Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort des Bedauerns darüber sagen, daß die Debatte über die wichtige außenpolitische Angelegenheit, die wir heute hier besprechen, erst durch Anträge der Opposition ausgelöst werden mußte.
Wir haben in den letzten vierzehn Tagen verschiedentlich sehr ausführliche Stellungnahmen des Herrn Bundeskanzlers in Versammlungen in Siegen und in Bonn gelesen. Wir haben aber leider vermißt, daß der Herr Bundeskanzler von sich aus den Wunsch geäußert hat, eine Erklärung über seine Auffassungen zu den jetzt anstehenden Verhandlungen in erster Linie vor diesem Hohen Hause abzugeben. Ich glaube, es sollte doch in unserem parlamentarischen System endlich Übung werden, daß in so entscheidenden Situationen der verantwortliche Repräsentant der Regierung zuerst vor dem Parlament eine Darstellung über seine Politik gibt, ehe die öffentliche Diskussion in anderer Weise fortgeführt wird.
Die zweite einleitende Bemerkung, die ich machen möchte, ist: wir haben heute mit außerordentlicher Befriedigung die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen, daß nach seiner Überzeugung die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen den beiden Hauptgruppen in der Welt nicht gegeben sei.
Wir hätten es sehr gern gesehen, wenn er diese Erklärung während der Debatte über den deutschen Verteidigungsbeitrag abgegeben hätte.
Damals hat der Herr Bundeskanzler es für richtig
gehalten, zur Unterstreichung seiner Politik aus
dem Memorandum aus dem Jahre 1950 eine Darstellung über die militärische Machtposition der
Sowjetunion in der russisch besetzten Zone vorzulegen, die in der Bevölkerung gerade die Empfindungen hervorrufen mußte, von denen er heute
als einem beklagenswerten Zustand gesprochen hat.
Was nun das Thema unserer heutigen Debatte angeht, so nehmen wir davon Kenntnis, daß der Herr Bundeskanzler sich hier erneut zu der Erklärung vom 27. September 1951 bekannt hat. Wir nehmen auch davon Kenntnis, daß er in der Tatsache, daß die Sowjetunion nach so langer Zeit durch ihre Note an die drei anderen Besatzungsmächte in der deutschen Frage eine Initiative ergriffen hat, ebenfalls ein bemerkenswertes Ereignis sieht. Ich glaube, daß es für den weiteren Gang der Diskussion wichtig ist, diese Übereinstimmung hier festzustellen.
Aber dann hat sich der Herr Bundeskanzler mit dem materiellen Inhalt der Sowjetnote auseinandergesetzt und hat auch einige Bemerkungen über den Inhalt der Antwortnote der drei Westmächte gemacht. Ich bin der Auffassung, daß es in diesem Augenblick und in diesem Stadium der Verhandlungen nicht sehr zweckvoll ist, über die Einzelheiten der Vorschläge der einen oder andern Seite hier zu diskutieren;
denn sowohl in der russischen Note wie auch in der Note der drei Westalliierten ist von den Beteiligten völlig klargemacht worden, daß keiner der Partner in seinen schriftlichen Vorschlägen eine definitive Festlegung seines Standpunkts sehen will. Es stehen also bei späteren Verhandlungen oder bei einem weiteren Notenwechsel die einen wie die andern Vorschläge durchaus zur Diskussion. Ich sage das deshalb, weil ich glaube, daß insbesondere die politische Diskussion in Deutschland in eine falsche Richtung gehen würde, wenn sie sich an das eine oder andere Detail der Vorschläge klammerte,
die etwa in der ersten Note der Sowjetunion enthalten sind.
Die zweite Anmerkung in diesem Zusammenhang. Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß es sicher eines schlechte Sache gewesen wäre, wenn sich die drei Westmächte sofort nach Empfang der Note der Sowjetunion an den Verhandlungstisch gesetzt hätten; zweifellos wäre dabei insbesondere die deutsche Position sehr ungünstig gewesen. Das mag sein; aber ich habe jedenfalls in der verantwortlichen deutschen Diskussion nicht ein einziges Mal den Vorschlag gehört, daß man vor einer Klärung der Absichten sofort in eine Art von Blankoverhandlungen mit den Russen gehen sollte.
Es wird also hier gegen eine Auffassung polemisiert, die jedenfalls nicht unsere Auffassung ist und die wohl auch sonst nirgends ernsthaft vertreten wurde.
Nun komme ich zu einem nach meiner Auffassung entscheidenden Punkt. Dann hat der Herr Bundeskanzler erklärt, man könne doch wohl annehmen, daß es keinen großen Sinn habe, daß sich die Bundesrepublik an die Sowjetunion wende, um von der Sowjetunion eine Zusage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Basis von freiheitlichen Wahlen in ganz Deutschland zu erhalten. Er hat hinzugefügt, da diese Möglichkeit offensichtlich nicht gegeben sei, komme es eben darauf an, den Versuch zu machen, diese deutsche Einheit mit den drei Westmächten gemeinsam herbeizuführen. Ich muß sagen, ich bin dem Herrn Bundeskanzler außerordentlich dankbar für diese Gegenüberstellung; denn sie führt uns genau an den Punkt, an dem die eigentliche Diskussion dieser Frage nach meiner Auffassung beginnen sollte.
Wenn wir heute über die Möglichkeit der Wieder- herstellung der deutschen Einheit sprechen, dann müssen wir doch wohl — ganz unabhängig von unserer politischen Einstellung — folgenden Tatbestand akzeptieren: Unter den heute gegebenen Machtverhältnissen gibt es nur einen Weg, die Einheit Deutschlands auf friedlichem Wege herzustellen,
und das ist die Verständigung der vier Besatzungsmächte unter sich und mit Deutschland über den zukünftigen inneren und äußeren Status eines geeinten Deutschlands.
Es gibt nur einen Weg, wenn wir von der Annahme ausgehen — und ich glaube, ich bin berechtigt, das in diesem Hause jedenfalls zu tun —, daß niemand ernsthaft an eine andere Möglichkeit als an eine friedliche Herbeiführung der Einigung Deutschlands denkt.
Wenn das aber so ist, dann ist die Frage der deutschen Einheit vom Standpunkt der Bundesrepublik und der deutschen Regierung nicht allein die Frage ihres Verhältnisses zu den drei Westmächten, sondern es ist die Frage des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen vier Besatzungsmächten.
Von der Lösung dieses Problems, mit den vier Besatzungsmächten zu einem positiven Vorschlag in
der Richtung einer freiheitlichen Lösung zu kommen, hängt entscheidend und im letzten Ende überhaupt bestimmend die Beantwortung der Frage ab, ob auf friedlichem Wege die Einheit Deutschlands in Freiheit hergestellt werden kann.
Nun gehe ich einen Schritt weiter. Wenn der Herr Bundeskanzler erneut seine Erklärungen vom 27. September 1951 bestätigt, daß es die vornehmste Aufgabe der Politik der Bundesregierung ist, für die Einheit zu wirken, dann haben wir in diesem Stadium nicht nur die Pflicht, bei der Entscheidung der drei Westmächte hinsichtlich ihrer Antwort auf die russische Note mitzuwirken, sondern wir haben darüber hinaus die Aufgabe, jede Möglichkeit zu untersuchen, die zu einer ernsthaften Fortführung des Gesprächs unter allen vier Besatzungspartnern führen kann. Insbesondere haben wir nach meiner Auffassung in dieser Lage auch die Aufgabe, in der deutschen Politik nichts zu tun, was eine ernsthafte Verhandlung der vier über eine deutsche Einigung erschweren oder hemmen könnte.
Bei der Beurteilung dieser Frage haben wir es wiederum nicht mit zwei Lagern der Besatzungsmächte zu tun, sondern für uns sind in diesem Fall die vier Besatzungsmächte nebeneinanderstehend in der gleichen Wertung und in der gleichen Bedeutung. Ich meine außerdem, so wie die Dinge liegen, kann es heute auch kein Ziel unserer Politik geben, das vordringlicher ist, und kein Zeitpunkt ist zu früh, jeden Versuch einer friedlichen Lösung zu fördern. Dabei handelt es sich nicht nur um ein nationales deutsches Interesse. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit ist gleichermaßen eine deutsche und europäische Aufgabe,
und sie ist auch in hohem Maße ein friedenserhaltendes und friedensförderndes Element;
denn eine Einigung Deutschlands würde eine wesentliche Ursache für die Spannung zwischen Ost und West aus der Welt schaffen.
Was uns veranlaßt, auch in unserm Antrag, den mein Kollege Wehner begründet hat, noch einmal die Aufgabe der deutschen Regierung oder der deutschen Bundesrepublik aufzuzeigen, das ist unser Gefühl, daß trotz der heute wiederholten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der praktischen Politik die völlige Übereinstimmung der hier deklarierten Politik mit dem praktischen Verhalten der Bundesregierung nicht mehr gegeben ist.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinen letzten Reden, insbesondere in Siegen und Bonn, nach der Veröffentlichung der Antwortnote der Westmächte mit Nachdruck unterstrichen, daß die Verhandlungen über den Generalvertrag und den Verteidigungsvertrag beschleunigt zu einem positiven Resultat geführt werden müssen. Der Herr Bundeskanzler hat in dènselben Reden die Ansicht vertreten, daß die Bundesrepublik ohne Rücksicht auf die Aussichten einer Viermächtekonferenz in das westeuropäische Vertrags- und Verteidigungssystem eingegliedert werden muß. Das sind zwei sehr bedeutsame Vorstellungen; denn sie lassen die Absicht erkennen, eine Politik der Bundesrepublik ohne Rücksicht darauf durchzuführen, ob nicht dadurch in dem gegenwärtigen Stadium eines Gesprächs zwischen den vier Besatzungsmächten über
die deutsche Frage die positive Entwicklung dieser Gespräche und Möglichkeiten gehemmt und erschwert wird. Die Frage ist tatsächlich, ob wir in diesem Stadium eine Entscheidung fällen können und im Interesse Gesamtdeutschlands fällen dürfen, durch die ein Teil Deutschlands, nämlich die Bundesrepublik, in das gegenwärtig bestehende Vertragssystem des Westens unbeschadet der Rückwirkungen einer solchen Entscheidung auf die Chancen für die Wiederherstellung der deutschen Einheit eingegliedert wird.
Dabei muß hinzugefügt werden, daß die Politik dieser unbedingten Bejahung der Eingliederungspolitik der Bundesrepublik unter den jetzt gegebenen Umständen nicht nur für das Gespräch zwischen den vier Besatzungsmächten von Bedeutung ist, sondern daß diese Politik auch noch andere nicht weniger bedenkliche Rückwirkungen hat. Meine Damen und Herren, Sie haben heute gegen unseren Willen beschlossen, daß die Saarfrage in diesem Augenblick und in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden soll, und ich werde es in der Sache auch nicht tun. Aber welche Situation ist nicht zuletzt durch diesen Beschluß des Bundestags heute entstanden. Wir sind bis heute nicht einmal in der Lage gewesen, vor dem Bundestag eine Erklärung des Bundeskanzlers darüber zu hören, welchen Inhalt seine Pariser Besprechungen gehabt haben und wie die Resultate dieser Besprechungen aussehen. Im Zusammenhang mit einer Politik, die die Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen jetzt mit möglichster Zeitverkürzung, sozusagen unter allen Umständen, durchsetzen will, werden wir also in die Lage gebracht, nicht einmal mehr über so lebenswichtige nationale Interessen wie die Saarfrage im Bundestag sprechen zu können.
Außer den Gründen, die ich hier schon genannt habe und die nach unserer Auffassung dagegen sprechen, daß sich die Bundesrepublik in diesem Stadium in dieser Weise mit dem gegenwärtigen westeuropäischen Vertragssystem liiert, gibt es vielleicht doch noch einen andern, ich möchte sagen, innerdeutschen Grund, an den wir uns als Bundestag und als Bundesregierung erinnern sollten, ehe hier allzu feierlich und allzu selbstgefällig der Generalvertrag vorgelegt und durch den Bundestag bestätigt werden soll, nämlich die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 als ein Provisorium konstituiert worden ist, auch als ein Provisorium im Verhältnis zu einer möglichen gesamtdeutschen Lösung.
Ich sage das nicht nur als Warnung, daß wir selbst unsere Kompetenz durch endgültige Bindungen an gegenwärtige internationale Vertragsverhältnisse überschreiten. Ich sage das auch deshalb, weil schließlich die Existenz der Bundesrepublik Deutschland auf den Londoner Abmachungen der drei Westmächte beruht. Die drei Westmächte sind zu ihren Londoner Vereinbarungen als eine notwendige Reaktion auf die Spaltungspolitik der Sowjetunion in Deutschland gekommen. Aber die drei Westmächte haben in den Londoner Vereinbarungen ausdrücklich erklärt, daß dann, wenn die Voraussetzungen für eine Sonderregelung in Westdeutschland wegfallen, nämlich die Verhinderung eines einheitlichen Deutschlands durch die Politik der Sowjetunion, selbstverständlich eine gesamtdeutsche Regelung an die Stelle der Bundesrepublik treten muß. Das ist schließlich ein
8766 Deutscher Bundestag — 2a4. Sitzung. Bonn, den 3. und 4. April 1952
Faktum, das wir in einem Augenblick nicht aus dem Auge verlieren sollten, wo offensichtlich ist, daß trotz aller Spannungen, die zwischen dem Westen und dem Osten bestehen, keine der drei westlichen Besatzungsmächte in irgendeinem Augenblick dieser Spannungen die Möglichkeit einer friedlichen Vereinbarung mit der Sowjetunion ausgeschlossen hat.
Wir sollten hier also nicht so tun, als ob wir in bezug auf unsere Handlungsfreiheit auf einem endgültigen, sicheren und unveränderbaren Boden stünden. Wir sind hier in einer Lage, in der die Selbstbeschränkung unserer Möglichkeiten, gerade in bezug auf die Regelung der Beziehungen zu anderen Völkern, wahrscheinlich außerordentlich weise ist.
— Sehr viel, Herr von Rechenberg! Ich spreche jetzt ja nicht über das Bodengewinnen, sondern ich spreche über die Frage, wie die staatsrechtliche Position der Bundesrepublik im Verhältnis zur gesamtdeutschen Frage und insbesondere auch in den Vorstellungen der vier Besatzungsmächte ist, ohne deren Einvernehmen nun einmal eine Lösung dieses Problems nicht möglich ist.
Ich meine, wir sollen da nicht absoluter und nicht
definitiver sein, als die Besatzungsmächte es in
den Fragen ihrer eigenen europäischen Politik sind.
Es kommt noch hinzu, Herr von Rechenberg, daß wir auch nicht sehr viel damit gewinnen. Wenn man uns heute sagt: Wir haben aber doch im neuen Generalvertrag die Garantie der drei Westmächte, die sozusagen den Status der Bundesrepublik außer jeden Zweifel stellt, so wird sich j a noch die Gelegenheit bieten, den Wert dieser Bestimmungen im sogenannten Generalvertrag zu untersuchen und zu prüfen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf einen Punkt aufmerksam machen. Wie immer Sie diese Garantieerklärung im Generalvertrag bewerten wollen, hoch oder niedrig, Sie werden nicht an der Tatsache vorbeikommen, daß die drei Westmächte, die hier als Vertragspartner des Generalvertrags neben uns stehen, noch einige andere vertragliche Verpflichtungen und Vereinbarungen mit der Sowjetunion haben, auf deren Gültigkeit sie in entscheidenden Augenblicken immer wieder großes Gewicht gelegt haben.
Für uns als Bundesrepublik kann sehr bald die Frage entstehen, wie sich in einer anderen Konstellation in der Welt die Loyalitäten der drei westlichen Verhandlungspartner zu den verschiedenen Vertragspartnern verhalten. Ich fürchte sehr, daß da die deutsche Position unter Umständen außerordentlich schwierig ist. Ich habe auf diesen Gesichtspunkt aufmerksam machen wollen, weil er dafür spricht, daß wir erstens die Diskussion über unsere Stellung zu einer möglichen Viermächtekonferenz nicht allzu sehr statisch, unter dem Gesichtspunkt der augenblicklichen Ordnung der Dinge sehen, und daß wir zweitens nicht jetzt noch ohne zwingende Not Fakten schaffen, die in ihrem Effekt die Ablösung der Bundesrepublik von dem
anderen Teil Deutschlands eher verstärken als abschwächen.
— Ich sehe nicht ein, worin dieser Widerspruch besteht, Herr von Rechenberg. Aber wir haben ja öfter solche Meinungsverschiedenheiten, wobei nicht immer ganz klar ist, wer daran schuld hat.
— Nein, nein.
Ich will diesen Punkt in der Diskussion nicht weiter vertiefen; ich möchte nur als unsere Auf- fassung noch einmal nachdrücklich unterstreichen, daß wir die Diskussion über diese möglichen Viermächteverhandlungen vom deutschen Standpunkt aus allein unter dem Gesichtspunkt führen sollten, wie wir als deutsche Regierung in eine Position kommen, bei der es sowohl der Bundesregierung, sozusagen als Statthalter einer gesamtdeutschen Regierung, wie auch einer späteren gesamtdeutschen Regierung möglich ist, in den Verhandlungen einen unabhängigen Standpunkt, nämlich den Standpunkt des deutschen Interesses, zu vertreten.
Da möchte ich auf den Punkt der Note der drei Westmächte eingehen, wo die drei Westmächte den russischen Vorschlag der Bildung einer Nationalarmee ablehnen und gegenüber diesem russischen Vorschlag die Notwendigkeit der Eingliederung Deutschlands, sei es der Bundesrepublik oder auch Gesamtdeutschlands, in das jetzt bestehende westliche Verteidigungssystem herausstellen. Meine Damen und Herren, wenn in dieser Weise ,etwa in den Verhandlungen mit der Sowjetunion die Position der gesamtdeutschen Regierung schon vorher in einer entscheidenden Frage bestimmt ist oder wenn in dieser Stellungnahme der drei Westmächte etwa die Feststellung zu sehen ist, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands von den Westmächten davon abhängig gemacht wird, daß dieses einheitliche Deutschland in die westliche Vertragsgemeinschaft geht, dann beschränken die Westmächte — und wenn wir diesen Standpunkt teilen, wir — die Aufgabe einer zukünftigen frei gewählten gesamtdeutschen Regierung in einer Weise, die, glaube ich, mit dem Aufbau eines unabhängigen demokratischen Deutschlands nicht vereinbar ist.
Es liegt uns daran, schon in diesem Augenblick auf diesen Punkt in dem westlichen Antwortschreiben an die Sowjetunion aufmerksam zu machen. Ich glaube, die Alternative, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, in der Verhandlung über eine mögliche deutsche Einheit besteht darin, daß sich die deutsche Regierung — sei es die Bundesregierung, sei es eine spätere gesamtdeutsche Regierung — gegenüber jeder der vier Besatzungsmächte in der gleichen Weise die Unabhängigkeit ihrer Position sichert.
Wir brauchen bei dieser Sache die Diskussion überhaupt nicht mit der törichten Frage zu belasten, wo denn das deutsche Volk steht. Das ist eine Frage ohne praktische Bedeutung für jeden, der die Auffassung im deutschen Volke kennt. Hier kommt es darauf an, daß wir der kommenden gesamtdeutschen Regierung nicht von vornherein die
Möglichkeit beschneiden, eine Entscheidung aus eigenem besten Gewissen und gestützt auf ein frei gewähltes gesamtdeutsches Parlament zu fällen.
