zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigen, um so im Wege der kriminologischen Indikation zu einem Schwangerschaftsabbruch zu kommen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So um die Ecke denken die immer!)


    Erika Simm
    Ich halte das für ein geradezu perfides Argument.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es zeigt aber, welches Bild so manche Männer von der Frau und insbesondere von der Ehefrau haben, daß sie ihr so ohne weiteres zutrauen, sie könnte, um eine Abtreibung zu erhalten, den Ehemann eines der schwersten Verbrechen, die unser Strafgesetzbuch kennt, verdächtigen, anzeigen und ihn für Jahre hinter Gitter bringen.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Darum geht es doch gar nicht! Sie haben überhaupt nicht begriffen, um was es geht! Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der einzige, der etwas nicht begreift, ist der Herr Geis!)

    - Ich habe es sehr wohl begriffen. Ich habe es nur weitergedacht, Herr Geis.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Den Eindruck habe ich nicht!)

    Meine Herren von der Union, die Sie immer noch nicht bereit sind, verheirateten Frauen gegenüber dem angetrauten Ehemann das gleiche sexuelle Selbstbestimmungsrecht einzuräumen wie einem Außenstehenden gegenüber - ich denke, es gibt noch solche unter Ihnen, man hört ja so einiges hinter den Kulissen -,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, man sieht ihn vor sich sitzen! Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er sitzt vor den Kulissen!)

