Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 43. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte zunächst den Schriftführer Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der abwesenden Mitglieder des Hauses zu verlesen.
Abwesend sind folgende Damen und Herren des Hauses: Wegen Erkrankung fehlen die Abgeordneten Frau Dr. Rehling, Frau Dr. Gröwel, Schütz, Baur , Hennig, Kalbfell, Schönauer, Bielig, Frau
Dr. Ilk, Pannenbecker, Wittmann, Fisch. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Müller, Dr. Dr. Lehr, Lübke, Albers, Gockeln, Dr. Pferdmenges, Junglas, von Knoeringen, Frau Albertz, Knothe, Böhm, Dr. Menzel, Dr. Nölting, Brandt, Neumann, Frau Schroeder, Dr. Suhr, Wagner, Dr. Middelhauve, Neumayer, Dr. Freiherr von Rechenberg, Dr. Nowack, Eickhoff, Parzinger, Loritz, Reimann, Frau Thiele, Oskar Müller, Dr. Richter. Außerdem fehlt der Abgeordnete Goetzendorff.
Meine Damen und Herren! Ich habe noch folgende Mitteilung zu machen. Der Herr Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen hat dem Bundestag in Erledigung der Drucksache Nr. 336 betreffend amtliche Graphik, Münzen, Siegel usw. des Bundes unter dem 24. Februar einen Bericht zugeleitet. Der Bericht wird als Drucksache Nr. 597 vervielfältigt und den Mitgliedern des Hauses zugänglich gemacht werden.
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein und kommen zu Punkt 1:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Familienangehörigen von Kriegsgefangenen und Internierten .
Die antragstellende Fraktion hat sich gestern im Ältestenrat bereit erklärt, auf eine Begründung zu verzichten, und wir haben uns darüber verständigt, daß der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 522 ohne Aussprache sofort an den zuständigen Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen als federführend und weiter an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge überwiesen werden soll. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit dieser Überweisung feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen .
Ich höre eben von Herrn Abgeordneten Richter, daß die SPD-Fraktion bittet, diesen Punkt zurückzustellen, da der Herr Antragsteller noch nicht da ist. Ich nehme das Einverständnis des Hauses damit an.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts .
Der Ältestenrat war sich darüber einig, daß der Bundestag lediglich die Begründung des Gesetzes entgegennimmt und den Gesetzentwurf ohne Debatte dem zuständigen Ausschuß überweist.
Zur Begründung des Gesetzentwurfs erteile ich dem Herrn Bundesjustizminister das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge-
setz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts will, wie schon der Name sagt, der Rechtszersplitterung auf dem Gebiete der Zivil- und Strafrechtspflege entgegenwirken und die verlorene Rechtseinheit wiederherstellen. Ein Blick in den umfangreichen Katalog der zur Aufhebung vorgeschlagenen landesrechtlichen Bestimmungen zeigt Ihnen, wie stark sich die einzelnen Länder des Bundes auf dem Gebiete der bürgerlichen und der Strafrechtspflege nach dem Jahre 1945 auseinandergelebt haben. Wer als Richter oder als Rechtsanwalt täglich mit diesen verwickelten Verhältnissen fertig werden muß, weiß, wie schwierig es geworden ist, festzustellen, was eigentlich noch Rechtens ist, und wer in den vergangenen Jahren gezwungen war, einen Prozeß zu führen, möglicherweise als Hamburger in Hessen oder als Westfale in Bayern oder umgekehrt, hat erfahren müssen, wie von Land zu Land die Zuständigkeit der Gerichte, der Verfahrensgang und der Instanzenzug verschieden geregelt sind. Besonders mißlich, ich möchte sagen: unheilvoll hat sich aber ausgewirkt, daß die oberste Spitze der Gerichtsbarkeit, daß ein oberstes Gericht fehlt, das die Rechtsprechung führt, das die Rechtseinheit sichert. Die Rechtsnot unserer Zeit hat eine ihrer Wurzeln vor allem in dieser Rechtsaufsplitterung, und sie zu beseitigen, ist nach meiner Meinung von außerordentlicher Dringlichkeit. Jeder Monat, der ins Land geht, ohne daß dieser unbefriedigende, unerträgliche Zustand beseitigt wird, erschwert den Rechtsverkehr und damit die wirtschaftlichen Verhältnisse und vergrößert die Rechtsunsicherheit. Deswegen, meine Damen und Herren, ist das
3 Gesetz, das Ihnen vorliegt, nach meiner Überzeugung von besonderer Dringlichkeit, und ich möchte Sie bitten, alles einzusetzen, um die rasche Verabschiedung zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren! Es kommt hinzu, daß auf dem Gebiet des Verfahrensrechts auch noch Bestimmungen gelten, die typisch nationalsozialistischen Charakter besitzen. Ich erinnere beispielsweise an das sogenannte Führerprinzip in der Gerichtsverwaltung und an die weitgehende Beseitigung von Rechtsbehelfen gegen gerichtliche Entscheidungen. Außerdem besteht eine Reihe von Kriegsbestimmungen, deren Gültigkeit zweifelhaft ist und deren Weiterbestand sachlich keinesfalls gerechtfertigt werden kann. Die rasche Bereinigung auch dieser Probleme ist unbedingt erforderlich.
Der Entwurf beschränkt sich nun aber, meine Damen und Herren, ganz bewußt auf die Wiederherstellung der Rechtseinheit in dem angedeuteten Sinne. Er verzichtet also -- und das ist wichtig — auf eine Reform des Rechtes der Gerichtsverfassung, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung; nicht etwa deswegen, weil ich nicht wüßte, daß Reformen, und zwar zum Teil weitgehende und grundlegende Reformen, nötig wären, und nicht deswegen, weil mir diese nicht am Herzen lägen, sondern deswegen, weil beide Ziele, die sofortige Wiederherstellung der Rechtseinheit und die Reformen, miteinander nicht vereinbart werden können.
Die Wiederherstellung der Rechtseinheit ist das dringende Gebot, und sie muß so rasch wie möglich geschaffen werden. Dagegen bedürfen die
Reformarbeiten ausgedehnter Vorarbeiten, gründlicher Erwägungen und Bearbeitung, der Aussprache mit allen Beteiligten, mit der Wirtschaft, mit der Praxis und mit der Wissenschaft. Über das Ziel der Reformen muß erst in großen Zügen unter uns und mit den Beteiligten ein Einverständnis hergestellt werden. Es bedarf einer eingehenden Rechtsvergleichung, der Beschaffung umfangreichen Materials, auch der Überlegung, welche Auswirkungen die Reformmaßnahmen auf die Gerichtsorganisation, auf die Rechtsanwaltschaft, auf die Richterschaft und nicht zuletzt auch auf die Finanzen des Staates haben.
Ich erinnere Sie daran, daß die Straf rechts-reform schon Gegenstand der Erwägungen fast dreier Jahrzehnte ist, ohne daß sie einen sichtbaren Erfolg hatte, und daß selbst in dem autoritären Staat, der hinter uns liegt, dieses Problem trotz der ihm zustehenden Möglichkeiten nicht bis zu einem fertigen Entwurf gefördert werden konnte.
Also ich meine, es wäre nicht zu verantworten, die Wiederherstellung der Rechtseinheit so lange aufzuschieben, bis die notwendigen Reformen den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung zugeleitet werden können. Ich will dabei gar nicht prüfen und nicht entscheiden, meine Damen und Herren, ob unsere Zeit wirklich den inneren Beruf zur Rechtserneuerung hat, ob die Erschütterung der Wertvorstellungen durch die Zeit hinter uns schon so weitgehend überwunden worden ist, daß wir diese innere Voraussetzung zu einem großen Gesetzgebungs -Reformwerk haben.
Auf jeden Fall: Reformen müssen reifen!
Reformgedanken liegen in der Luft. Das ist
nicht zu leugnen. Gerade die Berührung, die unsere Juristen mit dem angloamerikanischen Gerichtsverfahren der Militärgerichte genommen haben, hat ihnen klargemacht, welche Vorzüge in
diesem anders gestalteten Verfahren liegen. Ein
gewisser Reiz ist entstanden, unser Strafverfahren diesem Verfahren anzugleichen. Besonders
den Verteidigern ist die gesteigerte Machtfülle,
die der Verteidiger als Gegenspieler des Anklägers in diesem angelsächsischen Verfahren hat,
sehr eingegangen. Sie kennen ja die großen Unterschiede dieser beiden Verfahren. Im angloamerikanischen Verfahren lernt . der Richter den
Sachverhalt erst in der Hauptverhandlung kennen. Er tritt dem Fall völlig unbefangen gegenüber. Die beiden Parteien — der Ankläger, der
Angeklagte und sein Verteidiger -- entwickeln
den Fall vor dem Richter. Der Richter schwebt
ais königlicher Richter über den Parteien.
Ganz anders das kontinentale System, damit auch das deutsche System, in dem der Vorsitzende das Verfahren leitet, dem Angeklagten auf Grund seiner Aktenkenntnis gegenübertritt, bei dem Angeklagten vielleicht den Eindruck erweckt, daß dort oben kein objektiver Richter sitzt, sondern jemand, der ihn überführen will.
Das sind Probleme, die auftauchen, und wir werden ihnen nicht ausweichen können. Vorteile und Nachteile haben beide Systeme. Unser Verfahren hat zweifellos den Vorzug, daß es der Wahrheitsforschung im stärkeren Maße dient, während dem angelsächsischen Verfahren vielleicht immer noch etwas der Charakter des Prozesses als Zweikampf anhaftet mit der Gefahr des sehr zufälligen Ergebnisses des größeren oder
geringeren Geschicks des einen oder anderen Teils.
Also wir werden reiflich zu erwägen haben, ob wir hier, nicht andere Wege gehen wollen. Aber, meine Damen und Herren, das würde einen grundsätzlichen Umbau unseres gesamten Verfahrenssystems erfordern, seiner Träger, der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft, der Rechtsanwaltschaft; und wenn nicht ein schädliches Flickwerk entstehen soll, muß man sich hier über das Grundsätzliche klarwerden. Auch diese Frage kann nicht im Handumdrehen entschieden werden.
Auch au! dem Gebiet des Zivilprozesses können Reformgedanken hochkommen, vor allem das Ziel der dreistufigen Gliederung unseres Verfahrens, das ungefähr so aussieht: Gericht des ersten Rechtszuges im großen Gerichtssprengel, darüber Kollegialgericht des Berufungsgerichts und an der Spitze das Revisionsgericht, etwa entsprechend der jetzigen Gliederung im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Aber das ist im Augenblick einfach nicht durchzuführen. Das würde gewaltige Änderungen besonders auch im Technischen — Verlegung von vielen Gerichten! — bedeuten. Diese Reformen müssen aufgeschoben werden.
Ich habe auch Bedenken gegenüber der sagenannten kleinen Justizreform, die von verschiedenen Seiten empfohlen wird, nämlich gegenüber dem Vorschlag, noch viel mehr richterliche Aufgaben dem Rechtspfleger zu übertragen oder in weitergehendem Maße, als es bisher geschah, den Friedensrichter einzuführen. Sie wissen, daß in der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits der Rechtspfleger überwiegend an die Stelle des Richters getreten ist. Ich halte es nun nicht für richtig, die eigentlichen richterlichen Aufgaben des Zivilprozesses und des Strafprozesses zwischen dem Rechtspfleger und dem rechtskundigen Richter zu teilen. Ich bin der Meinung, daß alle Aufgaben des Zivil- und des Strafprozesses den voll ausgebildeten Richter verlangen. Deswegen auch meine Bedenken gegen den Friedensrichter, wenn wir auch bereit sind, hier insoweit WürttembergBaden, das auf Grund einer bisher vorhandenen Ermächtigung den Friedensrichter eingeführt hat, Konzessionen zu machen.
Ich bin der Meinung, daß gerade unser streitiges Verfahren keine grundsätzliche Änderung benötigt. Die Novellen der Jahre 1924 und 1933 haben in Anlehnung an den österreichischen Zivilprozeß alles Erforderliche gebracht. Man kann im Augenblick, glaube ich, hier etwas Wesentliches nicht bessern. Das, was Ihnen vorliegt, stellt also, wie gesagt, keine endgültige Regelung dar, die auf die Dauer berechnet ist. Es soll Ihnen vielmehr, das ist mein Wille, in absehbarer Zeit ich rechne mit einer Frist von zwei, höchstens drei Jahren — eine endgültige neue Gerichtsverfassung, eine neue Zivilprozeßordnung und eine neue Strafprozeßordnung vorgelegt werden. Die Vorarbeiten hierfür sind von mir bereits eingeleitet worden und werden mit allen Mitteln gefördert werden.
Ein Wort zu dem Gesamtinhalt des Entwurfes, der Ihnen vorliegt. Es wäre unrichtig zu sagen, man gehe in diesem Gesetz ganz allgemein auf den Zustand von 1933 zurück. Gewiß, weite Teile des Gesetzes entsprechen inhaltlich dem Recht des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1924, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung von 1933. Es sind aber gerade in den Fragen, die damals schon als reformbedürftig angesehen wurden, Neuerungen aus der Zeit nach 1933 übernommen worden, die kein Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten, sondern die eine sachgemäße organische Weiterentwicklung unseres Rechts darstellen und die sich nach 1945 bereits in einem Teil unseres Staates als geltendes Recht durchaus positiv bewährt haben. Das Gesetz, das ich Ihnen vorlege, ist also dahin zu charakterisieren, daß es alles bis zum heutigen Tage innerhalb des Bundes irgendwo geltendes Recht verarbeitet und, soweit es brauchbar ist, übernimmt, daß allerdings nirgendwo ein Rechtsgedanke eingebaut wurde, der bisher nicht irgendwo schon Rechtens war. In diesem Sinne hat sich also die Regierung Beschränkungen auferlegt und darauf verzichtet, Reformen vorzuschlagen, um dieses notwendige Vereinheitlichungsgesetz möglichst rasch zur Verabschiedung zu bringen.
Ich will es mir versagen, auf einzelne Bestimmungen einzugehen. Es muß das bei der Vielfalt dieser Bestimmungen der Beratung im Rechtsausschuß überlassen bleiben. Auf einige grundsätzliche Fragen darf ich aber wohl eingehen.
Einige Bemerkungen zunächst zum Gerichtsverfassungsgesetz. Dieses Gesetz enthält in seinem ersten Teil Bestimmungen über das Richteramt, Bestimmungen, die vor allem der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit dienen. Diese Bestimmungen waren in der Vergangenheit weitgehend durchlöchert worden. Der Richter auf Lebenszeit war und ist auch heute noch nicht die Regel. Der Hilfsrichter ist eine weithin übliche Figur geworden. Die Justizverwaltung konnte jeden Richter nach Gutdünken an irgendein Gericht oder an eine Staatsanwaltschaft abordnen. Die richterliche Unabhängigkeit scheint mir aber - nicht im Interesse des einzelnen, sondern im Interesse der unabhängigen Rechtspflege überhaupt, also im Interesse des rechtsuchenden Bürgers — so wesentlich zu sein, daß die Rechtsvorschriften, die der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit dienen, wieder ausnahmslos hergestellt werden müssen. Das ist in dem Entwurf geschehen. Ich bin mir darüber im klaren, daß alle diese Bestimmungen in Bälde aus dem Gerichtsverfassungsgesetz herausgenommen und in das Richtergesetz übergeführt werden müssen, das Ihnen nach Artikel 98 Absatz 1 des Grundgesetzes umgehend vorzulegen ist.
Im Entwurf wurde weiterhin der sogenannte Führergrundsatz in der gerichtlichen Verwaltung beseitigt. An die Stelle der Landgerichtspräsidenten und der Oberlandesgerichtspräsidenten, die bisher in einem Teil der Länder noch die Geschäfte auf die Richter verteilten, über Ablehnungsgesuche entschieden und da und dort die Besetzung einer Kammer für bestimmte Prozesse beeinflußten, soll künftighin wieder das Präsidium treten. Das erscheint mir als eine der grundsätzlichen Bestimmungen unserer Gerichtsverfassung. Wenn in der Nazizeit die Rechtsprechung weitgehend gelenkt wurde, so nicht primitiv dadurch, das man unmittelbar Einfluß auf die Rechtsprechung nahm, sondern dadurch, daß man Einfluß auf die Besetzung der Gerichte nahm, daß nicht das Präsidium -- ich möchte sagen, in demokratischer Weise — von vornherein genau feststellte, welche Sache welchem Richter zukam, sondern daß man hier manipulierte. Solche Möglichkeiten sollen ausgeschlossen werden. Diese Präsidialverfassung
soll — das ist neu — auch auf die größeren Amtsgerichte ausgedehnt werden.
Der Entwurf sieht dann weiterhin die Mitwirkung von Laien in der Rechtspflege bei allen wichtigen Strafverfahren vor: Schöffengerichte bei den Amtsgerichten, die Besetzung der Strafkammern bei den Landgerichten mit Laien, Schwurgerichte werden wieder eingerichtet und einheitlich geordnet. Im Zuge dieser Neuordnung soll die Berufung der Schöffen und Geschworenen vereinfacht werden, indem an die Stelle der sogenannten Urliste die Vorschlagsliste treten soll. Das ist eine bedeutsame Neuerung. Künftighin sollen es also die Gemeindevertretungen in der Hand haben, durch Wahl besonders geeignete, besonders tüchtige Laien für die Mitwirkung in der Strafrechtspflege zu präsentieren. Das Schwurgericht soll in der Form der Emminger'schen Verordnung des Jahre 1924 wiederhergestellt werden. Es soll also nicht das alte Schwurgericht mit der Trennung der Geschworenen- und der Richterbank, wie es in Bayern geschehen ist, geschaffen werden. Für die vorgeschlagene Regelung sprechen gerade die nach meiner Meinung ungünstigen Erfahrungen, die man in Bayern mit diesem alten Schwurgericht gemacht hat. Auf dem Gebiete des Zivilprozesses sollen auch die Kammern für Handelssachen in der Besetzung mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Persönlichkeiten aus der Wirtschaft als Beisitzer wieder erstehen.
Die Differenzierung der erstinstanziellen Zuständigkeit in der streitigen Gerichtsbarkeit war in den letzten Jahren — abgesehen von der britischen Zone — weitgehend sinnlos geworden, weil sowohl beim Amtsgericht wie beim Landgericht nur e i n Richter entschied. Der Entwurf bringt daher wieder die Kammerbesetzung bei den Landgerichten; die Zivilkammer muß wieder mit drei Richtern besetzt werden. Das ist eine Forderung, die nicht nur von den Richtern, sondern auch von den Rechtsanwälten und aus den Kreisen der Rechtsuchenden seit langem mit Nachdruck erhoben worden ist. Diese Forderung ist durchaus begründet; denn der Ausgang eines Zivilprozesses, der über eine bestimmte Wertgrenze hinausreicht, entscheidet häufig über das wirtschaftliche Schicksal eines Bürgers, über das Wohl und Wehe einer ganzen Familie. In solchen Fällen muß dem Rechtsuchenden jede Garantie geboten werden, daß er zu seinem Recht kommt. Erfahrungsgemäß wird das nur dort gewährleistet, wo eine kollegiale Beratung und eine kollegiale Entscheidung stattfindet.
In diesem Zusammenhang ein Wort über die Frage der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Amtsgericht und Landgericht in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Die Frage ist sehr umstritten; die Interessen sind widerstreitend. Der Entwurf schlägt vor. daß Sachen mit einem Streitwert über 1 000 D-Mark vor dem Landgericht zu verhandeln sin d. Die bisherige Streitwertgrenze. die nach 1945 2 000 D-Mark betrug und seit Aufhebung des Kontrollratsgesetzes Nr. 4 durch das Gesetz Nr. 13 in einem Teil des Bundes 1 500 D-Mark beträgt, scheint bei der gegenwärtigen Geldknappheit und bei der hohen Kaufkraft des Geldes bei weitem zu hoch zu sein.
Der Instanzenzug in den Zivil- und Strafsachen ist im Entwurf gegenüber der bestehenden Rechtslage wieder ausgebaut worden. Wer den Rechtsstaat ehrlich will, kann sich der Notwendigkeit nicht verschließen, in allen Fällen grundsätzlich eine zweite Tatsacheninstanz und die Revisionsinstanz zuzulassen.
Mit dieser Frage komme ich zu der letzten wichtigen Neuerung, die der Entwurf gegenüber der derzeitigen Rechtslage bringt. Der Entwurf sieht die Errichtung eines Bundesgerichtshofs als Nachfolger des früheren Reichsgerichts vor. Es handelt sich um das in Artikel 96 Absatz 1 des Grundgesetzes vorgesehene obere Bundesgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit. In seiner Organisation und in seiner Zuständigkeit wird bewußt an die bewährte Ordnung des alten Reichsgerichts angeknüpft, dessen Rechtsprechung sich mit Recht nicht nur innerhalb unseres Volkes, sondern in der ganzen Welt eines allgemeinen und hohen Ansehens erfreute. Die besondere Funktion des Bundesgerichtshofs als Wahrers der Rechtseinheit, als Trägers einer organischen, behutsamen und umsichtigen Fortentwicklung des Rechts kann schlechterdings nicht entbehrt werden. Der Sitz des Bundesgerichtshofs soll im Gesetz festgelegt werden. Ich werde Ihnen rechtzeitig schon im Ausschuß und zur zweiten Lesung das einschlägige Material vorlegen.
Das Grundgesetz sieht über den oberen Bundesgerichten noch ein Oberstes Bundesgericht vor. In Artikel 95 heißt es hierzu: „zur Wahrung der Einheit des Bundesrechts", für Fälle, „deren Entscheidung für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte von grundsätzlicher Bedeutung ist". Es wird zunächst davon abgesehen, für dieses Oberste Bundesgericht Vorschläge zu machen. Nach meiner Meinung ist im Grundgesetz nicht festgelegt, daß das Oberste Bundesgericht als organisatorisch selbständiges Gericht zu errichten ist. Ich werde anregen. dieses Oberste Bundesgericht aus Mitgliedern der oberen Bundesgerichte zu bilden, die nach Bedarf zu einer Art großen Senats zusammentreten werden.
Ich möchte diesen Überblick über die wichtigsten Probleme auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung nicht schließen, ohne darauf hinzuweisen, daß auf die Interessen der Länder in unserem Entwurf in gebührender Weise Rücksicht genommen wird. Das bayerische Oberste Landesgericht, das sich nach meiner Meinung dank seiner vorzüglichen Rechtsprechung eines berechtigten Ansehens erfreut und in der bayerischen Geschichte auf eine lange Tradition zurückblicken kann. wird in seiner alten Zuständigkeit erhalten. Für Württemberg-Baden — ich habe es schon erwähnt — wurde ein Vorbehalt zugunsten der dort, eingeführten Friedensgerichtsbarkeit gemacht, trotz zahlreicher kritischer Stimmen, die gegen die Brauchbarkeit dieser Einrichtung in ihrem augenblicklichen Umfang laut geworden sind.
Bei der Verfolgung von Hochverrat, der sich gegen die Länder richtet, ist den Wünschen der Länder, diese Verbrechen unter Umständen selbst zu verfolgen, Rechnung getragen.
Die Ausbildung des juristischen Nachwuchses — eine hochbedeutsame Frage, die an sich dringend einer einheitlichen Ordnung bedarf — wurde im Gesetz so elastisch formuliert, daß auch hier den Ländern Raum bleibt, sie entsprechend ihren besonderen Wünschen zu variieren.
So viel zur Frage der Gerichtsverfassung. Nur ganz kurz einige Bemerkungen zu dem Gebiet der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit, also des Zivilprozeßverfahrens. Auch hier sind die Ziele: die Beseitigung der Kriegsgesetzgebung, die Wie-
derherstellung der Rechtseinheit, soweit sie nach 1945 verlorengegangen ist, und die Wahrung der Rechtseinheit für die Zukunft. Auch hier gibt es nur wenige Punkte, in denen Teile der Kriegsgesetzgebung deswegen übernommen werden, weil sie aus berechtigten Reformwünschen entsprungen sind, so beispielsweise der Amtsbetrieb im landgerichtlichen Verfahren oder die Beseitigung des Güteverfahrens. Rechtseinheit durch die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes! Insoweit ist das Problem entstanden, in welchem Umfange die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen werden soll. Wir schlagen Ihnen vor, daß künftighin die Revision nicht nur nach dem Streitwert zugelassen wird sondern daß für die Zulässigkeit analog dem Verfahren im Arbeitsgerichtsgesetz auch eine besondere Zulassung nach dem Ermessen des Oberlandesgerichts — des Berufungsgerichts — möglich sein soll, wenn sie rotwendig erscheint infolge der rechtlichen Bedeutung des Falles, so will ich einmal sagen.
Hier sind seitens des Bundesrats abweichende Vorschläge gemacht worden. die Sie in den Drucksachen finden. Der Bundesrat schlägt vor, daß neben dem positiven Ausspruch über die Zulassung der Revision durch das Oberlandesgericht auch eine Entscheidung über die Nichtzulassung erfolgen soll, und zwar mit der Möglichkeit, 'daß gegen diesen Beschluß der Nichtzulassung sofortige Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden kann. Ich wende mich gegen diesen Vorschlag nach den Erfahrungen, die wir im arbeitsgerichtlichen Verfahren und jetzt auch in der britischen Zone bei der Revision zum obersten Gerichtshof der britischen Zone gemacht haben. Der Vorschlag des Bundesrats würde zu einer erheblichen Mehrbelastung des Bundesgerichtshofs führen, ohne daß damit ein sachdienliches Ergebnis verbunden wäre.
Was das Strafverfahren anlangt, so haben wir es für nötig gehalten zunächst einmal das Strafverfahren dem Grundgesetz hinsichtlich der Vorschriften über die Freiheitsentziehung, die Durchsuchung und die Gleichstellung von Mann und Frau anzupassen. Wir haben vor allem auch dafür Sorge getragen, daß der Rechtsschutz auf dem Gebiete der Untersuchungshaft und der vorläufigen Festnahme verstärkt wird durch die Einführung schärferer Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft, durch die Einschränkung der Fälle der Untersuchungshaft, vor allem durch die Streichung einer Bestimmung. die überaus gefährlich war und die mit dem Wesen der Untersuchungshaft gar nicht in Einklang gebracht werden konnte, — ich meine den Fall der Verhängung von Untersuchungshaft. wenn ein Mißbrauch der Freiheit zu neuen Straftaten zu befürchten war. Wir haben das Haftnrüfungsverfahren im früheren Umfange wieder eingeführt. Wir haben die generelle Entscheidungsbefugnis des Richters hinsichtlich des Vollzugs der Untersuchungshaft wieder festgelegt. Während des Krieges war ein Teil dieser Entscheidungsmacht weitgehend auf den Staatsanwalt oder auf den Anstaltsleiter übergegangen., Wir hab en die Vorschrift über die vorläufige Festnahme dem Grundgesetz angepaßt, haben weiterhin im Verfahren an sich den Einfluß der Staatsanwaltschaft, der in der nationalsozialistischen Zeit überstark betont war, wieder zurückgedrängt, vor allem — auch das erscheint mir bedeutsam — durch die Wiedereinführung der gerichtlichen Voruntersuchung im wesentlichen in dem Umfange, in dem sie im
Jahre 1933 vorgesehen war. Wir sind auch zum Eröffnungsbeschluß zurückgekehrt und haben damit den während der nationalsozialistischen Zeit eingeführten Grundsatz beseitigt, . daß der Staatsanwalt im wesentlichen allein darüber entscheidet, ob es zur Hauptverhandlung kommen soll oder nicht. Ich sehe im Eröffnungsbeschluß, wenn er nicht eine Formalie bleibt, wenn er vom Gericht richtig gehandhabt wird, zu einem Filter der Anklage wird, einen wesentlichen Rechtsschutz für den Bürger; denn oft ist ja die Durchführung des Verfahrens schon eine schlimmere Strafe als der Urteilsausspruch selbst. Wir haben weiterhin die seit 1931 in ständig steigendem Maße erlassenen Vorschriften über die Einschränkung der Rechtsmittel wieder beseitigt und im wesentlichen die Rechtsmittel geschaffen, wie sie im Jahre 1924 gegeben waren.
Es gibt noch eine Fülle von Problemen, die zu erörtern wären; aber es würde zu weit führen, wenn ich darauf eingehen wollte. Ich beschränke mich auf das Gesagte.
Wir wollen Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung und Strafprozeßordnung neu fassen, um der Praxis einwandfreie Texte an die Hand zu geben. Ursprünglich war vorgesehen. daß das Bundesjustizministerium dazu ermächtigt wird. Ich habe aber gern die Anregung des Bundesrats aufgenommen. daß Sie schon im Gesetzgebungsgang diese neuen Gesetze beschließen.
Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung daß das Ihren vorgelegte Gesetz, wenn es beschlossen wird, den. Richtern. den Anwälten und Rechtsuchenden die Möglichkeit schafft. ordentlich zu arbeiten. Damit wird für die deutsche Justiz 0 viel erreicht sein. Aber es wird nicht das Entscheidende erreicht werden; denn die Güte einer Rechtsprechung hängt nicht so sehr von den technischen Verfahrensvorschriften ab als von den Personen, die sie handhaben,
vor allem von den Richtern. Der deutsche Richter steht gegenwärtig wieder im Scheinwerferlicht der öffentlichen Betrachtung. Ich halte es für meine Pflicht. herzu ein Wort zu sagen. Wir haben schon einmal nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches eine Zeit starker Angriffe gegen das Richtertum. auch starker Angriffe gegen die Unabhängigkeit des Richters erlebt. Man hat dem Richter in den zwanziger Jahren politische Befangenheit vorgeworfen. Man hat ihm Abneigung gegen die Republik gegen den demokratischen Staat. Verletzung der Grundsätze der Gerechtigkeit in politischen Fragen vorgeworfen. Es wird niemand den Mut haben. zu leugnen. daß in ienen Jahren Fehlurteile gefällt worden sind, daß die Weimarer Republik und ihre Symbole bei den Gerichten häufig nicht den erforderlichen Schutz fanden.
Man muß, wenn man zurückschaut. feststellen, daß unser Volk in jener Zeit das Vertrauen zur Gerichtsbarkeit weitgehend verloren hatte: aber, ich meine. nicht nur durch diese Urteile. die der Kritik zugänglich waren, ich möchte fast sagen, noch mehr durch eine übersteigerte Agitation und Polemik gegen die deutsche Justiz mit ihren nicht veranlaßten Verallgemeinerungen und mit ihren oft tendenziösen Aufbauschungen. Ich halte mich
für verpflichtet zu sagen, daß nach meinen Erfahrungen die deutschen Richter aus der Wei- marer Zeit mit wenigen Ausnahmen gutgläubig, gutwillig waren, daß sie ihre Pflicht aus dem Willen zur Gerechtigkeit erfüllten und daß sie weit davon entfernt waren, das Recht zu beugen.
Ich verkenne keineswegs, daß viele dieser Richter mit dem damaligen ungeheuerlichen Umbruch aller gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse innerlich nicht fertig geworden sind,
daß viele aus einer Art, ich möchte sagen. von Pseudo-Feudalismus dem neuen Staat abhold waren. Das war eine Minderheit, eine Minderheit, die es bei uns in Süddeutschland mit seiner gewachsenen Demokratie überhaupt nicht gab.
Man muß, wenn man die Dinge richtig beurteilen will, auch wissen, vor welche Aufgaben die deutschen Richter damals gestellt wurden, Aufgaben, die teilweise von den Richtern gar nicht bewältigt werden konnten.
Meine Damen und Herren, es gibt in der geschichtlichen Entwicklung eines Volkes Vorgänge, die sich der Judifizierung entziehen, die man rechtlich gar nicht erfassen kann.
Gestern hat von diesem Platz unser Bundespräsident an das Schicksal erinnert, das dem Reichspräsidenten Ebert widerfahren ist. Wer denkt da nicht mit Abscheu und mit innerer Erregung an jene Vorgänge! Wenn man tiefer bohrt, dann erkennt man. daß der Richter am Ende doch gar nicht in der Lage war, mit Rechtsbegriffen einen gewaltigen geschichtlichen Vorgang wie damals die Vorgänge im Jahre 1918 zu erfassen und zu judifizieren.
Wir wollen über diese Dinge nicht rechten.
-- Ich gehe weitgehend mit Ihnen einig. daß der Richter viel eher zu einem non liquet hätte kommen müssen, wenn er die Grenzen des Richtertuns erkannt hätte.
Herr Präsident, ich bitte mir das Recht aus, in diesem Zusammenhang etwas zu sagen. Sie wollten mich eben zum Schluß mahnen. Es ist mir nicht bekannt, daß eine bestimmte Zeit für meine Darlegungen vorgesehen war. Ich halte es für meine Pflicht,
die Gelegenheit zu benutzen, Ihnen über die gegenwärtige Lage des Richtertums im Zusammenhang mit dem, was in den letzten Wochen geschah, aus meiner Verantwortung etwas zu sagen,
und ich bitte, mir diese Möglichkeit zu gewähren.
Lassen Sie mich ein Wort sagen. Man wirft unseren Richtern vor, daß sie sich in der nationalsozialistischen Zeit nicht bewährt hätten, daß sie versagt haben,
eine Frage, die auch jetzt nachwirkt.
Wir haben schon im Parlamentarischen Rat darüber gerechtet. Auch die Dinge müssen einmal zu
einer Klärung kommen, wenn die Justiz in unserem
Staat die Bedeutung haben soll, die unser Staat
braucht. In einem autoritären Staat — das muß
jeder wissen — wird die Unabhängigkeit des Richters ertötet. Ein autoritärer Staat benutzt die Justiz als Mittel für seine trüben. Zwecke. Das ist
im Dritten Reich nicht anders geschehen. Aber
der, der der Justiz nahe stand, muß feststellen,
in welchem Umfange der deutsche Richter diesem
ungeheuerlichen Druck Widerstand geleistet hat.
Ich halte es für meine Pflicht, zu sagen:
die Fülle der Richter, die jetzt am Werke sind, verdienen Ihr Vertrauen, meine Damen und Herren. Das sind hervorragende Männer mit lauterer Gesinnung, mit hoher Bildung, mit makellosem Lebenswandel, die mit hervorragender Pflichttreue sich unter schwersten Umständen ihrer hohen Aufgabe hingeben.
Ich will es mir versagen, auf Einzelheiten einzugehen. Gewiß. hier liegt viel an Aufgaben vor uns. Es gibt nicht mehr den vollsaftigen Richter, wie wir ihn uns wünschen, wie ich ihn noch als junger Referendar erlebt habe. Unser Volk hat — nicht nur auf dem Gebiet der Justiz -- viel an Substanz verloren, und es muß viel geschehen, um diese Substanz zurückzugewinnen,
auch beim Richtertum; das gestehe ich zu. Viele
Richter. die fetzt im Amte sind. sind junge Menschen oder Menschen. die lange durch Kriegsdienste und durch Gefangenschaft ihrer Aufgabe
ferngehalten waren. Viele sind vielleicht überaltert; es fehlen die mittleren Jahrgänge. oder sie
sind auf jeden Fall dürftig besetzt. Hier muß
vieles anders werden, und vor Ihnen, meine Damen und Herren, wird die große Aufgabe stehen,
diesen Richter. den deutschen Richter, aus der
Enge. aus der Kleinheit herauszuheben. Ein Richter. der in der Notdurft des Tages erstickt. hat
nicht die Weite des Blickes, hat nicht die Überlegenheit, die von einem Richter verlangt wird.
Ich möchte bitten, Herr Präsident, daß ich in diesem Zusammenhange etwas sagen darf, was ich für politisch wichtig halte. Wir müssen die Dinge bereinigen, wir müssen -- und der Anlaß dazu ist gegeben — auch das aussprechen. was sich jetzt um den Namen Hedler herum angesponnen hat.
Wir müssen es klären, wenn nicht unsere Justiz schweren Schaden nehmen soll.
Ich bedauere, wenn das mit Ihren jetzigen Dispositionen nicht übereinstimmt, aber ich halte es
für meine Pflicht, darüber heute, in dieser Stunde etwas zu sagen.
Unsere Richter haben schon vor dem Fall Hedler Kritik erfahren.
— Ihre Haltung in vielen politischen Prozessen ist — ich gebe Ihnen, Herr Kollege Schmid, recht -- der Kritik unterzogen worden, teilweise vielleicht auch berechtigter Kritik. Aber es tut not, auch darüber einmal zu sprechen. Meine Damen und Herren, das muß man aus der Nähe erlebt haben, um zu wissen, wie gewaltig die Aufgabe eines Richters ist, der einen Vorfall, der vor 10 und mehr Jahren gespielt hat, klären und, was noch viel schwieriger ist, die Schuld eines Menschen feststellen soll. Er muß ja das Maß der Schuld erfassen, um das Maß der gerechten Strafe feststellen zu können. Wie schwierig, die Dinge zu rekonstruieren, die in dieser schauerlichen Zeit von 1938 und in der Folgezeit geschehen sind, wie namenlos schwer, festzustellen, aus welcher Haltung, unter welchem Druck, in welcher geistigen Verirrung der einzelne gehandelt hat.
Ich sage noch einmal: namenlose Schwierigkeiten!
Aber die Dinge haben sich jetzt konzentriert zum Fall Hedler, und der Fall Hedler droht sich wie ein Meltau auf unsere junge deutsche Justiz zu legen. Deswegen, Herr Präsident, bitte ich Sie und bitte ich das Haus, mir, der immerhin der Bundesminister der Justiz ist, zu gestatten, ein Wort dazu zu sagen. Das halte ich für geschichtlich notwendig;
denn ich habe das Empfinden. daß die deutsche Justiz Schaden zu nehmen droht,
daß wieder einmal - ich habe deswegen daran erinnert — wie vor 25 Jahren das zu beginnen droht, was man eine Krisis des Vertrauens zur deutschen Justiz nennt.
Meine Damen und Herren! Ich erhalte Tag für Tag Briefe. Telegramme, Resolutionen von allen möglichen Gruppen und von Einzelpersonen, die sich mit oft diffamierenden Worten gegen die deutsche Justiz wenden: Worte wie ,.Schandurteil", .,faschistische Justiz" sind gang und gäbe. Man hat das Gefühl, daß alle diese Proteste eine Quelle haben.
Aber .--- und das ist das Beängstigende — man hat das Empfinden, bei Tausenden und aber Tausenden von Menschen nistet sich die Überzeugung ein: Unsere deutsche Justiz ist
dieses Staates nicht würdig,
ist eine Justiz, die sich gegen unseren Staat richtet. Solche Auffassungen beweisen, wie notwendig es ist, daß wir diese Dinge zu klären versuchen.
Man behauptet, daß der Fall Hedler ein Symptom des Versagens der deutschen Justiz sei,
und darüber müssen wir sprechen. Ich habe das Recht, nachdem die Dinge in der Öffentlichkeit verhandelt worden sind, Ihnen meine Meinung dazu zu sagen.
Was hat sich ereignet?
Ein Abgeordneter hat im November vorigen Jahres eine Versammlung des Abgeordneten Hedler in Einfeld bei Neumünster besucht.
Herr Minister, ich darf doch darauf aufmerksam machen: es handelt sich nur um die Einbringung des Gesetzentwurfs. Ich bitte, von weiteren solchen Ausführungen abzusehen.
Herr Präsident, ich möchte doch bitten, mir die Gelegenheit zu geben.
Ich werde mich sehr kurz fassen, diese brennende Angelegenheit nur kurz darstellen.
Das ist ja auch nicht außerhalb des Sachzusammenhangs.
Meine Damen und Herren, was nützt es denn, wenn wir
die beste Gerichtsverfassung, die besten Verfahrensordnungen schaffen, und diese Justiz ist
genau so, wie Sie es sich vorstellen: es sind wirklich Richter am Werk, die ihre Pflicht verletzen
und die am Ende das Recht beugen. Ich glaube, es
ist geschichtlich notwendig, hier ein Wort der
Klärung zu sagen. Ich weiß nicht, Herr Präsident,
ob Sie mir die Möglichkeit dazu geben wollen.
Herr Minister, darf ich Sie nur darauf aufmerksam machen: es ist jetzt in erster Linie eine Frage des Zeitprogramms. Wir hatten einen ganz bestimmten zeitlichen Ablauf festgelegt.
Ich gebe anheim, ich will das nicht erzwingen. Ich hielt mich nur vor meinem Gewissen verantwortlich, ein Wort zu dieser Frage zu sagen. Aber ich füge mich selbstverständlich der Entscheidung des Herr Präsidenten.
Ich habe es Ihnen eben anheimgestellt, Herr Minister.
Wenn das Haus einverstanden ist, dann bitte ich. mir die Möglichkeit einer konzentrierten Darstellung der Dinge zu geben, nicht um meinetwillen, sondern wirklich um der Bereinigung willen.
— Ich spreche über die Dinge, die offenkundig sind!
Meine Damen und Herren!
Ich bitte jetzt noch einmal, Ruhe zu bewahren!
Meine Damen und Herren! Es ist doch so, daß sich diese Dinge wie ein Gift in unseren Volkskörper fressen, daß das Vertrauen unseres Volkes zu seiner Justiz schon wieder vernichtet wird. Was nützt denn hier die Technik der Gesetzgebung, wenn draußen alles zuschanden wird!
Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß ich Ihnen meine Stellung zu dieser Frage darlege.
Es handelt sich um die Versammlung des Herrn Hedler in Einfeld bei Neumünster. Ein gegnerischer Abgeordneter, will ich einmal sagen, nimmt an dieser Versammlung teil. Es werden Probleme erörtert, die ihm vielleicht wesensfremd sind,
es wird die Judenfrage aufgeworfen, es wird die Frage der Bewertung des Verhaltens der Widerstandskämpfer erörtert, es werden Vorwürfe gegen politische Persönlichkeiten erhoben. Der Abgeordnete macht sich Stichworte. Am nächsten Tag fertigt er auf Grund dieser Stichworte einen Bericht an.
Auf Grund dieses Berichtes erfolgt die Aufhebung der Immunität, erfolgt Anklageerhebung. Soviel nur in ganz kurzen Stichworten darüber, wie sich die Dinge abgespielt haben.
Herr Minister, darf ich einmal an Sie appellieren! Es war im Ältestenrat vorgesehen
-- Verzeihung, ich habe das vorhin bekanntgegeben! —,
daß hier lediglich die Einbringung der Gesetzesvorlage erfolgt und daß dann die Vorlage ohne Debatte an den Ausschuß überwiesen wird.
— Ich bitte doch, sich nach diesem Grundsatz zu richten.
- Das wird sich ja nachher zeigen.
Ich will mich sehr kurz fassen und Ihnen im Rahmen der augenblicklichen Lage der deutschen Justiz die Bedeutung dieses Falles dartun.
Also: Anklageerhebung im wesentlichen auf Grund der Angaben dieses Abgeordneten. Dann die Verhandlung, in der — das darf man wohl feststellen,
und das wird auch der Herr Abgeordnete Greve nicht bestreiten — eine Fülle von Zeugen vernommen wurden und versucht. wurde, ein gerechtes Urteil zu finden.
Die Verhandlung vor diesem Gericht, das als Strafkammer zusammengesetzt war aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen, ergibt zumindest erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben dieses Zeugen. Auf Grund genauer Prüfung des Sachverhaltes — ich will, nachdem Revision eingelegt worden ist, wahrlich nicht in das Verfahren eingreifen — kommt das Gericht im wesentlichen zu dem Ergebnis: man kann das, was damals gesagt wurde, nicht feststellen. Der größere Teil der Zeugen, darunter auch Zeugen, die politisch gegnerisch zu dem Angeklagten eingestellt sind, bestätigen die Angaben des Belastungszeugen nicht. Das Gericht erklärt ausdrücklich: Wenn wahr wäre, was dieser Mann gesagt haben soll, wenn wahr wäre, was ihm unterstellt worden ist,
wenn diese Ungeheuerlichkeiten gegen die Juden, gegen die Widerstandskämpfer, gegen die politischen Persönlichkeiten wahr wären, dann wäre der Angeklagte einer exemplarischen Strafe zugeführt worden. Das Gericht spricht frei, im wesentlichen deshalb, weil ein Beweis nicht zu erbringen war.
Dann sollte man doch meinen, wir alle hätten Anlaß, uns zu freuen, daß diese ungeheuerlichen Dinge nicht bestätigt worden sind.
Statt dessen Angriffe, die in schärfster Weise gegen die Justiz geführt wurden!
Meine Damen und Herren, da komme ich nicht mit.
In der Welt ist auf Grund dieser damals überstürzten Mitteilungen der Eindruck entstanden, in Deutschland sei der Hitlergeist noch lebendig,
da würden die Verbrechen der Hitlerzeit verherrlicht, da sei der Neofaschismus am Werk! Ein Gericht stellt -- nach meiner Überzeugung, soweit das ein Außenstehender überhaupt sagen kann, ehrlichen Bemühens — das Gegenteil fest. In die Welt und in unser Volk dringt nicht die Überzeugung: es ist nicht wahr, was Schauerliches behauptet wurde, sondern es stürzt sich die ganze Empörung, die wohlweislich aus dem Hintergrund
gelenkt wird, auf die Richter und auf die deutsche Justiz.
Meine Damen und Herren, ich will über die Sache nicht mehr sagen,
aber das eine lassen Sie mich doch zum Ausdruck bringen: Es besteht die Gefahr, daß auf diese Weise unser Staat untergraben wird, bevor er richtig zum Entstehen gekommen ist. Unsere Demokratie wird nicht bestehen können, wenn sie nicht getragen ist von dem Vertrauen ihrer Bürger. Der Herr Bundespräsident hat als erstes Wort, das et als Staatsoberhaupt sprach, uns an die Mahnung des Psalmisten erinnert: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk. Das ist meine Überzeugung,
und dafür will ich kämpfen, nachdem ich dieses Amt übernommen habe. Die Gerechtigkeit allein muß die tragende Idee unseres demokratischen Staates sein, der Rechtsstaat das beherrschende Ordnungsprinzip und der Richter der Träger dieser Gedanken!
Es ist nur die Idee des Rechtsstaates, die uns vom Osten scheidet.
Wir müssen das Volk lehren, den Gedanken des Rechts wieder zu lieben. Wir müssen erreichen, daß unser Volk sein Recht und seine Richter liebt und daß es bereit ist, für sein Recht zu
kämpfen. Dieser Wille wird dadurch gelähmt, daß man dem Richter die Vertrauenswürdigkeit abspricht.
Es scheint auch vielen Politikern nicht bewußt zu sein, daß es die wichtigste Aufgabe des Staates ist, dafür zu sorgen, daß jedem sein Recht wird und daß Recht geschieht — gut, es gibt manches zu wünschen —, daß aber Mißtrauen verdirbt und nur Vertrauen erzieht. Wir wollen doch den Richter schaffen, der ein Recht spricht. das unser Volk versteht und das es überzeugt. Der Weg, den wir einzuschlagen drohen, führt von diesem Ideal weg. Hier ist vieles zu tun, und deswegen spreche ich im Zusammenhang mit der Neuordnung unseres Gerichtsverfassungsrechts darüber. Niemand weiß das besser als ich, der sich nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus dieser Aufgabe verschrieben hat, den deutschen Staat zu einem Rechtsstaat zu machen, nach seinen schwa- chen Kräften mitzuwirken, daß eine saubere, eine hochwertige, eine demokratische Justiz entsteht. Ich sage mit Bewußtsein demokratische Justiz, denn da gehe ich mit Ihnen einig. Wer sich unter den Richtern nicht zu dem bekennt, was wir als Ziel in unser Grundgesetz geschrieben haben, den sozialen, den demokratischen, den republikanischen Rechtsstaat zu schaffen, der muß weichen.
Wer den demokratischen Staat nicht vorbehaltlos bejaht, hat nicht das Recht, demokratischer Richter zu sein. Ich kann Ihnen in dieser Stunde nicht mehr als das sagen: Was von mir aus möglich ist, soll geschehen und geschieht, daß die deutsche
Justiz wirklich zur Zitadelle der deutschen Demokratie wird.
Meine Damen und Herren, da bereits zwei Wortmeldungen vorliegen, eröffne ich die Aussprache. Als erster hat das Wort Herr Abgeordneter Zinn.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß in den letzten Jahren wohl niemals der deutschen Justiz und damit im Grunde auch dem Recht ein schlechterer Dienst als durch die Ausführungen erwiesen worden ist, die soeben der Herr Bundesjustizminister gemacht hat.
Nach derartigen Ausführungen hätte ein Justizminister in einem Land, zumindest in den süddeutschen Ländern, gewisse Konsequenzen erwarten müssen. Er hätte damit rechnen müssen, daß er zum Rücktritt veranlaßt wird.
— Das ist meine Meinung. Der Herr Bundesjustizminister hat aus Anlaß der Begründung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit die Justizkrise, die in Deutschland permanent seit mehr denn einem Vierteljahrhundert vorherrscht, zum Gegenstand einer neuen Erörterung gemacht, die weder seinem Ansehen noch dem Ansehen des deutschen Richters irgendwie dienlich gewesen ist.
Der Herr Bundesjustizminister hätte gut daran getan, die Rede des Herrn Bundespräsidenten, die gestern an dieser Stelle gehalten worden ist, mit mehr Aufmerksamkeit zu verfolgen,
dann wäre vielleicht manches in seinen Ausführungen unterblieben, manches von ihm nicht gesagt worden, was er gesagt hat.
Im Jahre 1946 haben wir in den süddeutschen Ländern, so auch in Hessen, Verfassungen ausgearbeitet. Auch damals haben wir uns mit den Problemen der Justiz, mit der Justizkrise, der Haltung der deutschen Juristen, insbesondere der deutschen Richterschaft in der Zeit von Weimar, aber auch danach beschäftigt. Es war kein geringerer als ein heute diesem Hause angehörender führender Politiker der CDU, der dem Sinne nach damals zum Ausdruck gebracht hat, daß angesichts der Haltung nicht vielleicht der Mehrheit, aber eines erheblichen Teils der deutschen Richterschaft sowohl vor 1933 als auch in der Nazizeit einem die Schamröte in das Gesicht steigen müsse, und dieser Politiker ist der Führer der Bundestagsfraktion der CDU, der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Ich glaube von ihm, daß er auch heute noch zu diesem Wort stehen wird.
Ich will nur andeutungsweise auf die Ausführungen hinweisen, die der bekannte katholische Schriftsteller Hecker gemacht hat. Sie alle wissen, inwieweit die deutsche Richterschaft zumindest zu einem erheblichen Teil — an der politischen Entwicklung der Vergangenheit ihr Anteil Schuld trägt,
beginnend mit dem Prozeß, der seinerzeit im Jahre 1923 oder 1924 in München gegen Hitler und Genossen durchgeführt wurde, bis zur Rechtsprechung des IV. Strafsenats des Reichsgerichts, bis zu jenem Urteil — dem Magdeburger Urteil —, von dem gestern der Herr Bundespräsident als einem Schandfleck der Weimarer Zeit gesprochen hat. Ich erinnere daran. daß es nicht einzelne waren, sondern ein ganz erheblicher Teil der deutschen Richterschaft, die in den Sondergerichten, den Terrorinstrumenten des Dritten Reiches, mitgearbeitet haben.
Es sollen ja auch in der heutigen Justiz, vor die soeben der Herr Bundesjustizminister seinen Schild zu halten versucht hat, solche ehemaligen Mitglieder der Sondergerichte — wenigstens in einigen Zonen und Ländern — in nicht allzu geringer Zahl tätig sein.
Die Krise der Justiz zur Weimarer Zeit hatte ihre Ursache darin, daß mancher zwar Richter in der Demokratie sein wollte, aber nicht Demokrat in der Gerichtsbarkeit. Und dieses Wort, das hinsichtlich der Verhältnisse der damaligen Zeit Geltung hatte, gilt auch heute wieder.
Der Herr Bundesjustizminister ist auf den Fall Hedler zu sprechen gekommen. Ich will im einzelnen zu dieser Angelegenheit nicht Stellun nehmen. Ich habe aber den Eindruck, daß er die Begründung — die ja vorliegende, wörtliche Begründung, die in der Verhandlung am Schluß gegeben wurde — nicht kennt. Der Herr Bundesiustizminister bzw. das Kabirett oder die politischen Freunde des Herrn Ministers haben sich seinerzeit gegen den Antrag oder die Erklärung. die wir in diesem Hohen Hause abgegeben haben. mit der Begründung gewendet, sie sei ein Eingriff in ein schwebendes Verfahren. Wenn sich schon jemand eines griffs in ein schwebendes Verfahren enthalten sollte, darn sollte es in erster Linie ein Bundesjustizminister sein.
Der Herr Bundesjustizminister hat davon gesprochen. daß die Erörterungen, die wir in den letzten Wochen aus Anlaß des Falles Hedler erlebt haben. die Meinung aufkommen lassen könnten. daß die deutsche Justiz Schaden zu nehmen drehe. Ich möchte eines sagen, Herr Bundesjustizminister: Nicht darauf kommt es an, ob die deutsche Justiz Schaden nimmt. sondern darauf, daß das Recht in Deutschland keinen Schaden nimmt.
Das Recht in Deutschland ist bedroht durch Richter wie einen Richter Paulick. und es ist auch bedroht durch Ausführungen, wie sie soeben der Herr Bundesjustizminister gemacht hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Hier geht es um die Frage, ob in Westdeutschland eine Justizkrise besteht oder nicht. Hier ist ausgeführt worden. daß man von dem Bestehen einer solchen Krise der Justiz etwa seit einem Vierteljahrhundert reden kann. Die alten Sozialisten in diesem 'Kreise müssen mir recht geben, wenn ich ausspreche, daß es bereits lange Jahrzehnte vorher eine Krise dieser Klassenjustiz gegeben hat. Aus der Fülle des Materials aus dieser Periode nehme ich das skandalöse Urteil heraus, das in der Periode der Bismarckschen Antisozialisten-Gesetze gegen den bekannten Bergarbeiter Schröder gefällt worden ist. Und die Justiz, die Sie in Ihrem „demokratischen" Staat mit einer Binde vor den Augen darzustellen belieben, hat es immer fertiggebracht, durch die Binde oder unter dieser Binde heraus klar zu erkennen, wer vor ihr steht; sie hatte eine geradezu erstaunliche Gabe. zu unterscheiden, ob der zu Verurteilende ein Glied der herrschende Klasse war oder ob er zur Klasse des unterdrückten Volkes gehörte.
Nun einen Sprung in die Jetztzeit. Wer hat eigentlich die Richter, die heute bei uns amtieren, entnazifiziert? Deutsche Instanzen?
Nein, sie wurden besonders in der britischen Zone -- natürlich auf Grund der von ihnen selbst gelieferten Unterlagen — durch die Besatzungsmacht entnazifiziert, mit dem Ergebnis, daß unter den heute noch amtierenden Richtern 80 Prozent sitzen, die ehemals in irgendeiner Form der NSDAP oder ihren Gliederungen bzw. Nebenorganisationen angehört haben. Ein Tatbestand. den Minister — etwa des Landes Nordrhein-Westfalen --- mehrfach ganz offen ausgesprochen haben.
— Nicht begrüßt haben! Ich muß zur Ehre eines Ministers unseres Landes Nordrhein-Westfalen sagen, daß er seiner Erbitterung darüber Ausdruck gegeben hat, daß bei der Entnazifizierung dieser Richter deutsche Instanzen ausgeschaltet worden sind; das ist der Innenminister Menzel von Düsseldorf.
Vertrauen sollen wir zu dieser deutschen Justiz haben? Wäre die Frage nicht besser so zu stellen, daß die deutsche Justiz von heute dem deutschen Volk einmal dafür den Beweis erbringen müßte. daß sie das verkörpert, was der Herr Bundesjustizminister heute in die Formel gekleidet hat: „Verteidiger der deutschen Demokratie"? Wir hören in den letzten Wochen so oft das Wort: deutsche Demokratie. Ist das eine besondere, eine spezielle, von dem Durchschnittsbegriff von Demokratie unterschiedene Demokratie?
— Also ist es doch keine Demokratie schlechthin, sondern die Demokratie, wie Sie sie auffassen,
Ihre Demokratie, die Demokratie der Pferdmenges und Konsorten.
Herr Abgeordneter Ren. ner, der Herr Abgeordnete Pferdmenges ist ein Mitglied dieses Hauses.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Schön! Ich nehme also aus der Fülle des Materials irgendeinen anderen Namen. Suchen Sie sich ihn selbst aus!
Ich ziehe also meine Apostrophierung Pferdmenges' zurück. Sie haben ja die freie Auswahl. Gucken Sie sich hier in diesem Hause nur um!
Nun, was ist hier los? Die deutsche Justiz leide Not, hat der Justizminister gesagt. Er hat sich hier im Falle Hedler zur Prüfungsinstanz aufgeschwungen. Immer wieder ist uns in den letzten Monaten gesagt worden, man dürfe in ein schwebendes Verfahren mit keiner Kritik eingreifen, man müsse den Ausgang eines schwebenden Verfahrens in der Berufungsinstanz abwarten. Der Herr Justizminister hat den Angeklagten Hedler, der im Berufungsverfahren steht, hier eindeutig freigesprochen. Etwas anderes gibt es einfach gar nicht. Er hat ihn im voraus bereits für das Berufungsgericht freigesprochen. Er hat auch davon gesprochen, daß im Hedler -Prozeß die Straße irgendwie in Erscheinung getreten sei. Die Straße ist in Erscheinung getreten, verkörpert durch die NSDAP-Ortsgruppe, deren Mitglied der Herr Hedler einmal gewesen ist oder — ich greife keiner Gerichtsentscheidung vor -- an deren Ort er heute ansässig ist. Die war da. und die hat die Straße repräsentiert. Von der Tribüne herab wurde dem Richter Beifall geklatscht, als er diesen dubiosen Freispruch ausgesprochen hat. Und dann hat sich die Straße noch einmal dokumentiert. Auf der Straße hat sie den mangels Beweisen Freigesprochenen, den man freigesprochen hat, weil man sich aus den Zeugenaussagen die herausgesucht hat, die das bewiesen haben, was man bewiesen haben wollte, mit einem Blumenstrauß empfangen, der in die Farben Schwarzweißrot gehüllt war.
Ein anderes Wort! Hier ist von der aus dem Hintergrund gelenkten Empörung gesprochen worden. Was meinen Sie damit, Herr Justizminister? Wer hat diese Empörung gelenkt? Wollen Sie sich einmal klar aussprechen? Offensichtlich haben Sie in erster Linie die Sozialdemokraten gemeint; denn an deren Adresse haben Sie ja in der Hauptsache Ihre Worte gerichtet.
Aber kommen wir zum Schluß! Der Justizminister sprach davon, daß man eine Art Volksjustiz verhüten müsse. Er hat zwar nur sehr leise, aber immerhin vom Osten geredet. Nun. was ist im Osten los?
Im Osten richten vom Volk gewählte Richter.
