Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Man kann nicht häufig genug hervorheben, daß die Wiederherstellung der gesamtdeutschen Einheit ein falsches oder ungenaues Wort für das ist, worum es eigentlich geht. Es geht nämlich um die Wiedergewinnung der gesamtdeutschen Freiheit.
Wären die 20 Millionen in der sowjetischen Zone
frei, dann hätten wir sofort die deutsche Einheit.
Sie wäre dann kein Problem mehr. Ich glaube, daß
die Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit
der Opposition zu einem Teil daher rühren, daß
man sich diesen ungenauen Sprachgebrauch angewöhnt hat, bei dem man nicht mehr scharf genug sieht, worum es eigentlich geht, nämlich um die gesamtdeutsche Freiheit. Diese gesamtdeutsche Freiheit würde, wenn sie verwirklicht wäre, auch ohne weiteres die Einheit bedeuten. Die unangemessene Ausdrucksweise erweckt den falschen Eindruck, als wären es Deutsche, die der gesamtdeutschen Einheit entgegenstehen. Dieser Eindruck wird auch draußen in Volksversammlungen von der Opposition erweckt. In Wahrheit weiß die Opposition ganz genau, und es wissen vor allem auch die Kommunisten, die in diesem Hause sitzen, daß die Sowjets als Besatzungsmacht unter Verwendung einer kleinen Minderheit Irregeleiteter die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung in sklavenhafter Unfreiheit halten. Die Frage nach der deutschen Einheit richtig gefaßt muß deshalb heißen: Wie können wir die sowjetischen Sklavenhalter auf friedliche Weise dahin bringen, daß sie unseren deutschen Menschen in Mitteldeutschland die Freiheit geben?
Die richtige Antwort auf diese Frage ist aus der Situation zu entnehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in der sich die Sowjets erstmals wieder seit langer Zeit herbeiließen, einen unmittelbaren Vorschlag zu unterbreiten. Ich glaube, diese Situation ist doch sehr eindeutig. Sie zeichnet sich nämlich zum ersten dadurch aus, daß das Einheitsgeschwätz der Pankower Marionetten nicht verfangen hat. Es hat nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Sie zeichnet sich zum zweiten dadurch aus, daß die Bundesrepublik, die westdeutsche Freiheitsbastion, sich inzwischen weiter konsolidiert hat, und dies nicht nur wirtschaftlich, sondern auch innerpolitisch, wie gerade die Südweststaatwahlen erwiesen haben,
in denen sich der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung für die drei großen demokratischen Parteien entschieden hat, ohne daß dabei gegenüber 1949 eine nennenswerte Verschiebung zugunsten der Opposition eingetreten ist.
Zum dritten ist die Konsolidierung, die inzwischen eingetreten ist,
Damit nähert sich allerdings der Zeitpunkt, in dem für die Sowjets nicht mehr zu erwarten ist, daß Westdeutschland auf sich selbst gestellt bleiben und sich in der Isolation als nicht lebensfähig erweisen würde.
Die sowjetische Note ist also unzweideutig ein Erfolg der konsequenten Politik der Bundesregierung und der westlichen Demokratien. Es sind
Tatsachen geschaffen worden, und weitere Tatsachen stehen bevor, die der bisherigen Sowjetpolitik in Deutschland und Europa die letzten Erfolgsaussichten nehmen. Diese Tatsachen bedeuten die Überwindung der europäischen Zerrissenheit außerhalb des sowjetischen Machtbereichs. Sie machen damit einen weiteren Wirtschaftsaufschwung und die Erhöhung des Lebensstandards in den europäischen Ländern außerhalb des sowjetischen Machtbereichs gewiß.
Sie bewirken damit eine gesteigerte Immunisierung der europäischen Völker gegen kommunistische Einflüsse und sie verbessern schließlich den Friedensschutz der europäischen Völker.
