Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Replik auf die Rede meines Freundes 011enhauer seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, daß überhaupt ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei sich an der Schaffung des Grundgesetzes mitbeteiligt habe, wenn dieses Grundgesetz wirklich nur ein politisches Gebilde habe schaffen sollen, daß nichts mehr tun konnte als die Schaffung provisorischer Situationen. So habe ich seine Rede wenigstens verstanden.
— Habe ich Sie mißverstanden?
— Ja, gut, dann bedauere ich, Sie mißverstanden zu haben. Aber ich glaube, daß ich doch noch zu Ihren Worten etwas ausführen muß. Der Grund, weswegen wir Sozialdemokraten uns an der Aufgabe beteiligt haben, das Grundgesetz und damit die Bundesrepublik zu schaffen, war, daß in dem Mandat, das der Parlamentarische Rat ausdrücklich erhielt, ausgesprochen war, es solle die Aufgabe der Bundesrepublik sein, nur „vorläufige organisatorische Maßnahmen" zu treffen.
In der Mantelnote, durch die am 10. Juli 1948 die deutschen Ministerpräsidenten es übernommen haben, die Londoner Entschließungen zu vollziehen, ist ausdrücklich gesagt worden, daß im Zuge der übernommenen Aufgabe keine definitiven Situationen geschaffen werden dürften.
Eine weitere Bemerkung: Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir Sozialdemokraten oder einige von uns hätten offensichtlich ein besonderes Vertrauen zu den Absichten der Sowjetregierung. Meine Damen und Herren, wir haben keinen Kinderglauben -in die ausschließliche. Güte der Absichten der Regierungen, die deutsches Land besetzt haben,
und am allerwenigsten haben wir Vertrauen in die Absichten der Sowjetregierung!
Ich habe mich zu einer weiteren Behauptung des Herrn Bundeskanzlers zu äußern. Mein Freund Ollenhauer hat gesagt: „Die vier Besatzungsmächte stehen uns in gleicher Wertung und Bedeutung gegenüber". Daraus wurde abgeleitet, Ollenhauer habe die moralische Gleichsetzung der vier Besatzungsmächte erklärt. Meine Damen und Herren, wir haben es den Amerikanern nicht vergessen, daß sie durch ihre Hilfe unser Volk vor dem Verhungern bewahrt haben.
Schon das schließt die gleiche moralische Bewertung der Regierung des amerikanischen Volkes mit der der Sowjetunion aus! Das ist doch etwas anderes als die Klärung der Frage, mit welchen Machtfaktoren man rechnen muß!
Und da hat doch mein Freund Ollenhauer nichts anderes sagen wollen als: wir brauchen alle vier Besatzungsmächte, wenn wir die Einheit Deutschlands herstellen wollen!
Insoweit sind alle vier in Gottes Namen in gleichem Maße als Machtfaktoren in unsere Rechnung einzusetzen und entsprechend zu bewerten.
Etwas anderes hat Herr Ollenhauer nicht sagen wollen und nicht gesagt. Ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler die Ausführungen Erich Ollenhauers anders verstanden hat, so
als habe er sagen wollen: Uns sind die Russen und ihre Taten gleich lieb wie die der Westmächte, und wir bewerten ihr Tun gleichermaßen wie das, was etwa die Amerikaner getan haben.
Was die Rede in Siegen betrifft, so stelle ich mit Freuden fest, daß sie in der Presse offensichtlich unrichtig wiedergegeben worden ist und daß der Herr Bundeskanzler mit seinen Ausführungen ausschließlich Ostdeutschland, also die Gebiete östlich von Oder und Neiße, gemeint hat. Wir verargen ihm das nicht nur nicht, sondern wir sind im Gegenteil der Meinung, daß es die Pflicht der Bundesregierung ist, alles zu tun, was die Wiedereinfügung dieser Gebiete ermöglichen kann. Nur meinen wir: Wenn man das will, dann muß man auch die Voraussetzungen dafür und gewisse Konsequenzen wollen.
Was die Ausführungen des Kollegen Euler anlangt, so glaube ich, daß es wenig Sinn hat, wenn wir uns hier über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit einzelner Maßnahmen und einzelner Ausführungen in den Noten streiten. Die Frage, die zur Entscheidung steht — das kommt in den beiden Antragsentwürfen klar zum Ausdruck —, ist, ob die Politik der Bundesregierung in ihrer Gesamtanlage eine Chance hat, das von ihr selbst erstrebte Ziel mit den Methoden zu erreichen, die die Bundesregierung zur Zeit anwendet. Das ist die Frage.