    Sie sollten sich klarmachen, daß Sie dazu beitragen, weiterhin Gewalt in der Familie zu tabuisieren und Gewalt in der Familie zu tolerieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir haben in der letzten Legislaturperiode einige Gesetzentwürfe zu behandeln gehabt, die sich mit diesem Problemfeld beschäftigten. Mir ist dabei aufgefallen - ich weiß nicht, ob nur mir -, daß es eigentlich immer die gleichen sind, die sich der Festschreibung eines Gebotes gewaltfreier Erziehung in der Familie widersetzt haben, die die Verlängerung der Verjährungszeit beim sexuellen Mißbrauch von Kindern nachhaltig behindert haben. Das sind zum Teil die gleichen, die sich auch insistierend einer Gesetzesreform verweigern, mit der die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird.
    Bei näherem Hinschauen stellt man fest: Es sind wiederum auch solche, die in ihren Sonntagsreden das Hohelied von Ehe und Familie singen. Ich glaube, Sie müssen sich endlich die Frage der Glaubwürdigkeit stellen lassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie ignorieren auch die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Wertvorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung. Die schon erwähnte Umfrage von 1986 hat ergeben, daß 60 % der Befragten der Meinung waren, Vergewaltigung in der Ehe sei eine strafwürdige Handlung.
    Es ist auch notwendig, sich einmal deutlich zu machen, welche Lebenssachverhalte sich hinter dem Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe verbergen. Lassen Sie mich zwei typische Fallkonstellationen schildern, wie sie Richtern, insbesondere Familienrichtern immer wieder begegnen.
    Der erste Fall: In einer Ehe hängt seit einiger Zeit der Haussegen schief. Der Mann kommt nachts von der Spätschicht nach Hause und findet die Wohnung dunkel. In der Küche steht nicht die treusorgende Ehefrau mit dem vorbereiteten Essen, sondern auf dem Küchentisch liegt ein Zettel, auf dem steht: Das Essen ist im Kühlschrank, wärm es dir selber auf, ich schlafe heute im Kinderzimmer. - Er reagiert darauf mit Wut, tritt die Tür zum Kinderzimmer ein und vergewaltigt seine Frau.
    Der zweite Fall: Die Eheleute leben getrennt, er ist aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Es kommt zu einem letzten Gespräch über die Scheidungsfolgen, das in der früher gemeinsamen Wohnung stattfindet. Im Laufe des Gesprächs mißhandelt und vergewaltigt der Ehemann die Frau. Dieser Fall ist so häufig, daß erfahrene Scheidungsanwälte ihren Mandantinnen den Rat geben, das berühmte letzte gemeinsame Gespräch an einem neutralen Ort, keinesfalls aber in der Wohnung zu führen.
    Beide Fälle, die, wie gesagt, typisch und durch die Praxis durchaus belegt sind, zeigen: Es ist keineswegs die intakte Ehe, in der es zur Vergewaltigung kommt. Das bestätigen auch die Erfahrungen in den Frauenhäusern, wonach sexuelle Gewalt regelmäßig nur ein Teil einer allgemeinen, lange geübten Mißhandlung der Ehefrau durch den Ehemann ist.
    Vergewaltigung in der Ehe ist Gewalt- und Machtausübung, ist Machtmißbrauch gegenüber der Ehefrau. Vergewaltigung ist das Mittel, das der Ehemann gegen die Frau einsetzt, um sie seine Macht und seine Überlegenheit spüren zu lassen, sie zu demütigen und kleinzumachen.
    Vielfach geschieht die Vergewaltigung aus einer konkreten Konfliktsituation heraus. Hilflosigkeit, Unfähigkeit, solche Konflikte gewaltfrei zu bewältigen, und Verlustängste des Mannes mögen dabei häufig eine Rolle spielen. Vor allem aber spielt eine Rolle die noch immer weit verbreitete Auffassung von der Ehe als einem „besonderen Gewaltverhältnis" im ganz buchstäblichen Sinne, in dem die Ehefrau mit dem Jawort zugunsten des Ehemannes auf ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht verzichtet hat. Der gegenwärtige Rechtszustand muß solche Einstellungen bestärken und ist deswegen für uns nicht länger hinnehmbar.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Erika Simm
    Mit unserem Gesetzentwurf wird die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ehelicher und außerehelicher Gewalt im Strafrecht aufgehoben. Des weiteren werden durch die geschlechtsneutrale Fassung der Tatbestände Männer in gleicher Weise geschützt wie Frauen.
    Durch die zusätzliche Einfügung des Merkmals „Ausnutzung einer hilflosen Lage" beim Tatbestand der Vergewaltigung wird gewährleistet, daß künftig Taten, bei denen der Täter das Opfer in eine ausweglose Situation bringt, die jede Gegenwehr aussichtslos erscheinen läßt, als Vergewaltigung geahndet werden können. Diese Korrektur ist notwendig auf Grund der äußerst engen Auslegung des Begriffs der Gewalt in § 177 durch die Rechtsprechung im Sinne von nur körperlicher Gewalt. Sie ist notwendig, um Fallgestaltungen, die mit dem Begriff der hilflosen Lage umschrieben sind, rechtlich gleichbehandeln zu können, weil sie eben materiell-rechtlich - vom Unrechtsgehalt her - eine gleiche Behandlung erfordern.
    Des weiteren werden in den Tatbestand des § 177 Sexualpraktiken einbezogen, die von den Opfern in der Regel als mindestens so gravierend empfunden werden wie die bisher nur erfaßte vaginale Penetration.
    Um dem Fall der Versöhnung zwischen Täter und Opfer im Rahmen der strafgerichtlichen Entscheidung Rechnung tragen zu können - obwohl wir, wie gesagt, hierin nicht den statistisch allzu häufigen Fall sehen, weil es ja eben nicht die schützenswerte intakte Ehe ist, in die durch die strafrechtliche Sanktionierung von Vergewaltigung eingegriffen wird -, sehen wir eine Versöhnungsklausel vor, die es dem Richter ermöglicht, die Strafe zu mildern oder von Strafe ganz abzusehen. Dies soll also dann gelten, wenn sich die Eheleute versöhnt haben und weiter zusammenleben wollen.
    Den in diesem Zusammenhang immer wieder gemachten Vorschlägen, den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe als Antragsdelikt auszugestalten oder aber eine Rücktrittsklausel einzuführen, wonach die Ehefrau die Anzeige zurücknehmen und die weitere Strafverfolgung damit hindern kann, wollen und werden wir nicht folgen. Wir halten es unter dem Aspekt, daß es hier um einen schweren Tatbestand, klassifiziert als Verbrechen im Strafgesetzbuch, geht, für systematisch verfehlt, hier ein Antragsdelikt oder eine derartige Rücktrittsklausel vorzusehen.
    Wir meinen auch, daß dann, wenn die Vergewaltigung in der Ehe ein Antragsdelikt wäre, die Gefahr bestünde, daß der staatliche Strafanspruch zur Verfügungsmasse dessen würde, worüber Scheidungswillige miteinander verhandeln. Dann könnte nicht nur über den Fernseher, das Auto und das gute Silber, sondern auch über die Frage, ob die Ehefrau den gestellten Strafantrag zurücknimmt, verhandelt werden. Ich denke, solche Möglichkeiten verbieten sich aufgrund des Wesens des staatlichen Strafanspruchs
    und angesichts der Ernsthaftigkeit der Durchsetzung dieses Anspruchs.

    (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Zum vorliegenden Bundesratsentwurf kann ich mir viele Anmerkungen ersparen. Er entspricht im wesentlichen unserem Gesetzentwurf, allerdings mit einer Abweichung: Es fehlt die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „hilflose Lage". Das kritisieren wir an diesem Entwurf. Das ist auch der Grund dafür, daß wir stets an unserem Gesetzentwurf festgehalten und diesen wieder eingebracht haben.
    Ich denke, wir haben mit diesem Entwurf, der das Ergebnis eines langen und intensiven Diskussions-
    und Abwägungsprozesses in der Fraktion ist, eine Regelung vorgelegt, die eigentlich mehrheitsfähig sein müßte. Ich glaube, dieser oder ein ähnlich guter Gesetzentwurf würde auch eine Mehrheit in diesem Hause finden, wenn die Frage der Zustimmung oder Nichtzustimmung wie z. B. bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts in die freie Entscheidung eines jeden und einer jeden einzelnen Abgeordneten gestellt würde.

    (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Lassen Sie uns diesen Weg gehen, um endlich einen unwürdigen Rechtszustand zu beenden.

    (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Kollege Horst Eylmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Horst Eylmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir treten heute in die Schlußphase einer langwierigen Auseinandersetzung ein. Am Ende dieser Schlußphase werden wir ein Gesetz verabschieden, das die Vergewaltigung der eigenen Frau genauso unter Strafe stellt, wie es jetzt schon bei der Vergewaltigung einer fremden Frau der Fall ist. Ich wage diese Prognose, weil wir im Grundsatz einig sind. Das Grundsätzliche ist, daß es von der Strafwürdigkeit her keinen Unterschied zwischen der Vergewaltigung der eigenen und der einer fremden Frau gibt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Diese Übereinstimmung ist erfreulich. Deshalb will ich mich auch nicht mit der langwierigen Diskussion, die wir in den letzten Jahren geführt haben, auseinandersetzen. Ich glaube sogar, daß eine breite Mehrheit möglich ist; denn offen sind nur noch zweit- und drittrangige Fragen. Ich glaube, auch darüber kann man sich verständigen; denn auch dort stelle ich ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit fest.

    Horst Eylmann
    Warum brauchen wir eine Gesetzesänderung? - Das hängt mit dem gewandelten Bild der Ehe zusammen. Die Ehe ist heute eine Partnerschaft von gleichberechtigten Partnern. Das war keineswegs immer so. Im Gegenteil: Sie war jahrhundertelang eine Partnerschaft, in der ein Partner juristisch eine Vielzahl von Rechten hatte, die der andere Partner nicht hatte. Das kommt schon aus dem Römischen Recht und war im Germanischen Recht nicht anders.
    Diese Auffassung von der Ehe erstreckte sich bis weit in die Neuzeit hinein. § 177 des Strafgesetzbuches stammt ja schon aus dem Jahr 1871. Im Jahre 1847 hieß es in einem Lehrbuch des Strafrechts:
    Wer, wie der Ehemann, auf den Beischlaf ein vollkommenes Recht hat, macht sich durch Erzwingung desselben keiner Notzucht schuldig.
    Das setzte sich so fort. Das Reichsgericht hat ähnliche Entscheidungen getroffen. Noch 1988 schrieb ein sehr bekannter Kommentator des Strafgesetzbuches, sicherlich dürfe ein Ehemann keine Gewalt anwenden, aber die Vergewaltigung der eigenen Frau sei mit der Vergewaltigung einer fremden Frau überhaupt nicht zu vergleichen, weil er sich doch nur das hole, was seine Frau ihm zu geben verpflichtet sei.

    (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meinen eine Ihrer Kollegen heute noch, Herr Eylmann! Freimut Duve [SPD]: Welcher Professor war denn das?)

    - Es war kein Professor. Ich will denjenigen an dieser Stelle nicht unnötig bloßstellen.

    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Warum, meine Damen und Herren, hat es eine so langwierige Diskussion gegeben? Es gab einen beachtlichen Einwand: daß sich der Staat zurückhalten solle, wenn es darum geht, in die Ehe hineinzuregieren. Daß dieser Einwand nicht völlig abwegig ist, ergibt sich daraus, daß er in den 70er Jahren der Grund dafür war, eine Gesetzesreform nicht durchzuführen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in den 70er Jahren eine sozialliberale Koalition.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Hört! Hört! Norbert Geis [CDU/ CSU]: 1973!)

    Dieser Einwand ist allerdings nicht gerechtfertigt. Zunächst einmal sollte man nicht den Eindruck erwecken, als sei die Ehe, die Familie eine Brutstätte der Gewalt. Ich meine noch immer, daß sich die meisten Männer in der Bundesrepublik ihren Frauen nicht mit Gewalt, sondern mit Zärtlichkeit nähern.

    (Zuruf von der SPD: Kein Applaus?)

    Eine richtig verstandene partnerschaftliche Ehe ist sogar die beste Institution dafür, das Zerstörerische und Aggressive - auch das wohnt leider Gottes im Menschen - zu zähmen und Humanität und Mitmenschlichkeit zu verwirklichen.
    Andererseits ist nicht jede Ehe eine gewaltfreie Idylle. Gerade in gefährdeten Ehen - da hat Frau Kollegin Simm durchaus recht - lauert die Aggression.
    Zur Zeit wird bei uns jede dritte Ehe geschieden. Auch moralische Tabus im Hinblick auf die Gewaltanwendung gegen Frauen scheinen geringer zu werden. Vor zwei Jahren ging ein Fall durch die norddeutsche Presse, bei dem ein von seiner Frau schon getrennt lebender Ehemann diese besucht und in Gegenwart des gemeinsamen Kindes vergewaltigt und schwer mißhandelt hat. Der Mann kann nach geltendem Recht nur wegen Körperverletzung und Nötigung bestraft werden. Das ist eine völlig unangemessene Lösung. Der Staat muß die Frauen gerade in einer solchen Krisensituation schützen.