Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 3217 dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme. Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 5:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951 .
Von der Regierung ist niemand da, um den Gesetzentwurf zu vertreten. Begnügt sich das Haus mit der Entgegennahme der schriftlichen Begründung?
— Das ist der Fall. Es handelt sich um eine erste Beratung. Die Vorlage muß an den Ausschuß für Arbeit überwiesen werden. — Das Haus ist einverstanden. Es ist so beschlossen. Punkt 5 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der Föderalistischen Union eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Abschnitts I des Grundgesetzes (Nr. 3206 der Drucksachen);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Steuerliche Erleichterungen für Handwerks- und Kleingewerbebetriebe ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Altersversorgung für das deutsche Handwerk .
Wer begründet den Antrag 6 a? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung je 5 Minuten, für die Gesamtaussprache 60 Minuten vor.
Dr. Etzel (FU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in Debatten des 19. und 26. März seine Mittelstandsfreundlichkeit bekundet. Es darf unterstellt werden, daß das mehr als ein nur theoretisches Bekenntnis, vielmehr der Ausdruck der Überzeugung war, daß die wertvollen und als Träger des Persönlichkeitsgedankens unentbehrlichen Mittelschichten, nicht nur die des Handwerks, von der öffentlichen Gewalt in ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gefördert und in ihren besonderen Existenz- und Wettbewerbsbedingungen geschützt werden müssen. So lag der Gedanke nahe, diese Grundidee verfassungsrechtlich zu verankern. Das soll durch den vorliegenden Gesetzentwurf geschehen. Er hat eine üblich gewordene Fassung übernommen. Sie könnte, ohne daß damit in der Sache selbst Wesentliches geändert würde, durch eine andere ersetzt werden, die etwa von dem soeben formulierten Leitgedanken der Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sowie des Schutzes der besonderen Existenz- und Wettbewerbsbedingungen ausginge.
Natürlich beschränkt sich der Mittelstand im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatspolitischen Sinne nicht auf Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe, Industrie und freie Berufe; auch die Beamten und weite Kreise der Angestellten- und Arbeiterschaft, deren Denkweise nicht oder nicht mehr klassenkämpferisch ist, zählen zu ihm. Aber die Grenzen sind hier flüssig, und die Linien laufen durcheinander. Es gibt Kreise der sogenannten Unselbständigen, die gesellschaftlich mittelständisch im herkömmlichen Sinne, berufsständisch aber, z. B. lohn- und tarifpolitisch, gewerkschaftlich fühlen, was indes bekanntlich keineswegs mehr klassenkämpferisch bedeutet. Auf dieses schwierige soziologische Problem kann hier nicht eingegangen werden. Es ist auch nicht notwendig, da der Gesetzesvorschlag die in Betracht kommenden Mittelstandsgruppen aufzählend bestimmt und den Mittelstand im Sinne mittelständischer Unternehmer und Betriebe faßt. Die Schwierigkeit, im einzelnen Falle zu bestimmen, ob die Grenze des Mittelstandes nach oben oder unten überschritten ist, bleibt gleichwohl bestehen. Aber um ihr aus dem Wege zu gehen, müßte man den Begriff Mittelstand überhaupt preisgeben. Das wird indes wohl niemand wollen.
Die Weimarer Verfassung enthielt in ihrem Art. 164 die Vorschrift:
Der selbständige Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ist in Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Diesen Gedanken hat in erweiterter Form der
Art. 153 der bayerischen Verfassung aufgenommen.
Er lautet:
Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen. Der Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbständiger Arbeit zu selbständigen Existenzen ist zu fördern.
Auch in die neue bayerische Gemeindeordnung und Landkreisordnung hat dieser Schutzgedanke Eingang gefunden. Sie bestimmen in ihren Abschnitten über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und der Landkreise: Wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde bzw. des Landkreises dürfen keine wesentliche Schädigung und keine Aufsaugung selbständiger Betriebe in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Industrie bewirken. Die freien Berufe fehlen in den Aufzählungen. In der bayerischen Landkreisordnung, nicht aber in der bayerischen Gemeindeordnung, ist das Handwerk neben dem Gewerbe besonders hervorgehoben.
Zweifellos handelt es sich bei Art. 164 der Weimarer Verfassung und bei Art. 153 der bayerischen Verfassung nicht um normatives Recht, sondern nur um einen Programmpunkt, eine Proklamation oder gesetzgeberische Richtlinie. Es ist die Ansicht geäußert worden, daß Derartiges nicht in eine Verfassung gehöre. Aber solche proklamatorischen Verheißungen oder Feststellungen finden sich auch sonst in Verfassungen, sogar im Grundgesetz, das beispielsweise im Art. 20 erklärt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein .... sozialer Bundesstaat."
Einen völlig anderen Charakter hat der vorgeschlagene Art. 19 a. Er bedeutet die Schaffung eines echten Grundrechts, das nach Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden würde und nach Art. 19 geschützt würde. Antrags- oder Klagerechte würden im Verletzungsfalle wohl nicht nur die betroffenen Einzelpersonen, sondern, sofern eine allgemeine grundgesetzwidrige Verletzung vorliegt, auch einschlägige berufsständische Körperschaften haben. Das gilt im besonderen auch für die Verfassungsbeschwerde. Die Aufnahme eines Satzes „Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz" dürfte entbehrlich sein. Die Fraktion der Föderalistischen Union ist sich der mit dem Gesetzesvorschlag verbundenen Probleme wohl bewußt. Aber im Hinblick auf die jüngste Mittelstandsdebatte wollte der ernsthafte Versuch unternommen werden, die zum Ausdruck gekommene Grundhaltung des Parlaments verfassungsrechtlich zu fundieren.
Ich darf vorschlagen, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitbeteiligtem Ausschuß zu überweisen.