Der Herr Bundeskanzler hat uns erklärt — und der Bundestag hat ja schon längst entsprechende Beschlüsse gefaßt —, daß es das oberste Ziel einer jeden Außenpolitik der Bundesrepublik sein müsse, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu betreiben, nicht nur aus nationalen Gründen, die an und für sich ausreichen würden, um den Rang dieses Anliegens zu bestimmen, sondern auch aus internationalen Gründen, weil nur, wenn die Spaltung Deutschlands aufgehoben ist, überall in der Welt auf festem Grund wird gebaut werden können.
Damit aber sind gewisse Konsequenzen verbunden. Denn wenn man sagt, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit das vornehmste, das oberste oder das vordringlichste Ziel der deut- Außenpolitik sei, dann sagt man damit zugleich, daß demgegenüber andere Ziele sekundär sind oder daß sie nichts anderes sind als Mittel zur Erreichung eben dieses vornehmsten und vordringlichsten Zieles. Ich unterstelle, daß auch die Bundesregierung so denkt, und ich erlaube mir nun zu untersuchen, ob sie recht mit der Behauptung hat, daß ihre Politik die Verwirklichung dieses Satzes sei, oder ob sie sich dabei irrt. Die Konsequenz dieses Satzes ist doch, daß auf jeden Fall alles unterlassen werden müßte, was diesem vornehmsten Ziel zum Nachteil gereichen könnte. Ich möchte hier aber noch eines feststellen. In dem Beschlusse, den wir vor vielen Monaten gefaßt haben und in dem es heißt: „die Einheit Deutschlands in einem geeinten Europa" dürfen die Worte „in einem geeinten Europa" nicht als Einschränkung, auch nicht hinsichtlich der Frage der Vordringlichkeit der Aufgabe, Gesamtdeutschland zu schaffen, verstanden werden. Diese Einheit Deutschlands ist friedlich nur über ein Viermächteabkommen zu erreichen. Wir mögen bedauern, daß wir die Vier dazu brauchen; aber es ist nun einmal so. Und der Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden kann, kann nur über gesamtdeutsche Wahlen und die Schaffung
einer gesamtdeutschen, freien, in ihren Entschlüssen freien Regierung führen.
Wenn man das will, nun, dann muß man die Westmächte und die Russen dazu bringen, in gesamtdeutsche Wahlen einzuwilligen, und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese Wahlen freie Wahlen werden. Das heißt, man darf nicht nur das Interesse der einen Seite wecken, sondern man muß auch das der anderen Seite ansprechen.
Wenn man es für unmöglich hält, das Interesse auch der Sowjetunion anzusprechen, nun, meine Damen und Herren, dann ist die Konsequenz, daß man auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit verzichten muß, es sei denn, daß man sich zu der Hoffnung berechtigt hält, man könne durch das Verhalten des Westens die Russen zwingen, in die Vorschläge des Westens einzuwilligen.
Es gibt entweder die Möglichkeit, an das Interesse,
oder die Möglichkeit, an die Macht zu appellieren.
Man sagt uns: Wir müssen uns stark machen; stark werden wir nur durch Vollendung der Eingliederung Deutschlands in den Mechanismus des politischen Systems des Westens; diese setzt den Beitritt Deutschlands zu dem europäischen Verteidigungsabkommen voraus, also seine Einfügung in die politische Ordnung des atlantischen Systems oder eine Ordnung am Rande des atlantischen Systems — was doch nichts anderes bedeutet als die Übernahme der Verpflichtung, die Politik der Führungsmächte dieses Systems mit zu übernehmen.
Man glaubt also den Russen zumuten zu können, ihre Machtposition in Deutschland aufzugeben, und ihnen weiter zumuten, zu können, das zuzugeben, daß Mitteldeutschland — sein politisches, wirtschaftliches Potential — dem 'Machtpotential des atlantischen Blocks zugeschlagen wird, den die russische Regierung heute nun einmal als feindlich betrachtet. Das heißt doch wohl die Selbstlosigkeit der Russen und vielleicht auch ihre Angst vor einer Europaarmee überschätzen.
Aber man sagt uns dazu: Wenn wir den Westen durch unseren Beitritt zu diesem politischen System stark genug gemacht haben, dann kann der Westen mit den Russen in einer Sprache reden, die sie allein verstehen.
Nach der Auffassung vieler gehört dazu auch ein deutscher militärischer Beitrag an den Westen, weil er durch die Antwortnote der westlichen Alliierten zum mindesten offengehalten werden soll und weil er durch die Regierung betrieben wird und — wenn ich Ihre Resolution richtig verstanden habe — weiter betrieben werden soll bis zum Abschluß und zur Perfektion des Gewollten.
Was heißt es denn: gestützt auf diese Stärke eine Sprache sprechen, die der andere versteht? Bedeutet das — ich will es nicht hoffen und kann es auch nicht annehmen — die Möglichkeit der Drohung, von dieser militärischen Stärke Gebrauch zu machen, wenn der andere nicht hören will? Ich wiederhole: Ich glaube nicht, daß das die Absicht der Bundesregierung ist. Im übrigen stünde das ja nur zum ganz geringen Teil in ihrer Entscheidungsbefugnis ...
Ich glaube, daß hierüber andere Leute sehr viel mehr zu sagen haben würden als sie. Also ist es doch so, daß man eine militärische Stärke will, von der man entschlossen ist, in der politischen Offensive für die Einheit Deutschlands keinen Gebrauch zu machen. Was soll dann bei dieser politischen Offensive, die wir alle unternehmen wollen, diese militärische Stärke nützen?
Ein Instrument, von dem ich keinen Gebrauch machen will, ist doch genau so, als hätte ich es nicht. Das ist doch ein Messer ohne Heft und Klinge!
Man sagt doch jetzt: Wir müssen uns — auch militärisch — in den Westen integrieren, nicht nur und in erster Linie zu Verteidigungszwecken, sondern damit wir eine Machtgrundlage für eine politische Offensive zur Herstellung der Einheit Deutschlands haben. Ich glaube, daß in dieser Konzeption der Bundesregierung so viel Widerspruch steckt, daß ein Faktor den andern aufhebt, und ich möchte darauf hinweisen, daß die Stärke einer Verhandlungspartei auch auf andere Weise als durch Häufung militärischer Machtmittel gesteigert werden könnte.
Nun sagt man uns: Ohne den aktiven Beistand der Westmächte sind wir in dieser Sache nichts! Wir müssen unsere Politik betreiben, schon um die Westmächte zu veranlassen, einmal, uns als Partner zu betrachten, dann, den Schutz Deutschlands zu übernehmen, und schließlich, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu ihrer eigenen Politik zu machen.
Was nun die Partnerschaft anlangt, so scheint es mir, als rede man manchmal so davon, als ob die Westmächte die Absicht hätten, uns so brüderlich an sich heranzuziehen, wie wir gern unsere Brüder jenseits des Eisernen Vorhangs an uns heranziehen möchten. Ich glaube, daß das eine Verkennung dessen ist, was man im Westen unter Partnerschaft versteht. Wenn man die Reden in den dortigen Parlamenten und Äußerungen verantwortlicher Staatsmänner liest, scheint es doch eher so zu sein, daß man uns in das eigene politische System eingliedern will, um zu verhindern, daß das, was in Deutschland an politischem Potential steckt, dem östlichen Gegner zuwächst. Durchaus richtig für die anderen! Aber wir sollten sehen, daß das die Absicht ist, d. h. daß man uns haben will, daß man uns dabei haben will, soweit ein eigenes Interesse besteht und soweit sich das für den Westen politisch auszahlt.
Wir sind für ihn ein möglicher Zuwachs an Machtpotential, und er möchte diesen Zuwachs, Herr Hasemann, so billig als möglich haben. Wenn es anders wäre, müßte es den Westmächten leichter fallen, in die Normalisierung unseres politischen und juristischen Status zu willigen, als es ihnen offenbar heute noch fällt.
Das andere Argument: der Schutz nach außen. Ich möchte nicht, daß meine Ausführungen dazu etwa so verstanden werden, als insinuierte ich den Westmächten mangelnde Vertragstreue. Aber da steht doch die Frage vor uns: Wie werden Verträge auch von vertragstreuen Partnern ausgeführt,
Verträge, bei denen es um Leben und Tod geht? Doch immer nur unter dem Vorbehalt der Lebensinteressenklausel!
