Rede von
Dr.
Robert
Tillmanns
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns nach diesem ferngeschriebenen und vorgelesenen Monolog die Diskussion fortsetzen.
Zu diesem Monolog selber habe ich nichts zu sagen,
am allerwenigsten zu dem Appell an die Sozialdemokratie, mit dem er geschlossen hat. Aber zu einem habe ich etwas zu sagen, nämlich dazu, daß unser gemeinsames Einstehen für das deutsche Land im Osten hier als Hetze gegen die OderNeiße-Grenze bezeichnet worden ist. Das verbitten wir uns schlechthin.
Also zur Weiterführung der Diskussion. Ich stimme Herrn Kollegen Wehner zu, daß in dem Viermächtegespräch nichts getan werden solle, was die Türen zuschlage. Ich stelle nur die Frage: wo ist das geschehen? Auf keinen Fall in der Note der Westalliierten vom 25. März. Das behauptet nicht einmal die Sowjetregierung, ja nicht einmal Herr Reimann. Von dort ist lediglich gesagt worden, man erschwere die Dinge oder man gehe ihnen aus dem Wege. Die Note der Westmächte bedeutet doch nichts anderes, als daß, nachdem die Sowjetunion in ihrer Note vom 10. März ihre Position bezogen hat, nun die Gegenposition klargestellt worden ist, und zwar in einer Art und Weise, die die Weiterführung der Diskussion in keiner Weise abschneidet, sondern geradezu die Voraussetzung dafür schafft. Herr Kollege Wehner, es ist in der Note der drei Westalliierten weder von der Funktion der UN-Kommission als einer Voraussetzung gesprochen, noch ist irgendein anderes Verlangen als schlechthin unabdingbar hingestellt worden. Wir können nur dankbar dafür sein, daß die Position in der Frage gesamtdeutscher freier Wahlen
und der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und ihrer innen- und außenpolitischen Selbständigkeit so klargestellt worden ist. Daß bezüglich der Ostgrenze in der Antwortnote daran erinnert ist, daß diese im Potsdamer Abkommen nicht festgelegt sei, ist nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit.
Es erscheint mir wenig sinnvoll, jetzt auf Grund dieses Notenwechsels eine Diskussion über die Frage zu führen, was nun eigentlich das Primäre ist: die Wiedervereinigung Deutschlands oder der Zusammenschluß Europas. Das ist ja doch eigentlich zum Hauptthema der heutigen Diskussion gemacht worden, und es ist dabei so hingestellt worden, als sei die Europapolitik, die wir bisher geführt haben, ein Hindernis für die Wiedervereinigung Deutschlands. Der Beweis dafür, daß in dieser Politik ein Hindernis liege, ist in keiner Weise erbracht worden.
Die Einigung Europas — darüber waren wir uns bisher einig — ist eine weitgehend eigenständige Entwicklung, die sich seit Jahrzehnten vorbereitet hat und sich nach diesem Kriege und seinem unseligen Ende sämtlichen europäischen Völkern geradezu aufdrängt. Sie wäre auf jeden Fall ge-. kommen, und diese Bewegung zur Vereinigung der europäischen Völker wird auf jeden Fall weitergehen,
Ich stimme andererseits Herrn Kollegen 011enhauer durchaus zu, wenn er heute festgestellt hat, daß die Eingliederung Deutschlands in den Westen die Chance der Wiedervereinigung Deutschlands nicht vermindern dürfe. Nur, wenn Herr Ollenhauer weiter gesagt hat: Also dürfen keine weiteren Tatsachen geschaffen werden, so frage ich: glauben Sie denn, daß das Aufgeben unserer Europapolitik, d. h. ein Abweichen von dieser Politik des Zusammenschlusses der europäischen Völker die Chance der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erhöhen würde?
Ein solcher Weg würde doch die Abwendung Deutschlands von den westlichen Völkern mit sich bringen. Mir scheint, das ist genau das, was die Sowjetunion will.
Wenn behauptet wird, die Sowjets seien wahrscheinlich bereit, die Sowjetzone Deutschlands als eine Art Preis dafür freizugeben, daß wir uns nicht an einer westlichen Integration bzw. an einer Verteidigungsgemeinschaft beteiligten, und wenn in diesem Zusammenhang Herr Kollege Schmid von Kompensationen gesprochen hat, so kann, ich nur eine Frage stellen: Für was sollen denn die Sowjets solche Kompensationen zahlen? Für die Preisgabe einer Verteidigungsgemeinschaft, die wir selber nicht wollen, die von deutschen Parteien selbst bekämpft wird? Für die Preisgabe einer Verteidigungsgemeinschaft, über die sich Franzosen und Deutsche nicht einig werden können, die nicht zustande kommt, weil noch Dinge wie die Saar zwischen uns stehen? Solange wir selber uns anstrengen, diese Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande kommen zu lassen, wozu sollen denn die Sowjets einen Preis dafür zahlen?
Es kann doch nur eine logische Konsequenz aus dieser Situation geben, nämlich es durch die konsequente Fortführung der Europapolitik und einer Politik des Zusammenschlusses Europas es dahin zu bringen, daß eines Tages ein echtes Gespräch auf der Ebene der vier Mächte möglich wird. Noch ist die Situation nicht so weit. Ich glaube, das, was wir vorhin von Herrn Reimann gehört haben, hat das allen klargemacht.
Noch gibt es keine Anzeichen dafür, daß man auf der östlichen Seite wirklich bereit ist, ein Gesamtdeutschland in wirklicher innen- und außenpolitischer Entscheidungsfreiheit als demokratischen Rechtsstaat zustande kommen zu lassen. Erst vor einigen Tagen hat auf einer Konferenz von SED-Journalisten, die in Berlin stattgefunden hat, Herr Rudolf Herrnstadt auf die Frage, was man denn tun müsse, wenn in einem wiedervereinigten Deutschland reaktionäre Kräfte die Oberhand gewönnen - wir sind alle, die wir in diesem Hause sitzen, mit Ausnahme der Kommunisten „reaktionäre Kräfte" —, geantwortet: „In diesem Fall wird die deutsche Arbeiterklasse genau so wie die Arbeiter in der Tschechoslowakai handeln!". Schließlich ist dort gesagt worden: „Im übrigen ist diese Fragestellung falsch, denn in einem einheitlichen Deutschland werden wir die reaktionären Kräfte gar nicht erst in die Verlegenheit kommen lassen, zum Zuge zu kommen." Meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit, mit der wir es gégenwärtig zu tun haben,
und es kann sich doch nur darum handeln — und das ist der Sinn der Antwortnote der westlichen Alliierten —, klarzustellen, daß eine solche Lösung nicht in Frage kommt.
Die erste Note der Sowjetunion - das wurde schon gesagt — ist wahrhaftig nicht das Gesamtausmaß von Zugeständnissen, die vielleicht eines Tages zu erreichen sind, sondern, wenn überhaupt, nur ein ganz kleiner Bruchteil. Und Neutralisierung — das wurde hier heute gesagt — wird auch von der Sozialdemokratischen Partei abgelehnt. Aber ich frage Sie: Wenn Sie das ablehnen, welche Möglichkeit gibt es dann überhaupt — da wir alle die bolschewistische Lösung ablehnen — zwischen einer Neutralisierung und einem Zusammengehen mit der westlichen Welt? Herr Professor Schmid hat heute gesagt: Ja, es gibt etwas dazwischen!, und er hat es formuliert, wenn ich ihn richtig verstanden habe, als den Mut, die Unbestimmtheit des Verhandlungsergebnisses in Kauf zu nehmen. Haben Sie den Eindruck, daß der Bolschewismus bereit ist, Unbestimmtheit irgendeines Verhandlungsergebnisses in Kauf zu nehmen? Mir scheint, das Gegenteil ist der Fall. Im übrigen können wir nur nach klaren Konzeptionen Politik machen.