Alle diese Tatsachen haben aber — und das ist schließlich das Wichtigste — eine ausstrahlende werbende Wirkung in den Bereich der sowjetischen Satellitenstaaten hinein. Es hat sich inzwischen die Stromrichtung im kalten Krieg geändert: die Offensive ist auf die gesamte westliche Welt übergegangen. Deshalb ist der sowjetische Vorschlag jetzt der fällige Gegenzug auf die konsequente Entfaltung der Politik der Bundesrepublik und der westlichen Demokratien. Dieser Gegenzug ist ein Geständnis, das Geständnis des Mißerfolges der bis jetzt verfolgten Deutschland- und Europapolitik der Sowjetunion. Dieses Geständnis des Mißerfolges, meine sehr geehrten Damen und Herren, enthüllt sich am deutlichsten darin, daß die Sowjets plötzlich als die Propagandisten einer deutschen Nationalarmee auftreten. Sie vertraten bisher stets die These der völligen deutschen Entmilitarisierung, die These des absoluten Machtvakuums im deutschen Raum, die These einer waffenlosen und auch international auf Waffenlosigkeit kontrollierten deutschen Scheinstaatlichkeit; denn ein Staat ohne jegliche Schutzmöglichkeit ist ein Scheinstaat. Sie haben diese bisherigen Thesen völlig preisgegeben, und sie haben damit nicht nur die bisherige Propaganda der Kommunisten, sondern auch der Niemöller, Heinemann und Wessel als irreale Phantastereien abgetan. Das ist immerhin eine erfreuliche Klarstellung, für die man den Sowjets dankbar sein kann.
Wie war der Vorschlag aufzunehmen? Zum ersten eben im Sinne des wichtigen Geständnisses des Mißerfolges der bisherigen Deutschland- und Europapolitik der Sowjets. Insofern lag darin zugleich eine Mahnung, nämlich die, nicht auf einen sowjetischen Pfiff hin die Politik aufzugeben, die zu der jetzigen Situation geführt hat, einer Situation, in der sich die Sowjets — seit langer Zeit — genötigt sahen, mit einem unmittelbaren Vorschlag hervorzutreten.
Zum zweiten mußte der Vorschlag bei den Adressaten, den westlichen Demokratien, sofort zu der ernsthaften Prüfung mit dem Ziel führen, auf eine Antwort zu dringen, die die Sowjets zur Klarstellung ihrer Unklarheiten und zur Behebung ihrer Widersprüche nötigen mußte, die die Sowjets veranlassen mußte, Farbe zu bekennen. Die maßgeblichen Sprecher der Koalitionsparteien haben sich sofort in diesem Sinne geäußert, und wir wissen aus den Gesprächen mit dem Herrn Bundeskanzler, daß dies auch von vornherein seine Auffassung war. Es ist bedauerlich, daß ein Sprecher der Regierung - der fünfte Pressechef — in einer überschnell _abgegebenen Presseerklärung zu diesem Thema eine Produktion zuwege gebracht
hat, die sich von den Leistungen seiner Vorgänger nicht vorteilhaft abhebt.
Es ist bedauerlich, daß auch Herr Staatssekretär Hallstein in den Vereinigten Staaten — jedenfalls nach den Pressemeldungen, die nach hier kamen -- den Eindruck erweckte, als bedürfte die sowjetische Note nicht einer ernsthaften Prüfung oder als sei sie dieser nicht würdig.
In diesem Zusammenhang dürfen wir darauf aufmerksam machen, daß es für uns unerläßlich ist, eine Selbstbeschränkung zu üben, die das Mißverständnis ausschließt, als wollten wir uns mit Anliegen beschäftigen, die außerhalb unseres unmittelbaren Interessenkreises liegen. Wir sollten uns in unserer Lage nach diesem Weltkrieg auf das Anliegen beschränken, zu dem wir kraft innerster Verantwortung aufgerufen sind: die gesamtdeutsche Freiheit wiederherzustellen.
Der Machtlosigkeit steht die Hybris besonders schlecht an.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die westliche ,Antwortnote hat im wesentlichen den deutschen Vorstellungen entsprochen, die auf Konsultation von der Bundesrepublik geäußert wurden. Es ist wesentlich, daß die Noten der westlichen Alliierten sehr nachdrücklich die Unklarheiten und Widersprüche hervorgehoben haben, die sich in der sowjetischen Note befinden.
Die Sowjets verlangen in ihrer Note zum ersten, daß eine deutsche Regierung an den Friedensverhandlungen gleichberechtigt teilnehmen soll. Sie wollen auch durch den Friedensvertrag sicherstellen, daß die staatsbürgerlichen Freiheiten in Deutschland für jedermann garantiert werden. Nun, die ganze Entwicklung kann nur damit beginnen, daß die staatsbürgerlichen Freiheiten, die die Sowjets zunächst einmal vernichtet haben, im sowjetischen Bereich hergestellt werden, wenn man zu einer gesamtdeutschen Regierung kommen will, die überhaupt nur als legitimiert angesehen werden kann, bei einem Friedensvertrag über deutsche Interessen zu verhandeln. Die freien Wahlen mit allen internationalen Garantien müssen das erste sein.
Ich glaube, es war nur gut, daß in der Westalliierten Antwortnote auch die UNO-Kommission erwähnt wurde. Die Annahme der UNO-Kommission durch die Sowjets ist nicht als unerläßlich gefordert, sondern es ist nur zum Ausdruck gebracht worden, daß es mit großer Genugtuung gesehen würde, wenn die Sowjets ihre Einstellung zu der praktischen Tätigkeit der UNO-Kommission änderten.
Die Kritik des Herrn Kollegen Wehner an diesem Teil der Note ist völlig unverständlich, liegt es doch in unserem Interesse, daß etwaige Wahlen im sowjetischen Bereiche nicht Scheinwahlen, sondern wirklich freie Wahlen werden. Wir wissen, wovon es abhängt, daß es ohne internationale Garantie nicht geht und daß es schwerlich ohne eine Überwachung geht, die sicherstellt, daß die Begriffe, die die Sowjets verwenden, mit denen der westlichen Welt übereinstimmen, so daß dann ein Zustand entsteht, in dem tatsächlich Freiheit möglich ist.
Zum zweiten liegt es im deutschen Lebensinteresse, daß die westlichen Demokratien in ihrer Antwortnote absolut klargestellt haben, daß sie eine deutsche Regierung mit hinreichenden Kompetenzen sowohl vor als auch nach einem Friedensvertrage fordern. Die deutsche Regierung wird Kompetenzen haben, daß sie bei den Friedensverhandlungen das legitime deutsche Interesse auch in Freiheit wahrzunehmen vermag.
Innenpolitisch ist schon mit Rücksicht auf die österreichischen Erfahrungen eine Freistellung von einem Viermächtekontrollsystem oder einem anderen internationalen Kontrollsystem außerordentlich wesentlich. Wir wissen jetzt, wie lange Verhandlungen mit einer östlichen Macht dauern. Am 10. Juli des vergangenen Jahres begannen die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Korea, und die Verhandlungen zwischen den vier Mächten über den österreichischen Staatsvertrag sind jetzt ins vierte Jahr gelangt. In Anbetracht solcher Erfahrungen ist es unmöglich, sich auf Verhandlungen einzulassen, ohne daß zuvor durch eine gemeinsame Entscheidung sichergestellt ist, daß man außer freien Wahlen auch Freiheiten für eine deutsche Regierung insoweit zugestehen will, daß diese deutsche Regierung überhaupt zu Wirksamkeit gelangt. Insbesondere ist das wegen der Länge der Zeit, für die mit Verhandlungen gerechnet werden muß, wesentlich.
Nicht weniger wichtig ist aber die Gefahr, die sich daraus ergibt, daß die Besatzungsmacht, solange sie da ist — wir kennen die sowjetische Besatzungsmacht insoweit ja gut genug —, jederzeit in der Lage ist, tatsächlich terroristische Zustände wieder herbeizuführen. Wir hätten dann darüber hinaus für Gesamtdeutschland den schweren Nachteil zu befürchten, daß diese selbe Besatzungsmacht über die Teilnahme an einem irgendwie gearteten Kontrollsystem für das gesamte deutsche Gebiet auch in die westlichen Zonen hinein lähmend wirken würde.
Aus diesen Gründen muß doch ganz außerordentlicher Wert darauf gelegt werden, daß von vornherein für die Verhandlungsgrundlage allein das eine sichergestellt ist: innere Entscheidungsfreiheit.