Ihrer Meinung nach ist das undemokratisch. Aber bei anderer Gelegenheit. wenn Minister dieses Kabinetts von Herrn McCloy sprechen, reden sie von dem großen Bundesgenossen. Nun. im Heimatland des Herrn Cloy werden die Richter auch vom Volk, von seinen parlamentarischen Vertretungen gewählt.
-- Wieso auf ganz andere Weise? Volk ist Volk! Das sagen Sie uns doch immer.
-- Ach so, weil da freie Wahlen sind. Sie werden von den parlamentarischen Körperschaften gewählt, und die sind nach Ihrer Version in Amerika so frei, wie sie im Osten in der Tat frei sind.
Und noch ein letztes und abschließendes Wort. Es wird hier offen zugegeben, daß an der heutigen Justiz manches beklagenswert ist: Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie durch Ihr Grundgesetz dafür gesorgt haben, daß diese Mängel
nicht abgestellt werden können. Der Herr Justizminister höchstpersönlich sagt uns, daß er keine Richter dulden werde, die nicht Repräsentanten der deutschen Demokratie seien. Gut und schön, aber was will er denn mit denen machen, die das nicht sind? Absetzen kann er sie doch gar nicht; denn Sie haben doch die Absetzbarkeit des Richters an Bedingungen geknüpft, die praktisch einfach unerfüllbar sind. Sie haben doch in Ihrem Grundgesetz den absolut unabsetzbaren Richter verankert. Ich erinnere an die Diskussion um diesen Punkt im Parlamentarischen Rat. Oder wollen Sie mir erzählen, daß irgendeine Möglichkeit gegeben ist, die in Ihrem Grundgesetz vorgesehene Richteranklage praktisch zum Tragen zu bringen? So liegen doch die Dinge! Wir haben den Richter, den die bei uns herrschende Klasse als den richtigen Richter anspricht. Wir haben den Richter, der nach genau denselben Prinzipien Recht spricht. wie das unter dem Faschismus auch Mode war. Wir haben damit zu rechnen, daß der Richter, der sich unter dem Faschismus so schnell an die Gesetze des Faschismus angepaßt und sie angewandt hat, sich an die heute geltenden, das heißt die von der heute herrschenden Klasse aufgestellten Prinzipien genau so schnell anpassen wird, wie das seinerzeit unter Hitler der Fall war. So liegen die Dinge doch in Wirklichkeit.
Niemand hat ja bisher hier in Deutschland Richter gleich Richter gesetzt. Alle, die sich hier zu dem Thema geäußert haben, haben Ausnahmen gemacht. Sie haben anerkannt. daß diese Beurteilung nur auf einen Teil, allerdings auf einen erheblichen Teil der heute amtierenden Richter zutrifft. Mehr will auch ich nicht sagen. Aber die Richter, 'die in der Nazizeit an den Sondergerichten „Recht" gesprochen haben -- Recht in Gänsefüßchen gesetzt — und die heute noch bei uns amtieren dürfen, lehnen wir und lehnt das deutsche Volk ab. Und wir erlauben uns das Recht der Kritik an der Urteilsfällung gerade dieser Richter. Ich sage nur ein Wort: Bielefeld! Ich gehe nicht nur vom Fall Hedler aus. Wir haben in den letzten Monaten und Jahren viele, viele Fälle von Freisprüchen erlebt. die absolut auf derselben Basis wie der Freispruch eines Hedler zustande gekommen sind. Ich sage nur nochmals ein Wort: Bielefeld! Wie war es denn da anders? Auch da haben sich gewisse Herren Justizminister mit denselben Worten, die heute Herr Dr. Dehler angewandt hat. eine Kritik genereller Natur an dieser Richterschaft verbeten, und das kann man einfach nicht hinnehmen. Recht ist nicht das. was die Richter. die dieser Ihrer Klasse unterstehen und unterstellt sind, als Recht aussprechen. Recht ist das, was der Gerechtigkeit entspricht, und da gibt es keine Deutungen. Da gibt es keine Auslegungsmöglichkeiten, das ist ein klarer Begriff. Solche Richter müssen wir haben, die klare, ehrliche, gerechte Urteilssprüche fällen und keine Klassenurteile aussprechen.
-- Ja, wie sie im Osten sind. Da gibt es keine Hedler -Sprüche.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Sie wollen mich doch nicht etwa mit Beifall begrüßen, meine Herrschaften von links!
Meine Damen und Herren! Wir können die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers, die er vorhin gemacht hat, nur völlig unterschreiben.
Ich schlage vor, daß wir alle Debatteredner möglichst ruhig anhören. Dann kommen wir am schnellsten mit der Angelegenheit zu Ende.
Wir stehen durchaus auf dem Standpunkt, daß wir es verhüten müssen, daß hier etwas Ähnliches wie eine sogenannte Volksjustiz, die Herr Kollege Renner soeben pries, eingeführt wird. Wir sehen die große Gefahr, wenn wir uns auf diesen Weg begeben und wir es nicht in sehr scharfer Form verhindern, daß derlei Dinge, wie sie im Zusammenhang mit diesem Prozeß vorgekommen sind, in Zukunft wieder geschehen.
Meine Damen und Herren! Es ist völlig ausgeschlossen, daß hier von solchem und solchem Druck der Straße geredet wird. Als Druck der Straße und außerdem als ein Verbrechen an unserer gegenwärtigen Wirtschaftslage bezeichne ich es, wenn irgendwelche Funktionäre einen Streik der Hanomag wegen dieses Hedler-Prozesses organisieren, wo doch die Arbeitsleistung der Hanomag -Werke weiß Gott mit diesem Prozeß gar nichts zu tun hat. Mutwillig werden dort von
o irgendwelchen Leuten 2500 Arbeitsstunden aufs Spiel gesetzt.
Solche Dinge müssen in Zukunft durch einen entsprechenden einschlägigen Paragraphen im Strafgesetzbuch verhindert werden.
Der Vertreter der Nebenkläger, der Herr Kollege
Greve, erklärte laut Pressemeldung, daß die Gefahr bestünde, daß der Freispruch der ersten Instanz in der Revisionsinstanz bestätigt würde und
daß diese Gefahr sofort beseitigt werden müsse.
Meine Damen und Herren! Hier sehen wir, in welcher Richtung dort marschiert wird.
-- In diesem Falle ja! Gut für Sie, wenn es nicht stimmt.
- Ich gebe es Ihnen gleich, ich habe es dort liegen.
Es mehren sich in der letzten Zeit die Fälle, wo man mit Druck und Terror und Streiks und Gewaltmaßnahmen erpresserischen Druck auf Gerichte, Behörden, Einzelpersonen und Organisationen auszuüben versucht. Diese Dinge müssen in Zukunft ganz klar ausgeschaltet werden.
Das Recht — das möchten wir feststellen — ist unserer Ansicht nach nicht, wie es Herr ,Kollege Zinn sagte, durch den Richter Paulick bedroht, sondern das Recht ist bedroht, wenn solche Dinge, wie sie sich im Umkreis um diesen Prozeß abgespielt haben, in Zukunft noch weiter stattfinden sollten. Und dagegen sollte sich das Haus in seiner überwiegenden Mehrheit ganz entschlossen und ganz energisch zur Wehr setzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Ich nehme an, daß das Wort „Heil Hitler!" ironisch gemeint war.
— Ach so!
Meine Damen und Herren! Wenn man von Justizkrise spricht, meint man damit nicht etwa, daß unsere deutschen Richter käuflich wären, daß sie in Prozessen zwischen Meier und Schulze nicht unparteiisch entscheiden. Man meint damit nicht, daß unsere Richter etwa nicht genügend juristische Kenntnisse hätten, um gutes Recht zu sprechen. Man meint damit etwas anderes. Man versteht darunter, daß unsere Richter nicht immer dem Anliegen, das das Volk als Träger unseres Gemeinwesens an die Rechtsprechung stellen darf, gerecht werden. In vielen Fällen geschieht es; aber in einer Reihe von sehr sichtbaren Fällen ist es nicht geschehen.
Das Pathos des Richteramtes wird nicht dort in Anspruch genommen, wo sich gleichgültige Leute vor der Richterbank um ihr Recht streiten. Das Pathos des Richteramtes wird dort in Anspruch genommen, wo „Richtersein" zu einer gefährlichen Sache wird, dort also, wo der Richter den Schwachen gegen den Übermächtigen zu schützen hat, dort, wo er sich mit seinem Urteil gegen den Druck der Straße zu stemmen hat. Ja, Herr von Thadden!
Aber der Druck der Straße nimmt in dieser Zeit mannigfache Gestalt an. In Neumünster oben war es nicht der Druck der Straße von irgendwoher, sondern der Druck der Straße von Neumünster, der auf das Gericht gewirkt hat!
Das Pathos des Richteramtes wird auch dort in Anspruch genommen, wo sich der Richter gegen die gängigen Meinungen seiner Standesgenossen stellen muß, wenn wirklich Recht gesprochen werden soll, dort, wo er unter Umständen riskieren muß, gesellschaftlich boykottiert zu werden,
wenn er eine bestimmte Stellung einnimmt. Und auch hier weist die jüngste Vergangenheit leider Gottes einige böse Beispiel auf.
In dem Wort Justizkrise ist noch ein weiterer Vorwurf beinhaltet, nämlich der, daß viele Richter dem Geist der Zeit -- ich meine das nicht im banalen Sinne, sondern in dem tiefen Sinn, in dem Hölderlin von „Zeitgeist" spricht -- dem Geist der Zeit gegenüber nicht genügend „offen" sind, daß sie sich zu sehr in ihren Wertungen von Tafeln bestimmen lassen, die in ihrer Jugend vielleicht „Geist der Zeit" gewesen sein mögen, die es aber heute nicht mehr sind. Das alles beinhaltet der Vorwurf, daß es eine Justizkrise gebe.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß man diese Dinge schon sehr ernst nehmen sollte. Denn es geht dabei um mehr als um die Frage, ob eine Säule unseres Staatsapparates auch integer ist oder nicht. Es geht dabei vielmehr um Charakter und Wesen unseres neuen Staates selbst!