Sie weisen darauf hin, daß auch bei den Westmächten hier und da Widerstände gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands vorhanden seien.
Herr Kollege Ollenhauer hat darauf hingewiesen, daß sogar vertragliche Bindungen beständen, die hier unter Umständen Schwierigkeiten bereiten könnten. Aber ich stelle die Frage: Glauben Sie denn, daß, wenn es zwischen der Deutschen Bundesrepublik und den westlichen Staaten zu einer Lockerung, zu einer Distanzierung, ja sogar zu einer Abänderung der politischen Situation käme, daß dann etwa diese Widerstände gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands beseitigt werden könnten? Mir scheint, dann werden sie erst recht stark werden. Und das haben wir doch hier alle gemeinsam festgestellt: Ohne daß es zu einer wirklichen Viermächtevereinbarung kommt, ist überhaupt eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich.
Andererseits möchte ich mit aller Bestimmtheit sagen: Europa darf nicht etwa um den Preis eines Verzichts auf die deutsche Wiedervereinigung zusammengebracht werden. Aber das verlangt auch niemand. Das ist von niemanden in irgendeiner Weise erklärt worden. Es ist in der Antwortnote vom 25. März sogar ausdrücklich erklärt, daß diese Wiedervereinigung das gemeinsame Ziel ist. Dasselbe sagt der Generalvertrag.
Solange die Situation so ist, ist die Politik des Zusammènschlusses Europas und die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt keine Alternative, überhaupt kein „Entweder-Oder", sondern nur ein „Sowohl als auch".
Beide bedingen sich gegenseitig und beide fördern sich gegenseitig, und, Herr Kollege Wehner, kein Mensch weiß, was zeitlich an die erste Stelle kommt. Wir können heute nur eines tun, nämlich beides in dem Sinne, daß es sich gegenseitig bedingt, vorwärtszutreiben, wenn wir wirklich zu einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kommen wollen. Wir haben nur eine Aussicht auf Einheit und Freiheit, nämlich wenn die Hoffnung der Sowjets auf das Auseinanderbrechen Europas und der westlichen Welt sich nicht erfüllt. Auf diese Entwicklung spekulieren sie doch dauernd. Und, Herr Kollege Schmid, es ist nicht der Sinn der Europapolitik, uns stark zu machen, sondern der Sinn dieser Europapolitik ist, daß dadurch daß die westlichen Völker, daß die europäischen Völker mit den Atlantikmächten sich politisch, wirtschaftlich und auch verteidigungsmäßig zu einer großen Gemeinschaft zusammenschließen, den Sowjets gezeigt wird, daß ihre Hoffnung, sie könnten Europa und Deutschland mit politischen Mitteln eines Tages doch noch in die Hand bekommen, irrig ist. Das ist der Sinn unserer Politik, und nur so kann die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit verwirklicht werden.
Andererseits ist es die Aufgabe der Bundesregierung — ich sage das noch einmal —, dafür zu sorgen, daß jede Chance eines echten Gesprächs genutzt wird. Wir wollen nichts Provokatives gegen die Sowjetunion.
Wir haben gegenüber der Sowjetunion nur ein einziges Anliegen: daß sie das deutsche Volk in Freiheit
und in Selbständigkeit seine politische Ordnung bauen läßt.
— Nein, die haben wir bis heute nicht!
Meine Damen und Herren, ich sage das gerade in Erwiderung auf die verschiedenen Behauptungen, die heute aufgestellt worden sind, wir oder die Bundesregierung dächten an irgendeine weitreichende Ostpolitik, die uns nicht zustehe. Der Herr Bundeskanzler hat dazu schon das Nötige gesagt.
Er hat gesagt, was er wirklich gemeint hat. (Abg. Rische: Und was schreibt die „Neue Zeitung"? — Abg. Renner: Neuordnung
Osteuropa!)
Im übrigen stelle ich hier die Frage: Ist es denn wirklich verboten, wenn wir in der politischen Diskussion von heute darauf hinweisen,
daß das freie Europa von heute nur ein Teil Europas ist?
Ist es verboten, darauf hinzuweisen?
Auf dem eben von mir zitierten Kongreß der Sozialistischen Europa- Bewegung in Frankfurt hat der Regierende Bürgermeister Reuter gesagt, solange das sowjetische System der Unterdrückung lebendig sei, könne die Einigung der Völker Europas nicht endgültig sein; erst wenn es möglich sein werde, daß sich eines Tages freie Deutsche mit freien Polen und freien Tschechen an einen Tisch setzen, dann würden sich die Probleme der Völker Europas ohne weiteres lösen. Ich frage: Wenn das Herr Bürgermeister Reuter sagt, warum ist es dann anderen deutschen Politikern verboten?
Warum wird denn hier plötzlich so getan, als bedeutete das ein neues politisches Programm? Daran denkt niemand.
— Es handelt sich doch nur darum, daß hier Selbstverständlichkeiten ausgesprochen werden.
Ich zitiere noch einmal die Entschließung des Hamburger Europa-Kongresses. In dieser Entschließung heißt es: „Die europäische Gemeinschaft muß bestrebt sein, das ganze Europa zu umgreifen, einschließlich der Länder, die zur Zeit ihrer demokratischen Freiheiten beraubt sind."
Ich habe nicht gehört, daß irgend jemand gegen diese Entschließung der Europäischen Bewegung die Vorwürfe erhoben hat, die heute hier erhoben worden sind.
Ich sage noch einmal: wir wollen nichts als die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und die Schaffung eines Zustandes, in dem Deutschland nach seinem Wesen, seiner Geschichte und seiner Kultur seine politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung bestimmen kann.
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben auf die Ausführungen des Kanzlers, daß heute keine Kriegsgefahr bestehe, weder vom Westen noch vom Osten her, ungefähr so geantwortet: Warum denn dann überhaupt Verteidigung? Lassen Sie mich darauf kurz antworten. Der Grund ist allein der: Damit die heutige Situation, bei der der Schutz der gesamten westlichen Welt über Europa steht, auf eine Reihe von Jahren aufrechterhalten wird. Es geht darum, daß diese Situation, bei der die Sowjetunion weiß, daß jeder Schritt zur Gewalt unmöglich ist, weil er zum Krieg mit der gesamten übrigen Welt führen würde, daß diese Situation, die eine große Anstrengung der übrigen Mächte, vor allen Dingen Amerikas, bedeutet, auf eine Reihe von Jahren klar und eindeutig bestehen bleibt. Das geht eben auf die Dauer nur, wenn sich die europäischen Völker als Partner an dieser großen gemeinsamen Aufgabe beteiligen. Es geht also nur um den Frieden. Es ist einfach Lüge, wenn behauptet wird, irgend jemand denke an
Eroberungspolitik. Wir wären dem Ziel der Sicherung des Friedens, der Einheit und der Freiheit unseres Volkes schon näher, wenn über diese Fragen unter uns selbst nicht soviel Uneinigkeit, soviel Zwietracht und soviel Unsicherheit vorhanden wäre. Was wir bisher erreicht haben .— und die Note der Sowjetregierung vom 10. März war, wie mein Freund von Brentano richtig gesagt hat, ein großer Erfolg —, haben wir durch die Einmütigkeit aller großen Parteien dieses Bundestages in der Politik der Wiedervereinigung Deutschlands ,erreicht. Mir scheint, es ist nahezu eine Schicksalsfrage der Nation, ob es uns gelingt, diese Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten.