Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 204. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Sander, Revenstorff,- Seuffert, Scharnberg, Dr. Bucerius, Jacobs, Paul , Dr. Will, Frommhold, Gundelach, Vesper, Dr. Baade, Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) und Ruhnke.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Dannemann für zwei Wochen wegen Krankheit und Herrmann für zwei Wochen wegen Krankheit.
Ich unterstelle, daß die Ur- laubsgesuche, die über eine Woche hinausgehen, von Ihnen genehmigt worden sind.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich zunächst darauf hinweisen, daß entsprechend einer Vereinbarung im Ältestenrat der Punkt 2 der Tagesordnung erweitert worden ist um einen Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Truppenübungsplatz Bergen-Belsen-Munster-Fallingbostel Nr. 3268 der Drucksachen, und einen Antrag der Fraktion der SPD, der den gleichen Truppenübungsplatz betrifft, Nr. 3276 der Drucksachen.
Ich weise darauf hin, daß die nächste Fragestunde am Donnerstag, dem 24. April, 13 Uhr 30, stattfindet. Sperrfrist für einzureichende Fragen bei der Korrekturabteilung am 18. April um 12 Uhr.
Zur heutigen Tagesordnung wünscht zunächst der Abgeordnete Mellies das Wort.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat einen Antrag eingebracht, der Ihnen in Drucksache Nr. 3236 vorliegt. In diesem Antrag wird gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler dem Bundestag über die Verhandlungen wegen des Saargebiets Bericht erstatten möge. Als in der vorigen Woche im Ältestenrat vereinbart wurde, daß heute eine außenpolitische Debatte stattfinden sollte, habe ich namens meiner Fraktion gewünscht, daß dieser Antrag mit auf die Tagesordnung käme. Die Entscheidung wurde auf den heutigen Vormittag verlegt. Leider hat sich auch heute morgen in der Sitzung des Ältestenrats eine Verständigung darüber nicht erzielen lassen. Ich bin deshalb gezwungen, namens meiner Fraktion zu beantragen, daß unser Antrag, eben Drucksache Nr. 3236, noch unter Punkt 1 in die Tagesordnung aufgenommen wird.
Meine Damen und Herren! Der Herr französische Außenminister hat sich sofort nach dem Abschluß der Besprechungen zwischen ihm und dem Herrn Bundeskanzler vor dem französischen Parlament zu der Saarfrage geäußert, und zwar in einem Sinne, der bei allen Politikern in Deutschland erhebliche Sorge hervorrufen muß. Erst gestern hat der Herr französische Außenminister vor dem Rat der Republik diese Frage noch einmal angeschnitten. Wir haben also zu verzeichnen, daß der französische Außenminister vor beiden Häusern des französischen Parlaments zu dieser Frage Erklärungen abgegeben hat. Die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler haben sich bisher zu dieser Frage in einer Art, die einen Aufschluß über den tatsächlichen Stand der Dinge zuließe, nicht geäußert. Dieser Zustand ist unseres Erachtens unerträglich.
Da das Haus in dieser Woche in die Osterferien geht, würde eine Aussetzung der Besprechung heute bedeuten, daß das deutsche Parlament frühestens in drei Wochen zu der Angelegenheit etwas sagen könnte. Das ist unseres Erachtens aus der Sache heraus nicht zu verantworten und entspricht nicht der Würde und den Aufgaben des Parlaments.
Außerdem, meine Damen und Herren, müßte es bei der Saarbevölkerung außerordentlich deprimierend wirken, wenn nach diesen wiederholten Äußerungen des französischen Außenministers eine deutsche Stellungnahme so lange ausbliebe und eine außenpolitische Debatte in diesem Hause stattfände, ohne daß das sicher heikle, aber für die gesamte deutsche Politik doch außerordentlich wichtige Problem angesprochen würde.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus namens meiner Fraktion eindringlich, unserem Antrage zu entsprechen und den Antrag unter Punkt 1 in die heutige Tagesordnung aufzunehmen.
Zu diesem Antrag hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Auch wir sind der Ansicht, daß die Gespräche, die der deutsche Bundeskanzler und Außenminister mit dem französischen Außenminister geführt hat, Gegenstand einer Aussprache hier im Bundestag bilden sollen. Auch wir wissen, daß selbstverständlich gerade auch mit Rücksicht auf das Interesse nicht nur des gesamten deutschen Volkes, sondern auch der im Saargebiet wohnenden deutschen Menschen eine solche Aussprache notwendig ist. Wir glauben aber, meine Damen und Herren, daß diese Aussprache mit der heutigen Tagesordnung wirklich nichts zu tun hat.
Wir glauben auch, daß nach den übereinstimmenden Erklärungen, die von den beiden Gesprächspartnern abgegeben worden sind, ja die Klarheit darüber besteht, daß keinerlei Vereinbarungen getroffen worden sind.
sondern daß es sich um Gespräche handelt, über die zu berichten nach unserer Ansicht auch noch nach Ostern Zeit und Gelegenheit ist.
Ich bitte daher, diesem Antrage heute nicht zuzustimmen. Wir werden uns selbst dafür einsetzen, daß alsbald nach Ostern dieser Antrag, dessen Bedeutung ich, wie gesagt, nicht verkenne, auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Meine Damen und Herren! Ich muß die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano so verstehen, daß er namens seiner Fraktion dem Antrage widerspricht, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Damit ist es nach § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung nicht möglich, diesen Punkt heute zu beraten.
Weiter hat zur Tagesordnung das Wort Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Regierungsparteien bitte ich, dem Antrage stattzugeben, den Punkt 3 a bis f, der von den Zollsachen handelt, von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Ich begründe das wie folgt. Erstens ist der federführende Minister, Dr. Erhard, nicht anwesend. Aber das allein ist für die Aussetzung der Beratung nicht maßgebend, sondern es kommt noch hinzu, daß sich im Laufe der Einbringung der einzelnen Gesetze und Verordnungen doch wesentliche Veränderungen auf außenhandelspolitischem und auch auf dem marktpolitischen Gebiet in Deutschland ergeben haben, so daß also die Regie-
rung selber das Bedürfnis hat, die Frage während der Osterpause noch einmal einer besonderen Prüfung zu unterziehen.
Weiterhin ist es bei der Kompliziertheit der Materie mid bei den Zusammenhängen, die sich aus den einzelnen Vorlagen ergeben, auch notwendig, daß hier unter allen Umständen doch eine Ausschußberatung stattfindet. Während der Osterpause kann diese Ausschußberatung auch nicht stattfinden, so daß also keinerlei Zeit verloren wird.
Im übrigen kann ich bemerken, daß naturgemäß die Parteien der Regierung ein großes Interesse daran haben, daß diese Fragen gründlich erörtert werden. Um all das richtig vorbereiten zu können und damit auch die Regierung die Gelegenheit hat, ihre eigenen Vorlagen noch einmal zu überprüfen, bitte ich, die Frage von der heutigen Tagesordnung absetzen zu wollen. Es ist nach den Beschlüssen des Ältestenrats vorgesehen, daß die Zollfragen dann am Donnerstag, dem 24. April, zur Behandlung kommen.
Zu diesem Antrage hat das Wort der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Horlacher ist durchaus zuzustimmen, daß diese Fragen gründlich beraten werden müssen. Aber wir glauben, dazu wäre Zeit genug gewesen; denn schließlich schweben diese Angelegenheiten seit November vorigen Jahres, und niemand wird bestreiten können, daß es sich hier um außerordentlich dringliche und wichtige Angelegenheiten handelt.
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion haben im Interesse der Arbeit dieses Hauses damals davon abgesehen, die Aussprache über Punkt 3 ff. — Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Horlacher usw. — durchzuführen, weil wir der Auffassung waren, daß nun spätestens in der darauffolgenden Woche diese Beratung stattfinden würde. Das ist damals verschoben worden, und heute soll wieder die ganze Angelegenheit noch einmal bis nach Ostern vertagt werden. Meine Damen und Herren, wenn das von vornherein, wie es jetzt aus den Ausführungen des Herrn Horlacher hervorgeht, halbwegs klar war, hätte man uns im Interesse einer kollegialen Zusammenarbeit wenigstens damals unterrichten sollen, denn dann hätten wir auf die Aussprache nicht verzichtet, sondern hätten ' sie damals durchgeführt. Ich glaube, wenn man eine solche Verzichterklärung auf die Aussprache entgegennimmt, verpflichtet das auch diejenigen, die zustimmen, und sie müßten dann dafür sorgen, daß diese Aussprache ehestens stattfinden kann.
Wir bitten deshalb dringend, diesen Punkt heute auf der Tagesordnung stehenzulassen.
Weitere Wortmeldungen zur Tagesordnung liegen nicht vor. Es ist der Antrag gestellt worden, die Punkte 3 a bis f von der Tagesordnung abzusetzen. Dieser Antrag ist zulässig. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Absetzung von der Tagesordnung sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen. Die Punkte
3 a bis f sind abgesetzt.
Ich rufe auf den Punkt 1 a bis d der Tagesordnung:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag ,der Fraktion der Föderalistischen Union (BP-Z) betreffend Deutschen Verteidigungsbeitrag (Nrn. 3163, 3084 der Drucksachen);
b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Erklärungen des Staatssekretärs Prof. Hallstein ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einheit Deutschlands ;
d) Beratung des Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union betreffend Auswärtiges Amt (Nr. 3211 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß neben der Begründungszeit eine Gesamtaussprachezeit von 180 Minuten vorgesehen wird, daß die Anträge zu b und id in je 15 Minuten und zu c in höchstens 30 Minuten begründet werden. — Das Haus ist mit dieser Regelung der Redezeit einverstanden.
Zunächst zur Berichterstattung 'zu Punkt 1 a Abgeordneter Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Plenum des Bundestages hat anläßlich der Beratung des Verteidigungsbeitrages beschlossen, den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3084 dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Der Ausschuß hat sich eingehend mit diesem Antrage beschäftigt und hat seinen Bericht in der Drucksache Nr. 3163 erstattet.
Der Antrag der Föderalistischen Union befaßt sich mit sechs Einzelpunkten. Es soll zunächst die Bundesregierung ersucht werden, zu erklären, daß sie sich jedem Versuch versagen werde, einen deutschen Verteidigungsbeitrag auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht zu erreichen. Diesen Punkt des Antrages hat der Herr Bundeskanzler in der 190. Sitzung des Bundestages am 7. 2. 1952 in hypothetischer Weise gestreift, in dem er damals erklärte:
Wenn es zur Leistung eines deutschen Beitrages zu einer europäischen Armee kommt, dann wird das wohl in folgender Weise vor sich gehen: wir werden sicher zunächst mit Freiwilligen anfangen; aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Schaffung eines deutschen Wehrgesetzes nähergetreten werden muß.
Im Ausschuß für das Besatzungstatut und auswärtige Angelegenheiten sind gegen diesen ersten Punkt des Antrages sowohl von seiten der Opposition als auch von seiten der Koalition Bedenken erhoben worden, und zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten. Es ist auf der einen Seite, und zwar von der Opposition, .darauf hingewiesen worden, daß ein Beschluß in der von der Föderalistischen Union vorgeschlagenen Weise einen Rückschluß aufkommen lassen dürfte; daß der Ausschuß hierdurch seine Zustimmung zu einem Verteidigungsbeitrag vorweggenommen habe. Auf der andern Seite ist aus der Mitte der Koalition zum Ausdruck gebracht worden, daß Erklärungen, die über die von mir zitierte Außerung des Herrn Bundeskanzlers hinausgehen, im augenblicklichen Zeitpunkt während des Schwebens internationaler Besprechungen von der Bundesregierung nicht erwartet werden können, Der Ausschuß war sich
daher in seiner Mehrheit darin einig, daß von einer sachlichen Stellungnahme zu diesem ersten Punkt des Antrages der Föderalistischen Union abgesehen werden soll. Er hat daher beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, diesen ersten Punkt des Antrages als gegenstandslos zu erklären.
Die Föderalistische Union schlägt in ihrem Antrag weiterhin vor, daß ein aus 15 Mitgliedern dieses Hauses bestehender Ausschuß für Verteidigungsfragen gebildet werden soll. Die Bundesregierung soll nach dem Antrag beauftragt werden, diesem Ausschuß alle Informationen zur Verfügung zu stellen und alle Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind; die Verhandlungen dieses Ausschusses sollen vertraulich sein.
Der Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten hat gegen diesen Vorschlag lebhafte Bedenken geäußert. Die Frage der Wiedergewinnung der deutschen Souveränität, die Frage der Ablosung und der Aufhebung des Besatzungsstatuts, die Frage des Abschlusses eines Paktes über einen Beitritt zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft sind Zentralprobleme des auswärtigen Ausschusses; sie bilden sozusagen den Kernbestand der Fragen, die ihm überhaupt zugewiesen sind.
Der auswärtige Ausschuß hat sich auch während der Dauer seines Bestehens immer und immer wieder gerade mit diesen Fragen befaßt, und er hat zur Entgegennahme von Informationen der Bundesregierung — gerade über die Frage der Ablosung des Besatzungsstatuts durch einen Generatvertrag und ides Beitritts zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft — einen Unterausschuß „Besatzungsregime", bestehend aus 6 Mitgliedern, gebildet, dessen Vertraulichkeit sichergestellt worden ist.
Der Ausschuß befürchtet, daß eine Aushöhlung des eigentlichen Aufgabengebiets des Ausschusses fur das Besatzungsstatut erfolgen könnte, wenn man diesem Antrag der Föderalistischen Union zu diesem Zeitpunkte stattgeben würde, und daß die Hauptprobleme, ohne deren Kenntnis ja die Beurteilung der Nebenfragen gar nicht möglich ist, aus dem Zuständigkeitsbereich des auswärtigen Ausschusses herausgebrochen würden.
Der Ausschuß sieht daher die Notwendigkeit für die Bildung dieses anderen, neuen Ausschusses für Verteidigungsfragen — wenigstens zum gegenwärtigen Zeitpunkt — nicht ein. Er glaubt insbesondere, daß durch die Bildung des Unterausschusses des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten die Möglichkeiten einer hinreichenden Information gegeben sind und daß der vertrauliche Charakter dieses Unterausschusses das Vertrauen der Bundesregierung und die Gewährung von Informationen rechtfertigt. Aus diesem Grunde hat Ihnen der Ausschuß für Besatzungsstatut vorgeschlagen, Ziffer 2 des Antrags der Föderalistischen Union abzulehnen.
Nach dem dritten Punkte des Antrags soll die Bundesregierung ersucht werden, die Höhe des eventuellen Verteidigungsbeitrags in Verhandlunden mit den Westalliierten so zu vereinbaren, daß das im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten zu niedrige deutsche Existenzminimum bei der Berechnung des Verteidigungsbeitrags entsprechend berücksichtigt wird. Bei der letzten Verteidigungsbeitragsdebatte ist die Frage der Höhe eines etwaigen künftigen deutschen finanziellen Verteidigungsbeitrags — wenn auch nur in hypothetischem Sinne - eingehend erörtert worden. Diese
Frage ist auch in zwei Beschlüssen des Bundestags — Drucksache Nr. 3077 und Drucksache Nr. 3079 — eingehend behandelt worden. In diesen Entschließungen ist, und zwar in Drucksache Nr. 3077, zum Ausdruck gekommen, daß gleiche Maßstäbe für alle Staaten der westlichen Verteidigungsgemeinschaft bei der Einschätzung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Anwendung kommen sollen und daß die deutschen Sonderbelastungen — insbesondere die gegenwärtige deutsche Steuerbelastung — berücksichtigt werden müssen. In Drucksache Nr. 3079 ist verlangt worden, daß ein etwaiger deutscher finanzieller Verteidigungsbeitrag nur nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands und nur unter angemessener Berücksichtigung der besonderen Lasten der Bundesrepublik festgesetzt werden dürfte.
Der Ausschuß glaubt, daß durch diese Resolution die im dritten Punkt des Antrags der Föderalistischen Union angeschnittene Frage der Höhe eines etwaigen deutschen Verteidigungsbeitrags bereits in ausreichender Weise behandelt worden ist, und schlägt daher dem Hohen Hause vor, Ziffer 3 des Antrags der Föderalistischen Union als durch die Beschlüsse des Deutschen Bundestags — Drucksachen Nrn. 3077 und 3079 — erledigt zu betrachten.
Viertens wird seitens der Föderalistischen Union vorgeschlagen, die Bundesregierung zu ersuchen, alsbald die Frage der Notwendigkeit der Zustimmung anderer staatsrechtlicher Organe als des Bundestags einer endgültigen Klärung zuzuführen. Es ist Ubung und es ist selbstverständlich, daß es Aufgabe der Bundesregierung ist, bei der Ausarbeitung jeder Gesetzesvorlage alle einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen einer Vorprüfung und Vorklärung zu unterziehen. Darüber hinaus ist aber zur Frage des Verteidigungsbeitrags bereits eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig, die von einer Reihe von Mitgliedern des Bundestags und von Ländern eingereicht worden ist und deren Ziel es ist, die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Einführung einer etwaigen Wehrpflicht zu klären. Aus diesen Gründen sieht der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten im Augenblick nicht die Notwendigkeit ein, dem Antrag der Föderalistischen Union Ziffer 4 stattzugeben, und empfiehlt dem Hohen Hause, auch diesen Punkt des Antrags abzulehnen.
Nach Punkt 5 des Antrags der Föderalistischen Union soll die Bundesregierung ersucht werden, durch Verhandlungen mit den in Betracht kommenden Stellen den Völkerrechtsstatus etwaiger deutscher Soldaten eindeutig zu klären. Insbesondere soll die Frage geklärt werden, ob deutsche Soldaten den völkerrechtlichen Schutz gegenüber allen Alliierten genießen und wem gegenüber ihnen eine Gehorsamspflicht obliegt. Schließlich soll nach diesem Antrag die Bundesregierung ersucht werden, Verhandlungen zu führen, damit frühere deutsche Soldaten, die wegen angeblicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden sind, zuvor aus den Gefängnissen entlassen werden.
Die letzte Forderung dieses Antrags hat auch bereits den Gegenstand der Beratungen des Deutschen Bundestags anläßlich der Verteidigungsdebatte gebildet. Damals ist ein Beschluß nach Drucksache Nr. 3078 angenommen worden, der die Forderung enthält, daß zunächst die sogenannten deutschen Kriegsverbrecher, d. h. Soldaten, die unter der Beschuldigung von Kriegsverbrechen
verurteilt worden sind oder der Verurteilung zugeführt werden sollen, aus der Haft entlassen werden sollen.
Der auswärtige Ausschuß hat Ihnen jedoch nicht aus diesem Grunde vorgeschlagen, diesen Antrag zu Ziffer 5 abzulehnen, wohl aber aus dem andern Grunde, daß sich der auswärtige Ausschuß zu einem früheren Zeitpunkt in seiner Sitzung vom 15. November 1951 bereits in eingehender und vielleicht erschöpfender Weise mit dem Problem der sogenannten deutschen Kriegsverbrecher befaßt und dem Hohen Hause eine Reihe von Vorschlägen gemacht hat, die dann auch Gegenstand der Beschlußfassung des Plenums geworden sind. Aus diesem Grunde erscheint eine nochmalige Behandlung dieser Frage im Augenblick nicht erforderlich.
Zu den anderen Punkten von Ziffer 5 des Antrags der Föderalistischen Union sei bemerkt, daß die Gedankengänge der Bundesregierung über die Leistung eines künftigen deutschen Verteidigungsbeitrags nicht etwa die Schaffung einer 'deutschen Armee vorsehen, sondern einer europäischen Armee. Die völkerrechtliche Stellung deutscher Kontingente im Rahmen einer europäischen Armee regelt sich nach der Haager Landkriegsordnung, zur Zeit allerdings zusätzlich nach den Bestimmungen des Kontrollrats. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Westalliierten, die zu einem etwaigen Abkommen über den Beitritt zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft führen sollen oder können, auch die Klärung des völkerrechtlichen Status etwaiger deutscher Soldaten und deutscher Kontingente mindestens gegenüber den Westalliierten zum Gegenstand haben werden. Eine darüber hinausgehende Klärung dieses Status gegenüber allen Alliierten kann im Augenblick wohl nicht erwartet werden. Der auswärtige Ausschuß schlägt vor, Ziffer 5 des Antrags der Föderalistischen Union abzulehnen.
In der letzten Ziffer des Antrags der Föderalistischen Union soll die Bundesregierung ersucht werden, die den eventuellen Verteidigungsbeitrag betreffenden Abmachungen erst zu paraphieren, wenn der Generalvertrag auf der Basis deutscher Souveränität zuvor ratifiziert worden ist. Der Gedanke, der dem Beschluß der Mehrheit des auswärtigen Ausschusses zugrunde lag, war wohl der, daß nur ein souveränes Volk über seinen Beitrag zur Verteidigung beschließen kann, daß erst die Rückgabe der Freiheit erfolgen muß und nur ein freies Volk in der Lage ist, in freier Entscheidung eine Entschließung darüber zu treffen, ob es bereit ist, einen derartigen Beitrag zur Verteidigung zu leisten.
Wenn die Mehrheit aus diesen Erwägungen dem Antrag zustimmte, so waren für die Minderheit andere Gründe maßgebend, die sie zur Ablehnung der Ziffer 6 des Antrags der Föderalistischen Union veranlaßten. Nach der Auffassung der Minderheit soll die Exekutive bei der Führung der Verhandlungen mit anderen Mächten der Legislative voranschreiten — sie muß es sogar tun —, und es ist die Aufgabe der Exekutive, das Tempo, die Arbeitsweise, die Methode, die Verbindung und Trennung von Verhandlungsgegenständen, aber auch den zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Beratungsgegenstände in freier Entscheidung nach Zweckmäßigkeitsgründen und nach den Forderungen der politischen Vernunft zu bestimmen. Es wäre unrichtig — nach der Auffassung der Minderheit —, wenn der Bundestag der Exekutive bei den ohnehin sehr schwierigen Verhandlungen Bindungen über die Art und Weise, in der sie diese Verhandlungen mit anderen Mächten zu führen hat, auferlegen würde. Der Bundestag wird zu gegebener Zeit 'zu den Ergebnissen der Verhandlungen der Exekutive in der Weise Stellung nehmen müssen, daß jede Abmachung, die mit auswärtigen Mächten getroffen werden könnte, der Ratifikation und jedes Wehrgesetz der Annahme durch die zur Bundesgesetzgebung bestimmten Organe in der verfassungsmäßigen Form bedarf. Im' Vollzug dieser Aufgabe sind nach Auffassung der Minderheit die Rechte der Volksvertretung zwar nicht erschöpft, aber gewahrt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Eichler!
Eichler , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Bundestag hat sich schon sehr oft — und wir glauben, viel zu oft — in der peinlichen Lage befunden, die Bundesregierung fragen zu müssen, was sie zu tun gedenke, ihre Minister oder ihre Beamten daran zu gewöhnen, daß auch sie sich bei öffentlichem Auftreten mindestens wie jeder Staatsbürger im Rahmen des Erträglichen und des politisch Verantwortbaren zu halten hätten. In monotoner Weise spielte sich vor unseren Ohren und Augen hier immer der gleiche Vorgang ab: Zunächst hatten alle Leute den Redner falsch verstanden, hatten ihm böswillig etwas in den Mund gelegt, was er gar nicht gesagt hatte. Dann, wenn es schließlich gar nichts mehr zu leugnen gab, hatte er es völlig anders gemeint, als er es gesagt hatte. Wir müssen deshalb sehr offen und sehr deutlich erklären, daß wir nicht nur gegen den Inhalt solcher Reden, sondern vor allen Dingen gegen Form und Art solcher Ausreden hier zu protestieren haben.
Wenn schon jemand als Minister oder hoher Beamter das öffentliche Reden nicht sein lassen kann', dann verlangen wir, daß er wenigstens zu seinen Worten steht; denn das halten wir für eine der vornehmsten demokratischen Tugenden.
Wer sie nicht besitzt, darf sich nicht wundern, wenn man sich mit ihm schließlich nicht mehr über eine echte Meinungsverschiedenheit in demokratischer Weise auseinandersetzen und sie ausfechten kann.
Der Fall, der den Gegenstand unserer Großen Anfrage bildet, die Sie in Drucksache Nr. 3203 vorfinden, ist unserer Meinung nach der peinlichste und beschämendste,
obwohl man sich bei der Leistungsfähigkeit unserer Regierung auf diesem Gebiet hüten sollte, voreilig zu Superlativen zu greifen.
Aber wir möchten allen Ernstes betonen: wir betrachten die mit der Reise des Staatssekretärs Hallstein nach Amerika zusammenhängenden Geschehnisse nicht für eine Art von gefundenem Fressen für die Opposition,
Deutscher Bundestag - 204. Sitzurig. Bonn, den 3. und 4. April 1952 810
sondern wir sind beschämt und traurig, weil unsere Vertretung nach außen hier so über alle Maßen schief gehandhabt worden ist.
Davon kann niemand Nutzen haben, auch nicht die Opposition.
Am 25, Februar bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amts einem Vertreter der „United Press": „Der Staatssekretär Professor Hallstein reist in der zweiten Märzhälfte zu einem mehrtägigen Besuch in die Hauptstadt der Vereinigten Staaten und wird bei dieser Gelegenheit in der Georgetown-Universität Vorträge über den Schumanplan und die Integration Europas halten." Es wurde aber betont, der Staatssekretär reise nicht als Vertreter der Bundesregierung, sondern in seiner Eigenschaft als Professor.
„Hier stock' ich schon", sagen wir mit Faust; denn die Themen der Vorträge zeigten klar, daß, ob als Professor oder als Staatssekretär, Herr Hallstein über hochwichtige politische Dinge reden würde. In der Tat wurde weiter gemeldet, daß Herr Hallstein vielleicht auch mit dem amerikanischen Außenminister Dean Acheson und hohen Beamten des State Department zusammenkommen werde. Schließlich sollte Herr Hallstein in Amerika die Botschafter der Schumanplan-Länder und die Vorsitzenden der außenpolitischen Ausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses treffen, die der deutsche Geschäftsträger ihm zu Ehren zum Diner eingeladen hatte. Die Reise kann also kaum als eine private gedacht gewesen sein. Bleibt die Frage: warum mußte der Herr Hallstein sich als Professor verkleiden? —
und: hat er seine Reden und Presseäußerungen im Auftrage der Regierung oder ohne ihr Wissen gehalten?
Diese Frage ist entscheidend für die Wirkung der staatssekretarialen außenpolitischen Entwicklung seiner Großraumpläne, die er in Amerika entwickelte.
Zunächst erklärte Herr Hallstein, kaum in Amerika angekommen, die gerade erschienene sowjetische Note über einen deutschen Friedensvertrag als „absolut bedeutungslos".
Hat er diese wegwerfende Bemerkung im Einverständnis mit seiner Regierung gemacht, oder war er von vornherein sicher, daß er darin mit ihr übereinstimmte? Wenn die Bundesregierung diese Bemerkung nicht billigte, — hat sie irgend etwas getan, um den Redefluß des Herrn Hallstein einzudämmen oder sich von ihm zu distanzieren?
Wenn sie nichts unmittelbar unternommen hat, dann muß allerdings zugegeben werden, daß Herr Hallstein etwas in Verwirrung geraten konnte, wenn er nur die ersten Äußerungen amtlicher deutscher Stellen zu Gesicht bekam. Denn am gleichen Tag sprach auf einer Pressekonferenz in Bonn der Bundespressechef Herr von Eckardt über die sowjetische Note. Er betonte zwar, daß er die Note noch nicht sorgfältig habe studieren können, — was ihm niemand zum Vorwurf gemacht hatte. Das hielt ihn
aber nicht davon ab, um so unsorgfältiger über die von ihm vermuteten Hintergründe bei der Absetzung zu urteilen: die Note bedeute praktisch die Forderung auf den Verzicht der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße. Er sprach von der Unaufrichtigkeit der sowjetischen Leitsätze, von den nur scheinbaren Zugeständnissen,
und zum Schluß erklärte er auf Fragen: „Ich möchte daran erinnern, daß Staatssekretär Hallstein sich augenblicklich in Washington befindet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man nicht auch dort über den Inhalt der Note reden wird." Hier hatte der Herr Bundespressechef richtig getippt. Er kannte seinen Staatssekretär.
Hatten also beide gleiche Instruktionen, oder waren beide nur als Privatleute tätig, oder spiegelten ihre Ansichten die allgemeinen Ansichten ihrer Dienststellen wider? Denn schließlich hat auch der Herr Bundeskanzler in Siegen später erklärt, „eine Zusammenarbeit mit dem bolschewistischen Osten sei nicht möglich".
Freilich war die Rede des Bundesministers Kaiser
auf einen ganz anderen Ton abgestimmt; aber wer
bestimmt denn in der Bundesrepublik die Richt-
linien der Politik, und auf wessen Haltung mußte
der Staatssekretär deshalb mehr Gewicht legen?
Aber Herrn Hallstein Erklärung zur sowjetischen Note war eigentlich nur die Einleitung zu einer ganzen Flut von abenteuerlich anmutenden Erklärungen und Dementis,
die sich an die Pressekonferenz knüpften, die der Staatssekretär benutzte, um seine europäischen Integrierungspläne vorzulegen. Die ersten Meldungen wußten zu berichten, daß er die Integrierung Europas bis zum Ural vorgetrieben wissen wollte. Das war offenbar selbst der deutschen Bundesregierung zuviel, .
die, wenn man den Pressemeldungen glauben darf, Herrn Hallstein telefonisch um eine Erklärung bat. Er erwiderte zunächst, er habe vom Ural überhaupt nicht gesprochen. Die deutsche Mission in Washington unterstützte ihn in diesem irreführenden Dementi, indem sie wörtlich mitteilte: „Das Mißverständnis kann wahrscheinlich durch die Tatsache erklärt werden, daß ein Journalist während der Fragezeit äußerte, der herkömmliche geographische Begriff Europa erstrecke sich bis an den Ural. Der Staatssekretär selbst hat das Wort „Ural" gar nicht gebraucht."
Eine weitere kräftige Hilfe erhielt Herr Hallstein aus der „Stimme Amerikas". Die „Stimme Amerikas" brachte folgende angebliche Richtigstellung: „Ein Reporter fragte den Staatssekretär, ob er denn nicht auch in der Schule gelernt hätte, daß Europa das Gebiet bis zum Ural umfasse, — worauf Professor Hallstein mit Ja antwortete."
Zum Unglück für Herrn Hallstein ist die Rede aufs Band aufgenommen worden.
Danach — nach dem Band-Text — ist Herr Hallstein gefragt worden:
In Ihrer Rede heute nachmittag beschäftigten Sie sich mit dem Schumanplan und der Integration Europas. Würden Sie so freundlich sein, uns den Begriff Europa zu definieren? Als ich in der Schule war, habe ich gelernt, daß sich Europa bis westlich des Urals ausdehnt. Ist dies das, was Sie mit der Integration Europas meinen?
Und darauf antwortete Herr Hallstein:
Ja, das ist das, was wir meinen.
Nun, meine Damen und Herren, es ist etwas völlig anderes, ob mich jemand fragt, ob ich in der Schule gelernt habe, Europa reiche bis an den Ural — denn das haben wir selbstverständlich alle gelernt —, und ich antworte darauf mit „Ja!",
oder ob ich bestätige, daß die europäische Integration
bis an den Ural vorgetrieben werden solle.
Und nun, meine Damen und Herren, kommt der vorläufige Schluß in der Reihe der Dementis, ein Schluß, der wahrhaftig unglaublich klingt. Nach seiner Rückkehr hat der Staatssekretär Hallstein hier in Bonn erklärt, er habe bei der Frage des Journalisten das Wort Ural in der englischen Aussprache nicht mitbekommen und dann erst aus Bonn erfahren, daß dieses Wort gefallen sei;
wenn er die Frage richtig verstanden hätte, hätte er sofort geantwortet: Ich bin kein Märchenerzähler. Lassen wir dahingestellt, ob Herr Hallstein das wirklich nicht ist.
Wenn er jetzt erklärt, er habe nur sagen wollen, daß die Bildung der Europaischen Gemeinschaft eine attraktive Wirkung auf den Osten ausüben würde, so ist klar, daß er in Amerika tatsächlich viel mehr gesagt h a t , als er selber vielleicht gemeint hat. Seine Entschuldigung, er habe gar nicht gewußt, daß bei seiner Pressekonferenz vom Ural die Rede sei, kann in unseren Augen seine Fähigkeiten zum Staatssekretär nicht verbessern.
Aber die Haltung, die deutschen Sorgen, die, weiß Gott, groß genug sind, noch dadurch zu vergrößern, daß man sich um Sorgen anderer Leute kümmert, daß man über Deutschland bis zum Ural oder bis zum Osten Europas vorstoßen müßte, wurde auch von dem Herrn Bundeskanzler in seiner Siegener Rede unterstrichen, in der er sagte, „Die Neuordnung im Osten Europas" gehöre zu „seiner Politik".
Und schließlich: Dieser missionsbesessene Drang nach dem Osten, die absurde Zielvorstellung, daß nun nicht mehr am deutschen, wohl aber am Schumanplan-Wesen die ganze Welt genesen solle — wenigstens bis zum Ural —, ist keineswegs so unglaublich, daß Herr Hallstein meinen konnte, es gehörte ein Märchenerzähler dazu," um auf so etwas zu verfallen. Der Pressedienst der Partei des Herrn Bundeskanzlers schrieb geradezu begeistert: „Vereinigung Europas durch Zusammenschluß aller
Teile des Kontinents, das ist gewiß ein Ziel, das
an Weiträumigkeit nichts zu wünschen übrig läßt."
Nun, in der Tat, an Weiträumigkeit läßt es gewiß nichts zu wünschen übrig, wohl aber an allem andern; denn es enthält eine Gedankenwelt, wenn man dazu so sagen darf, die zusammengesetzt ist aus Unbelehrbarkeit und Größenwahn.
Man darf sich deshalb nicht darüber beschweren, wenn heute mehr und mehr der Eindruck entsteht, daß die Einheit Deutschlands und die Verständigung der Besatzungsmächte über diese Einheit nicht als vordringlichstes Ziel deutscher Politik gelten.
Hier liegen unsere deutschen Sorgen. Andere Mächte haben andere. Es ist nicht unsere Sache, vor der Lösung unserer eigenen Probleme uns um die Lösung der Probleme anderer Leute und Mächte zu kümmern.
Hier, meine Damen und Herren, liegt unserer Meinung nach der größte und eigentliche Schaden der Hallsteinschen Reden. Sie konnten für die Ausnutzung durch die sowjetische Propaganda gar nicht treffsicherer formuliert werden. Die lächerliche Dementi-Serie hat den Verdacht, den sie entkräften sollte, nur verstärkt.
Wenn wir uns den ätzenden Zynismus Talleyrands zu eigen machen wollten, würden wir hier sagen: das war mehr als ein Verbrechen, das war eine Dummheit.
Meine Damen und Herren, dieser Schaden kann nicht völlig, aber er muß und kann wenigstens zum Teil repariert werden. Deshalb unsere vier Fragen an die Bundesregierung:
1. Hat die Bundesregierung den auf einer privaten Amerika-Reise befindlichen Staatssekretär Professor Hallstein beauftragt, Erklärungen zur deutschen Politik abzugeben?
2. Was hat die Bundesregierung getan, um von den bekannten Äußerungen des Staatssekretärs abzurücken?
3. Hat die Bundesregierung nach den ersten Verlautbarungen des Staatssekretärs Schritte unternommen, um weitere für die Politik der Bundesregierung schädliche Darlegungen zu verhindern?
4. Wann gedenkt die Bundesregierung den Staatssekretär von seinen Pflichten im Auswärtigen Amt zu entbinden?
Eine Zeitung, die keineswegs der Opposition nahesteht, sondern im wesentlichen regierungsfreundlich war und ist
— die „Frankfurter Allgemeine" —, schreibt: Wenn man die Geschichte der ersten Woche des Aufenthalts des Staatssekretärs Hallstein in Washington .... überblickt, wird man f est-stellen müssen, daß sie für einen kurzen Zeitraum ungewöhnlich reich an Peinlichkeiten war. Man denkt dabei nicht an jene Unglücks-
fälle, wie sie in jedem Amte .... geschehen können. Es handelt sich ganz offenbar um eine beträchtliche Diskrepanz zwischen den Auffassungen des Staatssekretärs und denen, die politisch unterrichtete und nachdenkliche deutsche Kreise über die Notwendigkeiten des Tages hegen. Wie man hört, wird der Bundestag sich noch mit der Angelegenheit beschäftigen. Möchte es gelingen, daß dabei die patriotische Besorgnis zum Ausdruck komme, die viele besonnene Kreise in der Bundesrepublik angesichts der letzten Ereignisse erfüllt.
Hierzu möchte ich sagen: wenn das Wort „patriotisch" im deutschen Sprachgebrauch nicht durch seinen ewigen Mißbrauch für andere Zwecke völlig verhunzt wäre, würden wir nicht anstehen zu erklären: Jawohl, mit dieser Interpellation glauben wir eine patriotische Pflicht zu erfüllen.
Dip schweizer Zeitung „Die Tat" drückt sich in einem langen Kommentar ähnlich aus wie die „Frankfurter Allgemeine".
Nun, meine Damen und Herren, wir wissen, daß Herr Adenauer selber gelegentlich über die öffentlichen Reden seiner Minister und Beamten entsetzt war. Die Opposition ist nicht müde geworden, gegen diese unverantwortliche Rederei anzukämpfen. Der Herr Bundeskanzler hat leider stets, aus welchen Gründen auch immer, aus falsch verstandener Solidarität, vielleicht aus mißverstandenen Prestigegründen, seine verantwortlichen Kollegen und Beamten gedeckt. Gerade diese Nachsicht aber, dieses Schleifenlassen der Regierungsautorität und das Beiseiteschieben der ernsten Bedenken des Parlaments haben das Übel nur schlimmer gemacht, und sie mußten es schlimmer machen.
Die Sorglosigkeit und die Gedankenlosigkeit, die Herr Hallstein in Amerika gezeigt hat, übersteigen alles bisher Dagewesene. Die Zeit, in die seine Reise nach Amerika fiel, mußte ihm als besonders kritisch gerade für die deutsche außenpolitische Entwicklung bekannt sein.
Statt des erhöhten Verantwortungsgefühls, das ihm deshalb bei seinem öffentlichen Auftreten eigentlich hätte selbstverständlich sein müssen, haben wir dabei einen verhängnisvollen Mangel an Verständnis für die dringlichsten Aufgaben unserer Außenpolitik erlebt.
Die Form, in der Herr Hallstein in der politischen Öffentlichkeit Amerikas redete, war schlechthin unentschuldbar. Eine solche Häufung von unerträglichen Unzulänglichkeiten zeigt, daß es sich hier nicht um eine vereinzelte politische oder rednerische Entgleisung handelt, die man jedem nachsehen muß. Selbst aus Regierungskoalitionskreisen ist Herrn Hallstein erst dieser Tage bescheinigt worden, daß er sich der Wirkung seiner öffentlichen Erklärungen auf das In- und Ausland nicht immer bewußt ist. Deshalb kann hier auch keine Entschuldigung genügen. Auch ein Tadelsvotum des Bundestags würde hier nicht ausreichen. Die deutsche Außenpolitik braucht Vertreter, die weniger darauf aus sind, sich selbst und ihre globalen Wunschträume in den Vordergrund zu rücken, als vielmehr in harter Arbeit und unaufdringlicher Art und Weise Baustein für
Baustein zu setzen an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit
und dadurch einen deutschen Beitrag zum Frie-. den zu leisten. Herr Hallstein scheint uns diesen Ansprüchen nicht zu genügen. Deshalb fordert die sozialdemokratische Fraktion den Herrn Bundeskanzler auf, sich von diesem Mitarbeiter zu trennen und ihn von seinen Amtspflichten zu befreien. Ich habe die Ehre, dem Herrn Präsidenten den Antrag zu übergeben, der förmlich so lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, in der beamteten Leitung des Auswärtigen Amts sofort einen Wechsel vorzunehmen.
Wir bitten Sie, diesen Antrag anzunehmen.
Prsisident Dr. Ehlers: Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Hallstein hat seine Reise in die Vereinigten Staaten auf Einladung der Georgetown-University in Washington angetreten, an der er von 1948 bis 1949 als Gastprofessor tätig gewesen ist.
Er war eingeladen worden, dort über den Schumanplan und die ganzen Zusammenhänge des Schumanplans zu sprechen. Außer ihm war Herr Monnet eingeladen. Beide hatten zugesagt; Herr Monnet hat im letzten Augenblick wegen der in der Zwischenzeit eingetretenen innerpolitischen Lage in Frankreich wieder absagen müssen.
Daraus ergibt sich zunächst einmal, daß Herr Staatssekretär Hallstein diesmal als Professor und nicht als Staatssekretär hingegangen ist.
— Meine Herren, ich will keinem Professor zu nahe treten.
Nun wird, soweit ich weiß, dem Herrn Hallstein nach zwei Richtungen hin ein Vorwurf gemacht. Es wird ihm erstens zum Vorwurf gemacht, daß er, als die sowjetrussische Note. in Washington bekanntgeworden ist, sehr schnell eine ablehnende Stellungnahme dazu erklärt hat. In der Großen Anfrage ist gefragt worden:
Hat die Bundesregierung nach den ersten Verlautbarungen des Staatssekretärs Schritte unternommen, um weitere für die Politik der Bundesregierung schädliche Darlegungen zu verhindern?
Als ich aus der Presse diese Erklärung des Herrn
Staatssekretärs Hallstein gesehen habe, habe ich
ihm gekabelt, ich bäte, weitere wichtige politische
Erklärungen nicht ohne vorherige Fühlungnahme mit mir abzugeben.
— Ich hoffe, Sie sind zufrieden damit. Damit müssen Sie doch zufrieden sein.
Meine Damen und Herren, der weitere Vorwurf, der Herrn Staatssekretär Hallstein gemacht wird, ist diese „Ural-Geschichte". Ich glaube, es wird wohl niemand — auch nicht die „heißesten Freunde" des Herrn Staatssekretärs Hallstein hier im Hause — ihm unterstellen, daß er wirklich die Absicht gehabt habe, zu erklären, das ganze Gebiet bis zum Ural solle in den Schumanplan hineingenommen werden.
— Nein! — Sie glaubt es aber nicht!
Nun möchte ich Ihnen über die Vorgänge bezüglich des Herrn Staatssekretärs Hallstein einen Bericht aus den „Basler Nachrichten" verlesen. Dieser Bericht erschien am 19. März. Verfasser ist der Berichterstatter der „Basler Nachrichten" in Washington. Ich verlese den Bericht wörtlich:
Wiederholt betonte Hallstein, daß die europäische Gemeinschaft weiteren Ländern offenstehen solle, die den Beitritt wünschten. Leider spielte ein Journalist dem deutschen Besucher einen Streich.
— Ach, es kann jedem einmal passieren, Herr Schmid!
Er erinnerte daran, daß die Schulbücher die geographischen Grenzen Europas im Ural festgelegt haben.
Das hat ja auch Herr Eichler gelernt, wie er eben gesagt hat.
Der Journalist stellte Hallstein die Frage, ob er mit der Geographie einverstanden sei, wie sie in den Schulen gelehrt werde. Hallstein bejahte dies, ohne den Ural zu erwähnen, wobei ihm die englische Aussprache des Wortes Ural offensichtlich nicht bekannt war.
Der Journalist
— so fährt der Bericht fort —
entstellte jedoch die Antwort und legte sie dahin aus, daß Deutschland die Absicht habe, eine Politik zu verfolgen, deren Ziel es sei, Europa bis zu den europäischen Grenzen Rußlands zu befreien und zu vereinigen. Amerikanische und französische Zuhörer erklärten, daß
die Interpretation des Journalisten gegen besseres Wissen erfolgt sei.
— Vielleicht haben Sie es hier? Ich habe es nicht da!
Im übrigen wissen wir ja aus den Vorgängen, die
sich in diesem Hause bei der Diskussion der Frage
des Verteidigungsbeitrags abgespielt haben, wie
— Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, daß ich damit die Kommunistische Partei gemeint habe.
Nun hat Herr Kollege Eichler eben schon von der „Stimme Amerikas" gesprochen. Lassen Sie mich auch da das Zitat wiederholen. Die Stimme Amerikas, die im Besitz des Tonbandes sein soll, hat am 17. März ihr Urteil über den Vorgang in dem Satz zusammengefaßt:
Ich habe schon viel an ungenauer und entstellter Berichterstattung gesehen, und mich wundert es nicht, wenn die Kommunisten es tun; aber niemand anders, ob politischer An-hanger oder Gegner, sollte sich an ihrer Verbreitung beteiligen.
Herr Kollege Eichler hat — ich fasse es kurz zusammen — von den schweren Schäden gesprochen, die Herr Staatssekretär Hallstein in den Vereinigten Staaten hinsichtlich Deutschlands angerichtet habe. Darauf möchte ich Ihnen folgendes erklären. Der Senator Francis Case hat beantragt, daß die Rede des Staatssekretärs vor der Georgetown-University in den offiziellen Parlamentsberichten der Vereinigten Staaten abgedruckt werden solle, und der Senat der Vereinigten Staaten hat diesem Antrag einstimmig zugestimmt.
Ich darf Ihnen weiter sagen, daß nach einem Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung" der Senator MacMahon, der zu den führenden Mitgliedern der Senatskommission für auswärtige Beziehungen gehört, erklärt hat, er sei überzeugt, daß der Besuch Professor Hallsteins in Washington der Sache Deutschlands sehr gedient habe.
Er habe Gelegenheit gehabt, mit Hallstein über deutsche und europäische Fragen zu sprechen, vor allem auch über die Frage der Einigung Europas, und er habe von allen Besprechungen einen starken Eindruck empfangen.
Ich glaube, daß damit die Sache so klargestellt ist, wie sie nur klargestellt sein kann.
Aus eigenem Wissen möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Ich habe Herrn Hallstein nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten zuerst in Paris gesprochen — er kam von New York nach Paris —, und ich kann Ihnen bezeugen, daß Herr Hallstein geradezu perplex war
— nein, harmlos ist er nicht, meine Damen und Herren —,
daß er geradezu perplex war, als er von mir hörte, was aus seinen Äußerungen in den Vereinigten Staaten gemacht worden war.
Nun wird ja doch wohl, glaube ich, die Mehrheit des Hauses mit mir darin übereinstimmen, daß wirklich keine Veranlassung dazu besteht, auf eine so wertvolle Kraft
— wie sie namentlich auch der Bundestag in Herrn
Staatssekretär Hallstein bei der Erörterung des
Schumanplans kennengelernt hat — zu verzichten.
Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD betrettend Einheit Deutschlands. Die Aussprache wird erst eröffnet, wenn beide Anträge begründet sind. Wer wird diesen Antrag begründen? — Herr Abgeordneter Wehner, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Bundestag sich bisher damit zu beschäftigen hatte, seine Stellung zur Wiedervereinigung Deutschlands zu bestimmen, so waren die Anlässe dazu meist Erklärungen oder sogenannte Angebote der sowjetzonalen Regierungsstellen. Diesmal ist der Anlaß von der Sowjetregierung selbst gegeben worden. Die Sowjetregierung, die sich jahrelang in Schweigen gehüllt hat, als es sich um Vorschläge der Bundesregierung und des Bundestags zur Schaffung der Voraussetzungen für freie Wahlen in den vier Zonen und in Berlin handelte, hat sich durch die Note vom 10. März direkt an die Regierungen der drei anderen Besatzungsmächte gewandt, um Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland in Gang zu bringen. Die sowjetzonale Volkskammer und die Blockparteien der sowjetischen Besatzungszone haben diesmal nur die Begleitmusik zu der von der Sowjetregierung angegebenen Melodie zu spielen.
Es erhebt sich die Frage: Bieten die Vorschläge der Sowjetregierung Möglichkeiten zu Verhandlungen der Regierungen der vier Besatzungsmächte, die zu einer Übereinkunft führen können, durch die uns Deutschen endlich die Voraussetzungen gewährleistet werden, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu vollziehen? Und es ist daran die Frage zu knüpfen: Werden die Regierungen der drei anderen Besatzungsmächte diese Note der Sowjetregierung zum Anlaß nehmen, festzustellen, ob sich positive Möglichkeiten zur Wiedervereinigung Deutschlands zeigen?
Das deutsche Volk, meine Damen und Herren, hat ein brennendes Interesse, zu erfahren, ob es endlich an der Schwelle des achten Jahres nach
Kriegsschluß aus dem Zustand der Spaltung seines Vaterlandes erlöst werden kann, und die Bundesrepublik darf nichts versäumen, was geeignet sein könnte, Deutschland aus der Zerreißung heraus und zur Einheit in Freiheit zu führen.
Die Tatsache, daß die Bundesregierung nicht Adressat der sowjetischen Note ist, sondern daß die Erörterung über die Voraussetzungen eines Friedensvertrags sich zunächst zwischen den Besatzungsmächten vollzieht, entbindet uns nicht von der Pflicht, uns mit ungeteilter Aufmerksamkeit dieser Erörterung zuzuwenden.
Der sozialdemokratische Antrag Drucksache Nr. 3210 will erreichen, daß die Bundesrepublik eine vom Vertrauen aller Deutschen getragene Anstrengung macht, um die deutschen Forderungen und Anliegen bei den Regierungen der vier Mächte gleichmäßig zur Geltung zu bringen. Der Antrag ist so zu verstehen, daß jede der in ihm enthaltenen Forderungen auf jetzt neu zu unternehmende Schritte abzielt. Wir meinen, daß der zwischen den Regierungen der vier Mächte begonnene Notenwechsel — ein Ausdruck für eine gewisse Änderung der Lage und selbst möglicherweise wieder Anlaß zu weiteren Veränderungen — wichtig genug ist, den Regierungen der vier Mächte aufs neue die deutschen Anliegen zu unterbreiten. Diesem im Antrag enthaltenen Verlangen wäre — um das deutlicher zu machen, sei das noch gesagt — nicht Genüge getan, wenn wir uns lediglich auf schon früher unternommene Schritte beschränken oder auf sie verweisen wollten.
Ich möchte Ihnen nun zu den einzelnen Punkten unseres Antrags einiges sagen. In Ziffer 1 unseres Antrags ersuchen wir den Bundestag, zu beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, den Regierungen der vier Besatzungsmächte in aller Form zu erklären, daß es die vordringlichste politische Forderung des ganzen deutschen Volkes ist, die Einheit Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, die vordringlichste deutsche Forderung, nicht, wie man es in der letzten Zeit mitunter hat hören können, das „letzte Ziel", dem irgendwelche anderen vorauszugehen hätten! Die deutsche Wiedervereinigung ist für alle Deutschen das wichtigste Problem in der Politik überhaupt, und es gehört auch zeitlich an die erste Stelle.
