Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Eichler!
Eichler , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Bundestag hat sich schon sehr oft — und wir glauben, viel zu oft — in der peinlichen Lage befunden, die Bundesregierung fragen zu müssen, was sie zu tun gedenke, ihre Minister oder ihre Beamten daran zu gewöhnen, daß auch sie sich bei öffentlichem Auftreten mindestens wie jeder Staatsbürger im Rahmen des Erträglichen und des politisch Verantwortbaren zu halten hätten. In monotoner Weise spielte sich vor unseren Ohren und Augen hier immer der gleiche Vorgang ab: Zunächst hatten alle Leute den Redner falsch verstanden, hatten ihm böswillig etwas in den Mund gelegt, was er gar nicht gesagt hatte. Dann, wenn es schließlich gar nichts mehr zu leugnen gab, hatte er es völlig anders gemeint, als er es gesagt hatte. Wir müssen deshalb sehr offen und sehr deutlich erklären, daß wir nicht nur gegen den Inhalt solcher Reden, sondern vor allen Dingen gegen Form und Art solcher Ausreden hier zu protestieren haben.
Wenn schon jemand als Minister oder hoher Beamter das öffentliche Reden nicht sein lassen kann', dann verlangen wir, daß er wenigstens zu seinen Worten steht; denn das halten wir für eine der vornehmsten demokratischen Tugenden.
Wer sie nicht besitzt, darf sich nicht wundern, wenn man sich mit ihm schließlich nicht mehr über eine echte Meinungsverschiedenheit in demokratischer Weise auseinandersetzen und sie ausfechten kann.
Der Fall, der den Gegenstand unserer Großen Anfrage bildet, die Sie in Drucksache Nr. 3203 vorfinden, ist unserer Meinung nach der peinlichste und beschämendste,
obwohl man sich bei der Leistungsfähigkeit unserer Regierung auf diesem Gebiet hüten sollte, voreilig zu Superlativen zu greifen.
Aber wir möchten allen Ernstes betonen: wir betrachten die mit der Reise des Staatssekretärs Hallstein nach Amerika zusammenhängenden Geschehnisse nicht für eine Art von gefundenem Fressen für die Opposition,
Deutscher Bundestag - 204. Sitzurig. Bonn, den 3. und 4. April 1952 810
sondern wir sind beschämt und traurig, weil unsere Vertretung nach außen hier so über alle Maßen schief gehandhabt worden ist.
Davon kann niemand Nutzen haben, auch nicht die Opposition.
Am 25, Februar bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amts einem Vertreter der „United Press": „Der Staatssekretär Professor Hallstein reist in der zweiten Märzhälfte zu einem mehrtägigen Besuch in die Hauptstadt der Vereinigten Staaten und wird bei dieser Gelegenheit in der Georgetown-Universität Vorträge über den Schumanplan und die Integration Europas halten." Es wurde aber betont, der Staatssekretär reise nicht als Vertreter der Bundesregierung, sondern in seiner Eigenschaft als Professor.
„Hier stock' ich schon", sagen wir mit Faust; denn die Themen der Vorträge zeigten klar, daß, ob als Professor oder als Staatssekretär, Herr Hallstein über hochwichtige politische Dinge reden würde. In der Tat wurde weiter gemeldet, daß Herr Hallstein vielleicht auch mit dem amerikanischen Außenminister Dean Acheson und hohen Beamten des State Department zusammenkommen werde. Schließlich sollte Herr Hallstein in Amerika die Botschafter der Schumanplan-Länder und die Vorsitzenden der außenpolitischen Ausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses treffen, die der deutsche Geschäftsträger ihm zu Ehren zum Diner eingeladen hatte. Die Reise kann also kaum als eine private gedacht gewesen sein. Bleibt die Frage: warum mußte der Herr Hallstein sich als Professor verkleiden? —
und: hat er seine Reden und Presseäußerungen im Auftrage der Regierung oder ohne ihr Wissen gehalten?
Diese Frage ist entscheidend für die Wirkung der staatssekretarialen außenpolitischen Entwicklung seiner Großraumpläne, die er in Amerika entwickelte.
Zunächst erklärte Herr Hallstein, kaum in Amerika angekommen, die gerade erschienene sowjetische Note über einen deutschen Friedensvertrag als „absolut bedeutungslos".
Hat er diese wegwerfende Bemerkung im Einverständnis mit seiner Regierung gemacht, oder war er von vornherein sicher, daß er darin mit ihr übereinstimmte? Wenn die Bundesregierung diese Bemerkung nicht billigte, — hat sie irgend etwas getan, um den Redefluß des Herrn Hallstein einzudämmen oder sich von ihm zu distanzieren?
