Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier schon mehrfach erwähnt worden, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß in diesem Hause die Forderung nach Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe insbesondere bei den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Zwischenrufe und Gelächter hervorgerufen hat. Heute scheinen wir einen Schritt weiter zu sein, da ein Nachdenken eingesetzt hat. Damals hatte die CDU eine Reform noch mit dem Hinweis abgelehnt, diese würde Ehe und Familie gefährden. Ich finde es schon bemerkenswert, in welcher Weise eine blinde Idealisierung der Institution Ehe den Blick auf die Realitäten zu verkleistern vermag. Die Ehe ist also in Gefahr, wenn der Täter bestraft wird, und nicht, weil er sexuelle Gewalt gegen seine Ehefrau anwendet.
Nun sieht es immerhin so aus, daß auch auf der konservativen Seite dieses Parlaments ein Umdenken begonnen hat. Aber ob das reicht, um zu politischer Handlungsfähigkeit zu kommen, ist fraglich. Bis jetzt jedenfalls hat konservatives Denken jede Reform in dieser Richtung verhindert. Die Regierungskoalition hat es bis jetzt nicht vermocht, hier einen diskutierfähigen Entwurf vorzulegen. In der
Christina Schenk
Presse geistert zwar seit einigen Tagen ein Entwurf aus dem Bundesjustizministerium umher; aber ich denke, er ist wohl eher Spielgeld für die Wahl in Hessen als ein ernst zu nehmender Beitrag in dieser Debatte.
Der Entwurf der PDS, den ich Ihnen hier vorstellen will, ist unter Einbeziehung der Erfahrungen von Notrufdiensten für vergewaltigte Frauen und der Erfahrung von Gruppen, die mit betroffenen Frauen arbeiten, entstanden. Ich glaube, daß das der Grund ist, warum er sich in wesentlichen Punkten von den Entwürfen der SPD und des Bundesrates unterscheidet.
Die gegenwärtige Rechtslage hat in sechs Punkten einen ganz dringenden Reformbedarf.
Erstens. Wir sind der Auffassung, daß die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen geschützt werden muß, und zwar unabhängig von der Art der Beziehung zum Täter. Es darf für die Beurteilung der Schwere einer Tat keine Rolle spielen, ob die Frau mit dem Täter verheiratet ist, oder ob sie in einer Lebensgemeinschaft mit ihm lebt, oder ob er ihr unbekannt ist. Die Schwere der Tat kann allein aus der Perspektive des Opfers beurteilt werden.
In diesem Punkt ist allein unser Entwurf konsequent, indem er die Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe tatsächlich gleichstellt. Die Entwürfe des Bundesrates und auch der SPD lassen da eine Hintertür offen in Gestalt der sogenannten Versöhnungsklausel, die es erlauben soll, das Strafmaß dann herabzusetzen oder die Strafe auszusetzen, wenn es im Interesse der Aufrechterhaltung der Beziehung geboten erscheint, wie es dort heißt.
Das, meine Damen und Herren, provoziert meiner Meinung nach regelrecht die Erpressung des Opfers durch den Täter. Dieser braucht seine Frau nur zu der Aussage zu zwingen, sie wolle sich mit ihm versöhnen, dann hat er praktisch allerbeste Chancen, daß das Verfahren eingestellt wird. Eine solche Regelung trägt dazu bei, daß die Gewalt in der Beziehung fortgesetzt wird. Ich meine, es gibt für eine solche Versöhnungsklausel überhaupt keinen Grund - das ist hier schon erwähnt worden -: Die Ehefrau kann sich jederzeit auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen und so ein Verfahren zum Erliegen bringen, wenn sie es denn wirklich nicht will.
Der der Versöhnungsklausel zugrunde liegende Gedanke zeugt meines Erachtens davon, daß die Realität einfach nicht zur Kenntnis genommen wird. Die Erfahrung zeigt, daß Ehefrauen, wenn sie so weit sind, zur Polizei zu gehen und ihren Mann anzuzeigen, bereits eine Kette von Gewalttaten haben hinnehmen müssen und inzwischen einen inneren Ablösungsprozeß hinter sich haben, der sie ja erst dazu befähigt, Anzeige gegen ihren eigenen Mann zu erstatten. In solchen Fällen kann davon ausgegangen werden, daß die Ehe so zerrüttet ist, daß der Gedanke an eine Rettung der Ehe abwegig geworden ist.
Merkwürdig ist auch, daß es eine solche Versöhnungsklausel bei keinem anderen Offizialdelikt, wie z. B. bei der schweren Körperverletzung, gibt. Da ist
es völlig unerheblich, ob sich die Eheleute wieder miteinander vertragen. Ich meine, das läßt doch nur die Interpretation zu, daß sexuelle Gewalt noch immer bagatellisiert wird und daß die Ehe eben noch immer mehr wert ist als die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau.
Der zweite Punkt in unserem Entwurf bezieht sich auf die Definition dessen, was eine Vergewaltigung ist. Nach unserem Entwurf zählt dazu nicht nur die vaginale, sondern auch die gegenwärtig lediglich zum Tatbestand der sexuellen Nötigung zählende orale und anale Penetration sowie - auch das ist ein Unterschied zu den Entwürfen des Bundesrates und der SPD - der entsprechende Gebrauch von Gegenständen. Hier Unterschiede machen zu wollen ist absurd.
Die Formulierung ist in unserem Gesetzentwurf geschlechtsneutral, so daß auch die Vergewaltigungen von Männern erfaßt sind.
Drittens. Bis jetzt wurde eine Vergewaltigung in der Regel nur dann als solche akzeptiert, wenn Gewalt angewandt wurde. Kriterium hierfür war die Gegenwehr des Opfers, die diese vor Gericht glaubhaft machen mußte. Das führte zu Fragen wie z. B.: Was taten Sie mit Ihrer linken Hand, als er Ihre rechte festhielt? So wird die Glaubwürdigkeit des Opfers nachgeprüft, bzw. sie muß nachgeprüft werden. Es wird vor Gericht also ein Verhalten erwartet, vor dem die Strafverfolgungsbehörden warnen, weil Gegenwehr das Risiko des Opfers, lebensgefährlich verletzt oder sogar getötet zu werden, unter Umständen erhöhen kann.
Um das künftig auszuschließen, haben wir als Tatbestandsmerkmale Handlungen „gegen den Willen" und „Drohungen mit einem empfindlichen Übel" aufgenommen. Damit liegt eine Vergewaltigung bereits dann vor, wenn die Handlung des Täters gegen den erklärten Willen der Frau erfolgt bzw. wenn sie durch Gewalt oder durch Drohung auch von geringer Intensität erzwungen worden ist.
Die SPD nennt statt dessen lediglich die „Ausnutzung einer hilflosen Lage" als Kriterium. Ich frage mich: Wer definiert, was eine „hilflose Lage" ist? Ich meine, Sie leisten damit wieder einer Fremdbeurteilung der Situation der Frau Vorschub. Es muß endlich erreicht werden, daß die Opferperspektive eine entscheidende Bedeutung bekommt.
Viertens. Der minder schwere Fall ist in unserem Entwurf gestrichen, weil die im Kommentar zum Strafgesetzbuch genannten Fälle keine sind. Als Beispiele werden genannt: wenn das Opfer bereits vor der Tat eine intime Beziehung zum Täter gehabt hat oder - wie es so schön heißt - „wenn die Frau Anlaß zur Tat gegeben hat" oder - das steht dort wörtlich -„wenn der Täter ein echtes Liebesverhältnis anstrebte". Ein weiterer Grund ist, daß die bisherige Rechtsprechung der Täterperspektive generell eine weitaus größere Bedeutung zugemessen hat als der
1532 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 22, Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1995
Christina Schenk
Perspektive des Opfers und daß der minder schwere Fall bisher dazu gedient hat, Strategien der Täterentschuldigung und der Opferbeschuldigung zu konstruieren.
Wenn der minder schwere Fall bleibt, ist angesichts dieser Erfahrungen und der noch immer virulenten Vorstellung, ein Mann habe einen Rechtsanspruch auf sexuelle Dienstleistungen seiner Ehefrau, zu befürchten, daß eine eheliche Vergewaltigung zum Regelfall des minder schweren Falls wird. Das wäre ganz im Sinne der hier so propagierten Aufrechterhaltung der Ehe um jeden Preis - aber ganz sicher nicht im Sinne der vergewaltigten Frau.
Fünftens. Statt des minder schweren Falls sieht unser Entwurf einen schweren Fall vor. Der ist dann gegeben, wenn die Vergewaltigung von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder wenn die Vergewaltigung schwere psychische oder andere schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge hat. Die Mindeststrafe liegt hier nicht bei zwei, sondern bei drei Jahren.
Sechstens. Das in § 179 StGB vorgesehene geringere Strafmaß für die Vergewaltigung und sexuelle Nötigung von Behinderten ist aus unserer Sicht eine unerträgliche Diskriminierung. Unser Entwurf beendet diesen Zustand, indem er auch in solchen Fällen das gleiche Strafmaß vorsieht wie in den Fällen der §§ 177 und 178.
Ich meine, daß eine solche Angleichung überfällig ist, insbesondere weil wir mittlerweile eine neue Formulierung in Art. 3 des Grundgesetzes haben, wonach jegliche Diskriminierung auf Grund der Behinderung untersagt ist.
Zu dem Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium will ich hier jetzt nichts sagen. Ich habe ihn nur mit sehr viel Mühe beschaffen können. Ich schließe daraus, daß die Überlegungen im Bundesjustizministerium noch im Anfangsstadium sind. Ich bin gespannt, ob die nächsten dreieinhalb Jahre ausreichen werden, hier zu einer Vorlage zu kommen.
So viel zur Änderung des Strafrechts. Aber das ist nicht alles. Wir lassen es nicht dabei; wir wollen auch, daß die Situation von Frauen in Strafprozessen verbessert wird, und schlagen deshalb Änderungen der Strafprozeßordnung vor.
Immerhin zeigen die empirischen Belege, daß knapp 50 % der Frauen, die vergewaltigt wurden und die Tat angezeigt haben, wegen ihrer Erfahrungen mit Polizei und Gerichten keine Anzeige mehr erstatten würden. Wir sehen deshalb vor, daß Fragen nach dem sexuellen Vorleben der Frau in den Prozessen nicht mehr gestattet sind, daß die Rechte der Nebenklage gestärkt werden und daß die Frau den Ausschluß des Angeklagten während ihrer eigenen Aussage beantragen kann.
Zum Schluß möchte ich noch auf einen Aspekt eingehen, der in einer vorwiegend unter strafrechtlichen Gesichtspunkten geführten Debatte unterzugehen droht. Für mich ist es ein alarmierendes Zeichen, daß die Rückfallquote gerade bei Sexualstraftätern mit etwa 80 % extrem hoch ist. Ich denke, es muß in der jetzt kommenden parlamentarischen Debatte auch darauf ankommen, sich mit den Fragen der Tätertherapie und mit Fragen der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden zu befassen. In den USA sind auf diesem Gebiet schon interessante Erfahrungen gemacht worden. Ich denke, wir sollten uns umfassend informieren und gegebenenfalls auch Pilotprojekte initiieren.
Ich schlage deshalb vor, in den beratenden Ausschüssen Anhörungen durchzuführen, zu denen insbesondere Frauen aus Notrufprojekten und aus Gruppen, die mit betroffenen Frauen aus Frauenhäusern arbeiten, eingeladen werden sollten. Ich denke, sie sind die Fachfrauen. Gerade die Tatsache, daß sich der Bundestag bis jetzt mit dieser Art von Dialog sehr schwergetan hat, ist wohl auch ein Grund dafür, daß die Situation so schlecht ist. Wir sollten das ändern.
Danke.