Die vordringlichste politische Forderung kann und soll nicht mit einer, wie es hier schon einmal erwähnt worden ist, „Neuordnung Osteuropas" in Verbindung gebracht oder ihr untergeordnet werden, und die vordringlichste politische Forderung des .ganzen deutschen Volkes ist nicht mit einer sogenannten „Integration bis zum Ural" oder sonstwohin zu verkoppeln.
Vorstellungen, wie sie Plänen zur „Neuordnung
Osteuropas" und zu dieser Art von „Integration
bis zum Ural" zugrunde liegen mögen, können
nicht die Richtung der deutschen Politik bestimen. Es handelt sich dabei um vage Träumereien
oder um abenteuerliche Irrwege. Deutschland will
nichts anderes — und das sei in diesem Zusammenhang betont — als sein Selbstbestimmungsrecht, das ihm den Weg zu echter Partnerschaft
mit allen Völkern öffnet, die seine Rechte respektieren. Es handelt sich bei dieser Forderung um die Einheit Deutschlands, des konkreten Staates Deutschland, nicht um ein Ersatzgebilde oder um Ersatzgebilde, die in ihren Bestandteilen wie in ih ren Gesamttendenzen gleich undefinierbar wären.
V enn wir betonen: wir wünschen, daß es „in aller Form" geschehe, so tun wir das insbesondere auf Grund der Erfahrungen, die wir mit dem Notenwechsel vom Oktober 1951 haben machen müssen. Damals wurden die Forderungen, die Beschlüsse, die der Bundestag zusammen mit einer Regierungserklärung am 27. September angenommen hatte, in der Note der Bundesregierung vom 4. Oktober den Alliierten Hohen Kommissaren übermittelt. Aber in der Antwortnote der Alliierten Hohen Kommissare vom 15. des gleichen Monats ist man auf den eigentlichen Inhalt der deutschen Note nicht eingegangen, sondern man hat eine untergeordnete Frage, eine Nebenfrage zur eigentlichen Angelegenheit des Notenwechsels gemacht. Es handelte sich damals um den Vorschlag, eine Kommission der Vereinten Nationen zu veranlassen, sich in Deutschland ein Bild darüber zu machen und ein Urteil darüber abzugeben, ob hier die Voraussetzungen für freie Wahlen bestehen. Das war ein gewiß nicht unwichtiger Vorschlag; aber es war einer von mehreren möglichen Vorschlägen, und es war schade — das möge bei dieser Gelegenheit gesagt werden —, daß man bei der Bildung dieser Kommission — das ist nicht durch die Deutschen geschehen - in Paris sozusagen unter dem Gesichtspunkt gehandelt hat: Friß, Vogel, oder stirb; entweder dieser Vorschlag wird geschluckt, oder es gibt keinen andern.
Aber das Problem der deutschen Einheit ist doch wichtig genug, daß man nach Alternativmöglichkeiten — ich meine: nach echten Alternativmöglichkeiten — sucht. Es ist auch schade, daß es in der ersten Antwortnote der Westmächte auch jetzt noch so aussieht, als ob die Kommission sozusagen als unabdingbar für jeden weiteren Schritt für die deutsche Einheit gelte. Es wäre klüger gewesen — und das sollte auch von deutscher Seite bei der Gelegenheit einmal mit allem Respekt gesagt werden —, wenn man sich bereit erklärt hätte, Vorschläge entgegenzunehmen, wenn es andere gibt, um die Voraussetzungen zu prüfen oder um unmittelbar ans Werk zu gehen; denn es gibt ja nur eines, das wirklich unabdingbar ist: das sind freie Wahlen unter gleichen Bedingungen in allen vier Zonen und in Berlin, und zwar unter internationaler Kontrolle.
Ich will in dem Zusammenhang gleich einiges zu Ziffer 3 unseres Antrages sagen, denn sie gehört hierher und kann in Verbindung mit der Ziffer 1 behandelt werden. Ziffer 3 fordert, die Bundesregierung zu ersuchen,
den Regierungen der vier Besatzungsmächte unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bundestages vom 9. März 1951 und vom 27. September 1951 und der entsprechenden Noten der Bundesregierung die Forderung zu unterbreiten, durch eine Viermächteübereinkunft die Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen unter internationaler Kontrolle zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung in den vier Zonen und Berlin zu schaffen; die am 6. Februar 1952 vom Bundestag gebilligte Wahlordnung sollte als ein deutscher Beitrag zur Verwirklichung dieses Schritts von
den vier Mächten geprüft und verwendet werden.
Wir verweisen auf die Beschlüsse vom 9. März 1951 deswegen, weil sie im Hinblick auf die damalige Vorkonferenz der stellvertretenden Außenminister der vier Mächte gefaßt worden und zustande gekommen sind. Wir verweisen auf die Beschlüsse vom 27. September, weil sie die Grundlage für den Vorschlag einer Wahlordnung, der am 6. Februar dieses Jahres verabschiedet worden ist, gebildet haben. Der Herr Bundeskanzler hat damals in seiner Regierungserklärung bei der Darlegung der Grundzüge dieser Wahlordnung gesagt: „um nichts unversucht zu lassen", werde die Bundesregierung eine Wahlordnung für freie gesamtdeutsche Wahlen vorlegen. Auch jetzt sollte gelten: um nichts unversucht zu lassen, sollte man diesen Schritt, den wir in diesen zwei Punkten unseres Antrags fordern, beschließen.
Wir möchten an dieser Stelle betonen, daß es notwendig ist, die Dringlichkeit dieses deutschen Anliegens hervorzuheben. Wir glauben, dies ist um so notwendiger, als es mancherseits Neigungen gibt, die deutsche Frage so an andere Fragen zu koppeln, daß andere Fragen förmlich zur Voraussetzung für die Lösung der deutschen Frage gemacht werden. Ich denke dabei z. B. an Äußerungen des Staatssekretärs für das Äußere der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der in diesem Sinn etwa die Österreich-Frage zu einer Art Voraussetzung für das Herangehen an die deutsche Frage gemacht hat. Wir unterschätzen nicht die Österreich-Frage, und wir unterschätzen nicht die vielen weiteren Gesichtspunkte. die eine Regierung wie die der Vereinigten Staaten anzulegen hat. Aber hier geht es um das deutsche Anliegen, und wir haben dieses deutsche Anliegen in der Weise, die ihm gemäß ist und die ihm gebührt, anzubringen.
Wir wenden uns auch dagegen, daß der Eintritt in Verhandlungen über die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung etwa an Bedingungen geknüpft wird, die eigentlich den Verhandlungen vorgreifen. Ich denke da an solche Bedingungen wie die, daß man die UN-Kommission hereinlassen müsse, sonst habe man bewiesen, daß man keine freie Wahl wolle. Warum versucht man nicht, zunächst einmal zu erfahren, ob es andere brauchbare Vorschläge gibt?
Das gleiche gilt, wenn man über die Freiheiten spricht, die einer deutschen Regierung zu gewähren wären, wobei es heute schon so aussieht, als ob die höchsten Freiheiten, die eine Regierung erlangen kann, die im Generalvertrag konzipierten Freiheiten wären.
Lassen Sie mich nun zu Punkt 2 unseres Antrages zurückkehren. Dort fordern wir, die Bundesregierung zu ersuchen,
den Regierungen der drei westlichen Be-
satzungsmächte durch die Alliierte Hohe Kom-
mission als dringendes Anliegen des Deutschen
Bundestages den Wunsch nach ernster Prüfung
der Note der Sowjetregierung vom 10. März
1952 und nach der Ausnutzung jeder Verhandlungsmöglichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte betonen: Diese Forderung gilt auch nach der ersten Antwortnote der Westmächte, denn diese Antwortnote läßt ja erkennen, welche Schwierigkeiten es offenbar gemacht hat, eine gemeinsame Stellung der drei Regierungen zur Sowjetnote zu erarbeiten, — worüber kein Wort zu verlieren ist;
das ist eben keine einfache Angelegenheit. Der Bundeskanzler, so meinen wir, dürfte es begrüßen, wenn der Bundestag gerade angesichts dieser Sachlage einmütig bekundet, daß es sein dringendes Anliegen ist, jede Verhandlungsmöglichkeit möge ausgenutzt werden.
Die Gefahr, daß die Westmächte angesichts ihrer mannigfachen Sorgen anderen Problemen den Vorzug geben, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb möchten wir der Bundesregierung durch ein klares Votum des Bundestags in dieser Weise die Arbeit erleichtern. Auch bei uns in Deutschland hat es ja anfangs manche falschen Vorstellungen gegeben. Da kam das hier schon einmal erwähnte Wort, die Note und das, was damit angerührt werde, seien „undiskutabel". Es wurde schon am ersten Tag kategorisch gesagt, sie „bedeute nichts", oder auch: sie bedeute nichts Neues. Man hörte das beinahe schon zur Regel gewordene „ja, dies ist ja nur zur Verwirrung in die Welt gesetzt", man solle sich nicht irremachen lassen. Es ist so, als ob man einen Weg, den man ursprünglich beging, weil es auf Grund der sowjetischen Weigerung unmöglich war, die Einheit zu schaffen, jetzt sozusagen auch zum Trotz gehen müßte, auch wenn die Sowjetregierung jetzt vielleicht einlenken würde.
— Das wäre eine Art, der sich eigentlich niemand mit Vernunft anschließen könnte. — Schließlich ist sogar gesagt worden, diese Note sei nichts anderes als ein „Angebot an die deutschen Nationalisten".
Nun, was dort im einzelnen drinsteht, mag gemeint sein, wie es will. Hier kommt es doch in jeder Beziehung darauf an, daß wir uns gegen eine Ablehnung der Prüfung dieser Note und dessen, was in ihr und hinter ihr steckt, unter Berufung auf diese oder jene Einzelpunkte der Note wenden müssen. Man kann doch nicht — das ist aber leider so geschehen! —, weil z. B. bei den Westmächten keine Neigung besteht, den Deutschen eine nationale Armee zu konzedieren, erklären: „Das kommt nicht in Frage, das gehört der Vergangenheit an; wir wollen nur eine Europaarmee!" Das gilt dann immer nur für die Deutschen; die anderen würden sich so etwas nicht sagen lassen. Aber ich will damit sagen: es sollte doch nicht dem vorgegriffen werden, was bei einer sachlichen Prüfung — die man ja nicht im Studierzimmer allein, sondern am Verhandlungstisch vornehmen kann — herauskommen kann.
— Sie wissen das ja schon sehr gut. Sie sagen: „Njet". Aber lassen Sie es doch einmal darauf ankommen! Das wird ja auch zur Klärung der politischen Verhältnisse gut sein.
Vielleicht wollen manche nur ein „Njet". Es kommt aber darauf an, zu sehen, was in einer gegebenen Situation möglich ist.
— Ich sage nicht, daß S i e das wollen; ich sage „manche". — Oder: unter Berufung z. B. auf die verschiedene Auslegung der Abmachungen im Potsdamer Abkommen über die Gebiete jenseits der Oder und Neiße sagt man: „Da kann man sich überhaupt nicht an den Tisch setzen!". — Unser Standpunkt zu diesem Problem Oder-Neiße muß nicht noch einmal klargestellt werden. Aber es ist doch ein deutsches Interesse, daß eine gesamtdeutsche Regierung als echter Verhandlungspartner, als Partei bei Friedensverhandlungen dabei ist,
und darauf sollten wir uns doch konzentrieren statt auf irgendwelche Teilfragen, die dann in der nächsten Phase von Bedeutung sein mögen, aber es jetzt nicht sein können.
Deshalb, meine Damen und Herren, war es gut
— und ich sage das in diesem Falle dankbar —, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen inmitten solcher Verwirrungen und eigentümlichen Auslegungen das Wort gefunden hat, daß man prüfen und sorgsam prüfen muß, und daß er auch daran erinnert hat — hier stimmen wir überein —, daß es für die Deutschen eine Reihenfolge gibt, eine sozusagen unter allen Umständen einzuhaltende Reihenfolge: die freien Wahlen, die Bildung der Nationalversammlung und der gesamtdeutschen Regierung, und dann Friedensverhandlungen und schließlich Verhandlungsfriede. Es ist gut, in solchen Dingen — —
— Ja, ja, Sie werden diese Reihenfolge sicherlich noch ergänzen können, Herr Euler. Es kommt ja darauf an, womit man anfängt, und darauf, daß man sich nicht am falschen Ende irgendwie festlegen läßt.
Und wohin, meine Damen und Herren, kämen wir, wenn man jetzt in Einzelerörterungen eintreten würde? Wir haben es ja auf verschiedenen Seiten, nicht nur auf der sowjetischen Seite, mit eigentümlichen Vorstellungen zu tun, denen gegenüber der deutsche Standpunkt jetzt und wenn es einmal zu Verhandlungen kommen sollte
— und es wird ja einmal zu Verhandlungen kommen — zu wahren sein wird. Ich denke da zum Beispiel an solche Äußerungen, wie sie nicht von irgend jemandem, sondern von einem auf deutschem Boden betriebenen amerikanischen Sender „Freies Europa" in den Sprachen der Tschechen und Polen in die Welt gesetzt werden und wo fortgesetzt deutsche Fragen in einer Weise behandelt werden, daß man nur sagen kann: Ja, wer bestimmt denn eigentlich hier, was Politik ist und was der Standort der Deutschen ist? Da legen wir in einem — in Amerika geschriebenen — offiziösen Kommentar, bestimmt zur Propaganda für die Tschechen: „Solange die Deutschen ihre heutigen Grenzen nicht für definitiv halten werden, kann man sie nicht in eine Organisation aufnehmen, die die politische und strategische Situation an beiden Ufern des Atlantik beherrscht."
Meine Damen und Herren, das ist eine eigentümliche Auslegung dessen, was wir sonst in anderer Form hier gesagt bekommen haben.
Oder nehmen Sie etwas anderes, einen Kommentar vom 24. dieses Monats. Dort wird in bezug auf diesen Notenwechsel, wieder durch denselben auf deutschem Boden agierenden Sender, in tschechischer Sprache erklärt: „Die demokratische Welt will den westlichen Teil Deutschlands ein für allemal an ein föderatives westeuropäisches Gebiet anschließen, und die Sowjetunion will gemäß ihrer Erklärung vom 10. März den deutschen Imperialismus wiederauferstehen lassen". In dieser Weise geht es weiter. Es wird am Schluß dann noch breit darüber philosophiert, daß die Satellitenstaaten diejenigen sein würden, die den größten Schaden durch eine solche Moskauer Politik erleiden würden; „denn die Russen würden einem neutralen Deutschland eine gemeinsame Kolonialherrschaft über Mittel- und Südosteuropa anbieten, so daß hier zu dem
Gespenst des sowjetischen Imperialismus noch das schrecklichere Gespenst des deutschen Imperialismus hinzutreten würde". — Da haben wir noch den Komparativ! In dieser Weise wird dann hier gesagt, im Westen seien „keine Zweifel darüber vorhanden, daß die neueste Moskauer Linie Deutschland gegenüber für die westlichen Demokratien eine Gefahr bedeute", und immer wieder wird gesagt, man hätte es dann eben nicht nur mit dem sowjetischen, sondern auch mit dem deutschen Imperialismus zu tun.
Es ist wohl notwendig, einmal im Deutschen Bundestag zu dieser Art von Politik, die auf deutschem Boden gemacht und verbreitet wird, etwas zu sagen, gerade im Zusammenhang mit diesen Dingen und um so mehr, als wir ja — Sie haben das sicherlich auch alle gelesen, ich brauche es nur in Ihre Erinnerung zu rufen — kürzlich von einem der meistgelesenen amerikanischen Leitartikler die eigentümlichen Auslassungen über eine „gesamtdeutsche Gefahr", die bei einer gesamtdeutschen freien Wahl entstehen könnte, gelesen haben, von Walter Lippmann in seinen Artikeln, die ja sogar Zeitungen wie den „Industriekurier" und andere auf die Schanze gerufen haben, weil dort ganz klar und zum Teil in einer beinahe frivolen Weise erklärt wird, man müsse an der Spaltung Deutschlands festhalten, weil sonst „die Äpfelfuhre durcheinander komme", nämlich Schumanplan, deutsche Divisionen und Europaarmee. Nun, das können Sie j a alles einsehen. Vielleicht haben Sie es sowieso gelesen; aber in diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnert haben. Solchen Spekulationen, meine Damen und Herren, sollte durch alle Deutschen, und zwar vornehmlich durch die, die dazu berufen sind, entgegengetreten werden.
Ich will in diesem Zusammenhang — meinetwegen mit Abstand, aber doch in dem Zusammenhang — eine Äußerung des französischen Außenministers Robert Schuman erwähnen, der zum Ausdruck brachte — und das ist in den Welthauptstädten sorgfältig notiert worden —, daß eine Lösung, die Deutschland diese Art von Selbständigkeit gäbe, unmöglich wäre, weil Deutschland dann zum „Schiedsrichter Europas" würde. Das sind ja eigentümliche Begründungen, oder sagen wir: es sind eigentümliche Hemmungen, mit denen an das Problem einer eventuell möglichen — durch Verhandlungen möglichen — Vereinigung Deutschlands in Freiheit herangetreten wird.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort über Vorstellungen und Bemühungen, nur dann weiterzusprechen, wenn die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Abschluß eines Friedensvertrages durch die Einbeziehung in die eine oder in die andere zur Zeit bestehende Mächtegruppierung präjudiziert ist. Meine Damen und Herren, einer solchen Politik kann die Sozialdemokratische Partei nicht zustimmen, und wir erwarten, daß es nicht nur die Sozialdemokratische Partei sein wird, die einer solchen Politik nicht zustimmen kann. Wie sehr man sich aber bei dem irren kann, was man glaubt in der Tasche zu haben, das mögen Sie selbst — ich will es hier nicht zitieren — nachlesen in der heutigen Morgenausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit dem Bericht über die Erklärungen Robert Schumans über das Verhältnis der Schumanplan-Länder zu dem gespaltenen Deutschland und zu der Möglichkeit der Vereinigung Deutschlands. Die würde dann, heißt es, abhängig sein von der Zustimmung der fünf anderen.
Wir haben über diese Dinge einmal sehr ernst und leidenschaftlich diskutiert, als es um den Schumanplan ging. Die Bundesregierung meinte damals, sie habe Sicherungen dafür, daß es so nicht sein werde. Aber es scheint, wie so häufig in solchen Fällen, verschiedene Auffassungen unter den verschiedenen Verhandlungspartnern zu geben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort über das sagen, was in das Kapitel Erörterung von Einzelfragen, bevor es zu eigentlichen Verhandlungen kommt, gehört. Da hat das „Bulletin" des Presse- und Informationsamtes, das sich ja ein „Verdienst" in der Veröffentlichung von allerlei Studien erworben hat, am 22. März in einer größeren Arbeit „Und die Oder-Neiße-Linie?" eine Philosophie entwickelt, in der — um es kurz zu machen, sonst würde das Zitat zu viel Zeit nehmen — am Schluß gesagt wird, einmal sei der Anspruch Polens auf die Gebiete jenseits der Oder und Neiße legitim gewesen, weil man in Jalta ein solches Versprechen gegeben habe. Aber das habe damals, so wird hier behauptet, einem demokratischen Polen gegolten. Nachdem aber Polen nicht demokratisch, sondern totalitär und bolschewistisch geworden sei, habe es diesen Anspruch verwirkt. Wenn ein wieder demokratisches Polen zur Welt kommen sollte, also eine solche tiefgreifende Veränderung dort vor sich gehen sollte, müßte das demokratische Polen den Anspruch, den es einmal in Jalta legitim gehabt habe, sich erst wieder auf dem Verhandlungswege erwerben. Immerhin wird das der polnischen Emigration in Aussicht gestellt. Hier erhebt sich die Frage, ob damit die deutsche Politik oder die Deutschland-Politik nicht zu einer Art Funktion amerikanischer Rußland- und Osteuropa-Politik würde. Davor müssen wir warnen. .
Die Oder-Neiße-Linie ist — wie alle Grenzfragen im Osten u n d Westen — eine Sache der Friedensverhandlungen. Es wird um so notwendiger sein, keine Zweifel an unserer Haltung gegenüber dem Osten und dem Westen aufkommen zu lassen, als wir ja Erfahrungen mit Friedensverträgen haben, an denen die Sowjetunion beteiligt ist. Wir dürfen diese Erfahrungen nicht mißachten. Ich erwähne z. B. die Friedensverträge mit Ungarn, mit Bulgarien, mit Rumänien. Aber man kann doch, weil man solche Erfahrungen hat, nicht auf einen Vorschlag, der von jener Seite kommt, zu jeder Zeit einfach mit der Erklärung antworten: Wir weisen ihn zurück, oder: Wir ignorieren ihn, eben weil er von der Sowjetunion kommt.
— Herr Becker, es kommt nicht darauf an. daß Sie sich brennen. Es kommt darauf an, daß öffentlich zumindest klargestellt wird, ob irgendeine ernste Chance besteht. Das könnte nie geschehen, wenn man vorher sagt: Wir brauchen das gar nicht erst zu prüfen, weil wir wissen, daß von dieser Seite schon soundsoviel gesündigt worden ist.
Wir haben doch keine Illusionen und wollen auch
Ihnen nicht Illusionen einreden. Aber wir wollen
eine saubere, klare Stellung für alle haben, damit
wir uns nicht schließlich vor der Öffentlichkeit damit auseinanderzusetzen haben: Habt ihr denn wirklich untersucht, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt? Wenn es eine Möglichkeit gibt, muß man einsteigen.
-- Und Sie, Herr von Rechenberg, haben bis heute nicht verstanden, worin der Unterschied zwischen dem Versuch, eine sogenannte gesamtdeutsche konstituierende Behörde zu schaffen, die die Gewalt einer provisorischen Regierung hätte, und der Prüfung eines Friedensvertrages auf der Viermächteebene besteht.
Denn der Bundestag hat die ganze Zeit darum gekämpft, um aus diesem undefinierbaren Dunkel der sogenannten gesamtdeutschen Gespräche auf die Ebene der Viermächtebesprechung herauszukommen.
Wir müssen doch auch Klarheit schaffen über die „volksdemokratische" Auslegung solcher Begriffe wie „unabhängig", „demokratisch", „friedliebend", wie wir sie in dieser Note finden.
— Ja, die kennen wir, und wir möchten ja wissen, ob die noch so gelten. Es kann doch sein, daß sich etwas geändert hat, was vor zwanzig Jahren und vor fünf Jahren anders war. Sie sind natürlich viel klüger als wir. Aber u n s kommt es auf die sowjetische Besatzungszone an und darauf, ob es ) eine Chance gibt, die Menschen dort zu retten.
— Ich will Sie, Herr von Rechenberg, in keine Situation bringen; Sie sind genau wie wir Herr für Ihren eigenen Hut. Hier geht es um die Möglichkeit der Prüfung von politischen Voraussetzungen, um nichts anderes.
Im übrigen hat „Das neue Deutschland" — und da kommen wir schon an die politischen Probleme heran — kürzlich in einem Artikel über die erste Antwort der Westmächte an die Sowjetunion geschrieben, man solle doch sozusagen zweigleisige Verhandlungen machen. Die vier Mächte könnten immerhin mit Friedensverhandlungen anfangen, inzwischen könnten gesamtdeutsche Gespräche über, wie es heißt, die schnellste Möglichkeit stattfinden, zu einer gesamtdeutschen Regierung zu kommen. Nun, es gibt solche Doppelgleisigkeit nicht, es kann sie nicht geben. Aber gerade damit man einmal entscheidet, ob das nur die Vorstellung bestimmter SED-Leute oder dieser Partei ist, die sich natürlich an ihre Privilegien klammern möchte, oder ob es andere Möglichkeiten gibt, muß man das, was mit dem Wort Prüfung doch eigentlich genügend gesagt sein sollte, auch zu Ende führen.
Die Sowjetnote gibt die Möglichkeit zu Viermächteerörterungen über Bedingungen zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung. Denn es steht ausdrücklich drin, daß man zu solchen Erörterungen — und die Westmächte hätten es in der Hand zu sagen, das sei die erste Phase jeder Erörterung überhaupt — bereitet sein würde.
Damit komme ich zu dem letzten Punkt, zu
Ziffer 4 unseres Antrags. Darin beantragen wir, der Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung zu ersuchen, unverzüglich eine sachgemäße Prüfung und Zusammenstellung aller Unterlagen in Angriff zu nehmen, die an Hand der aus der Note der Sowjetregierung erkennbaren Forderungen und Vorschläge und der von den Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte dargelegten Gesichtspunkte zur Vorbereitung und Unterstützung der deutschen Forderungen bei Viermächtegesprächen dienen sollen.
Wir beantragen weiter:
Dem Bundestag ist über den Fortgang dieser Arbeiten, die in diesem Stadium naturgemäß keine breite Publizität haben können, laufend Bericht zu erstatten.
Wir denken uns, daß das vor allen Dingen den zuständigen Ausschüssen gegenüber geschehen soll. Uns scheint, hier müßte eine sehr sorgfältige Arbeit gemacht werden, zu der alle geeigneten Kräfte herangezogen werden sollten. Man sollte vor allem exakte Vergleiche mit früheren Forderungen der Sowjetregierung auf früheren Viermächtekonferenzen, aber auch auf den Außenministerkonferenzen von Warschau, von Prag usw. anstellen. Man sollte auch die Entwicklung der Stellung der anderen Besatzungsmächte mit der gleichen Sorgfalt verfolgen, und zwar nicht sozusagen global, sondern jede einzeln, damit man sich auch ein ganz klares Bild über diese Entwicklungen und zum Teil vielleicht Schwankungen in den Auffassungen machen kann. Uns wäre nicht damit geholfen, wenn man mit Formeln wie „Neutralisierung" oder „Potsdam", „Zurück zu Potsdam" arbeiten und argumentieren wollte. Potsdam ist ja heute schon ein Begriff, ich möchte sagen: ein sehr vieldeutiger Begriff auch bei jeder einzelnen der vier Besatzungsmächte. Aufpassen müssen wir vor allem, daß dieser Begriff jetzt nicht als Druckmittel angewandt wird, um uns die sogenannte Souveränität des Generalvertrags als die einzige Alternative schmackhaft zu machen oder aufzunötigen. Für die Demokratie in der Welt kann die durch die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit erreichbare Entspannung nur von Vorteil sein, meinen wir. Es müßte doch der Mühe wert sein, Konzeptionen für die Sicherung der Freiheit umzudenken, wenn ein vereinigtes Deutschland Tatsache werden könnte. Und der Westen könnte das j a auch, er könnte es leisten, auch kräftemäßig. Da ist man doch nicht an Konzeptionen gebunden, die unter anderen Umständen entworfen wurden und vielleicht entworfen werden mußten.
Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat kürzlich darauf hingewiesen, daß bei der Ordnung der europäischen Zusammenarbeit naturgemäß Rücksicht auf die nationalen Interessen und die Tradition der einzelnen Staaten genommen werde. Er hat eine Reihe von Beispielen angeführt. Es muß doch auch möglich sein, daß dies für Deutschland erreicht wird.
In einer Stunde, meine Damen und Herren, in der Gefahr ist, daß eine Tür zugeschlagen wird, möchten wir eine gemeinsame neue Anstrengung. Niemand von uns kann mit Sicherheit sagen, was eintreten würde, wenn wir durch Versäumnisse eine vielleicht unwiderrufliche Entscheidung über unser Land heraufbeschwören würden. In diesem Sinne bitten wir um die Annahme dieses Antrags.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich werde versuchen, meine Antwort ruhig und sehr nüchtern zu halten, und werde in den Mittelpunkt meiner Ausführungen die beiden Noten, einmal die Note Sowjetrußlands und zum andern die Antwortnote der drei Westalliierten stellen. Ich werde nicht der Versuchung unterliegen, Abschweifungen zu machen, sondern ich glaube, das deutsche Volk und auch andere Völker haben ein Recht darauf, den Standpunkt der Bundesregierung zur gegenwärtigen Situation möglichst von allem Beiwerk losgelöst zu erfahren.
Herr Abgeordneter Wehner hat mehrfach mit sehr starker Unterstreichung erklärt, daß das erste, vornehmste und vordringlichste deutsche Ziel die Wiedervereinigung Deutschlands sei. Ich darf daran erinnern, daß ich namens der Bundesregierung am 27. September 1951 in diesem Hause erklärt habe: Das oberste Ziel der Politik der Bundesregierung ist und bleibt die Wiederherstellung der deutschen Einheit in einem freien und geeinten Europa. Diese Einheit muß aus der freien Entscheidung des gesamten deutschen Volkes kommen. Meine Damen und Herren! Ich stelle ausdrücklich fest, daß dieser Erklärung mit sämtlichen Stimmen des Bundestags ohne Enthaltungen gegen die Stimmen der Kommunisten zugestimmt worden ist.
Nun möchte ich zunächst zu einer Analyse der beiden Noten übergehen. Darin hat Herr Wehner unstreitig recht: die Tatsache, daß Sowjetrußland im Gegensatz zu der Haltung, die es noch vor einem Jahr bei den Verhandlungen im Palais Rose in Paris eingenommen hat,eine Note an die drei Westalliierten wegen der Wiedervereinigung Deutschlands und wegen des Abschlusses eines Friedensvertrages über Deutschland gerichtet hat, ist sehr bemerkenswert. Ich werde zum Schluß meiner Ausführungen, wenn ich darauf eingehe, daß Herr Wehner eine Übersicht verlangt hat, auf diesen Punkt zurückkommen. Aber, meine Damen und Herren, wenn die westalliierten drei Mächte auf Grund dieser Note der Sowjetunion sich mit der Sowjetunion an den Verhandlungstisch gesetzt hätten, wären die berechtigten Ansprüche, die unveräußerlichen Rechte Deutschlands in der gröbsten Weise gefährdet gewesen.
— Ich hoffe doch, daß Sie, meine Herren von der Kommunistischen Partei, mir nachher noch die Notwendigkeit einer nationalen Armee für Deutschland beweisen werden; eine schwere Aufgabe!
Ich hebe aus der Note der Sowjetunion folgende Punkte hervor: an erster Stelle Ziffer 7. Ziffer 7 ist der wichtigste Punkt der ganzen Note, und aus ihr ist zu erkennen, was die Sowjetunion dazu veranlaßt hat, diesen Schritt gegenüber den Westalliierten zu tun. In Ziffer 7 soll Deutschland verpflichtet werden, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgend-
einen Staat richten, der mit seinen Streitkräften
am Kriege gegen Deutschland teilgenommen hat.
— Das würde bedeuten, daß Deutschland neutralisiert würde.
Ich brauche gar nichts weiter darüber zu sagen als das, was der Herr Kollege 011enhauer von diesem Pult aus seinerzeit gesagt hat, als über den Verteidigungsbeitrag gesprochen worden ist:
Eine Neutralisierung Deutschlands ist für Deutschland unter keinen Umständen annehmbar.
Nun versucht die Note Sowjetrußlands einmal, gewisse nationalistische Instinkte in Deutschland wachzuruf en,
indem es sich vor frühere Nationalsozialisten stellt,
indem es sich vor frühere deutsche Soldaten stellt.
Ich wünschte, Sowjetrußland würde den deutschen Soldaten, die es noch zurückhält, die Freiheit wiedergeben.
Wenn in dieser Note Sowjetrußlands von nationalen Streitkräften die Rede ist, so möchte ich ausdrücklich betonen, daß ja nach dieser Note Deutschland nicht etwa die Möglichkeit gegeben werden soll, diese Streitkräfte so stark zu machen und so auszurüsten, wie Deutschland das zum Schutze der Neutralität für nötig hält, sondern daß in dem Friedensvertrag sowohl die Zahl der Streitkräfte als auch die Waffen und die Typen von Waffen, die diese Streitkräfte bekommen, ausdrücklich festgesetzt werden sollen. Das würde also bedeuten, daß nach diesen Vorschlägen dieses neutralisierte Deutschland ein Staat minderen Rechts zwischen den beiden großen Spannungsfaktoren werden würde, die nun einmal in der Welt bestehen.
Ich möchte weiter betonen, daß Sowjetrußland in dieser Note unter völliger Verfälschung des Potsdamer Abkommens behauptet, daß die Grenzen des Territoriums Deutschlands im Potsdamer Abkommen festgelegt worden seien. Das ist nicht wahr.
— Sie sind nicht darin festgelegt.
— Meine Damen und Herren, nicht im Friedensvertrag, sondern es heißt ausdrücklich, Herr Kollege Mommer, unter dem Stichwort „Territorium", daß das Territorium Deutschlands durch das Potsdamer Abkommen festgelegt worden sei.
— Wenn Sie die Sowjetnote besser verstehen als ich, —
— Ich habe Sie falsch verstanden; bitte um Entschuldigung!
Meine Damen Und Herren, ich möchte nur die
wesentlichen Punkte hervorheben und möchte des
der Antwortnote der drei Westalliierten. Ich betone nochmals: Wenn die drei Westalliierten sich auf Grund dieser Note Sowjetrußlands mit Sowjetrußland an den Verhandlungstisch gesetzt hätten, dann würden sie damit in gewissem Umfange diese Thesen als Grundlage der Verhandlungen angenommen haben.
Das wäre — auch das möchte ich nochmals unterstreichen —
eine schwere Schädigung der gesamtdeutschen Interessen gewesen.
Aus der Note der Westalliierten darf ich Ihnen folgendes hervorheben. in Zitter i ist ausdrücklich gesagt, daß die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten die Regierung der deutschen Bundesrepublik und die V ertreter von Berlin konsultiert haben. Meine Damen und Herren, nicht nur die Tatsache dieser Konsultierung, sondern auch die Hervorhebung der Tatsache in der Antwort auf die Sowjetnote ist für uns Deutsche außerordentlich bedeutungsvoll. Sie entspricht dem, was im Generalvertrag, der Ihnen demnachst vorgelegt werden wird, niedergelegt ist,
daß nämlich eine Konsultation stattfinden muß.
— Herr Reuter!
— Wenn ich Ihnen damit eine Freude mache, Herr Reimann!
Ich stelle weiter fest, daß in der Note der drei Westalliierten ausdrucklich erklärt wird, daß der Abschluß eines gerechten und dauerhaften Friedensvertrags, der die Teilung Deutschlands beenden würde, ein wesentliches Ziel der Politik der drei Regierungen gewesen ist und bleiben wird.
Die Sowjetnote spricht zwar von einer gesamtdeutschen Regierung; sie sagt jedoch nichts darüber — daruber schweigt sie —, auf welchem Wege man zu einer gesamtdeutschen Regierung kommt.
Demgegenüber hebt die Note der Westmächte hervor, daß freie Wahlen in Gesamtdeutschland die
notwendige Voraussetzung für eine Bildung einer gesamtdeutschen Regierung sind. Damit steht diese Note in vollem Einklang mit der Stellungnahme, die der Bundestag bisher immer mit überwiegendster Mehrheit eingenommen hat.
— Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn ich — bei der Wichtigkeit der Angelegenheit für das gesamte deutsche Volk — möglichst wenig durch Zwischenrufe unterbrochen würde.
Wenn ich Herrn Kollegen Wehner richtig verstanden habe, ist von dem Sprecher der Sri) bemängelt worden, daß die Tätigkeit der UNO-Kommission in dieser Note als eine starre Voraussetzung von allem bezeichnet worden sei. Das ist nicht richtig, meine Damen und Herren; denn der Text besagt, daß die amerikanische, britische und französiche Regierung mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen würden, daß derartige Erleichterungen, wie sie der UNO-Kommission in der Bundesrepublik gewahrt worden sind, auch in der Sowjetzone und in Ost-Berlin gewährt werden, damit die Kommission ihre Aufgaben erfüllen kann. Diplomatischer und vorsichtiger
konnte von den Westalliierten auch auf die Tatsache der Schaffung einer solchen Kommission und darauf, daß dieser Kommission der Zutritt nach Ost-Berlin und nach der Sowjetzone verweigert worden ist, überhaupt nicht hingewiesen werden.
Lassen Sie mich ein Weiteres hinzufügen! Wir alle in diesem Hause — mit der verschwindenden Ausnahme, die wir kennen — haben noch vor kurzem die Tatsache, daß sich die UNO mit der Frage der Teilung Deutschlands. und mit den Zuständen, die in der Sowjetzone herrschen, beschäftigt hat, mit Dankbarkeit und Genugtuung begrüßt.
Wir alle hier im Hause — mit der kleinen Aus nahme, die Sie kennen —
haben den Zusammentritt der UNO-Kommission mit Freuden begrüßt,
und Vertreter aller Parteien dieses Hauses haben den Besuch der UNO-Kommission hier in Bonn begrüßt.
Wenn die Westalliierten in ihrer Antwort von der Existenz dieser UNO-Kommission gar nichts erwähnt hätten, dann wäre das eine Brüskierung derselben UNO gewesen, für deren Anteilnahme
an der Teilung Deutschlands wir uns unlängst noch so dankbar gezeigt haben.
In Ziffer 3 der westalliierten Note ist eine sehr wichtige Frage berührt. Es heißt da:
Die Vorschläge der Sowjetregierung enthalten keine Angaben darüber, welche internationale Stellung eine gesamtdeutsche Regierung bis zum Abschluß eines Friedensvertrags einnehmen würde.
Das ist eine außerordentlich wichtige Feststellung; denn damit ist die Frage berührt, ob von irgend jemand der vier Besatzungsmächte behauptet werde, daß diese gesamtdeutsche Regierung bis zum Abschluß eines Friedensvertrags unter dem Viermächtekontrollrat stehen würde.
Die drei westalliierten Regierungen nehmen in dem darauf folgenden Satz von Ziffer 3 dazu Stellung, in dem gesagt wird:
Die Regierung ist der Auffassung, daß es der gesamtdeutschen Regierung sowohl vor wie nach dem Abschluß eines Friedensvertrags freistehen sollte, Vereinigungen, die mit den Grundsätzen und- Zielen der Vereinten Nationen vereinbar sind, beizutreten.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Auffassung der drei Westalliierten, daß eine gesamtdeutsche Regierung auch vor Abschluß des Friedensvertrags nicht dem Viermächtekontrollrat untersteht, eindeutig und klar festgelegt.
— Man soll nur von Dingen sprechen, die man versteht!
vorlesen!
Bei Unterbreitung ihres Vorschlages für einen deutschen Friedensvertrag erklärte sich die Sowjetregierung bereit, auch andere Vorschläge zu erörtern.
Ich habe den amerikanischen Text hier.
Die Regierung hat von dieser Erklärung gebührend Kenntnis genommen.
Das heißt mit anderen Worten: Sie sieht als Rückantwort auf ihre Note solchen Erklärungen Sowj etrußlands entgegen.
— Was nun München-Gladbach mit Amerika zu tun hat, das ist mir nicht klar.
Bezieht sich das auf Ihren Freund Elfes? (Große Heiterkeit. — Abg. Reimann: Nein, Herr Dr. Adenauer, Sie wissen genau, was ich mit München-Gladbach meine! — Abg. Renner: Von dem können Sie was lernen! Der hat Sie längst abgeschrieben, Ihr alter
Freund Elfes!)
Lassen Sie mich fortfahren:
Nach ihrer Auffassung wird es nicht möglich sein, in die Erörterungen von Einzelheiten eines Friedensvertrages einzutreten, bevor die Voraussetzungen für freie Wahlen geschaffen sind und eine freie gesamtdeutsche Regierung errichtet ist, die an einer solchen Erörterung teilnehmen könnte.
Das stimmt fast genau überein mit dem, was Herr Kollege Wehner eben gesagt hat, und es ist, glaube ich, der Standpunkt des ganzen Hauses, daß Deutschland bei Beginn der Erörterungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung, von Anfang an beteiligt sein muß.
In Ziffer 5 ist ausdrücklich festgestellt, daß durch die Potsdamer Beschlüsse keine endgültigen deutschen Grenzen festgelegt sind.
In der Ziffer 6 ist zu der Frage der Schaffung nationaler Armeen in Europa Stellung genommen. Ich glaube, das ganze Haus war sich — bisher wenigstens — darin einig, daß die Neuerrichtung einer nationalen Armee in Deutschland und die Beibehaltung nationaler Armeen in den anderen europäischen Ländern nichts Gutes ist,
sondern daß wir darauf hinaus müssen, die Grenzen zwischen den europäischen Ländern nicht wieder so aufzurichten, wie sie vor 1914 gewesen sind, und daß wir aus dem europäischen Nationalismus einmal herausmüssen.
Ich glaube daher, daß wir Deutsche, und zwar alle, die sich nicht zur Kommunistischen Partei bekennen, mit einer ganzen Reihe von Feststellungen in der westalliierten Note durchaus zufrieden sein können; denn diese Feststellungen entsprechen durchaus den Auffassungen und den Forderungen, die Bundesregierung und Bundestag bisher bei den verschiedensten Gelegenheiten vertreten und gestellt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu einigen Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner Stellung nehmen. Es ist ganz klar — und darin stimme ich vollständig mit Ihnen überein —, daß jede Gelegenheit ergriffen werden muß, um zu vernünftigen Verhandlungen zu kommen mit dem Ziele einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.
Ich glaube aber sagen zu dürfen, daß die Note der
drei Westalliierten in keiner Weise eine Tür zuschlägt, und soweit ich unterrichtet bin, ist sie von
Sowjetrußland auch nicht in einer solchen Weise aufgefaßt worden.
— Ja, ich will keine Zwischenbemerkung machen; ich habe selbst gesagt: keine Zwischenbemerkungen. Ich hätte Ihnen eine sehr gute machen können.
— Sie haben nämlich gar keine gute Verbindung mehr mit Moskau.
Sie sind von dieser Note und der nationalen Armee völlig überrascht worden.
Herr Abgeordneter Rische, ich werde Sie zur Ordnung rufen, wenn Sie dauernd weiter stören. Sie unterbrechen nicht nur, sondern Sie stören!
Ich darf noch auf einige weitere Bemerkungen des Herrn Kollegen Wehner eingehen. Er hat gesagt, wir müßten auf jede echte Alternative eingehen. Durchaus meine Meinung! Aber Herr Kollege Wehner hat keine Alternative genannt.
Herr Kollege Wehner hat über die Reihenfolge der zukünftigen Entwicklung gesprochen. Dazu möchte ich auch sprechen und Ihnen folgende drei Möglichkeiten aufzählen. Wir wollen die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit als das vordringlichste Ziel unserer Politik. Wir glauben, damit auch der Sache des Friedens in Europa und in der Welt einen ausgezeichneten Dienst zu leisten.
Wie kommen wir zu der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit? Durch eigene Kraft? Ich glaube nicht. Wir können immer nur Anstöße geben, wir können mahnen, wir können uns an die Mächte wenden, die jetzt in der Welt zu sagen haben. Wir müssen aufmerksam jede Entwicklung beobachten. Wir dürfen dabei nicht ruhen und nicht rasten. Das ist das, was wir tun können.
Die zweite Möglichkeit wäre folgende. Glaubt jemand, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit uns dadurch geschenkt würde, daß wir uns an die Sowjetunion wenden? Ich glaube, die Frage stellen heißt sie verneinen.
Dann bleibt nur noch die dritte Möglichkeit, daß wir nämlich versuchen — und mit aller Intensität versuchen —, diese Wiedervereinigung .Deutschlands in Freiheit mit Hilfe der Westalliierten zu erreichen.
Eine weitere Möglichkeit sehe ich nicht.
Das versuchen wir nun zu erreichen.
— Nun, wenn ich gefragt werde: „Erläutern Sie uns diesen Weg!" — und damit möchte ich auf die Schlußforderung von Herrn Kollegen Wehner zu sprechen kommen, in der er eine Zusammenstellung der wechselnden Stellungnahmen Sowjetrußlands und auch der westalliierten Auffassungen verlangt —, ich glaube, die Politik, die der Bundestag und die Bundesregierung bis jetzt in diesen Jahren verfolgt haben, zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Ich glaube, gerade diese verlangte Zusammenstellung wird jedem klarmachen, daß sowohl in der Auffassung der Westmächte wie auch in der Stellungnahme Sowj etrußlands in den letzten Jahren erhebliche Wandlungen zum Vorteil Deutschlands eingetreten sind.
Ich glaube, die erzielten Erfolge berechtigen uns, die von uns — wenn ich sage „uns", meine ich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch den Bundestag — bisher eingeschlagene Politik weiter zu verfolgen.
Ein Wort möchte ich noch über den Zuruf „Mit dem Krieg" sagen. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht an einen heißen Krieg, und zwar deswegen nicht, weil die Westmächte — auch Eisenhower —, wie sie in der feierlichsten Weise erklärt haben, einen solchen Krieg nicht wollen.
Ich bin weiter der Auffassung, daß auch nicht einmal die sowjetrussischen Generäle Krieg wollen, Herr Renner,
und zwar deswegen nicht — ich möchte das gegenüber gewissen Sorgen in der deutschen Bevolkerung sagen —, weil jetzt schon der Westen so stark ist, daß Sowjetrußland keinen Krieg vom Zaune brechen wird.
Es kommt ein Weiteres hinzu, was uns, glaube ich, berechtigt, mit Optimismus in die Zukunft zu sehen. Sowjetrußland hat große innere Aufgaben zu erfüllen,
Aufgaben, zu denen es Kapital und Menschen braucht.
Auch Sowjetrußland ist deshalb gar nicht in der Lage, ewig diese Rüstungen fortzusetzen und sein Geld und seine Menschen lediglich zu Rüstungszwecken zu verwenden.
Daher glaube ich, wenn wir mit Ruhe und Geduld
und mit großer Vorsicht und auf alles achtend den bisherigen Weg fortsetzen, werden wir eines Tages zu dem von uns allen ersehnten Ziele, zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zunächst zur Begründung des Antrags der Fraktion der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3211. Wer wünscht zu begründen? -- Herr Abgeordneter Dr. Reismann, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Auswärtige Amt ist das Instrument zur Beratung des Außenministers und die Visitenkarte unseres Landes. Seit man mit dem Aufbau des Auswärtigen Amtes befaßt war, habe ich es beobachtet, und ich habe schon vor zwei Jahren, namlich im Marz 1950, dem Herrn Bundeskanzler eine Warnung zukommen lassen über die Beobachtungen, die man damals schon machen konnte. Da ich damals von ihm keine Antwort erhielt, auch noch nicht, als ich ihn im September des Jahres erinnerte, habe ich die Flucht in die Öffentlichkeit ergritten. Ich habe am Ende des Jahres 19b0 Veroffentlichungen vorgenommen, die überall Resonanz hatten, aber nicht bei der Bundesregierung. Von da an ist sowohl in der Öffentlichkeit ais auch hier im Bundestag die Erörterung der Zustände in der Personalpolitik des Auswartigen Amtes nicht abgerissen. Man hat trotz alledem keine Wahrnehmungen von nennenswerten Anderungen in dieser Personalpolitik machen konnen. Der Vorwurf richtete sich von Anfang an dagegen, daß in hervorragendem und besonders auffahligem Maße — nicht also etwa in dem kleinen Rahmen, wie es in jeder Behörde mal vorkommen kann — Cliquenwirtschaft, Mißwirtschaft, persönlicher Beziehungs-Klüngel und gesellschaftliche und politische Beziehungen in rücksichtslosester und fast schamloser Art die Restauration alter Zustände betrieben.
— Damals habe ich die Unterstützung, Herr Kollege Horlacher, die Sie mir jetzt geben, in den Regierungsparteien bedauerlicherweise nicht bekommen. Damals haben sie, obwohl mir bekannt ist, daß einigen Kollegen aus den Koalitionskreisen dieselben Zustände auch bekannt waren, sie diese privat auch beanstandet haben, Vogel-Strauß- Politik betrieben, den Kopf in den Sand gesteckt und an den Dingen vorbeigeschwiegen. Letzten Endes ließ sich das aber nicht mehr totschweigen. Als dann der Oberlandesgerichtspräsident Schetter, ut aliquid fieri videatur, damit es den Anschein hätte, als ob etwas geschähe, den Auftrag bekam, eine Disziplinaruntersuchung zu veranstalten, ging das neben die Sache; denn disziplinär waren die Sachen zum geringsten Teil zu erfassen. Es handelte sich in Wirklichkeit um politische Vorwürfe, solche, die man entweder nicht wichtig nehmen wollte oder die man gar nicht einmal erfaßte. Dieser sehr angesehene Richter versuchte nun eine Mohrenwäsche, die zu nichts anderem führte, als daß er seinen eigenen Ruf auf die alten Tage noch begrub. Die Dinge ließen sich nicht länger verheimlichen. Sie sind ja durch Presseverlautbarungen in Zeitungen der verschiedensten Richtungen bekanntgeworden. Man kann also nicht sagen, es seien nur von einer Richtung, sei es nun von Ärger über
persönliche Benachteiligung oder von parteipolitischer Abneigung dirigiert, nur auf Befangenheit beruhende Vorwürfe aufgestellt worden. Also von der Publizistik der verschiedensten Richtungen sind V orwürfe gegen das Auswärtige Amt erhoben worden, die allesamt denselben Kern betrafen. Deswegen hat der Bundestag schon vor mehreren Monaten einen besonderen Ausschuß eingesetzt, der sich mit der Prüfung dieser Vorwurte zu befassen hat. Die Öffentlichkeit hat in weitgehendem Umfang von seinen Verhandlungen Kenntnis bekommen. Das beruht nun nicht etwa auf öffentlichen Verhandlungen, denn bedauerlicherweise hat der Ausschuß im großen und ganzen geheim, unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt. Es steht zwar jedem Abgeordneten frei, an den Sitzungen des Ausschusses teilzunehmen. Aber, Gott, wer kann das denn, wer hat denn die Zeit dazu, da die Abgeordneten durch andere Sitzungen gebührend in Anspruch genommen sind? Ich selber habe einige Male zugehort. Das Haus hat aber ein Recht darauf, über den Ablauf der Verhandlungen mindestens ebensoviel zu erfahren, wie die Öffentlichkeit durch kurze Zwischenberichte in der Presse erfahren hat. Der Zustand ist nicht schön, daß von einigen Mitgliedern des Ausschusses in einer Konferenz Mitteilungen an Presseorgane gemacht werden, über die die Abgeordneten des Hauses selber noch nicht unterrichtet sind. In erster Linie müßten wir darüber unterrichtet werden.
Wenn man nun in der Presse lesen kann, daß schon nach der Vernehmung von 19 oder 20 Betroffenen oder Beteiligten oder Zeugen 5 Persönlichkeiten des erst jungen Auswärtigen Amts nicht nicht mehr als tragbar angesehen wurden, so muß das zu denken geben. Es muß uns veranlassen, den Dingen auf den Grund zu gehen und einen Zwischenbericht zu verlangen. Denn inzwischen gibt der Herr Staatssekretär Hallstein — meistens auf Reisen —, obwohl im übrigen mit der Politik und am wenigsten mit dem befaßt, was er eigentlich tun und sein sollte, nämlich der Behördenchef, der auch die Personalien zu überwachen hat und für den stabilen und ruhigen Gang der laufenden Geschäfte Sorge tragen muß, Verlautbarungen an die Presse, daß das alles gar nicht so schlimm sei, daß man sich noch zurückhalten müsse, daß man nicht vorschnell urteilen dürfe — ich bitte Sie: vorschnell nach so viel Zeitablauf, nachdem schon so viel daruber gesprochen worden ist! —, also, daß das alles gar nicht so schlimm sei.
Inzwischen wird aber durch dieses selbe Auswärtige Amt im Ausland wie im Inland der gute Name der jungen Bundesrepublik weiter verdorben. Was soll man dazu sagen, wenn z. B. die Deutschen in Griechenland nur ungern auf das deutsche Konsulat und die deutsche Gesandtschaft in Athen gehen, weil sie dort einige sehr unbeliebte Gesichter aus der Nazizeit wiederfinden! Was soll man dazu sagen, wenn über die Sender der Südoststaaten auf dem Balkan ein deutscher Gesandter als der SS-Henker bezeichnet wird, ohne daß man dagegen mit großem Recht etwas tun könnte!
Und was soll man dazu sagen, wenn jetzt aus den Dokumenten der Nürnberger Prozesse Vorwürfe auftauchen! Man hätte das seit zwei Jahren vermeiden können. Ich habe schon in dem Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses, der sich mit dem Aufbau — nicht so sehr mit den Personalien im einzelnen — befaßt hat, darauf hin-
hingewiesen, daß in den Akten über den Nürnberger Wilhelm-Straßen-Prozeß äußerst kompromittierende Dinge enthalten seien. Der damalige Personalchef, Herr Haas, hat sehr bestürzt erklärt, daß diese Materialien so umfangreich seien, daß man keine Zeit gehabt habe, sie zu prüfen. Ich habe Gelegenheit genommen, ihm zu sagen, daß es alphabetische Verzeichnisse über die Zeugen gebe und daß ich bereit und in der Lage sei, ihm durch die Verbindung mit den Verteidigern in jenen Prozessen, den Rechtsanwälten, diese Arbeit zu erleichtern. Man ist nicht darauf zurückgekommen. Inzwischen ist der Skandal so groß geworden, daß das Ansehen der Bundesrepublik großen Schaden genommen hat.
Ich kann verstehen, daß bei der Behörde, auch bei dem zuständigen Herrn Außenminister das Bestreben herrscht, von dieser schmutzigen Wäsche nicht mehr als unbedingt nötig in die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Ich teile diese Ansicht nicht. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß es nichts Besseres geben kann, als nun vor aller Öffentlichkeit darzulegen, daß dieser „Sumpf mit Stumpf und Stil ausgerottet" wird, daß die Zustände definitiv bereinigt werden und daß das, was dann in der Behörde bleibt, nicht bloß das Vertrauen von uns, sondern auch das des Auslandes endgültig verdient. Das alles kann aber nicht erreicht werden, wenn wir weiter schweigen und die Zustände die alten bleiben, wie sie sich seit zwei Jahren entwickelt haben. Man kommt eben nicht daran vorbei, jetzt schon einen Zwischenbericht zu geben, zumal nach der ungeschickten Äußerung des Herrn Staatssekretärs Hallstein wiederum der Eindruck erweckt wird, daß es weitergehen soll wie bisher. Die Presse mag sich
aufregen, man mag im Bundestag darüber reden, die Dinge gehen ihren Lauf wie bisher. Nennen wir den letzten Verantwortlichen beim Namen: das ist nicht der Herr Bundeskanzler, der irregeführt wird, aber die Verantwortung hat, das ist auch nicht Herr Hallstein, der die Zustände schon vorfand, als er hinkam — aber beide — Kanzler und Staatssekretär — decken sie —, das ist Herr Blankenhorn, der die Zustände heraufbeschworen, der sie begründet hat und der als die „Graue Eminenz" der neuen Wilhelmstraße im Hintergrund sitzt.
Wir verlangen deshalb, daß diese Dinge bei erster Gelegenheit erörtert, daß sie jetzt schon vor dem endgültigen Abschluß erörtert werden. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen, daß unverzüglich ein Zwischenbericht gegeben wird.
Gestatten Sie mir noch eins. Wir haben beabsichtigt, auch den Antrag einzubringen, daß der Ausschuß öffentlich verhandelt, weil wir der Ansicht sind, daß man nur in der Öffentlichkeit die Vorwürfe widerlegen und das Amt von dem Verdacht reinigen kann, daß es weiter so bleibt. Leider hat es der Ältestenrat nicht für richtig und nicht für mit der Geschäftsordnung vereinbar gehalten, daß das Plenum eine solche Anweisung an einen Ausschuß gibt. Wir vermögen diese Ansicht nicht zu teilen. Das Plenum kann nach unserem Dafürhalten Anweisungen erteilen. Wenn man das aber nicht will, so ist es mindestens notwendig, diesem zweiten Antrag stattzugeben, damit wir inzwischen schon einmal erfahren, was dort steigt, damit wir erfahren, in welcher Richtung die Verhandlungen laufen, inwieweit die Zeugenaussagen bisher schon
vorliegendes Material bestätigt haben, und damit wir für die Zukunft richtunggebend unsere Ansicht äußern können. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die Begründung aller Anträge und Anfragen gehört. Ich darf unterstellen, daß auch eine Besprechung der Großen Anfrage gewünscht wird. Das ergibt sich aus den Vereinbarungen.
Ich eröffne die gemeinsame Besprechung im Rahmen der Redezeit von 180 Minuten. Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Ich spreche lediglich zu dem zuletzt begründeten Antrag der Föderalistischen Union. Der Antrag bezweckt nach seinem Inhalt eine Beschlußfassung des Hohen Hauses dahingehend, daß der Ausschuß gezwungen wird, einen Zwischenbericht, d. h. also einen Zwischenbericht in der Sache selbst, zu geben. Ich habe als Vorsitzender dieses Ausschusses im Einvernehmen mit meinen sämtlichen Kollegen dieses Ausschusses die folgende Erklärung abzugeben:
Der Ausschuß kennt seine Verpflichtung, dem Parlament sowohl über das von ihm angewendete Verfahren wie auch zur Sache selbst zu berichten. Er wird diese Pflicht erfüllen. Die Beschlußfassung darüber, ob ein Zwischenbericht über den Gegenstand der Untersuchung erstattet werden soll, steht nur dem Ausschuß zu.
Der Ausschuß ist aber einstimmig der Auffassung, daß eine abschließende Beurteilung der Personalpolitik des Auswärtigen Amts noch nicht möglich ist, solange nicht alle Einzelfälle durchgesprochen sind. Falls sich die Notwendigkeit ergibt, über selbständige Teilfragen einen Zwischenbericht zu geben, wird dieses geschehen, jedoch behält sich der Ausschuß die Beschlußfassung hierzu von Fall zu Fall vor.
Zur Frage der Öffentlichkeit eine kurze Bemerkung. Nach Art. 44 des Grundgesetzes beschließt der Ausschuß und nur der Ausschuß darüber, ob öffentlich verhandelt wird oder nicht. Die öffentliche Verhandlung ist durch wiederholten einstimmigen Beschluß des Ausschusses deshalb nicht gewählt worden, weil wir der Meinung sind, daß die Erörterung von Personalakten und Personalfragen nicht auf offener Straße zu erfolgen hat.
Wir sind ferner der Auffassung, daß es gegebenenfalls notwendig sein kann, einmal einen scharfen Schnitt vorzunehmen. Auch hier darf der Satz gelten: Man operiert nicht auf offenem Markt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort des Bedauerns darüber sagen, daß die Debatte über die wichtige außenpolitische Angelegenheit, die wir heute hier besprechen, erst durch Anträge der Opposition ausgelöst werden mußte.
Wir haben in den letzten vierzehn Tagen verschiedentlich sehr ausführliche Stellungnahmen des Herrn Bundeskanzlers in Versammlungen in Siegen und in Bonn gelesen. Wir haben aber leider vermißt, daß der Herr Bundeskanzler von sich aus den Wunsch geäußert hat, eine Erklärung über seine Auffassungen zu den jetzt anstehenden Verhandlungen in erster Linie vor diesem Hohen Hause abzugeben. Ich glaube, es sollte doch in unserem parlamentarischen System endlich Übung werden, daß in so entscheidenden Situationen der verantwortliche Repräsentant der Regierung zuerst vor dem Parlament eine Darstellung über seine Politik gibt, ehe die öffentliche Diskussion in anderer Weise fortgeführt wird.
Die zweite einleitende Bemerkung, die ich machen möchte, ist: wir haben heute mit außerordentlicher Befriedigung die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen, daß nach seiner Überzeugung die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen den beiden Hauptgruppen in der Welt nicht gegeben sei.
Wir hätten es sehr gern gesehen, wenn er diese Erklärung während der Debatte über den deutschen Verteidigungsbeitrag abgegeben hätte.
Damals hat der Herr Bundeskanzler es für richtig
gehalten, zur Unterstreichung seiner Politik aus
dem Memorandum aus dem Jahre 1950 eine Darstellung über die militärische Machtposition der
Sowjetunion in der russisch besetzten Zone vorzulegen, die in der Bevölkerung gerade die Empfindungen hervorrufen mußte, von denen er heute
als einem beklagenswerten Zustand gesprochen hat.
Was nun das Thema unserer heutigen Debatte angeht, so nehmen wir davon Kenntnis, daß der Herr Bundeskanzler sich hier erneut zu der Erklärung vom 27. September 1951 bekannt hat. Wir nehmen auch davon Kenntnis, daß er in der Tatsache, daß die Sowjetunion nach so langer Zeit durch ihre Note an die drei anderen Besatzungsmächte in der deutschen Frage eine Initiative ergriffen hat, ebenfalls ein bemerkenswertes Ereignis sieht. Ich glaube, daß es für den weiteren Gang der Diskussion wichtig ist, diese Übereinstimmung hier festzustellen.
Aber dann hat sich der Herr Bundeskanzler mit dem materiellen Inhalt der Sowjetnote auseinandergesetzt und hat auch einige Bemerkungen über den Inhalt der Antwortnote der drei Westmächte gemacht. Ich bin der Auffassung, daß es in diesem Augenblick und in diesem Stadium der Verhandlungen nicht sehr zweckvoll ist, über die Einzelheiten der Vorschläge der einen oder andern Seite hier zu diskutieren;
denn sowohl in der russischen Note wie auch in der Note der drei Westalliierten ist von den Beteiligten völlig klargemacht worden, daß keiner der Partner in seinen schriftlichen Vorschlägen eine definitive Festlegung seines Standpunkts sehen will. Es stehen also bei späteren Verhandlungen oder bei einem weiteren Notenwechsel die einen wie die andern Vorschläge durchaus zur Diskussion. Ich sage das deshalb, weil ich glaube, daß insbesondere die politische Diskussion in Deutschland in eine falsche Richtung gehen würde, wenn sie sich an das eine oder andere Detail der Vorschläge klammerte,
die etwa in der ersten Note der Sowjetunion enthalten sind.
Die zweite Anmerkung in diesem Zusammenhang. Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß es sicher eines schlechte Sache gewesen wäre, wenn sich die drei Westmächte sofort nach Empfang der Note der Sowjetunion an den Verhandlungstisch gesetzt hätten; zweifellos wäre dabei insbesondere die deutsche Position sehr ungünstig gewesen. Das mag sein; aber ich habe jedenfalls in der verantwortlichen deutschen Diskussion nicht ein einziges Mal den Vorschlag gehört, daß man vor einer Klärung der Absichten sofort in eine Art von Blankoverhandlungen mit den Russen gehen sollte.
Es wird also hier gegen eine Auffassung polemisiert, die jedenfalls nicht unsere Auffassung ist und die wohl auch sonst nirgends ernsthaft vertreten wurde.
Nun komme ich zu einem nach meiner Auffassung entscheidenden Punkt. Dann hat der Herr Bundeskanzler erklärt, man könne doch wohl annehmen, daß es keinen großen Sinn habe, daß sich die Bundesrepublik an die Sowjetunion wende, um von der Sowjetunion eine Zusage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Basis von freiheitlichen Wahlen in ganz Deutschland zu erhalten. Er hat hinzugefügt, da diese Möglichkeit offensichtlich nicht gegeben sei, komme es eben darauf an, den Versuch zu machen, diese deutsche Einheit mit den drei Westmächten gemeinsam herbeizuführen. Ich muß sagen, ich bin dem Herrn Bundeskanzler außerordentlich dankbar für diese Gegenüberstellung; denn sie führt uns genau an den Punkt, an dem die eigentliche Diskussion dieser Frage nach meiner Auffassung beginnen sollte.
Wenn wir heute über die Möglichkeit der Wieder- herstellung der deutschen Einheit sprechen, dann müssen wir doch wohl — ganz unabhängig von unserer politischen Einstellung — folgenden Tatbestand akzeptieren: Unter den heute gegebenen Machtverhältnissen gibt es nur einen Weg, die Einheit Deutschlands auf friedlichem Wege herzustellen,
und das ist die Verständigung der vier Besatzungsmächte unter sich und mit Deutschland über den zukünftigen inneren und äußeren Status eines geeinten Deutschlands.
Es gibt nur einen Weg, wenn wir von der Annahme ausgehen — und ich glaube, ich bin berechtigt, das in diesem Hause jedenfalls zu tun —, daß niemand ernsthaft an eine andere Möglichkeit als an eine friedliche Herbeiführung der Einigung Deutschlands denkt.
Wenn das aber so ist, dann ist die Frage der deutschen Einheit vom Standpunkt der Bundesrepublik und der deutschen Regierung nicht allein die Frage ihres Verhältnisses zu den drei Westmächten, sondern es ist die Frage des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen vier Besatzungsmächten.
Von der Lösung dieses Problems, mit den vier Besatzungsmächten zu einem positiven Vorschlag in
der Richtung einer freiheitlichen Lösung zu kommen, hängt entscheidend und im letzten Ende überhaupt bestimmend die Beantwortung der Frage ab, ob auf friedlichem Wege die Einheit Deutschlands in Freiheit hergestellt werden kann.
Nun gehe ich einen Schritt weiter. Wenn der Herr Bundeskanzler erneut seine Erklärungen vom 27. September 1951 bestätigt, daß es die vornehmste Aufgabe der Politik der Bundesregierung ist, für die Einheit zu wirken, dann haben wir in diesem Stadium nicht nur die Pflicht, bei der Entscheidung der drei Westmächte hinsichtlich ihrer Antwort auf die russische Note mitzuwirken, sondern wir haben darüber hinaus die Aufgabe, jede Möglichkeit zu untersuchen, die zu einer ernsthaften Fortführung des Gesprächs unter allen vier Besatzungspartnern führen kann. Insbesondere haben wir nach meiner Auffassung in dieser Lage auch die Aufgabe, in der deutschen Politik nichts zu tun, was eine ernsthafte Verhandlung der vier über eine deutsche Einigung erschweren oder hemmen könnte.
Bei der Beurteilung dieser Frage haben wir es wiederum nicht mit zwei Lagern der Besatzungsmächte zu tun, sondern für uns sind in diesem Fall die vier Besatzungsmächte nebeneinanderstehend in der gleichen Wertung und in der gleichen Bedeutung. Ich meine außerdem, so wie die Dinge liegen, kann es heute auch kein Ziel unserer Politik geben, das vordringlicher ist, und kein Zeitpunkt ist zu früh, jeden Versuch einer friedlichen Lösung zu fördern. Dabei handelt es sich nicht nur um ein nationales deutsches Interesse. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit ist gleichermaßen eine deutsche und europäische Aufgabe,
und sie ist auch in hohem Maße ein friedenserhaltendes und friedensförderndes Element;
denn eine Einigung Deutschlands würde eine wesentliche Ursache für die Spannung zwischen Ost und West aus der Welt schaffen.
Was uns veranlaßt, auch in unserm Antrag, den mein Kollege Wehner begründet hat, noch einmal die Aufgabe der deutschen Regierung oder der deutschen Bundesrepublik aufzuzeigen, das ist unser Gefühl, daß trotz der heute wiederholten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der praktischen Politik die völlige Übereinstimmung der hier deklarierten Politik mit dem praktischen Verhalten der Bundesregierung nicht mehr gegeben ist.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinen letzten Reden, insbesondere in Siegen und Bonn, nach der Veröffentlichung der Antwortnote der Westmächte mit Nachdruck unterstrichen, daß die Verhandlungen über den Generalvertrag und den Verteidigungsvertrag beschleunigt zu einem positiven Resultat geführt werden müssen. Der Herr Bundeskanzler hat in dènselben Reden die Ansicht vertreten, daß die Bundesrepublik ohne Rücksicht auf die Aussichten einer Viermächtekonferenz in das westeuropäische Vertrags- und Verteidigungssystem eingegliedert werden muß. Das sind zwei sehr bedeutsame Vorstellungen; denn sie lassen die Absicht erkennen, eine Politik der Bundesrepublik ohne Rücksicht darauf durchzuführen, ob nicht dadurch in dem gegenwärtigen Stadium eines Gesprächs zwischen den vier Besatzungsmächten über
die deutsche Frage die positive Entwicklung dieser Gespräche und Möglichkeiten gehemmt und erschwert wird. Die Frage ist tatsächlich, ob wir in diesem Stadium eine Entscheidung fällen können und im Interesse Gesamtdeutschlands fällen dürfen, durch die ein Teil Deutschlands, nämlich die Bundesrepublik, in das gegenwärtig bestehende Vertragssystem des Westens unbeschadet der Rückwirkungen einer solchen Entscheidung auf die Chancen für die Wiederherstellung der deutschen Einheit eingegliedert wird.
Dabei muß hinzugefügt werden, daß die Politik dieser unbedingten Bejahung der Eingliederungspolitik der Bundesrepublik unter den jetzt gegebenen Umständen nicht nur für das Gespräch zwischen den vier Besatzungsmächten von Bedeutung ist, sondern daß diese Politik auch noch andere nicht weniger bedenkliche Rückwirkungen hat. Meine Damen und Herren, Sie haben heute gegen unseren Willen beschlossen, daß die Saarfrage in diesem Augenblick und in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden soll, und ich werde es in der Sache auch nicht tun. Aber welche Situation ist nicht zuletzt durch diesen Beschluß des Bundestags heute entstanden. Wir sind bis heute nicht einmal in der Lage gewesen, vor dem Bundestag eine Erklärung des Bundeskanzlers darüber zu hören, welchen Inhalt seine Pariser Besprechungen gehabt haben und wie die Resultate dieser Besprechungen aussehen. Im Zusammenhang mit einer Politik, die die Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen jetzt mit möglichster Zeitverkürzung, sozusagen unter allen Umständen, durchsetzen will, werden wir also in die Lage gebracht, nicht einmal mehr über so lebenswichtige nationale Interessen wie die Saarfrage im Bundestag sprechen zu können.
Außer den Gründen, die ich hier schon genannt habe und die nach unserer Auffassung dagegen sprechen, daß sich die Bundesrepublik in diesem Stadium in dieser Weise mit dem gegenwärtigen westeuropäischen Vertragssystem liiert, gibt es vielleicht doch noch einen andern, ich möchte sagen, innerdeutschen Grund, an den wir uns als Bundestag und als Bundesregierung erinnern sollten, ehe hier allzu feierlich und allzu selbstgefällig der Generalvertrag vorgelegt und durch den Bundestag bestätigt werden soll, nämlich die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 als ein Provisorium konstituiert worden ist, auch als ein Provisorium im Verhältnis zu einer möglichen gesamtdeutschen Lösung.
Ich sage das nicht nur als Warnung, daß wir selbst unsere Kompetenz durch endgültige Bindungen an gegenwärtige internationale Vertragsverhältnisse überschreiten. Ich sage das auch deshalb, weil schließlich die Existenz der Bundesrepublik Deutschland auf den Londoner Abmachungen der drei Westmächte beruht. Die drei Westmächte sind zu ihren Londoner Vereinbarungen als eine notwendige Reaktion auf die Spaltungspolitik der Sowjetunion in Deutschland gekommen. Aber die drei Westmächte haben in den Londoner Vereinbarungen ausdrücklich erklärt, daß dann, wenn die Voraussetzungen für eine Sonderregelung in Westdeutschland wegfallen, nämlich die Verhinderung eines einheitlichen Deutschlands durch die Politik der Sowjetunion, selbstverständlich eine gesamtdeutsche Regelung an die Stelle der Bundesrepublik treten muß. Das ist schließlich ein
8766 Deutscher Bundestag — 2a4. Sitzung. Bonn, den 3. und 4. April 1952
Faktum, das wir in einem Augenblick nicht aus dem Auge verlieren sollten, wo offensichtlich ist, daß trotz aller Spannungen, die zwischen dem Westen und dem Osten bestehen, keine der drei westlichen Besatzungsmächte in irgendeinem Augenblick dieser Spannungen die Möglichkeit einer friedlichen Vereinbarung mit der Sowjetunion ausgeschlossen hat.
Wir sollten hier also nicht so tun, als ob wir in bezug auf unsere Handlungsfreiheit auf einem endgültigen, sicheren und unveränderbaren Boden stünden. Wir sind hier in einer Lage, in der die Selbstbeschränkung unserer Möglichkeiten, gerade in bezug auf die Regelung der Beziehungen zu anderen Völkern, wahrscheinlich außerordentlich weise ist.
— Sehr viel, Herr von Rechenberg! Ich spreche jetzt ja nicht über das Bodengewinnen, sondern ich spreche über die Frage, wie die staatsrechtliche Position der Bundesrepublik im Verhältnis zur gesamtdeutschen Frage und insbesondere auch in den Vorstellungen der vier Besatzungsmächte ist, ohne deren Einvernehmen nun einmal eine Lösung dieses Problems nicht möglich ist.
Ich meine, wir sollen da nicht absoluter und nicht
definitiver sein, als die Besatzungsmächte es in
den Fragen ihrer eigenen europäischen Politik sind.
Es kommt noch hinzu, Herr von Rechenberg, daß wir auch nicht sehr viel damit gewinnen. Wenn man uns heute sagt: Wir haben aber doch im neuen Generalvertrag die Garantie der drei Westmächte, die sozusagen den Status der Bundesrepublik außer jeden Zweifel stellt, so wird sich j a noch die Gelegenheit bieten, den Wert dieser Bestimmungen im sogenannten Generalvertrag zu untersuchen und zu prüfen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf einen Punkt aufmerksam machen. Wie immer Sie diese Garantieerklärung im Generalvertrag bewerten wollen, hoch oder niedrig, Sie werden nicht an der Tatsache vorbeikommen, daß die drei Westmächte, die hier als Vertragspartner des Generalvertrags neben uns stehen, noch einige andere vertragliche Verpflichtungen und Vereinbarungen mit der Sowjetunion haben, auf deren Gültigkeit sie in entscheidenden Augenblicken immer wieder großes Gewicht gelegt haben.
Für uns als Bundesrepublik kann sehr bald die Frage entstehen, wie sich in einer anderen Konstellation in der Welt die Loyalitäten der drei westlichen Verhandlungspartner zu den verschiedenen Vertragspartnern verhalten. Ich fürchte sehr, daß da die deutsche Position unter Umständen außerordentlich schwierig ist. Ich habe auf diesen Gesichtspunkt aufmerksam machen wollen, weil er dafür spricht, daß wir erstens die Diskussion über unsere Stellung zu einer möglichen Viermächtekonferenz nicht allzu sehr statisch, unter dem Gesichtspunkt der augenblicklichen Ordnung der Dinge sehen, und daß wir zweitens nicht jetzt noch ohne zwingende Not Fakten schaffen, die in ihrem Effekt die Ablösung der Bundesrepublik von dem
anderen Teil Deutschlands eher verstärken als abschwächen.
— Ich sehe nicht ein, worin dieser Widerspruch besteht, Herr von Rechenberg. Aber wir haben ja öfter solche Meinungsverschiedenheiten, wobei nicht immer ganz klar ist, wer daran schuld hat.
— Nein, nein.
Ich will diesen Punkt in der Diskussion nicht weiter vertiefen; ich möchte nur als unsere Auf- fassung noch einmal nachdrücklich unterstreichen, daß wir die Diskussion über diese möglichen Viermächteverhandlungen vom deutschen Standpunkt aus allein unter dem Gesichtspunkt führen sollten, wie wir als deutsche Regierung in eine Position kommen, bei der es sowohl der Bundesregierung, sozusagen als Statthalter einer gesamtdeutschen Regierung, wie auch einer späteren gesamtdeutschen Regierung möglich ist, in den Verhandlungen einen unabhängigen Standpunkt, nämlich den Standpunkt des deutschen Interesses, zu vertreten.
Da möchte ich auf den Punkt der Note der drei Westmächte eingehen, wo die drei Westmächte den russischen Vorschlag der Bildung einer Nationalarmee ablehnen und gegenüber diesem russischen Vorschlag die Notwendigkeit der Eingliederung Deutschlands, sei es der Bundesrepublik oder auch Gesamtdeutschlands, in das jetzt bestehende westliche Verteidigungssystem herausstellen. Meine Damen und Herren, wenn in dieser Weise ,etwa in den Verhandlungen mit der Sowjetunion die Position der gesamtdeutschen Regierung schon vorher in einer entscheidenden Frage bestimmt ist oder wenn in dieser Stellungnahme der drei Westmächte etwa die Feststellung zu sehen ist, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands von den Westmächten davon abhängig gemacht wird, daß dieses einheitliche Deutschland in die westliche Vertragsgemeinschaft geht, dann beschränken die Westmächte — und wenn wir diesen Standpunkt teilen, wir — die Aufgabe einer zukünftigen frei gewählten gesamtdeutschen Regierung in einer Weise, die, glaube ich, mit dem Aufbau eines unabhängigen demokratischen Deutschlands nicht vereinbar ist.
Es liegt uns daran, schon in diesem Augenblick auf diesen Punkt in dem westlichen Antwortschreiben an die Sowjetunion aufmerksam zu machen. Ich glaube, die Alternative, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, in der Verhandlung über eine mögliche deutsche Einheit besteht darin, daß sich die deutsche Regierung — sei es die Bundesregierung, sei es eine spätere gesamtdeutsche Regierung — gegenüber jeder der vier Besatzungsmächte in der gleichen Weise die Unabhängigkeit ihrer Position sichert.
Wir brauchen bei dieser Sache die Diskussion überhaupt nicht mit der törichten Frage zu belasten, wo denn das deutsche Volk steht. Das ist eine Frage ohne praktische Bedeutung für jeden, der die Auffassung im deutschen Volke kennt. Hier kommt es darauf an, daß wir der kommenden gesamtdeutschen Regierung nicht von vornherein die
Möglichkeit beschneiden, eine Entscheidung aus eigenem besten Gewissen und gestützt auf ein frei gewähltes gesamtdeutsches Parlament zu fällen.
Wir sind der Meinung, daß auch angesichts der Weltlage eine solche Festlegung in bezug auf die gegenwärtig schwebenden Vertragsverhandlungen nicht notwendig ist. Es ist auch in den Reden des Herrn Bundeskanzlers praktisch im wesentlichen nur e i n Argument für die Fortsetzung der Politik der möglichst raschen Unterzeichnung vorgetragen worden. Das ist das Argument, daß wir helfen müssen, den Westen möglichst stark zu machen, damit die Sowjets verhandlungsbereiter werden. Meine Damen und Herren, ich behaupte, das ist ein denkbar schlechtes Argument,
jedenfalls vom Standpunkt der deutschen Situation und der deutschen Politik im Jahre 1952. Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Antwort auf die Ausführungen meines Kollegen Wehner und auch in der Antwort auf die Ausführungen meines Kollegen Eichler nicht auf die sehr bemerkenswerten Ausführungen eingegangen ist, die er in bezug auf die europäische Aufgabe der deutschen Politik in der Versammlung in Siegen gemacht hat. Ich hoffe, daß es nur vergessen wurde;
denn wäre es eine absichtliche Nichtbeantwortung, dann wäre das eine sehr, sehr ernste Situation.
Es kann nicht die Aufgabe der deutschen Regierung und ihrer Außenpolitik sein, jetzt sich auch noch mit der Neuordnung im europäischen Osten zu beschäftigen.
Es gibt eine vordringlichere nationale Aufgabe, das ist die Einbeziehung der russisch besetzten Zone in Deutschland und die Sicherung der Teile Deutschlands in den Grenzen von 1937, die uns auch von den Alliierten als die deutschen Staatsgrenzen zuerkannt worden sind.
Das Bedenkliche und Beunruhigende ist, daß diese Äußerungen nicht zu einem x-beliebigen Zeitpunkt, sondern während des ersten Gesprächs fallen, das seit Jahren zwischen den vier Besatzungsmächten in Gang gekommen ist, und angesichts der Tatsache — über die wir uns doch klar sein müssen —, daß die einzige — vielleicht unerreichbare, aber doch die einzige — Möglichkeit für eine friedliche Vereinigung Deutschlands die Verständigung der drei westlichen Besatzungsmächte mit der Sowjetunion über Deutschland ist.
In den Fragen- der sogenannten Integration der Bundesrepublik sind noch keine endgültigen Entscheidungen gefallen. Aber es ist unser dringender Appell an die Bundesregierung und an den Bundestag, angesichts der jetzt gegebenen Situation keine weiteren Tatsachen zu schaffen oder Unterschriften zu leisten, die die Möglichkeiten eines ernsthaften Gesprächs über die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit auch nur erschweren können. Wir haben keine Illusionen über die Chancen und die Möglichkeiten. Vielleicht sind sie nur gering. Aber unter allen Beteiligten an diesem Gespräch hat ein Beteiligter, nämlich das deutsche Volk, hat die Bundesregierung, die hier in Vertretung des gesamten deutschen Volkes spricht, haben wir eine besonders große Verantwortung. Wir haben uns zu überlegen, daß wir in diesem Stadium nichts tun, was auch nur eine leise Möglichkeit einer positiven Lösung dieser Frage verschütten könnte. Vielleicht erweist sich diese Zurückhaltung, diese Vorsicht durch den schlechten Willen der anderen, so wie er sich vielleicht bei näherer Untersuchung der Position herausstellt, als nicht gerechtfertigt. Aber wie ist dann die Lage? Dann ist das deutsche Volk, dann ist Europa für lange Zeit um eine große Hoffnung ärmer.
Wir meinen, um eine solche Situation, soweit es in unseren Kräften steht, zu vermeiden, lohnt es sich, hier eine Entwicklung aufzuhalten, die nicht unter allen Umständen und unter jedem Gesichtspunkt in diesen Tagen und Wochen zum Abschluß gebracht werden muß, und die Bahn freizuhalten und die Voraussetzungen nicht zu verschütten, die vielleicht doch in dieser Initiative liegen.
Wir sind deshalb der Meinung, daß der Bundestag seinen Willen in dieser Richtung dokumentieren sollte. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung ersuchen, nur solche Abkommen zu unterzeichnen, die der Bundesrepublik rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit sichern, von sich aus jederzeit auf die Einleitung von Verhandlungen der vier Besatzungsmächte über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands hinzuwirken.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf einige Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer möchte ich sofort antworten; und ich behalte mir vor, je nach dem Fortgang und dem Lauf der Debatte noch weiter darauf zurückzukommen. Herr Ollenhauer hat eingangs seiner Rede festgestellt, daß ich heute erklärt hätte, ich hielte die Gefahr eines heißen Krieges nicht für gegeben. Er hätte gewünscht, daß ich dieselbe Erklärung bei der Debatte über den Verteidigungbeitrag abgegeben hätte.
Herr Kollege Ollenhauer hat mich nur zum Teil zitiert. Ich habe gesagt, ich hielte die Gefahr eines heißen Krieges nicht für gegeben, weil jetzt schon der Westen zu stark sei. Ich glaube, darin liegt völlig klar, daß ich die Gefahr eines heißen Krieges nicht etwa deswegen nicht für gegeben halte, weil ich der Sowjetunion eine besondere Friedensliebe zutraue, sondern nur deswegen, weil eben der Westen stark ist, und ich habe der Auffassung Ausdruck gegeben, daß wir zu dieser Stärke beitragen müssen.
Herr Kollege Ollenhauer hat einen Satz gesagt, von dem ich annehmen möchte, daß er doch nicht so gemeint ist, wie er ausgesprochen worden ist. Er hat erklärt, die vier Besatzungsmächte stünden uns Deutschen in gleicher Wertung und Bedeutung gegenüber. Ich muß ausdrücklich erklären, daß die vier Besatzungsmächte uns nicht in gleicher Wertung und Bedeutung gegenüberstehen.
Es ist mir ,nicht recht verständlich, wie man von
einer Besatzungsmacht, die 18 Millionen Deutsche
als Sklaven behandelt, sagen kann, daß sie uns in gleicher Wertung und Bedeutung wie die drei anderen Besatzungsmächte gegenüberstehe.
— Das Stenogramm liegt ja vor.
Wenn heute von seiten des Vertreters der sozialdemokratischen Fraktion solche Bedenken hervorgehoben werden, wie wir sie soeben aus dem Munde des Herrn Kollegen Ollenhauer gehört haben, dann ist mir völlig unverständlich, wie sich ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei an der Beratung des Grundgesetzes überhaupt hat beteiligen können.
Ich bin derselben Auffassung wie Herr Kollege Ollenhauer, wenn er sagt, daß die einzige Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammengehen der drei Westmächte mit der Sowjetunion bestünde, setze aber noch hinzu: und mit Deutschland. Aber, meine Damen und Herren, ich unterscheide mich vollkommen und hundertprozentig in dem Vertrauen, das Herr Kollege Ollenhauer über die Absichten der Sowjetunion bekundet hat.
Meine Damen und Herren! Ich darf doch darauf aufmerksam machen, daß nun einmal das Wesen der parlamentarischen Auseinandersetzung auch im Anhören besteht.
Es kann doch auch die Meinungsverschiedenheit in dem Fortgang der Debatte zum Ausdruck kommen.
Ich bitte Sie, fortzufahren, Herr Bundeskanzler.
Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, wenn ich absichtlich unterlassen hätte, auf' einen Satz, den ich in Siegen gesagt habe, hier einzugehen, dann würde er das als eine, ich weiß nicht genau, sehr schwerwiegende Tatsache ansehen müssen. Der Satz in Siegen war sehr einfach und beschäftigte sich mit der Frage des deutschen Ostens jenseits der Oder-
Neiße-Linie. Daß wir uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, geschweige denn irgendeine Anstrengung machen sollen, was schließlich mit den Satellitenstaaten geschieht, das ist eine solche Selbstverständlichkeit, daß man mir wirklich nicht zutrauen sollte, dies gemeint zu haben.
Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie werden
mir doch wohl das Recht zugestehen, daß ich auch
an das Land jenseits der Oder-Neiße-Linie im Osten denke und das erwähne.
Sie haben es mir verargt, daß ich das in Berlin in einer Rede getan habe.
Worin ich mich von der Auffassung des Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion unterscheide, ist folgendes: Ich stimme mit ihm darin überein und habe das eben gesagt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Frieden nur durch Übereinstimmung der vier Besatzungsmächte und Deutschlands erfolgen kann, aber ich bin der Auffassung, daß wir ein solches vernünftiges Gespräch mit Sowjetrußland nur dann erreichen,
— ja, wenn wir stark sind. Dann werden wir erst in ein vernünftiges Gespräch kommen.
Ich glaube, daß schon der bisherige Erfolg für diese Ansicht spricht.
Ich kann nur nochmals wiederholen: Ich will die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden mit ganzer Kraft, so gut und so stark, wie einer von Ihnen sie will,
denn ich bin genau so gut ein Deutscher, wie Sie es sind;
aber ich habe nicht dieses unbegrenzte Vertrauen zu Sowjetrußland, wie es anscheinend doch hier und da gehegt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Man kann nicht häufig genug hervorheben, daß die Wiederherstellung der gesamtdeutschen Einheit ein falsches oder ungenaues Wort für das ist, worum es eigentlich geht. Es geht nämlich um die Wiedergewinnung der gesamtdeutschen Freiheit.
Wären die 20 Millionen in der sowjetischen Zone
frei, dann hätten wir sofort die deutsche Einheit.
Sie wäre dann kein Problem mehr. Ich glaube, daß
die Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit
der Opposition zu einem Teil daher rühren, daß
man sich diesen ungenauen Sprachgebrauch angewöhnt hat, bei dem man nicht mehr scharf genug sieht, worum es eigentlich geht, nämlich um die gesamtdeutsche Freiheit. Diese gesamtdeutsche Freiheit würde, wenn sie verwirklicht wäre, auch ohne weiteres die Einheit bedeuten. Die unangemessene Ausdrucksweise erweckt den falschen Eindruck, als wären es Deutsche, die der gesamtdeutschen Einheit entgegenstehen. Dieser Eindruck wird auch draußen in Volksversammlungen von der Opposition erweckt. In Wahrheit weiß die Opposition ganz genau, und es wissen vor allem auch die Kommunisten, die in diesem Hause sitzen, daß die Sowjets als Besatzungsmacht unter Verwendung einer kleinen Minderheit Irregeleiteter die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung in sklavenhafter Unfreiheit halten. Die Frage nach der deutschen Einheit richtig gefaßt muß deshalb heißen: Wie können wir die sowjetischen Sklavenhalter auf friedliche Weise dahin bringen, daß sie unseren deutschen Menschen in Mitteldeutschland die Freiheit geben?
Die richtige Antwort auf diese Frage ist aus der Situation zu entnehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in der sich die Sowjets erstmals wieder seit langer Zeit herbeiließen, einen unmittelbaren Vorschlag zu unterbreiten. Ich glaube, diese Situation ist doch sehr eindeutig. Sie zeichnet sich nämlich zum ersten dadurch aus, daß das Einheitsgeschwätz der Pankower Marionetten nicht verfangen hat. Es hat nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Sie zeichnet sich zum zweiten dadurch aus, daß die Bundesrepublik, die westdeutsche Freiheitsbastion, sich inzwischen weiter konsolidiert hat, und dies nicht nur wirtschaftlich, sondern auch innerpolitisch, wie gerade die Südweststaatwahlen erwiesen haben,
in denen sich der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung für die drei großen demokratischen Parteien entschieden hat, ohne daß dabei gegenüber 1949 eine nennenswerte Verschiebung zugunsten der Opposition eingetreten ist.
Zum dritten ist die Konsolidierung, die inzwischen eingetreten ist,
Damit nähert sich allerdings der Zeitpunkt, in dem für die Sowjets nicht mehr zu erwarten ist, daß Westdeutschland auf sich selbst gestellt bleiben und sich in der Isolation als nicht lebensfähig erweisen würde.
Die sowjetische Note ist also unzweideutig ein Erfolg der konsequenten Politik der Bundesregierung und der westlichen Demokratien. Es sind
Tatsachen geschaffen worden, und weitere Tatsachen stehen bevor, die der bisherigen Sowjetpolitik in Deutschland und Europa die letzten Erfolgsaussichten nehmen. Diese Tatsachen bedeuten die Überwindung der europäischen Zerrissenheit außerhalb des sowjetischen Machtbereichs. Sie machen damit einen weiteren Wirtschaftsaufschwung und die Erhöhung des Lebensstandards in den europäischen Ländern außerhalb des sowjetischen Machtbereichs gewiß.
Sie bewirken damit eine gesteigerte Immunisierung der europäischen Völker gegen kommunistische Einflüsse und sie verbessern schließlich den Friedensschutz der europäischen Völker.
Alle diese Tatsachen haben aber — und das ist schließlich das Wichtigste — eine ausstrahlende werbende Wirkung in den Bereich der sowjetischen Satellitenstaaten hinein. Es hat sich inzwischen die Stromrichtung im kalten Krieg geändert: die Offensive ist auf die gesamte westliche Welt übergegangen. Deshalb ist der sowjetische Vorschlag jetzt der fällige Gegenzug auf die konsequente Entfaltung der Politik der Bundesrepublik und der westlichen Demokratien. Dieser Gegenzug ist ein Geständnis, das Geständnis des Mißerfolges der bis jetzt verfolgten Deutschland- und Europapolitik der Sowjetunion. Dieses Geständnis des Mißerfolges, meine sehr geehrten Damen und Herren, enthüllt sich am deutlichsten darin, daß die Sowjets plötzlich als die Propagandisten einer deutschen Nationalarmee auftreten. Sie vertraten bisher stets die These der völligen deutschen Entmilitarisierung, die These des absoluten Machtvakuums im deutschen Raum, die These einer waffenlosen und auch international auf Waffenlosigkeit kontrollierten deutschen Scheinstaatlichkeit; denn ein Staat ohne jegliche Schutzmöglichkeit ist ein Scheinstaat. Sie haben diese bisherigen Thesen völlig preisgegeben, und sie haben damit nicht nur die bisherige Propaganda der Kommunisten, sondern auch der Niemöller, Heinemann und Wessel als irreale Phantastereien abgetan. Das ist immerhin eine erfreuliche Klarstellung, für die man den Sowjets dankbar sein kann.
Wie war der Vorschlag aufzunehmen? Zum ersten eben im Sinne des wichtigen Geständnisses des Mißerfolges der bisherigen Deutschland- und Europapolitik der Sowjets. Insofern lag darin zugleich eine Mahnung, nämlich die, nicht auf einen sowjetischen Pfiff hin die Politik aufzugeben, die zu der jetzigen Situation geführt hat, einer Situation, in der sich die Sowjets — seit langer Zeit — genötigt sahen, mit einem unmittelbaren Vorschlag hervorzutreten.
Zum zweiten mußte der Vorschlag bei den Adressaten, den westlichen Demokratien, sofort zu der ernsthaften Prüfung mit dem Ziel führen, auf eine Antwort zu dringen, die die Sowjets zur Klarstellung ihrer Unklarheiten und zur Behebung ihrer Widersprüche nötigen mußte, die die Sowjets veranlassen mußte, Farbe zu bekennen. Die maßgeblichen Sprecher der Koalitionsparteien haben sich sofort in diesem Sinne geäußert, und wir wissen aus den Gesprächen mit dem Herrn Bundeskanzler, daß dies auch von vornherein seine Auffassung war. Es ist bedauerlich, daß ein Sprecher der Regierung - der fünfte Pressechef — in einer überschnell _abgegebenen Presseerklärung zu diesem Thema eine Produktion zuwege gebracht
hat, die sich von den Leistungen seiner Vorgänger nicht vorteilhaft abhebt.
Es ist bedauerlich, daß auch Herr Staatssekretär Hallstein in den Vereinigten Staaten — jedenfalls nach den Pressemeldungen, die nach hier kamen -- den Eindruck erweckte, als bedürfte die sowjetische Note nicht einer ernsthaften Prüfung oder als sei sie dieser nicht würdig.
In diesem Zusammenhang dürfen wir darauf aufmerksam machen, daß es für uns unerläßlich ist, eine Selbstbeschränkung zu üben, die das Mißverständnis ausschließt, als wollten wir uns mit Anliegen beschäftigen, die außerhalb unseres unmittelbaren Interessenkreises liegen. Wir sollten uns in unserer Lage nach diesem Weltkrieg auf das Anliegen beschränken, zu dem wir kraft innerster Verantwortung aufgerufen sind: die gesamtdeutsche Freiheit wiederherzustellen.
Der Machtlosigkeit steht die Hybris besonders schlecht an.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die westliche ,Antwortnote hat im wesentlichen den deutschen Vorstellungen entsprochen, die auf Konsultation von der Bundesrepublik geäußert wurden. Es ist wesentlich, daß die Noten der westlichen Alliierten sehr nachdrücklich die Unklarheiten und Widersprüche hervorgehoben haben, die sich in der sowjetischen Note befinden.
Die Sowjets verlangen in ihrer Note zum ersten, daß eine deutsche Regierung an den Friedensverhandlungen gleichberechtigt teilnehmen soll. Sie wollen auch durch den Friedensvertrag sicherstellen, daß die staatsbürgerlichen Freiheiten in Deutschland für jedermann garantiert werden. Nun, die ganze Entwicklung kann nur damit beginnen, daß die staatsbürgerlichen Freiheiten, die die Sowjets zunächst einmal vernichtet haben, im sowjetischen Bereich hergestellt werden, wenn man zu einer gesamtdeutschen Regierung kommen will, die überhaupt nur als legitimiert angesehen werden kann, bei einem Friedensvertrag über deutsche Interessen zu verhandeln. Die freien Wahlen mit allen internationalen Garantien müssen das erste sein.
Ich glaube, es war nur gut, daß in der Westalliierten Antwortnote auch die UNO-Kommission erwähnt wurde. Die Annahme der UNO-Kommission durch die Sowjets ist nicht als unerläßlich gefordert, sondern es ist nur zum Ausdruck gebracht worden, daß es mit großer Genugtuung gesehen würde, wenn die Sowjets ihre Einstellung zu der praktischen Tätigkeit der UNO-Kommission änderten.
Die Kritik des Herrn Kollegen Wehner an diesem Teil der Note ist völlig unverständlich, liegt es doch in unserem Interesse, daß etwaige Wahlen im sowjetischen Bereiche nicht Scheinwahlen, sondern wirklich freie Wahlen werden. Wir wissen, wovon es abhängt, daß es ohne internationale Garantie nicht geht und daß es schwerlich ohne eine Überwachung geht, die sicherstellt, daß die Begriffe, die die Sowjets verwenden, mit denen der westlichen Welt übereinstimmen, so daß dann ein Zustand entsteht, in dem tatsächlich Freiheit möglich ist.
Zum zweiten liegt es im deutschen Lebensinteresse, daß die westlichen Demokratien in ihrer Antwortnote absolut klargestellt haben, daß sie eine deutsche Regierung mit hinreichenden Kompetenzen sowohl vor als auch nach einem Friedensvertrage fordern. Die deutsche Regierung wird Kompetenzen haben, daß sie bei den Friedensverhandlungen das legitime deutsche Interesse auch in Freiheit wahrzunehmen vermag.
Innenpolitisch ist schon mit Rücksicht auf die österreichischen Erfahrungen eine Freistellung von einem Viermächtekontrollsystem oder einem anderen internationalen Kontrollsystem außerordentlich wesentlich. Wir wissen jetzt, wie lange Verhandlungen mit einer östlichen Macht dauern. Am 10. Juli des vergangenen Jahres begannen die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Korea, und die Verhandlungen zwischen den vier Mächten über den österreichischen Staatsvertrag sind jetzt ins vierte Jahr gelangt. In Anbetracht solcher Erfahrungen ist es unmöglich, sich auf Verhandlungen einzulassen, ohne daß zuvor durch eine gemeinsame Entscheidung sichergestellt ist, daß man außer freien Wahlen auch Freiheiten für eine deutsche Regierung insoweit zugestehen will, daß diese deutsche Regierung überhaupt zu Wirksamkeit gelangt. Insbesondere ist das wegen der Länge der Zeit, für die mit Verhandlungen gerechnet werden muß, wesentlich.
Nicht weniger wichtig ist aber die Gefahr, die sich daraus ergibt, daß die Besatzungsmacht, solange sie da ist — wir kennen die sowjetische Besatzungsmacht insoweit ja gut genug —, jederzeit in der Lage ist, tatsächlich terroristische Zustände wieder herbeizuführen. Wir hätten dann darüber hinaus für Gesamtdeutschland den schweren Nachteil zu befürchten, daß diese selbe Besatzungsmacht über die Teilnahme an einem irgendwie gearteten Kontrollsystem für das gesamte deutsche Gebiet auch in die westlichen Zonen hinein lähmend wirken würde.
Aus diesen Gründen muß doch ganz außerordentlicher Wert darauf gelegt werden, daß von vornherein für die Verhandlungsgrundlage allein das eine sichergestellt ist: innere Entscheidungsfreiheit.
Was nun die außenpolitischen Zuständigkeiten einer gesamtdeutschen Regierung anbelangt, so befindet sich auch da in der sowjetischen Note ein eigenartiger Widerspruch, der darin liegt, daß die Sowjets auf der einen Seite für Deutschland die Mitgliedschaft in der UNO anstreben, auf der anderen Seite aber diesem Gesamtdeutschland den Beitritt zu Regionalpakten im Rahmen der UNO versagen wollen. Es ist nur konsequent, wenn gegenüber der sowjetischen Forderung, wonach diese deutsche Regierung von allen Bündnissen, die sich gegen frühere Feindmächte richten, ausgeschlossen sein soll, in der westlichen Antwortnote darauf abgehoben wird, daß die deutsche Regierung, so wie sie Mitglied der UNO werden soll, auch die Möglichkeit haben muß, aus voller Entscheidungsfreiheit heraus ihren Beitritt zu Regionalpakten im Rahmen der Vereinten Nationen zu erklären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in allen diesen wesentlichen Punkten kann man mit der westlichen Antwortnote völlig einverstanden sein; wir müssen ihren wesentlichen Inhalt begrüßen. Es bestünde nur dann Anlaß, eine Einschränkung zu machen, wenn die mißverständliche Auffassung,
die bei der Sozialdemokratie verbreitet ist, gerechtfertigt wäre. Diese Auffassung, die falsch ist, ging nämlich dahin, daß die westlichen Demokratien für Gespräche mit der Sowjetunion die deutsche Beteiligung an eiher europäischen Verteidigungsgemeinschaft und an Verträgen wie dem Schuman-plan usw. zur Voraussetzung gemacht hätten. Eine solche Voraussetzung ist aber aus der Antwortnote der westlichen Demokratien nicht zu ersehen, und der englische Hochkommissar, Sir Ivon Kirkpatrick, hat ausdrücklich betont, daß der deutschen Regierung die Entscheidungsfreiheit darüber zustehen solle, ob sie in irgendwelchen Regionalverträgen im Sinne der Vereinten Nationen beharren wolle oder ob sie sie abzuschließen gedenke.
Wir sind, meine sehr geehrten Damen und Herren, durch den Inhalt der Antwortnote der westlichen Alliierten, der in enger Beratung mit der Bundesrepublik festgestellt wurde, in die erfreuliche Lage gekommen, daß die Sowjets einmal mehr genötigt sind, klar Farbe zu bekennen, ob sie freie Wahlen, ob sie die Freiheit vom zerstörerischen Kontrollratsystem, ob sie auch eine hinreichende außenpolitische Entscheidungsfreiheit in dem Sinne zugestehen wollen, daß Deutschland nicht nur der UNO, sondern auch Regionalpakten im Rahmen der Vereinten Nationen angehören kann. Kurz und gut, die Sowjets haben klar zu erklären, ob es ihnen mit der gesamtdeutschen Freiheit ernst ist oder aber ob ihnen nur an einer Freiheitsattrappe gelegen ist, hinter der das Vorstellungsbild einer deutschen Einheit in Unfreiheit und Zwang steht. An einer solchen Form der deutschen Einheit, die lediglich sowjetischen Vorstellungen entsprechen kann, haben wir und haben die 20 Millionen Deutscher in der Sowjetzone erst recht kein Interesse.
Die Noten der westlichen Demokratien entsprechen dem wohlverstandenen Lebensinteresse des deutschen Volkes an der Wiederherstellung der gesamtdeutschen Freiheit. Bis die Sowjets Klarheit bekennen, besteht kein Anlaß, die Politik der Eingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Völker und die Politik der Integration Europas aufzugeben oder zu unterbrechen. Sie sollte andererseits nicht forciert, sie sollte nur ruhig fortgesetzt werden. Die Sowjets haben jederzeit Gelegenheit, ihre Vorschläge klarzustellen und damit eine erneute ernsthafte Überprüfung der Lage durch Organe der Bundesrepublik und durch die westlichen Alliierten herbeizuführen. In diesem Sinne bitte ich Sie, der Entschließung der Regierungsparteien zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Replik auf die Rede meines Freundes 011enhauer seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, daß überhaupt ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei sich an der Schaffung des Grundgesetzes mitbeteiligt habe, wenn dieses Grundgesetz wirklich nur ein politisches Gebilde habe schaffen sollen, daß nichts mehr tun konnte als die Schaffung provisorischer Situationen. So habe ich seine Rede wenigstens verstanden.
— Habe ich Sie mißverstanden?
— Ja, gut, dann bedauere ich, Sie mißverstanden zu haben. Aber ich glaube, daß ich doch noch zu Ihren Worten etwas ausführen muß. Der Grund, weswegen wir Sozialdemokraten uns an der Aufgabe beteiligt haben, das Grundgesetz und damit die Bundesrepublik zu schaffen, war, daß in dem Mandat, das der Parlamentarische Rat ausdrücklich erhielt, ausgesprochen war, es solle die Aufgabe der Bundesrepublik sein, nur „vorläufige organisatorische Maßnahmen" zu treffen.
In der Mantelnote, durch die am 10. Juli 1948 die deutschen Ministerpräsidenten es übernommen haben, die Londoner Entschließungen zu vollziehen, ist ausdrücklich gesagt worden, daß im Zuge der übernommenen Aufgabe keine definitiven Situationen geschaffen werden dürften.
Eine weitere Bemerkung: Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir Sozialdemokraten oder einige von uns hätten offensichtlich ein besonderes Vertrauen zu den Absichten der Sowjetregierung. Meine Damen und Herren, wir haben keinen Kinderglauben -in die ausschließliche. Güte der Absichten der Regierungen, die deutsches Land besetzt haben,
und am allerwenigsten haben wir Vertrauen in die Absichten der Sowjetregierung!
Ich habe mich zu einer weiteren Behauptung des Herrn Bundeskanzlers zu äußern. Mein Freund Ollenhauer hat gesagt: „Die vier Besatzungsmächte stehen uns in gleicher Wertung und Bedeutung gegenüber". Daraus wurde abgeleitet, Ollenhauer habe die moralische Gleichsetzung der vier Besatzungsmächte erklärt. Meine Damen und Herren, wir haben es den Amerikanern nicht vergessen, daß sie durch ihre Hilfe unser Volk vor dem Verhungern bewahrt haben.
Schon das schließt die gleiche moralische Bewertung der Regierung des amerikanischen Volkes mit der der Sowjetunion aus! Das ist doch etwas anderes als die Klärung der Frage, mit welchen Machtfaktoren man rechnen muß!
Und da hat doch mein Freund Ollenhauer nichts anderes sagen wollen als: wir brauchen alle vier Besatzungsmächte, wenn wir die Einheit Deutschlands herstellen wollen!
Insoweit sind alle vier in Gottes Namen in gleichem Maße als Machtfaktoren in unsere Rechnung einzusetzen und entsprechend zu bewerten.
Etwas anderes hat Herr Ollenhauer nicht sagen wollen und nicht gesagt. Ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler die Ausführungen Erich Ollenhauers anders verstanden hat, so
als habe er sagen wollen: Uns sind die Russen und ihre Taten gleich lieb wie die der Westmächte, und wir bewerten ihr Tun gleichermaßen wie das, was etwa die Amerikaner getan haben.
Was die Rede in Siegen betrifft, so stelle ich mit Freuden fest, daß sie in der Presse offensichtlich unrichtig wiedergegeben worden ist und daß der Herr Bundeskanzler mit seinen Ausführungen ausschließlich Ostdeutschland, also die Gebiete östlich von Oder und Neiße, gemeint hat. Wir verargen ihm das nicht nur nicht, sondern wir sind im Gegenteil der Meinung, daß es die Pflicht der Bundesregierung ist, alles zu tun, was die Wiedereinfügung dieser Gebiete ermöglichen kann. Nur meinen wir: Wenn man das will, dann muß man auch die Voraussetzungen dafür und gewisse Konsequenzen wollen.
Was die Ausführungen des Kollegen Euler anlangt, so glaube ich, daß es wenig Sinn hat, wenn wir uns hier über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit einzelner Maßnahmen und einzelner Ausführungen in den Noten streiten. Die Frage, die zur Entscheidung steht — das kommt in den beiden Antragsentwürfen klar zum Ausdruck —, ist, ob die Politik der Bundesregierung in ihrer Gesamtanlage eine Chance hat, das von ihr selbst erstrebte Ziel mit den Methoden zu erreichen, die die Bundesregierung zur Zeit anwendet. Das ist die Frage.
Der Herr Bundeskanzler hat uns erklärt — und der Bundestag hat ja schon längst entsprechende Beschlüsse gefaßt —, daß es das oberste Ziel einer jeden Außenpolitik der Bundesrepublik sein müsse, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu betreiben, nicht nur aus nationalen Gründen, die an und für sich ausreichen würden, um den Rang dieses Anliegens zu bestimmen, sondern auch aus internationalen Gründen, weil nur, wenn die Spaltung Deutschlands aufgehoben ist, überall in der Welt auf festem Grund wird gebaut werden können.
Damit aber sind gewisse Konsequenzen verbunden. Denn wenn man sagt, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit das vornehmste, das oberste oder das vordringlichste Ziel der deut- Außenpolitik sei, dann sagt man damit zugleich, daß demgegenüber andere Ziele sekundär sind oder daß sie nichts anderes sind als Mittel zur Erreichung eben dieses vornehmsten und vordringlichsten Zieles. Ich unterstelle, daß auch die Bundesregierung so denkt, und ich erlaube mir nun zu untersuchen, ob sie recht mit der Behauptung hat, daß ihre Politik die Verwirklichung dieses Satzes sei, oder ob sie sich dabei irrt. Die Konsequenz dieses Satzes ist doch, daß auf jeden Fall alles unterlassen werden müßte, was diesem vornehmsten Ziel zum Nachteil gereichen könnte. Ich möchte hier aber noch eines feststellen. In dem Beschlusse, den wir vor vielen Monaten gefaßt haben und in dem es heißt: „die Einheit Deutschlands in einem geeinten Europa" dürfen die Worte „in einem geeinten Europa" nicht als Einschränkung, auch nicht hinsichtlich der Frage der Vordringlichkeit der Aufgabe, Gesamtdeutschland zu schaffen, verstanden werden. Diese Einheit Deutschlands ist friedlich nur über ein Viermächteabkommen zu erreichen. Wir mögen bedauern, daß wir die Vier dazu brauchen; aber es ist nun einmal so. Und der Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden kann, kann nur über gesamtdeutsche Wahlen und die Schaffung
einer gesamtdeutschen, freien, in ihren Entschlüssen freien Regierung führen.
Wenn man das will, nun, dann muß man die Westmächte und die Russen dazu bringen, in gesamtdeutsche Wahlen einzuwilligen, und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese Wahlen freie Wahlen werden. Das heißt, man darf nicht nur das Interesse der einen Seite wecken, sondern man muß auch das der anderen Seite ansprechen.
Wenn man es für unmöglich hält, das Interesse auch der Sowjetunion anzusprechen, nun, meine Damen und Herren, dann ist die Konsequenz, daß man auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit verzichten muß, es sei denn, daß man sich zu der Hoffnung berechtigt hält, man könne durch das Verhalten des Westens die Russen zwingen, in die Vorschläge des Westens einzuwilligen.
Es gibt entweder die Möglichkeit, an das Interesse,
oder die Möglichkeit, an die Macht zu appellieren.
Man sagt uns: Wir müssen uns stark machen; stark werden wir nur durch Vollendung der Eingliederung Deutschlands in den Mechanismus des politischen Systems des Westens; diese setzt den Beitritt Deutschlands zu dem europäischen Verteidigungsabkommen voraus, also seine Einfügung in die politische Ordnung des atlantischen Systems oder eine Ordnung am Rande des atlantischen Systems — was doch nichts anderes bedeutet als die Übernahme der Verpflichtung, die Politik der Führungsmächte dieses Systems mit zu übernehmen.
Man glaubt also den Russen zumuten zu können, ihre Machtposition in Deutschland aufzugeben, und ihnen weiter zumuten, zu können, das zuzugeben, daß Mitteldeutschland — sein politisches, wirtschaftliches Potential — dem 'Machtpotential des atlantischen Blocks zugeschlagen wird, den die russische Regierung heute nun einmal als feindlich betrachtet. Das heißt doch wohl die Selbstlosigkeit der Russen und vielleicht auch ihre Angst vor einer Europaarmee überschätzen.
Aber man sagt uns dazu: Wenn wir den Westen durch unseren Beitritt zu diesem politischen System stark genug gemacht haben, dann kann der Westen mit den Russen in einer Sprache reden, die sie allein verstehen.
Nach der Auffassung vieler gehört dazu auch ein deutscher militärischer Beitrag an den Westen, weil er durch die Antwortnote der westlichen Alliierten zum mindesten offengehalten werden soll und weil er durch die Regierung betrieben wird und — wenn ich Ihre Resolution richtig verstanden habe — weiter betrieben werden soll bis zum Abschluß und zur Perfektion des Gewollten.
Was heißt es denn: gestützt auf diese Stärke eine Sprache sprechen, die der andere versteht? Bedeutet das — ich will es nicht hoffen und kann es auch nicht annehmen — die Möglichkeit der Drohung, von dieser militärischen Stärke Gebrauch zu machen, wenn der andere nicht hören will? Ich wiederhole: Ich glaube nicht, daß das die Absicht der Bundesregierung ist. Im übrigen stünde das ja nur zum ganz geringen Teil in ihrer Entscheidungsbefugnis ...
Ich glaube, daß hierüber andere Leute sehr viel mehr zu sagen haben würden als sie. Also ist es doch so, daß man eine militärische Stärke will, von der man entschlossen ist, in der politischen Offensive für die Einheit Deutschlands keinen Gebrauch zu machen. Was soll dann bei dieser politischen Offensive, die wir alle unternehmen wollen, diese militärische Stärke nützen?
Ein Instrument, von dem ich keinen Gebrauch machen will, ist doch genau so, als hätte ich es nicht. Das ist doch ein Messer ohne Heft und Klinge!
Man sagt doch jetzt: Wir müssen uns — auch militärisch — in den Westen integrieren, nicht nur und in erster Linie zu Verteidigungszwecken, sondern damit wir eine Machtgrundlage für eine politische Offensive zur Herstellung der Einheit Deutschlands haben. Ich glaube, daß in dieser Konzeption der Bundesregierung so viel Widerspruch steckt, daß ein Faktor den andern aufhebt, und ich möchte darauf hinweisen, daß die Stärke einer Verhandlungspartei auch auf andere Weise als durch Häufung militärischer Machtmittel gesteigert werden könnte.
Nun sagt man uns: Ohne den aktiven Beistand der Westmächte sind wir in dieser Sache nichts! Wir müssen unsere Politik betreiben, schon um die Westmächte zu veranlassen, einmal, uns als Partner zu betrachten, dann, den Schutz Deutschlands zu übernehmen, und schließlich, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu ihrer eigenen Politik zu machen.
Was nun die Partnerschaft anlangt, so scheint es mir, als rede man manchmal so davon, als ob die Westmächte die Absicht hätten, uns so brüderlich an sich heranzuziehen, wie wir gern unsere Brüder jenseits des Eisernen Vorhangs an uns heranziehen möchten. Ich glaube, daß das eine Verkennung dessen ist, was man im Westen unter Partnerschaft versteht. Wenn man die Reden in den dortigen Parlamenten und Äußerungen verantwortlicher Staatsmänner liest, scheint es doch eher so zu sein, daß man uns in das eigene politische System eingliedern will, um zu verhindern, daß das, was in Deutschland an politischem Potential steckt, dem östlichen Gegner zuwächst. Durchaus richtig für die anderen! Aber wir sollten sehen, daß das die Absicht ist, d. h. daß man uns haben will, daß man uns dabei haben will, soweit ein eigenes Interesse besteht und soweit sich das für den Westen politisch auszahlt.
Wir sind für ihn ein möglicher Zuwachs an Machtpotential, und er möchte diesen Zuwachs, Herr Hasemann, so billig als möglich haben. Wenn es anders wäre, müßte es den Westmächten leichter fallen, in die Normalisierung unseres politischen und juristischen Status zu willigen, als es ihnen offenbar heute noch fällt.
Das andere Argument: der Schutz nach außen. Ich möchte nicht, daß meine Ausführungen dazu etwa so verstanden werden, als insinuierte ich den Westmächten mangelnde Vertragstreue. Aber da steht doch die Frage vor uns: Wie werden Verträge auch von vertragstreuen Partnern ausgeführt,
Verträge, bei denen es um Leben und Tod geht? Doch immer nur unter dem Vorbehalt der Lebensinteressenklausel!
- Nein, Herr von Brentano; aber erlauben Sie mir, etwas zu der möglichen Tragweite einiger Bestimmungen gewisser Vertragsentwürfe zu sagen. — Sie sollen uns Schutz nach außen bringen: Die französische Kammer hat von dem französischen Außenminister hören können, daß etwaige Grenzzwischenfälle den Casus foederis nicht auslösen sollen. Wer wird darüber entscheiden, was ein Grenzzwischenfall ist und was ein Angriff ist? Ich weise hier nur auf Berlin hin.
Bei einer eventuellen Vollinvasion Deutschlands geht aber sowieso der dritte Weltkrieg los, denn die Westmächte, die vielleicht einmal die Russen als Verbündete gerne mochten, wollen sie als Nachbarn nicht haben! Ich glaube nicht, daß eine Klausel im Generalvertrag uns eine zusätzliche Sicherheit bringen kann; denn es wird nichts anderes geschehen, als was sich aus der Notwendigkeit der Situation — unter Berücksichtigung der Lebensinteressen unserer Nachbarn — ergeben wird. Wir sollen doch nicht vergessen — Herr Ollenhauer hat darauf hingewiesen —, daß einige dieser Mächte noch gewisse Verträge mit den Russen haben, auch militärische Bündnisverträge. Es wird noch die Frage sein — und sie werden sie entscheiden —, nach welchen 'Gesichtspunkten sie das Verhältnis dieser Verträge zueinander und damit ihre Rangordnung bestimmen werden. Eine Chance, effektiv verteidigt zu werden, haben wir nur, wenn die Westmächte sich in Deutschland selber angegriffen fühlen und darum ein eigenes Interesse daran haben, einer russischen Invasion Deutschlands entgegenzutreten. Da können Verträge nicht sehr viel hinzubringen.
Eine weitere Verpflichtung unserer Partner sollte sein, die Einheit Deutschlands zu betreiben. Das Problem der Herstellung der Einheit Deutschlands ist unteilbar in Ost und West, und da möchte ich mich dagegen verwahren, daß man etwa das Saargebiet als einen anders zu wertenden Sonderfall betrachtet. Wenn man von Herstellung der Einheit Deutschlands spricht, dann meinen wir, hoffe ich, alle miteinander den Osten und den Westen.
Wir wissen aber, wie die Franzosen darüber denken. Erst gestern oder vorgestern hat der französische Außenminister vor dem Senat darüber gesprochen. Er hat dort gesagt, daß sich für die französische Politik nichts geändert habe: es bleibe beim Status quo als dem Ziel der französischen Politik. Was werden Leute, die dort, wo das Problem sie selber betrifft, zur Frage der deutschen Einheit so stehen, für die Herstellung der deutschen Einheit im Osten viel tun? Sie müßten dann schon ihre klassische Politik aufgegeben haben! Und wenn man sogar dort gewichtige Stimmen sagen hört, man fühle sich auch dadurch bedroht, daß einmal 67 statt 48 Millionen Deutscher Verbündete werden könnten, denn diese könnten durch ihr numerisches Obergewicht die Koalition beherrschen —, nun, meine Damen und Herren, dann weiß ich nicht recht, worauf Sie Ihre Hoffnung gründen, daß von allen drei Westmächten wirk-
liche Aktivität zur Herstellung eines Zustandes entwickelt werden könnte, den eine mindestens glaubt fürchten zu müssen.
Nun sagt man uns: Gerade weil es so ist, müßten wir in diese Organisation hineingehen, damit wir dort auf das Tempo drücken könnten und unsere Ziele zu verfechten und Initiativen auszulösen vermöchten. Gut; das ist ohne Frage eine Chance. Aber sie hat auch eine böse Kehrseite: Fesselt denn die Klausel, daß die Einigungspolitik von allen Westmächten gemeinsam betrieben werden muß, uns nicht bei unseren möglichen Initiativen an den guten Willen der anderen? Macht es uns diese Klausel nicht unmöglich, selbständig Initiativen zu ergreifen und dies dann, wenn wir sie für nützlich halten? Es braucht doch nur eine Macht nein zu sagen, um ,uns schon rechtlich daran zu hindern, eine Initiative zu ergreifen, wenn sie ihr nicht gelegen kommt. Es ist doch noch immer so gewesen, daß das Tempo der Reise durch das langsamste Pferd bestimmt wird. Auch hier wird das eigene Interesse der Alliierten und nicht eine doch recht vage Bestimmung des Generalvertrags bestimmen, was geschieht. Dieses Interesse wird aber nicht etwa durch den Generalvertrag begründet, sondern es wird in der Sache selbst liegen oder nicht vorhanden sein. Und ich will nicht einmal davon sprechen, was es bedeuten könnte, daß ja die Alliierten wechselseitig Verpflichtungen eingegangen sind, bei den Friedensverhandlungen dem einen oder dem anderen von ihnen ein Stück deutschen Gebietes zu verschaffen. Es mag sein, daß diese Abmachungen heute nicht mehr das Gewicht haben, das sie gestern sicher hatten. Aber immerhin: sie bestehen noch, und gelegentlich beruft man sich doch noch darauf, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.
Ich bitte, auch hier keinem Mißverständnis zu unterliegen! Es ist natürlich eine gute Sache, daß in Verträgen von der Herstellung der Einheit Deutschlands gesprochen wird. Dies hat zumindest die Wirkung einer Vormerkung im Grundbuch, wenn ich so sagen darf. Aber entscheidend ist doch nicht das, sondern die praktische Tragweite einer solchen Formel; und da ist doch die Frage erlaubt, ob es sich denn wirklich lohnt, um einer solchen Formel willen das Risiko zu übernehmen, daß Viermächteverhandlungen erschwert oder unwahrscheinlich werden.
Durch eine Vertragsbestimmung, wonach die Westmächte die Verpflichtung übernehmen, die Herstellung der deutschen Einheit zum Gegenstand ihrer Politik zu machen, wird praktisch nichts erreicht, was nicht schon durch die Tatsachen und die Interessen der anderen Staaten selbst hervorgebracht wird. Manchmal habe ich den Eindruck, als sprächen gewisse Leute von solchen Klauseln, als handle es sich dabei um klagbare Ansprüche! Was ist da zu tun, fragt man sich. Ich will völlig dahingestellt sein lassen, ob die Außenpolitik der Bundesregierung in ihren einzelnen Zielen richtig ist oder nicht. Sie hat Tatsachen geschaffen, die heute wirksam sind, und auf Grund dieser Tatsachen muß man operieren. Da bleibt mir nicht sehr viel anderes übrig, als von den Methoden zu sprechen, nach denen das vornehmste politische Ziel der Bundesrepublik auf Grund der Lage, wie sie nun einmal geworden ist, erreicht werden kann.
Wenn man die Russen an den Verhandlungstisch bringen will, wenn man nicht ein russisches Nein geradezu provozieren will, dann muß man ihnen ein Interesse offen lassen. Man muß Verhältnisse
schaffen, die ihnen erlauben, unter bestimmten Umständen den Nachteil oder scheinbaren Nachteil der Aufgabe Mitteldeutschlands durch allgemeinpolitische Vorteile für kompensierbar zu halten.
Welches können diese Verhältnisse sein? — Herr Hasemann, ich komme jetzt darauf!
— Nein!
— Nein, Herr Kiesinger; vielleicht reden wir ein andermal darüber.
— Ich glaube, Sie werden dann nicht so leichtfertig mit Ihren Insinuationen sein.
Welches können diese Verhältnisse sein? Tatsachen, die die Chance geben, daß die Möglichkeit für universelle Verhandlungen offenbleibt, Verhandlungen, bei denen auch andere Dinge geregelt werden können, als jene, die sich heute in Deutschland begeben. Nur wenn ein echter Verhandlungsstoff da ist, haben doch Viermächteverhandlungen Aussicht auf einen greifbaren Erfolg! Sollte sich dann zeigen, daß die Möglichkeit solcher Verhandlungen den Russen nicht als ausreichende Kompensation erscheint, nun, dann werden wir wenigstens wissen, woran wir sind, und dann werden wir unsere Entschlüsse von anderen Grundlagen aus fassen müssen, als wir das heute könnten. Das wird bitter sein; aber wir werden dann wenigstens auf festem Grund stehen und uns nicht mehr den Vorwurf zu machen brauchen, wir hätten nicht jede Möglichkeit, zu einem besseren Ende zu kommen, erschöpft!
Diese Chance wird weggenommen sein, wenn erst einmal endgültige Tatsachen geschaffen sein werden. Die Unterzeichnung der jetzt ausgehandelten Verträge würde solche endgültigen Tatsachen schaffen und damit die Chancen für die Viermächteverhandlungen zerstören. Darum dürfen diese Verträge so lange nicht unterzeichnet werden, als die letzten Möglichkeiten, zu Viermächteverhandlungen zu kommen, nicht erschöpft sind.
Man hat uns gesagt, daß nur auf Grund der bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen mit den Westmächten,
daß nur auf Grund des drohenden Abschlusses dieser Integrationsverhandlungen die Russen dazu gebracht worden seien, ihr Angebot zu machen.
— Gesetzt den Fall, Herr Hasemann, Sie hätten recht, — gibt es da nicht einen Unterschied zu beachten? Die Grenzlinie, die den Zustand v o r der Unterzeichnung von dem n ach der Unterzeichnung trennt, scheidet doch auch die Richtung, in der sich ein Interesse entwickeln könnte. Solange noch nicht unterschrieben ist, mag ein russisches Interesse an Verhandlungen sehr lebendig sein; ist einmal unterschrieben, dann haben sie kein Interesse mehr. Sie könnten dann ja nicht mehr tun als die Politik der Gegenseite akzeptieren oder für das Rückgängigmachen ihrer Erfolge einen sehr, sehr hohen Preis zu bezahlen. Diesen hohen
Preis werden die Russen nicht bezahlen; so weit sind sie noch nicht, und ich sehe nicht, wann es einmal so weit kommen könnte. Da ist es für die Russen viel einfacher, sich im Osten politisch zu verschanzen. Die Folge davon würde aber sein, daß sich die zwei Blöcke fortan in einer Art von gepanzerten Fronten gegenüberstehen. Jeder hätte dann vorläufig zu eigen, was er heute im Besitze hat. Es bestünde keine Notwendigkeit mehr, sich zu einigen, um zu verhindern, daß dem andern zuwächst, was man heute noch für sich nutzen kann.
Die Alternative Ostblock—Westblock ist doch zu einfach! Ebenso wie die Behauptung, es gebe als einzige weitere Alternative die Neutralisierung. Sie wissen doch, daß wir das für keine Möglichkeit halten. Es ist schlechthin unmöglich — schon vom Technischen her —, ein Land wie Deutschland zu neutralisieren. Das ginge doch nur über eine Art von Kontrollrat, — und was die bewaffnete Neutralität anbetrifft, — meine Damen und Herren, das ist doch bei einem Volk in der Lage des deutschen ein Unsinn!
— Warten Sie noch ein wenig, Herr Kunze, ich werde versuchen, es Ihnen genau zu sagen!
Gibt es denn wirklich nur diese drei Möglichkeiten? Man hat von Schweden und Indien gesprochen, von zwei Mächten, die sich doch weiß Gott für den Westen entschieden haben und trotzdem nicht in das politische System eingetreten sind, das man das atlantische System nennen könnte. Ich halte solche Analogien nicht für zulässig. Deutschland liegt anderswo als Schweden und Indien.
Man kann nicht einfach übertragen, was anderswo geschaffen wurde; denn es besteht keine Identität der Situation. Deutschland hat eine Sonderstellung.
Aber ist es denn ganz unmöglich, eine dieser deutschen Situation angemessene Sonderlösung zu finden?
Andere Staaten verlangen doch auch, daß man ihre besondere Situation berücksichtigt,
und man nimmt das den Briten, den Franzosen und anderen nicht übel. Warum sollen nicht auch wir darauf bestehen können, daß eine Regelung angestrebt werde, die unserer besonderen Situation angemessen ist?
Das erfordert zunächst eines, Herr Kollege Hasemann:
Der Status Deutschlands — der rechtliche und der politische — kann nicht schon v o r Beginn der Verhandlungen bestimmt werden, nicht durch Vereinbarungen und nicht durch die Schaffung unabänderlicher Tatsachen. Der Status Gesamtdeutschlands muß das Ergebnis dieser Verhandlungen sein, und bei diesen Verhandlungen werden wir dabei sein müssen. Diese Verhandlungen, deren erste Etappe zu gesamtdeutschen Wahlen führen muß, bekommen wir nur, wenn wir den Russen nicht die Chance nehmen, daß durch
die angestrebten Endverhandlungen etwas geschaffen werden könnte,
das auch in ihrem Interesse liegt. Da meine ich nicht, Herr von Rechenberg, die sogenannten kommunistischen Vorbehalte in der russischen Note.
Wenn wir, nachdem gemeindeutsche Wahlen stattgefunden haben, mit diesen Dingen nicht fertig werden, dann weiß ich nicht, womit wir sonst fertig werden sollten.
Verhandlungen über die Herstellung der deutschen Einheit setzen voraus, daß Ost und West bereit sind, das Risiko der Unbestimmtheit des Verhandlungsergebnisses auf sich zu nehmen. Wollen sie das nicht, nun, dann gäbe es doch nur die Unterwerfung des einen Teiles unter die Politik des andern — und keiner ist stark genug dafür, noch wird er in absehbarer Zeit stark genug dafür sein. Geht man mit dieser Fragestellung in die Verhandlungen, wird man feststellen können, wie ernst es den Russen mit ihren Angeboten ist. Willigen sie in gesamtdeutsche Wahlen nur ein, wenn vorher schon das Ergebnis der nachfolgenden Verhandlungen garantiert wird, dann werden wir wissen — endgültig und mit allen Konsequenzen wissen —, daß es ihnen auf eine wirkliche Ordnung der Probleme nicht ankommt. Willigen sie aber in solche Verhandlungen ein, ohne vorher Garantien für ein bestimmtes Ergebnis der materiellen Verhandlungen zu verlangen, dann — n u r dann! — können wir davon ausgehen, daß es ihnen mit ihrer angeblichen Absicht ernst ist, das zur Wiederherstellung der deutschen Einheit Erforderliche zu tun. Eine solche Vereinbarung aber kann nur auf der Grundlage einer Verständigung der beteiligten Staaten über die Gesamtheit der Faktoren, die die Welt bisher in zwei Hälften auseinandergerissen haben, erfolgen.
Wenn Sie eine solche Möglichkeit für ausgeschlossen halten — vielleicht haben Sie recht, wenn Sie das tun,
aber ich weigere mich, Ihnen heute schon darin zu folgen —, dann sehe ich nicht mehr sehr viel Hoffnung für unsern Kontinent, Herr von Rechenberg.
Müssen wir uns, wenn Sie recht haben sollten, denn nicht dann darauf einrichten, daß man sich wieder eingraben wird,
in einen schrecklichen Grabenkrieg der Politik eingraben wird?
Müssen wir uns dann nicht politisch darauf einrichten, miteinander nur noch über Kimme und Korn zu verkehren?
Wohin wird ein solcher Zustand führen? — Ich
meine das nicht militärisch, Herr Kunze; ich meine es politisch. —
Wenn es eine Verpflichtung für uns alle gibt, dann ist es doch die, zu verhindern, daß es zu diesem politischen Stellungskrieg kommt, und alles zu tun, was imstande sein könnte, das Gespräch in Gang zu bringen und in Gang zu halten, bis die Lösung gefunden ist, die nur am Ende der Verhandlungen — am E n d e der Verhandlungen! — wird gefunden werden können.
Haben sich einmal die beiden Blöcke endgültig konstituiert, hat sich jeder endgültig in den Besitz seiner Erdhälfte gesetzt, haben sich Ost und West auf dem Gebiet Deutschlands endgültig geschieden
— und das geschieht, fürchte ich, wenn man vor einer Einigung Deutschlands die Bundesrepublik endgültig zu einem politischen Bestandteil des politischen Systems des Westens macht —, dann allerdings sehe ich wenig Wahrscheinlichkeit mehr dafür, daß noch eine Verständigung der beiden Gewaltigen über ihr wechselseitiges Verhältnis in bezug auf sich und in bezug auf dritte Staaten erfolgen könnte, bei der Deutschland nicht schließlich doch das Opfer sein würde; und wenn ich sage: Deutschland, dann meine ich die Deutschen drüben hinter dem Eisernen Vorhang, ohne die wir nicht Deutschland sind.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweck einer außenpolitischen Debatte im Parlament ist, durch kritische Würdigung der bisherigen Maßnahmen und durch konkrete Forderungen den Stand der auswärtigen Verhandlungen im Interesse Deutschlands zu fördern. Aufgabe des Parlaments ist, die Stellungnahme zur politischen Zielsetzung herauszuarbeiten. Die heute auf der Tagesordnung stehenden Anträge haben bis auf den letzten einen inneren Zusammenhang. Letzthin kreist alles um die beiden Fragenkomplexe: die Einheit Deutschlands und die europäische Zusammenarbeit.
Ich kann mich nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Schmid des Eindrucks nicht erwehren, daß die Politik der Eingliederung in eine europäische und atlantische Organisation der Zusammenarbeit von der Opposition als eine Erschwerung aufgefaßt wird dafür, daß auf der Grundlage von Viermächtebesprechungen die Frage der deutschen Einheit einer Förderung zugeführt wird. Ich glaube, daß es bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge außerordentlich gefährlich ist, die kritische Sonde, die Analyse in einer Form an die bisherigen Maßnahmen anzulegen, wie das vom Herrn Kollegen Schmid geschehen ist.
Es kann sein, daß schließlich bei diesem Verfahren der Analyse überhaupt nichts mehr übrigbleibt und man vor einen nihilistischen Trümmerhaufen 'der gesamten europäischen Politik überhaupt zu stehen kommt.
Es sind hier zu unterscheiden die weltpolitische Lage und die konkreten deutschen Interessen. Wir haben nicht den Beruf und die Möglichkeit, Weltpolitik zu treiben. Bei der Beratung der deutschen Interessen müssen wir aber auf die weltpolitische Lage Rücksicht nehmen. Die konkreten deutschen Interessen, die wir im Sinne von Forderungen vertreten können und vertreten müssen, enden ostwärts von Breslau und westlich von Saarbrücken, um diese Formulierung von Herrn Sethe aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aufzunehmen. Auf dem Gebiet der Weltpolitik haben wir keine Forderungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Wir müssen aber bei unseren eigenen Forderungen auf die weltpolitische Lage Rücksicht nehmen. Die weltpolitische Lage bildet nämlich den Hintergrund für das Ganze, und soweit sie uns betrifft, wird sie durch die Tatsache gekennzeichnet, daß die Sowjetunion die Spaltung Deutschlands dadurch herbeigeführt hat, daß sie eine kommunistische Herrschaft, die von ihr abhängig ist, in der von ihr besetzten Zone errichtet hat. Sie hat damit diesen Teil Deutschlands zwar nicht annektiert, aber in einer sehr wirksamen Weise in ihren Machtbereich einbezogen. Darüber hinaus hat sie im Anschluß an die Potsdamer Beschlüsse deutsches Reichsgebiet ostwärts der Oder und Lausitzer Neiße durch Vertreibung der deutschen Bevölkerung de facto zugunsten Polens vom Deutschen Reich abgetrennt, ferner einen Teil Ostpreußens de facto und de jure zugunsten der Sowjetunion annektiert.
Die weltpolitische Lage wird ferner gegenüber diesen destruktiven Tatsachen dadurch gekennzeichnet, daß sich im Anschluß an den zweiten Weltkrieg die Tendenz immer mehr durchzusetzen beginnt, die Welt nicht in souveränen Nationalstaaten zu organisieren, sondern in politischen Großräumen, die auf eine Zusammenarbeit der ihr eingegliederten Staaten aufgebaut sind. Bei diesen großräumigen Gebilden handelt es sich nicht um Bündnisse und Koalitionen im überkommenen Sinn, sondern um den Anbruch einer neuen Epoche mit völlig neuen Aspekten hinsichtlich der völkerrechtlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, und kulturellen Entwicklung.
Diesen Tatsachen haben wir Rechnung zu tragen, wenn wir überhaupt überleben wollen. Der Großraum, dem ganz Deutschland angehören will, ist das vereinigte Europa als Glied einer atlantischen Gemeinschaft. Ich betone hier nochmals, daß es sich dabei um Ordnungsprinzipien handelt, die weit mehr bedeuten als Bündnisse und Koalitionen. Es handelt sich um eine Neuordnung der Welt, die wir bejahen, wobei wir uns bewußt sind, daß ihre Verwirklichung auch davon abhängen wird, daß die einzelnen Glieder dieser politischen Gemeinschaft in innerer Gesundheit als integrierende Bestandteile des Ganzen wiederhergestellt werden. Die deutschen Belange ostwärts Breslau und westlich von Saarbrücken sind ganz gewiß von der Ordnung Mitteleuropas und Osteuropas abhängig. Wir haben aber in dieser Weite keine Forderungen zu stellen oder Vorschläge zu machen, sondern uns auf das zu bescheiden, was uns unmittelbar angeht, und das ist die Wiederherstellung ganz Deutschlands.
Hierbei haben wir einen ganz klaren Kurs zu steuern. Dieser Kurs ist, daß der Friede wiederhergestellt, erhalten und gesichert werde, was nur möglich ist, wenn das vereinigte Europa zustande kommt. Daß wir dieses vereinigte Europa wün-
sehen, daß ganz Deutschland diesem vereinigten Europa angehören soll und daß wir unweigerlich an allen Maßnahmen festzuhalten haben, die zum Zustandekommen dieses vereinigten Europas und der atlantischen Gemeinschaft eingeleitet worden sind, darüber sollte im Osten und im Westen absolute Klarheit geschaffen werden. Dieses Fundament ist die Voraussetzung, die überhaupt erst die Erfüllung unserer nationalen Forderung auf Wiedervereinigung möglich macht, ohne daß Deutschland neutralisiert wird oder auf eine andere Weise unter sowjetrussische Botmäßigkeit gerät.
Die von der Sowjetunion verursachte Spaltung Deutschlands bedeutet, daß der Gegensatz zwischen Ost und West mitten durch unser Land geht und in ihm ausgetragen wird. Hierbei ergibt sich nun folgendes. Die Elbe- bzw. Oderlinie zerschneidet einen einheitlichen Volkskörper und historisch konstanten Raum. Sie ist weder strategisch noch politisch weder für den Osten haltbar noch für den Westen als Grenze annehmbar. Rußland ist genötigt, eines Tages zurückzugehen; denn die gegenwärtige Position ist einfach nicht haltbar. Von der Atlantikgrenze würde keine Macht der Welt Rußland wieder zurückwerfen können. Aber die Elbe-und die Oderlinie sind Grenzen, die für Rußland einfach wertlos sind auf die Länge der Zeit gesehen. Das Vorhandensein dieser Linie ist nur die Ursache für die bestehenden Spannungen in Deutschland, in Europa und in der Welt und damit die Ursache dafür, daß ein gesicherter Friede nicht zustande kommt.
Die weltpolitische, die europäische und die nationale deutsche Aufgabe ist es, diesen Zustand zu überwinden. Die natürliche Grenze des sowjetischen Machtbereichs liegt nicht an der Elbe und an der Oder, sondern sehr viel weiter östlich. Es kommt nun darauf an, diesen Prozeß der Zurückverlegung der Grenzen zu beschleunigen und zu fördern. Die imperialistische Machtgrenze am Atlantik ist für die Sowjetunion einfach nicht mehr zu erreichen, es sei denn, sie entschlösse sich, ihr eigenes Land und die ganze Welt in die Katastrophe eines dritten Weltkrieges zu stürzen. Dafür liegen aber keine Anzeichen einer akuten Gefahr vor. Man hat vielmehr davon auszugehen, daß es auch der Sowjetunion auf eine friedliche Bereinigung der auch für sie belastenden Spannungen ankommt.
Wenn man die durch die sowjetische Note entstandene Situation zu analysieren bestrebt ist, wird es richtig sein, den Versuch zu unternehmen, die Verhältnisse auch einmal vom sowjetischen Standpunkt aus zu betrachten. Auch vom Standpunkt der Sowjetunion aus muß ein Interesse daran bestehen, ein sinnloses Wettrüsten auf beiden Seiten durch eine vernünftige Regelung im Sinne des Ausgleichs zu verhindern. Ferner sollte es im sowjetischen Interesse liegen, durch eine vernünftige territoriale Neuordnung die Ursachen der Spannungen zu beseitigen, und hierzu ist die Wiederherstellung der deutschen Einheit eine Voraussetzung, auch im Interesse der Sicherheit der Sowjetunion. Eine vernünftige Rüstungsbegrenzung in der Welt und auch ein territorialer Ausgleich der Machtbereiche in West und Ost sind Notwendigkeiten, deren Aktualität gestern, heute und morgen so deutlich wie möglich geworden ist und noch deutlicher werden wird.
Eine Analyse der sowjetischen Note läßt ihre wahren Absichten nicht erkennen, sondern bestenfalls nur vermuten. In Kürze sei so viel gesagt, daß
die Sowjetregierung nach dem Inhalt der Note an ihren bereits im Krieg konzipierten und nach dem Kriege praktizierten außenpolitischen Zielen festzuhalten scheint. Die Abweichungen gegenüber ihrer früheren Taktik sind nicht groß und von keiner besonderen realen Bedeutung. Die Sowjetunion ist bestrebt, ein neutralisiertes Deutschland zu schaffen, in dem die Schlüsselstellungen für eine kommunistische, von ihr abhängige Herrschaft de facto gesichert und de jure durch ein Interventionsrecht verstärkt werden.
Entkleidet man die sowjetrussische Note ihres propagandistisch-taktischen Inhalts, der geeignet ist, auf gewisse Kreise des In- und Auslands zu wirken, dann ergibt sich vor allem aus dem Punkt 4 der Politischen Leitsätze ein wichtiger Tatbestand. Dort heißt es nämlich:
In Deutschland muß freie Tätigkeit der demokratischen Parteien und Organisationen gesichert sein, wobei ihnen das Recht gewährt sein muß, ihre inneren Angelegenheiten frei zu entscheiden
und so weiter. Wenn man die Auslegung des Begriffs „demokratisch" im sowjetzonalen Sinne hierbei in Rechnung stellt, dann weiß man, daß mit diesen demokratischen Parteien und Organisationen die kommunistischen Organisationen gemeint sind.
In Punkt 7 der Politischen Leitsätze wird das Koalitions- und Bündnisverbot genannt, das auf die Neutralisierung Deutschlands abzielt. Gegenüber dem Grundgedanken der sowjetischen Politik, Deutschland in einem Zustand zu neutralisieren, der die kommunistische Machtergreifung ermöglicht, scheint sich nichts geändert zu haben, und demgegenüber verblassen alle übrigen Vorschläge der Note, deren Nahziel es zu sein scheint, die Eingliederung zunächst der Bundesrepublik in das europäische und atlantische System der Zusammenarbeit und Verteidigung zu verzögern und damit zu verhindern. Wir können uns im gegenwärtigen Zeitpunkt ja nur auf Vermutungen stützen; eine Gewißheit haben wir nicht.
Damit ergibt sich die erste Forderung, die auch als eine deutsche zu erheben ist, daß die angesprochenen drei Westmächte in ihrem Bemühen fortfahren, die wahren Absichten der Sowjetunion zu ergründen. Es scheint, daß das Problem, soweit es uns betrifft, damit gegeben ist, wie weit die Sowjetunion einen Neutralitätsgürtel, einen cordon sanitaire oder wie man ihn nennen mag, von ihrem eigentlich weiter im Osten gelegenen Machtbereich zu schaffen bestrebt ist. Ob in diesen Neutralitätsgürtel, der sich de facto dann in der Hand der Sowjetunion befinden würde, ganz Deutschland oder Teile von Deutschland einbezogen werden sollen, das ist hier die Frage und das Problem, um das es zu gehen scheint. Unser unverzichtbares Ziel ist es, daß ganz Deutschland unter Einschluß des Reichsgebiets östlich der Oder und Lausitzer Neiße nicht in diesen cordon sanitaire einbezogen wird. Die schon jetzt gestellte Frage ist die Notwendigkeit, das ganze deutsche Reichsgebiet in das organisierte System der europäischen Zusammenarbeit einzubeziehen. Das ist eine Forderung, die wir weder aus taktischen noch aus grundsätzlichen Gründen preiszugeben in der Lage sind.
Diesen deutschen Bedürfnissen und Bedürfnissen eines soliden Friedens trägt die Antwortnote der Westmächte Rechnung, indem sie darauf hinweist, daß durch die Potsdamer Beschlüsse keine Grenzregelungen getroffen worden: sind, Es wäre eine
unverzeihliche Unterlassungssünde der Bundesregierung gewesen, wenn sie im gegenwartigen Stadium auf diese für Deutschland lebenswichtigen Belange nicht hingewiesen hätte. Die Erwahnung der unverzichtbaren Bedeutung der Gebiete auch östlich von Oder und Neiße und der Integration ganz Deutschlands in ein organisiertes System der europäischen Zusammenarbeit bedeutet nicht, daß man nicht bereit ware, in ein entspannendes Gespräch mit der Sowjetunion zu kommen, sondern sie bedeutet eine unerläßliche Klarstellung der Prinzipien, auf die ein künftiger Friede in Europa überhaupt aufgebaut werden kann.
Bis auf die taktische Frage des Zeitpunktes glaube ich mit der Opposition darin einig zu sein, daß ganz Deutschland in einen unloslichen Verband mit der atlantisch-europäischen Gemeinschaft gebracht werden muß. Wenn in der Antwortnote des Westens auf diese Fundamente einer künftigen Ordnung hingewiesen wird, so bedeutet das keine Blockierung der Verhandlungen und schon gar nicht eine Blockierung etwa der gesamtdeutschen Regierung und ihrer Verhandlungsfähigkeit, die von Anfang an an etwaigen Friedensverhandlungen beteiligt werden muß, sondern das Abstecken eines Rahmens, wenn uberhaupt eine Verhandlungsbasis und damit die Möglichkeit eines gegenseitigen Aushandelns und Nachgebens gegeben ist. Diese europäische Gemeinschaft und ihre prinzipielle Gestaltung muß konkret verwirklicht und effektiv gemacht werden; sonst gerät Deutschland in die Gefahr, in eine Neutralisierungszone einbegriffen zu werden, die dann auf Voraussetzungen beruhte, die die Handlungsfähigkeit einer gesamtdeutschen Regierung überhaupt ausschlössen.
Wenn ich den Standpunkt der Opposition richtig begriffen habe, dann erstrebt sie zwar ein nicht zum Machtbereich des Ostblocks gehörendes wiedervereinigtes Deutschland, aber auch ein Deutschland, das vor Abschluß des Friedensvertrages noch nicht in Form vertraglicher Bindungen der europäisch-atlantischen Gemeinschaft eingegliedert ist. Offenbar meint die Opposition, daß durch eine solche Eingliederung die Verhandlungsmöglichkeit mit der Sowjetunion blockiert werden könnte. Offenbar will die Opposition versuchen, der gesamtdeutschen Regierung ein besonderes Maß von Unabhängigkeit zu erringen. Das ist sehr nationalstaatlich gedacht und verkennt meiner Ansicht nach die Voraussetzungen, auf denen die Tatsache beruht, daß die gegenwärtigen politischen Verhältnisse durch die Note der Sowjetunion überhaupt in Fluß gekommen sind. Es ist viel davon gesprochen worden, daß die deutsche Außenpolitik auf den Prinzipien der Bescheidung, des Maßhaltens und der Vorsicht aufzubauen sei. Das wichtigste Erfordernis aber ist, daß man in den Anfängen in klaren Prinzipien und Voraussetzungen denkt und dann mit der notwendigen Geduld und Festigkeit diese Zielsetzung durchzusetzen versucht, die man als unerläßlich betrachten muß, wenn überhaupt ein echter Friede, eine echte Einheit und Freiheit Deutschlands zustande kommen soll.
Die Opposition hat ständig- damit argumentiert, daß die deutsche Außenpolitik für Deutschland nachteilige Vorleistungen erbracht habe. Es handelt sich aber gar nicht um Vorleistungen, sondern um Maßnahmen, die der weltpolitischen Lage in unserem eigenen Interesse Rechnung tragen. Diese These von den Vorleistungen beruht auf einem fundamentalen Irrtum. Sie beruht auf dem Irrtum, daß die Vereinigten Staaten sich in Europa so weit gebunden hätten oder binden müßten, daß in ihrem eigenen Interesse ein Rückzug nicht mehr möglich sei. So liegen die Dinge nicht. Die Sicherheit der Vereinigten Staaten kann mit Europa, notfalls auch ohne Europa und leider auch ohne Deutschland aufgebaut werden. Ein einfacher Blick auf die Landkarte genügt hier. Die dann entstehende Weltlage wäre allerdings für uns unerträglich, sie wäre in der letzten Konsequenz auch für die Vereinigten Staaten selber unerträglich. Aber sie wäre nicht unmöglich und für den Augenblick würde sie bei manchen Staatsbürgern der USA im Hinblick auf die Steuerlast als eine Erleichterung empfunden werden. Wer weiß, wie schwer es ist, von Massen Opfer zu verlangen, wird zugeben müssen, daß der bequeme Weg des Rückzuges immer eine Gefahr darstellt. Es ist den Massen nicht gegeben, an die Notwendigkeiten des Morgen zu denken. Die These der Opposition, die Vereinigten Staaten von Amerika könnten sich einfach nicht mehr distanzieren, halte ich für grundfalsch; denn der Isolationismus ist eine ständige Gefahr. Wenn er aber eine Gefahr ist — und das kann man schlechterdings nicht leugnen—, dann bedeutet das Hinausschieben des Zustandekommens einer effektiven Organisation europäischer und atlantischer Zusammenarbeit im Ergebnis eine Politik, die auf die Verwirklichung des Neutralisierungs-Konzepts hinausläuft, wenn man das auch nicht will.
Ich halte mit meinen politischen Freunden unweigerlich an der Erkenntnis fest, daß nur eine so bald wie möglich effektiv gemachte Organisation europäischer und atlantischer Zusammenarbeit, die im Prinzip darauf abzielt, ganz Deutschland in den westlichen Bereich fest zu verankern, überhaupt einer gesamtdeutschen Regierung ein gewisses Maß von Handlungsfreiheit gibt, in dem sie sich im Rahmen der weltpolitischen Lage bewegen kann. Der erste Schritt dazu, daß nach diesem Konzept eine befriedete Welt und ein Ausgleich zwischen Ost und West zustande kommt, wird es sein, daß die Sowjetunion den Weg wirklich freier Wahlen in Deutschland geht. Sieht sie sich dazu nicht in der Lage, ist in dem gegenwärtigen Stadium ohne Verzicht auf lebensnotwendige Grundlagen ein Weiterkommen nicht möglich. Wir haben uns dann in Geduld zu fassen. Ich bin der festen Überzeugung, daß bei der Unmöglichkeit, die Linie der Elbe und Oder — die Elbe und Oder ist ja keine historische Grenze, ist es niemals gewesen — zu halten und von der andern Seite zu akzeptieren, angesichts der Erstarkung des Westens bei der Sowjetunion immer wieder das Bedürfnis auftreten muß, mit den Mächten des Westens in ein Gespräch zu kommen. Ich fürchte allerdings, daß, wenn man den Weg der Opposition geht, wenn gleich in den Anfängen lebensnotwendige Grundlagen preisgegeben werden, eine Kettenreaktion der Übel eintritt, die letzthin in dem Zustand eines neutralisierten und faktisch von der Sowjetunion beherrschten Deutschlands enden müßte. Wir wollen aber in keiner Form ein dem Osten, dem sowjetischen Machtbereich untertäniges Deutschland, weil wir der Überzeugung sind, daß nur ein freies Deutschland als ein sehr wichtiger und, ich möchte sagen, ausgleichender Faktor im Rahmen einer europäischen und atlantischen Organisation der Zusammenarbeit wirken kann. Ein freies Deutschland als Land der europäischen Gemeinschaft wird durch seine Struktur und geographische Lage die Garan-
tien dafür bieten, jene Sicherheit für Ost und West zu schaffen, die wir brauchen, um zu einer echten Beruhigung zu kommen.
Ich fasse die Ansichten meiner politischen Freunde kurz zusammen. Wir können uns nicht damit ,einverstanden erklären, daß irgendwelche Maßnahmen getroffen oder erleichtert werden, die darauf abzielen, Deutschland in einen Status zurückzuversetzen, der der Viermächtekontrolle gleichkommt. Uns tröstete bei einer Viermächtekontrolle auch nicht die Tatsache, daß eine gesamtdeutsche Regierung unter diese Viermächtekontrolle gestellt würde. Denn das Ende dieses Zustandes der Gegensätzlichkeiten müßten wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Deutschland sein, die den besten Nährboden dafür abgeben würden, daß die Sowjetunion doch noch zu den Zielen zurückkehrt, die sie während des Krieges und nach dem Kriege auf der Potsdamer Konferenz verfolgt hat und an denen sie seitdem mit aller Zähigkeit festgehalten hat. Ich bin der Überzeugung, daß die Bundesregierung in der Verfolgung der Politik der Integration auf gutem Wege ist. Diese Politik 'der Integration hat schon jetzt bewirkt, daß die politischen Verhältnisse in Fluß gekommen sind. Nun ist es unsere Aufgabe, alle Chancen zu nutzen, die in diesem Influßkommen gegeben sind. Es ist aber auch unsere Aufgabe, unser Volk davon zu überzeugen, daß es richtig ist, festzubleiben und gerade nicht im gegenwärtigen Stadium lebenswichtige Belange aufzugeben. Deshalb sind wir voll und ganz damit einverstanden, daß man gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt den Mut aufgebracht hat, nicht nur von der sowjetisch besetzten Zone, also von Mitteldeutschland zu reden, sondern auch die lebensnotwendige Frage der Gebiete ostwärts der Oder und der Lausitzer Neiße aufzuwerfen. Es ist hier auf einem messerscharfen Grat zu balancieren mit Zähigkeit, Geduld und Bescheidung einerseits zu handeln und Möglichkeiten zu ergreifen, aber andererseits auch nichts in diesem Moment preis-__ zugeben, dessen Preisgabe letzthin für unsere Nation tödlich wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Manchmal hatte ich heute während der Debatte den Eindruck, als sei die Frage, die wir heute diskutieren, eine Frage, die hier von uns in diesem Hohen Hause gelöst werden könne. Leider ist es nicht so. Leider ist es nicht in unsere Zuständigkeit gegeben, die deutsche Einheit herbeizuführen. Leider sind wir — und das ist ja auch angeklungen — darauf angewiesen, immer wieder diese Forderung zu erheben, immer wieder das Interesse der Weltöffentlichkeit auf diese Frage zu lenken, immer wieder von neuem nach Ost und West zu sagen, daß die Beschlüsse von Jalta, von Teheran und von Potsdam, die zu dieser unseligen Zerreißung unseres Vaterlands geführt haben, noch den Geist des Krieges, aber nicht den neuen Geist des Friedens geatmet haben,
daß die Entscheidungen, die in Potsdam gefallen sind, nicht der Beginn einer neuen Friedensepoche sein konnten, sondern daß sie, wenn sie nicht einer Revision unterzogen werden, in sich bereits den Keim für neue Auseinandersetzungen in der Zukunft tragen.
Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist — ich wiederhole es — leider nicht uns allein gegeben, diese Fragen zu entscheiden. Mein Kollege Euler hat schon in seiner Rede gesagt: wenn es in der deutschen Zuständigkeit läge, wenn es nur an uns läge, die Wahlen in Gesamtdeutschland auszuschreiben, - ja, wie das Ergebnis einer solchen Wahl wäre, daran zweifelt niemand in diesem Hause. Aber wir sind nun einmal darauf angewiesen, hier ein Einverständnis der vier Mächte herbeizuführen, die Deutschland seit dem Jahre 1945 besetzt halten.
Wir diskutieren hier über die Note der Sowjetunion vom 10. März, und wir diskutieren über ihre Beantwortung am 25. März. Ich meine, es ist doch notwendig, sich einmal die Frage zu stellen, wie es eigentlich dahin gekommen ist, daß wir eine solche Note vom 10. März diskutieren können, von der wir doch alle den Eindruck haben, daß sie wirklich eine neue Epoche eingeleitet haben kann, daß auf jeden Fall das erste Mal seit dem Jahre 1945 wenigstens dem geschriebenen Wort nach ein Kurswechsel in der Politik der Sowjetunion zu sehen ist.
Das zwingt doch, einen Blick auf die deutsche Außenpolitik schlechthin zu werfen, wie sie in den letzten Jahren geführt worden ist, und ich möchte vorwegnehmen, was ich dazu sagen mochte. Ich glaube, wir haben Anlaß, hier zu unterstreichen, daß diese Note vom 10. März niemals geschrieben und niemals angekommen wäre, wenn nicht die deutsche Politik in den letzten Jahren unbeirrbar und zah einen sehr konsequenten Weg gegangen ware.
Ich möchte auf die einzelnen Etappen dieser Politik nicht eingehen, ich möchte ment im einzelnen an diesen Weg erinnern, der von der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz über die zahlreichen Außenministerkonferenzen in London, in Moskau und in Paris gefuhrt hat, über alle diese Konferenzen, auf denen wir von der sowjetrussischen Regierung zu den deutschen Problemen und zu den deutschen Fragen immer nur das Wort „nein" hören konnten.
Eines aber, glaube ich, dürfte unbestreitbar sein: wenn wir in den letzten Jahren die Politik verfolgt hätten, die uns eben in seiner letzten Rede Herr Kollege Schmid empfohlen hat dann wäre die sowjetrussische Note nicht geschrieben worden,
und dann wäre auch die Antwort der westlichen Alliierten anders ausgefallen.
Ich habe das, was Herr Kollege Ollenhauer über die gleiche Wertung dieser vier Mächte sagte, durchaus verstanden. Auch ich hatte niemals den Eindruck, daß Herr Kollege Ollenhauer etwa in der moralischen Wertung dieser vier Mächte auch nur einen Vergleich ziehen wollte.
— Meine Damen und Herren, ich spreche nur für mich; das scheint bei Ihnen nicht bekannt zu sein. —
Ich möchte dem Herrn Kollegen Ollenhauer trotzdem sagen, daß ich auch in der Auffassung, die er
hier vertreten hat, wie er, ich möchte sagen, die politische Wertung, also die politische Kraft der Vier verglichen hat, in keiner Weise mit ihm übereinzustimmen vermag. Selbstverständlich ist es insofern richtig, als wir der Zustimmung der vier Mächte bedürfen; denn wir wissen alle — und dasist hier von allen Sprechern wohl gesagt worden —: der Weg zur deutschen Einheit führt notwendigerweise über eine Vereinbarung der Vier, die dazu nein oder ja sagen können. Aber wenn ich eine Entscheidung von vier Partnern erwarte, dann lege ich mehr Wert auf den Einfluß und auf die Wirkung von dreien, die es gut mit mir meinen, als auf denjenigen, der es schlecht mit mir meint. Insofern bin ich nicht der Meinung, daß wir von einer gleichen Wertung, auch nicht im politischen Gespräch, in der politischen Diskussion zwischen den Vieren, reden können.
Gewiß, der Herr Kollege Schmid mag recht haben, wenn er sagte: Die Entscheidungen, die etwa seit der Washingtoner Konferenz von den westlichen Alliierten über die deutsche Zukunft getroffen worden sind, sind nicht frei von Egoismus. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß irgend jemand hier in diesem Saale so merkwürdige Vorstellungen von politischen Realitäten hat,
daß er etwa glaubt, auf irgendeiner Seite könnte man mit Geschenken aus Liebe rechnen.
— Nein, daß politische Entscheidungen letzten Endes entscheidend auch von Zweckmäßigkeitserwägungen der Beteiligten beeinflußt werden, ist mir klar; und daß es nicht nur eine Geste etwa der inneren Freundschaft ist, wenn wir heute in einem anderen Verhältnis zu den westlichen Alliierten stehen, das wissen wir alle. Aber ich glaube doch, auch wenn solche Gründe wie in allen Fällen entscheidend mitspielen, dann sollten wir uns doch freuen, daß es der deutschen Politik gelungen ist, aus drei Siegern des Jahres 1945 drei Partner von morgen zu machen. So hoffen wir wenigstens.
Ich weiß nicht, ob es auf dem Wege — ich wiederhole es —, den der Herr Kollege Schmid angezeigt hat, gelungen wäre.
Ich meine das um so weniger, als ich dem Herrn Kollegen Schmid — er ist leider nicht da — sagen muß: seine Vorstellungen auch über die Politik der deutschen Regierung in den nächsten Wochen und Monaten
halte ich für so verhängnisvoll,
daß ich jede Regierung, die eine solche Politik treiben würde, mit aller Leidenschaft bekämpfen müßte.
Herr Kollege Schmid sagte in diesem Zusammenhang sinngemäß: Wir dürfen nichts tun, was Sowjetrußland das Interesse an einer solchen Verständigung etwa nehmen könnte. Er sprach davon, es bedeute doch wohl eine Zumutung für die Russen, wenn man von ihnen verlange, zuzustimmen, daß sich Deutschland, daß sich vielleicht morgen das gesamte Deutschland in Europa integrieren
könne. Meine Damen und Herren, ich habe nicht soviel Verständnis für die russische Psychologie, und ich will es auch nicht haben; denn ich habe kein Verständnis dafür, daß man mit einem solchen Vorschlage dem deutschen Volke zumutet, nichts zu tun und sich nicht zu entscheiden.
Das ist ja dann sogar gesagt worden. Es ist ausgesprochen worden: es müsse nun Aufgabe der deutschen Politik sein, nichts mehr zu tun, keine Fakten zu schaffen, auch nicht durch den Abschluß von Verträgen, von denen nur der Böswillige sagen kann, daß sie irgendwelche aggressiven Tendenzen enthielten. Wenn wir diesen Weg gehen, dann werden wir, glaube ich, ohne viel Aufwand von Phantasie den Ablauf der Verhandlungen zwischen den vier Mächten voraussagen können.
Dann werden die Verhandlungen etwa denselben Lauf nehmen wie die Besprechungen im Palais Marbre Rose in Paris; dann werden noch in zwei Jahren die ersten Voraussetzungen dafür, über was man überhaupt sprechen will, in einem Kreise der stellvertretenden Außenminister diskutiert werden; und wir werden beiseite stehen und vielleicht das Interesse Rußlands allerdings durch unsere Passivität geweckt, aber das Interesse der westlichen Alliierten verloren haben.
Wie wenig überzeugend das, was Herr Kollege Schmid hier zu diesem Problem vortrug, war, scheint mir nicht nur sein Vortrag als solcher bewiesen zu haben, der sehr reich an Widersprüchen war.
Herr Kollege Schmid hat hier immer wieder in einer ganzen Reihe von Sätzen das gleiche gesagt: Was wir Deutschen brauchen, was wir Deutschen verlangen, was man uns Deutschen geben muß, ist eine Sonderregelung.
Aber die Frage, welche Sonderregelung er meint, hat er nicht beantwortet.
Ich finde, eine solche Diskussion sollte doch eigentlich überflüssig sein.
Es ist hier heute mittag auch schon von dem Herrn Bundeskanzler einmal gesagt worden, welche Möglichkeiten denn bestehen. Das führt mich zu der Diskussion über die beiden Noten zurück. Ich glaube, das, was zu diesen beiden Noten zunächst auch vom Herrn Kollegen Wehner gesagt worden ist, war nicht ganz überzeugend. Er hat schon beanstandet, daß die Alliierten in der Antwortnote vom 15. Oktober vorigen Jahres nicht hinreichend auf unser Petitum in der Beschlußfassung vom 27. September eingegangen seien. — Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Note vom 15. Oktober nachlesen, werden Sie feststellen, daß das falsch ist. Die Note vom 15. Oktober hat in einer erfreulichen Weise — ich möchte sagen: das erstemal — das echte und ursprünglichste deutsche Anliegen: wie können wir zu freien Wahlen kommen?, aufgenommen, und die Alliierten haben es dann auch versucht, dieses Anliegen bei der UNO durchzusetzen.
Genau so scheint es mir auch mit der zweiten Note zu sein, von der ich Ihnen sagen möchte, daß
diese Note nach meiner persönlichen Überzeugung in allen Punkten den echten und vitalen deutschen Interessen entspricht.
' Über die Frage, wieweit es Sowjetrußland mit seinen Vorschlägen ehrlich meint oder nicht, hier zu diskutieren, scheint mir müßig zu sein.
Ich glaube, wir haben alle gewisse Vorstellungen von der Verhandlungsfähigkeit der Sowjetregierung, und man soll es uns weiß Gott nicht übelnehmen, wenn wir nach den Erfahrungen der letzten Jahre mißtrauisch geworden sind. Aber selbst wenn ich unterstelle, daß die Note vom 10. März ausnahmsweise ehrlich gemeint gewesen sein sollte — ich hoffe es im Interesse Deutschlands, des gesamten deutschen Volkes und des Weltfriedens —, dann muß ich sagen: Diese Note hat eine Antwort verdient; denn wer auf Grund dieser Note — etwa ohne Richtigstellung und Vorbehalte — in Verhandlungen getreten wäre, hätte das deutsche Interesse verraten.
Wir haben von den Alliierten erwartet und verlangt, daß sie in diesem Gespräch das deutsche Interesse wahren; denn wir wollen, daß jetzt nicht mehr über Deutschland entschieden, sondern mit Deutschland beraten wird.
Diese Note Rußlands hat — um einiges in Erinnerung zu rufen — zur Bedingung gemacht, daß die Diskussion über den Friedensvertrag davon ausgehen müsse, daß im Potsdamer Vertrag die Grenzen Deutschlands festgelegt seien. Ich bin darüber überrascht, daß irgend jemand sagen kann, es sei doch nicht gut, daß die Alliierten auf diese Feststellung geantwortet hätten, denn man dürfe doch jetzt nicht die Frage der Oder-Neiße-Linie diskutieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, als wolle man die Diskussion über diese Forderung führen, um die Diskussion über das eigentliche Anliegen der deutschen Wahlen etwa hinauszuschieben oder zu verzögern.
Meine Damen und Herren, wir sind uns alle darüber im klaren, daß es die oberste Aufgabe der deutschen Politik sein und bleiben wird — der Herr Bundeskanzler hat es uns bestätigt —, freie Wahlen in Deutschland herbeizuführen. Der Herr Bundeskanzler hat als Chef der Regierung in den Schlußworten seiner Erklärung vom 27. September vorigen Jahres gesagt, daß er dieses Ziel — und nicht mehr und nicht weniger — erreichen wolle, weil es den Anfang der Einheit Deutschlands bedeuten werde.
Aber wenn in einer Note, auf Grund deren eine Diskussion entstehen soll, die Feststellung enthalten ist, daß Deutschland an der Oder-NeißeLinie aufhört, dann erwarte und verlange ich von den Alliierten, die sich ja seit Washington zum Sprecher dieser deutschen Wünsche gemacht haben, daß sie widersprechen und eindeutig erklären: Deutschland hört nicht an der Oder—Neiße auf.
Wenn die Note der Sowjetregierung zu dem Kardinalproblem, das uns beschäftigt, schweigt — Sie finden darin kein Wort über freie Wahlen —, dann erwarte ich von der Antwort, daß man Sowjetrußland sagt: Voraussetzung für die Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung müssen freie Wahlen sein.
Ich finde, die Note enthält auch keinerlei unzumutbare Forderung, wenn in einer — der Herr Bundeskanzler sagte es schon — ungewöhnlich diskreten und -zurückhaltenden Weise an den Beschluß der Vereinten Nationen erinnert und der Wunsch ausgedrückt wird, daß es doch gut wäre, wenn sich vielleicht Sowjetrußland entschließen könnte, der UN-Kommission den Zutritt zur sowjetisch-besetzten Zone zu geben. Wer das bereits als eine bösartige Hintanhaltung oder Erschwerung von Viermächtebesprechungen ansieht, scheint mir doch die Empfindlichkeit Rußlands etwas zu überschätzen und den anderen etwas starke Nerven zuzumuten.
Ein Weiteres. In der Note der Sowjetrussen steht eindeutig, daß die deutsche Regierung, die gebildet werden soll, auch nach Abschluß des Friedensvertrags in ihren außenpolitischen Entscheidungen nicht frei sein soll.
Ich glaube, daß niemand hier in diesem Hause eine solche Entscheidung akzeptieren würde. Ich habe es darum begrüßt, daß die Alliierten mit Nachdruck erklärt haben, eine aus freien Wahlen hervorgegangene deutsche Regierung müsse vor und nach dem Abschluß des Friedensvertrags ihre vollkommene politische Handlungsfreiheit besitzen.
Wenn die Allierten das nicht gesagt hätten, dann hätten wir es sagen müssen.
Wir sind uns, glaube ich, auch darüber einig — es ist ja auch hier gesagt worden —, daß es eine deutsche Neutralität nicht geben kann und nicht geben darf, wenn wir nicht unser Leben als deutsches Volk verlieren wollen.
Was bedeutet die sowjetrussische Note? Sie sagt: Deutschland soll sich keinerlei Koalitionen oder Vereinbarungen anschließen, die gegen einen am Krieg Beteiligten gerichtet sein können, und zwar auch nicht in Zukunft. Dafür soll es das immerhin recht dubiose Geschenk erhalten, wieder eine nationale Wehrmacht zu gründen, und zwar im Rahmen des Friedensvertrags und mit der Ausrüstung, die der Friedensvertrag vorsehen wird.
— Ja, Herr Kollege, wir wollen allerdings mehr!
Ich bin überrascht, daß ausgerechnet Herr Kollege Rische dafür eine Begründung braucht.
Aber wenn er sie haben will, er mag sie hören;
ich will sie ihm nicht vorenthalten. Das, was hier
vorgeschlagen wird — gleichzeitig mit dem
üblichen Abzug der Besatzungstruppen und was
alles dazu gehört —, ist die Forderung einer sogenannten bewaffneten Neutralität, wobei der Umfang der Bewaffnung dieser Neutralität in das
diskretionäre Ermessen des Kreml gestellt wird.
— Ja, ja, Sie wissen doch, was ein Viermächteabkommen ist.
Meine Damen und Herren, daß wir eine solche Lösung nicht akzeptieren, ja nicht einmal diskutieren, halte ich persönlich für meine Freunde und für mich für eine Selbstverständlichkeit.
Ich halte es für absolut notwendig, daß auch hierauf die Antwort der Alliierten klar und unmißverständlich ist.
— Über deutsche Fragen und deutsche Probleme diskutiere ich nicht mit Ihnen; das habe ich Ihnen schon oft genug gesagt.
Und so glaube ich, daß diese Diskussion, die wir heute hatten, und auch der Antrag, den die sozialdemokratische Fraktion gestellt hat, doch eigentlich nicht sehr — erlauben Sie mir zu sagen: sinnvoll war; denn es ist die Politik der Bundesregierung, die ja von einer Mehrheit des Hauses getragen wird, zwar mehr oder minder maßvoll kritisiert worden. Aber es ist uns wieder mal nicht gesagt worden, was wir eigentlich sonst machen sollten.
Deswegen erinnert mich diese Diskussion verzweifelt an diejenige vom 7. und 8. Februar in diesem Hause.
Meine Bitte ist es an die nachfolgenden Redner der Opposition, vielleicht mal nicht nur in der Kritik hängen zu bleiben, für die ich volles Verständnis habe — dazu brauchen wir ja ein Parlament —,
sondern uns zu sagen, was wir an Stelle dessen machen sollten, was wir bisher getan haben.
Ich kann mich — Herr Kollege Schmid ist inzwischen wiedergekommen — auch nicht mit der Erklärung von ihm zufriedengeben, die mich ein wenig an das Delphische Orakel erinnert:
Was wir wollen, was wir brauchen und was wir haben müssen, ist eine besondere Regelung für Deutschland, und dafür müssen die im Osten und die im Westen Verständnis haben. Aber welche Regelung wir wollen und brauchen, haben Sie nicht einmal angedeutet.
— Herr Kollege, wenn Sie noch nicht einmal eine Vorstellung davon haben, wie diese Verhandlungen ausgehen sollen, wie soll sich dann eigentlich eine deutsche Regierung daran beteiligen?
Wir sind es — ich sage das auch in diesem Zusammenhang — uns, der gesamten deutschen Öffentlichkeit, aber auch der Weltöffentlichkeit schuldig, mit solchen Spiegelfechtereien einmal aufzuhören, und sehr nüchtern und ernst zu reden.
Niemand von uns kann behaupten, daß er etwa den Stein der Weisen besitze,
und niemand von uns muß davon überzeugt sein, daß dieser Weg in allen Punkten richtig sei. Sagen Sie uns doch den andern! Das ist weder von Ihnen noch von Herrn Kollegen Ollenhauer auch nur andeutungsweise gesagt worden.
Damit können wir allerdings eines mit ziemlicher Gewißheit erreichen: daß wir uns im wahrsten Sinne des Wortes zwischen zwei Stühle setzen.
Meine Bitte und mein Wunsch an die Regierung ist, daß sie nichts tun darf und tun soll, was einem ehrlichen Gespräch über die deutsche Einheit wirklich im Wege stehen kann, daß sie aber auch nichts unterlassen darf, was die deutsche Entwicklung gefährden und unsere Beziehung zum Osten und zum Westen verschlechtern könnte.
Und unsere Beziehung zum Osten wird nur dadurch verschlechtert,
daß wir inkonsequent werden. Das ist sehr konkret.
Zu den Anträgen kann ich nur folgendes sagen. Den Antrag, den wir gestellt haben, hat mein Kollege Euler begründet. Inzwischen ist ein weiterer Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eingegangen. Ich finde, daß dieser Antrag, wenn er nicht weiter begründet wird, in allem auch den Vorstellungen entspricht, die wir von den weiteren Verhandlungen haben. Ich habe deswegen gegen die Annahme dieses Antrags gar nichts einzuwenden unter der Voraussetzung, daß die sozialdemokratische Fraktion auch unseren Antrag anzunehmen bereit ist. Den ursprünglichen Antrag in der Drucksache mit den vier Punkten halte ich durch diese Aussprache wirklich für überholt, und ich bin nicht der Meinung, daß Anlaß und Notwendigkeit bestehen, der Regierung irgendwelche Richtlinien auf den Weg zu geben. Uber diese Richtlinien sind wir hinreichend unterrichtet, und der auswärtige Ausschuß ist jederzeit in der Lage, sich über den Verlauf der weiteren Verhandlungen die nötigen Informationen zu verschaffen. Deswegen beantrage ich, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fürst zu Oettingen-Wallerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zunächst mit dem Antrag des Ausschusses für das
Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, Drucksache Nr. 3163, zu befassen, der bis jetzt in der Diskussion keine Rolle gespielt hat und in dem der Ausschuß sich die Ziffer 6 des Antrags der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3084 zu eigen gemacht hat und dadurch gleichfalls den Wunsch bekundet, daß die den eventuellen Verteidigungsbeitrag betreffenden Abmachungen erst zu paraphieren seien, wenn der Generalvertrag auf der Basis der deutschen Souveränität, d. h. der vollen deutschen Gleichberechtigung zuvor ratifiziert worden ist. Dieser Punkt des Antrags der Föderalistischen Union ist durch unsere Überzeugung bedingt, daß der Friede unbedingt erhalten werden muß, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nicht gefährdet werden darf, ohne von dem Standpunkt der striktesten Ablehnung des Bolschewismus irgendwie abzuweichen, und — auch von dieser Voraussetzung ging unser Antrag aus — daß die Verteidigungsgemeinschaft wohl die stärkste Ausdrucksform gemeinschaftlichen Denkens und europäischen Fühlens ist, wofür aber doch wohl erst die Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Das geeinte Europa, zu dem wir uns immer bekannt haben, muß aber erst da sein. Es muß von allen Partnern ebenso wie von uns bejaht werden. Dieses geeinte Europa kann nun einmal nur auf dem Boden vollster Gleichberechtigung gedeihen. Bis jetzt hat uns der Gang der Ereignisse recht gegeben.
Die übrigen Punkte unseres seinerzeitigen Antrags hat der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten teils für gegenstandslos, teils für erledigt erklärt und teilweise abgelehnt. Meine Fraktion ist aber gleich mir der Ansicht, daß auch diese Punkte von solcher Tragweite sind, daß sie nicht ohne weiteres abgetan werden können.
Da ist zunächst der Punkt 1. Die Bundesregierung beabsichtigt, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen; das ist ein Thema, das mir ganz sicher nicht als gegenstandslos erscheint. Wir sind der Meinung, daß nach der mit aller Gründlichkeit durchgeführten Entmilitarisierung des deutscher Volkes in den letzten sieben Jahren und nach de Diffamierüng des deutschen Soldaten unserem Volke nicht jetzt schon wieder eine allgemeine Wehrpflicht zugemutet werden kann. Die Entschließung, die die Regierungsparteien am 8. Februar mit Drucksache Nr. 3074 zur Annahme brachten, stellt übrigens gar keine Festlegung im Sinne einer allgemeinen Wehrpflicht dar.
Wir sind ferner nach wie vor der Ansicht, daß ein Bundestagsausschuß für Verteidigungsfragen sehr wohl am Platze ist. Der Auswärtige Ausschuß oder ein Unterausschuß, der unter Umständen nicht zusammentritt oder nicht zusammengerufen wird, ist dafür nicht zuständig.
Wir sind auch nach wie vor der Auffassung, daß eine verfassungsrechtliche Klärung notwendig ist, da nach dem Wortlaut des Grundgesetzes der Bund nicht die Befugnis hat, die Wehrhoheit auszuüben bzw. die Wehrpflicht einzuführen. Es gibt nur den Weg der vorherigen Klärung durch das Bundesverfassungsgericht oder eine verfassungsrechtliche Regelung im Benehmen mit den Ländern.
Wir meinen auch, daß die völkerrechtliche Stellung der etwaigen deutschen Soldaten im Benehmen mit den in Betracht kommenden Stellen geklärt werden muß. Wenn 21 deutsche Journalisten
nach dem deutschen Waffenstillstand und vor der japanischen Kapitulation bei den Japanern mit ihren Schreibmaschinen weitergekämpft haben und daraufhin im Jahre 1947 von einem amerikanischen Militärgericht zu schwersten Freiheitsstrafen — lebenslänglich und zwanzig bis dreißig Jahre — verurteilt werden konnten
und wenn im Jahre 1950 acht bewaffnete Volkspolizisten aus der Ostzone, die den amerikanischen Sektor Berlins durchfuhren, von dem amerikanischen Bezirksgericht zu je drei bzw. zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, weil sie gegen das Kontrollratsgesetz verstoßen hatten, das den Deutschen das Waffentragen verbot, so ist das doch wohl ein Fingerzeig dafür, daß alle Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit die völkerrechtliche Stellung des deutschen Soldaten genau die gleiche wie die der übrigen Angehörigen der etwaigen europäischen Kontingente ist. Wie man den jetzigen Standpunkt nennt — völkerrechtlich oder besatzungsrechtlich —, ist für den Betroffenen egal. Wichtig ist, daß die Alliierten den bisherigen Standpunkt aufgeben. Je genauer diese Fragen geklärt werden, desto fester kann die Einigkeit Europas, so glauben wir, zur gegebenen Zeit untermauert werden, zu deren Verwirklichung wir uns nach wie vor bekennen.
Wir bitten daher, unseren Antrag anzunehmen, und zwar unter Weglassung der Ziffer 3, da dieser Punkt durch die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 3077 der Regierungsparteien erledigt ist. Wir bitten ferner, über den Antrag eventuell ziffernweise abstimmen zu lassen.
Was nun unsere Stellungnahme zu dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 3210, die deutsche Einheit betreffend, anlangt, so stehen wir auf dem Standpunkt, daß alle Verhandlungsmöglichkeiten mit Rußland ausgenützt werden müssen, daß die Verbindungen mit dem Osten nicht abreißen sollen und daß die Erhaltung des Friedens und die friedliche Wiedergewinnung der deutschen Einheit — selbstverständlich außerhalb der russischen Einflußsphäre — oberstes Ziel ist. Mag man den russischen Vorschlägen mit noch so berechtigter großer Skepsis gegenüberstehen, — unversucht darf nichts bleiben! Das kann uns selbstverständlich nicht hindern, uns zum Westen und zur westlichen Kultur zu bekennen. Wovor wir aber warnen möchten, das wäre das vielleicht übereilte Eingehen von Bindungen, also der Abschluß des Generalvertrags und des Verteidigungsbeitrags nebst Zusatzverträgen, so daß die vielleicht noch vorhandenen Verbindungsmöglichkeiten mit dem Osten gefährdet werden könnten, zumal der Inhalt dieser Verträge noch nicht bekannt ist. Wenn General Eisenhower kürzlich betont hat, Europas Sicherheit stehe und falle mit der Beteiligung Deutschlands, so können wir das sehr gut verstehen, und wir begrüßen diesen Standpunkt auch, wir erwarten aber, daß die Alliierten aus dieser Erkenntnis die erforderlichen Konsequenzen in dem Sinne ziehen, daß unsere Beteiligung unter allen Umständen nur einen Verteidigungscharakter haben wird, und zwar auf der Grundlage der Gleichberechtigung, und daß der Verteidigungsbeitrag nicht der Ausgangspunkt für einen Präventivkrieg sein darf. Wir müssen angesichts der gegebenen Lage erwarten, daß die alliierten Staatsmänner wie General Eisenhower dafür Verständnis aufbringen, daß wir die Integration Europas bejahen. aber auch die Einheit Deutschlands einschließlich der Gebiete jen-
seits der Oder-Neiße anstreben und daß diese deutsche Einheit seitens der Alliierten nicht anderen politischen Zielen geopfert werden kann.
Wir sind auch der Ansicht, daß wir in allen Phasen der Verhandlungen der Westalliierten mit Rußland mit eingeschaltet sein müssen, damit wir, so gut es geht, verhindern können, daß wir zum Schacherobjekt werden. Durch Beiseitestehen erreichen wir bestimmt gar nichts. Alle Maßnahmen und Versuche, die der Erhaltung des Friedens, der Einigkeit Deutschlands und dem Aufbau eines geeinten Europas dienen, sind nur zu begrüßen.
Angesichts der heute zur Debatte stehenden Fragen würden wir es begrüßen, wenn eine geschlossene, einheitliche Stellungnahme des Bundestags zustande käme. Wir beantragen daher, den Antrag der SPD Drucksache Nr. 3210 und den Antrag der Regierungsparteien Drucksache Nr. 3277 dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten mit dem Auftrag zu überweisen, einen einheitlichen Wortlaut abzufassen, wobei wir aber feststellen, daß wit den Hinweis auf die am 6. Februar dieses Jahres verabschiedete Wahlordnung nicht billigen können, nachdem die Föderalistische Union aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten seinerzeit gegen diese Wahlordnung gestimmt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Meine Damen und Herren! Die Antwortnote der drei Westmächte auf den Vorschlag der Regierung der UdSSR, Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrages aufzunehmen, war mit -dem Bundeskanzler Dr. Adenauer und, wie wir heute aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers erfahren haben, auch mit dem Oberbürgermeister von West-Berlin, der der Sozialdemokratischen Partei angehört, abgesprochen.
Der offensichtliche Zweck des Tones und des Inhaltes der Antwortnote ist, das- Zustandekommen von Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland im jetzigen Augenblick zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Wie die Presse .meldet, hat Dr. Adenauer in Paris auf- eine Verschärfung der Antwortnote der Westmächte hingewirkt Diese Tatsache, in Verbindung mit verschiedenen Erklärungen aus Regierungskreisen und des Bundeskanzlers selber, zeigt, daß Dr. Adenauer bestrebt ist, das Zustandekommen von Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrages, über die Wiederherstellung der nationalen Einheit und der Unabhängigkeit Deutschlands zu verhindern und statt dessen die Verhandlungen über den Abschluß des -Generalvertrags zu beschleunigen.
•
Nach der Ursache dieses Verhaltens Dr. Adenauers forschen, heißt die Grundkonzeption seiner gesamten Politik klarlegen. Sowohl in der internationalen wie in der deutschen Presse hat die Erklärung des Staatssekretärs Hallstein, die Integration Europas umfasse das ganze Europa bis zum Ural, großes Aufsehen erregt. Der CDUPressedienst nannte einen Tag später diese Erklärung des Staatssekretärs und nächsten Mitarbeiters Dr. Adenauers eine große politische Konzeption.
Mit der Erklärung über den Zusammenschluß Europas bis zum Ural hat der Herr Staatssekretär das politische Programm seines Kanzlers in sehr offener und drastischer Weise charakterisiert.
Dr. Adenauer selber erklärte in Siegen, daß seine
Politik auf die Neuordnung Osteuropas gerichtet
sei.
Nach einem Bericht der „Neuen Zeitung" sagte Dr. Adenauer, erst wenn der Westen stark genug sei, ergebe sich ein wirklicher Ausgangspunkt für Verhandlungen mit dem Ziel, nicht nur die Sowjetzone, sondern das versklavte Europa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien.
Dr. Adenauer erklärte also im Prinzip dasselbe wie sein Staatssekretär. Die Konzeption Dr. Adenauers lautet: Aufrüstung Westdeutschlands, Eingliederung Westdeutschlands in eine Militärallianz mit dem Ziel, durch militärische Gewalt nicht nur die Deutsche Demokratische Republik, sondern das ganze östliche Europa zu erobern. Wer auf dem Gebiet der internationalen Politik, der Beziehungen zwischen den Völkern die militärische Macht in die Waagschale wirft, betreibt nichts anderes als eine Politik des Säbelrasselns, der Kriegsdrohung und des Krieges.
Er beschreitet damit den Weg, den bereits Hitler ging, der auch unter der Losung „Neuordnung Europas" mit bewaffneter Faust ein Land nach dem anderen besetzte.
Die Folge war, daß das deutsche Volk und ganz Europa in einen furchtbaren Krieg gestürzt wurden. Die Geschichte der letzten 35 Jahre dürfte allen zeigen, daß die Drohung mit militärischer Gewalt nicht die geeignete Basis für die Beziehungen zwischen den Völkern, insbesondere nicht für die Beziehungen mit der Sowjetunion ist.
Die Erfahrungen aller Eroberer beweisen, daß derjenige, der seine Beziehungen zur Sowjetunion auf der Grundlage des Gesprächs der Kanonen aufbauen will, daran zugrunde geht.
Die Adenauersche Konzeption der Aufrüstung, d. h. des Drohens mit der militärischen Gewalt, kann somit nur die Verwandlung Deutschlands in den Hauptkriegsschauplatz in einem dritten Weltkrieg sein.
Die Interessen des deutschen Volkes dagegen erfordern es, daß alles getan wird, damit sofortige Verhandlungen über den Abschluß des Friedensvertrages mit Deutschland aufgenommen werden. Solche Verhandlungen würden wesentlich dazu beitragen, daß die Gegensätze in Europa und in der Welt entspannt würden, und wären ein entscheidender Faktor zur Sicherung des Friedens in Europa.
Daß die Sowjetunion an einer Entspannung der internationalen Lage interessiert ist, wird aufs neue durch das äußerst bedeutsame Interview des Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR Generalissimus Stalin unterstrichen.
Stalin bestätigt darin abermals, daß die Sowjetunion auf dem Standpunkt des friedlichen Nebeneinanderbestehens der beiden Systeme steht,
daß sie ihrerseits den Willen zur Zusammenarbeit, die Einhaltung eingegangener Verpflichtungen und den Grundsatz der Gleichberechtigung als Grundlage des Nebeneinanderbestehens der beiden Systeme betrachtet.
— Es steht wörtlich so drin! —
Es ist für das deutsche Volk von besonderer Wichtigkeit, daß Stalin ausdrücklich erklärt, er halte den derzeitigen Zeitpunkt für die Vereinigung Deutschlands für geeignet. Das Interview Stalins sollte allen westdeutschen Politikern Anlaß geben, ihre Haltung zur Note der Regierung der UdSSR zu überprüfen
und alles für das Zustandekommen von Verhandlungen über einen Friedensvertrag und gesamtdeutsche Beratungen, über freie und demokratische
Wahlen zur Nationalversammlung zu unternehmen. Dr. Adenauer aber befindet sich voll auf der
Linie der amerikanischen Politik, die an dem Abschluß eines Friedensvertrags nicht interessiert ist.
Dr. Adenauer fürchtet das Zustandekommen von Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrags. Er fürchtet gesamtdeutsche freie Wahlen. Der Bundeskanzler weiß ganz genau, daß er in einem einheitlichen demokratischen und friedliebenden Deutschland durch den demokratischen Willen unseres Volkes kein Kanzleramt einnehmen könnte.
Darum beschleunigt er den Abschluß des Generalvertrags, um Tatsachen zu schaffen., die, wie die Einbeziehung Westdeutschlands in den Atlantikpakt und die Aufstellung westdeutscher Truppenverbände in der Europa-Armee, die Herstellung der Einheit Deutschlands unmöglich machen.
Die amerikanische Zeitung „New York Harald Tribune" hat die Hintergründe der Entsendung der UN-Kommission enthüllt, wenn sie schreibt, daß diese Kommission erst im September den Vereinten Nationen ihren Bericht zu erstatten habe, daß aber bis dahin der europäische Verteidigungspakt unterzeichnet und die Rekrutierung deutscher Divisionen in Gang sein könne. Das heißt, meine Damen und Herren, die Kommission wurde nur nach Deutschland entstandt, um das Zustandekommen gesamtdeutscher freier Wahlen hinauszuzögern, bis mit dem Abschluß des Generalvertrags solche Tatsachen geschaffen sind, die die Herstellung der Einheit Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags mit einem geeinten Deutschland unmöglich machen sollen.
Das erklärt auch, warum in der Antwortnote der Westmächte an die Sowjetregierung ausdrücklich die Bedingung enthalten ist, daß Deutschland sowohl vor wie nach dem Abschluß eines Friedensvertrags Teil des Atlantikkriegsblocks werden kann. Wie bekanntgeworden ist, ist in dem Generalvertrag der Passus enthalten, daß alle Verpflichtungen, die der Bundesrepublik auferlegt sind, von einem wiedervereinten Deutschland voll übernommen werden müssen.
Es ist einleuchtend, daß ein solcher Passus im Generalvertrag eine Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich machen würde.
Daß Dr. Adenauer bereit ist, für seine völlig auf der amerikanischen Linie liegende politische Konzeption auf deutsche Interessen zu verzichten, beweist nicht zuletzt sein Abkommen mit dem französischen Außenminister Schuman und dem Ministerpräsidenten der Saarregierung Hoffmann.
Es gibt keinen Zweifel darüber, daß Dr. Adenauer, um das Zustandekommen seiner Europapläne zu erleichtern, auf die Saar als Bestandteil Deutschlands verzichtet hat. Es gibt weiterhin keinen Zweifel darüber, daß er durch seine Abmachungen und sein Gespräch mit Hoffmann die separatistische Saarregierung de facto anerkannt hat.
In Westdeutschland zeichnen sich also immer eindeutiger zwei politische Linien ab. Die eine ist die von Dr. Adenauer verfolgte Politik der Eingliederung Westdeutschlands in den Atlantikkriegsblock, der Remilitarisierung Westdeutschlands und der fortschreitenden Aufrichtung eines Polizeiregimes und der Militärdiktatur.
Diese Politik dient dem von den USA verfolgten Ziel der Aufrichtung ihrer Weltherrschaft.
Die andere politische Linie ist gerichtet auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf friedlichem Wege durch gesamtdeutsche demokratische Wahlen zur Nationalversammlung, die Bildung einer deutschen Regierung und den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland. Die Note der Regierung der UdSSR hat den Abschluß des Friedensvertrags mit Deutschland in den Mittelpunkt des internationalen Interesses gerückt. Im wachsenden Maße erkennt die westdeutsche Bevölkerung, daß in der Note der Sowjetregierung ein gangbarer Weg für die Erhaltung des Friedens und für die Errichtung eines einheitlichen, unabhängigen, friedlichen und demokratischen Deutschlands gewiesen wird.
Das Interview des Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR, Generalissimus Stalin, beseitigt alle Einwendungen und Zweifel an dem aufrichtigen Willen der Sowjetunion, einen Friedensvertrag auf der Basis der Wiederherstellung der nationalen Souveränität, der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung mit Deutschland abzuschließen. Meine Damen und Herren, ich appelliere daher an Sie: Nutzen Sie diese Chance im Interesse unserer Nation; denn jedes Wort im Interview ist auch die wahre Absicht der Sowjetunion.
Die Feinde der Einheit Deutschlands, die den Abschluß eines Friedensvertrags nicht wollen, versuchen durch die Weckung chauvinistischer Ge-
fühle die Bestrebungen zum Abschluß des Friedensvertrags im deutschen Volk zu torpedieren. Dazu benutzen sie den Vorschlag der Sowjetregierung, die Grenzen Deutschlands auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens festzulegen. Dr. Adenauer, der bereitwillig zugunsten seiner Europa-Idee auf das Saargebiet verzichtet, erhebt ein großes Geschrei wegen der Oder-Neiße-Grenze. Indem die vier Großmächte die Oder-Neiße-Linie und die Aussiedlung der Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder—Neiße festlegten, legten sie damit die östlichen deutschen Grenzen fest.
Seitdem ist das Gebiet östlich der Oder—Neiße von Millionen polnischer Arbeiter und Bauern besiedelt. Die Hetze gegen die Oder-Neiße-Grenze kann somit nur den Zweck verfolgen, neuen Zündstoff zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarvölkern zu schaffen, und liegt nur im Interesse derjenigen, die eine Freundschaft zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk nicht wollen.
Die Zukunft des deutschen Volkes selbst erfordert jedoch freundschaftliche Beziehungen zum polnischen Volk wie zu allen andern Völkern. Der Versuch, mit den Mitteln des Kriegs die Grenze an Oder und Neiße zu korrigieren, würde dem deutschen Volk nur neues Unglück bringen. Ich erkläre hier noch einmal, was ich bereits voriges Jahr zu dieser Frage schon sagte: Wenn in Polen Mikolaiczyk der Regierungschef wäre, so würden die amerikanische, die britische und die französische Regierung Ihnen verbieten, solche Reden hier zu halten!
Der Abschluß eines Friedensvertrags und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands liegen in erster Linie in deutschem Interesse. Das deutsche Volk kann sich darum in diesen Fragen nicht passiv verhalten, sondern muß selbst zu Handlungen übergehen. Auf die deutsche Initiative kommt es hierbei an. Das deutsche Volk und die Abgeordneten als die von der westdeutschen Bevölkerung gewählten Vertreter müssen eindeutig ihren Willen bekunden und den Abschluß des Friedensvertrags fordern. Darüber hinaus kann nur durch die deutsche Initiative der deutsche Verhandlungspartner geschaffen werden, der berechtigt ist, bei den Verhandlungen das deutsche Volk gegenüber den Großmächten zu vertreten. Dieser Verhandlungspartner kann nur eine gesamtdeutsche Regierung sein. Darum ist das Zustandekommen gesamtdeutscher demokratischer Wahlen zur Nationalversammlung
unumgänglich.
Wir haben es begrüßt, daß sich der Parteivorstand der SPD für die Aufnahme der Verhandlungen zwischen den Großmächten zum Abschluß eines Friedensvertrags erklärte. Ebenso begrüßen wir die Erklärung, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als vorrangige Aufgabe zu betrachten sei und daß unter keinen Umständen die Einheit Deutschlands dem Abschluß des Generalvertrags geopfert werden dürfe. Darum stimmen wir dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu.
Jedoch erfordern diese Erklärungen des Parteivorstands und der Bundestagsfraktion der SPD, daß daraus zugleich die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Wer gesamtdeutsche Wahlen will, muß dafür sein, daß sich die Deutschen in Ost und West über ein gesamtdeutsches Wahlgesetz verständigen, daß also Beratungen zwischen den Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepublik aufgenommen werden.
Die Sicherung des demokratischen Charakters der Wahlen ist eine Angelegenheit des deutschen Volkes selbst, wobei durchaus die Möglichkeit besteht, daß eine Kommission der vier Besatzungsmächte die Kontrolle ausübt.
Wer der Überzeugung ist, daß die AdenauerRegierung eine verhängnisvolle Politik betreibt, wer der Herstellung der Einheit Deutschlands den Vorrang gibt und wer den Abschluß eines Friedensvertrags will, der muß auch für den Zusammenschluß aller demokratischen Kräfte im Volke, insbesondere für den Zusammenschluß der Arbeiterklasse sein mit dem Ziel, der verhängnisvollen Poiitik der Adenauer-Regierung Einhalt zu gebieten und eine Politik, die im nationalen Interesse unseres Volkes steht, zu erzwingen. Es ist allgemein bekannt, daß die Unruhe und Unzufriedenheit über die Politik der Regierung Adenauer nicht nur in den Massen unseres Volkes, sondern auch unter den Abgeordneten dieses Hauses, ja selbst unter den Abgeordneten der Regierungsparteien wächst.
Der immer deutlicher auf den Krieg zusteuernde Kurs der Bundesregierung macht es aber erforderlich, daß die Abgeordneten nicht nur ihre Unruhe und Unzufriedenheit über die Politik der Bundesregierung draußen beim Volk zu erkennen geben, sondern auch den Mut aufbringen; dieser Politik ihre Zustimmung zu verweigern.
Dr. Adenauer erklärte heute: Die Sowjetunion will keinen Krieg. Er sagte ganz richtig,
daß die Sowjetunion einen großen inneren, friedlichen Aufbau des Landes vollzieht.
Mit dieser Erklärung, Herr Dr. Adenauer, die der
Wahrheit entspricht, entziehen Sie sich selbst die
Grundlage Ihrer ganzen Remilitarisierungspolitik.
Ich erinnere Sie an die Debatte über den Wehrbeitrag.
Das wollen Sie nicht hören! Ich erinnere Sie an die Debatte über den Wehrbeitrag. Damals hat Dr. Adenauer ein Memorandum vorgelesen und dem Hause einen Katalog vorgelegt, wieviel Divisionen und was weiß ich alles die Sowjetunion in Deutschland hat;
und heute erklärt er, daß die Sowjetregierung den Frieden will. Damit entzieht er seiner ganzen Politik; dem Aufbau seiner Divisionen in Deutschland, selbst die Grundlage.
Die kommunistische Fraktion erachtet es für notwendig, daß der Bundestag beschließt:
Erstens. Die Regierung Adenauer wird verpflichtet, sofort ihre Verhandlungen über den Abschluß des Generalvertrags einzustellen.
Zweitens: Die Regierung und der Bundestag wenden sich an die vier Großmächte mit der Aufforderung, möglichst bald mit den Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrags zu beginnen.
Drittens: Ich fordere den Bundestag auf, Vertreter für gesamtdeutsche Beratungen
über die Herbeiführung freier, demokratischer Wahlen zur Nationalversammlung in ganz Deutschland zu bestimmen.
Das ist der Weg, den das deutsche Volk in seiner Mehrheit verlangt. Dieser Weg allein liegt im nationalen Interesse unseres Volkes. Das ist der Wille unseres Volkes zu und Völkerverständigung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Tillmanns.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns nach diesem ferngeschriebenen und vorgelesenen Monolog die Diskussion fortsetzen.
Zu diesem Monolog selber habe ich nichts zu sagen,
am allerwenigsten zu dem Appell an die Sozialdemokratie, mit dem er geschlossen hat. Aber zu einem habe ich etwas zu sagen, nämlich dazu, daß unser gemeinsames Einstehen für das deutsche Land im Osten hier als Hetze gegen die OderNeiße-Grenze bezeichnet worden ist. Das verbitten wir uns schlechthin.
Also zur Weiterführung der Diskussion. Ich stimme Herrn Kollegen Wehner zu, daß in dem Viermächtegespräch nichts getan werden solle, was die Türen zuschlage. Ich stelle nur die Frage: wo ist das geschehen? Auf keinen Fall in der Note der Westalliierten vom 25. März. Das behauptet nicht einmal die Sowjetregierung, ja nicht einmal Herr Reimann. Von dort ist lediglich gesagt worden, man erschwere die Dinge oder man gehe ihnen aus dem Wege. Die Note der Westmächte bedeutet doch nichts anderes, als daß, nachdem die Sowjetunion in ihrer Note vom 10. März ihre Position bezogen hat, nun die Gegenposition klargestellt worden ist, und zwar in einer Art und Weise, die die Weiterführung der Diskussion in keiner Weise abschneidet, sondern geradezu die Voraussetzung dafür schafft. Herr Kollege Wehner, es ist in der Note der drei Westalliierten weder von der Funktion der UN-Kommission als einer Voraussetzung gesprochen, noch ist irgendein anderes Verlangen als schlechthin unabdingbar hingestellt worden. Wir können nur dankbar dafür sein, daß die Position in der Frage gesamtdeutscher freier Wahlen
und der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und ihrer innen- und außenpolitischen Selbständigkeit so klargestellt worden ist. Daß bezüglich der Ostgrenze in der Antwortnote daran erinnert ist, daß diese im Potsdamer Abkommen nicht festgelegt sei, ist nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit.
Es erscheint mir wenig sinnvoll, jetzt auf Grund dieses Notenwechsels eine Diskussion über die Frage zu führen, was nun eigentlich das Primäre ist: die Wiedervereinigung Deutschlands oder der Zusammenschluß Europas. Das ist ja doch eigentlich zum Hauptthema der heutigen Diskussion gemacht worden, und es ist dabei so hingestellt worden, als sei die Europapolitik, die wir bisher geführt haben, ein Hindernis für die Wiedervereinigung Deutschlands. Der Beweis dafür, daß in dieser Politik ein Hindernis liege, ist in keiner Weise erbracht worden.
Die Einigung Europas — darüber waren wir uns bisher einig — ist eine weitgehend eigenständige Entwicklung, die sich seit Jahrzehnten vorbereitet hat und sich nach diesem Kriege und seinem unseligen Ende sämtlichen europäischen Völkern geradezu aufdrängt. Sie wäre auf jeden Fall ge-. kommen, und diese Bewegung zur Vereinigung der europäischen Völker wird auf jeden Fall weitergehen,
Ich stimme andererseits Herrn Kollegen 011enhauer durchaus zu, wenn er heute festgestellt hat, daß die Eingliederung Deutschlands in den Westen die Chance der Wiedervereinigung Deutschlands nicht vermindern dürfe. Nur, wenn Herr Ollenhauer weiter gesagt hat: Also dürfen keine weiteren Tatsachen geschaffen werden, so frage ich: glauben Sie denn, daß das Aufgeben unserer Europapolitik, d. h. ein Abweichen von dieser Politik des Zusammenschlusses der europäischen Völker die Chance der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erhöhen würde?
Ein solcher Weg würde doch die Abwendung Deutschlands von den westlichen Völkern mit sich bringen. Mir scheint, das ist genau das, was die Sowjetunion will.
Wenn behauptet wird, die Sowjets seien wahrscheinlich bereit, die Sowjetzone Deutschlands als eine Art Preis dafür freizugeben, daß wir uns nicht an einer westlichen Integration bzw. an einer Verteidigungsgemeinschaft beteiligten, und wenn in diesem Zusammenhang Herr Kollege Schmid von Kompensationen gesprochen hat, so kann, ich nur eine Frage stellen: Für was sollen denn die Sowjets solche Kompensationen zahlen? Für die Preisgabe einer Verteidigungsgemeinschaft, die wir selber nicht wollen, die von deutschen Parteien selbst bekämpft wird? Für die Preisgabe einer Verteidigungsgemeinschaft, über die sich Franzosen und Deutsche nicht einig werden können, die nicht zustande kommt, weil noch Dinge wie die Saar zwischen uns stehen? Solange wir selber uns anstrengen, diese Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande kommen zu lassen, wozu sollen denn die Sowjets einen Preis dafür zahlen?
Es kann doch nur eine logische Konsequenz aus dieser Situation geben, nämlich es durch die konsequente Fortführung der Europapolitik und einer Politik des Zusammenschlusses Europas es dahin zu bringen, daß eines Tages ein echtes Gespräch auf der Ebene der vier Mächte möglich wird. Noch ist die Situation nicht so weit. Ich glaube, das, was wir vorhin von Herrn Reimann gehört haben, hat das allen klargemacht.
Noch gibt es keine Anzeichen dafür, daß man auf der östlichen Seite wirklich bereit ist, ein Gesamtdeutschland in wirklicher innen- und außenpolitischer Entscheidungsfreiheit als demokratischen Rechtsstaat zustande kommen zu lassen. Erst vor einigen Tagen hat auf einer Konferenz von SED-Journalisten, die in Berlin stattgefunden hat, Herr Rudolf Herrnstadt auf die Frage, was man denn tun müsse, wenn in einem wiedervereinigten Deutschland reaktionäre Kräfte die Oberhand gewönnen - wir sind alle, die wir in diesem Hause sitzen, mit Ausnahme der Kommunisten „reaktionäre Kräfte" —, geantwortet: „In diesem Fall wird die deutsche Arbeiterklasse genau so wie die Arbeiter in der Tschechoslowakai handeln!". Schließlich ist dort gesagt worden: „Im übrigen ist diese Fragestellung falsch, denn in einem einheitlichen Deutschland werden wir die reaktionären Kräfte gar nicht erst in die Verlegenheit kommen lassen, zum Zuge zu kommen." Meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit, mit der wir es gégenwärtig zu tun haben,
und es kann sich doch nur darum handeln — und das ist der Sinn der Antwortnote der westlichen Alliierten —, klarzustellen, daß eine solche Lösung nicht in Frage kommt.
Die erste Note der Sowjetunion - das wurde schon gesagt — ist wahrhaftig nicht das Gesamtausmaß von Zugeständnissen, die vielleicht eines Tages zu erreichen sind, sondern, wenn überhaupt, nur ein ganz kleiner Bruchteil. Und Neutralisierung — das wurde hier heute gesagt — wird auch von der Sozialdemokratischen Partei abgelehnt. Aber ich frage Sie: Wenn Sie das ablehnen, welche Möglichkeit gibt es dann überhaupt — da wir alle die bolschewistische Lösung ablehnen — zwischen einer Neutralisierung und einem Zusammengehen mit der westlichen Welt? Herr Professor Schmid hat heute gesagt: Ja, es gibt etwas dazwischen!, und er hat es formuliert, wenn ich ihn richtig verstanden habe, als den Mut, die Unbestimmtheit des Verhandlungsergebnisses in Kauf zu nehmen. Haben Sie den Eindruck, daß der Bolschewismus bereit ist, Unbestimmtheit irgendeines Verhandlungsergebnisses in Kauf zu nehmen? Mir scheint, das Gegenteil ist der Fall. Im übrigen können wir nur nach klaren Konzeptionen Politik machen.
Sie weisen darauf hin, daß auch bei den Westmächten hier und da Widerstände gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands vorhanden seien.
Herr Kollege Ollenhauer hat darauf hingewiesen, daß sogar vertragliche Bindungen beständen, die hier unter Umständen Schwierigkeiten bereiten könnten. Aber ich stelle die Frage: Glauben Sie denn, daß, wenn es zwischen der Deutschen Bundesrepublik und den westlichen Staaten zu einer Lockerung, zu einer Distanzierung, ja sogar zu einer Abänderung der politischen Situation käme, daß dann etwa diese Widerstände gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands beseitigt werden könnten? Mir scheint, dann werden sie erst recht stark werden. Und das haben wir doch hier alle gemeinsam festgestellt: Ohne daß es zu einer wirklichen Viermächtevereinbarung kommt, ist überhaupt eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich.
Andererseits möchte ich mit aller Bestimmtheit sagen: Europa darf nicht etwa um den Preis eines Verzichts auf die deutsche Wiedervereinigung zusammengebracht werden. Aber das verlangt auch niemand. Das ist von niemanden in irgendeiner Weise erklärt worden. Es ist in der Antwortnote vom 25. März sogar ausdrücklich erklärt, daß diese Wiedervereinigung das gemeinsame Ziel ist. Dasselbe sagt der Generalvertrag.
Solange die Situation so ist, ist die Politik des Zusammènschlusses Europas und die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt keine Alternative, überhaupt kein „Entweder-Oder", sondern nur ein „Sowohl als auch".
Beide bedingen sich gegenseitig und beide fördern sich gegenseitig, und, Herr Kollege Wehner, kein Mensch weiß, was zeitlich an die erste Stelle kommt. Wir können heute nur eines tun, nämlich beides in dem Sinne, daß es sich gegenseitig bedingt, vorwärtszutreiben, wenn wir wirklich zu einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kommen wollen. Wir haben nur eine Aussicht auf Einheit und Freiheit, nämlich wenn die Hoffnung der Sowjets auf das Auseinanderbrechen Europas und der westlichen Welt sich nicht erfüllt. Auf diese Entwicklung spekulieren sie doch dauernd. Und, Herr Kollege Schmid, es ist nicht der Sinn der Europapolitik, uns stark zu machen, sondern der Sinn dieser Europapolitik ist, daß dadurch daß die westlichen Völker, daß die europäischen Völker mit den Atlantikmächten sich politisch, wirtschaftlich und auch verteidigungsmäßig zu einer großen Gemeinschaft zusammenschließen, den Sowjets gezeigt wird, daß ihre Hoffnung, sie könnten Europa und Deutschland mit politischen Mitteln eines Tages doch noch in die Hand bekommen, irrig ist. Das ist der Sinn unserer Politik, und nur so kann die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit verwirklicht werden.
Andererseits ist es die Aufgabe der Bundesregierung — ich sage das noch einmal —, dafür zu sorgen, daß jede Chance eines echten Gesprächs genutzt wird. Wir wollen nichts Provokatives gegen die Sowjetunion.
Wir haben gegenüber der Sowjetunion nur ein einziges Anliegen: daß sie das deutsche Volk in Freiheit
und in Selbständigkeit seine politische Ordnung bauen läßt.
— Nein, die haben wir bis heute nicht!
Meine Damen und Herren, ich sage das gerade in Erwiderung auf die verschiedenen Behauptungen, die heute aufgestellt worden sind, wir oder die Bundesregierung dächten an irgendeine weitreichende Ostpolitik, die uns nicht zustehe. Der Herr Bundeskanzler hat dazu schon das Nötige gesagt.
Er hat gesagt, was er wirklich gemeint hat. (Abg. Rische: Und was schreibt die „Neue Zeitung"? — Abg. Renner: Neuordnung
Osteuropa!)
Im übrigen stelle ich hier die Frage: Ist es denn wirklich verboten, wenn wir in der politischen Diskussion von heute darauf hinweisen,
daß das freie Europa von heute nur ein Teil Europas ist?
Ist es verboten, darauf hinzuweisen?
Auf dem eben von mir zitierten Kongreß der Sozialistischen Europa- Bewegung in Frankfurt hat der Regierende Bürgermeister Reuter gesagt, solange das sowjetische System der Unterdrückung lebendig sei, könne die Einigung der Völker Europas nicht endgültig sein; erst wenn es möglich sein werde, daß sich eines Tages freie Deutsche mit freien Polen und freien Tschechen an einen Tisch setzen, dann würden sich die Probleme der Völker Europas ohne weiteres lösen. Ich frage: Wenn das Herr Bürgermeister Reuter sagt, warum ist es dann anderen deutschen Politikern verboten?
Warum wird denn hier plötzlich so getan, als bedeutete das ein neues politisches Programm? Daran denkt niemand.
— Es handelt sich doch nur darum, daß hier Selbstverständlichkeiten ausgesprochen werden.
Ich zitiere noch einmal die Entschließung des Hamburger Europa-Kongresses. In dieser Entschließung heißt es: „Die europäische Gemeinschaft muß bestrebt sein, das ganze Europa zu umgreifen, einschließlich der Länder, die zur Zeit ihrer demokratischen Freiheiten beraubt sind."
Ich habe nicht gehört, daß irgend jemand gegen diese Entschließung der Europäischen Bewegung die Vorwürfe erhoben hat, die heute hier erhoben worden sind.
Ich sage noch einmal: wir wollen nichts als die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und die Schaffung eines Zustandes, in dem Deutschland nach seinem Wesen, seiner Geschichte und seiner Kultur seine politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung bestimmen kann.
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben auf die Ausführungen des Kanzlers, daß heute keine Kriegsgefahr bestehe, weder vom Westen noch vom Osten her, ungefähr so geantwortet: Warum denn dann überhaupt Verteidigung? Lassen Sie mich darauf kurz antworten. Der Grund ist allein der: Damit die heutige Situation, bei der der Schutz der gesamten westlichen Welt über Europa steht, auf eine Reihe von Jahren aufrechterhalten wird. Es geht darum, daß diese Situation, bei der die Sowjetunion weiß, daß jeder Schritt zur Gewalt unmöglich ist, weil er zum Krieg mit der gesamten übrigen Welt führen würde, daß diese Situation, die eine große Anstrengung der übrigen Mächte, vor allen Dingen Amerikas, bedeutet, auf eine Reihe von Jahren klar und eindeutig bestehen bleibt. Das geht eben auf die Dauer nur, wenn sich die europäischen Völker als Partner an dieser großen gemeinsamen Aufgabe beteiligen. Es geht also nur um den Frieden. Es ist einfach Lüge, wenn behauptet wird, irgend jemand denke an
Eroberungspolitik. Wir wären dem Ziel der Sicherung des Friedens, der Einheit und der Freiheit unseres Volkes schon näher, wenn über diese Fragen unter uns selbst nicht soviel Uneinigkeit, soviel Zwietracht und soviel Unsicherheit vorhanden wäre. Was wir bisher erreicht haben .— und die Note der Sowjetregierung vom 10. März war, wie mein Freund von Brentano richtig gesagt hat, ein großer Erfolg —, haben wir durch die Einmütigkeit aller großen Parteien dieses Bundestages in der Politik der Wiedervereinigung Deutschlands ,erreicht. Mir scheint, es ist nahezu eine Schicksalsfrage der Nation, ob es uns gelingt, diese Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß insbesondere in der Erwiderung des Herrn Bundeskanzlers auf meine Ausführungen das Sachliche so kurz gekommen ist. Der Herr Bundeskanzler hat eigentlich nur in zwei Punkten auf Ausführungen in meiner Rede Bezug genommen. In beiden Punkten ist meinen Ausführungen ein Sinn unterstellt worden, bei dem man davon ausgehen muß, daß es dem Herrn Bundeskanzler nicht in erster Linie auf eine sachliche Klärung und eine sachliche Aussprache mit der Opposition ankommt.
— Ich glaube, das ist verständlich genug. Ich habe nicht die Absicht, mit ähnlichen Methoden zu antworten, wie wir sie heute hier erlebt haben.
Ich finde, in diesem Hause kann eine Bemerkung, wie ich sie im Zusammenhang mit der Position Deutschlands gegenüber den vier Besatzungsmächten gemacht habe, daß wir in diesem Falle alle vier Besatzungsmächte in gleicher Weise zu betrachten haben, von niemandem, der guten Willens ist und der die grundsätzliche Einstellung der Sozialdemokratie kennt, in der Weise ausgelegt werden, wie es der Herr Bundeskanzler getan hat.
Was soll es für einen Sinn haben, daß der Herr Bundeskanzler auf eine Rede des Vertreters der Opposition mit einer Reihe von sachlichen Vorschlägen schließlich nichts anderes zu sagen weiß, als daß unsere Ausführungen eine überraschend große Sympathie für die Sowjetunion und ein überraschend großes Maß von Gutgläubigkeit in die Absichten der Sowjetunion hätten erkennen lassen. Herr Bundeskanzler, Sie haben diese Rede gehört, und Sie wissen, daß ich in dieser Rede, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, wiederholt unsere Skepsis und unsere Vorbehalte gegenüber den wirklichen Absichten der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie hier an uns appellieren, daß wir in dieser Frage doch an das Gemeinsame denken sollten, bitte, dann appellieren Sie an den Repräsentanten Ihrer Regierung, daß er die Gemeinsamkeit nicht
durch eine derartig unsachliche, ich möchte sagen, sogar auf eine sehr demagogische Wirkung nach außen berechnete Art hier stört.
— Ich wünschte, meine Damen und Herren, Sie hätten dieselben sehr scharfen und klaren Begriffe in der Bewertung von solchen Äußerungen auch bei anderen Gelegenheiten.
Ich möchte jetzt noch einiges zur Diskussion sagen. Meine Damen und Herren! Es gibt hier eine sachliche Meinungsverschiedenheit, von der ich bedauere, daß sie nicht mit größerer Klarheit ausgetragen worden ist. Herr Kollege von Brentano, Sie glauben ja wohl selbst nicht, daß Sie mit der Bemerkung, wir hätten uns nicht zur Sache geäußert und das, was wir hier täten, sei Spiegelfechterei, das Thema der Behandlung der Thesen der Sozialdemokratie erschöpft zu haben.
— Entschuldigen Sie! Außerdem möchte ich einmal folgendes zu all diesen Debatten sagen, Herr Wuermeling. Ich glaube, die Position ist nicht ganz so, wie Sie sie hier schaffen möchten. Schließlich: die erste Veranlassung, die Grundlagen der Politik hier darzulegen, besteht für die Regierung und ihre Mehrheit. Und wir sind dauernd in der Position, meine Damen und Herren, daß wir, z. B. bei außenpolitischen Debatten dieser Art, über eine Reihe von Themen sprechen, bei der der Mehrheit dieses Hauses jede sachliche Möglichkeit für eine Orientierung und Unterrichtung fehlt.
Wenn hier gefragt wird: „was ist Ihre Politik?", so ist die erste Frage hier an die Regierung und an Sie über den konkreten Inhalt Ihrer Politik zu richten.
Heute haben wir eine Frage diskutiert, nämlich wie soll das Verhältnis der Bundesrepublik bei den gegenwärtigen diplomatischen Unterhaltungen über eine Viermächtekonferenz sein. Und nur diese Frage! Das ist das einzig Interessante. Herr Tillmanns hätte sich seine Ausflüge in die Sozialistenkonferenz von Frankfurt ruhig sparen können.
— Ja, vielleicht haben Sie es noch nicht gehört. Das ist nicht unsere Schuld. Aber ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Sie können in keiner Weise — und das könnten Sie wissen, wenn Sie die Dinge verfolgten — die Sozialdemokratische Partei für die Beschlüsse von Frankfurt verantwortlich machen.
— Ich komme nur in einem Satz auf diese Sache zurück. Herr Tillmanns, Sie haben den Regierenden Oberbürgermeister Reuter mit seinen Bemerkungen über freiheitliche Systeme zitiert, die im Osten Europas genau so notwendig seien wie im Westen. Nun, Herr Tillmanns, Sie wissen doch
genau, daß zwischen dem, was Herr Reuter mit diesen Bemerkungen gemeint hat, und der Frage, die hier zur Diskussion stand, ob es eine deutsche Aufgabe in bezug auf die Neuordnung von Osteuropa gibt, ein grundsätzlicher Unterschied besteht.
— Dann sollten Sie aber solche Äußerungen wie die von Herrn Reuter nicht als polemisches Argument gegen uns verwenden.
— Ich komme nicht darauf zurück.
— Entschuldigen Sie, ich habe mich zunächst auf den Bericht der „Allgemeinen Zeitung" über die Rede in Siegen gestützt. Die Erklärung des Herrn Kanzlers, daß er also die Gebiete östlich der OderNeiße-Linie gemeint hat, habe ich zur Kenntnis genommen. Ich habe nicht die Absicht, sie weiterhin hier zu verfolgen.
Nein, meine Damen und Herren, es geht um etwas anderes. Es ist hier gesagt worden — . der Herr Bundeskanzler hat es gesagt —, man kann mit der Sowjetunion nur vernünftig verhandeln, wenn wir stark sind.
— Sehr interessant. Das ist ein Punkt, bei dem wir eben in der Beurteilung der Situation nicht übereinstimmen,
jedenfalls soweit die deutsche Position in Frage kommt. Ich bin wohl mit Ihnen oder Sie mit mir der Auffassung, daß, wenn die Sowjetunion sich aus solchen Überlegungen zu ihrer Note veranlaßt gesehen hat, es, wie der Herr Bundeskanzler selbst hier in Bonn erklärte, nicht die zu befürchtenden zwölf deutschen Divisionen sind, sondern daß es die ökonomische und militärische Macht der Vereinigten Staaten ist. Das ist doch der reale Machtfaktor!
— Sie sollten doch nicht so reden, als wären wir, was diese Machtposition anlangt, ein Teil der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Ich sage das deshalb, weil Sie sich, wenn Sie dieses Argument, die Stärke macht Deutschland frei, und wir müssen unter diesem Gesichtspunkt jede vertragliche Bindung eingehen, die Deutschland in dieses System eingliedert, für eine Politik in der deutschen Einheitsfrage entscheiden, bei der die deutsche Regierung über kurz oder lang jede Manövrier- und Handlungsfähigkeit verliert.
Als interessantes Gegenbeispiel zu dieser Theorie, auf die Macht zu bauen, gibt es noch ein anderes. Das andere ist, daß hier Herr von Brentano zu unserer Überraschung erklärt hat, die Regierungskoalition werde unseren Antrag in bezug auf die Fragen der deutschen Einheit ablehnen, weil sie der Regierung keine neuen Auflagen geben
- Sie meinen doch den gedruckten, nicht wahr, den Antrag mit den vier Punkten?
— Genau das meine ich. Das ist praktisch eine Ausführungsbestimmung zu dem Beschluß vom 27. September, und ich bedauere außerordentlich, daß im Zusammenhang mit dieser Debatte in dieser Frage die Koalition sich für die Ablehnung entschieden hat.
Meine Damen und Herren! Die Frage ist, ob wir
als Deutsche, und zwar hier in der Bundesrepublik,
wirklich richtig daran tun - und ich richte am
Schluß dieser kurzen Bemerkung diese Frage ganz
ernsthaft an Sie —, davon auszugehen, daß das,
was jetzt an Vertrags- und Verteidigungssystem im
Westen Europas aufgebaut ist, der einzig mögliche
Weg ist, um zu einer Befriedung Europas und der
Welt zu kommen. Ich glaube, es wäre für die
deutsche Situation besser, wenn jedenfalls wir
Deutschen uns nicht so hundertprozentig auf diese
eine Möglichkeit festlegten. Es könnte uns sonst
passieren, daß die entscheidenden Mächte, die die
Träger dieser jetzigen Vertragsorganisation sind,
im Zuge von Verhandlungen auf einer anderen
Ebene sehr bald zu anderen Vorstellungen kommen.
Hier steht die Frage: wir sollten uns so verhalten
— und das ist der konkrete Vorschlag —, daß wir als Bundesregierung nicht Verpflichtungen internationaler Art übernehmen, die eine zukünftige frei gewählte gesamtdeutsche Regierung in ihrer Entscheidungsfreiheit einengen
und die von vornherein auch in dem Gespräch unter den Vier den Eindruck erwecken, als wenn die drei Westmächte mit aktiver deutscher Unterstützung die Verwirklichung der Einheit Deutschlands von der vorherigen Anerkennung des jetzt bestehenden Vertrags- und Verteidigungssystems im Westen abhängig machen. Das ist die konkrete Frage. Sie sind der Meinung, daß sie keinen Zusammenhang damit hat. Aber darin liegt die Meinungsverschiedenheit, und ich glaube, es wäre wert, daß Sie sich auch mit dieser Alternative ernsthaft auseinandersetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer, ein Wort vorweg: Sie haben sich soeben über eine Interpretation beklagt, die der Herr Bundeskanzler gewissen Äußerungen gegeben hat, die Sie gemacht haben. Ich möchte mich nicht lange bei dem Thema aufhalten. Aber ich will doch darauf hinweisen, daß es auch für unsereinen schwer war, zuzuhören, als Herr Wehner Äußerungen, die der Herr Staatssekretär Kalistein getan hatte, und Äußerungen,
die der Herr Bundeskanzler in Siegen getan hatte, Äußerungen, die Sie allenfalls als einen Lapsus linguae hätten tadeln können
— allenfalls, wenn Sie es hätten tun wollen —, sogar eine wirkliche, realistische politische Konzeption unterstellt hat, so, als ob wirklich der Herr Bundeskanzler und der Herr Staatssekretär daran gedacht hätten, eine deutsche Außenpolitik einer Neuordnung bis zum Ural zu betreiben.
Sie alle wissen ganz genau, daß keiner der beiden auch nur im Traume an etwas Derartiges gedacht hat.
Wer also selbst im Glashause sitzt, sollte vorsichtig sein, wenn er mit Steinen wirft.
Nun aber zur Sache. Herr Ollenhauer, Sie haben heute Argumente vorgebracht, von denen ich sagen muß, daß sie zu den schwächsten gehören, die ich bisher zu einem außenpolitischen Thema von der sozialdemokratischen Seite in diesem Hause gehört habe.
Ich will nicht nur diese Behauptung aufstellen, sondern ich will versuchen, auf Ihre Argumentation zum Schluß noch einmal einzugehen. Ich bin einverstanden mit Ihrer Grundthese — und wir alle sind es —, die bedeutet, daß eine deutsche Einigung in Frieden und Freiheit nur über eine Verhandlung und Verständigung der vier Großmächte zustande kommen kann. Ich bin einverstanden mit Ihrer zweiten These — und wir alle sind es sicherlich —, daß wir nichts tun sollten, was eine ernsthafte — dies ist Ihr eigenes Wort — Verhandlung der Vier erschweren oder hemmen könnte. Ich möchte Ihre Formulierung so korrigieren, daß wir nichts tun sollten, was eine ernsthafte und die deutschen Interessen nicht gefährdende Verhandlung der Vier erschweren oder hemmen könnte.
Aber dann kamen Sie zu Ihren anderen Thesen. Sie haben die hier heute abend schon vielfach beanstandete These vertreten, daß wir allen Partnern so gegenübertreten sollten: in gleicher Wertung und in gleicher Bedeutung. Sie haben damit ausdrücken wollen, wenn ich Sie recht verstehe, daß diese Partner für uns in der Verhandlung technisch gleichwertig und gleichbedeutend seien. Vielleicht haben Sie auch sagen wollen, und Sie haben es zu anderer Zeit und bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt, daß diese vier Partner für uns jeder für sich existieren und also auch so von uns behandelt werden müßten. Ich halte diese These für falsch. Das Wesentliche dazu hat mein Freund von Brentano schon gesagt. Bei jeder Verhandlung weiß man doch, wer es gut mit einem meint und wer es schlecht mit einem meint.
— Ich hoffe, daß keiner in den Reihen der SPD etwa meiner These widerstreitet, daß sicherlich Rußland es nicht gut mit uns meint.
Wenn aus einigen Äußerungen Ihrer Freunde herausgeklungen ist, daß es der Westen ja auch nicht
so gut mit uns meine, und daß er ausschließlich egoistische Politik betreibe, dann darf ich doch darauf hinweisen, daß ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen der Haltung des Westens uns gegenüber und der Haltung des Ostens uns gegenüber besteht,
und sei es nur dewegen, weil die Interessen des Westens und die unsrigen um der Freiheit willen identisch sind.
— Wenn ich von Freiheit spreche, verehrter Herr? Das höre ich höchst ungern aus Ihrem Mundet Sollten Sie denn das Wort Freiheit auch bereits angeknabbert haben?
Nun das weitere Argument. Wenn ich recht verstanden habe, Herr Ollenhauer, wollten Sie sagen, daß wir nicht etwa das westliche Lager als den einen Partner und den Osten als den anderen an- sehen sollten. Vielleicht bestehen solche Gefahren. Gerade darum ist es für uns wichtig, daß das westliche Lager, bevor eine , Viererkonferenz zustande kommt, mit uns zusammen seine Dinge bereinigt hat und daß es dann einheitlich bei solchen Verhandlungen auftritt.
Das ist ein außerordentlich wichtiger Gesichtspunkt.
Sie haben weiter gesagt, Selbstbeschränkung in einer solchen Situation sei außerordentlich weise. Sie haben diesen Gedanken mit dem Hinweis auf das Provisorium der Bundesrepublik verbunden. Sie lieben ja diesen Hinweis neuerdings bei vielen Fragen, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: Immer dann, wenn es um wirklich wichtige und große Entscheidungen geht, die Ihnen nicht ins Konzept passen, ist die Bundesrepublik ein Provisorum.
Ich hätte es gern gesehen, wenn Ihnen einmal der Ernstfall vorgelegen hätte, eine große Entscheidung zu treffen, die auch Ihnen ins Konzept gepaßt hätte. Da hätte ich sehen mögen, ob Sie dann auch den Einwand gemacht hätten, die Bundesrepublik sei ein Provisorium. Ich bin überzeugt, Sie hätten es nicht getan.
— Das ist keine Rabulistik, Herr Kollege Schoettle! Sie gebrauchen dieses Argument, die Bundesrepublik sei ein Provisorum, auch auf anderen Ebenen. Warum? Weil die Entscheidungen, die anstehen, nicht die Ihrigen sind! Das ist doch der Grund.
— Natürlich sind es deutsche Entscheidungen!
— Richtig; Herr Wehner! Weil wir in deutschen Entscheidungen gemeinsam handeln sollten, würde ich lieber einmal aus Ihren Reihen ein Ja statt Ihres ewigen Nein hören.
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gesagt, Selbstbeschränkung wäre in dieser Situation weise. Ich denke, es ist gerade umgekehrt. Wenn schon das Schicksal einem Teile des deutschen Volkes, nämlich uns, die Gelegenheit in die Hand gegeben hat, Sachwalter der Interessen des ganzen deutschen Volkes zu sein,
dann wäre es eine sträfliche Unterlassung, wenn wir nicht jede Gelegenheit, die sich uns böte, diese Interessen wahrzunehmen, auch wirklich ausnützten.
Selbstbeschränkung ist da weise, wo etwas angepackt werden soll, was nicht möglich ist.
Die Politik, die die Bundesregierung betreibt, ist eine Politik des Möglichen; das hat sie bis jetzt bewiesen, und das wird sie auch in der Zukunft beweisen.
Herr Kollege Schmid fragte in seinen Ausführungen, was es für einen Sinn habe, jetzt die Verhandlungen mit dem Westen weiterzuführen, wenn ein Gespräch mit dem Osten eröffnet werden solle; man müsse doch dem Russen noch ein Interesse offenlassen. Ja, so sind die meisten Ihrer Formulierungen: vage, offen nach allen Seiten. Welches Interesse — bitte, nennen Sie es mir! — soll man dem Russen offenlassen?
— Den Frieden, den wollen wir! Ich hoffe nur, Herr Renner, daß auch Sie deli Frieden wollen!
Welches Interesse ist denn das? Sie sehen doch das Interesse, das der Russe hat! Zunächst hat er ganz klar und deutlich eines, nämlich das, Deutschland zu neutralisieren und damit zu paralysieren. Das ist das russische Interesse!
Die russischen Interessen liegen — wie es gerade eben Herr Ollenhauer noch gesagt hat — nicht nur bei der deutschen Frage; es sind Interessen, die den ganzen Planeten angehen, und wir sollten bei der Betrachtung der deutschen Frage diese planetarische Situation nie aus dem Auge lassen.
Ich habe in den Ausführungen der sozialdemokratischen Redner heute abend überhaupt eine seltsame Armut des Wortschatzes bemerkt.
Es ist so gewesen, als lebten wir noch in den
Zeiten, sagen wir einmal, vor 1914. Da war die
Rede von einer selbständigen, unabhängigen deutschen Außenpolitik, von selbständigen Entscheidungen der deutschen Regierung; da war die Rede
davon, daß man .sich zwischen dem Westen und dem Osten Unabhängigkeit und Bewegungsfreiheit bewahren müsse.
Nun, meine Damen und Herren, im Faust II. Teil gibt es irgendwo das Wort: „Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt."
Aber es war eine Frau, die dieses Wort ausgesprochen hat, und sie hat es nicht unter politischen Gesichtspunkten getan.
Die Weltsituation von heute — niemand von Ihnen kann es leugnen — verträgt Feststellungen wie die einer deutschen unabhängigen Politik schlechthin nicht.
— Gut, Herr Wehner, dann müssen Sie aber diese Ausdrücke von vornherein vorsichtiger formulieren!
Herr Wehner, Sie haben gesagt, man solle in einer solchen Situation nicht eine Politik betreiben, die die Gefahr in sich berge, daß eine Tür zuschlagen könnte. Herr Wehner, wir leben in einem sehr zugigen Hause! Dieses Haus hat mehrere Türen, und mehrere Türen können zuschlagen.
Damit komme ich auf die nach meiner Überzeugung falsche Grundthese der Sozialdemokraten.
— Herr Wehner, ich habe Sie vorhin ausreden lassen,
ich bitte Sie um die Höflichkeit, nun auch mich ausreden zu lassen!
— Ja, ja, sie kommen!
Ich komme nun auf die falsche Grundthese der sozialdemokratischen Außenpolitik. Wenn ich mich recht erinnere, ist sie zweimal in diesem Hause proklamiert worden, einmal von Herrn Dr. Schumacher, und wiederholt von Herrn Dr. Arndt. Es war die These: Wir können es uns leisten, wir haben Zeit, denn die Amerikaner sind auf uns angewiesen.
— Herr Dr. Arndt, dieses Haus erinnert sich an Ihre und an Herrn Dr. Schumachers Worte!
— Dem Sinne nach lauteten die Worte so, wie ich es eben sagte! Wir haben es protokollarisch, Sie können es nachlesen!
Dem Sinne nach haben Sie das gesagt.
Die Frage, um die es geht, ist die Möglichkeit, ob
die Amerikaner eine andere Politik betreiben
könnten als die einer Unterstützung Deutschlands gegenüber dem Osten, und diese Möglichkeit haben Sie, Herr Dr. Arndt, wenn überhaupt noch Worte einen Sinn haben, damals verneint.
Und Herr Dr. Schumacher hat das auch gesagt. Deswegen glauben Sie jetzt, bei dieser Frage den Westen einfach liegenlassen zu können, ja, manchmal habe ich geradezu das Gefühl, den Westen brüskieren zu können. Wir sind mit dem Westen in sehr wichtigen Verhandlungen, die uns nicht selbstverständlich und in der Automatik der Dinge zugefallen sind. Sie verlangen nun, .daß diese Verhandlungen einfach gestoppt werden und daß wir um irgendeiner vagen Chance willen auf ein Gespräch der Vier dringen sollten, und das in welcher Situation!
Herr Ollenhauer, Sie haben davon gesprochen, daß eine deutsche Regierung bei einem etwa kommenden Vierergespräch Bewegungsfreiheit oder Unabhängigkeit haben müsse. Mir scheint es viel wichtiger zu sein, daß eine deutsche Regierung, daß Deutschland bei einem kommenden Vierergespräch eine günstige und gesicherte Position hat.
Das ist ein sehr wesentlicher anderer Gesichtspunkt. Glauben Sie — ich habe diese Frage schon ein anderes Mal an Sie gestellt —, daß die deutsche Position bei einem kommenden Vierergespräch dann besser ist, wenn wir unser Verhältnis mit dem Westen bereinigt haben, und zwar unsere Position allen Partnern gegenüber, oder wenn wir als ein bloßes Objekt in der Luft schweben, über das man verfügen kann?
Ich glaube wirklich, diese Frage stellen heißt, sie sofort beantworten; denn wenn wir unser Verhältnis mit dem Westen bereinigt haben, dann haben nicht nur wir, sondern dann hat auch der Westen Verpflichtungen übernommen.
Wenn diese Verhandlungen stattfinden, ohne daß eine solche Bereinigung erfolgt ist, dann allerdings schweben wir in der Luft und laufen Gefahr, daß mit uns Dinge geschehen, die uns nicht lieb sein würden.
Hier liegt das Problem, und hier sind wir uns in Wahrheit nicht einig. Wir sollten diese Gegensätze ganz klar ansprechen und aussprechen.
— Nun, Herr Dr. Arndt, ich wäre außerordentlich froh, wenn Sie etwas anderes gemeint hätten; denn ich halte diese These der SPD für äußerst gefährlich, für eine These, die, wenn sie die Grundlage einer deutschen Außenpolitik bilden würde, uns in die verhängnisvollste Situation führen könnte.
Ich finde also, man sollte nicht so tun, als ob Sowjetrußland, wenn nun die Gespräche mit dem
Westen weitergehen und wenn es mit dem Westen zu einer Verständigung kommt, keine Möglichkeit mehr hätte, zu verhandeln, und als ob dann wirklich eine Tür endgültig zugeschlagen sei. Ich halte die Konzeption des Herrn Bundeskanzlers für vollkommen richtig, daß, wenn wir die Verhandlungen mit dem Westen weiterführen und wir mit ihm zu einer Verständigung kommen, dann erst Sowjetrußland gezwungen wird,
echte Angebote zu machen.
— Ja, natürlich, Herr Renner! Glauben Sie ernsthaft, daß Sowjetrußland uns etwas auf schönes Bitten hin geben wird?
— Wenn ich. sage „gezwungen", dann meine ich ganz einfach
jenen Zwang, den Sowjetrußland im Kalten Krieg
ja reichlich und sehr raffiniert anzuwenden weiß.
— Ihr Urteil, Herr Fisch, ist ganz bestimmt nicht maßgebend. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn ich Ihren Protest errege; denn dann habe ich so ziemlich die Gewißheit, daß ich auf dem rechten Weg bin.
Darum also geht es: Die deutsche Situation, vor allen Dingen die gesamtdeutsche Situation, wird nicht verschlechtert, wenn eine Einigung mit dem Westen kommt. Mein Freund Tillmanns hat vollkommen recht: es gibt nicht das eine oder das andere, oder das eine nach dem anderen, sondern es gibt das eine und das andere.
Es ist immer ein sehr schlechtes Prinzip einer Außenpolitik gewesen, wenn man ein schwierig zu erreichendes Hauptziel auf dem direkten Weg glaubt anstreben zu müssen, das heißt, wenn man glaubt, dem Qualitätsvorrang den zeitlichen Vorrang bergesellen zu müssen. Sehr häufig wird dadurch, daß man den zeitlichen Vorrang proklamiert, der Qualitätsvorrang zerschlagen.
— Die Deutschen, Herr Rische, in der Deutschen Demokratischen Republik sind nicht identisch mit den derzeitigen Machthabern der Deutschen Demokratischen Republik.
Zahllose Briefe und Botschaften von drüben erreichen uns, die uns sagen: Bleibt auf eurem Weg fest und laßt euch nicht beirren!
Die Deutschen drüben — Berlin hat es gezeigt — wissen besser, worauf es ankommt. Daß z. B. jüngst Frau Helene Wessel mit ihrer Konzeption gerade in Berlin Schiffbruch erlitten hat,
ist ein gutes Zeichen für die Politik des Bundeskanzlers.
So, also, glaube ich, sollten wir die Dinge sehen, und wir sollten uns ganz klar und fest auf der einmal eingeschlagenen Linie weiterbewegen. Es werden keine Türen nach dem Osten zugeschlagen. Der Osten ist nicht so zart besaitet. Das, was Rußland uns und dem Westen anzubieten hat, ist sehr viel mehr als das, was Rußland bisher geboten hat. Die Antwortnote, die der Westen gegeben hat, ist keine Absage an Sowjetrußland gewesen, und die Sowjetrussen haben das sehr viel besser begriffen als Sie, meine Herren [zur KPD]. Sie werden es auch in der Zukunft begreifen.
Noch eins möchte ich zum Schluß sagen. Wir haben heute den ganzen Tag über die deutsche Frage geredet. Ich habe bedauert, daß gerade aus den Kreisen der Partei, die einmal so sehr das Internationale ihres Programms betont hat, das deutsche Problem so isoliert, so antiquiert isoliert, angesprochen worden ist.
Wir haben eine deutsche Aufgabe, aber wir haben eine deutsche Aufgabe in einer konkreten Situation. Diese konkrete Situation sieht uns nicht isoliert in irgendeiner vagen Welt, sondern sie sieht uns hineingestellt in eine heraufkommende ganz neue Welt. Diese heraufkommende neue Welt heißt zunächst einmal für uns: Deutschland i n Europa und Deutschland und Europa. Nur wenn wir Deutschen den europäischen, den freiheitlichen europäischen Weg gehen, wird unser Mühen am Ende von Erfolg gekrönt sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Hedler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bemüht sich, die ersten außenpolitischen Verträge abzuschließen. Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer glaubte, trotz seiner überaus starken Inanspruchnahme durch das Amt des Bundeskanzlers die Arbeit an diesen Verträgen selbst maßgeblich leiten zu müssen, als er zusätzlich auch das Amt des Außenministers übernahm. Herr Dr. Adenauer hat versucht, die strittigen Probleme durch sehr viel guten Willen zu einer Lösung zu bringen. Ich zögere keinen Augenblick, diesen guten Willen anzuerkennen. Doch, Herr Bundeskanzler, der gute Wille eines Vertragspartners allein dürfte wohl kaum ausreichen, um das Gelingen von Verträgen zu garantieren. Ich habe bereits anläßlich der Debatte sowohl über den Schumanplan als auch über die Frage des Verteidigungsbeitrags erklärt, daß diese Verträge und auch der Generalvertrag für Deutschland erst dann spruchreif sind, wenn die Voraussetzungen hierfür auch seitens der Alliierten geschaffen worden sind.
Diese Voraussetzungen sind, das mußte Deutschland in der letzten Zeit leider deutlich feststellen, zweifelsohne immer noch nicht gegeben. Oder sollte
es einen Deutschen geben, der das Verhalten unseres Vertragspartners aus dem Generalvertrag, der Vereinigten Staaten von Nordamerika, im Falle Kemritz Deutschland gegenüber als fair bezeichnen könnte? Sollte es einen deutschen Menschen geben, der die Aufenthaltsgenehmigung Frankreichs, unseres Vertragspartners aus dem Schumanplan, im Falle Frantisek Kroupa auch nur als einigermaßen gerecht bezeichnen könnte? Ich darf Sie, Herr Bundeskanzler, daher fragen: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Interessen Deutschlands gegenüber Amerika und Frankreich in diesen beiden Fällen der schwersten Vergewaltigung des Menschenrechtes wahrzunehmen? Gedenkt die Bundesregierung auch dann an ihrem Glauben der Einhaltung von Verträgen und Gesetzen durch diese Staaten festzuhalten, wenn die berechtigten Forderungen Deutschlands in diesen Fällen nicht berücksichtigt werden? Wenn weder die Vereinigten Staaten von Nordamerika noch Frankreich gewillt sind, die Grundsätze des international anerkannten Menschenrechtes, Grundsätze, an deren Zustandekommen diese Staaten maßgeblich beteiligt waren, in diesen beiden Fällen Kemritz und Kroupa zu befolgen und anzuerkennen, dann darf Deutschland dessen sicher sein, daß diese Mächte die mit Deutschland eingegangenen Verträge nur so weit einhalten werden, als sie ihnen zum Vorteil gereichen.
Ich darf daher eindeutig meiner Meinung Ausdruck geben — und ich bin dessen sicher, daß sie die Meinung eines großen Teiles des deutschen Volkes ist —:
ohne die Lösung der Fälle Kemritz und Kroupa im Sinne des internationalen Menschenrechtes
darf es mit diesen Staaten keinen Vertrag geben,
den ein deutscher Staatsmann unterzeichnen kann.
— Sehr schön, das überlassen Sie mir!
Noch eines zur Einheit Deutschlands. Das gesamte deutsche Volk wünscht nichts sehnlicher als die Wiedervereinigung West- und Ostdeutschlands. Die Alliierten einerseits und die Sowjetunion andererseits versuchen diese Wiedervereinigung als Spielball ihrer Politik zu benutzen. So wenig Deutschland an sich annehmen darf, daß vor allen Dingen die Note Rußlands ernst gemeint war,
so ernst muß aber Deutschland alles untersuchen und betreiben, was dieses erstrangigste aller unserer Ziele erreichen lassen könnte.
Ich bitte daher die Bundesregierung, die Note der Sowjetregierung mit allem Ernst zu prüfen und alle Möglichkeiten wahrzunehmen, die geeignet wären, die westlichen Regierungen bei eventuellen Verhandlungen mit der Sowjetregierung zu unterstützen und mit geeignetem Material zu versehen. Wenn die Versuche, die Einheit Deutschlands zu verwirklichen, trotzdem scheitern sollten, dann muß die Bundesregierung alles getan haben,
daß es auch dem letzten in Deutschland und in der übrigen Welt klargeworden ist, daß nicht wir für das Scheitern verantwortlich sind, sondern einzig und allein die Sowjetunion.
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Meine Damen und Herren! Es ist unmöglich, in der mir von Ihnen zugeteilten, nur fünf Minuten betragenden Redezeit
das ganze Thema auch nur einigermaßen erschöpfend zu behandeln.
Ich möchte daher nur auf einige Bemerkungen zurückkommen, die heute gefallen sind, sei es aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers, sei es aus anderem Munde.
Zunächst: Der Herr Bundeskanzler hat heute im Vergleich zu dem, was er uns vor kurzer Zeit bei der Remilitarisierungsdebatte sagte,
eine Kehrtwendung um 180 Grad vollzogen.
Damals sagte er, wie drohend die Kriegsgefahr sei, wie die 200 oder, was weiß ich, wieviel russischen Divisionen bereit stünden zum Einmarsch nach Westdeutschland. Heute sagte er das Gegenteil, heute erklärte er, daß er, Dr. Adenauer, keineswegs daran glaube, daß Rußland einen Krieg beabsichtige, weil Rußland zur Zeit genügend innenpolitische Arbeiten durchzuführen habe.
Als er — zuerst durch einen Zwischenruf von mir und dann durch die längeren Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ollenhauer, der darauf zu sprechen kam — anscheinend sehen mußte, daß er damit seine eigene Politik nicht gerade sehr schmeichelhaft charakterisierte, da sagte er: ja, deswegen beabsichtige Rußland keinen Krieg von jetzt ab oder im heutigen Moment, weil der Westen schon zu stark sei. So habe er, Adenauer, das gemeint. Damit hat Dr. Adenauer seiner Politik noch weiterhin eine eigene Kritik angehängt;
denn wenn der Westen schon so stark ist, Herr Dr. Adenauer, daß sich Rußland keinen Krieg mehr nach dem Westen leisten kann, dann braucht der Westen die deutsche Remilitarisierung nicht, die Sie, Herr Dr. Adenauer, den Allierten bei jeder Gelegenheit anbieten; dann braucht es die zwölf deutschen Divisionen nicht, die Sie den Amerikanern zu einem Zeitpunkt offerieren, wo die Vereinigten Staaten von Amerika erst vor wenigen Wochen die allgemeine Wehrpflicht für ihr eigenes Volk abgelehnt haben, indem sie die entsprechende Vorlage an den Militärausschuß des Repräsentantenhauses zurückverwiesen haben, was, wie eine Zeitung in Deutschland mit Recht schrieb, einem
Staatsbegräbnis erster Klasse hinsichtlich der allgemeinen Wehrpflicht in Amerika gleichkommt.
Das zu dem einen Punkt!
Zweitens: Herr Adenauer sprach davon, eine Neutralisierung Deutschlands würde aus Deutschland einen Staat minderen Rechts machen.
Herr Dr. Adenauer, ich will mich nicht mit Ihnen streiten,
ob einé Neutralisierung — —
sowohl dem Westen wie dem Osten klarzumachen, daß es nicht bloß im Interesse Deutschlands, sondern genau so im Interesse Rußlands auf der einen Seite und Amerikas auf der anderen Seite liegt, wenn sich Deutschland aus den Auseinandersetzungen zwischen Amerika und Rußland heraushält.
Dieses Ziel der deutschen Politik sollte Herr Dr. Adenauer verfolgen!
Welcher Weg aber von der Regierung Adenauer leider gegangen wird,
— einen Satz noch! —, das ist ganz klar: Siehe die Äußerungen Dr. Hallsteins!
Aber nicht bloß Herr Dr. Hallstein hat diese Entgleisungen gemacht, die heute mit soviel Recht kritisiert wurden.
Was sagen Sie denn, meine Herren Zwischenschreier,
was sagen Sie dazu, wenn heute ein Blatt von Ihnen,
ein führendes, immer die Regierungspolitik unterstützendes Blatt wörtlich schreibt:
Der Kanzler hat einen weit kühneren Plan: Wiederaufrüstung, dann Gespräche mit den Russen in der Absicht, sie zu bewegen, hinter den Bug zurückzuweichen.
— Hinter den Fluß Bug, ja, in Ostpolen!
An diesem Ziel hält Dr. Adenauer seit langem mit Hartnäckigkeit fest.
Das ist auch schon der erste Teil auf dem berüchtigten Weg zum Ural! Von diesem Weg hinter den Bug
haben wir schon einmal gehört, und vor dem warnen wir mit aller Entschiedenheit! Es wäre sehr gut gewesen, wenn heute ein Redner auf diesen blühenden Unsinn,
den die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vertreten hat, eingegangen wäre!
— Meine Herren von der CDU/CSU, Sie können nicht mit Lachen und Zwischenrufen hier so wichtige Dinge niederschreien! Es sollte Aufgabe dieses Bundestages sein, alle diese Entgleisungen, diese falschen Wege der Regierungspolitik zu kritisieren und einen Weg aufzuzeigen, wie man es besser machen kann.
Das verhindern Sie durch Ihr Schreien. Es tut mir außerordentlich leid, daß ich nicht länger zu diesem ganzen Thema sprechen kann.
Ich möchte schließen mit einem Satz Bismarcks:
„Man darf den Faden der Verhandlungen niemals abreißen lassen". Und weil der Herr Bundeskanzler heute schon Schweizer Zeitungen zitierte, möchte ich ihm ebenfalls sagen, was einer der bekanntesten Schweizer Professoren neulich erklärte. Er sagte, Ziel schon der Bismarckschen Politik war es, und Ziel der heutigen Politik Deutschlands müßte es eigentlich sein, sowohl dem Westen wie dem Osten klarzumachen, daß ein Deutschland, das sich bei diesen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost nicht beteiligt und nicht einmischt, heute im Interesse der ganz en Welt handeln würde.
Und wenn Herr Kiesinger sagte,
es könne noch eine andere Türe zugeschlagen werden — —
Das waren schon elf Sätze, Herr Abgeordneter!
Noch einen Satz, Herr Präsident, um auf die Rede des Herrn Kiesinger einzugehen: Er sagte, es könne noch eine Türe zugeschlagen werden, nämlich offenbar von seiten der Amerikaner. Ich bitte Sie um eines, meine Herren von den Regierungsparteien: lassen Sie sich
durch solche Äußerungen von gewisser amerikanischer Seite nicht bluffen! Die Amerikaner k ö n n en Westdeutschland gar nicht aufgeben, weil sie wissen, das sie damit Westeuropa aufgeben würden. Die Amerikaner handeln nicht aus Sympathie für uns, sondern in ihrem eigenen Interesse.
Unsere Aufgabe muß es sein, den Amerikanern zu sagen, sie sollen zuerst bei sich die allgemeine Wehrpflicht einführen, bevor sie das von dem ausgebluteten deutschen Volk verlangen. Ich rufe der Regierung Adenauer zu,
sie soll endlich einmal begreifen, daß weder Amerika noch Rußland aus purer Sympathie für Deutschland handeln, sondern daß es Aufgabe unserer Regierung sein muß, kalt, kühl überlegend und nüchtern die deut sch en Interessen wahrzunehmen. Diese Interessen können nur wahrgenommen werden durch eine Politik, die sich heraushält aus den Auseinandersetzungen zwischen Amerika und Rußland. Das ist es, was wir dieser Regierung Adenauer empfehlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als letzter Redner die letzten Minuten, die vom Kontingent meiner Fraktion für mich übrig sind, nicht als Redner meiner Fraktion, sondern kurz und, ich hoffe, nicht allzu verletzend als Sprecher derjenigen benutzen, von denen es, wie ich glaube, hier im Hause eine ganze Reihe gibt, nämlich derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieser ganzen Diskussion mit einem gewissen Unbehagen gefolgt sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir dürfen sagen, daß eine außenpolitische Diskussion, die so stark angekündigt wurde und der man in der deutschen Öffentlichkeit mit so großen Erwartungen entgegengesehen hat, in der Art, wie sie nun wirklich geführt worden ist, enttäuschen mußte. Sie mußte deshalb enttäuschen, weil wir von einem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion — Drucksache Nr. 3210 — ausgegangen sind, dessen Inhalt durch die Antwortnote der Alliierten auf die russische Note weitgehend überholt ist. Nun bemühen sich die Vertreter dieses Antrags, uns nachzuweisen, daß sie etwas anderes wollen als wir. Leider bemühen sich dann Vertreter der Regierungskoalition, nachzuweisen — was sehr schwer ist —, daß sie in der Sache etwas anderes wollen als die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei.
Bei dieser Auseinandersetzung, die hier gelegentlich als Spiegelfechterei bezeichnet worden ist — ein Wort, das aber für beide Teile gilt, meine Damen und Herren —, ist das zu kurz gekommen, worin wir alle einig sind. Deshalb erlauben Sie mir, daß ich noch einmal einen Appell an beide Seiten des Hauses richte. Es gibt etwas, worin wir alle einig sind. Das, worin wir alle einig sind, ist ausgesprochen in den beiden Entschließungen, in der Entschließung, die die drei Koalitionsparteien
in der Drucksache Nr. 3277 vorgelegt haben, und in der Entschließung, die die sozialdemokratische Fraktion in Drucksache Nr. 3278 vorgelegt hat. Ich glaube, wenn aus dieser Diskussion etwas Initiative, etwas Befreiendes, etwas Positives für die deutsche Öffentlichkeit herauskommen kann, so wäre es die Tatsache, daß wir sie wenigstens damit abschlössen, daß beide Teile sich bereit erklärten, für beide Resolutionen zu stimmen; und darum möchte ich noch einmal bitten.
Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste zur sachlichen Aussprache über die Anträge erschöpft. Herr Abgeordneter Dr. Kopf wünscht, einen geschäftsordnungsmäßigen Antrag zur Abstimmung zu stellen.
Meine Damen und Herren! Dem Herrn Präsidenten dieses Hohen Hauses ist ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der DP zugeleitet worden, nach dem die Abstimmung über Ziffer 4 des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, Drucksache Nr. 3163, getrennt erfolgen soll. Dieser Antrag hat sich deshalb als notwendig erwiesen, weil nach unserer Auffassung eine differenzierende Behandlung einerseits der Ziffern 1 und 3 und andererseits der Ziffer 4 des Berichts des Auswärtigen Ausschusses erforderlich ist. Wir tragen keine Bedenken, den Ziffern 1 und 3 zuzustimmen, und empfehlen dies. Die Bedenken, die auf seiten der Koalitionsparteien gegen Ziffer 4 bestehen, sind in meinem Bericht zum Ausdruck gekommen, als ich den Standpunkt der Minderheit dargelegt habe. Es ist zweifellos das gute Recht dieses Hauses, die großen Ziele der deutschen Politik darzulegen und in seinen Entschließungen niederzulegen. Hiervon hat das Hohe Haus in der grundlegenden Entschließung anläßlich der Debatte über den Verteidigungsbeitrag Gebrauch gemacht. Die Wiedergewinnung der Souveränität, der deutschen Freiheit, und die Beendigung des Besatzungsstatuts sind gefordert worden, genau wie heute die Wiedervereinigung Deutschlands in unserer Resolution gefordert werden sollte. Es ist auch die Aufgabe des Hohen Hauses, den Gang der Verhandlungen der Regierung kritisch zu begleiten. Es ist aber nicht seine Aufgabe, der Regierung Bindungen für ihre Arbeitsweise aufzuerlegen. Aus diesem Grunde empfehlen wir, Ziffern 1 und 3 des Mündlichen Berichts Drucksache Nr. 3163 anzunehmen, Ziffer 4 abzulehnen und zu diesem Zweck eine getrennte Abstimmung über die Anträge vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, darf ich unterstellen, daß das Haus mit der getrennten Abstimmung einverstanden ist?
Mir ist weiterhin der Wunsch zum Ausdruck gebracht worden, über den Antrag Drucksache Nr. 3210 auch getrennt nach Ziffern abzustimmen.
Ist das Haus damit einverstanden?
Herr Abgeordneter Renner wollte zur Abstimmung sprechen.
Ist erledigt. Danke!
Ich darf annehmen, daß wir inzwischen auch alle die entsprechenden Anträge vor uns haben, — bis auf die Herren, die noch Zeitung lesen.
Ich komme also nach der Tagesordnung zunächst zu der Abstimmung über den Mündlichen Bericht, den Antrag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten Drucksache Nr. 3163, und zwar entsprechend dem eben gestellten Antrag nach den einzelnen Ziffern. Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 1 dieses Antrags zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 2 des Antrags — also der Ablehnung der Ziffern 2, 4 und 5 des Antrags der Föderalistischen Union — zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen ist Ziffer 2 angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
— Meine Damen und Herren, ich habe gefragt: wer Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Ziffer 4 ist abgelehnt. Damit ist dieser Antrag erledigt.
Zu Punkt 1 b der Tagesordnung ist der Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 3279 gestellt worden, in der beamteten Leitung des Auswärtigen Amts sofort einen Wechsel vorzunehmen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
— Enthaltungen? — Offenbar enthält sich in dieser Frage niemand der Stimme.
Ich komme zu dem Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei unter Punkt 1 c der Tagesordnung, Drucksache Nr. 3210. Der Herr Abgeordnete Fürst zu Oettingen-Wallerstein hat beantragt, diesen Antrag und die dazu gestellten Entschließungsanträge dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ,zu überweisen. — Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Überweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. --
— Darf ich also fragen, Fürst Oettingen, welchem Ausschuß?
— Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die Frage, wie man den Lastenausgleichsausschuß weiter beschäftigt, erst Ende Mai zu erörtern.
Fürst zu Oettingen hat also den Antrag gestellt, diese Anträge dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Ich kann diesen Antrag nicht ändern.
— Sie beantragen auch gesamtdeutsche Fragen, federführend beim Auswärtigen Ausschuß. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Überweisungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Der Überweisungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 3210, und zwar vereinbarungsgemäß auch ziffernweise. Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? —
Ziffer 1 des Antrags der SPD ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Ziffer 2 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Ziffer 3 ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit Mehrheit abgelehnt.
— Mehrere Enthaltungen; jawohl, bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 4
zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
— Meine Damen und Herren, 'ich bin also dem Irrtum unterlegen, daß wir über Ziffer 4 noch nicht abgestimmt hätten. Die Ziffer 4 ist erledigt. Damit ist dieser Antrag insgesamt abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der FDP, CDU/CSU, DP auf Drucksache Nr. 3277. Ich bitte die Damen und Herren, — —
— Es wird gewünscht, auch über diesen Antrag absatzweise abzustimmen. Ich darf unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist. — Das ist der Fall.
— Meine Damen und Herren, für die Fraktion der ' CDU hat Herr von Brentano die Zustimmung erklärt. Damit ist die Mehrheit für die Einzelabstimmung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem nicht als Abs. 1 bezeichneten, aber erkennbar als erster Absatz gedruckten Teil zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. — Dagegen? — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Abs. 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Abs. 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Abs. 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Abs. 5 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Gegen wenige Stimmen ohne Enthaltungen angenommen.
Soll über den Antrag der Fraktion der SPD auch absatzweise abgestimmt werden?
— Es wird absatzweise Abstimmung beantragt, — um in derselben Übung zu bleiben.
Ich bitte also die Damen und Herren, die Abs. 1 des Antrags Drucksache Nr. 3278 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß dieser Absatz mit allen Stimmen bei einer Enthaltung angenommen ist.
Ich bitte die Damen und Herren, die Abs. 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
(Zuruf von der KPD: Die Uralbefreier! —
Weitere Zurufe von der KPD.)
Zu Punkt 1 d liegt noch der Antrag auf Drucksache Nr. 3211 vor. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen abgelehnt.
Damit, meine Damen und Herren, ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt. Ich schlage Ihnen entsprechend den Vereinbarungen des Ältestenrats vor, daß wir die Sitzung jetzt abbrechen und dieselbe Sitzung morgen früh um 9 Uhr fortsetzen.
Bevor der Herr Abgeordnete Loritz das Wort zu einer persönlichen Bemerkung erhält, habe ich folgendes bekanntzugeben. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die Drucksachen zu den Zollgesetzen, die wir vorhin abgesetzt haben, bis zur nächsten Beratung aufzubewahren, da wir leider nicht imstande sind, sie noch einmal vorzulegen.
— Einei Augenblick bitte, Herr Abgeordneter Dr. von Brentano; darf ich vielleicht meine Bekanntmachungen eben abschließen! — Ich bitte weiter, darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß die Drucksache Nr. 3300, Gesetz über den Lastenausgleich, in die Fächer gelegt worden ist. Der Mündliche Bericht folgt und soll in den wohlverdienten Osterurlaub nachgesandt werden.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. von Brentano!
Meine Damen und Herren, ich möchte die Anregung geben, daß wir die Tagesordnung doch heute abend noch abwickeln. Ich glaube, daß das, was noch ansteht, wirklich in kurzer Zeit erledigt werden kann. Ich fürchte, daß die Mehrheit des Hauses nicht mit einer Sitzung für morgen gerechnet hat.
— Ich stelle anheim. Ich glaube, daß wir mit der Sitzung in verhältnismäßig kurzer Zeit zu Ende kommen.
Meine Damen und Herren, ich darf nur zur Klarstellung feststellen, daß der Ältestenrat sich dahin verständigt hatte, diese Sitzung um 21 Uhr zu unterbrechen und sie morgen fortzusetzen, wenn nicht die Aussicht bestünde, daß sie in kurzer Zeit erledigt werden könnte. Ich persönlich fürchte, daß das nicht der Fall ist. Ich frage Sie: sind Sie bereit — um einen Eindruck von der Möglichkeit der Erledigung der Tagesordnung zu bekommen —, den Punkt 2 der Tagesordnung noch in Angriff zu nehmen?
Ich frage: wer ist dafür, daß wir die Sitzung jetzt unterbrechen und morgen früh um 9 Uhr fortsetzen? — Das ist zweifellos die Mehrheit des Hauses.
Zu einer persönlichen Bemerkung hat das Wort Herr Abgeordneter Loritz. -
Ich möchte dazu Stellung nehmen, daß mir während meiner Rede von dieser Seite des Hauses, nämlich von seiten der CDU/CSU, zugerufen wurde: „Für Sie werden wir die Immunität aufheben!" Ein anderer Zwischenrufer sagte: „Ihnen gehört die Immunität aufgehoben!"
Ich protestiere vor aller Öffentlichkeit schärfstens gegen eine solche Methode, wie sie von einzelnen Abgeordneten der Regierungsparteien angewendet wird, offenbar, um mich unter Druck zu setzen!
Das wird Ihnen nicht glücken, meine Damen und Herren. Aber auf eine Gefahr mache ich Sie aufmerksam: was Sie tun, schlägt den Grundregeln der Demokratie - und die heißt freie Aussprache hier herinnen — ins Gesicht! Ich habe genau so viel Stimmen der Wähler gebraucht wie Sie, um mein Mandat hier herinnen antreten zu können. Hüten Sie sich bitte davor, hier mit solchen Methoden die Demokratie kaputtzumachen!
Meine Damen und Herren, nach dieser persönlichen Bemerkung berufe ich Sie zur Fortsetzung der 204. Sitzung auf morgen, Freitag, den 4. April, 9 Uhr, und unterbreche die Sitzung.
Zweiter Tag:
Freitag, den 4. April 1952.
Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wiedereröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 204. Sitzung des Deutschen Bundestages wieder, die gestern unterbrochen worden ist.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen außer den bereits gestern Verlesenen die Abgeordneten Willenberg, Struve, Glüsing, Dr. Bergstraeßer, Frau Dr. Ilk, Dr. Menzel, Reimann, Paul , Fisch, Rische, Dr. Orth, Dr. Weiß, Winkelheide, Dr. Mühlenfeld, Bahlburg, Tobaben, Neuburger, Ollenhauer, Clausen, Dr. Kopf, Margulies, Junglas, Stauch, Dr. Povel, Kuhlemann, Dr. Dresbach, Dr. Nölting, Mißmahl, Lenz und Dr. Holzapfel.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union (BP-Z) betreffend Beschlagnahmen durch die Besatzungsmächte für militärische Zwecke (Nrn. 3246, 3006 der Drucksachen);
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union (BP-Z) betreffend Beschlagnahmung von Geländeteilen für militärische Zwecke (Nrn. 3247, 3145 der Drucksachen);
c) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Flugplatzbau in Söllingen-Stollhofen und den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Freigabe des Städtischen Schwimmbades in Frankfurt/Main-Fechenheim durch die Besatzungsmacht (Nrn. 3248, 2961, 2968 der Drucksachen);
d) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Verhinderung von Landbeschlagnahmung für militärische Zwecke und den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union (BP-Z) betreffend Militärflugplatz in MünsterHandorf (Nrn. 3249, 2922, 3007 der Drucksachen).
Gemäß einem gestern gefaßten Beschluß des Bundestags ist die Tagesordnung zu Punkt 2 um folgende Beratungsgegenstände erweitert worden:
e) Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Truppenübungsplatz BergenBelsen-Munster-Fallingbostel ;
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Erweiterung des Truppenübungsplatzes Bergen-Belsen .
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Hasemann als Berichterstatter zu den Punkten 2 a bis d.
Ich gebe bekannt, daß der Vorsitzende des Rechtsausschusses bittet, die Mitglieder dieses Ausschusses möchten sich um 9 Uhr 45 pünktlich in Zimmer 106 einfinden.
Herr Prädent! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten ist eine Reihe von Anträgen überwiesen worden, die Beschlagnahmen durch die Besatzungsmächte für militärische Zwecke betreffen. Es handelt sich um die Drucksachen 2922, 2961, 2968, 3006, 3007 und 3145. Fünf dieser Anträge befassen sich mit speziellen Fällen von beabsichtigten oder in Durchführung begriffenen Beschlagnahmen; ein Antrag befaßt sich generell mit der Methodik der Beschlagnahmen. Der Auswärtige Ausschuß war der Auffassung, daß, wie in der Vergangenheit, sicher auch in der Zukunft weitere Anträge in dieser Richtung zu erwarten seien. Tatsächlich sind bereits gestern wieder zwei neue Anträge dieser Art dem Hohen Hause vorgelegt worden. Der Auswärtige Ausschuß war daher der Auffasung, daß es zweckmäßig sei, eine umfassende und generelle Stellungnahme zu den Beschlagnahmen auszuarbeiten.
Im Zusammenhang mit dem Antrag der Föderalistischen Union auf Drucksache Nr.. 3006 hat der Ausschuß den Fragenkomplex eingehend diskutiert und dabei insbesondere auch Vertreter der Dienststelle Blank und des Finanzministeriums, die mit diesen Fragen besonders betraut sind, gehört. Der Vertreter der Dienststelle Blank hat erklärt, daß von dieser Behörde bereits am 2. Januar 1951 bei der Hohen Kommission beantragt wurde, das gesamte Beschlagnahmeverfahren in deutsche Hände zu legen. Am 30. März 1951 hat daraufhin die Hohe Kommission ein Aide-mémoire zugestellt, das als Grundlage für das jetzige Beschlagnahmeverfahren gilt. Ein Verzicht auf das Beschlagnahmerecht erfolgte nicht; lediglich die Durchführung der Beschlagnahmen wurde der Dienststelle Blank übertragen, und es besteht eine Art Anhörungspflicht der deutschen Stellen. Das Verfahren läuft heute so, daß die Anforderungen an die Dienststelle Blank gehen, in der Regel sogar mit genaueren Vorschlägen über Ort und Umfang der zu beschlagnahmenden Objekte. Die Dienststelle Blank informiert dann die betroffenen Länder bzw. gemischte deutsch-alliierte Ausschüsse, die in der britischen und französischen Zone gebildet worden sind. Auf Bundesebene besteht weiterhin ein interministerieller Ausschuß, in dem neben der Dienststelle Blank noch das Finanzministerium, das Ministerium für Wohnungsbau, das Arbeitsministerium, das Innenministerium, das Ministerium für Vertriebene und das Verkehrsministerium vertreten sind. Bei den alle 14 Tage stattfindenden Turnusbesprechungen dieses Ausschusses werden die Vertreter der jeweils betroffenen Länder hinzugezogen.
In der Ausschußberatung wurde nun festgestellt, daß die Verwaltungspraxis erhebliche Mängel aufweist, vor allem insofern, als nicht generell schon in einem frühen Stadium der Beratungen die direkt Betroffenen, also insbesondere auch die Kommunal- und Kreisverwaltungen, hinzugezogen werden.
Es wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Ländervertreter in der Regel nicht die speziellen örtlichen Kenntnisse haben, die notwendig sind, um Ungerechtigkeiten, Härten oder gar Schäden zu vermeiden.
Der Ausschuß hat daher beschlossen, unabhängig von neuen Regelungen, die zweifellos bei der Ablösung des Besatzungsstatuts durch den Generalvertrag vorgesehen sind, schon jetzt die Regierung zu ersuchen, umgehend durch Verhandlungen mit den Besatzungsmächten dahin zu wirken, daß in Zukunft Beschlagnahmen nur durch Bundesorgane vorzunehmen sind und nur mit deren Einverständnis vorgenommen werden können. Die Bundesregierung soll ferner ersucht werden, unverzüglich ein Gesetz zur Durchführung der Beschlagnahmen vorzulegen, das ein geordnetes Rechtsverfahren, die Vermeidung unnötiger Härten und Schäden sowie eine gerechte Entschädigung gewährleistet. Die näheren Einzelheiten, die für das künftige Verfahren vorgesehen sind, gehen aus der Ihnen vorgelegten Drucksache Nr. 3246 hervor. Ich habe Sie im Namen des Auswärtigen Ausschusses zu bitten, dem Antrag des Ausschusses, der eine generelle Regelung des ganzen Fragen-komplexes vorsieht, Ihre Zustimmung zu geben.
Der Einzelantrag der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3145 bezieht sich auf vorgesehene Beschlagnahmen auf dem Gebiet der Stadt Werl. Die Stadt Werl ist schon seit Kriegsende durch Beschlagnahmen der Alliierten außerordentlich stark belastet. In den Kasernen des ehemaligen Fliegerhorstes wurden im Frühjahr 1946 2000 Ostvertriebene untergebracht, die schon wenige Wochen später wieder räumen mußten, da die Kasernen von den Alliierten beschlagnahmt wurden. Die Vertriebenen hausen jetzt in Baracken, die während des Krieges zur Unterbringung von Zwangsarbeitern vorgesehen waren. Die drei einzigen Hotels der Stadt wurden beschlagnahmt, dazu 103 Wohnungen. Besonders empfindlich getroffen wurde die Stadt Werl aber durch die Beschlagnahme des größten Industriebetriebes, der Domag, wodurch der Stadt Werl, durch Ausfall von Steuereinnahmen etc., erhebliche finanzielle Schäden entstanden, die sich auf etwa 240 000 DM pro Jahr belaufen; für eine Stadt von der Größenordnung Werl immerhin ein sehr empfindlicher Verlust. Bezeichnend ist auch. daß der Stadt von keiner Seite irgendeine Entschädigung zusteht. Die Finanzlage der Stadt Werl ist durch diese Verhältnisse außerordentlich ungünstig. Seit der Währungsreform wurden Schulden in Höhe von 250 000 DM gemacht, für die als Sicherheit nur der Grundbesitz der Stadt Werl, insbesondere der Werler Stadtwald, gegeben war. Jetzt soll durch eine neue Beschlagnahmeaktion auch der Werler Stadtwald in Anspruch genommen werden, weil dort Camps für die Besatzungsmacht angelegt werden sollen. Ohne Kenntnis der Stadt Werl und ohne einen offiziellen Beschlagnahmebescheid wurden bereits Vermessungstrupps entsandt. Der Rat und die Bürgerschaft dieser Stadt haben gegen diese Art des Verfahrens schärfsten Protest sowohl beim Bundestag und bei der Bundesregierung als auch bei dem Landtag und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erhoben.
Der Auswärtige Ausschuß ist der Auffassung, daß in diesem Fall das Maß des Vertretbaren und Erträglichen überschritten ist und daß die Bundesregierung zu ersuchen ist, in Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission dahin zu wirken,
daß die beabsichtigte Beschlagnahme auf dem Gebiet der Stadt Werl unterbleibt. Da bereits Vermessungen im Gange sind, ist größte Eile geboten, worauf die Bundesregierung — ich sehe zwar niemanden - besonders hingewiesen sein soll. Ich habe Ihnen im Auftrag des Auswärtigen Ausschusses vorzuschlagen, dem Beschluß des Auswärtigen Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 3247 Ihre Zustimmung zu geben.
Weiterhin lagen dem Auswärtigen Ausschuß die Drucksachen Nrn. 2961 und 2968 vor, die den Flugplatzbau in Söllingen-Stollhofen sowie die Beschlagnahme des Städtischen Schwimmbades in Frankfurt/Main-Fechenheim betreffen. Zum Antrag der Kommunistischen Partei bezüglich des Flugplatzes Söllingen-Stollhofen ist zu sagen, daß mit dem Bau dieses Flugplatzes bereits begonnen wurde. Der Ausschuß für innere Verwaltung, dem dieser Antrag zur Mitberatung überwiesen wurde, hat am 6. Februar 1952 beschlossen, der Bundestag möge die Bundesregierung beauftragen, durch Verhandlungen mit dem französischen Hohen Kommissar die Durchführung des Projektes zu verhindern. Die Geländearbeiten sind aber zur Zeit, ohne daß das Requisitionsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wäre, weit vorgeschritten. Die Arbeiten wurden durch deutsche Baufirmen in Tag- und Nachtschichten ausgeführt. Es sind bisher bereits etwa 140 ha Wald abgeholzt worden.
Der Auswärtige Ausschuß ist der Auffassung, daß der Beschluß des Ausschusses für innere Verwaltung infolge der bereits weitgehend gediehenen Arbeiten irreal ist. Durch das Flughafenprojekt Söllingen-Stollhofen, insbesondere durch die Verlegung von Kreis- und Bundesstraßen wie auch durch die Verlegung einer privaten Bahnstrecke, sind erhebliche Kosten entstanden. Der Auswärtige Ausschuß ist der Auffassung, daß die Bundesregierung zu ersuchen ist, unverzüglich die Inanspruchnahme des Geländes in einem ordnungsgemäßen Requisitionsverfahren durchzuführen und auch eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Unter Bezugnahme auf die Richtlinien des Ihnen vorhin dargelegten Antrags Drucksache Nr. 3246 schlägt Ihnen der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vor, den Antrag Drucksache Nr. 2961 als erledigt zu betrachten.
Das gleiche trifft für den Antrag der Kommunistischen Partei bezüglich der Freigabe des Städtischen Schwimmbades in Frankfurt/MainFechenheim zu. Hierbei handelt es sich um die Beschlagnahme eines Schwimmbades durch die Besatzungsmacht, wobei lediglich einem Wassersportverein an drei Tagen der Woche für wenige Stunden eine Mitbenutzung dieses Bades zugebilligt wurde. Die Beschlagnahme ist sicherlich nicht zu verantworten, da erwiesenermaßen durchschnittlich nur etwa 300 Angehörige der Besatzungsmacht diese Badeanstalt überhaupt benutzen. Das Bad liegt aber in einem ausgesprochenen Arbeiterwohnvorort von Frankfurt, und der Bevölkerung ist durch diese Beschlagnahme jede Gelegenheit genommen, ein Freibad, insbesondere aber auch die dort vorhandenen, sehr gut eingerichteten Dampfund medizinischen Bäder, zu benutzen. Da auch diese Frage in dem Generalbeschluß des Auswärtigen Ausschusses angeschnitten ist, habe ich Ihnen namens des Ausschusses vorzuschlagen, nach der Annahme der umfassenden Drucksache Nr. 3246 diesen Antrag für erledigt zu erklären.
Weiter liegen dem Ausschuß der Antrag Drucksache Nr. 2922 der Kommunistischen, Partei bezüglich Bau eines Truppenübungsplatzes im Kreis Burgdorf sowie der Antrag der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3007 betreffend Militärflugplatz in Münster-Handorf vor. Beide Anträge sind gegenstandslos geworden, da in beiden Fällen durch direkte Verhandlungen der deutschen Stellen mit den Alliierten erwirkt wurde, daß die Alliierten auf ihre Beschlagnahmepläne verzichtet haben. Ich habe Ihnen vorzuschlagen, diese beiden Anträge durch die Ereignisse als erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort dem Abgeordneten Matthes zur Begründung des Antrags Drucksache Nr. 3268.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben leider in diesem Hohen Hause in den letzten beiden Jahren wiederholt Gelegenheit nehmen müssen, uns über das Gebiet der Lüneburger Heide zu unterhalten. Diese- uralte Heidmark umweht eine gewisse Tragik. Im Jahre 1935 wurden die Heidebewohner durch eine Mitteilung aufgeschreckt, daß für Zwecke der Wehrmacht große Gebiete der Lüneburger Heide ausgesiedelt werden sollten. 1936 setzte dann tatsächlich die Aussiedlung von 23 Dörfern ein. Die Bewohner dieser 23 Dörfer sind nur zum geringen Teil im Gebiete Niedersachsens geblieben; andere Teile mußten hinaus nach Pornmern, Mecklenburg oder wo sonst Land zur Verfügung gestellt war, um dort erneut ihren Hof zu gründen.
In diesen Tagen wird uns erneut eine Mitteilung zugeleitet, daß große Flächen Landes einer neuen Beschlagnahme verfallen sollen. Ich lese in dem Antrag des 7. Ausschusses, der heute morgen in der Drucksache Nr. 3246 vorliegt, unter Ziffer 2, daß der Ausschuß beantragt, der Bundestag möge zustimmen, daß die Beschlagnahmen gleichmäßig über das Bundesgebiet verteilt werden. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich überlegen, daß der Truppenübungsplatz Bergen-Fallingbostel-MunsterNord und -Süd 510 qkm aufweist, dazu im Gebiet von Soltau von der Besatzungsmacht weitere 336 qkm für Manöverzwecke, Fahrzwecke beansprucht werden, und wenn darüber hinaus im Raume Lüneburg zusätzlich 225 qkm Landes beschlagnahmt worden sind — also weit über 1000 qkm der Lüneburger Heide —, dann ist wohl kaum noch zu verstehen, daß man jetzt in den Gebieten um Celle und Fallingbostel herum erneut Beschlagnahmen vornimmt und außerhalb des Truppenübungsplatzes im Kreise Celle, im Kreise Fallingbostel und ja auch im Kreise Burgdorf, wie die Mitteilungen von heute morgen besagen, weitere Landbeschlagnahmen anordnet.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir uns im vergangenen Jahr über die gewaltigen Schäden unterhalten haben, die in diesen Gebieten angerichtet worden sind. Nach den Mitteilungen der Feststellungsbehörden, die mir aus allen beteiligten Kreisen geworden sind, haben wir im vergangenen Jahr mit einer Summe von etwa 7 Millionen DM nur an Manöverschäden zu rechnen gehabt. Nun nehmen wir an, daß der Kriegszustand mit England seit 1951 beendet ist, daß am 1. März die Insel Helgoland freigegeben worden ist und wir mit rund 60 Millionen DM dafür Sorge tragen, daß diese zerbombte Insel den Vertriebenen wiederaufgebaut wird.
Hier in diesem Gebiet der Lüneburger Heide geht man nun dazu über, Tausende von Hektar Land zu beschlagnahmen. Wie inzwischen festgestellt wurde, sind es nicht wie in unserem Antrag, der Ihnen in der Drucksache Nr. 3268 vorliegt, 5000 Morgen, nein, die Summe geht weit über 12 000 Morgen hinaus. Heute morgen wird mir mitgeteilt, daß die größte Beschlagnahme ein Gebiet umfaßt, das von den Bahnlinien Schwarmstedt — Celle, Schwarmstedt — Hannover begrenzt wird und eine Ausdehnung von ca. 3000 Hektar hat. Dieses Gelände wird durch die Kanadier in Anspruch genommen werden und ist zunächst bis zum 1. April 1953 beschlagnahmt.
Sehen Sie, gegen diese Beschlagnahmen hätten wir nichts einzuwenden, wenn sie unmittelbar im Gebiet des Truppenübungsplatzes, in der sogenannten blauen Zone vor sich gingen, die ja in den letzten Jahren schon immer im Brennpunkt der Verhandlungen zwischen Besatzungsmacht und deutschen Dienststellen gestanden hat, und wenn man hier die Artilleriestellungen eingerichtet hätte, die man für das neue progressive Schießen gebraucht. Unverständlich ist es sämtlichen Beteiligten, nicht nur den betroffenen Menschen, auch den kommunalpolitischen Leitern der beteiligten Kreise, daß beispielsweise am 31. März die Geschütze bereits geschossen haben, ohne daß die beteiligten Kreise vorher informiert worden sind.
Für diese Dinge haben wir kein Verständnis. Wir hätten geglaubt, daß sich die englische Besatzungsmacht doch allmählich daran gewöhnen würde, nicht mehr in Feindesland zu sein, sondern daß sie sich unter Gleichberechtigten befindet. Wir haben Verständnis dafür, daß es in den niedrigen Mannso ist, daß sie nicht die Achtung vor dem Eigentum haben. Wir haben uns über diese Dinge in den beiden letzten Jahren leider sehr oft verbreiten müssen.
— Herr Renner, Sie haben gar keinen Grund, irgendein Wort zu sagen; denn die Mitteilungen vom 1. April von der Ostzone besagen, daß sie da drüben sechs Millionen DM an Manöverschäden im vorigen Jahr gehabt haben und daß die Kontrollkommission dort drüben erklärt hat, man solle die Ziffern nicht weiter bekanntgeben, es liege nicht im Interesse der Besatzungsmacht.
— Lesen Sie die „Süddeutsche Zeitung" vom 1. April; da ist die Mitteilung drin.
Und genau so ist es mit den Landbeschlagnahmen.
Drüben erfolgen die Beschlagnahmen ohne Entgelt,
besonders im Bezirk Gera. Herr Renner, es ist müßig, daß wir uns idarüber unterhalten, wir finden uns doch auf keinem einheitlichen Nenner. Wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht
dasselbe.
Bitte kommen Sie zum Schluß.
Meine Damen und Herren, wir haben also für diese erneuten Beschlagnahmen keinerlei Verständnis und richten hier unsere dringende Bitte an die Regierung. Ich bedauere zusammen mit dem Herrn Berichterstatter, daß die Ministerbank bei der Behandlung dieser brennenden Fragen leer ist, die Tausende von Menschen, vor allem Vertriebene, angeht, die wir hier in diesem Gebiet unter Zurverfügungstellung hoher Investitionen wieder angesiedelt haben.
— Die Dienststelle Blank könnte während der Behandlung der vielen Anträge durch einen Herrn hier vertreten sein.
Kommen Sie bitte zum Schluß.
Jawohl, Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Es ist also unser dringendster Wunsch, daß die Bundesregierung erneut in Verhandlungen eintritt. Ich muß hier zum Lobe der Herren des Bundesfinanzministeriums und auch der beteiligten Herren der Dienststelle Blank sowie der Herren des niedersächsischen Innenministeriums sagen, daß sie seit Wochen mit uns bemüht sind, diese Dinge zu meistern. Wir haben uns aber bisher gegenüber der Besatzungsmacht nicht durchsetzen können und müssen nun diese gewaltigen Beschlagnahmen erleben.
Ich möchte nur dringend wünschen und bitten, meine Damen und Herren, daß Sie unserem Antrag zustimmen. Wenn unsere verehrte Kollegin Frau Korspeter das Wort zur Begründung des Antrages nimmt, den die sozialdemokratische Fraktion in gleicher Angelegenheit gestellt hat, dann seien Sie der Überzeugung, daß wir beide in unseren Wahlkreisen mit diesen Sorgen in den beiden letzten Jahren so gewaltig belastet sind, daß all die anderen Sorgen, die an uns herangetragen werden, daneben verblassen.
Wir fordern, daß diese neuerlichen Wünsche der Besatzungsmacht zurückgestellt werden, damit dieses Gebiet nicht erneut von Beschlagnahmen betroffen wird; wir fordern, daß sie zurückgestellt werden bis zum Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Dann mag darüber zu reden sein. In diesem Gebiet sind wirklich genügend Beschlagnahmen geschehen. Ich erinnere Sie nochmals daran, daß bereits über eintausend Quadratkilometer in Anspruch genommen sind. Da vermögen wir nicht einzusehen, daß nun erneut eine Beschlagnahme von rund 5000 ha Land erfolgen soll. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter zur Begründung des Antrags Drucksache Nr. 3276.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich kann nach der Schilderung des Herrn Kollegen Matthes über die Situation in der Lüneburger Heide darauf verzichten, noch allzu viel zu sagen, zumal unser Antrag dieselbe Frage behandelt wie der Antrag der Deutschen Partei.
Es ist völlig klar — und ich wünsche, daß wir uns das noch einmal vor Augen hal ten —, daß die von der Besatzungsmacht geplante Beschlagnahme von Tausenden von Morgen Wald- und Ackerfläche zur Erweiterung des Truppenübungsplatzes Bergen-Belsen größte Unruhe und Besorgnis in der Bevölkerung hervorgerufen hat. Mit der geplanten Maßnahme sollen, wie verlautet und wie ich aus einem Bericht über eine Sitzung des Kreistages in Celle erfahren habe — der Herr Kollege Matthes hat es auch schon gesagt —, ungefähr 12 500 Morgen Land zu militärischen Zwecken beschlagnahmt werden. Es soll die Gefahr bestehen, daß dadurch eine große Zahl von Bauern unmittelbar in ihrer Existenz bedroht werden, daß viele Flüchtlingssiedler ihre mühsam erworbenen Siedlungsstellen und damit ihre neu geschaffene Heimat und ihre neu erworbene Existenz wieder verlieren. Weiter soll möglicherweise dadurch auch die Umsiedlung von Tausenden von Personen notwendig werden. Ich glaube, wir dürfen bei einer solchen eingreifenden Maßnahme niemals die sich daraus ergebenden politischen und menschlichen Gefahren außer acht lassen. Es muß von unserer Seite alles getan werden, daß die Forderungen der Besatzungsmacht einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzogen werden.
Mir ist bekannt, daß die niedersächsische Landesregierung alles getan hat und heute noch tut, um die beabsichtigte Erweiterung des Truppenübungsplatzes Bergen-Belsen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Soweit ich. gehört habe, sind gemischte Kommissionen gebildet worden, um die Lage genauestens zu prüfen. Es erscheint uns aber notwendig, daß auch von seiten der Bundesregierung alles getan wird, um Härten und Auswirkungen zu vermeiden, die die Bevölkerung als offenkundiges Unrecht empfinden müßte.
Um die Bundesregierung zu veranlassen, sich wirklich intensiv einzuschalten, um eine erträgliche Lösung des Problems herbeizuführen, haben wir unseren Antrag eingebracht. Wir bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Damit sind die neu gestellten Anträge eingebracht und begründet.
Ich eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt dem Hause vor, sich mit einer Gesamtaussprachezeit von 60 Minuten zu begnügen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde erkläre ich, daß wir den Anträgen des Außenpolitischen Ausschusses zustimmen. Das gilt sowohl hinsichtlich der allgemeinen Regeln, die im Ausschuß bezüglich der Beschlagnahme von Boden für Aufgaben der Besatzungsmacht entwickelt worden sind, als auch hinsichtlich des speziellen Problems Werl. Gerade das letzte ist ein Schulbeispiel dafür, wie verfahren wird und warum es notwendig gewesen ist, daß der Ausschuß diese allgemeinen Regeln entwickelt hat. Wir haben gehört, daß hier Vermessungen vorgenommen worden sind, ehe die direkt Betroffenen überhaupt über die Beschlagnahme informiert worden sind. So geht es nicht. Deshalb hat sich auch der Bevölkerung in meinem Wahlkreis eine sehr große Erregung bemächtigt. Ich möchte also noch einmal gerade das Problem Werl unterstreichen und möchte mich der Bitte des Ausschusses an die Bundesregierung, hier zu handeln,
mit vollem Nachdruck anschließen. Wir stimmen dem Antrag der Deutschen Partei Drucksache Nr. 3268 zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können dem Bericht des Ausschusses Drucksache Nr. 3246 nicht unsere Zustimmung geben, denn für die Landwirtschaft ist nicht entscheidend, ob in Zukunft deutsche Stellen das Land beschlagnahmen oder ob das weiter die Alliierten tun, sondern entscheidend für unsere deutsche Landwirtschaft und unser deutsches Volk ist, daß das in der Zukunft überhaupt unterbleibt. Herr Kollege Matthes, Ihre Sorgen in Ehren, aber wo liegt der Ausweg aus dieser Misere in der Lüneburger Heide? Sie sagen, in unserem Land ist genug beschlagnahmt; bitte, geht in ein anderes Land und beschlagnahmt dort!
— Das ist kein Ausweg, denn diese Beschlagnahmen sind nicht nur eine Bedrohung des Friedens, sondern eine unmittelbare Bedrohung auch unserer Ernährung. Jeder Meter Boden, der heute für militärische Zwecke beschlagnahmt wird, wirkt sich auf unsere Lebensmittellage aus und bedeutet Vernichtung von Tausenden von bäuerlichen Existenzen.
Ebensowenig können wir dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 3248 unsere Zustimmung geben. Am 7. Januar 1952 haben wir einen Antrag eingebracht, daß der Bau des Flugplatzes SöllingenStollhofen zu unterbleiben habe. Am 16. Januar stand dieser Antrag hier zur Debatte. Entgegen unserer Auffassung wurde damals der Antrag in den Ausschuß verwiesen, während dann die Alliierten auf Grund der Taktik der Regierungskoalition handelten, d. h. handelten in dem Sinn, daß sie einfach das Land beschlagnahmten und damit die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen stellten. Den Bauern wurde das Land genommen, und den Widerstand der Bauern versuchte man zu brechen, indem man großzügige Versprechungen machte. Davon ist aber kein einziges Versprechen gehalten worden.
Wir fragen die Damen und Herren des Ausschusses: was ist denn da erledigt? Sie sagen, durch Maßnahmen der Regierung seien unsere beiden Anträge erledigt. Erledigt sind die Menschen, denen man das Land dort genommen hat, und erledigt ist für unser Volk der Beitrag zur Ernährung, den dieses Land gab. Erledigt sind aber nicht die Versprechen, die gerade von Ihrer Seite, d. h. von seiten der Regierungskoalition gemacht worden sind. Wenn die Betroffenen dort sich nicht wehren, dann werden sie wie in allen übrigen Gebieten Westdeutschlands jahrelang auf Vergütung warten müssen. Deshalb begrüßen wir, daß eine ganze Reihe bäuerlicher Organisationen, landwirtschaftlicher Vereinigungen eine Anzahl Kernforderungen aufgestellt haben, darunter eine solche Forderung: keinerlei Landbeschlagnahmen, ob von deutschen oder alliierten Stellen, außerdem restlose und sofortige Auszahlung der Entschädigungen und Wiederherstellung der Existenzmöglichkeit dieser Menschen.
Das Wort hat der Abgeordnete- Morgenthaler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, wie sich die Verhältnisse auf dem Flugplatzgelände Söllingen-Stollhofen gestalten. Auch dort, muß ich sagen, ist angefangen worden, ohne daß die badische Regierung oder die Gemeindeverwaltung irgend etwas davon gewußt hat. Erst durch Vermessungen ist man darauf gekommen, daß hier etwas geplant wird. Sowohl die badische Regierung als auch die zuständigen Stellen des Kreises und der Gemeinden — und ich persönlich habe mich dafür eingesetzt — haben versucht, dieses Vorhaben abzubremsen. Nach der Rechtslage war es aber weder der badischen Regierung noch dem Bund möglich, die Verhältnisse so zu regeln, daß der Flugplatz aus dem Gelände überhaupt herausbelassen würde. Jetzt gilt es allerdings, dafür zu sorgen, daß die Schäden behoben werden, die hier im mittelbadischen Raum entstanden sind, wo auf kleinster Fläche viele Existenzen möglich sind.
Es ist nun nicht so, wie mein Herr Vorredner gesagt hat, daß hier große Versprechungen gemacht werden und nichts gehalten wird. Man ist ernstlich bestrebt, Auswege zu suchen und für die Landwirte wieder etwas zu schaffen, was ihnen ihre Existenz sichert. Der Flugplatz Söllingen-Stollhofen umfaßt ein Gelände von 635 ha, davon 315 ha Ackerland und 320 ha Wiesengelände. 493 Landwirte werden von der Beschlagnahme betroffen, 137 verlieren ihre Existenz. Von den 137 haben sich ganze 5 Landwirte zur Umsiedlung, zur Schaffung eines neuen Bauernhofes gemeldet. Die geringe Zahl zeigt, wie verwachsen und wie verbunden di e Bevölkerung mit dem angestammten Erbe ihrer Väter ist. Deswegen muß auch alles versucht werden. um die schmerzliche Trennung so weit als möglich zu lindern und zu mildern.
Man versucht nun, in dem etwa 40 km entfernt gelegenen Maiwaldgelände Siedlungsgelände zur Verfügung zu stellen. Das ist das Gelände, das seit dem Jahre 1936 von der Acher-Rench-Korrektion bearbeitet wird. Der badische Staat hat schon 7 Millionen RM und 4 Millionen DM aus eigenen Mitteln für dieses Gelände aufgewendet, insbesondere um die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse einigermaßen zu regeln. Hier ist ein Gelände von etwa 700 ha, das sich für die Umsiedlung eignen würde. Von diesen 700 ha gehört aber nur etwa ein Fünftel dem badischen Staat, der Domäne. Alles andere ist Allmende und gehört den Gemeinden, die in der Nähe beheimatet sind. Es wird nun notwendig sein, daß man das, was die Gemeinden als Allmendgut verlieren, unter dem Gesichtswinkel des badischen Bürgernutzengesetzes irgendwie zu regeln versucht. Es kann ja auch nicht angehen, daß man den Bürgernutzen einfach wegnimmt. Hier entsteht für die badische Regierung eine außerordentlich schwere Aufgabe. Aber sie wird gelöst werden können, schon deswegen, weil der badische Staat, die Domäne in der Nähe, noch verschiedenes Gelände zur Verfügung hat, das wieder als Allmendgut zur Verfügung gestellt werden kann. Es wird notwendig sein, daß in diesem Gelände alles getan wird, um eine Siedlung durchzuführen. In diesem Gelände können etwa 45 Bauernhöfe untergebracht werden. Wenn aber das Gelände vollends urbar gemacht werden soll, dann sind noch etwa 3 Millionen DM notwendig, um die Urbarmachung so rasch wie möglich, womöglich noch in diesem Jahre, durchzuführen, damit die Siedler im kommenden Jahr ihre neuen Häuser beziehen können.
Hier erwachsen für den Bund außerordentlich große Aufgaben. Der Flugplatz Söllingen-Stollhofen erfordert für alle diese Dinge einen Aufwand von etwa 5 bis 6 Millionen DM. Der Berichterstatter hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß hier Bundesstraße, Landstraße, Eisenbahnlinie und Feldwege zu verlegen sind, daß wasserwirtschaftliche Aufgaben durchzuführen sind. Da ist es notwendig, daß der Bund unter allen Umständen all die Unkosten übernimmt, die letzten Endes durch die Beschlagnahmung dieses Geländes entstanden sind. Wir müssen unter allen Umständen darum bitten, daß der Bund hier aus eigener und freier Entschließung die Kosten übernimmt und daß nicht erst große Diskussionen darüber entstehen, wer nun eigentlich der Kostenträger ist. Die Bevölkerung da oben erwartet, und zwar mit Recht, daß die Verhältnisse mit dem psychologischen Takt geregelt werden, der dem Bauern mit seiner Familie Rechnung trägt, welcher nun sein Heim verlassen muß oder dessen Besitz schwer angeschlagen worden ist. Es ist auch notwendig, dafür zu sorgen, daß der Viehbestand erhalten werden kann. Auch hier wird für das Ernährungsministerium eine große Aufgabe zu erfüllen sein, bis die Leute wieder genügend Gelände als Grundlage für ihre Existenz gefunden haben. Auch sonst wird es notwendig sein, für den Bau und den Erwerb von Höfen die notwendigen Darlehen zur Verfügung zu stel- len und dem Landwirt langfristige Hilfe mit geringem Zins und mit geringer Amortisation zu gewähren. Wenn hier Bund und Land zusammen helfen und wenn insbesondere der Bund die finanziellen Lasten übernimmt und das Land die Vorbereitungen für Feldverbesserungen, Feldbereinigung und für wasserwirtschaftlich notwendige Anlagen rasch durchführt, dann wird es möglich sein, in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Wunde zwar nicht zu heilen, aber sie vielleicht doch zu beruhigen. Es wird immer schwer für die Leute bleiben, daran zu denken, daß sie aus diésem Raum vertrieben worden sind. Die Rechtslage hat für uns eine andere Lösung nicht zugelassen. Deswegen haben Bund. Länder und Gemeinden alles zu tun, um hier zu helfen, damit mit verhältnismäßig geringen Mitteln und auf schnelle Art und Weise etwas geschaffen wird, um das aus der Welt zu schaffen, was im mittelbadischen Raum größte Aufregung hervorgerufen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird dem Antrag auf Freigabe des beschlagnahmten Geländes bei Bergen-Belsen ihre Zustimmung geben.
Im übrigen möchte ich aber auf Grund es Antrags meiner Fraktion bezüglich des Schwimmbades in Frankfurt/Main-Fechenheim noch einmal ganz kurz ausführen,
warum wir auch von diesem Gesichtspunkt aus den Ausschußbericht ablehnen. Er wird praktisch zu keiner Lösung führen, sondern er will im Gegenteil nur das System der Beschlagnahmen neu regeln; er soll und wird diese aber nicht verhindern. Das Schwimmbad in Frankfurt/MainFechenheim, eines der modernst eingerichteten, ist von den Amerikanern beschlagnahmt und steht der
deutschen Bevölkerung nur montags vormittags für eine Stunde, und zwar für die Kinder, und montags abends für zwei Stunden zur Verfügung, dienstags nur eine Stunde, von 22 bis 23 Uhr, desgleichen donnerstags und freitags. Wannenbäder, die russisch-römischen Bäder, die Duschräume usw. können von der Bevölkerung überhaupt nicht benutzt werden. Die Sportorganisationen, die Wassersportler und die gesamte Bevölkerung verlangen, daß dieses Schwimmbad der Bevölkerung wieder zur Verfügung gestellt wird. Dabei ist es eine Tatsache, daß, während z. B. in dem Schwimmbad Frankfurt/Main-Mitte die Besucherzahl an einem Samstag bis zu 1800 beträgt, von den Amerikanern, mit Ausnahme der Kinder der Besatzungsangehörigen, in einer ganzen Woche nur etwa 350 bis 500 Personen das Schwimmbad besuchen.
Dabei ist es geradezu empörend und wird von der Bevölkerung auch so empfunden, wie mancher Amerikaner das Schwimmbad mit seinen Freunden oder Freundinnen zu nichts anderem benutzt als zu seinem Vergnügen und nicht zu dem Zweck, für den es nun wirklich bestimmt ist.
Die Bevölkerung fordert infolgedessen, daß dieses Schwimmbad freigegeben wird. Wir beantragen, den Ausschußbericht auch in diesem Punkt abzulehnen und unserem ursprünglichen Antrag zuzustimmen. Im übrigen aber wird sich die Bevölkerung angesichts ihrer eigenen Erfahrungen noch mehr als bisher dafür einsetzen, daß die Besatzungstruppen deutschen Boden so schnell wie möglich verlassen, damit dieser Druck endlich von unserer Bevölkerung genommen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Antrags der Föderalistischen Union war neben der Erörterung des Einzelfalles Werl vor allem, von der Erörterung der Einzelfälle abzukommen und dazu zu gelangen, daß das allgemeine Verfahren bei derartigen Beschlagnahmen rechtmäßig und öffentlich geregelt wird. Dieses Ziel ist hoffentlich erreicht. Ich habe allerdings einige berechtigte Zweifel. Der Ausschuß hat in diesem Zusammenhang einen Beschluß gefaßt, der es durchaus gestatten würde, dieses Ziel zu erreichen, wenn nämlich die Regierung das nötige Interesse für diese Dinge aufbrächte. In den Vorverhandlungen haben wir bereits festgestellt, daß seitens der Behörden und zuständigen Regierungsstellen diesen Dingen ein recht geringes Interesse entgegengebracht wird. Man geht den Weg des geringsten Widerstandes. Seitens des Landes Nordrhein-Westfalen ist uns in diesem Falle mitgeteilt worden, man habe zwar der Beschlagnahme nicht zugestimmt, man habe aber auch nichts dagegen eingewandt und müsse eben abwarten, was sich bei der ganzen Aktion ergebe. Das ist kein ausreichendes Verhalten einer deutschen Regierungsstelle gegenüber einem solchen Beschlagnahmeverlangen der Alliierten. Bisher ist in keinem einzigen Falle festgestellt worden, daß die Alliierten Grundstücke beschlagnahmt haben, wenn die deutschen Behörden energisch nein gesagt hatten. Also nur dadurch, daß hier die deutschen Regierungsstellen, und zwar sowohl die von Nordrhein-Westfalen als auch die hier in Bonn, sich nicht - —
— Natürlich, Sie sind ja auch hier in Bonn beteiligt, aber es ist — und das ist das Anliegen — kein Regierungsvertreter hier zugegen, der sich überhaupt um die Dinge kümmert. Ich glaube, wir könnten als Abgeordnete wohl verlangen, daß bei der Behandlung derartiger Fälle von willkürlichen Beschlagnahmen die Regierungsvertreter hier anwesend sind, die Sorgen der Bevölkerung, die wir als Abgeordnete hier in Bonn, die aber auch unsere Kollegen im Landtag Nordrhein-Westfalen zu vertreten haben, wenigstens anhören und in den Vorverhandlungen die Dinge so ernst nehmen, daß sie sich auch tatsächlich durchsetzen. Ich habe die Befürchtung, daß trotz des Beschlusses des Ausschusses wiederum nichts geschieht und die Dinge so laufen, wie sie bisher gelaufen sind. Die Kosten trägt die deutsche Bevölkerung.
Ich muß zur Ergänzung in tatsächlicher Hinsicht noch kurz vortragen, daß zwei Tage nach Vorlage des Antrags der Föderalistischen Union die Beschlagnahme seitens der Alliierten ausgesprochen und am 29. März, also 14 Tage später, der Stadt Werl zugestellt worden ist. Obschon die Stadt Werl wiederholt gebeten hat, doch zu intervenieren, ist seitens der Dienststelle Blank nichts unternommen worden. Gestern ist hier in der Debatte das Wort von der Partnerschaft als dem tatsächlichen Zustand des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Westalliierten gefallen. Wenn dies zutrifft, dann müßte es bei einer entsprechend entschiedenen Haltung der deutschen Bundesregierung möglich sein, hier in diesen Fällen besonderer Härte durchzugreifen und endlich zu erreichen, daß tatsächlich auch die Beschlagnahme aufgehoben wird und die anderen angekündigten Beschlagnahmen unterbleiben. Hier wird sich erweisen, ob tatsächlich einerseits die deutschen Regierungsstellen etwas tun wollen und andererseits das Verhältnis zwischen uns und den Westalliierten den Namen Partnerschaft auch wirklich verdient oder ob es diesen Namen nicht ververdient.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaffé.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von meinen Herren Vorrednern ist zu dem heute anstehenden, für uns alle sehr schmerzlichen Thema so viel gesagt worden, daß es Eulen nach Athen tragen hieße, wenn ich darauf noch näher eingehen würde. Ich kann deshalb namens der Fraktion der DP nur sagen, daß wir den Anträgen des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten voll zustimmen. In bezug auf die Anträge Drucksache Nr. 3276 der SPDFraktion und Drucksache Nr. 3268 meiner Fraktion bitte ich dringend, diese Anträge unmittelbar heute annehmen zu wollen. Wir stimmen beiden Anträgen vollinhaltlich zu. Bitte denken Sie daran, daß hier keine Zeit zu verlieren ist und daß sich, wie Sie von meinem Freund Matthes vorhin gehört haben, die Nachrichten überstürzen, wonach diese Beschlagnahmen immer weitere Kreise ziehen. Es erscheint uns daher sowohl im Interesse der Ernährung als auch im Interesse der Hunderten von
Vertriebenen, die gerade in diesem Gebiet mit unserer Unterstützung angesiedelt worden sind, unumgänglich notwendig, sofort etwas zu tun. Ich wiederhole daher meine dringliche Bitte, die die meiner Fraktion ist, diese beiden Anträge, sowohl den der SPD als auch den der DP in bezug auf den Truppenübungsplatz Bergen-Belsen, heute unmittelbar und sofort anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, in diese Debatte einzugreifen, aber die Ausführungen des Herrn Bertram zwingen mich dazu. Herr Bertram hat hier erklärt, daß die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen sich in diesen Dingen um nichts gekümmert habe. Ich habe festzustellen, daß Herr Bertram sich nicht unterrichtet hat.
Damit kann man ihm wenigstens noch mildernde Umstände zuerkennen.
Meine Damen und Herren, ich kenne eine ganze Reihe von Fällen, in denen derartige Beschlagnahmen in Nordrhein-Westfalen vorgenommen worden sind, ohne daß vorher die Regierung unterrichtet wurde, und ich weiß, daß der Herr Minister Lübke und der Ministerpräsident sich sofort energisch der Dinge angenommen haben.
Allein in meinem Wahlkreis ist es gelungen, mit ihrer Hilfe zwei Fälle, die für die Landwirtschaft sehr hart waren, so abzudrehen, daß die Flugplätze auf Heideland gingen. In anderen Teilen des Landes ist das genau so geschehen. Dabei kann ich weiter feststellen, daß wir bei diesen Bestrebungen von der Bundesregierung auf das stärkste unterstützt worden sind.
Allerdings, Herr Bertram, haben wir nicht die Gewohnheit, solche Fälle sofort an die große Glocke zu hängen und damit Reklame zu machen. wie Sie es hier anscheinend tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Bertram.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht behauptet, daß sich die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen um diesen Fall nicht gekümmert hätte.
— Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich habe behauptet, die Regierung des Landes NordrheinWestfalen habe erklärt — und den Brief kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen —, sie sei nicht in der Lage, sich gegen die Beschlagnahmen einzusetzen. Sie habe sie auch nicht befürwortet; und dagegen richtete sich meine Kritik, daß die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen in diesem Fall die Dinge hat treiben lassen.
Wenn Sie sagen, ich hätte mich nicht genügend unterrichtet und hätte die Sache sofort an die große Glocke gehängt, kann ich Ihnen darauf nur erwidern: die Dienststelle Blank wird Ihnen bestätigen, daß gerade im Fall Werl monatelange Vorverhandlungen im Gang gewesen sind und daß gerade im Fall Werl monatelang versucht worden
ist, die Dienststelle Blank einzuschalten und zu veranlassen, einzugreifen, daß es aber nicht möglich gewesen ist, und daß insbesondere auch von Ihrem Parteifreund Herrn Kollegen Müller versucht worden ist, Herrn Minister Lübke einzuschalten. Herr Minister Lübke ist ja gerade im Kreise Soest-Werl gewählt worden. Es ist nicht gelungen, trotz intensivster Vorstellungen und obwohl verschiedene Delegationen von Werl und Soest bei ihm gewesen sind, Herrn Minister Lübke zu. veranlassen, einzugreifen.
— Wenn Sie bessere Beziehungen zu Herrn Minister Lübke haben und es Ihnen gelungen ist, durch Ihre besseren persönlichen Beziehungen das zu erreichen,
so gratuliere ich Ihnen dazu. Sie können es mir aber nicht zum Vorwurf machen, wenn wir einen Fall, der tatsächlich eine ganz ungewöhnliche Härte darstellt — wie auch der Auswärtige Ausschuß festgestellt hat —, im Parlament zur Sprache bringen, nachdem alle Versuche, diesen Fall auf der Regierungsebene zu bereinigen, vergeblich ge-. wesen sind. Ihr Kollege, Herr Majonica, der im Kreise Soest gewählt worden ist, wird Ihnen bestätigen, wie energisch und entschieden versucht worden ist, die Dinge im Verhandlungsweg zu erledigen. Das war aber nicht möglich. Ich bedaure sehr, daß mir persönlich auch die guten Beziehungen zu Herrn Minister Lübke dazu nicht zur Verfügung stehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hasemann. Wollen Sie als Berichterstatter sprechen?
Nein, ich will nur einige Sätze sagen. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als Abgeordneter eines betroffenen Wahlkreises. Ich glaube, daß wir uns doch ein klein wenig darüber klarwerden müssen, daß es so etwas wie eine Rechtslage in dieser Beziehung gibt, daß die deutschen Stellen ja nicht allein maßgebend sind. Nach dem Besatzungsstatut sind die Alliierten berechtigt, zu beschlagnahmen, was sie wünschen und was sie brauchen; nicht nur bei uns, das ist überall so. Daß gerade die Kommunisten sich immer zum Fürsprecher in dieser Sache machen, ist absurd, weil man von ähnlichen Aktionen im Osten bislang jedenfalls nichts gehört hat.
Wir können nichts weiter tun, als die Regierung ersuchen, nach Möglichkeit die schlimmsten Härten abzuwenden. Mehr können wir nicht tun.
Aber ich will noch ein Wort an die linke Seite des Hauses richten. Sie wissen, daß im Generalvertrag, der in der Bearbeitung ist, diese Zuständigkeiten in deutsche Hand übergeführt werden sollen.
Wie verträgt sich Ihre Stellung zum Generalvertrag mit Ihren fortgesetzten Anträgen in dieser Richtung? Sie werden solche Anträge wahrscheinlich nicht mehr zu stellen brauchen, wenn im Generalvertrag eine Regelung getroffen wird, daß die Zuständigkeit für die Beschlagnahme in deutsche Hände gelegt wird. Wir werden uns also gelegentlich in dieser Frage wieder sprechen können!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten können dem Antrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten betreffend Beschlagnahmen durch die Besatzungsmächte für militärische Zwecke — das ist die Drucksache Nr. 3246 — nur mit dem Vorbehalt zustimmen, daß die verfassungsrechtliche Lage einer genauen Prüfung bedürfen wird. Nach unserer Auffassung wird das unter II des Antrags geforderte Gesetz zur Durchführung dieser Beschlagnahmen nur unter Änderung des Grundgesetzes verabschiedet werden können.
Weitere Wortmeldungen zur Abstimmung liegen nicht vor.
Ich lasse zunächst über die Drucksache Nr. 3246 abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Wir stimmen ab über Drucksache Nr. 3247. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die 'Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Drucksache Nr. 3248. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Drucksache Nr. 3249. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — 'Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Drucksache Nr. 3268. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Drucksache Nr. 3276. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagenänderungsgesetz — TZÄndG —) (Nr. 3217 der Drucksachen).
Wer begründet? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im vergangenen Jahr kurz vor den Parlamentsferien ein sogenanntes Teuerungszulagengesetz zur Abgeltung der Preiserhöhungen bei den Grundnahrungsmitteln verabschiedet. Dieses Gesetz ist in der Zwischenzeit von den Trägern der Krankenversicherung, von den Trägern der Unfallversicherung und von den Arbeitsämtern durchgeführt worden. Die Träger der Rentenversicherung wie auch die Versorgungsämter waren nicht in der Lage, dieses Gesetz ohne Verwaltungsvorschriften durchzuführen. Die von der Regierung
ausgearbeiteten Verwaltungsvorschriften zu diesem Gesetz wurden wohl vom Ausschuß für Arbeit des Bundesrates anerkannt und erhielten auch von diesem Ausschuß die Zustimmung. Dagegen war der Rechtsausschuß des Bundesrates der Meinung, daß die in diesen Verwaltungsvorschriften enthaltenen Bestimmungen bezüglich einer ganzen Reihe Tatbestände in das Gesetz eingebaut werden müßten. Bevor diese Bestimmungen nicht in das Gesetz eingebaut seien, seien Durchführungs- und Verwaltungsvorschriften zu diesem Gesetz nicht möglich. Dann hat die Bundesregierung in dem von diesem Hause verabschiedeten Zulagen- und Mindestrentengesetz in der Unfallversicherung wie auch bei Beratung des Gesetzes zur Erhöhung der Einkommensfreigrenzen in der Kriegsopferversorgung Formulierungen vorgeschlagen, die sich ebenfalls mit dem Teuerungszulagengesetz beschäftigten. Obwohl die Mitglieder der beiden zuständigen Ausschüsse grundsätzlich mit den Vorschlägen der Regierung einverstanden waren, waren sie doch der Meinung, daß diese Änderungen des Teuerungszulagengesetzes nicht in das Unfallzulagengesetz, auch nicht in das Gesetz zur Erhöhung der Freigrenzen in der Kriegsopferversorgung, sondern in das Teuerungszulagengesetz zur Abgeltung der Preiserhöhungen hineingebaut werden müßten. Daher waren auch die Mitglieder dieser Ausschüsse der Meinung, daß ein Ergänzungsgesetz zu dem Teuerungszulagengesetz notwendig sei.
Des weiteren hat sich aus der Praxis der hinter uns liegenden Monate bei Durchführung des Teuerungszulagengesetzes ergeben, daß es durch Lohnerhöhungen und durch die Erhöhung der Zulagen in der Unfallversicherung nicht mehr notwendig ist, daß künftig das Familiengeld in der Unf allversicherung und auch das Haus- und Krankengeld in der Krankenversicherung noch irgendwie von dem Teuerungszulagengesetz betroffen werden.
Aus allen diesen Gründen ist es notwendig, daß das Teuerungszulagengesetz vom 10. August 1951 geändert wird. Es liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 3217 ein Initiativantrag der Regierungsparteien vor, der all die Themen behandelt, die ich Ihnen kurz vortragen durfte. Ich bitte, diesen Antrag, Drucksache 3217, dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprachezeit auf 60 Minuten zu begrenzen.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsparteien zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln, kurz Teuerungszulagengesetz, beschäftigt sich mit einem Gesetz, das zu den unglücklichsten
und zu den schlechtesten Gesetzen
gehört, die der Bundestag jemals verabschiedet hat. Unmittelbar nach der Beratung hier im Plenum und nach der Annahme dieses Gesetzes durch den Bundestag waren bereits die Rentenversicherungsträger einstimmig der Überzeugung, daß dieses Teuerungszulagengesetz nicht durchgeführt werden kann. Ich nehme an, die Regierung hat selbst eingesehen, daß das Teuerungszulagengesetz, das uns damals undurchdacht und unvollständig
vorgelegt worden ist, nicht durchgeführt werden kann, und daß sie deshalb die Regierungsparteien veranlaßt hat, heute diesen Antrag zur Änderung und Ergänzung dieses Gesetzes zu stellen.
Ich habe bei der Beratung dieses Gesetzes am 12. Juli vorigen Jahres darauf hingewiesen, daß es die sozialdemokratische Fraktion ablehnen muß, ihre Zustimmung zu Gesetzen zu geben, die dem Bundestag von der Regierung in der letzten Minute zugeleitet werden. Als wir seinerzeit das Gesetz berieten, war der letzte Tag vor den Ferien, der bereits lange Zeit vorher bekannt war. Wir haben das Gesetz in der letzten Minute zugestellt bekommen, und während wir im Sozialpolitischen Ausschuß darüber berieten, fand im Plenum die erste Beratung über den Schumanplan statt.
Herr Kollege Arndgen, Sie erinnern sich noch daran, daß der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses an den Herrn Präsidenten des Bundestages noch einen Brief gerichtet hat, in dem er ihn gebeten hat, die Sitzung nicht zu schließen, bevor nicht noch am selben Tage dieses Gesetz vom Bundestag verabschiedet worden sei. Wir hatten damals keine Möglichkeit, über den materiellen Inhalt dieses Gesetzes zu beraten; aber ich habe bereits damals darauf hingewiesen, daß wir lediglich im Interesse der armen Teufel, die die 3 Mark erhalten sollten, zustimmten, daß wir aber bereit seien, sofort nach den Ferien erneut zu diesem Gesetz Stellung zu nehmen, um noch einmal unsere Meinung zu diesen Dingen zu sagen und wieder darüber zu beraten.
Wir haben seinerzeit den Herrn Finanzminister in den Ausschuß holen lassen und haben damals erreicht, daß auch diejenigen, die bei der Mindestrente in der Sozialversicherung ausgefallen sind und nichts erhalten haben, mit in dieses Gesetz aufgenommen werden sollten.
Das Gesetz ist am 1. Juli 1951 in Kraft getreten. Bis zum heutigen Tage sind die Durchführungsbestimmungen nicht erlassen worden. Ich weiß, daß manche gesetzestechnischen Schwierigkeiten damit verbunden waren. Aber immerhin haben die ausführenden Organe bis heute keine Ausführungsbestimmungen, so daß dieses Gesetz überhaupt nicht durchgeführt werden konnte.
Ein Teil der Zulagenberechtigten hat bis zum heutigen Tage überhaupt nichts bekommen. Lediglich die Krankenkassen, die Arbeitsverwaltung und die Berufsgenossenschaften haben das Gesetz durchgeführt, während die Rentenversicherungsträger, die Invalidenversicherung, die Angestelltenversicherung und die Versorgungsämter dieses Gesetz infolge des Fehlens der Durchführungsbestimmungen bis zum heutigen Tage nicht durchgeführt haben. Ich brauche hier nicht besonders zu betonen, welche Verbitterung draußen in der Öffentlichkeit bei den armen Leuten besteht, die auf die drei Mark warten und sie nicht erhalten können.
Aber noch etwas anderes ist bezeichnend. Es gibt Kreise, denen die Teuerungszulage von 3 DM nach dem Teuerungszulagengesetz zusteht, die sie aber bis zum heutigen Tage nicht bekommen haben, sondern die im Gegenteil noch 3 DM abgezogen 'bekommen haben.
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel sagen. Wenn
eine Witwe 50 DM Versorgungsrente als Elternrente und dazu 35 DM Soforthilfe, also zusammen 85 DM bekommt, dann werden von der Soforthilfe 3 DM abgezogen, so daß sie nur 82 DM ausgezahlt erhält. Anstatt 85 DM bekommt sie nur 82 DM ausgezahlt. Anstatt daß sie die 3 DM Teuerungszulage bekommt, kriegt sie noch 3 DM von ihrer bisherigen Rente abgezogen. Das ist doch ein unmöglicher Zustand, und es ist deshalb notwendig, daß möglichst rasch auf diesem Gebiete etwas getan wird.
Wir haben bereits am 13. Dezember 1951 in einer Anfrage, die wir an die Regierung gerichtet haben, festgestellt, daß die Auszahlung an die Rentner der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung nicht durchgeführt werden kann, und haben verlangt, daß die Ausführungsbestimmungen möglichst rasch erlassen werden. Wir haben die Regierung gebeten, uns Auskunft darüber zu geben, warum die Ausführungsbestimmungen nicht erlassen worden sind und wann mit dem Erlaß zu rechnen ist. Wir haben gefragt, ob es richtig ist, daß zunächst etwa 3 Millionen Fragebogen gedruckt, ausgegeben und ausgewertet werden müssen, um dieses Gesetz überhaupt durchzuführen. Am 12. Januar hat uns die Regierung geantwortet. Sie hat darauf hingewiesen, daß infolge verschiedener Umstände die Ausführungsbestimmungen nicht erlassen werden konnten. Sie hat lediglich bestritten, daß 3 Millionen Fragebogen gedruckt und ausgegeben werden müssen; sie hat aber nicht bestritten, daß Millionen von Fragebogen ausgegeben werden müssen, um dieses Gesetz überhaupt durchzuführen;
vielleicht noch mehr als 3 Millionen. Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes sind drei Vierteljahre vergangen, und es scheint mir notwendig zu sein, daß jetzt möglichst rasch gehandelt wird, um das Gesetz auch wirklich in seiner ganzen Breite durchzuführen.
Ich will auf den materiellen Inhalt, den der Herr Abgeordnete Arndgen begründet hat, nicht näher eingehen. Ich will nur folgendes feststellen. In einer Vorlage, die mir vorliegt -- sie ist nicht von der Regierung unterschrieben, aber anscheinend ist sie doch von der Regierung —, ist in der Begründung zu dem neuen Entwurf festgestellt, daß seit dem 10. August 1951, an dem das Teuerungszulagengesetz beschlossen worden ist, eine erhebliche Verbesserung für die Kreise der Bezugsberechtigten eingetreten sei, weil damals infolge Wegfalls der Subventionen die Teuerungszulagen für die Grundnahrungsmittel gewährt werden sollten, die Subventionen aber zum Teil weiter gewährt worden seien und zum Teil die Rohstoffpreise, insbesondere der Margarinepreis gesunken seien, so daß die Teuerungszulage, die jetzt gewährt werde, um mindestens 50 % über das hinausgehe, was die Teuerung damals ausgemacht habe. Wenn ich die Begründung richtig verstehe, dann bereut anscheinend die Regierung, daß sie damals den Zulageberechtigten 3 DM versprochen hat.
Ich bin deshalb der Meinung, daß wir den Antrag, wie Herr Kollege Arndgen gesagt hat, möglichst rasch, nachdem der Sozialpolitische Ausschuß ihn zugewiesen bekommen hat, beraten und verabschieden sollten, damit endlich das Gesetz in
seiner ganzen Wirkung für diese armen Leute durchgeführt werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur eine Verschlechterung gegenüber dem derzeitigen miserablen Zustand; hinter ihm steht auch die Absicht, die lächerliche Leistung von 3 DM, die damals gewährt worden ist, durch Einengung des Personenkreises noch mehr zu entwerten. Das ist die klare Absicht, die hinter diesem Gesetzentwurf steht. Mit Recht hat der Herr Vorredner gesagt, daß das Gesetz, das sie am 10. August 1951 — so mit der Holzaxt behauen — hier geschluckt haben, das schlechteste ist, das bisher im Bundestag verabschiedet worden ist. Damals stand man unter dem Druck der Notschreie der Sozialberechtigten draußen. Damals hatten die Organisationen bereits erklärt, daß die von der Regierung geplanten allgemeinen Verbesserungen ungenügend seien, und um diese Proteste zum Schweigen zu bringen, hat man dann dieses Pflästerchen auf die Sozialleistungsgesetzgebung geklebt. Wir haben damals gesagt, daß das Gesetz, sowohl was den Personenkreis als auch was die Höhe der Leistungen angeht, völlig ungenügend ist; und wenn wir jetzt in der Regierungsvorlage in § 4 sehen, welche Höchsteinkommenssätze für die Gewährung der Teuerungszulage vorgesehen sind, wenn es in diesem Paragraphen z. B. heißt, daß für Sozialleistungsempfänger der Betrag, neben dem die Teuerungszulage gewährt werden soll, ganze 105 DM pro Monat betragen soll, dann ist meines Erachtens bewiesen, daß wir den neuen Gesetzentwurf und die hinter ihm stehende Absicht hier richtig beurteilen.
Aber auf etwas anderes möchte ich noch mit zwei Sätzen eingehen. Das Teuerungszulagengesetz ist, wie gesagt, mit Wirkung vom 1. Juli vorigen Jahres in Kraft getreten. In einigen Gemeinden ist man unter dem Druck der erbärmlichen Richtsätze und Sozialleistungen dazu übergegangen, Vorausleistungen auf das Gesetz zu gewähren, obwohl die Durchführungsbestimmungen bis heute nicht da sind. Das ist in einigen Großstädten, z. B. bei uns im Ruhrgebiet, geschehen. Und nun lesen wir in § 9 Abs. 4 des Entwurfs, daß diese Fürsorgeleistungen, die die Gemeinden aufgebracht haben, ihnen nur unter gewissen Voraussetzungen rückerstattet werden sollen.
Noch einen letzten Satz. In diesem Gesetzentwurf werden den kommunalen Wohlfahrtsbehörden auch die Aufgaben der Nachprüfung der tatsächlichen Bedürftigkeit zugemutet. Ich finde in dem Gesetzentwurf keinen einzigen Paragraphen, in dem geregelt ist, wie den Gemeinden diese Arbeitsaufwendungen ersetzt werden sollen. Heute haben wir in den Gemeinden schon den Zustand, daß sie mit einer Reihe von wesensfremden Aufgaben belastet werden, ohne daß ihnen die Länderregierungen den dafür notwendigen Ersatz zahlen.
Also dieses Gesetz muß, wenn es überhaupt als ein Gesetz zur Verbesserung der Notlage der Rentenberechtigten angesprochen werden soll, im Ausschuß wesentliche Änderungen erfahren. Wir stimmen ebenfalls zu, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß zugewiesen wird, und behalten uns vor, bei der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs im Plenum die uns notwendig erscheinenden Änderungsanträge einzubringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es befindet sich niemand in diesem Hause, der nicht über die Unzulänglichkeit dieses Gesetzes unterrichtet und deswegen betrübt ist. Aber man kann sich heute nicht hier hinstellen und all diese Mängel vortragen, wenn man weiß, daß es Mitglieder dieses Hauses in den Sozialausschüssen gegeben hat — bei allen Fraktionen! —, die der Aufhebung dieses Gesetzes das Wort redeten. Ich habe mich gegen die Aufhebung dieses Gesetzes immer gewandt und wende mich auch heute noch dagegen, weil die Berechtigten, die an sich einen Anspruch auf Leistungen aus diesem Gesetz seit dem 1. Juli 1951 haben, sich schon ausgerechnet haben, was sie nachgezahlt bekommen. Ich möchte nicht, daß diese Menschen diese Nachzahlung nicht erhalten.
Wenn nun hier die Mängel, die diesem Gesetz anhaften, breit vorgetragen werden, dann verstehe ich nicht, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion, daß Sie, nachdem Sie zuerst mit uns grundsätzlich einverstanden waren, dieses Initiativgesetz einzubringen, nachher von dieser Stellungnahme abgerückt sind und es uns, den Regierungsparteien, allein überlassen haben, diesen Initiativgesetzentwurf einzubringen. Ich meine, wenn man eingesehen hat, daß irgendein Gesetz unzulänglich und man sich im Grundsatz über dessen Änderung einig ist, dann sollte man auch gemeinsam einen Initiativantrag einbringen, damit diese Mängel behoben werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 3217 dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme. Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 5:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951 .
Von der Regierung ist niemand da, um den Gesetzentwurf zu vertreten. Begnügt sich das Haus mit der Entgegennahme der schriftlichen Begründung?
— Das ist der Fall. Es handelt sich um eine erste Beratung. Die Vorlage muß an den Ausschuß für Arbeit überwiesen werden. — Das Haus ist einverstanden. Es ist so beschlossen. Punkt 5 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der Föderalistischen Union eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Abschnitts I des Grundgesetzes (Nr. 3206 der Drucksachen);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Steuerliche Erleichterungen für Handwerks- und Kleingewerbebetriebe ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Altersversorgung für das deutsche Handwerk .
Wer begründet den Antrag 6 a? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung je 5 Minuten, für die Gesamtaussprache 60 Minuten vor.
Dr. Etzel (FU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in Debatten des 19. und 26. März seine Mittelstandsfreundlichkeit bekundet. Es darf unterstellt werden, daß das mehr als ein nur theoretisches Bekenntnis, vielmehr der Ausdruck der Überzeugung war, daß die wertvollen und als Träger des Persönlichkeitsgedankens unentbehrlichen Mittelschichten, nicht nur die des Handwerks, von der öffentlichen Gewalt in ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gefördert und in ihren besonderen Existenz- und Wettbewerbsbedingungen geschützt werden müssen. So lag der Gedanke nahe, diese Grundidee verfassungsrechtlich zu verankern. Das soll durch den vorliegenden Gesetzentwurf geschehen. Er hat eine üblich gewordene Fassung übernommen. Sie könnte, ohne daß damit in der Sache selbst Wesentliches geändert würde, durch eine andere ersetzt werden, die etwa von dem soeben formulierten Leitgedanken der Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sowie des Schutzes der besonderen Existenz- und Wettbewerbsbedingungen ausginge.
Natürlich beschränkt sich der Mittelstand im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatspolitischen Sinne nicht auf Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe, Industrie und freie Berufe; auch die Beamten und weite Kreise der Angestellten- und Arbeiterschaft, deren Denkweise nicht oder nicht mehr klassenkämpferisch ist, zählen zu ihm. Aber die Grenzen sind hier flüssig, und die Linien laufen durcheinander. Es gibt Kreise der sogenannten Unselbständigen, die gesellschaftlich mittelständisch im herkömmlichen Sinne, berufsständisch aber, z. B. lohn- und tarifpolitisch, gewerkschaftlich fühlen, was indes bekanntlich keineswegs mehr klassenkämpferisch bedeutet. Auf dieses schwierige soziologische Problem kann hier nicht eingegangen werden. Es ist auch nicht notwendig, da der Gesetzesvorschlag die in Betracht kommenden Mittelstandsgruppen aufzählend bestimmt und den Mittelstand im Sinne mittelständischer Unternehmer und Betriebe faßt. Die Schwierigkeit, im einzelnen Falle zu bestimmen, ob die Grenze des Mittelstandes nach oben oder unten überschritten ist, bleibt gleichwohl bestehen. Aber um ihr aus dem Wege zu gehen, müßte man den Begriff Mittelstand überhaupt preisgeben. Das wird indes wohl niemand wollen.
Die Weimarer Verfassung enthielt in ihrem Art. 164 die Vorschrift:
Der selbständige Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ist in Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Diesen Gedanken hat in erweiterter Form der
Art. 153 der bayerischen Verfassung aufgenommen.
Er lautet:
Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen. Der Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbständiger Arbeit zu selbständigen Existenzen ist zu fördern.
Auch in die neue bayerische Gemeindeordnung und Landkreisordnung hat dieser Schutzgedanke Eingang gefunden. Sie bestimmen in ihren Abschnitten über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und der Landkreise: Wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde bzw. des Landkreises dürfen keine wesentliche Schädigung und keine Aufsaugung selbständiger Betriebe in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Industrie bewirken. Die freien Berufe fehlen in den Aufzählungen. In der bayerischen Landkreisordnung, nicht aber in der bayerischen Gemeindeordnung, ist das Handwerk neben dem Gewerbe besonders hervorgehoben.
Zweifellos handelt es sich bei Art. 164 der Weimarer Verfassung und bei Art. 153 der bayerischen Verfassung nicht um normatives Recht, sondern nur um einen Programmpunkt, eine Proklamation oder gesetzgeberische Richtlinie. Es ist die Ansicht geäußert worden, daß Derartiges nicht in eine Verfassung gehöre. Aber solche proklamatorischen Verheißungen oder Feststellungen finden sich auch sonst in Verfassungen, sogar im Grundgesetz, das beispielsweise im Art. 20 erklärt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein .... sozialer Bundesstaat."
Einen völlig anderen Charakter hat der vorgeschlagene Art. 19 a. Er bedeutet die Schaffung eines echten Grundrechts, das nach Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden würde und nach Art. 19 geschützt würde. Antrags- oder Klagerechte würden im Verletzungsfalle wohl nicht nur die betroffenen Einzelpersonen, sondern, sofern eine allgemeine grundgesetzwidrige Verletzung vorliegt, auch einschlägige berufsständische Körperschaften haben. Das gilt im besonderen auch für die Verfassungsbeschwerde. Die Aufnahme eines Satzes „Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz" dürfte entbehrlich sein. Die Fraktion der Föderalistischen Union ist sich der mit dem Gesetzesvorschlag verbundenen Probleme wohl bewußt. Aber im Hinblick auf die jüngste Mittelstandsdebatte wollte der ernsthafte Versuch unternommen werden, die zum Ausdruck gekommene Grundhaltung des Parlaments verfassungsrechtlich zu fundieren.
Ich darf vorschlagen, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitbeteiligtem Ausschuß zu überweisen.
Das Wort zur Begründung der Anträge unter 6 b) und 6 c) der Tagesordnung hat der Abgeordnete Preusker.
Meine Damen und Herren! Ich möchte es sehr kurz machen. Über die Probleme als solche ist in den letzten Tagen
und Wochen in diesem Hause eingehend genug gesprochen worden. Ich darf Sie bitten, unseren Antrag betreffend steuerliche Erleichterung für Handwerks- und Kleingewerbebetriebe dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und unseren Antrag betreffend Altersversorgung für das deutsche Handwerk dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen. Beide Anträge beinhalten wesentliche technische Erleichterungen und Verbesserungen. Sie bedürfen ohnehin der eingehenden Beratung im Ausschuß.
Ich glaube, daß diese Begründung besonderen Beifall findet.
Damit sind die Anträge eingebracht und begründet. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Ich habe nicht die Absicht, hier eine Rede zu halten. Ich möchte nur eine Frage an Herrn Dr. Etzel richten. Es sieht beinahe so aus, daß man versucht, das Programm des Mittelstandsblocks verfassungsmäßig zu untermauern. Sehe ich richtig, Herr Dr. Etzel?
Das Wort zur Beantwortung der Frage hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Meine Damen und Herren! Dem Herrn Abgeordneten Dr. Müller ist ein Mißverständnis unterlaufen. Ich habe durchaus nicht gesagt, daß der Zweck unseres Gesetzesvorschlages die Unterbauung des Programms des Mittelstandsblocks sei, sondern ich habe erklärt, daß es die Absicht des Gesetzesvorschlages sei, die in der Legislative, dem Bundestag, bei den letzten Debatten zutage getretene Grundhaltung zu fundieren. Ich war weit davon entfernt, mich mit dem Programm des Mittelstandsblocks, soweit es aktivistisch ist, irgendwie zu identifizieren. Das stand mir nicht zu. Das ist nicht die Aufgabe bei der Begründung eines Gesetzesvorschlages. Ich habe ausdrücklich von der Grundhaltung in der Debatte dieses Hohen Hauses gesprochen. Das Wort Mittelstandsblock habe ich überhaupt nicht in den Mund genommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Föderalistischen Union wird von uns aufs wärmste unterstützt.
— Ich warte nur, bis Sie mit Ihren törichten Zwischenrufen zu Ende sind!
Meine Damen und Herren, bei der Abfassung des Grundgesetzes ist tatsächlich die Aufnahme einer Bestimmung zugunsten des Mittelstandes außer acht gelassen worden; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wir haben schon in der alten Weimarer Verfassung eine deutliche Schutzbestimmung zugunsten des Mittelstandes in Stadt und Land gehabt. Auch in einer Reihe von Länderverfassungen haben wir sie, und Herr Dr. Etzel hat mit Recht auf die diesbezüglichen Bestimmungen der bayerischen Verfassung hingewiesen. Es ist eine absolute Notwendigkeit, bei der Bedeutung des Mittelstandes für die gesamte Volkswirtschaft unter allen Umständen eine entsprechende Bestimmung in die Verfassung hereinzunehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso diejenigen, die die Aufnahme einer solchen Bestimmung in die Verfassung befürworten, als Mittelstandsblock-Schrittmacher usw. usw. heute gekennzeichnet werden sollen. Der Gedanke, der in dem Antrag der FU zum Ausdruck kommt, ist schon alt genug. Er ist entstanden, lange bevor man vom Mittelstandsblock überhaupt sprach. Er geht zurück auf volkswirtschaftliche Lehren, die schon im 19. Jahrhundert entwickelt worden sind, den Mittelstand gegenüber der unaufhaltsam wachsenden Großindustrie und den Großbanken auf der einen Seite und gewissen nivellierenden marxistischen Tendenzen auf der andern Seite zu schützen.
Ich darf Sie bitten, zugunsten des Mittelstandes endlich auch in das Grundgesetz eine Vorschrift aufzunehmen und damit von Ihrer Seite aus zu bekunden, daß weitaus der größte Teil der Steueraufkommen in diesem Lande heute aus den Schichten des Mittelstandes in Stadt und Land kommt, daß der Mittelstand immer noch einer der größten Arbeitgeber ist und daß er darüber hinaus eine volkswirtschaftliche Bedeutung hat, die in den letzten Jahrzehnten leider verkannt worden ist, die aber nichtsdestoweniger so groß ist, daß eine Vernachlässigung der Interessen des Mittelstandes mit Sicherheit die gesamte Volkswirtschaft zu zerrütten geeignet ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, überhaupt etwas zu sagen; aber nach dem Ablauf dieser Diskussion erscheint es mir notwendig, den Mittelstand und insbesondere das Handwerk vor einer Illusion zu bewahren. Diese Illusion, die heute hier gezüchtet werden soll, besteht darin, daß die Einschaltung einer Bestimmung, wie sie der Antrag der FU vorsieht, ins Grundgesetz überhaupt von irgendwelcher materiellen Bedeutung für das Handwerk und für den Mittelstand wäre, und man muß dem hochverehrten Herrn Dr. Etzel klarmachen, daß derartige Deklamationen im Grundgesetz manchmal weniger wert sind als das Papier, auf dem sie gedruckt sind. Nachdem er daran erinnert hat, daß sich diese Republik in dem Grundgesetz eine „soziale Republik" nennt, muß ich an die Auslegung erinnern, die der Herr Bundeskanzler hier in seiner Regierungserklärung gegeben hat: So sozial wie möglich. Daß es dem Mittelstand so geht, wie es ihm geht, und daß man jetzt, wenige Monate vor Ablauf der Legislaturperiode, angesichts der Bestrebungen zur politischen Konzentration des Handwerks hier im Bundestag Zeit findet, solche Anträge zu stellen und schöne Worte zu machen, das ist doch auch für die wirkliche Grundhaltung, wie es hier so schön geheißen hat, dieses Hauses gegenüber dem Handwerk bezeichnend.
Nun nur noch ein Wort aus dem Gesetzentwurf selber. Da heißt es, daß das Handwerk — durch die papierne Einschaltung im Grundgesetz — gegen Überlastung und Aufsaugung geschützt werden soll. Aufgesaugt wird das Handwerk — das ist die historische Wahrheit — in solchen Perioden
wie etwa der der Kriegsvorbereitung durch die Konzentration des Großkapitals.
Das haben wir unter Hitler gesehen; das werden wir auch in den kommenden Monaten hier erleben, wenn die Adenauersche Kriegspolitik zum Zuge kommt.
So liegen die Dinge. Wer dem Handwerk helfen will, der muß dem Handwerk klarmachen — und das Handwerk muß das auch begreifen —, daß seine Interessen mit denen des gesamten werktätigen Volkes identisch sind, aber nicht mit den Interessen der auf dieser Regierungsbank sitzenden Repräsentanten der Hochfinanz und des Schwer- und Monopolkapitals.
Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 3206 dem Rechtsausschuß und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen, wobei der Rechtsausschuß federführend sein soll. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
An welchen Ausschuß sollen die Anträge unter 6 b und 6 c überwiesen werden?
— 6 b an den Finazausschuß, 6 c an den Ausschuß für Sozialpolitik und den Ausschuß für Geld und Kredit. Wer einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme. Damit ist Punkt 6 erledigt.
Punkt 7:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Hilbert gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 14. Februar 1952 (Nr. 3222 der Drucksachen).
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel ils Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der frühere südbadische Finanzminister, Herr Dr. Wilhelm Eckert, beantragt die Aufhebung der Immunität zum Zwecke der Strafverfolgung des Abgeordneten des Bundestags Herrn Anton Hilbert. Er hat in einem Schreiben an die badische Staatsanwaltschaft, das die Staatsanwaltschaft — ohne daß sie sich dem Strafantrag anschloß, weil sie das öffentliche Interesse nicht bejahte — über den Herrn Bundesjustizminister hierher gegeben hat, folgendes erklärt:
Am 9. Dezember 1951 äußerte der Bundestags- und Landtagsabgeordnete Hilbert in einer von etwa 40 Personen besuchten Versammlung in Waldshut, der Minister Dr. Eckert habe seit längerer Zeit an den Kabinettssitzungen der Landesregierung von Württemberg-Baden teilgenommen. Die Zuhörer nahmen diese Erklärung mit dem Zuruf „Verräter" auf.
In der Sitzung der CDU-Fraktion des Badischen Landtags vom 13. Dezember 1951 in der Aula des Rathauses in Freiburg, an der 25 Abgeordnete und ein Angestellter des Parteisekretariates teilnahmen, stellte ich Herrn Hilbert wegen seiner in Waldshut aufgestellten Behauptung mit den Worten zur Rede: „Verbleiben Sie bei Ihrer Behauptung? Es ist kein wahres Wort daran". Herr Hilbert erwiderte hierauf: „Jawohl, Sie waren bei den Kabinettsitzungen; ich habe beste Informationen." Er fügte hinzu, daß andere unterrichtete Herren den Beweis hierfür erbringen könnten.
Dann heißt es weiter:
Die vorgenannte Äußerung des Herrn Hilbert machte sich der Landtagspräsident Dr. Person durch den Zwischenruf zu eigen: „Jawohl, das ist wahr, die Umlaufprotokolle des Kabinetts in Stuttgart weisen dies aus."
Und schließlich:
Am 15. Dezember 1951 fand eine Ausschußsitzung der badischen CDU in Freiburg im Konferenzsaal des Gasthauses „Alte Burse" statt. Anwesend waren 200 Ausschußmitglieder und das bedienende Personal der Gaststätte. In dieser Versammlung wurde von einem Redner die Behauptung der Herren Hilbert und und Dr. Person angeführt und ihr Inhalt in Zweifel gezogen. Hierauf erklärte Herr Hilbert: „Er — Minister Dr. Eckert — hat es ja in der Zwischenzeit zugegeben."
Der antragstellende Finanzminister a. D. Dr. Eckert sieht in diesem Sachverhalt eine Beleidigung und auch den Tatbestand der Verleumdung. Der Ausschuß hat sich mit der Frage gründlich befaßt und kam zu dem Ergebnis, daß weder eine Verleumdung noch eine Beleidigung vorliegt. Eine Beleidigung setzt immerhin einen Sachverhalt voraus, der den Betreffenden in der allgemeinen Achtung herabzusetzen vermöchte. Würde aber selbst eine Beleidigung vorliegen, dann würde sie nach der Praxis des Hauses keinen Anlaß zur Aufhebung der Immunität geben können, denn es wäre dann eine Beleidigung politischen Charakters. Aber, wie gesagt, wir können nicht feststellen, daß überhaupt eine Beleidigung vorliegt. Wir wehren uns auch dagegen, daß hier etwa der Tatbestand eines „innerdeutschen Landesverrats" konstruiert wird.
Aus diesem Grunde ist es nicht möglich gewesen, einen anderen Beschluß zu fassen als den, den ich Ihnen namens des Ausschusses zu empfehlen habe: den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Hilbert und damit Freigabe der Strafverfolgung abzulehnen. Ich bitte das Haus, so zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme. Punkt 7 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 7. März 1952 (Nr. 3235 der Drucksachen).
Das Wort hat der Abgeordnete Löbe zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bund deutscher Jugend in München hat einen Strafantrag gegen den Abgeordneten Max Reimann wegen übler Nachrede und Verleumdung gestellt.
Sie soll in einem Vortrag enthalten sein, den Herr Max Reimann am 9. Dezember vorigen Jahres im Münchener „Zirkus Krone" gehalten hat
und in dém er behauptet hat, die Sprengstoffattentäter von Bremen und Verden seien endeutig unter den faschistischen Schwarzhemden des Bundes deutscher Jugend zu suchen. Doch forsche die Sonderkommission S überall dort, wo sie den Attentäter nicht finden könne. Der Generalstaatsanwalt in München fragt, ob das Strafverfahren durchgeführt, also die Immunität des Abgeordneten Reimann aufgehoben werden solle.
Der Geschäftsordnungsausschuß war der Meinung, daß das nicht geschehen solle. Auch wenn die Behauptungen falsch, unrichtig und unbeweisbar seien, so reichten sie doch nicht dafür aus, an dem Prinzip der Immunität des Abgeordneten bei politischen Äußerungen zu rütteln, — auch wenn der betroffene Abgeordnete sich nur selten an den Arbeiten des Bundestages beteiligt.
Der Geschäftsordnungsausschuß empfiehlt, die Genehmigung nicht zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Heren! Ich war auch zufällig in der Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität,
in der diese Angelegenheit besprochen worden ist. Meiner Erinnerung nach ist im Ausschuß nicht das festgestellt worden, was der Herr Berichterstatter in seinem letzten Satz ausgesprochen hat, nämlich daß der Abgeordnete Reimann an den Sitzungen nicht regelmäßig teilnimmt.
Ich bedauere, Herr Kollege Löbe, daß Sie diese Feststellung hier getroffen haben,
die mit dem Charakter eines Abgeordneten und seiner Immunität absolut nichts zu tun hat und die nur ausgesprochen worden ist, um den Abgeordneten Reimann in seiner politischen Tätigkeit herabzusetzen.
Wenn der Abgeordnete Reimann monatelang an den Sitzungen des Bundestages nicht teilnehmen konnte, dann ist dafür die verfassungswidrige Behandlung seiner Person verantwortlich, die dieses Hohe Haus praktiziert hat.
Sie sind schuld daran, daß Reimann monatelang verhindert war, hier zu erscheinen.
So ist es, Ihre verfassungswidrige Haltung gegenüber kommunistischen Abgeordneten ist, zusammen mit den Aktionen der Besatzungsmächte, schuld daran.
Das Wort hat der Abgeordnete Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß leider Herrn Kollegen Renner widersprechen. Das Wesen der parlamentarischen Immunität ist ja die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments.
Es besteht also doch ein sinngemäßer Zusammenhang zwischen dem, was der Herr Alterspräsident Löbe hier festgestellt hat, und diesem Fall.
Es können sich nicht alle Abgeordneten so verhalten wie der Kollege Reimann, der nicht nur zur Zeit der Untersuchungen gegen ihn wegen des Verdachtes, Mithilfe zur Menschenverschleppung seines zweiten Vorsitzenden und Vertreters Müller geleistet zu haben — der ja auch 30 Jahre lang Kommunist war und ein Anrecht auf bessere Behandlung seitens der KPD verdient hätte —, sondern auch heute seit Monaten den parlamentarischen Verhandlungen fernblieb. Das ist schon ein Grund, nicht nur im Rahmen seiner Immunität darüber zu sprechen, da sie für ihn an sich gar nicht aktuell ist, denn er fehlt ja doch und braucht gar nicht geschützt zu werden. Wie gesagt. das parlamentarische Immunitätsrecht ist eine Frage der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und nicht ein Privileg des Abgeordneten Reimann.
Vielleicht ist das sogar ein Grund, einmal darüber nachzudenken, was geschäftsordnungsmäßig geschehen sollte, um im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit des Parlaments Maßnahmen zu treffen, die das Verhalten des Abgeordneten Reimann und ähnlicher Kollegen in Zukunft unmöglich machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Vorsitzender des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität folgendes feststellen: Gleichgültig ob die Frage der Nichtanwesenheit des Herrn Abgeordneten Reimann an den Sitzungen dieses Hohen Hauses in dieser oder einer anderen Sitzung behandelt worden ist, es steht fest, daß sich der Ausschuß aus sehr ernsthaften Gründen mit der Frage befaßt hat und weiter befassen muß. ob es möglich ist, daß ein Abgeordneter dieses Hausest der immerhin die Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit bezieht, ständig im Hause fehlen kann.
Wenn zu der Frage der Immunität in diesem Zusammenhang ein Wort gesagt werden darf, kann es nur das sein, das eben bereits Herr Dr. Mende erwähnt hat. Die Immunität ist in erster Linie ein Recht des Hauses, dazu bestimmt, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments aufrechtzuerhalten. Es ist die Aufgabe des zuständigen Aus-
schusses, darüber zu wachen, daß diese Immunität auch nicht nach der negativen Seite hin mißbraucht wird,
nämlich in der Richtung, daß sie in Anspruch genommen wird, wenn es sich um einen Akt handelt, der eine strafbare Handlung darstellen könnte, aber auf der anderen Seite in keiner Weise ein Beitrag geleistet wird, daß die Arbeitsfähigkeit des Hauses durch die Anwesenheit der Abgeordneten und ihre Mitarbeit sichergestellt wird.
Ich glaube, es wäre sehr falsch, wenn man diesen Gesichtspunkt bei dieser plötzlich entstandenen Auseinandersetzung mißachten wollte. Es ist die Pflicht des Herrn Abgeordneten Reimann, wie jedes anderen Abgeordneten, der sich hat wählen lassen, im Hause anwesend zu sein und nach Kräften mitzuarbeiten .
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Punkt 8 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Devisen für den deutschen Kunsthandel (Nrn. 3231, 3099 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat mit ihrem Antrag Drucksache Nr. 3099, den sie gelegentlich der Debatte über die Große Anfrage der FU betreffend Maßnahmen zur Förderung des Kunsthandels eingebracht hat, verlangt, daß dem Kunsthandel für Käufe im Ausland Devisen zur Verfügung gestellt werden. Der Ausschuß für Kulturpolitik, dem der Antrag überwiesen worden ist, ist zu dem Ergebnis gekommen, daß es am zweckmäßigsten sei, noch einen Schritt weiterzugehen und die Ein- und Ausfuhr von Kunstwerken zu liberalisieren.
Die Gründe hierfür sind folgende. Der deutsche
Kunsthandel hatte vor dem Kriege Weltgeltung.
Wenn er nach einem fast völligen Zusammenbruch
auch heute wieder eine beträchtliche Bedeutung
erworben hat, so hat er doch nicht die von früher
wieder erreicht. Auch die jetzige Position ist schwer
gefährdet. Während früher Deutschland z. B. auf
.dem Gebiet der Versteigerung von Graphik die
führende Stelle in der ganzen Welt innehatte und
bedeutender bedeutender ausländischer Sammlungen
in Deutschland abgewickelt wurden, ist das heute
aus verschiedenen Gründen nicht mehr der Fall,
und zwar nicht zuletzt deswegen, weil die Unmöglichkeit der Einfuhr von ausländischem Kunstgut
Versteigerungen und den Verkauf innerhalb des
Bundesgebiets von vornherein verbietet. Das Ausland hat diesen deutschen Einfuhrstopp durchaus
nicht freundlich aufgenommen. Es gilt ja auch im
Kunsthandel der Grundsatz der Gegenseitigkeit.
Frankreich hat den deutschen Einfuhrstopp mit
der gleichen Maßnahme gegenüber Deutschland beantwortet. England hat als einer der Hauptabnehmer durch verzögernde bürokratische Maßnahmen einen Gegendruck auf den deutschen Kunsthandel auszuüben versucht.
Die wirtschaftliche Bedeutung des deutschen Kunsthandels ist durchaus nicht so gering, wie der Laie es vielleicht annehmen möchte. So ist z. B. der Dollarerlös aus Verkäufen in München nur nach den USA vor dem ersten Kriege so hoch gewesen wie der aus dem Bierexport, der doch schließlich nicht als vernachlässigbarer Faktor gelten kann.
Ich möchte mich nicht in Einzelheiten ergehen. Der am meisten überzeugende Gesichtspunkt für eine Liberalisierung des Kunsthandels ist der, daß mit Sicherheit eine positive Devisenbilanz zugunsten unserer Wirtschaft zu erwarten ist.
Da eine völlige Liberalisierung nur für die europäischen OEEC-Länder durchgeführt werden kann, ist es notwendig, daß für den Kunsthandel mit den übrigen Ländern besondere Maßnahmen getroffen werden. Der Antrag in der Fassung des Ausschusses für Kulturpolitik sieht solche Maßnahmen vor. Die Liberalisierung ist zunächst für ein Jahr geplant, um erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Der Einfuhr von Schund und Kitsch muß ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Der Ausschußbericht sieht daher eine Selbstkontrolle des Kunsthandels vor. Die Liberalisierung soll sich nämlich nur auf die Firmen erstrecken, die von den örtlichen Fachverbänden benannt werden.
Ich bitte, den Mündlichen Bericht des Ausschusses unverändert anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hennig.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprachezeit auf 40 Minuten zu begrenzen.
Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge! Ich beabsichtige nicht entfernt, die Redezeit auszunutzen.
Wir Sozialdemokraten haben den Antrag auf Liberalisierung des deutschen Kunsthandels eingebracht, weil wir der Meinung sind, daß die Liberalisierung nirgendwo besser angebracht ist als dort, wo sie hingehört, nämlich in die Maßnahmen, die sich mit dem Geistesleben befassen. Es ist unnatürlich und ungerecht, wenn ausgerechnet der Kunsthandel Fesseln angelegt bekommt, wodurch nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft zu Schaden kommt. Der Herr Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, daß es beinahe groteske Beispiele dafür gibt, wie bedeutsam der Kunsthandel auch devisenmäßig sein kann. In der Vorkriegszeit sind große Teile des Weltkunstmarkts durch Deutschland hindurchgeflossen, und Städte wie Hamburg, Berlin, München sind Brennpunkte des internationalen Kunsthandels gewesen.
Es ist aber nicht nur die ökonomische Bedeutung, die uns dazu veranlaßt hat, diesen Antrag zu stellen, sondern vor allen Dingen auch die Tatsache, daß bei solchen kunsthändlerischen Umschlägen früher viele große und bedeutende Werte in Deutschland geblieben sind und auf diese Weise
eine wertvolle Möglichkeit geschaffen worden ist, dem deutschen Kunstbesitz einen frischen Kräftezustrom zu sichern. Diesen brauchen wir wieder, nachdem wir im Krieg und in der folgenden Zeit ungeheure Schätze verloren haben, von denen hier schon gesprochen worden ist.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist im Kulturpolitischen Ausschuß umgearbeitet und einmütig beschlossen worden. Die Einmütigkeit in diesem Ausschuß ist schon beinahe die Regel. Es ist vielleicht gut, am Ende der Tagesordnung des letzten Tages vor den Osterferien einmal darauf hinzuweisen, daß es auch Gegenstände gibt, über die sich das Haus einig ist, daß man nicht nur zum Hause sprachen, sondern auch das Gefühl haben darf, für das Haus zu sprechen.
Es gab Zeiten, in denen es für die Politiker ganz selbstverständlich war, daß sie das Mutterreich des künstlerischen Erlebens in den Bereich ihrer Tätigkeit hineinzuziehen hatten. Die Blüte Athens z. B. hat sich in der besten Zeit der perikleischdemokratischen Ära vollendet,
als nicht nur die Politiker, sondern beinahe das ganze Volk von Zeit zu Zeit zusammenkam, um ein künstlerisches Erlebnis in sich zu vertiefen und Kräfte anzusammeln für die Tagesarbeit. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß die Kunst eigentlich der sicherste Gradmesser für das Sich-selbst-bewußt-Werden des Mehschen ist, und auch die Völker können sich eigentlich erst in der Kunst ein gesichertes Urteil über sich erarbeiten.
Es ist deshalb nicht nur eine Sache von wirtschaftlicher, sondern auch eine solche von großer, geistiger und, man darf ruhig sagen, politischer
Bedeutung, wie ein Volk zu seinem Kunstleben steht. Die Liberalisierung des deutschen Kunsthandels ist ein praktischer und noch dazu ein lukrativer Schritt für das ganze Volk auf seinem schweren Wege.
In diesem Sinne will ich hoffen, daß das Haus mit diesem Antrag einverstanden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer für den Ausschußantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Ich habe noch einige Dinge bekanntzugeben. Der Haushaltsausschuß versammelt sich um 13 Uhr 30 des heutigen Tages. Der Ausschuß für Arbeit und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik halten um 11 Uhr 15 eine gemeinsame Sitzung im Sitzungssaal der CDU-Fraktion ab. Zehn Minuten nach Schluß dieser Sitzung findet im Roten Zimmer eine Sitzung des Vorstandes des Bundestages statt.
Damit, meine Damen und Herren, ist die heutige Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die 205. Sitzung auf Mittwoch, den 23. April, 13 Uhr 30, ein.
Es bleibt mir nur noch übrig, Ihnen allen geruhsame Osterferien zu wünschen.
Ich schließe die 204. Sitzung des Deutschen Bundestages.