- Nein, Herr von Brentano; aber erlauben Sie mir, etwas zu der möglichen Tragweite einiger Bestimmungen gewisser Vertragsentwürfe zu sagen. — Sie sollen uns Schutz nach außen bringen: Die französische Kammer hat von dem französischen Außenminister hören können, daß etwaige Grenzzwischenfälle den Casus foederis nicht auslösen sollen. Wer wird darüber entscheiden, was ein Grenzzwischenfall ist und was ein Angriff ist? Ich weise hier nur auf Berlin hin.
Bei einer eventuellen Vollinvasion Deutschlands geht aber sowieso der dritte Weltkrieg los, denn die Westmächte, die vielleicht einmal die Russen als Verbündete gerne mochten, wollen sie als Nachbarn nicht haben! Ich glaube nicht, daß eine Klausel im Generalvertrag uns eine zusätzliche Sicherheit bringen kann; denn es wird nichts anderes geschehen, als was sich aus der Notwendigkeit der Situation — unter Berücksichtigung der Lebensinteressen unserer Nachbarn — ergeben wird. Wir sollen doch nicht vergessen — Herr Ollenhauer hat darauf hingewiesen —, daß einige dieser Mächte noch gewisse Verträge mit den Russen haben, auch militärische Bündnisverträge. Es wird noch die Frage sein — und sie werden sie entscheiden —, nach welchen 'Gesichtspunkten sie das Verhältnis dieser Verträge zueinander und damit ihre Rangordnung bestimmen werden. Eine Chance, effektiv verteidigt zu werden, haben wir nur, wenn die Westmächte sich in Deutschland selber angegriffen fühlen und darum ein eigenes Interesse daran haben, einer russischen Invasion Deutschlands entgegenzutreten. Da können Verträge nicht sehr viel hinzubringen.
Eine weitere Verpflichtung unserer Partner sollte sein, die Einheit Deutschlands zu betreiben. Das Problem der Herstellung der Einheit Deutschlands ist unteilbar in Ost und West, und da möchte ich mich dagegen verwahren, daß man etwa das Saargebiet als einen anders zu wertenden Sonderfall betrachtet. Wenn man von Herstellung der Einheit Deutschlands spricht, dann meinen wir, hoffe ich, alle miteinander den Osten und den Westen.
Wir wissen aber, wie die Franzosen darüber denken. Erst gestern oder vorgestern hat der französische Außenminister vor dem Senat darüber gesprochen. Er hat dort gesagt, daß sich für die französische Politik nichts geändert habe: es bleibe beim Status quo als dem Ziel der französischen Politik. Was werden Leute, die dort, wo das Problem sie selber betrifft, zur Frage der deutschen Einheit so stehen, für die Herstellung der deutschen Einheit im Osten viel tun? Sie müßten dann schon ihre klassische Politik aufgegeben haben! Und wenn man sogar dort gewichtige Stimmen sagen hört, man fühle sich auch dadurch bedroht, daß einmal 67 statt 48 Millionen Deutscher Verbündete werden könnten, denn diese könnten durch ihr numerisches Obergewicht die Koalition beherrschen —, nun, meine Damen und Herren, dann weiß ich nicht recht, worauf Sie Ihre Hoffnung gründen, daß von allen drei Westmächten wirk-
liche Aktivität zur Herstellung eines Zustandes entwickelt werden könnte, den eine mindestens glaubt fürchten zu müssen.
Nun sagt man uns: Gerade weil es so ist, müßten wir in diese Organisation hineingehen, damit wir dort auf das Tempo drücken könnten und unsere Ziele zu verfechten und Initiativen auszulösen vermöchten. Gut; das ist ohne Frage eine Chance. Aber sie hat auch eine böse Kehrseite: Fesselt denn die Klausel, daß die Einigungspolitik von allen Westmächten gemeinsam betrieben werden muß, uns nicht bei unseren möglichen Initiativen an den guten Willen der anderen? Macht es uns diese Klausel nicht unmöglich, selbständig Initiativen zu ergreifen und dies dann, wenn wir sie für nützlich halten? Es braucht doch nur eine Macht nein zu sagen, um ,uns schon rechtlich daran zu hindern, eine Initiative zu ergreifen, wenn sie ihr nicht gelegen kommt. Es ist doch noch immer so gewesen, daß das Tempo der Reise durch das langsamste Pferd bestimmt wird. Auch hier wird das eigene Interesse der Alliierten und nicht eine doch recht vage Bestimmung des Generalvertrags bestimmen, was geschieht. Dieses Interesse wird aber nicht etwa durch den Generalvertrag begründet, sondern es wird in der Sache selbst liegen oder nicht vorhanden sein. Und ich will nicht einmal davon sprechen, was es bedeuten könnte, daß ja die Alliierten wechselseitig Verpflichtungen eingegangen sind, bei den Friedensverhandlungen dem einen oder dem anderen von ihnen ein Stück deutschen Gebietes zu verschaffen. Es mag sein, daß diese Abmachungen heute nicht mehr das Gewicht haben, das sie gestern sicher hatten. Aber immerhin: sie bestehen noch, und gelegentlich beruft man sich doch noch darauf, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.
Ich bitte, auch hier keinem Mißverständnis zu unterliegen! Es ist natürlich eine gute Sache, daß in Verträgen von der Herstellung der Einheit Deutschlands gesprochen wird. Dies hat zumindest die Wirkung einer Vormerkung im Grundbuch, wenn ich so sagen darf. Aber entscheidend ist doch nicht das, sondern die praktische Tragweite einer solchen Formel; und da ist doch die Frage erlaubt, ob es sich denn wirklich lohnt, um einer solchen Formel willen das Risiko zu übernehmen, daß Viermächteverhandlungen erschwert oder unwahrscheinlich werden.
Durch eine Vertragsbestimmung, wonach die Westmächte die Verpflichtung übernehmen, die Herstellung der deutschen Einheit zum Gegenstand ihrer Politik zu machen, wird praktisch nichts erreicht, was nicht schon durch die Tatsachen und die Interessen der anderen Staaten selbst hervorgebracht wird. Manchmal habe ich den Eindruck, als sprächen gewisse Leute von solchen Klauseln, als handle es sich dabei um klagbare Ansprüche! Was ist da zu tun, fragt man sich. Ich will völlig dahingestellt sein lassen, ob die Außenpolitik der Bundesregierung in ihren einzelnen Zielen richtig ist oder nicht. Sie hat Tatsachen geschaffen, die heute wirksam sind, und auf Grund dieser Tatsachen muß man operieren. Da bleibt mir nicht sehr viel anderes übrig, als von den Methoden zu sprechen, nach denen das vornehmste politische Ziel der Bundesrepublik auf Grund der Lage, wie sie nun einmal geworden ist, erreicht werden kann.
Wenn man die Russen an den Verhandlungstisch bringen will, wenn man nicht ein russisches Nein geradezu provozieren will, dann muß man ihnen ein Interesse offen lassen. Man muß Verhältnisse
schaffen, die ihnen erlauben, unter bestimmten Umständen den Nachteil oder scheinbaren Nachteil der Aufgabe Mitteldeutschlands durch allgemeinpolitische Vorteile für kompensierbar zu halten.
Welches können diese Verhältnisse sein? — Herr Hasemann, ich komme jetzt darauf!
— Nein!
— Nein, Herr Kiesinger; vielleicht reden wir ein andermal darüber.
— Ich glaube, Sie werden dann nicht so leichtfertig mit Ihren Insinuationen sein.
Welches können diese Verhältnisse sein? Tatsachen, die die Chance geben, daß die Möglichkeit für universelle Verhandlungen offenbleibt, Verhandlungen, bei denen auch andere Dinge geregelt werden können, als jene, die sich heute in Deutschland begeben. Nur wenn ein echter Verhandlungsstoff da ist, haben doch Viermächteverhandlungen Aussicht auf einen greifbaren Erfolg! Sollte sich dann zeigen, daß die Möglichkeit solcher Verhandlungen den Russen nicht als ausreichende Kompensation erscheint, nun, dann werden wir wenigstens wissen, woran wir sind, und dann werden wir unsere Entschlüsse von anderen Grundlagen aus fassen müssen, als wir das heute könnten. Das wird bitter sein; aber wir werden dann wenigstens auf festem Grund stehen und uns nicht mehr den Vorwurf zu machen brauchen, wir hätten nicht jede Möglichkeit, zu einem besseren Ende zu kommen, erschöpft!
Diese Chance wird weggenommen sein, wenn erst einmal endgültige Tatsachen geschaffen sein werden. Die Unterzeichnung der jetzt ausgehandelten Verträge würde solche endgültigen Tatsachen schaffen und damit die Chancen für die Viermächteverhandlungen zerstören. Darum dürfen diese Verträge so lange nicht unterzeichnet werden, als die letzten Möglichkeiten, zu Viermächteverhandlungen zu kommen, nicht erschöpft sind.
Man hat uns gesagt, daß nur auf Grund der bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen mit den Westmächten,
daß nur auf Grund des drohenden Abschlusses dieser Integrationsverhandlungen die Russen dazu gebracht worden seien, ihr Angebot zu machen.
— Gesetzt den Fall, Herr Hasemann, Sie hätten recht, — gibt es da nicht einen Unterschied zu beachten? Die Grenzlinie, die den Zustand v o r der Unterzeichnung von dem n ach der Unterzeichnung trennt, scheidet doch auch die Richtung, in der sich ein Interesse entwickeln könnte. Solange noch nicht unterschrieben ist, mag ein russisches Interesse an Verhandlungen sehr lebendig sein; ist einmal unterschrieben, dann haben sie kein Interesse mehr. Sie könnten dann ja nicht mehr tun als die Politik der Gegenseite akzeptieren oder für das Rückgängigmachen ihrer Erfolge einen sehr, sehr hohen Preis zu bezahlen. Diesen hohen
Preis werden die Russen nicht bezahlen; so weit sind sie noch nicht, und ich sehe nicht, wann es einmal so weit kommen könnte. Da ist es für die Russen viel einfacher, sich im Osten politisch zu verschanzen. Die Folge davon würde aber sein, daß sich die zwei Blöcke fortan in einer Art von gepanzerten Fronten gegenüberstehen. Jeder hätte dann vorläufig zu eigen, was er heute im Besitze hat. Es bestünde keine Notwendigkeit mehr, sich zu einigen, um zu verhindern, daß dem andern zuwächst, was man heute noch für sich nutzen kann.
Die Alternative Ostblock—Westblock ist doch zu einfach! Ebenso wie die Behauptung, es gebe als einzige weitere Alternative die Neutralisierung. Sie wissen doch, daß wir das für keine Möglichkeit halten. Es ist schlechthin unmöglich — schon vom Technischen her —, ein Land wie Deutschland zu neutralisieren. Das ginge doch nur über eine Art von Kontrollrat, — und was die bewaffnete Neutralität anbetrifft, — meine Damen und Herren, das ist doch bei einem Volk in der Lage des deutschen ein Unsinn!
— Warten Sie noch ein wenig, Herr Kunze, ich werde versuchen, es Ihnen genau zu sagen!
Gibt es denn wirklich nur diese drei Möglichkeiten? Man hat von Schweden und Indien gesprochen, von zwei Mächten, die sich doch weiß Gott für den Westen entschieden haben und trotzdem nicht in das politische System eingetreten sind, das man das atlantische System nennen könnte. Ich halte solche Analogien nicht für zulässig. Deutschland liegt anderswo als Schweden und Indien.
Man kann nicht einfach übertragen, was anderswo geschaffen wurde; denn es besteht keine Identität der Situation. Deutschland hat eine Sonderstellung.
Aber ist es denn ganz unmöglich, eine dieser deutschen Situation angemessene Sonderlösung zu finden?
Andere Staaten verlangen doch auch, daß man ihre besondere Situation berücksichtigt,
und man nimmt das den Briten, den Franzosen und anderen nicht übel. Warum sollen nicht auch wir darauf bestehen können, daß eine Regelung angestrebt werde, die unserer besonderen Situation angemessen ist?