Wir sind der Meinung, daß auch angesichts der Weltlage eine solche Festlegung in bezug auf die gegenwärtig schwebenden Vertragsverhandlungen nicht notwendig ist. Es ist auch in den Reden des Herrn Bundeskanzlers praktisch im wesentlichen nur e i n Argument für die Fortsetzung der Politik der möglichst raschen Unterzeichnung vorgetragen worden. Das ist das Argument, daß wir helfen müssen, den Westen möglichst stark zu machen, damit die Sowjets verhandlungsbereiter werden. Meine Damen und Herren, ich behaupte, das ist ein denkbar schlechtes Argument,
jedenfalls vom Standpunkt der deutschen Situation und der deutschen Politik im Jahre 1952. Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Antwort auf die Ausführungen meines Kollegen Wehner und auch in der Antwort auf die Ausführungen meines Kollegen Eichler nicht auf die sehr bemerkenswerten Ausführungen eingegangen ist, die er in bezug auf die europäische Aufgabe der deutschen Politik in der Versammlung in Siegen gemacht hat. Ich hoffe, daß es nur vergessen wurde;
denn wäre es eine absichtliche Nichtbeantwortung, dann wäre das eine sehr, sehr ernste Situation.
Es kann nicht die Aufgabe der deutschen Regierung und ihrer Außenpolitik sein, jetzt sich auch noch mit der Neuordnung im europäischen Osten zu beschäftigen.
Es gibt eine vordringlichere nationale Aufgabe, das ist die Einbeziehung der russisch besetzten Zone in Deutschland und die Sicherung der Teile Deutschlands in den Grenzen von 1937, die uns auch von den Alliierten als die deutschen Staatsgrenzen zuerkannt worden sind.
Das Bedenkliche und Beunruhigende ist, daß diese Äußerungen nicht zu einem x-beliebigen Zeitpunkt, sondern während des ersten Gesprächs fallen, das seit Jahren zwischen den vier Besatzungsmächten in Gang gekommen ist, und angesichts der Tatsache — über die wir uns doch klar sein müssen —, daß die einzige — vielleicht unerreichbare, aber doch die einzige — Möglichkeit für eine friedliche Vereinigung Deutschlands die Verständigung der drei westlichen Besatzungsmächte mit der Sowjetunion über Deutschland ist.
In den Fragen- der sogenannten Integration der Bundesrepublik sind noch keine endgültigen Entscheidungen gefallen. Aber es ist unser dringender Appell an die Bundesregierung und an den Bundestag, angesichts der jetzt gegebenen Situation keine weiteren Tatsachen zu schaffen oder Unterschriften zu leisten, die die Möglichkeiten eines ernsthaften Gesprächs über die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit auch nur erschweren können. Wir haben keine Illusionen über die Chancen und die Möglichkeiten. Vielleicht sind sie nur gering. Aber unter allen Beteiligten an diesem Gespräch hat ein Beteiligter, nämlich das deutsche Volk, hat die Bundesregierung, die hier in Vertretung des gesamten deutschen Volkes spricht, haben wir eine besonders große Verantwortung. Wir haben uns zu überlegen, daß wir in diesem Stadium nichts tun, was auch nur eine leise Möglichkeit einer positiven Lösung dieser Frage verschütten könnte. Vielleicht erweist sich diese Zurückhaltung, diese Vorsicht durch den schlechten Willen der anderen, so wie er sich vielleicht bei näherer Untersuchung der Position herausstellt, als nicht gerechtfertigt. Aber wie ist dann die Lage? Dann ist das deutsche Volk, dann ist Europa für lange Zeit um eine große Hoffnung ärmer.
Wir meinen, um eine solche Situation, soweit es in unseren Kräften steht, zu vermeiden, lohnt es sich, hier eine Entwicklung aufzuhalten, die nicht unter allen Umständen und unter jedem Gesichtspunkt in diesen Tagen und Wochen zum Abschluß gebracht werden muß, und die Bahn freizuhalten und die Voraussetzungen nicht zu verschütten, die vielleicht doch in dieser Initiative liegen.
Wir sind deshalb der Meinung, daß der Bundestag seinen Willen in dieser Richtung dokumentieren sollte. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung ersuchen, nur solche Abkommen zu unterzeichnen, die der Bundesrepublik rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit sichern, von sich aus jederzeit auf die Einleitung von Verhandlungen der vier Besatzungsmächte über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands hinzuwirken.