Was nun die außenpolitischen Zuständigkeiten einer gesamtdeutschen Regierung anbelangt, so befindet sich auch da in der sowjetischen Note ein eigenartiger Widerspruch, der darin liegt, daß die Sowjets auf der einen Seite für Deutschland die Mitgliedschaft in der UNO anstreben, auf der anderen Seite aber diesem Gesamtdeutschland den Beitritt zu Regionalpakten im Rahmen der UNO versagen wollen. Es ist nur konsequent, wenn gegenüber der sowjetischen Forderung, wonach diese deutsche Regierung von allen Bündnissen, die sich gegen frühere Feindmächte richten, ausgeschlossen sein soll, in der westlichen Antwortnote darauf abgehoben wird, daß die deutsche Regierung, so wie sie Mitglied der UNO werden soll, auch die Möglichkeit haben muß, aus voller Entscheidungsfreiheit heraus ihren Beitritt zu Regionalpakten im Rahmen der Vereinten Nationen zu erklären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in allen diesen wesentlichen Punkten kann man mit der westlichen Antwortnote völlig einverstanden sein; wir müssen ihren wesentlichen Inhalt begrüßen. Es bestünde nur dann Anlaß, eine Einschränkung zu machen, wenn die mißverständliche Auffassung,
die bei der Sozialdemokratie verbreitet ist, gerechtfertigt wäre. Diese Auffassung, die falsch ist, ging nämlich dahin, daß die westlichen Demokratien für Gespräche mit der Sowjetunion die deutsche Beteiligung an eiher europäischen Verteidigungsgemeinschaft und an Verträgen wie dem Schuman-plan usw. zur Voraussetzung gemacht hätten. Eine solche Voraussetzung ist aber aus der Antwortnote der westlichen Demokratien nicht zu ersehen, und der englische Hochkommissar, Sir Ivon Kirkpatrick, hat ausdrücklich betont, daß der deutschen Regierung die Entscheidungsfreiheit darüber zustehen solle, ob sie in irgendwelchen Regionalverträgen im Sinne der Vereinten Nationen beharren wolle oder ob sie sie abzuschließen gedenke.
Wir sind, meine sehr geehrten Damen und Herren, durch den Inhalt der Antwortnote der westlichen Alliierten, der in enger Beratung mit der Bundesrepublik festgestellt wurde, in die erfreuliche Lage gekommen, daß die Sowjets einmal mehr genötigt sind, klar Farbe zu bekennen, ob sie freie Wahlen, ob sie die Freiheit vom zerstörerischen Kontrollratsystem, ob sie auch eine hinreichende außenpolitische Entscheidungsfreiheit in dem Sinne zugestehen wollen, daß Deutschland nicht nur der UNO, sondern auch Regionalpakten im Rahmen der Vereinten Nationen angehören kann. Kurz und gut, die Sowjets haben klar zu erklären, ob es ihnen mit der gesamtdeutschen Freiheit ernst ist oder aber ob ihnen nur an einer Freiheitsattrappe gelegen ist, hinter der das Vorstellungsbild einer deutschen Einheit in Unfreiheit und Zwang steht. An einer solchen Form der deutschen Einheit, die lediglich sowjetischen Vorstellungen entsprechen kann, haben wir und haben die 20 Millionen Deutscher in der Sowjetzone erst recht kein Interesse.
Die Noten der westlichen Demokratien entsprechen dem wohlverstandenen Lebensinteresse des deutschen Volkes an der Wiederherstellung der gesamtdeutschen Freiheit. Bis die Sowjets Klarheit bekennen, besteht kein Anlaß, die Politik der Eingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Völker und die Politik der Integration Europas aufzugeben oder zu unterbrechen. Sie sollte andererseits nicht forciert, sie sollte nur ruhig fortgesetzt werden. Die Sowjets haben jederzeit Gelegenheit, ihre Vorschläge klarzustellen und damit eine erneute ernsthafte Überprüfung der Lage durch Organe der Bundesrepublik und durch die westlichen Alliierten herbeizuführen. In diesem Sinne bitte ich Sie, der Entschließung der Regierungsparteien zuzustimmen.