Wenn sie nichts unmittelbar unternommen hat, dann muß allerdings zugegeben werden, daß Herr Hallstein etwas in Verwirrung geraten konnte, wenn er nur die ersten Äußerungen amtlicher deutscher Stellen zu Gesicht bekam. Denn am gleichen Tag sprach auf einer Pressekonferenz in Bonn der Bundespressechef Herr von Eckardt über die sowjetische Note. Er betonte zwar, daß er die Note noch nicht sorgfältig habe studieren können, — was ihm niemand zum Vorwurf gemacht hatte. Das hielt ihn
aber nicht davon ab, um so unsorgfältiger über die von ihm vermuteten Hintergründe bei der Absetzung zu urteilen: die Note bedeute praktisch die Forderung auf den Verzicht der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße. Er sprach von der Unaufrichtigkeit der sowjetischen Leitsätze, von den nur scheinbaren Zugeständnissen,
und zum Schluß erklärte er auf Fragen: „Ich möchte daran erinnern, daß Staatssekretär Hallstein sich augenblicklich in Washington befindet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man nicht auch dort über den Inhalt der Note reden wird." Hier hatte der Herr Bundespressechef richtig getippt. Er kannte seinen Staatssekretär.
Hatten also beide gleiche Instruktionen, oder waren beide nur als Privatleute tätig, oder spiegelten ihre Ansichten die allgemeinen Ansichten ihrer Dienststellen wider? Denn schließlich hat auch der Herr Bundeskanzler in Siegen später erklärt, „eine Zusammenarbeit mit dem bolschewistischen Osten sei nicht möglich".
Freilich war die Rede des Bundesministers Kaiser
auf einen ganz anderen Ton abgestimmt; aber wer
bestimmt denn in der Bundesrepublik die Richt-
linien der Politik, und auf wessen Haltung mußte
der Staatssekretär deshalb mehr Gewicht legen?
Aber Herrn Hallstein Erklärung zur sowjetischen Note war eigentlich nur die Einleitung zu einer ganzen Flut von abenteuerlich anmutenden Erklärungen und Dementis,
die sich an die Pressekonferenz knüpften, die der Staatssekretär benutzte, um seine europäischen Integrierungspläne vorzulegen. Die ersten Meldungen wußten zu berichten, daß er die Integrierung Europas bis zum Ural vorgetrieben wissen wollte. Das war offenbar selbst der deutschen Bundesregierung zuviel, .
die, wenn man den Pressemeldungen glauben darf, Herrn Hallstein telefonisch um eine Erklärung bat. Er erwiderte zunächst, er habe vom Ural überhaupt nicht gesprochen. Die deutsche Mission in Washington unterstützte ihn in diesem irreführenden Dementi, indem sie wörtlich mitteilte: „Das Mißverständnis kann wahrscheinlich durch die Tatsache erklärt werden, daß ein Journalist während der Fragezeit äußerte, der herkömmliche geographische Begriff Europa erstrecke sich bis an den Ural. Der Staatssekretär selbst hat das Wort „Ural" gar nicht gebraucht."
Eine weitere kräftige Hilfe erhielt Herr Hallstein aus der „Stimme Amerikas". Die „Stimme Amerikas" brachte folgende angebliche Richtigstellung: „Ein Reporter fragte den Staatssekretär, ob er denn nicht auch in der Schule gelernt hätte, daß Europa das Gebiet bis zum Ural umfasse, — worauf Professor Hallstein mit Ja antwortete."
Zum Unglück für Herrn Hallstein ist die Rede aufs Band aufgenommen worden.
Danach — nach dem Band-Text — ist Herr Hallstein gefragt worden:
In Ihrer Rede heute nachmittag beschäftigten Sie sich mit dem Schumanplan und der Integration Europas. Würden Sie so freundlich sein, uns den Begriff Europa zu definieren? Als ich in der Schule war, habe ich gelernt, daß sich Europa bis westlich des Urals ausdehnt. Ist dies das, was Sie mit der Integration Europas meinen?
Und darauf antwortete Herr Hallstein:
Ja, das ist das, was wir meinen.
Nun, meine Damen und Herren, es ist etwas völlig anderes, ob mich jemand fragt, ob ich in der Schule gelernt habe, Europa reiche bis an den Ural — denn das haben wir selbstverständlich alle gelernt —, und ich antworte darauf mit „Ja!",
oder ob ich bestätige, daß die europäische Integration
bis an den Ural vorgetrieben werden solle.
Und nun, meine Damen und Herren, kommt der vorläufige Schluß in der Reihe der Dementis, ein Schluß, der wahrhaftig unglaublich klingt. Nach seiner Rückkehr hat der Staatssekretär Hallstein hier in Bonn erklärt, er habe bei der Frage des Journalisten das Wort Ural in der englischen Aussprache nicht mitbekommen und dann erst aus Bonn erfahren, daß dieses Wort gefallen sei;
wenn er die Frage richtig verstanden hätte, hätte er sofort geantwortet: Ich bin kein Märchenerzähler. Lassen wir dahingestellt, ob Herr Hallstein das wirklich nicht ist.
Wenn er jetzt erklärt, er habe nur sagen wollen, daß die Bildung der Europaischen Gemeinschaft eine attraktive Wirkung auf den Osten ausüben würde, so ist klar, daß er in Amerika tatsächlich viel mehr gesagt h a t , als er selber vielleicht gemeint hat. Seine Entschuldigung, er habe gar nicht gewußt, daß bei seiner Pressekonferenz vom Ural die Rede sei, kann in unseren Augen seine Fähigkeiten zum Staatssekretär nicht verbessern.
Aber die Haltung, die deutschen Sorgen, die, weiß Gott, groß genug sind, noch dadurch zu vergrößern, daß man sich um Sorgen anderer Leute kümmert, daß man über Deutschland bis zum Ural oder bis zum Osten Europas vorstoßen müßte, wurde auch von dem Herrn Bundeskanzler in seiner Siegener Rede unterstrichen, in der er sagte, „Die Neuordnung im Osten Europas" gehöre zu „seiner Politik".
Und schließlich: Dieser missionsbesessene Drang nach dem Osten, die absurde Zielvorstellung, daß nun nicht mehr am deutschen, wohl aber am Schumanplan-Wesen die ganze Welt genesen solle — wenigstens bis zum Ural —, ist keineswegs so unglaublich, daß Herr Hallstein meinen konnte, es gehörte ein Märchenerzähler dazu," um auf so etwas zu verfallen. Der Pressedienst der Partei des Herrn Bundeskanzlers schrieb geradezu begeistert: „Vereinigung Europas durch Zusammenschluß aller
Teile des Kontinents, das ist gewiß ein Ziel, das
an Weiträumigkeit nichts zu wünschen übrig läßt."
Nun, in der Tat, an Weiträumigkeit läßt es gewiß nichts zu wünschen übrig, wohl aber an allem andern; denn es enthält eine Gedankenwelt, wenn man dazu so sagen darf, die zusammengesetzt ist aus Unbelehrbarkeit und Größenwahn.
Man darf sich deshalb nicht darüber beschweren, wenn heute mehr und mehr der Eindruck entsteht, daß die Einheit Deutschlands und die Verständigung der Besatzungsmächte über diese Einheit nicht als vordringlichstes Ziel deutscher Politik gelten.
Hier liegen unsere deutschen Sorgen. Andere Mächte haben andere. Es ist nicht unsere Sache, vor der Lösung unserer eigenen Probleme uns um die Lösung der Probleme anderer Leute und Mächte zu kümmern.
Hier, meine Damen und Herren, liegt unserer Meinung nach der größte und eigentliche Schaden der Hallsteinschen Reden. Sie konnten für die Ausnutzung durch die sowjetische Propaganda gar nicht treffsicherer formuliert werden. Die lächerliche Dementi-Serie hat den Verdacht, den sie entkräften sollte, nur verstärkt.
Wenn wir uns den ätzenden Zynismus Talleyrands zu eigen machen wollten, würden wir hier sagen: das war mehr als ein Verbrechen, das war eine Dummheit.
Meine Damen und Herren, dieser Schaden kann nicht völlig, aber er muß und kann wenigstens zum Teil repariert werden. Deshalb unsere vier Fragen an die Bundesregierung:
1. Hat die Bundesregierung den auf einer privaten Amerika-Reise befindlichen Staatssekretär Professor Hallstein beauftragt, Erklärungen zur deutschen Politik abzugeben?
2. Was hat die Bundesregierung getan, um von den bekannten Äußerungen des Staatssekretärs abzurücken?
3. Hat die Bundesregierung nach den ersten Verlautbarungen des Staatssekretärs Schritte unternommen, um weitere für die Politik der Bundesregierung schädliche Darlegungen zu verhindern?
4. Wann gedenkt die Bundesregierung den Staatssekretär von seinen Pflichten im Auswärtigen Amt zu entbinden?
Eine Zeitung, die keineswegs der Opposition nahesteht, sondern im wesentlichen regierungsfreundlich war und ist
— die „Frankfurter Allgemeine" —, schreibt: Wenn man die Geschichte der ersten Woche des Aufenthalts des Staatssekretärs Hallstein in Washington .... überblickt, wird man f est-stellen müssen, daß sie für einen kurzen Zeitraum ungewöhnlich reich an Peinlichkeiten war. Man denkt dabei nicht an jene Unglücks-
fälle, wie sie in jedem Amte .... geschehen können. Es handelt sich ganz offenbar um eine beträchtliche Diskrepanz zwischen den Auffassungen des Staatssekretärs und denen, die politisch unterrichtete und nachdenkliche deutsche Kreise über die Notwendigkeiten des Tages hegen. Wie man hört, wird der Bundestag sich noch mit der Angelegenheit beschäftigen. Möchte es gelingen, daß dabei die patriotische Besorgnis zum Ausdruck komme, die viele besonnene Kreise in der Bundesrepublik angesichts der letzten Ereignisse erfüllt.
Hierzu möchte ich sagen: wenn das Wort „patriotisch" im deutschen Sprachgebrauch nicht durch seinen ewigen Mißbrauch für andere Zwecke völlig verhunzt wäre, würden wir nicht anstehen zu erklären: Jawohl, mit dieser Interpellation glauben wir eine patriotische Pflicht zu erfüllen.
Dip schweizer Zeitung „Die Tat" drückt sich in einem langen Kommentar ähnlich aus wie die „Frankfurter Allgemeine".
Nun, meine Damen und Herren, wir wissen, daß Herr Adenauer selber gelegentlich über die öffentlichen Reden seiner Minister und Beamten entsetzt war. Die Opposition ist nicht müde geworden, gegen diese unverantwortliche Rederei anzukämpfen. Der Herr Bundeskanzler hat leider stets, aus welchen Gründen auch immer, aus falsch verstandener Solidarität, vielleicht aus mißverstandenen Prestigegründen, seine verantwortlichen Kollegen und Beamten gedeckt. Gerade diese Nachsicht aber, dieses Schleifenlassen der Regierungsautorität und das Beiseiteschieben der ernsten Bedenken des Parlaments haben das Übel nur schlimmer gemacht, und sie mußten es schlimmer machen.
Die Sorglosigkeit und die Gedankenlosigkeit, die Herr Hallstein in Amerika gezeigt hat, übersteigen alles bisher Dagewesene. Die Zeit, in die seine Reise nach Amerika fiel, mußte ihm als besonders kritisch gerade für die deutsche außenpolitische Entwicklung bekannt sein.
Statt des erhöhten Verantwortungsgefühls, das ihm deshalb bei seinem öffentlichen Auftreten eigentlich hätte selbstverständlich sein müssen, haben wir dabei einen verhängnisvollen Mangel an Verständnis für die dringlichsten Aufgaben unserer Außenpolitik erlebt.
Die Form, in der Herr Hallstein in der politischen Öffentlichkeit Amerikas redete, war schlechthin unentschuldbar. Eine solche Häufung von unerträglichen Unzulänglichkeiten zeigt, daß es sich hier nicht um eine vereinzelte politische oder rednerische Entgleisung handelt, die man jedem nachsehen muß. Selbst aus Regierungskoalitionskreisen ist Herrn Hallstein erst dieser Tage bescheinigt worden, daß er sich der Wirkung seiner öffentlichen Erklärungen auf das In- und Ausland nicht immer bewußt ist. Deshalb kann hier auch keine Entschuldigung genügen. Auch ein Tadelsvotum des Bundestags würde hier nicht ausreichen. Die deutsche Außenpolitik braucht Vertreter, die weniger darauf aus sind, sich selbst und ihre globalen Wunschträume in den Vordergrund zu rücken, als vielmehr in harter Arbeit und unaufdringlicher Art und Weise Baustein für
Baustein zu setzen an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit
und dadurch einen deutschen Beitrag zum Frie-. den zu leisten. Herr Hallstein scheint uns diesen Ansprüchen nicht zu genügen. Deshalb fordert die sozialdemokratische Fraktion den Herrn Bundeskanzler auf, sich von diesem Mitarbeiter zu trennen und ihn von seinen Amtspflichten zu befreien. Ich habe die Ehre, dem Herrn Präsidenten den Antrag zu übergeben, der förmlich so lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, in der beamteten Leitung des Auswärtigen Amts sofort einen Wechsel vorzunehmen.
Wir bitten Sie, diesen Antrag anzunehmen.
Prsisident Dr. Ehlers: Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundeskanzler.