Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetesreform, welche wir heute wieder einmal beraten, lat einen langen Leidensweg hinter sich. Zum insgesamt fünften Mal unternimmt die SPD-Fraktion einen Anlauf, endlich die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.
Blicken wir zurück. Bereits 1972 hatte Hans de With in dem anläßlich der großen Strafrechtsreform gebildeten Sonderausschuß den Antrag gestellt, den Vergewaltigungstatbestand durch Streichung des Wortes „außerehelich" in § 177 des Strafgesetzbuches auch auf die Vergewaltigung in der Ehe auszudehnen. Er war damals mit diesem Antrag knapp gescheitert.
Gesetzentwürfe zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe brachte die SPD in den Jahren 1983, 1987 und 1991 ein, also in den letzten drei Legislaturperioden immer wieder aufs neue. Zweimal, nämlich 1986 und 1994, fielen unsere Gesetzentwürfe, obwohl sie jeweils zu Beginn der Legislaturperiode eingebracht worden waren, der Diskontinuität zum Opfer, weil die Regierungsparteien mauerten und die Beratungen vor Ablauf der Wahlperiode nicht abgeschlossen werden konnten.
Der Entwurf von 1987 wurde 1989 mit der Mehrheit der damaligen und heutigen Koalition abgelehnt. Die Taktik der CDU/CSU/F.D.P. war stets die gleiche. Man bekundete verbal, daß man das den Reformbestrebungen zugrunde liegende Anliegen teile und für dringlich halte, der SPD-Entwurf aber keine befriedigende Regelung darstelle. Ferner sagte man, daß ein besserer Entwurf des Justizministeriums in Arbeit sei und alsbald vorgelegt werde; spätestens in der kommenden Legislaturperiode werde es eine auch für die CDU/CSU/F.D.P. akzeptable Regelung zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geben.
Dasselbe Spiel wird nun wiederholt. War es 1994 die damalige Frauenministerin, Frau Merkel, die wenige Tage vor der letzten Debatte zu diesem Thema öffentlich verkündete, die Vergewaltigung in der Ehe müsse nun endlich unter Strafe gestellt werden, so ist es nun die Justizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, die sich in den letzten Tagen in
Erika Simm
den Medien mit der Ankündigung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung unter detaillierter Bekanntgabe der angeblich geplanten Regelungen profilierte.
Abgeordnete, die versuchten, beim BMJ diesen Gesetzentwurf zu bekommen, bekamen allerdings zu hören, daß es diesen Entwurf gar nicht gebe bzw. daß es noch an den notwendigen Abstimmungen zwischen den Ministerien und im Kabinett fehle.
- Das gehört zur Sache. Das hat nämlich damit zu tun, wie die Regierungsparteien mit diesem Thema in der Vergangenheit umgegangen sind.
Dieser Entwurf, mit dem sich die Justizministerin in den letzten Wochen profilierte,
ist also ein Non-paper; es gibt ihn gar nicht.
Ich habe allerdings festgestellt: Es gibt etwas. Komischerweise sind nämlich die Medien offensichtlich sehr wohl bedient worden. Aus dieser Quelle habe auch ich mich bedienen können. Ich habe dort den Entwurf bekommen und festgestellt, daß er sich in erstaunlich vielen wichtigen Punkten mit unserem Gesetzentwurf deckt.
Deswegen ist mir im nachhinein erst recht unerklärlich, warum es in der letzten Legislaturperiode nicht gelungen ist, zu einer mehrheitsfähigen gesetzlichen Regelung zu diesem Themenkreis zu kommen. Wir haben nun unseren Gesetzentwurf erneut eingebracht und erwarten, daß sich die Regierungsparteien nicht länger der lange überfälligen Neuregelung des Rechts der Sexualstraftaten verweigern.
Die vorgesehene Reform ist seit langem überfällig. Allmählich bilden wir diesbezüglich das Schlußlicht in Europa. Das gilt insbesondere für den bei uns noch immer fehlenden Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe. Andere Länder haben uns teils durch Rechtsänderungen, teils durch Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mittlerweile überholt. So wurde z. B. in den Niederlanden und in Belgien eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts durchgeführt. Die Vergewaltigung in der Ehe ist in beiden Ländern ebenso strafbar wie seit 1989 in Österreich. In der Schweiz, in Irland, in England, in
Italien und in Frankreich haben die obersten Gerichte in neueren Entscheidungen den strafrechtlichen Schutz vor sexueller Gewalt gerade auch auf den ehelichen Bereich erweitert.
Bei uns dagegen haben die Gegner der Reform alle Phantasie darauf verwandt, zu begründen, warum die Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben müsse. Alle denkbaren und eigentlich auch alle undenkbaren Argumente wurden bemüht. Nicht selten haben Juristen dabei ihr Handwerkszeug, nämlich den Gebrauch juristischer Logik, gründlich vernachlässigt.
Der Katalog der Gründe, die vorgeschoben wurden, ist lang. Auf einige wenige möchte ich eingehen. Indem man den Standpunkt vertrat, der Staat dürfe sich in die Intimsphäre der Familie nicht einmischen und folglich die Vergewaltigung in der Ehe nicht strafrechtlich sanktionieren, hat man die Wertentscheidung unseres Rechtssystems zu Ehe und Familie, wonach der Staat Ehe und Familie zu schützen hat und Eheleute einander Schutz und Fürsorge schulden, ins glatte Gegenteil verkehrt.
Übersehen hat man dabei allerdings, daß ja auch bisher schon Straftatbestände galten, nach denen sich ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigte, strafbar machte,
nämlich Körperverletzung und Nötigung. Nur sind das eben Strafvorschriften mit weit niedrigerer Strafdrohung, die dem Unrechtsgehalt einer Vergewaltigung in keiner Weise Rechnung tragen.
Die vielfach ebenfalls geäußerte Auffassung, daß die in der Ehe geübte sexuelle Gewalt weniger schwer wiege als die Vergewaltigung durch einen Außenstehenden, wird im übrigen von der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt. So haben bereits 1986 anläßlich einer repräsentativen Umfrage in der Bundesrepublik 57 % aller und zwei Drittel der jüngeren Befragten erklärt, daß die Vergewaltigung außerhalb und innerhalb der Ehe gleich hoch bestraft werden müsse. Dies war 1986; wir wissen, daß durch die mittlerweile geführte Diskussion die Sensibilität für diese Frage erheblich gestiegen ist.
Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 sperrte man sich speziell in CSU-Kreisen gegen die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung mit der Begründung, die Ehefrau könnte ihren Mann zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigen, um so im Wege der kriminologischen Indikation zu einem Schwangerschaftsabbruch zu kommen.
Erika Simm
Ich halte das für ein geradezu perfides Argument.
Es zeigt aber, welches Bild so manche Männer von der Frau und insbesondere von der Ehefrau haben, daß sie ihr so ohne weiteres zutrauen, sie könnte, um eine Abtreibung zu erhalten, den Ehemann eines der schwersten Verbrechen, die unser Strafgesetzbuch kennt, verdächtigen, anzeigen und ihn für Jahre hinter Gitter bringen.
- Ich habe es sehr wohl begriffen. Ich habe es nur weitergedacht, Herr Geis.
Meine Herren von der Union, die Sie immer noch nicht bereit sind, verheirateten Frauen gegenüber dem angetrauten Ehemann das gleiche sexuelle Selbstbestimmungsrecht einzuräumen wie einem Außenstehenden gegenüber - ich denke, es gibt noch solche unter Ihnen, man hört ja so einiges hinter den Kulissen -,
Sie sollten sich klarmachen, daß Sie dazu beitragen, weiterhin Gewalt in der Familie zu tabuisieren und Gewalt in der Familie zu tolerieren.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode einige Gesetzentwürfe zu behandeln gehabt, die sich mit diesem Problemfeld beschäftigten. Mir ist dabei aufgefallen - ich weiß nicht, ob nur mir -, daß es eigentlich immer die gleichen sind, die sich der Festschreibung eines Gebotes gewaltfreier Erziehung in der Familie widersetzt haben, die die Verlängerung der Verjährungszeit beim sexuellen Mißbrauch von Kindern nachhaltig behindert haben. Das sind zum Teil die gleichen, die sich auch insistierend einer Gesetzesreform verweigern, mit der die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird.