Das erfordert zunächst eines, Herr Kollege Hasemann:
Der Status Deutschlands — der rechtliche und der politische — kann nicht schon v o r Beginn der Verhandlungen bestimmt werden, nicht durch Vereinbarungen und nicht durch die Schaffung unabänderlicher Tatsachen. Der Status Gesamtdeutschlands muß das Ergebnis dieser Verhandlungen sein, und bei diesen Verhandlungen werden wir dabei sein müssen. Diese Verhandlungen, deren erste Etappe zu gesamtdeutschen Wahlen führen muß, bekommen wir nur, wenn wir den Russen nicht die Chance nehmen, daß durch
die angestrebten Endverhandlungen etwas geschaffen werden könnte,
das auch in ihrem Interesse liegt. Da meine ich nicht, Herr von Rechenberg, die sogenannten kommunistischen Vorbehalte in der russischen Note.
Wenn wir, nachdem gemeindeutsche Wahlen stattgefunden haben, mit diesen Dingen nicht fertig werden, dann weiß ich nicht, womit wir sonst fertig werden sollten.
Verhandlungen über die Herstellung der deutschen Einheit setzen voraus, daß Ost und West bereit sind, das Risiko der Unbestimmtheit des Verhandlungsergebnisses auf sich zu nehmen. Wollen sie das nicht, nun, dann gäbe es doch nur die Unterwerfung des einen Teiles unter die Politik des andern — und keiner ist stark genug dafür, noch wird er in absehbarer Zeit stark genug dafür sein. Geht man mit dieser Fragestellung in die Verhandlungen, wird man feststellen können, wie ernst es den Russen mit ihren Angeboten ist. Willigen sie in gesamtdeutsche Wahlen nur ein, wenn vorher schon das Ergebnis der nachfolgenden Verhandlungen garantiert wird, dann werden wir wissen — endgültig und mit allen Konsequenzen wissen —, daß es ihnen auf eine wirkliche Ordnung der Probleme nicht ankommt. Willigen sie aber in solche Verhandlungen ein, ohne vorher Garantien für ein bestimmtes Ergebnis der materiellen Verhandlungen zu verlangen, dann — n u r dann! — können wir davon ausgehen, daß es ihnen mit ihrer angeblichen Absicht ernst ist, das zur Wiederherstellung der deutschen Einheit Erforderliche zu tun. Eine solche Vereinbarung aber kann nur auf der Grundlage einer Verständigung der beteiligten Staaten über die Gesamtheit der Faktoren, die die Welt bisher in zwei Hälften auseinandergerissen haben, erfolgen.
Wenn Sie eine solche Möglichkeit für ausgeschlossen halten — vielleicht haben Sie recht, wenn Sie das tun,
aber ich weigere mich, Ihnen heute schon darin zu folgen —, dann sehe ich nicht mehr sehr viel Hoffnung für unsern Kontinent, Herr von Rechenberg.
Müssen wir uns, wenn Sie recht haben sollten, denn nicht dann darauf einrichten, daß man sich wieder eingraben wird,
in einen schrecklichen Grabenkrieg der Politik eingraben wird?
Müssen wir uns dann nicht politisch darauf einrichten, miteinander nur noch über Kimme und Korn zu verkehren?
Wohin wird ein solcher Zustand führen? — Ich
meine das nicht militärisch, Herr Kunze; ich meine es politisch. —
Wenn es eine Verpflichtung für uns alle gibt, dann ist es doch die, zu verhindern, daß es zu diesem politischen Stellungskrieg kommt, und alles zu tun, was imstande sein könnte, das Gespräch in Gang zu bringen und in Gang zu halten, bis die Lösung gefunden ist, die nur am Ende der Verhandlungen — am E n d e der Verhandlungen! — wird gefunden werden können.
Haben sich einmal die beiden Blöcke endgültig konstituiert, hat sich jeder endgültig in den Besitz seiner Erdhälfte gesetzt, haben sich Ost und West auf dem Gebiet Deutschlands endgültig geschieden
— und das geschieht, fürchte ich, wenn man vor einer Einigung Deutschlands die Bundesrepublik endgültig zu einem politischen Bestandteil des politischen Systems des Westens macht —, dann allerdings sehe ich wenig Wahrscheinlichkeit mehr dafür, daß noch eine Verständigung der beiden Gewaltigen über ihr wechselseitiges Verhältnis in bezug auf sich und in bezug auf dritte Staaten erfolgen könnte, bei der Deutschland nicht schließlich doch das Opfer sein würde; und wenn ich sage: Deutschland, dann meine ich die Deutschen drüben hinter dem Eisernen Vorhang, ohne die wir nicht Deutschland sind.