Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß insbesondere in der Erwiderung des Herrn Bundeskanzlers auf meine Ausführungen das Sachliche so kurz gekommen ist. Der Herr Bundeskanzler hat eigentlich nur in zwei Punkten auf Ausführungen in meiner Rede Bezug genommen. In beiden Punkten ist meinen Ausführungen ein Sinn unterstellt worden, bei dem man davon ausgehen muß, daß es dem Herrn Bundeskanzler nicht in erster Linie auf eine sachliche Klärung und eine sachliche Aussprache mit der Opposition ankommt.
— Ich glaube, das ist verständlich genug. Ich habe nicht die Absicht, mit ähnlichen Methoden zu antworten, wie wir sie heute hier erlebt haben.
Ich finde, in diesem Hause kann eine Bemerkung, wie ich sie im Zusammenhang mit der Position Deutschlands gegenüber den vier Besatzungsmächten gemacht habe, daß wir in diesem Falle alle vier Besatzungsmächte in gleicher Weise zu betrachten haben, von niemandem, der guten Willens ist und der die grundsätzliche Einstellung der Sozialdemokratie kennt, in der Weise ausgelegt werden, wie es der Herr Bundeskanzler getan hat.
Was soll es für einen Sinn haben, daß der Herr Bundeskanzler auf eine Rede des Vertreters der Opposition mit einer Reihe von sachlichen Vorschlägen schließlich nichts anderes zu sagen weiß, als daß unsere Ausführungen eine überraschend große Sympathie für die Sowjetunion und ein überraschend großes Maß von Gutgläubigkeit in die Absichten der Sowjetunion hätten erkennen lassen. Herr Bundeskanzler, Sie haben diese Rede gehört, und Sie wissen, daß ich in dieser Rede, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, wiederholt unsere Skepsis und unsere Vorbehalte gegenüber den wirklichen Absichten der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie hier an uns appellieren, daß wir in dieser Frage doch an das Gemeinsame denken sollten, bitte, dann appellieren Sie an den Repräsentanten Ihrer Regierung, daß er die Gemeinsamkeit nicht
durch eine derartig unsachliche, ich möchte sagen, sogar auf eine sehr demagogische Wirkung nach außen berechnete Art hier stört.
— Ich wünschte, meine Damen und Herren, Sie hätten dieselben sehr scharfen und klaren Begriffe in der Bewertung von solchen Äußerungen auch bei anderen Gelegenheiten.
Ich möchte jetzt noch einiges zur Diskussion sagen. Meine Damen und Herren! Es gibt hier eine sachliche Meinungsverschiedenheit, von der ich bedauere, daß sie nicht mit größerer Klarheit ausgetragen worden ist. Herr Kollege von Brentano, Sie glauben ja wohl selbst nicht, daß Sie mit der Bemerkung, wir hätten uns nicht zur Sache geäußert und das, was wir hier täten, sei Spiegelfechterei, das Thema der Behandlung der Thesen der Sozialdemokratie erschöpft zu haben.
— Entschuldigen Sie! Außerdem möchte ich einmal folgendes zu all diesen Debatten sagen, Herr Wuermeling. Ich glaube, die Position ist nicht ganz so, wie Sie sie hier schaffen möchten. Schließlich: die erste Veranlassung, die Grundlagen der Politik hier darzulegen, besteht für die Regierung und ihre Mehrheit. Und wir sind dauernd in der Position, meine Damen und Herren, daß wir, z. B. bei außenpolitischen Debatten dieser Art, über eine Reihe von Themen sprechen, bei der der Mehrheit dieses Hauses jede sachliche Möglichkeit für eine Orientierung und Unterrichtung fehlt.
Wenn hier gefragt wird: „was ist Ihre Politik?", so ist die erste Frage hier an die Regierung und an Sie über den konkreten Inhalt Ihrer Politik zu richten.
Heute haben wir eine Frage diskutiert, nämlich wie soll das Verhältnis der Bundesrepublik bei den gegenwärtigen diplomatischen Unterhaltungen über eine Viermächtekonferenz sein. Und nur diese Frage! Das ist das einzig Interessante. Herr Tillmanns hätte sich seine Ausflüge in die Sozialistenkonferenz von Frankfurt ruhig sparen können.
— Ja, vielleicht haben Sie es noch nicht gehört. Das ist nicht unsere Schuld. Aber ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Sie können in keiner Weise — und das könnten Sie wissen, wenn Sie die Dinge verfolgten — die Sozialdemokratische Partei für die Beschlüsse von Frankfurt verantwortlich machen.
— Ich komme nur in einem Satz auf diese Sache zurück. Herr Tillmanns, Sie haben den Regierenden Oberbürgermeister Reuter mit seinen Bemerkungen über freiheitliche Systeme zitiert, die im Osten Europas genau so notwendig seien wie im Westen. Nun, Herr Tillmanns, Sie wissen doch
genau, daß zwischen dem, was Herr Reuter mit diesen Bemerkungen gemeint hat, und der Frage, die hier zur Diskussion stand, ob es eine deutsche Aufgabe in bezug auf die Neuordnung von Osteuropa gibt, ein grundsätzlicher Unterschied besteht.