Bei näherem Hinschauen stellt man fest: Es sind wiederum auch solche, die in ihren Sonntagsreden das Hohelied von Ehe und Familie singen. Ich glaube, Sie müssen sich endlich die Frage der Glaubwürdigkeit stellen lassen.
Sie ignorieren auch die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Wertvorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung. Die schon erwähnte Umfrage von 1986 hat ergeben, daß 60 % der Befragten der Meinung waren, Vergewaltigung in der Ehe sei eine strafwürdige Handlung.
Es ist auch notwendig, sich einmal deutlich zu machen, welche Lebenssachverhalte sich hinter dem Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe verbergen. Lassen Sie mich zwei typische Fallkonstellationen schildern, wie sie Richtern, insbesondere Familienrichtern immer wieder begegnen.
Der erste Fall: In einer Ehe hängt seit einiger Zeit der Haussegen schief. Der Mann kommt nachts von der Spätschicht nach Hause und findet die Wohnung dunkel. In der Küche steht nicht die treusorgende Ehefrau mit dem vorbereiteten Essen, sondern auf dem Küchentisch liegt ein Zettel, auf dem steht: Das Essen ist im Kühlschrank, wärm es dir selber auf, ich schlafe heute im Kinderzimmer. - Er reagiert darauf mit Wut, tritt die Tür zum Kinderzimmer ein und vergewaltigt seine Frau.
Der zweite Fall: Die Eheleute leben getrennt, er ist aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Es kommt zu einem letzten Gespräch über die Scheidungsfolgen, das in der früher gemeinsamen Wohnung stattfindet. Im Laufe des Gesprächs mißhandelt und vergewaltigt der Ehemann die Frau. Dieser Fall ist so häufig, daß erfahrene Scheidungsanwälte ihren Mandantinnen den Rat geben, das berühmte letzte gemeinsame Gespräch an einem neutralen Ort, keinesfalls aber in der Wohnung zu führen.
Beide Fälle, die, wie gesagt, typisch und durch die Praxis durchaus belegt sind, zeigen: Es ist keineswegs die intakte Ehe, in der es zur Vergewaltigung kommt. Das bestätigen auch die Erfahrungen in den Frauenhäusern, wonach sexuelle Gewalt regelmäßig nur ein Teil einer allgemeinen, lange geübten Mißhandlung der Ehefrau durch den Ehemann ist.
Vergewaltigung in der Ehe ist Gewalt- und Machtausübung, ist Machtmißbrauch gegenüber der Ehefrau. Vergewaltigung ist das Mittel, das der Ehemann gegen die Frau einsetzt, um sie seine Macht und seine Überlegenheit spüren zu lassen, sie zu demütigen und kleinzumachen.
Vielfach geschieht die Vergewaltigung aus einer konkreten Konfliktsituation heraus. Hilflosigkeit, Unfähigkeit, solche Konflikte gewaltfrei zu bewältigen, und Verlustängste des Mannes mögen dabei häufig eine Rolle spielen. Vor allem aber spielt eine Rolle die noch immer weit verbreitete Auffassung von der Ehe als einem „besonderen Gewaltverhältnis" im ganz buchstäblichen Sinne, in dem die Ehefrau mit dem Jawort zugunsten des Ehemannes auf ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht verzichtet hat. Der gegenwärtige Rechtszustand muß solche Einstellungen bestärken und ist deswegen für uns nicht länger hinnehmbar.
Erika Simm
Mit unserem Gesetzentwurf wird die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ehelicher und außerehelicher Gewalt im Strafrecht aufgehoben. Des weiteren werden durch die geschlechtsneutrale Fassung der Tatbestände Männer in gleicher Weise geschützt wie Frauen.
