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ID0120403400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 204. Sitzung. Bonn, den 3. und 4. April 1952 8743 204. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 3. April, und Freitag, den 4. April 1952. Erster Tag: 3. April 1952 Geschäftliche Mitteilungen 8744D, 8799D, 8800A Zur Tagesordnung 8745A, 15 Erweiterung des Punktes 2 durch die Anträge Nrn. 3268 und 3276 der Drucksachen betr. Truppenübungsplatz Bergen-Belsen 8745A Antrag auf Erweiterung des Punktes 1 durch den Antrag der Fraktion der SPD betr. Verhandlungen über das Saargebiet (Nr. 3236 der Drucksachen): Mellies (SPD) 8745A Dr. von Brentano (CDU) 8745C Widerspruch gegen Aufsetzung 8745D, 8799D Absetzung der Punkte 3 a bis f betr. Zollfragen: Dr. Horlacher (CSU) 8745D Mellies (SPD) 8746A Sperrfrist für Fragen zur nächsten Frage- stunde 8745A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FU, betr. Deutschen Verteidigungsbeitrag (Nrn. 3163, 3084 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Erklärungen des Staatssekretärs Prof. Dr. Hallstein (Nrn. 3203, 3279 der Drucksachen), mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Einheit Deutschlands (Nrn. 3210, 3277, 3288 der Drucksachen) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der FU betr. Auswärtiges Amt (Nr. 3211 der Drucksachen) 8746B Dr. Kopf (CDU): als Berichterstatter 8746C als Abgeordneter 8798A Eichler (SPD), Anfragender 8748C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 8751C, 8758A, 8767C Wehner (SPD), Antragsteller . . . . 8753B Dr. Reismann (FU), Antragsteller . 8762A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 8763C 011enhauer (SPD) 8763D, 8790A Euler (FDP) 8768D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 8771B Dr. von Merkatz (DP) 8776B Dr. von Brentano (CDU) 8779B Fürst zu Oettingen-Wallerstein (FU) 8782D Reimann (KPD) 8784A Dr. Tillmanns (CDU) 8787A Kiesinger (CDU) 8791D Hedler (Fraktionslos) 8795B Loritz (Fraktionslos): zur Sache 8796A persönliche Bemerkung 8800B Dr. Reif (FDP) 8797C Abstimmungen 8798B Zur Geschäftsordnung, betr. Weiterberatung: Dr. von Brentano (CDU) 8800A Unterbrechung der Sitzung 8800B Zweiter Tag: 4. April 1952 Geschäftliche Mitteilungen . 8800C, 8801A, 8816C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FU betr. Beschlagnahmen durch die Besatzungsmächte für militärische Zwecke (Nrn. 3246, 3006 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FU betr. Beschlagnahmung von Geländeteilen für militärische Zwecke (Nrn. 3247, 3145 der Drucksachen), mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Flugplatzbau in Söllingen-Stollhofen und den Antrag der Fraktion der KPD betr. Freigabe des Städtischen Schwimmbades in Frankfurt/Main- Fechenheim durch die Besatzungsmacht (Nrn. 3248, 2961, 2968 der Drucksachen), mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Verhinderung von Landbeschlagnahmung für militärische Zwecke und den Antrag der Fraktion der FU betr. Militärflugplatz in Münster-Handorf (Nrn. 3249, 2922, 3007 der Drucksachen), mit der Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Truppenübungsplatz Bergen-BelsenMunster-Fallingbostel (Nr. 3268 der Drucksachen) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Erweiterung des Truppenübungsplatzes Bergen-Belsen (Nr. 3276 der Drucksachen) 8745A, 8800C Dr. Hasemann (FDP): als Berichterstatter 8801A als Abgeordneter 8807D Matthes (DP), Antragsteller 8802C Frau Korspeter (SPD), Antrag- stellerin 8803D Majonica (CDU) 8804B Niebergall (KPD) 8804C Morgenthaler (CDU) 8805A Müller (Frankfurt) (KPD) 8805D Dr. Bertram (FU) 8806B, 8807B Jaffé (DP) 8806D • Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) . . . 8807A Dr. Arndt (SPD) (zur Abstimmung) . 8808A Abstimmungen 8808A Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Teuerungszulagenänderungsgesetz) (Nr. 3217 der Drucksachen) . . . 8808B Arndgen (CDU), Antragsteller 8808B, 8810C Freidhof (SPD) 8808D Renner (KPD) 8810A Ausschußüberweisung 8810D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951 (Nr. 3208 der Drucksachen) 8810D Ausschußüberweisung 8810D Erste Beratung des von der Fraktion der FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Abschnitts I des Grundgesetzes (Nr. 3206 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. steuerliche Erleichterungen für Handwerks- und Kleingewerbebetriebe (Nr. 3212 der Drucksachen) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk (Nr. 3213 der Drucksachen) 8810D Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller 8811A Dr. Preusker (FDP), Antragsteller 8811D Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) . . . 8812A Loritz (Fraktionslos) 8812B Renner (KPD) 8812D Ausschußüberweisungen 8813A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zúm Strafverfahren gegen den Abg. Hilbert gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 14. Februar 1952 (Nr. 3222 der Drucksachen) 8813B Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 8813B Beschlußfassung 8813D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und ,Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abg. Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 7. März 1952 (Nr. 3235 der Drucksachen) 8813D Löbe (SPD), Berichterstatter . . . 8814A Renner (KPD) 8814B Dr. Mende (FDP) 8814C Ritzel (SPD) 8814D Beschlußfassung 8815A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Kulturpolitik (37. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Devisen für den deutschen Kunst- handel (Nrn. 3231, 3099 der Drucksachen) 8815A Dr.-Ing. Decker (FU), Berichterstatter 8815B Hennig (SPD) 8815D Beschlußfassung 8816C Nächste Sitzung 8816C Erster Tag: Donnerstag, den 3. April 1952. Die Sitzung wird um 13 Uhr 30 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Replik auf die Rede meines Freundes 011enhauer seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, daß überhaupt ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei sich an der Schaffung des Grundgesetzes mitbeteiligt habe, wenn dieses Grundgesetz wirklich nur ein politisches Gebilde habe schaffen sollen, daß nichts mehr tun konnte als die Schaffung provisorischer Situationen. So habe ich seine Rede wenigstens verstanden.

    (Bundeskanzler Dr. Adenauer: Dann haben Sie mich mißverstanden!)

    — Habe ich Sie mißverstanden?

    (Bundeskanzler Dr. Adenauer: Ich habe damit sagen wollen, Herr Präsident: trotzdem dieses ganze Faktum nur von den drei Westalliierten ohne Sowjetrußland geschaffen worden ist!)

    — Ja, gut, dann bedauere ich, Sie mißverstanden zu haben. Aber ich glaube, daß ich doch noch zu Ihren Worten etwas ausführen muß. Der Grund, weswegen wir Sozialdemokraten uns an der Aufgabe beteiligt haben, das Grundgesetz und damit die Bundesrepublik zu schaffen, war, daß in dem Mandat, das der Parlamentarische Rat ausdrücklich erhielt, ausgesprochen war, es solle die Aufgabe der Bundesrepublik sein, nur „vorläufige organisatorische Maßnahmen" zu treffen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    In der Mantelnote, durch die am 10. Juli 1948 die deutschen Ministerpräsidenten es übernommen haben, die Londoner Entschließungen zu vollziehen, ist ausdrücklich gesagt worden, daß im Zuge der übernommenen Aufgabe keine definitiven Situationen geschaffen werden dürften.
    Eine weitere Bemerkung: Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir Sozialdemokraten oder einige von uns hätten offensichtlich ein besonderes Vertrauen zu den Absichten der Sowjetregierung. Meine Damen und Herren, wir haben keinen Kinderglauben -in die ausschließliche. Güte der Absichten der Regierungen, die deutsches Land besetzt haben,

    (Zustimmung bei der SPD)

    und am allerwenigsten haben wir Vertrauen in die Absichten der Sowjetregierung!

    (Erneute Zustimmung bei der SPD. — Abg. Kunze: Gott sei Dank! — Zuruf von der SPD: Das weiß der Kanzler auch!)

    Ich habe mich zu einer weiteren Behauptung des Herrn Bundeskanzlers zu äußern. Mein Freund Ollenhauer hat gesagt: „Die vier Besatzungsmächte stehen uns in gleicher Wertung und Bedeutung gegenüber". Daraus wurde abgeleitet, Ollenhauer habe die moralische Gleichsetzung der vier Besatzungsmächte erklärt. Meine Damen und Herren, wir haben es den Amerikanern nicht vergessen, daß sie durch ihre Hilfe unser Volk vor dem Verhungern bewahrt haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Schon das schließt die gleiche moralische Bewertung der Regierung des amerikanischen Volkes mit der der Sowjetunion aus! Das ist doch etwas anderes als die Klärung der Frage, mit welchen Machtfaktoren man rechnen muß!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Und da hat doch mein Freund Ollenhauer nichts anderes sagen wollen als: wir brauchen alle vier Besatzungsmächte, wenn wir die Einheit Deutschlands herstellen wollen!

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Insoweit sind alle vier in Gottes Namen in gleichem Maße als Machtfaktoren in unsere Rechnung einzusetzen und entsprechend zu bewerten.

    (Erneute Zurufe: Weiß der Kanzler doch alles!)

    Etwas anderes hat Herr Ollenhauer nicht sagen wollen und nicht gesagt. Ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler die Ausführungen Erich Ollenhauers anders verstanden hat, so

    (Zurufe von der SPD)



    (Dr. Schmid [Tubingen])

    als habe er sagen wollen: Uns sind die Russen und ihre Taten gleich lieb wie die der Westmächte, und wir bewerten ihr Tun gleichermaßen wie das, was etwa die Amerikaner getan haben.

    (Zurufe von der SPD und links.)

    Was die Rede in Siegen betrifft, so stelle ich mit Freuden fest, daß sie in der Presse offensichtlich unrichtig wiedergegeben worden ist und daß der Herr Bundeskanzler mit seinen Ausführungen ausschließlich Ostdeutschland, also die Gebiete östlich von Oder und Neiße, gemeint hat. Wir verargen ihm das nicht nur nicht, sondern wir sind im Gegenteil der Meinung, daß es die Pflicht der Bundesregierung ist, alles zu tun, was die Wiedereinfügung dieser Gebiete ermöglichen kann. Nur meinen wir: Wenn man das will, dann muß man auch die Voraussetzungen dafür und gewisse Konsequenzen wollen.
    Was die Ausführungen des Kollegen Euler anlangt, so glaube ich, daß es wenig Sinn hat, wenn wir uns hier über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit einzelner Maßnahmen und einzelner Ausführungen in den Noten streiten. Die Frage, die zur Entscheidung steht — das kommt in den beiden Antragsentwürfen klar zum Ausdruck —, ist, ob die Politik der Bundesregierung in ihrer Gesamtanlage eine Chance hat, das von ihr selbst erstrebte Ziel mit den Methoden zu erreichen, die die Bundesregierung zur Zeit anwendet. Das ist die Frage.
    Der Herr Bundeskanzler hat uns erklärt — und der Bundestag hat ja schon längst entsprechende Beschlüsse gefaßt —, daß es das oberste Ziel einer jeden Außenpolitik der Bundesrepublik sein müsse, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu betreiben, nicht nur aus nationalen Gründen, die an und für sich ausreichen würden, um den Rang dieses Anliegens zu bestimmen, sondern auch aus internationalen Gründen, weil nur, wenn die Spaltung Deutschlands aufgehoben ist, überall in der Welt auf festem Grund wird gebaut werden können.
    Damit aber sind gewisse Konsequenzen verbunden. Denn wenn man sagt, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit das vornehmste, das oberste oder das vordringlichste Ziel der deut- Außenpolitik sei, dann sagt man damit zugleich, daß demgegenüber andere Ziele sekundär sind oder daß sie nichts anderes sind als Mittel zur Erreichung eben dieses vornehmsten und vordringlichsten Zieles. Ich unterstelle, daß auch die Bundesregierung so denkt, und ich erlaube mir nun zu untersuchen, ob sie recht mit der Behauptung hat, daß ihre Politik die Verwirklichung dieses Satzes sei, oder ob sie sich dabei irrt. Die Konsequenz dieses Satzes ist doch, daß auf jeden Fall alles unterlassen werden müßte, was diesem vornehmsten Ziel zum Nachteil gereichen könnte. Ich möchte hier aber noch eines feststellen. In dem Beschlusse, den wir vor vielen Monaten gefaßt haben und in dem es heißt: „die Einheit Deutschlands in einem geeinten Europa" dürfen die Worte „in einem geeinten Europa" nicht als Einschränkung, auch nicht hinsichtlich der Frage der Vordringlichkeit der Aufgabe, Gesamtdeutschland zu schaffen, verstanden werden. Diese Einheit Deutschlands ist friedlich nur über ein Viermächteabkommen zu erreichen. Wir mögen bedauern, daß wir die Vier dazu brauchen; aber es ist nun einmal so. Und der Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden kann, kann nur über gesamtdeutsche Wahlen und die Schaffung
    einer gesamtdeutschen, freien, in ihren Entschlüssen freien Regierung führen.
    Wenn man das will, nun, dann muß man die Westmächte und die Russen dazu bringen, in gesamtdeutsche Wahlen einzuwilligen, und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese Wahlen freie Wahlen werden. Das heißt, man darf nicht nur das Interesse der einen Seite wecken, sondern man muß auch das der anderen Seite ansprechen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn man es für unmöglich hält, das Interesse auch der Sowjetunion anzusprechen, nun, meine Damen und Herren, dann ist die Konsequenz, daß man auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit verzichten muß, es sei denn, daß man sich zu der Hoffnung berechtigt hält, man könne durch das Verhalten des Westens die Russen zwingen, in die Vorschläge des Westens einzuwilligen.

    (Zuruf rechts: Dazu veranlassen!)

    Es gibt entweder die Möglichkeit, an das Interesse,
    oder die Möglichkeit, an die Macht zu appellieren.
    Man sagt uns: Wir müssen uns stark machen; stark werden wir nur durch Vollendung der Eingliederung Deutschlands in den Mechanismus des politischen Systems des Westens; diese setzt den Beitritt Deutschlands zu dem europäischen Verteidigungsabkommen voraus, also seine Einfügung in die politische Ordnung des atlantischen Systems oder eine Ordnung am Rande des atlantischen Systems — was doch nichts anderes bedeutet als die Übernahme der Verpflichtung, die Politik der Führungsmächte dieses Systems mit zu übernehmen.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Man glaubt also den Russen zumuten zu können, ihre Machtposition in Deutschland aufzugeben, und ihnen weiter zumuten, zu können, das zuzugeben, daß Mitteldeutschland — sein politisches, wirtschaftliches Potential — dem 'Machtpotential des atlantischen Blocks zugeschlagen wird, den die russische Regierung heute nun einmal als feindlich betrachtet. Das heißt doch wohl die Selbstlosigkeit der Russen und vielleicht auch ihre Angst vor einer Europaarmee überschätzen.
    Aber man sagt uns dazu: Wenn wir den Westen durch unseren Beitritt zu diesem politischen System stark genug gemacht haben, dann kann der Westen mit den Russen in einer Sprache reden, die sie allein verstehen.

    (Abg. Renner: Das hat Hitler schon gesagt!) Nach der Auffassung vieler gehört dazu auch ein deutscher militärischer Beitrag an den Westen, weil er durch die Antwortnote der westlichen Alliierten zum mindesten offengehalten werden soll und weil er durch die Regierung betrieben wird und — wenn ich Ihre Resolution richtig verstanden habe — weiter betrieben werden soll bis zum Abschluß und zur Perfektion des Gewollten.


    (Abg. Eichler: Bis zum bitteren Ende!)

    Was heißt es denn: gestützt auf diese Stärke eine Sprache sprechen, die der andere versteht? Bedeutet das — ich will es nicht hoffen und kann es auch nicht annehmen — die Möglichkeit der Drohung, von dieser militärischen Stärke Gebrauch zu machen, wenn der andere nicht hören will? Ich wiederhole: Ich glaube nicht, daß das die Absicht der Bundesregierung ist. Im übrigen stünde das ja nur zum ganz geringen Teil in ihrer Entscheidungsbefugnis ...

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    Ich glaube, daß hierüber andere Leute sehr viel mehr zu sagen haben würden als sie. Also ist es doch so, daß man eine militärische Stärke will, von der man entschlossen ist, in der politischen Offensive für die Einheit Deutschlands keinen Gebrauch zu machen. Was soll dann bei dieser politischen Offensive, die wir alle unternehmen wollen, diese militärische Stärke nützen?

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Ein Instrument, von dem ich keinen Gebrauch machen will, ist doch genau so, als hätte ich es nicht. Das ist doch ein Messer ohne Heft und Klinge!

    (Erneutes Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Kunze: Das ist doch keine Politik mehr! — Abg. Strauß: Das war der beste Witz, Kollege Schmid!)

    Man sagt doch jetzt: Wir müssen uns — auch militärisch — in den Westen integrieren, nicht nur und in erster Linie zu Verteidigungszwecken, sondern damit wir eine Machtgrundlage für eine politische Offensive zur Herstellung der Einheit Deutschlands haben. Ich glaube, daß in dieser Konzeption der Bundesregierung so viel Widerspruch steckt, daß ein Faktor den andern aufhebt, und ich möchte darauf hinweisen, daß die Stärke einer Verhandlungspartei auch auf andere Weise als durch Häufung militärischer Machtmittel gesteigert werden könnte.
    Nun sagt man uns: Ohne den aktiven Beistand der Westmächte sind wir in dieser Sache nichts! Wir müssen unsere Politik betreiben, schon um die Westmächte zu veranlassen, einmal, uns als Partner zu betrachten, dann, den Schutz Deutschlands zu übernehmen, und schließlich, die Herstellung der Einheit Deutschlands zu ihrer eigenen Politik zu machen.
    Was nun die Partnerschaft anlangt, so scheint es mir, als rede man manchmal so davon, als ob die Westmächte die Absicht hätten, uns so brüderlich an sich heranzuziehen, wie wir gern unsere Brüder jenseits des Eisernen Vorhangs an uns heranziehen möchten. Ich glaube, daß das eine Verkennung dessen ist, was man im Westen unter Partnerschaft versteht. Wenn man die Reden in den dortigen Parlamenten und Äußerungen verantwortlicher Staatsmänner liest, scheint es doch eher so zu sein, daß man uns in das eigene politische System eingliedern will, um zu verhindern, daß das, was in Deutschland an politischem Potential steckt, dem östlichen Gegner zuwächst. Durchaus richtig für die anderen! Aber wir sollten sehen, daß das die Absicht ist, d. h. daß man uns haben will, daß man uns dabei haben will, soweit ein eigenes Interesse besteht und soweit sich das für den Westen politisch auszahlt.

    (Zuruf des Abg. Dr. Hasemann.)

    Wir sind für ihn ein möglicher Zuwachs an Machtpotential, und er möchte diesen Zuwachs, Herr Hasemann, so billig als möglich haben. Wenn es anders wäre, müßte es den Westmächten leichter fallen, in die Normalisierung unseres politischen und juristischen Status zu willigen, als es ihnen offenbar heute noch fällt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das andere Argument: der Schutz nach außen. Ich möchte nicht, daß meine Ausführungen dazu etwa so verstanden werden, als insinuierte ich den Westmächten mangelnde Vertragstreue. Aber da steht doch die Frage vor uns: Wie werden Verträge auch von vertragstreuen Partnern ausgeführt,
    Verträge, bei denen es um Leben und Tod geht? Doch immer nur unter dem Vorbehalt der Lebensinteressenklausel!

    (Abg. Dr. von Brentano: Sollen wir nie mehr Verträge abschließen?)

    - Nein, Herr von Brentano; aber erlauben Sie mir, etwas zu der möglichen Tragweite einiger Bestimmungen gewisser Vertragsentwürfe zu sagen. — Sie sollen uns Schutz nach außen bringen: Die französische Kammer hat von dem französischen Außenminister hören können, daß etwaige Grenzzwischenfälle den Casus foederis nicht auslösen sollen. Wer wird darüber entscheiden, was ein Grenzzwischenfall ist und was ein Angriff ist? Ich weise hier nur auf Berlin hin.
    Bei einer eventuellen Vollinvasion Deutschlands geht aber sowieso der dritte Weltkrieg los, denn die Westmächte, die vielleicht einmal die Russen als Verbündete gerne mochten, wollen sie als Nachbarn nicht haben! Ich glaube nicht, daß eine Klausel im Generalvertrag uns eine zusätzliche Sicherheit bringen kann; denn es wird nichts anderes geschehen, als was sich aus der Notwendigkeit der Situation — unter Berücksichtigung der Lebensinteressen unserer Nachbarn — ergeben wird. Wir sollen doch nicht vergessen — Herr Ollenhauer hat darauf hingewiesen —, daß einige dieser Mächte noch gewisse Verträge mit den Russen haben, auch militärische Bündnisverträge. Es wird noch die Frage sein — und sie werden sie entscheiden —, nach welchen 'Gesichtspunkten sie das Verhältnis dieser Verträge zueinander und damit ihre Rangordnung bestimmen werden. Eine Chance, effektiv verteidigt zu werden, haben wir nur, wenn die Westmächte sich in Deutschland selber angegriffen fühlen und darum ein eigenes Interesse daran haben, einer russischen Invasion Deutschlands entgegenzutreten. Da können Verträge nicht sehr viel hinzubringen.
    Eine weitere Verpflichtung unserer Partner sollte sein, die Einheit Deutschlands zu betreiben. Das Problem der Herstellung der Einheit Deutschlands ist unteilbar in Ost und West, und da möchte ich mich dagegen verwahren, daß man etwa das Saargebiet als einen anders zu wertenden Sonderfall betrachtet. Wenn man von Herstellung der Einheit Deutschlands spricht, dann meinen wir, hoffe ich, alle miteinander den Osten und den Westen.

    (Abg. Dr. Friedensburg: Selbstverständlich! — Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Wir wissen aber, wie die Franzosen darüber denken. Erst gestern oder vorgestern hat der französische Außenminister vor dem Senat darüber gesprochen. Er hat dort gesagt, daß sich für die französische Politik nichts geändert habe: es bleibe beim Status quo als dem Ziel der französischen Politik. Was werden Leute, die dort, wo das Problem sie selber betrifft, zur Frage der deutschen Einheit so stehen, für die Herstellung der deutschen Einheit im Osten viel tun? Sie müßten dann schon ihre klassische Politik aufgegeben haben! Und wenn man sogar dort gewichtige Stimmen sagen hört, man fühle sich auch dadurch bedroht, daß einmal 67 statt 48 Millionen Deutscher Verbündete werden könnten, denn diese könnten durch ihr numerisches Obergewicht die Koalition beherrschen —, nun, meine Damen und Herren, dann weiß ich nicht recht, worauf Sie Ihre Hoffnung gründen, daß von allen drei Westmächten wirk-


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    liche Aktivität zur Herstellung eines Zustandes entwickelt werden könnte, den eine mindestens glaubt fürchten zu müssen.
    Nun sagt man uns: Gerade weil es so ist, müßten wir in diese Organisation hineingehen, damit wir dort auf das Tempo drücken könnten und unsere Ziele zu verfechten und Initiativen auszulösen vermöchten. Gut; das ist ohne Frage eine Chance. Aber sie hat auch eine böse Kehrseite: Fesselt denn die Klausel, daß die Einigungspolitik von allen Westmächten gemeinsam betrieben werden muß, uns nicht bei unseren möglichen Initiativen an den guten Willen der anderen? Macht es uns diese Klausel nicht unmöglich, selbständig Initiativen zu ergreifen und dies dann, wenn wir sie für nützlich halten? Es braucht doch nur eine Macht nein zu sagen, um ,uns schon rechtlich daran zu hindern, eine Initiative zu ergreifen, wenn sie ihr nicht gelegen kommt. Es ist doch noch immer so gewesen, daß das Tempo der Reise durch das langsamste Pferd bestimmt wird. Auch hier wird das eigene Interesse der Alliierten und nicht eine doch recht vage Bestimmung des Generalvertrags bestimmen, was geschieht. Dieses Interesse wird aber nicht etwa durch den Generalvertrag begründet, sondern es wird in der Sache selbst liegen oder nicht vorhanden sein. Und ich will nicht einmal davon sprechen, was es bedeuten könnte, daß ja die Alliierten wechselseitig Verpflichtungen eingegangen sind, bei den Friedensverhandlungen dem einen oder dem anderen von ihnen ein Stück deutschen Gebietes zu verschaffen. Es mag sein, daß diese Abmachungen heute nicht mehr das Gewicht haben, das sie gestern sicher hatten. Aber immerhin: sie bestehen noch, und gelegentlich beruft man sich doch noch darauf, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.
    Ich bitte, auch hier keinem Mißverständnis zu unterliegen! Es ist natürlich eine gute Sache, daß in Verträgen von der Herstellung der Einheit Deutschlands gesprochen wird. Dies hat zumindest die Wirkung einer Vormerkung im Grundbuch, wenn ich so sagen darf. Aber entscheidend ist doch nicht das, sondern die praktische Tragweite einer solchen Formel; und da ist doch die Frage erlaubt, ob es sich denn wirklich lohnt, um einer solchen Formel willen das Risiko zu übernehmen, daß Viermächteverhandlungen erschwert oder unwahrscheinlich werden.
    Durch eine Vertragsbestimmung, wonach die Westmächte die Verpflichtung übernehmen, die Herstellung der deutschen Einheit zum Gegenstand ihrer Politik zu machen, wird praktisch nichts erreicht, was nicht schon durch die Tatsachen und die Interessen der anderen Staaten selbst hervorgebracht wird. Manchmal habe ich den Eindruck, als sprächen gewisse Leute von solchen Klauseln, als handle es sich dabei um klagbare Ansprüche! Was ist da zu tun, fragt man sich. Ich will völlig dahingestellt sein lassen, ob die Außenpolitik der Bundesregierung in ihren einzelnen Zielen richtig ist oder nicht. Sie hat Tatsachen geschaffen, die heute wirksam sind, und auf Grund dieser Tatsachen muß man operieren. Da bleibt mir nicht sehr viel anderes übrig, als von den Methoden zu sprechen, nach denen das vornehmste politische Ziel der Bundesrepublik auf Grund der Lage, wie sie nun einmal geworden ist, erreicht werden kann.
    Wenn man die Russen an den Verhandlungstisch bringen will, wenn man nicht ein russisches Nein geradezu provozieren will, dann muß man ihnen ein Interesse offen lassen. Man muß Verhältnisse
    schaffen, die ihnen erlauben, unter bestimmten Umständen den Nachteil oder scheinbaren Nachteil der Aufgabe Mitteldeutschlands durch allgemeinpolitische Vorteile für kompensierbar zu halten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Hasemann.)

    Welches können diese Verhältnisse sein? — Herr Hasemann, ich komme jetzt darauf!

    (Abg. Kiesinger: Herr Schmid, Sie sind von Herrn Luetkens bekehrt worden!) — Nein!


    (Abg. Kiesinger: Ich habe den Eindruck!)

    — Nein, Herr Kiesinger; vielleicht reden wir ein andermal darüber.

    (Abg. Dr. Gerstenmaier: Die Metamorphose schreitet fort!)

    — Ich glaube, Sie werden dann nicht so leichtfertig mit Ihren Insinuationen sein.
    Welches können diese Verhältnisse sein? Tatsachen, die die Chance geben, daß die Möglichkeit für universelle Verhandlungen offenbleibt, Verhandlungen, bei denen auch andere Dinge geregelt werden können, als jene, die sich heute in Deutschland begeben. Nur wenn ein echter Verhandlungsstoff da ist, haben doch Viermächteverhandlungen Aussicht auf einen greifbaren Erfolg! Sollte sich dann zeigen, daß die Möglichkeit solcher Verhandlungen den Russen nicht als ausreichende Kompensation erscheint, nun, dann werden wir wenigstens wissen, woran wir sind, und dann werden wir unsere Entschlüsse von anderen Grundlagen aus fassen müssen, als wir das heute könnten. Das wird bitter sein; aber wir werden dann wenigstens auf festem Grund stehen und uns nicht mehr den Vorwurf zu machen brauchen, wir hätten nicht jede Möglichkeit, zu einem besseren Ende zu kommen, erschöpft!
    Diese Chance wird weggenommen sein, wenn erst einmal endgültige Tatsachen geschaffen sein werden. Die Unterzeichnung der jetzt ausgehandelten Verträge würde solche endgültigen Tatsachen schaffen und damit die Chancen für die Viermächteverhandlungen zerstören. Darum dürfen diese Verträge so lange nicht unterzeichnet werden, als die letzten Möglichkeiten, zu Viermächteverhandlungen zu kommen, nicht erschöpft sind.

    (Abg. Euler: Wieviel Jahre soll das dauern?) Man hat uns gesagt, daß nur auf Grund der bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen mit den Westmächten,


    (Abg. Euler: Herr Schmid, wie lange dauert das? Über den österreichischen Staatsvertrag wird schon seit vier Jahren verhandelt!)

    daß nur auf Grund des drohenden Abschlusses dieser Integrationsverhandlungen die Russen dazu gebracht worden seien, ihr Angebot zu machen.

    (Abg. Dr. Hasemann: Natürlich!)

    — Gesetzt den Fall, Herr Hasemann, Sie hätten recht, — gibt es da nicht einen Unterschied zu beachten? Die Grenzlinie, die den Zustand v o r der Unterzeichnung von dem n ach der Unterzeichnung trennt, scheidet doch auch die Richtung, in der sich ein Interesse entwickeln könnte. Solange noch nicht unterschrieben ist, mag ein russisches Interesse an Verhandlungen sehr lebendig sein; ist einmal unterschrieben, dann haben sie kein Interesse mehr. Sie könnten dann ja nicht mehr tun als die Politik der Gegenseite akzeptieren oder für das Rückgängigmachen ihrer Erfolge einen sehr, sehr hohen Preis zu bezahlen. Diesen hohen


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    Preis werden die Russen nicht bezahlen; so weit sind sie noch nicht, und ich sehe nicht, wann es einmal so weit kommen könnte. Da ist es für die Russen viel einfacher, sich im Osten politisch zu verschanzen. Die Folge davon würde aber sein, daß sich die zwei Blöcke fortan in einer Art von gepanzerten Fronten gegenüberstehen. Jeder hätte dann vorläufig zu eigen, was er heute im Besitze hat. Es bestünde keine Notwendigkeit mehr, sich zu einigen, um zu verhindern, daß dem andern zuwächst, was man heute noch für sich nutzen kann.
    Die Alternative Ostblock—Westblock ist doch zu einfach! Ebenso wie die Behauptung, es gebe als einzige weitere Alternative die Neutralisierung. Sie wissen doch, daß wir das für keine Möglichkeit halten. Es ist schlechthin unmöglich — schon vom Technischen her —, ein Land wie Deutschland zu neutralisieren. Das ginge doch nur über eine Art von Kontrollrat, — und was die bewaffnete Neutralität anbetrifft, — meine Damen und Herren, das ist doch bei einem Volk in der Lage des deutschen ein Unsinn!

    (Abg. Kunze: Was wollen Sie denn?)

    — Warten Sie noch ein wenig, Herr Kunze, ich werde versuchen, es Ihnen genau zu sagen!
    Gibt es denn wirklich nur diese drei Möglichkeiten? Man hat von Schweden und Indien gesprochen, von zwei Mächten, die sich doch weiß Gott für den Westen entschieden haben und trotzdem nicht in das politische System eingetreten sind, das man das atlantische System nennen könnte. Ich halte solche Analogien nicht für zulässig. Deutschland liegt anderswo als Schweden und Indien.

    (Abg. Dr. Hasemann: Sehr richtig!)

    Man kann nicht einfach übertragen, was anderswo geschaffen wurde; denn es besteht keine Identität der Situation. Deutschland hat eine Sonderstellung.

    (Sehr richtig! bei der CDU und rechts.)

    Aber ist es denn ganz unmöglich, eine dieser deutschen Situation angemessene Sonderlösung zu finden?

    (Abg. Kunze: Welche?)

    Andere Staaten verlangen doch auch, daß man ihre besondere Situation berücksichtigt,

    (Zuruf. von der CDU: Welche denn?)

    und man nimmt das den Briten, den Franzosen und anderen nicht übel. Warum sollen nicht auch wir darauf bestehen können, daß eine Regelung angestrebt werde, die unserer besonderen Situation angemessen ist?

    (Zurufe von der CDU: Aber welche?)

    Das erfordert zunächst eines, Herr Kollege Hasemann:

    (Abg. Dr. Hasemann: Ich habe gar nichts gesagt!)

    Der Status Deutschlands — der rechtliche und der politische — kann nicht schon v o r Beginn der Verhandlungen bestimmt werden, nicht durch Vereinbarungen und nicht durch die Schaffung unabänderlicher Tatsachen. Der Status Gesamtdeutschlands muß das Ergebnis dieser Verhandlungen sein, und bei diesen Verhandlungen werden wir dabei sein müssen. Diese Verhandlungen, deren erste Etappe zu gesamtdeutschen Wahlen führen muß, bekommen wir nur, wenn wir den Russen nicht die Chance nehmen, daß durch
    die angestrebten Endverhandlungen etwas geschaffen werden könnte,

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Was denn?)

    das auch in ihrem Interesse liegt. Da meine ich nicht, Herr von Rechenberg, die sogenannten kommunistischen Vorbehalte in der russischen Note.

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Aber was meinen Sie denn? — Weitere Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Wenn wir, nachdem gemeindeutsche Wahlen stattgefunden haben, mit diesen Dingen nicht fertig werden, dann weiß ich nicht, womit wir sonst fertig werden sollten.

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Ihre Lösung! Sagen Sie endlich Ihr e Lösung!)

    Verhandlungen über die Herstellung der deutschen Einheit setzen voraus, daß Ost und West bereit sind, das Risiko der Unbestimmtheit des Verhandlungsergebnisses auf sich zu nehmen. Wollen sie das nicht, nun, dann gäbe es doch nur die Unterwerfung des einen Teiles unter die Politik des andern — und keiner ist stark genug dafür, noch wird er in absehbarer Zeit stark genug dafür sein. Geht man mit dieser Fragestellung in die Verhandlungen, wird man feststellen können, wie ernst es den Russen mit ihren Angeboten ist. Willigen sie in gesamtdeutsche Wahlen nur ein, wenn vorher schon das Ergebnis der nachfolgenden Verhandlungen garantiert wird, dann werden wir wissen — endgültig und mit allen Konsequenzen wissen —, daß es ihnen auf eine wirkliche Ordnung der Probleme nicht ankommt. Willigen sie aber in solche Verhandlungen ein, ohne vorher Garantien für ein bestimmtes Ergebnis der materiellen Verhandlungen zu verlangen, dann — n u r dann! — können wir davon ausgehen, daß es ihnen mit ihrer angeblichen Absicht ernst ist, das zur Wiederherstellung der deutschen Einheit Erforderliche zu tun. Eine solche Vereinbarung aber kann nur auf der Grundlage einer Verständigung der beteiligten Staaten über die Gesamtheit der Faktoren, die die Welt bisher in zwei Hälften auseinandergerissen haben, erfolgen.
    Wenn Sie eine solche Möglichkeit für ausgeschlossen halten — vielleicht haben Sie recht, wenn Sie das tun,

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Derzeit sicher!)

    aber ich weigere mich, Ihnen heute schon darin zu folgen —, dann sehe ich nicht mehr sehr viel Hoffnung für unsern Kontinent, Herr von Rechenberg.

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Doch, trotzdem!)

    Müssen wir uns, wenn Sie recht haben sollten, denn nicht dann darauf einrichten, daß man sich wieder eingraben wird,

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Nein!)

    in einen schrecklichen Grabenkrieg der Politik eingraben wird?

    (Zurufe in der Mitte und rechts: Nein!)

    Müssen wir uns dann nicht politisch darauf einrichten, miteinander nur noch über Kimme und Korn zu verkehren?

    (Unruhe in der Mitte und rechts.) Wohin wird ein solcher Zustand führen? — Ich



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    meine das nicht militärisch, Herr Kunze; ich meine es politisch. —

    (Abg. Kunze: Nein, Sie meinen das mit einem andern Akzent, weil Sie Materialist sind!)

    Wenn es eine Verpflichtung für uns alle gibt, dann ist es doch die, zu verhindern, daß es zu diesem politischen Stellungskrieg kommt, und alles zu tun, was imstande sein könnte, das Gespräch in Gang zu bringen und in Gang zu halten, bis die Lösung gefunden ist, die nur am Ende der Verhandlungen — am E n d e der Verhandlungen! — wird gefunden werden können.

    (Unruhe in der Mitte und rechts.)

    Haben sich einmal die beiden Blöcke endgültig konstituiert, hat sich jeder endgültig in den Besitz seiner Erdhälfte gesetzt, haben sich Ost und West auf dem Gebiet Deutschlands endgültig geschieden

    (anhaltende große Unruhe)

    — und das geschieht, fürchte ich, wenn man vor einer Einigung Deutschlands die Bundesrepublik endgültig zu einem politischen Bestandteil des politischen Systems des Westens macht —, dann allerdings sehe ich wenig Wahrscheinlichkeit mehr dafür, daß noch eine Verständigung der beiden Gewaltigen über ihr wechselseitiges Verhältnis in bezug auf sich und in bezug auf dritte Staaten erfolgen könnte, bei der Deutschland nicht schließlich doch das Opfer sein würde; und wenn ich sage: Deutschland, dann meine ich die Deutschen drüben hinter dem Eisernen Vorhang, ohne die wir nicht Deutschland sind.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweck einer außenpolitischen Debatte im Parlament ist, durch kritische Würdigung der bisherigen Maßnahmen und durch konkrete Forderungen den Stand der auswärtigen Verhandlungen im Interesse Deutschlands zu fördern. Aufgabe des Parlaments ist, die Stellungnahme zur politischen Zielsetzung herauszuarbeiten. Die heute auf der Tagesordnung stehenden Anträge haben bis auf den letzten einen inneren Zusammenhang. Letzthin kreist alles um die beiden Fragenkomplexe: die Einheit Deutschlands und die europäische Zusammenarbeit.
    Ich kann mich nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Schmid des Eindrucks nicht erwehren, daß die Politik der Eingliederung in eine europäische und atlantische Organisation der Zusammenarbeit von der Opposition als eine Erschwerung aufgefaßt wird dafür, daß auf der Grundlage von Viermächtebesprechungen die Frage der deutschen Einheit einer Förderung zugeführt wird. Ich glaube, daß es bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge außerordentlich gefährlich ist, die kritische Sonde, die Analyse in einer Form an die bisherigen Maßnahmen anzulegen, wie das vom Herrn Kollegen Schmid geschehen ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es kann sein, daß schließlich bei diesem Verfahren der Analyse überhaupt nichts mehr übrigbleibt und man vor einen nihilistischen Trümmerhaufen 'der gesamten europäischen Politik überhaupt zu stehen kommt.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Es sind hier zu unterscheiden die weltpolitische Lage und die konkreten deutschen Interessen. Wir haben nicht den Beruf und die Möglichkeit, Weltpolitik zu treiben. Bei der Beratung der deutschen Interessen müssen wir aber auf die weltpolitische Lage Rücksicht nehmen. Die konkreten deutschen Interessen, die wir im Sinne von Forderungen vertreten können und vertreten müssen, enden ostwärts von Breslau und westlich von Saarbrücken, um diese Formulierung von Herrn Sethe aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aufzunehmen. Auf dem Gebiet der Weltpolitik haben wir keine Forderungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Wir müssen aber bei unseren eigenen Forderungen auf die weltpolitische Lage Rücksicht nehmen. Die weltpolitische Lage bildet nämlich den Hintergrund für das Ganze, und soweit sie uns betrifft, wird sie durch die Tatsache gekennzeichnet, daß die Sowjetunion die Spaltung Deutschlands dadurch herbeigeführt hat, daß sie eine kommunistische Herrschaft, die von ihr abhängig ist, in der von ihr besetzten Zone errichtet hat. Sie hat damit diesen Teil Deutschlands zwar nicht annektiert, aber in einer sehr wirksamen Weise in ihren Machtbereich einbezogen. Darüber hinaus hat sie im Anschluß an die Potsdamer Beschlüsse deutsches Reichsgebiet ostwärts der Oder und Lausitzer Neiße durch Vertreibung der deutschen Bevölkerung de facto zugunsten Polens vom Deutschen Reich abgetrennt, ferner einen Teil Ostpreußens de facto und de jure zugunsten der Sowjetunion annektiert.
    Die weltpolitische Lage wird ferner gegenüber diesen destruktiven Tatsachen dadurch gekennzeichnet, daß sich im Anschluß an den zweiten Weltkrieg die Tendenz immer mehr durchzusetzen beginnt, die Welt nicht in souveränen Nationalstaaten zu organisieren, sondern in politischen Großräumen, die auf eine Zusammenarbeit der ihr eingegliederten Staaten aufgebaut sind. Bei diesen großräumigen Gebilden handelt es sich nicht um Bündnisse und Koalitionen im überkommenen Sinn, sondern um den Anbruch einer neuen Epoche mit völlig neuen Aspekten hinsichtlich der völkerrechtlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, und kulturellen Entwicklung.
    Diesen Tatsachen haben wir Rechnung zu tragen, wenn wir überhaupt überleben wollen. Der Großraum, dem ganz Deutschland angehören will, ist das vereinigte Europa als Glied einer atlantischen Gemeinschaft. Ich betone hier nochmals, daß es sich dabei um Ordnungsprinzipien handelt, die weit mehr bedeuten als Bündnisse und Koalitionen. Es handelt sich um eine Neuordnung der Welt, die wir bejahen, wobei wir uns bewußt sind, daß ihre Verwirklichung auch davon abhängen wird, daß die einzelnen Glieder dieser politischen Gemeinschaft in innerer Gesundheit als integrierende Bestandteile des Ganzen wiederhergestellt werden. Die deutschen Belange ostwärts Breslau und westlich von Saarbrücken sind ganz gewiß von der Ordnung Mitteleuropas und Osteuropas abhängig. Wir haben aber in dieser Weite keine Forderungen zu stellen oder Vorschläge zu machen, sondern uns auf das zu bescheiden, was uns unmittelbar angeht, und das ist die Wiederherstellung ganz Deutschlands.
    Hierbei haben wir einen ganz klaren Kurs zu steuern. Dieser Kurs ist, daß der Friede wiederhergestellt, erhalten und gesichert werde, was nur möglich ist, wenn das vereinigte Europa zustande kommt. Daß wir dieses vereinigte Europa wün-


    (Dr. von Merkatz)

    sehen, daß ganz Deutschland diesem vereinigten Europa angehören soll und daß wir unweigerlich an allen Maßnahmen festzuhalten haben, die zum Zustandekommen dieses vereinigten Europas und der atlantischen Gemeinschaft eingeleitet worden sind, darüber sollte im Osten und im Westen absolute Klarheit geschaffen werden. Dieses Fundament ist die Voraussetzung, die überhaupt erst die Erfüllung unserer nationalen Forderung auf Wiedervereinigung möglich macht, ohne daß Deutschland neutralisiert wird oder auf eine andere Weise unter sowjetrussische Botmäßigkeit gerät.
    Die von der Sowjetunion verursachte Spaltung Deutschlands bedeutet, daß der Gegensatz zwischen Ost und West mitten durch unser Land geht und in ihm ausgetragen wird. Hierbei ergibt sich nun folgendes. Die Elbe- bzw. Oderlinie zerschneidet einen einheitlichen Volkskörper und historisch konstanten Raum. Sie ist weder strategisch noch politisch weder für den Osten haltbar noch für den Westen als Grenze annehmbar. Rußland ist genötigt, eines Tages zurückzugehen; denn die gegenwärtige Position ist einfach nicht haltbar. Von der Atlantikgrenze würde keine Macht der Welt Rußland wieder zurückwerfen können. Aber die Elbe-und die Oderlinie sind Grenzen, die für Rußland einfach wertlos sind auf die Länge der Zeit gesehen. Das Vorhandensein dieser Linie ist nur die Ursache für die bestehenden Spannungen in Deutschland, in Europa und in der Welt und damit die Ursache dafür, daß ein gesicherter Friede nicht zustande kommt.
    Die weltpolitische, die europäische und die nationale deutsche Aufgabe ist es, diesen Zustand zu überwinden. Die natürliche Grenze des sowjetischen Machtbereichs liegt nicht an der Elbe und an der Oder, sondern sehr viel weiter östlich. Es kommt nun darauf an, diesen Prozeß der Zurückverlegung der Grenzen zu beschleunigen und zu fördern. Die imperialistische Machtgrenze am Atlantik ist für die Sowjetunion einfach nicht mehr zu erreichen, es sei denn, sie entschlösse sich, ihr eigenes Land und die ganze Welt in die Katastrophe eines dritten Weltkrieges zu stürzen. Dafür liegen aber keine Anzeichen einer akuten Gefahr vor. Man hat vielmehr davon auszugehen, daß es auch der Sowjetunion auf eine friedliche Bereinigung der auch für sie belastenden Spannungen ankommt.
    Wenn man die durch die sowjetische Note entstandene Situation zu analysieren bestrebt ist, wird es richtig sein, den Versuch zu unternehmen, die Verhältnisse auch einmal vom sowjetischen Standpunkt aus zu betrachten. Auch vom Standpunkt der Sowjetunion aus muß ein Interesse daran bestehen, ein sinnloses Wettrüsten auf beiden Seiten durch eine vernünftige Regelung im Sinne des Ausgleichs zu verhindern. Ferner sollte es im sowjetischen Interesse liegen, durch eine vernünftige territoriale Neuordnung die Ursachen der Spannungen zu beseitigen, und hierzu ist die Wiederherstellung der deutschen Einheit eine Voraussetzung, auch im Interesse der Sicherheit der Sowjetunion. Eine vernünftige Rüstungsbegrenzung in der Welt und auch ein territorialer Ausgleich der Machtbereiche in West und Ost sind Notwendigkeiten, deren Aktualität gestern, heute und morgen so deutlich wie möglich geworden ist und noch deutlicher werden wird.
    Eine Analyse der sowjetischen Note läßt ihre wahren Absichten nicht erkennen, sondern bestenfalls nur vermuten. In Kürze sei so viel gesagt, daß
    die Sowjetregierung nach dem Inhalt der Note an ihren bereits im Krieg konzipierten und nach dem Kriege praktizierten außenpolitischen Zielen festzuhalten scheint. Die Abweichungen gegenüber ihrer früheren Taktik sind nicht groß und von keiner besonderen realen Bedeutung. Die Sowjetunion ist bestrebt, ein neutralisiertes Deutschland zu schaffen, in dem die Schlüsselstellungen für eine kommunistische, von ihr abhängige Herrschaft de facto gesichert und de jure durch ein Interventionsrecht verstärkt werden.
    Entkleidet man die sowjetrussische Note ihres propagandistisch-taktischen Inhalts, der geeignet ist, auf gewisse Kreise des In- und Auslands zu wirken, dann ergibt sich vor allem aus dem Punkt 4 der Politischen Leitsätze ein wichtiger Tatbestand. Dort heißt es nämlich:
    In Deutschland muß freie Tätigkeit der demokratischen Parteien und Organisationen gesichert sein, wobei ihnen das Recht gewährt sein muß, ihre inneren Angelegenheiten frei zu entscheiden
    und so weiter. Wenn man die Auslegung des Begriffs „demokratisch" im sowjetzonalen Sinne hierbei in Rechnung stellt, dann weiß man, daß mit diesen demokratischen Parteien und Organisationen die kommunistischen Organisationen gemeint sind.
    In Punkt 7 der Politischen Leitsätze wird das Koalitions- und Bündnisverbot genannt, das auf die Neutralisierung Deutschlands abzielt. Gegenüber dem Grundgedanken der sowjetischen Politik, Deutschland in einem Zustand zu neutralisieren, der die kommunistische Machtergreifung ermöglicht, scheint sich nichts geändert zu haben, und demgegenüber verblassen alle übrigen Vorschläge der Note, deren Nahziel es zu sein scheint, die Eingliederung zunächst der Bundesrepublik in das europäische und atlantische System der Zusammenarbeit und Verteidigung zu verzögern und damit zu verhindern. Wir können uns im gegenwärtigen Zeitpunkt ja nur auf Vermutungen stützen; eine Gewißheit haben wir nicht.
    Damit ergibt sich die erste Forderung, die auch als eine deutsche zu erheben ist, daß die angesprochenen drei Westmächte in ihrem Bemühen fortfahren, die wahren Absichten der Sowjetunion zu ergründen. Es scheint, daß das Problem, soweit es uns betrifft, damit gegeben ist, wie weit die Sowjetunion einen Neutralitätsgürtel, einen cordon sanitaire oder wie man ihn nennen mag, von ihrem eigentlich weiter im Osten gelegenen Machtbereich zu schaffen bestrebt ist. Ob in diesen Neutralitätsgürtel, der sich de facto dann in der Hand der Sowjetunion befinden würde, ganz Deutschland oder Teile von Deutschland einbezogen werden sollen, das ist hier die Frage und das Problem, um das es zu gehen scheint. Unser unverzichtbares Ziel ist es, daß ganz Deutschland unter Einschluß des Reichsgebiets östlich der Oder und Lausitzer Neiße nicht in diesen cordon sanitaire einbezogen wird. Die schon jetzt gestellte Frage ist die Notwendigkeit, das ganze deutsche Reichsgebiet in das organisierte System der europäischen Zusammenarbeit einzubeziehen. Das ist eine Forderung, die wir weder aus taktischen noch aus grundsätzlichen Gründen preiszugeben in der Lage sind.
    Diesen deutschen Bedürfnissen und Bedürfnissen eines soliden Friedens trägt die Antwortnote der Westmächte Rechnung, indem sie darauf hinweist, daß durch die Potsdamer Beschlüsse keine Grenzregelungen getroffen worden: sind, Es wäre eine


    (Dr. von Merkatz)

    unverzeihliche Unterlassungssünde der Bundesregierung gewesen, wenn sie im gegenwartigen Stadium auf diese für Deutschland lebenswichtigen Belange nicht hingewiesen hätte. Die Erwahnung der unverzichtbaren Bedeutung der Gebiete auch östlich von Oder und Neiße und der Integration ganz Deutschlands in ein organisiertes System der europäischen Zusammenarbeit bedeutet nicht, daß man nicht bereit ware, in ein entspannendes Gespräch mit der Sowjetunion zu kommen, sondern sie bedeutet eine unerläßliche Klarstellung der Prinzipien, auf die ein künftiger Friede in Europa überhaupt aufgebaut werden kann.
    Bis auf die taktische Frage des Zeitpunktes glaube ich mit der Opposition darin einig zu sein, daß ganz Deutschland in einen unloslichen Verband mit der atlantisch-europäischen Gemeinschaft gebracht werden muß. Wenn in der Antwortnote des Westens auf diese Fundamente einer künftigen Ordnung hingewiesen wird, so bedeutet das keine Blockierung der Verhandlungen und schon gar nicht eine Blockierung etwa der gesamtdeutschen Regierung und ihrer Verhandlungsfähigkeit, die von Anfang an an etwaigen Friedensverhandlungen beteiligt werden muß, sondern das Abstecken eines Rahmens, wenn uberhaupt eine Verhandlungsbasis und damit die Möglichkeit eines gegenseitigen Aushandelns und Nachgebens gegeben ist. Diese europäische Gemeinschaft und ihre prinzipielle Gestaltung muß konkret verwirklicht und effektiv gemacht werden; sonst gerät Deutschland in die Gefahr, in eine Neutralisierungszone einbegriffen zu werden, die dann auf Voraussetzungen beruhte, die die Handlungsfähigkeit einer gesamtdeutschen Regierung überhaupt ausschlössen.
    Wenn ich den Standpunkt der Opposition richtig begriffen habe, dann erstrebt sie zwar ein nicht zum Machtbereich des Ostblocks gehörendes wiedervereinigtes Deutschland, aber auch ein Deutschland, das vor Abschluß des Friedensvertrages noch nicht in Form vertraglicher Bindungen der europäisch-atlantischen Gemeinschaft eingegliedert ist. Offenbar meint die Opposition, daß durch eine solche Eingliederung die Verhandlungsmöglichkeit mit der Sowjetunion blockiert werden könnte. Offenbar will die Opposition versuchen, der gesamtdeutschen Regierung ein besonderes Maß von Unabhängigkeit zu erringen. Das ist sehr nationalstaatlich gedacht und verkennt meiner Ansicht nach die Voraussetzungen, auf denen die Tatsache beruht, daß die gegenwärtigen politischen Verhältnisse durch die Note der Sowjetunion überhaupt in Fluß gekommen sind. Es ist viel davon gesprochen worden, daß die deutsche Außenpolitik auf den Prinzipien der Bescheidung, des Maßhaltens und der Vorsicht aufzubauen sei. Das wichtigste Erfordernis aber ist, daß man in den Anfängen in klaren Prinzipien und Voraussetzungen denkt und dann mit der notwendigen Geduld und Festigkeit diese Zielsetzung durchzusetzen versucht, die man als unerläßlich betrachten muß, wenn überhaupt ein echter Friede, eine echte Einheit und Freiheit Deutschlands zustande kommen soll.
    Die Opposition hat ständig- damit argumentiert, daß die deutsche Außenpolitik für Deutschland nachteilige Vorleistungen erbracht habe. Es handelt sich aber gar nicht um Vorleistungen, sondern um Maßnahmen, die der weltpolitischen Lage in unserem eigenen Interesse Rechnung tragen. Diese These von den Vorleistungen beruht auf einem fundamentalen Irrtum. Sie beruht auf dem Irrtum, daß die Vereinigten Staaten sich in Europa so weit gebunden hätten oder binden müßten, daß in ihrem eigenen Interesse ein Rückzug nicht mehr möglich sei. So liegen die Dinge nicht. Die Sicherheit der Vereinigten Staaten kann mit Europa, notfalls auch ohne Europa und leider auch ohne Deutschland aufgebaut werden. Ein einfacher Blick auf die Landkarte genügt hier. Die dann entstehende Weltlage wäre allerdings für uns unerträglich, sie wäre in der letzten Konsequenz auch für die Vereinigten Staaten selber unerträglich. Aber sie wäre nicht unmöglich und für den Augenblick würde sie bei manchen Staatsbürgern der USA im Hinblick auf die Steuerlast als eine Erleichterung empfunden werden. Wer weiß, wie schwer es ist, von Massen Opfer zu verlangen, wird zugeben müssen, daß der bequeme Weg des Rückzuges immer eine Gefahr darstellt. Es ist den Massen nicht gegeben, an die Notwendigkeiten des Morgen zu denken. Die These der Opposition, die Vereinigten Staaten von Amerika könnten sich einfach nicht mehr distanzieren, halte ich für grundfalsch; denn der Isolationismus ist eine ständige Gefahr. Wenn er aber eine Gefahr ist — und das kann man schlechterdings nicht leugnen—, dann bedeutet das Hinausschieben des Zustandekommens einer effektiven Organisation europäischer und atlantischer Zusammenarbeit im Ergebnis eine Politik, die auf die Verwirklichung des Neutralisierungs-Konzepts hinausläuft, wenn man das auch nicht will.
    Ich halte mit meinen politischen Freunden unweigerlich an der Erkenntnis fest, daß nur eine so bald wie möglich effektiv gemachte Organisation europäischer und atlantischer Zusammenarbeit, die im Prinzip darauf abzielt, ganz Deutschland in den westlichen Bereich fest zu verankern, überhaupt einer gesamtdeutschen Regierung ein gewisses Maß von Handlungsfreiheit gibt, in dem sie sich im Rahmen der weltpolitischen Lage bewegen kann. Der erste Schritt dazu, daß nach diesem Konzept eine befriedete Welt und ein Ausgleich zwischen Ost und West zustande kommt, wird es sein, daß die Sowjetunion den Weg wirklich freier Wahlen in Deutschland geht. Sieht sie sich dazu nicht in der Lage, ist in dem gegenwärtigen Stadium ohne Verzicht auf lebensnotwendige Grundlagen ein Weiterkommen nicht möglich. Wir haben uns dann in Geduld zu fassen. Ich bin der festen Überzeugung, daß bei der Unmöglichkeit, die Linie der Elbe und Oder — die Elbe und Oder ist ja keine historische Grenze, ist es niemals gewesen — zu halten und von der andern Seite zu akzeptieren, angesichts der Erstarkung des Westens bei der Sowjetunion immer wieder das Bedürfnis auftreten muß, mit den Mächten des Westens in ein Gespräch zu kommen. Ich fürchte allerdings, daß, wenn man den Weg der Opposition geht, wenn gleich in den Anfängen lebensnotwendige Grundlagen preisgegeben werden, eine Kettenreaktion der Übel eintritt, die letzthin in dem Zustand eines neutralisierten und faktisch von der Sowjetunion beherrschten Deutschlands enden müßte. Wir wollen aber in keiner Form ein dem Osten, dem sowjetischen Machtbereich untertäniges Deutschland, weil wir der Überzeugung sind, daß nur ein freies Deutschland als ein sehr wichtiger und, ich möchte sagen, ausgleichender Faktor im Rahmen einer europäischen und atlantischen Organisation der Zusammenarbeit wirken kann. Ein freies Deutschland als Land der europäischen Gemeinschaft wird durch seine Struktur und geographische Lage die Garan-


    (Dr. von Merkatz)

    tien dafür bieten, jene Sicherheit für Ost und West zu schaffen, die wir brauchen, um zu einer echten Beruhigung zu kommen.
    Ich fasse die Ansichten meiner politischen Freunde kurz zusammen. Wir können uns nicht damit ,einverstanden erklären, daß irgendwelche Maßnahmen getroffen oder erleichtert werden, die darauf abzielen, Deutschland in einen Status zurückzuversetzen, der der Viermächtekontrolle gleichkommt. Uns tröstete bei einer Viermächtekontrolle auch nicht die Tatsache, daß eine gesamtdeutsche Regierung unter diese Viermächtekontrolle gestellt würde. Denn das Ende dieses Zustandes der Gegensätzlichkeiten müßten wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Deutschland sein, die den besten Nährboden dafür abgeben würden, daß die Sowjetunion doch noch zu den Zielen zurückkehrt, die sie während des Krieges und nach dem Kriege auf der Potsdamer Konferenz verfolgt hat und an denen sie seitdem mit aller Zähigkeit festgehalten hat. Ich bin der Überzeugung, daß die Bundesregierung in der Verfolgung der Politik der Integration auf gutem Wege ist. Diese Politik 'der Integration hat schon jetzt bewirkt, daß die politischen Verhältnisse in Fluß gekommen sind. Nun ist es unsere Aufgabe, alle Chancen zu nutzen, die in diesem Influßkommen gegeben sind. Es ist aber auch unsere Aufgabe, unser Volk davon zu überzeugen, daß es richtig ist, festzubleiben und gerade nicht im gegenwärtigen Stadium lebenswichtige Belange aufzugeben. Deshalb sind wir voll und ganz damit einverstanden, daß man gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt den Mut aufgebracht hat, nicht nur von der sowjetisch besetzten Zone, also von Mitteldeutschland zu reden, sondern auch die lebensnotwendige Frage der Gebiete ostwärts der Oder und der Lausitzer Neiße aufzuwerfen. Es ist hier auf einem messerscharfen Grat zu balancieren mit Zähigkeit, Geduld und Bescheidung einerseits zu handeln und Möglichkeiten zu ergreifen, aber andererseits auch nichts in diesem Moment preis-__ zugeben, dessen Preisgabe letzthin für unsere Nation tödlich wäre.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)