Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Bundestag sich bisher damit zu beschäftigen hatte, seine Stellung zur Wiedervereinigung Deutschlands zu bestimmen, so waren die Anlässe dazu meist Erklärungen oder sogenannte Angebote der sowjetzonalen Regierungsstellen. Diesmal ist der Anlaß von der Sowjetregierung selbst gegeben worden. Die Sowjetregierung, die sich jahrelang in Schweigen gehüllt hat, als es sich um Vorschläge der Bundesregierung und des Bundestags zur Schaffung der Voraussetzungen für freie Wahlen in den vier Zonen und in Berlin handelte, hat sich durch die Note vom 10. März direkt an die Regierungen der drei anderen Besatzungsmächte gewandt, um Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland in Gang zu bringen. Die sowjetzonale Volkskammer und die Blockparteien der sowjetischen Besatzungszone haben diesmal nur die Begleitmusik zu der von der Sowjetregierung angegebenen Melodie zu spielen.
Es erhebt sich die Frage: Bieten die Vorschläge der Sowjetregierung Möglichkeiten zu Verhandlungen der Regierungen der vier Besatzungsmächte, die zu einer Übereinkunft führen können, durch die uns Deutschen endlich die Voraussetzungen gewährleistet werden, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu vollziehen? Und es ist daran die Frage zu knüpfen: Werden die Regierungen der drei anderen Besatzungsmächte diese Note der Sowjetregierung zum Anlaß nehmen, festzustellen, ob sich positive Möglichkeiten zur Wiedervereinigung Deutschlands zeigen?
Das deutsche Volk, meine Damen und Herren, hat ein brennendes Interesse, zu erfahren, ob es endlich an der Schwelle des achten Jahres nach
Kriegsschluß aus dem Zustand der Spaltung seines Vaterlandes erlöst werden kann, und die Bundesrepublik darf nichts versäumen, was geeignet sein könnte, Deutschland aus der Zerreißung heraus und zur Einheit in Freiheit zu führen.
Die Tatsache, daß die Bundesregierung nicht Adressat der sowjetischen Note ist, sondern daß die Erörterung über die Voraussetzungen eines Friedensvertrags sich zunächst zwischen den Besatzungsmächten vollzieht, entbindet uns nicht von der Pflicht, uns mit ungeteilter Aufmerksamkeit dieser Erörterung zuzuwenden.
Der sozialdemokratische Antrag Drucksache Nr. 3210 will erreichen, daß die Bundesrepublik eine vom Vertrauen aller Deutschen getragene Anstrengung macht, um die deutschen Forderungen und Anliegen bei den Regierungen der vier Mächte gleichmäßig zur Geltung zu bringen. Der Antrag ist so zu verstehen, daß jede der in ihm enthaltenen Forderungen auf jetzt neu zu unternehmende Schritte abzielt. Wir meinen, daß der zwischen den Regierungen der vier Mächte begonnene Notenwechsel — ein Ausdruck für eine gewisse Änderung der Lage und selbst möglicherweise wieder Anlaß zu weiteren Veränderungen — wichtig genug ist, den Regierungen der vier Mächte aufs neue die deutschen Anliegen zu unterbreiten. Diesem im Antrag enthaltenen Verlangen wäre — um das deutlicher zu machen, sei das noch gesagt — nicht Genüge getan, wenn wir uns lediglich auf schon früher unternommene Schritte beschränken oder auf sie verweisen wollten.
Ich möchte Ihnen nun zu den einzelnen Punkten unseres Antrags einiges sagen. In Ziffer 1 unseres Antrags ersuchen wir den Bundestag, zu beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, den Regierungen der vier Besatzungsmächte in aller Form zu erklären, daß es die vordringlichste politische Forderung des ganzen deutschen Volkes ist, die Einheit Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, die vordringlichste deutsche Forderung, nicht, wie man es in der letzten Zeit mitunter hat hören können, das „letzte Ziel", dem irgendwelche anderen vorauszugehen hätten! Die deutsche Wiedervereinigung ist für alle Deutschen das wichtigste Problem in der Politik überhaupt, und es gehört auch zeitlich an die erste Stelle.
Die vordringlichste politische Forderung kann und soll nicht mit einer, wie es hier schon einmal erwähnt worden ist, „Neuordnung Osteuropas" in Verbindung gebracht oder ihr untergeordnet werden, und die vordringlichste politische Forderung des .ganzen deutschen Volkes ist nicht mit einer sogenannten „Integration bis zum Ural" oder sonstwohin zu verkoppeln.
Vorstellungen, wie sie Plänen zur „Neuordnung
Osteuropas" und zu dieser Art von „Integration
bis zum Ural" zugrunde liegen mögen, können
nicht die Richtung der deutschen Politik bestimen. Es handelt sich dabei um vage Träumereien
oder um abenteuerliche Irrwege. Deutschland will
nichts anderes — und das sei in diesem Zusammenhang betont — als sein Selbstbestimmungsrecht, das ihm den Weg zu echter Partnerschaft
mit allen Völkern öffnet, die seine Rechte respektieren. Es handelt sich bei dieser Forderung um die Einheit Deutschlands, des konkreten Staates Deutschland, nicht um ein Ersatzgebilde oder um Ersatzgebilde, die in ihren Bestandteilen wie in ih ren Gesamttendenzen gleich undefinierbar wären.
V enn wir betonen: wir wünschen, daß es „in aller Form" geschehe, so tun wir das insbesondere auf Grund der Erfahrungen, die wir mit dem Notenwechsel vom Oktober 1951 haben machen müssen. Damals wurden die Forderungen, die Beschlüsse, die der Bundestag zusammen mit einer Regierungserklärung am 27. September angenommen hatte, in der Note der Bundesregierung vom 4. Oktober den Alliierten Hohen Kommissaren übermittelt. Aber in der Antwortnote der Alliierten Hohen Kommissare vom 15. des gleichen Monats ist man auf den eigentlichen Inhalt der deutschen Note nicht eingegangen, sondern man hat eine untergeordnete Frage, eine Nebenfrage zur eigentlichen Angelegenheit des Notenwechsels gemacht. Es handelte sich damals um den Vorschlag, eine Kommission der Vereinten Nationen zu veranlassen, sich in Deutschland ein Bild darüber zu machen und ein Urteil darüber abzugeben, ob hier die Voraussetzungen für freie Wahlen bestehen. Das war ein gewiß nicht unwichtiger Vorschlag; aber es war einer von mehreren möglichen Vorschlägen, und es war schade — das möge bei dieser Gelegenheit gesagt werden —, daß man bei der Bildung dieser Kommission — das ist nicht durch die Deutschen geschehen - in Paris sozusagen unter dem Gesichtspunkt gehandelt hat: Friß, Vogel, oder stirb; entweder dieser Vorschlag wird geschluckt, oder es gibt keinen andern.
Aber das Problem der deutschen Einheit ist doch wichtig genug, daß man nach Alternativmöglichkeiten — ich meine: nach echten Alternativmöglichkeiten — sucht. Es ist auch schade, daß es in der ersten Antwortnote der Westmächte auch jetzt noch so aussieht, als ob die Kommission sozusagen als unabdingbar für jeden weiteren Schritt für die deutsche Einheit gelte. Es wäre klüger gewesen — und das sollte auch von deutscher Seite bei der Gelegenheit einmal mit allem Respekt gesagt werden —, wenn man sich bereit erklärt hätte, Vorschläge entgegenzunehmen, wenn es andere gibt, um die Voraussetzungen zu prüfen oder um unmittelbar ans Werk zu gehen; denn es gibt ja nur eines, das wirklich unabdingbar ist: das sind freie Wahlen unter gleichen Bedingungen in allen vier Zonen und in Berlin, und zwar unter internationaler Kontrolle.
Ich will in dem Zusammenhang gleich einiges zu Ziffer 3 unseres Antrages sagen, denn sie gehört hierher und kann in Verbindung mit der Ziffer 1 behandelt werden. Ziffer 3 fordert, die Bundesregierung zu ersuchen,
den Regierungen der vier Besatzungsmächte unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bundestages vom 9. März 1951 und vom 27. September 1951 und der entsprechenden Noten der Bundesregierung die Forderung zu unterbreiten, durch eine Viermächteübereinkunft die Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen unter internationaler Kontrolle zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung in den vier Zonen und Berlin zu schaffen; die am 6. Februar 1952 vom Bundestag gebilligte Wahlordnung sollte als ein deutscher Beitrag zur Verwirklichung dieses Schritts von
den vier Mächten geprüft und verwendet werden.
Wir verweisen auf die Beschlüsse vom 9. März 1951 deswegen, weil sie im Hinblick auf die damalige Vorkonferenz der stellvertretenden Außenminister der vier Mächte gefaßt worden und zustande gekommen sind. Wir verweisen auf die Beschlüsse vom 27. September, weil sie die Grundlage für den Vorschlag einer Wahlordnung, der am 6. Februar dieses Jahres verabschiedet worden ist, gebildet haben. Der Herr Bundeskanzler hat damals in seiner Regierungserklärung bei der Darlegung der Grundzüge dieser Wahlordnung gesagt: „um nichts unversucht zu lassen", werde die Bundesregierung eine Wahlordnung für freie gesamtdeutsche Wahlen vorlegen. Auch jetzt sollte gelten: um nichts unversucht zu lassen, sollte man diesen Schritt, den wir in diesen zwei Punkten unseres Antrags fordern, beschließen.
Wir möchten an dieser Stelle betonen, daß es notwendig ist, die Dringlichkeit dieses deutschen Anliegens hervorzuheben. Wir glauben, dies ist um so notwendiger, als es mancherseits Neigungen gibt, die deutsche Frage so an andere Fragen zu koppeln, daß andere Fragen förmlich zur Voraussetzung für die Lösung der deutschen Frage gemacht werden. Ich denke dabei z. B. an Äußerungen des Staatssekretärs für das Äußere der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der in diesem Sinn etwa die Österreich-Frage zu einer Art Voraussetzung für das Herangehen an die deutsche Frage gemacht hat. Wir unterschätzen nicht die Österreich-Frage, und wir unterschätzen nicht die vielen weiteren Gesichtspunkte. die eine Regierung wie die der Vereinigten Staaten anzulegen hat. Aber hier geht es um das deutsche Anliegen, und wir haben dieses deutsche Anliegen in der Weise, die ihm gemäß ist und die ihm gebührt, anzubringen.
Wir wenden uns auch dagegen, daß der Eintritt in Verhandlungen über die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung etwa an Bedingungen geknüpft wird, die eigentlich den Verhandlungen vorgreifen. Ich denke da an solche Bedingungen wie die, daß man die UN-Kommission hereinlassen müsse, sonst habe man bewiesen, daß man keine freie Wahl wolle. Warum versucht man nicht, zunächst einmal zu erfahren, ob es andere brauchbare Vorschläge gibt?
Das gleiche gilt, wenn man über die Freiheiten spricht, die einer deutschen Regierung zu gewähren wären, wobei es heute schon so aussieht, als ob die höchsten Freiheiten, die eine Regierung erlangen kann, die im Generalvertrag konzipierten Freiheiten wären.
Lassen Sie mich nun zu Punkt 2 unseres Antrages zurückkehren. Dort fordern wir, die Bundesregierung zu ersuchen,
den Regierungen der drei westlichen Be-
satzungsmächte durch die Alliierte Hohe Kom-
mission als dringendes Anliegen des Deutschen
Bundestages den Wunsch nach ernster Prüfung
der Note der Sowjetregierung vom 10. März
1952 und nach der Ausnutzung jeder Verhandlungsmöglichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte betonen: Diese Forderung gilt auch nach der ersten Antwortnote der Westmächte, denn diese Antwortnote läßt ja erkennen, welche Schwierigkeiten es offenbar gemacht hat, eine gemeinsame Stellung der drei Regierungen zur Sowjetnote zu erarbeiten, — worüber kein Wort zu verlieren ist;
das ist eben keine einfache Angelegenheit. Der Bundeskanzler, so meinen wir, dürfte es begrüßen, wenn der Bundestag gerade angesichts dieser Sachlage einmütig bekundet, daß es sein dringendes Anliegen ist, jede Verhandlungsmöglichkeit möge ausgenutzt werden.
Die Gefahr, daß die Westmächte angesichts ihrer mannigfachen Sorgen anderen Problemen den Vorzug geben, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb möchten wir der Bundesregierung durch ein klares Votum des Bundestags in dieser Weise die Arbeit erleichtern. Auch bei uns in Deutschland hat es ja anfangs manche falschen Vorstellungen gegeben. Da kam das hier schon einmal erwähnte Wort, die Note und das, was damit angerührt werde, seien „undiskutabel". Es wurde schon am ersten Tag kategorisch gesagt, sie „bedeute nichts", oder auch: sie bedeute nichts Neues. Man hörte das beinahe schon zur Regel gewordene „ja, dies ist ja nur zur Verwirrung in die Welt gesetzt", man solle sich nicht irremachen lassen. Es ist so, als ob man einen Weg, den man ursprünglich beging, weil es auf Grund der sowjetischen Weigerung unmöglich war, die Einheit zu schaffen, jetzt sozusagen auch zum Trotz gehen müßte, auch wenn die Sowjetregierung jetzt vielleicht einlenken würde.
— Das wäre eine Art, der sich eigentlich niemand mit Vernunft anschließen könnte. — Schließlich ist sogar gesagt worden, diese Note sei nichts anderes als ein „Angebot an die deutschen Nationalisten".
Nun, was dort im einzelnen drinsteht, mag gemeint sein, wie es will. Hier kommt es doch in jeder Beziehung darauf an, daß wir uns gegen eine Ablehnung der Prüfung dieser Note und dessen, was in ihr und hinter ihr steckt, unter Berufung auf diese oder jene Einzelpunkte der Note wenden müssen. Man kann doch nicht — das ist aber leider so geschehen! —, weil z. B. bei den Westmächten keine Neigung besteht, den Deutschen eine nationale Armee zu konzedieren, erklären: „Das kommt nicht in Frage, das gehört der Vergangenheit an; wir wollen nur eine Europaarmee!" Das gilt dann immer nur für die Deutschen; die anderen würden sich so etwas nicht sagen lassen. Aber ich will damit sagen: es sollte doch nicht dem vorgegriffen werden, was bei einer sachlichen Prüfung — die man ja nicht im Studierzimmer allein, sondern am Verhandlungstisch vornehmen kann — herauskommen kann.
— Sie wissen das ja schon sehr gut. Sie sagen: „Njet". Aber lassen Sie es doch einmal darauf ankommen! Das wird ja auch zur Klärung der politischen Verhältnisse gut sein.
Vielleicht wollen manche nur ein „Njet". Es kommt aber darauf an, zu sehen, was in einer gegebenen Situation möglich ist.
— Ich sage nicht, daß S i e das wollen; ich sage „manche". — Oder: unter Berufung z. B. auf die verschiedene Auslegung der Abmachungen im Potsdamer Abkommen über die Gebiete jenseits der Oder und Neiße sagt man: „Da kann man sich überhaupt nicht an den Tisch setzen!". — Unser Standpunkt zu diesem Problem Oder-Neiße muß nicht noch einmal klargestellt werden. Aber es ist doch ein deutsches Interesse, daß eine gesamtdeutsche Regierung als echter Verhandlungspartner, als Partei bei Friedensverhandlungen dabei ist,
und darauf sollten wir uns doch konzentrieren statt auf irgendwelche Teilfragen, die dann in der nächsten Phase von Bedeutung sein mögen, aber es jetzt nicht sein können.
Deshalb, meine Damen und Herren, war es gut
— und ich sage das in diesem Falle dankbar —, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen inmitten solcher Verwirrungen und eigentümlichen Auslegungen das Wort gefunden hat, daß man prüfen und sorgsam prüfen muß, und daß er auch daran erinnert hat — hier stimmen wir überein —, daß es für die Deutschen eine Reihenfolge gibt, eine sozusagen unter allen Umständen einzuhaltende Reihenfolge: die freien Wahlen, die Bildung der Nationalversammlung und der gesamtdeutschen Regierung, und dann Friedensverhandlungen und schließlich Verhandlungsfriede. Es ist gut, in solchen Dingen — —
— Ja, ja, Sie werden diese Reihenfolge sicherlich noch ergänzen können, Herr Euler. Es kommt ja darauf an, womit man anfängt, und darauf, daß man sich nicht am falschen Ende irgendwie festlegen läßt.
Und wohin, meine Damen und Herren, kämen wir, wenn man jetzt in Einzelerörterungen eintreten würde? Wir haben es ja auf verschiedenen Seiten, nicht nur auf der sowjetischen Seite, mit eigentümlichen Vorstellungen zu tun, denen gegenüber der deutsche Standpunkt jetzt und wenn es einmal zu Verhandlungen kommen sollte
— und es wird ja einmal zu Verhandlungen kommen — zu wahren sein wird. Ich denke da zum Beispiel an solche Äußerungen, wie sie nicht von irgend jemandem, sondern von einem auf deutschem Boden betriebenen amerikanischen Sender „Freies Europa" in den Sprachen der Tschechen und Polen in die Welt gesetzt werden und wo fortgesetzt deutsche Fragen in einer Weise behandelt werden, daß man nur sagen kann: Ja, wer bestimmt denn eigentlich hier, was Politik ist und was der Standort der Deutschen ist? Da legen wir in einem — in Amerika geschriebenen — offiziösen Kommentar, bestimmt zur Propaganda für die Tschechen: „Solange die Deutschen ihre heutigen Grenzen nicht für definitiv halten werden, kann man sie nicht in eine Organisation aufnehmen, die die politische und strategische Situation an beiden Ufern des Atlantik beherrscht."
Meine Damen und Herren, das ist eine eigentümliche Auslegung dessen, was wir sonst in anderer Form hier gesagt bekommen haben.
Oder nehmen Sie etwas anderes, einen Kommentar vom 24. dieses Monats. Dort wird in bezug auf diesen Notenwechsel, wieder durch denselben auf deutschem Boden agierenden Sender, in tschechischer Sprache erklärt: „Die demokratische Welt will den westlichen Teil Deutschlands ein für allemal an ein föderatives westeuropäisches Gebiet anschließen, und die Sowjetunion will gemäß ihrer Erklärung vom 10. März den deutschen Imperialismus wiederauferstehen lassen". In dieser Weise geht es weiter. Es wird am Schluß dann noch breit darüber philosophiert, daß die Satellitenstaaten diejenigen sein würden, die den größten Schaden durch eine solche Moskauer Politik erleiden würden; „denn die Russen würden einem neutralen Deutschland eine gemeinsame Kolonialherrschaft über Mittel- und Südosteuropa anbieten, so daß hier zu dem
Gespenst des sowjetischen Imperialismus noch das schrecklichere Gespenst des deutschen Imperialismus hinzutreten würde". — Da haben wir noch den Komparativ! In dieser Weise wird dann hier gesagt, im Westen seien „keine Zweifel darüber vorhanden, daß die neueste Moskauer Linie Deutschland gegenüber für die westlichen Demokratien eine Gefahr bedeute", und immer wieder wird gesagt, man hätte es dann eben nicht nur mit dem sowjetischen, sondern auch mit dem deutschen Imperialismus zu tun.
Es ist wohl notwendig, einmal im Deutschen Bundestag zu dieser Art von Politik, die auf deutschem Boden gemacht und verbreitet wird, etwas zu sagen, gerade im Zusammenhang mit diesen Dingen und um so mehr, als wir ja — Sie haben das sicherlich auch alle gelesen, ich brauche es nur in Ihre Erinnerung zu rufen — kürzlich von einem der meistgelesenen amerikanischen Leitartikler die eigentümlichen Auslassungen über eine „gesamtdeutsche Gefahr", die bei einer gesamtdeutschen freien Wahl entstehen könnte, gelesen haben, von Walter Lippmann in seinen Artikeln, die ja sogar Zeitungen wie den „Industriekurier" und andere auf die Schanze gerufen haben, weil dort ganz klar und zum Teil in einer beinahe frivolen Weise erklärt wird, man müsse an der Spaltung Deutschlands festhalten, weil sonst „die Äpfelfuhre durcheinander komme", nämlich Schumanplan, deutsche Divisionen und Europaarmee. Nun, das können Sie j a alles einsehen. Vielleicht haben Sie es sowieso gelesen; aber in diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnert haben. Solchen Spekulationen, meine Damen und Herren, sollte durch alle Deutschen, und zwar vornehmlich durch die, die dazu berufen sind, entgegengetreten werden.
Ich will in diesem Zusammenhang — meinetwegen mit Abstand, aber doch in dem Zusammenhang — eine Äußerung des französischen Außenministers Robert Schuman erwähnen, der zum Ausdruck brachte — und das ist in den Welthauptstädten sorgfältig notiert worden —, daß eine Lösung, die Deutschland diese Art von Selbständigkeit gäbe, unmöglich wäre, weil Deutschland dann zum „Schiedsrichter Europas" würde. Das sind ja eigentümliche Begründungen, oder sagen wir: es sind eigentümliche Hemmungen, mit denen an das Problem einer eventuell möglichen — durch Verhandlungen möglichen — Vereinigung Deutschlands in Freiheit herangetreten wird.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort über Vorstellungen und Bemühungen, nur dann weiterzusprechen, wenn die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Abschluß eines Friedensvertrages durch die Einbeziehung in die eine oder in die andere zur Zeit bestehende Mächtegruppierung präjudiziert ist. Meine Damen und Herren, einer solchen Politik kann die Sozialdemokratische Partei nicht zustimmen, und wir erwarten, daß es nicht nur die Sozialdemokratische Partei sein wird, die einer solchen Politik nicht zustimmen kann. Wie sehr man sich aber bei dem irren kann, was man glaubt in der Tasche zu haben, das mögen Sie selbst — ich will es hier nicht zitieren — nachlesen in der heutigen Morgenausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit dem Bericht über die Erklärungen Robert Schumans über das Verhältnis der Schumanplan-Länder zu dem gespaltenen Deutschland und zu der Möglichkeit der Vereinigung Deutschlands. Die würde dann, heißt es, abhängig sein von der Zustimmung der fünf anderen.
Wir haben über diese Dinge einmal sehr ernst und leidenschaftlich diskutiert, als es um den Schumanplan ging. Die Bundesregierung meinte damals, sie habe Sicherungen dafür, daß es so nicht sein werde. Aber es scheint, wie so häufig in solchen Fällen, verschiedene Auffassungen unter den verschiedenen Verhandlungspartnern zu geben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort über das sagen, was in das Kapitel Erörterung von Einzelfragen, bevor es zu eigentlichen Verhandlungen kommt, gehört. Da hat das „Bulletin" des Presse- und Informationsamtes, das sich ja ein „Verdienst" in der Veröffentlichung von allerlei Studien erworben hat, am 22. März in einer größeren Arbeit „Und die Oder-Neiße-Linie?" eine Philosophie entwickelt, in der — um es kurz zu machen, sonst würde das Zitat zu viel Zeit nehmen — am Schluß gesagt wird, einmal sei der Anspruch Polens auf die Gebiete jenseits der Oder und Neiße legitim gewesen, weil man in Jalta ein solches Versprechen gegeben habe. Aber das habe damals, so wird hier behauptet, einem demokratischen Polen gegolten. Nachdem aber Polen nicht demokratisch, sondern totalitär und bolschewistisch geworden sei, habe es diesen Anspruch verwirkt. Wenn ein wieder demokratisches Polen zur Welt kommen sollte, also eine solche tiefgreifende Veränderung dort vor sich gehen sollte, müßte das demokratische Polen den Anspruch, den es einmal in Jalta legitim gehabt habe, sich erst wieder auf dem Verhandlungswege erwerben. Immerhin wird das der polnischen Emigration in Aussicht gestellt. Hier erhebt sich die Frage, ob damit die deutsche Politik oder die Deutschland-Politik nicht zu einer Art Funktion amerikanischer Rußland- und Osteuropa-Politik würde. Davor müssen wir warnen. .
Die Oder-Neiße-Linie ist — wie alle Grenzfragen im Osten u n d Westen — eine Sache der Friedensverhandlungen. Es wird um so notwendiger sein, keine Zweifel an unserer Haltung gegenüber dem Osten und dem Westen aufkommen zu lassen, als wir ja Erfahrungen mit Friedensverträgen haben, an denen die Sowjetunion beteiligt ist. Wir dürfen diese Erfahrungen nicht mißachten. Ich erwähne z. B. die Friedensverträge mit Ungarn, mit Bulgarien, mit Rumänien. Aber man kann doch, weil man solche Erfahrungen hat, nicht auf einen Vorschlag, der von jener Seite kommt, zu jeder Zeit einfach mit der Erklärung antworten: Wir weisen ihn zurück, oder: Wir ignorieren ihn, eben weil er von der Sowjetunion kommt.
— Herr Becker, es kommt nicht darauf an. daß Sie sich brennen. Es kommt darauf an, daß öffentlich zumindest klargestellt wird, ob irgendeine ernste Chance besteht. Das könnte nie geschehen, wenn man vorher sagt: Wir brauchen das gar nicht erst zu prüfen, weil wir wissen, daß von dieser Seite schon soundsoviel gesündigt worden ist.
Wir haben doch keine Illusionen und wollen auch
Ihnen nicht Illusionen einreden. Aber wir wollen
eine saubere, klare Stellung für alle haben, damit
wir uns nicht schließlich vor der Öffentlichkeit damit auseinanderzusetzen haben: Habt ihr denn wirklich untersucht, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt? Wenn es eine Möglichkeit gibt, muß man einsteigen.
-- Und Sie, Herr von Rechenberg, haben bis heute nicht verstanden, worin der Unterschied zwischen dem Versuch, eine sogenannte gesamtdeutsche konstituierende Behörde zu schaffen, die die Gewalt einer provisorischen Regierung hätte, und der Prüfung eines Friedensvertrages auf der Viermächteebene besteht.
Denn der Bundestag hat die ganze Zeit darum gekämpft, um aus diesem undefinierbaren Dunkel der sogenannten gesamtdeutschen Gespräche auf die Ebene der Viermächtebesprechung herauszukommen.
Wir müssen doch auch Klarheit schaffen über die „volksdemokratische" Auslegung solcher Begriffe wie „unabhängig", „demokratisch", „friedliebend", wie wir sie in dieser Note finden.
— Ja, die kennen wir, und wir möchten ja wissen, ob die noch so gelten. Es kann doch sein, daß sich etwas geändert hat, was vor zwanzig Jahren und vor fünf Jahren anders war. Sie sind natürlich viel klüger als wir. Aber u n s kommt es auf die sowjetische Besatzungszone an und darauf, ob es ) eine Chance gibt, die Menschen dort zu retten.
— Ich will Sie, Herr von Rechenberg, in keine Situation bringen; Sie sind genau wie wir Herr für Ihren eigenen Hut. Hier geht es um die Möglichkeit der Prüfung von politischen Voraussetzungen, um nichts anderes.
Im übrigen hat „Das neue Deutschland" — und da kommen wir schon an die politischen Probleme heran — kürzlich in einem Artikel über die erste Antwort der Westmächte an die Sowjetunion geschrieben, man solle doch sozusagen zweigleisige Verhandlungen machen. Die vier Mächte könnten immerhin mit Friedensverhandlungen anfangen, inzwischen könnten gesamtdeutsche Gespräche über, wie es heißt, die schnellste Möglichkeit stattfinden, zu einer gesamtdeutschen Regierung zu kommen. Nun, es gibt solche Doppelgleisigkeit nicht, es kann sie nicht geben. Aber gerade damit man einmal entscheidet, ob das nur die Vorstellung bestimmter SED-Leute oder dieser Partei ist, die sich natürlich an ihre Privilegien klammern möchte, oder ob es andere Möglichkeiten gibt, muß man das, was mit dem Wort Prüfung doch eigentlich genügend gesagt sein sollte, auch zu Ende führen.
Die Sowjetnote gibt die Möglichkeit zu Viermächteerörterungen über Bedingungen zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung. Denn es steht ausdrücklich drin, daß man zu solchen Erörterungen — und die Westmächte hätten es in der Hand zu sagen, das sei die erste Phase jeder Erörterung überhaupt — bereitet sein würde.
Damit komme ich zu dem letzten Punkt, zu
Ziffer 4 unseres Antrags. Darin beantragen wir, der Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung zu ersuchen, unverzüglich eine sachgemäße Prüfung und Zusammenstellung aller Unterlagen in Angriff zu nehmen, die an Hand der aus der Note der Sowjetregierung erkennbaren Forderungen und Vorschläge und der von den Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte dargelegten Gesichtspunkte zur Vorbereitung und Unterstützung der deutschen Forderungen bei Viermächtegesprächen dienen sollen.
Wir beantragen weiter:
Dem Bundestag ist über den Fortgang dieser Arbeiten, die in diesem Stadium naturgemäß keine breite Publizität haben können, laufend Bericht zu erstatten.
Wir denken uns, daß das vor allen Dingen den zuständigen Ausschüssen gegenüber geschehen soll. Uns scheint, hier müßte eine sehr sorgfältige Arbeit gemacht werden, zu der alle geeigneten Kräfte herangezogen werden sollten. Man sollte vor allem exakte Vergleiche mit früheren Forderungen der Sowjetregierung auf früheren Viermächtekonferenzen, aber auch auf den Außenministerkonferenzen von Warschau, von Prag usw. anstellen. Man sollte auch die Entwicklung der Stellung der anderen Besatzungsmächte mit der gleichen Sorgfalt verfolgen, und zwar nicht sozusagen global, sondern jede einzeln, damit man sich auch ein ganz klares Bild über diese Entwicklungen und zum Teil vielleicht Schwankungen in den Auffassungen machen kann. Uns wäre nicht damit geholfen, wenn man mit Formeln wie „Neutralisierung" oder „Potsdam", „Zurück zu Potsdam" arbeiten und argumentieren wollte. Potsdam ist ja heute schon ein Begriff, ich möchte sagen: ein sehr vieldeutiger Begriff auch bei jeder einzelnen der vier Besatzungsmächte. Aufpassen müssen wir vor allem, daß dieser Begriff jetzt nicht als Druckmittel angewandt wird, um uns die sogenannte Souveränität des Generalvertrags als die einzige Alternative schmackhaft zu machen oder aufzunötigen. Für die Demokratie in der Welt kann die durch die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit erreichbare Entspannung nur von Vorteil sein, meinen wir. Es müßte doch der Mühe wert sein, Konzeptionen für die Sicherung der Freiheit umzudenken, wenn ein vereinigtes Deutschland Tatsache werden könnte. Und der Westen könnte das j a auch, er könnte es leisten, auch kräftemäßig. Da ist man doch nicht an Konzeptionen gebunden, die unter anderen Umständen entworfen wurden und vielleicht entworfen werden mußten.
Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat kürzlich darauf hingewiesen, daß bei der Ordnung der europäischen Zusammenarbeit naturgemäß Rücksicht auf die nationalen Interessen und die Tradition der einzelnen Staaten genommen werde. Er hat eine Reihe von Beispielen angeführt. Es muß doch auch möglich sein, daß dies für Deutschland erreicht wird.
In einer Stunde, meine Damen und Herren, in der Gefahr ist, daß eine Tür zugeschlagen wird, möchten wir eine gemeinsame neue Anstrengung. Niemand von uns kann mit Sicherheit sagen, was eintreten würde, wenn wir durch Versäumnisse eine vielleicht unwiderrufliche Entscheidung über unser Land heraufbeschwören würden. In diesem Sinne bitten wir um die Annahme dieses Antrags.