Durch die zusätzliche Einfügung des Merkmals „Ausnutzung einer hilflosen Lage" beim Tatbestand der Vergewaltigung wird gewährleistet, daß künftig Taten, bei denen der Täter das Opfer in eine ausweglose Situation bringt, die jede Gegenwehr aussichtslos erscheinen läßt, als Vergewaltigung geahndet werden können. Diese Korrektur ist notwendig auf Grund der äußerst engen Auslegung des Begriffs der Gewalt in § 177 durch die Rechtsprechung im Sinne von nur körperlicher Gewalt. Sie ist notwendig, um Fallgestaltungen, die mit dem Begriff der hilflosen Lage umschrieben sind, rechtlich gleichbehandeln zu können, weil sie eben materiell-rechtlich - vom Unrechtsgehalt her - eine gleiche Behandlung erfordern.
Des weiteren werden in den Tatbestand des § 177 Sexualpraktiken einbezogen, die von den Opfern in der Regel als mindestens so gravierend empfunden werden wie die bisher nur erfaßte vaginale Penetration.
Um dem Fall der Versöhnung zwischen Täter und Opfer im Rahmen der strafgerichtlichen Entscheidung Rechnung tragen zu können - obwohl wir, wie gesagt, hierin nicht den statistisch allzu häufigen Fall sehen, weil es ja eben nicht die schützenswerte intakte Ehe ist, in die durch die strafrechtliche Sanktionierung von Vergewaltigung eingegriffen wird -, sehen wir eine Versöhnungsklausel vor, die es dem Richter ermöglicht, die Strafe zu mildern oder von Strafe ganz abzusehen. Dies soll also dann gelten, wenn sich die Eheleute versöhnt haben und weiter zusammenleben wollen.
Den in diesem Zusammenhang immer wieder gemachten Vorschlägen, den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe als Antragsdelikt auszugestalten oder aber eine Rücktrittsklausel einzuführen, wonach die Ehefrau die Anzeige zurücknehmen und die weitere Strafverfolgung damit hindern kann, wollen und werden wir nicht folgen. Wir halten es unter dem Aspekt, daß es hier um einen schweren Tatbestand, klassifiziert als Verbrechen im Strafgesetzbuch, geht, für systematisch verfehlt, hier ein Antragsdelikt oder eine derartige Rücktrittsklausel vorzusehen.
Wir meinen auch, daß dann, wenn die Vergewaltigung in der Ehe ein Antragsdelikt wäre, die Gefahr bestünde, daß der staatliche Strafanspruch zur Verfügungsmasse dessen würde, worüber Scheidungswillige miteinander verhandeln. Dann könnte nicht nur über den Fernseher, das Auto und das gute Silber, sondern auch über die Frage, ob die Ehefrau den gestellten Strafantrag zurücknimmt, verhandelt werden. Ich denke, solche Möglichkeiten verbieten sich aufgrund des Wesens des staatlichen Strafanspruchs
und angesichts der Ernsthaftigkeit der Durchsetzung dieses Anspruchs.
Zum vorliegenden Bundesratsentwurf kann ich mir viele Anmerkungen ersparen. Er entspricht im wesentlichen unserem Gesetzentwurf, allerdings mit einer Abweichung: Es fehlt die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „hilflose Lage". Das kritisieren wir an diesem Entwurf. Das ist auch der Grund dafür, daß wir stets an unserem Gesetzentwurf festgehalten und diesen wieder eingebracht haben.
Ich denke, wir haben mit diesem Entwurf, der das Ergebnis eines langen und intensiven Diskussions-
und Abwägungsprozesses in der Fraktion ist, eine Regelung vorgelegt, die eigentlich mehrheitsfähig sein müßte. Ich glaube, dieser oder ein ähnlich guter Gesetzentwurf würde auch eine Mehrheit in diesem Hause finden, wenn die Frage der Zustimmung oder Nichtzustimmung wie z. B. bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts in die freie Entscheidung eines jeden und einer jeden einzelnen Abgeordneten gestellt würde.
Lassen Sie uns diesen Weg gehen, um endlich einen unwürdigen Rechtszustand zu beenden.