— Dann sollten Sie aber solche Äußerungen wie die von Herrn Reuter nicht als polemisches Argument gegen uns verwenden.
— Ich komme nicht darauf zurück.
— Entschuldigen Sie, ich habe mich zunächst auf den Bericht der „Allgemeinen Zeitung" über die Rede in Siegen gestützt. Die Erklärung des Herrn Kanzlers, daß er also die Gebiete östlich der OderNeiße-Linie gemeint hat, habe ich zur Kenntnis genommen. Ich habe nicht die Absicht, sie weiterhin hier zu verfolgen.
Nein, meine Damen und Herren, es geht um etwas anderes. Es ist hier gesagt worden — . der Herr Bundeskanzler hat es gesagt —, man kann mit der Sowjetunion nur vernünftig verhandeln, wenn wir stark sind.
— Sehr interessant. Das ist ein Punkt, bei dem wir eben in der Beurteilung der Situation nicht übereinstimmen,
jedenfalls soweit die deutsche Position in Frage kommt. Ich bin wohl mit Ihnen oder Sie mit mir der Auffassung, daß, wenn die Sowjetunion sich aus solchen Überlegungen zu ihrer Note veranlaßt gesehen hat, es, wie der Herr Bundeskanzler selbst hier in Bonn erklärte, nicht die zu befürchtenden zwölf deutschen Divisionen sind, sondern daß es die ökonomische und militärische Macht der Vereinigten Staaten ist. Das ist doch der reale Machtfaktor!
— Sie sollten doch nicht so reden, als wären wir, was diese Machtposition anlangt, ein Teil der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Ich sage das deshalb, weil Sie sich, wenn Sie dieses Argument, die Stärke macht Deutschland frei, und wir müssen unter diesem Gesichtspunkt jede vertragliche Bindung eingehen, die Deutschland in dieses System eingliedert, für eine Politik in der deutschen Einheitsfrage entscheiden, bei der die deutsche Regierung über kurz oder lang jede Manövrier- und Handlungsfähigkeit verliert.
Als interessantes Gegenbeispiel zu dieser Theorie, auf die Macht zu bauen, gibt es noch ein anderes. Das andere ist, daß hier Herr von Brentano zu unserer Überraschung erklärt hat, die Regierungskoalition werde unseren Antrag in bezug auf die Fragen der deutschen Einheit ablehnen, weil sie der Regierung keine neuen Auflagen geben
- Sie meinen doch den gedruckten, nicht wahr, den Antrag mit den vier Punkten?
— Genau das meine ich. Das ist praktisch eine Ausführungsbestimmung zu dem Beschluß vom 27. September, und ich bedauere außerordentlich, daß im Zusammenhang mit dieser Debatte in dieser Frage die Koalition sich für die Ablehnung entschieden hat.
Meine Damen und Herren! Die Frage ist, ob wir
als Deutsche, und zwar hier in der Bundesrepublik,
wirklich richtig daran tun - und ich richte am
Schluß dieser kurzen Bemerkung diese Frage ganz
ernsthaft an Sie —, davon auszugehen, daß das,
was jetzt an Vertrags- und Verteidigungssystem im
Westen Europas aufgebaut ist, der einzig mögliche
Weg ist, um zu einer Befriedung Europas und der
Welt zu kommen. Ich glaube, es wäre für die
deutsche Situation besser, wenn jedenfalls wir
Deutschen uns nicht so hundertprozentig auf diese
eine Möglichkeit festlegten. Es könnte uns sonst
passieren, daß die entscheidenden Mächte, die die
Träger dieser jetzigen Vertragsorganisation sind,
im Zuge von Verhandlungen auf einer anderen
Ebene sehr bald zu anderen Vorstellungen kommen.
Hier steht die Frage: wir sollten uns so verhalten
— und das ist der konkrete Vorschlag —, daß wir als Bundesregierung nicht Verpflichtungen internationaler Art übernehmen, die eine zukünftige frei gewählte gesamtdeutsche Regierung in ihrer Entscheidungsfreiheit einengen
und die von vornherein auch in dem Gespräch unter den Vier den Eindruck erwecken, als wenn die drei Westmächte mit aktiver deutscher Unterstützung die Verwirklichung der Einheit Deutschlands von der vorherigen Anerkennung des jetzt bestehenden Vertrags- und Verteidigungssystems im Westen abhängig machen. Das ist die konkrete Frage. Sie sind der Meinung, daß sie keinen Zusammenhang damit hat. Aber darin liegt die Meinungsverschiedenheit, und ich glaube, es wäre wert, daß Sie sich auch mit dieser Alternative ernsthaft auseinandersetzen.