Man kann schlechterdings die Rechtsprechung in diesem, Lande nicht Menschen anvertrauen, die zu dieser unserer deutschen Republik keine positive Einstellung haben!
Es genügt nicht, neutral in Gänsefüßchen zu sein; so einer ist weder Fisch noch Fleisch. Ein Richter muß schon an die humanen, moralischen und politischen Werte glauben, die in unserem Grundgesetz einen gesetzgeberischen Ausdruck gefunden haben,
sonst gehört er nicht auf die Richterbank!
Leider Gottes findet man aber da und dort noch — oder wieder? — Richter, die ganz anders sind, als wir es wünschen müssen. Man findet bei sehr vielen von ihnen noch etwas, was ich die deutschnationalen Eierschalen nennen möchte, sehr vieles noch, was Residuum aus der Wilhelminischen Zeit ist, und man findet auch noch viel, was aus den Konventsreden auf den Stiftungsfesten stammt.
Ich glaube, daß das Problem des deutschen Richters im wesentlichen eine Erziehungsfrage ist. Ich fürchte, daß wir viel zuviele Richter haben. Wahrscheinlich ist ein Volk von 45 Millionen nicht imstande, in solcher Zahl Menschen zu produzieren, die alle Voraussetzungen erfüllen, die erfüllt sein müssen, wenn einer Recht sprechen soll.
In unserem Richterkorps wie auch an anderen Stellen unseres öffentlichen Lebens — es bildet da keine Ausnahme nach unten! — findet sich bei sehr viel gutem Willen und bei vieler ausgezeichneter fachlicher Tüchtigkeit leider noch viel Subalternität, und so glaube ich, daß das Problem des Richters im wesentlichen ein Bildungsproblem ist. Der deutsche Richter hatte in der Welt -- und mit Recht — einmal einen hohen Ruf. Ich denke nicht nur an den Richter, an den der Müller von Sanssouci appelliert hat. Ich denke auch an dieses großartige Parlament, das es einmal im Königreich Preußen gab und das man einst ein bißchen verächtlich das Kreisrichterparlament genannt hat. Dort saßen wirklich Männer, die wußten, was es heißt, Richter zu sein, Männer, die wußten, daß es in erster Linie heißt, Rückgrat zu zeigen -Rückgrat zu zeigen überall dort, wo einer versucht, es mit der Gewalt zu probieren, überall dort, wo man versucht, an die Stelle des Urteilens das Vorurteil, das Privileg oder die Stumpfheit des Pöbelsinns zu stellen.
Aber wie bei so manchem andern hat es auch dort ein Dekrescendo gegeben. An die Stelle des großen Geistes dieser Zeit ist der kleine Geist des Wilhelminismus getreten, und von ihm, von seinem Mangel an echtem Gefühl, an echter Humanität, an edler Bildung sind viele Richter unserer Zeit leider Gottes noch zu sehr bestimmt. Ich sage nicht: alle; ich sage auch nicht: die Mehrheit. Wer könnte hier mit Ziffern operieren?
Aber es gibt bei uns in Deutschland einen bestimmten Typus von Richtern, der durch den Wilhelminismus von vorgestern, gestern und heute leider Gottes sein Gepräge erhalten hat.
Und dann glaube ich, daß die Diskussion des Richterproblems letzten Endes — es kann heute hier nicht geschehen; ich weiß es — einmünden müßte in eine Diskussion des Problems des deutschen Erziehungswesens, dessen große Gegenwartsaufgabe doch ist, uns endlich, endlich von den Residuen des Wilhelminismus zu befreien.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich pflichte dem Herrn Kollegen Schmid völlig darin bei, daß die Aufgabe der Heranbildung eines Richtertums, das erfüllt ist von dem Geiste des demokratischen Rechtsstaates und das erfüllt ist von dem Willen, diesen demokratischen Rechtsstaat zu schützen, im wesentlichen ein Problem der Erziehung und der Bildung dieses Richtertums ist.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wenn Sie dieses Problem immer so aufgefaßt und in dem Geist darüber gesprochen hätten, wie dies eben Herr Kollege Schmid hier tat, so hätten Sie sich über manche Fehlentwicklung im deutschen Richtertum während der Zwanziger Jahre nicht zu beklagen brauchen. Denn seien Sie doch nicht blind dagegen, daß Sie viele Richter in eine falsche Richtung hineingetrieben haben
— jawohl, aus einem hervorgerufenen Trotz gegen 1 eine Agitation,
von der diese Richter sich persönlich nicht getroffen fühlten,
von der sie sich aber als Stand zu Unrecht getroffen fühlten.
Sie haben Ausnahmen allzusehr verallgemeinert, und Sie haben ihnen ein propagandistisches Gewicht gegeben, das Fehlentwicklungen zur Folge hatte, die wir alle im Interesse der Gemeinschaft aufs tiefste zu bedauern hatten.
Und, meine Damen und Herren, gerade auf dieser Linie lag ja jetzt, neulich, Ihre Reaktion auf das Hedler-Urteil, noch ehe irgend etwas Zuverlässiges bekannt war,
über die begründenden Ausführungen des Richters bekannt war.
Herr Abgeordneter Greve, ich darf einmal bitten! Herr Abgeordneter Dr. Schmid ist im Hause lautlos angehört worden. Dasselbe Recht hat Herr Abgeordneter Euler auch.
Am Tage nach dem Urteil, noch ehe hier zuverlässige Berichte vorlagen, wollten Sie bereits den Richter durch eine Erklärung dieses Hauses schuldig erklärt haben.
Das war leider damals der Tenor der Entschließung, die Sie dem Hause vorgelegt haben.
Ich glaube, die Erörterungen mit dem Ziel, ein
Richtertum republikanischen, rechtsstaatlichen
Geistes zu schaffen, werden in ein richtiges Fahrwasser geleitet, und wir brauchen nicht mit manchen unangenehmen Reaktionen im Richtertum
gegen propagandistische Entstellungen zu rechnen,
wenn wir uns auf der Linie finden, die Sie, Herr
Kollege Schmid, soeben hier eingeschlagen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eigentlich bedauerlich, daß wir in die Erörterung eines so tiefen und so wichtigen Problems gewissermaßen nebenbei hineingeraten sind.
Ich möchte namens meiner Fraktion aus diesem Anlaß doch einen Angriff zurückweisen, der hier gegen die Ausführungen des Herrn Justizministers gemacht worden ist. Es wurde davon gesprochen, es handle sich um den Eingriff in ein schwebendes Verfahren.
Darum kann es sich überhaupt nicht handeln. Der
Herr Justizminister hat die große prinzipielle
Frage unserer Auseinandersetzung angedeutet.
Das war nach meinem persönlichen Dafürhalten
im Rahmen der Darlegungen über die grundlegenden organisatorischen Gesetze zur Wiederherstellung unserer deutschen Rechtseinheit durchaus ein notwendiges und ein richtiges Wort, das
gesprochen werden sollte. Ich habe sein Wort dahingehend verstanden, daß er eine Entgiftung der
Atmosphäre herbeizuführen gewillt war. Er hat
nur von dem Prinzip gesprochen und kein Wort
zu dem Verfahren gesagt, ein Verfahren, von dem
ich persönlich und im Namen meiner Fraktion nur
zum Ausdruck bringen möchte, es sollte möglichst wenig davon gesprochen werden. Es ist schon viel zu viel davon gesprochen worden, und dadurch, daß soviel gesprochen worden ist, ist ja das angerichtet worden, was auch Sie, meine Herren, nun zu der äußersten Empörung gebracht hat.
Wir sollten uns bei dem Prozeß unseres werdenden Staates eines zur Pflicht machen, das, was uns der Herr Bundespräsident gestern in seiner so eindrucksvollen Rede klargemacht hat: unsere Vorurteile zu überwinden und das richtige Maß zu finden suchen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Meine Damen und Herren! Ich habe 25 Jahre meines Lebens, ich kann damit eigentlich sagen, mein ganzes Leben, bisher im Dienst am Recht gestanden, als Richter, als Anwalt, als Staatsanwalt und schließlich auch in der Gesetzgebung. Ich bin daher der Überzeugung, daß diese Fragen nicht parteipolitisch angesehen werden sollten, wie es leider wieder einmal der Herr Kollege Euler getan hat, mit dem Refrain: Die Sozialdemokratie ist an allem schuld. Wenn es keine .Sozialdemokratie gegeben hätte, dann hätten sich die Richter nicht vor den Kopf gestoßen gefühlt, und dann wäre keine Justizkrise entstanden. Herr Kollege Euler, so kann man die Dinge nicht ansehen. Es sollte selbst unter Ihrem Niveau sein, Ihr parteipolitisches Süppchen noch an dieser Sache zu kochen.
Ich muß auch der Auffassung entgegentreten, als ob die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion seinerzeit ohne Kenntnis des Sachverhalts abgegeben worden wäre. Wir haben sehr genaue und sehr zuverlässige Berichte über die mündliche Urteilsbegründung im Falle Hedler gehabt, ehe wir uns hier zu unserer Erklärung entschlossen haben. Im übrigen ist es weiterer Irrtum, anzunehmen, wir hätten beantragt, daß das Haus einen der Richter oder die Richter schuldig sprechen solle. Nichts Derartiges ist geschehen. Wir haben einen Antrag überhaupt nicht gestellt, sondern wir haben eine Erklärung abgegeben, und solche Erklärungen sind im Landtag von Schleswig-Holstein, im Landtag von Nordrhein-Westfalen und im bayerischen Landtag abgegeben worden, dort übrigens von allen Parteien oder jedenfalls von den Parteien, von denen man eine staatstragende Tätigkeit erwarten kann — die anderen Parteien zählen für mich nicht —, während hier in diesem Hause ein bedauerliches Schweigen besonders in der Mitte herrschte. So sind ja die Dinge gewesen. Also nicht die Sozialdemokratische Partei hat ohne Kenntnis des Tatbestandes ihre Erklärung abgegeben, sondern die Bundesregierung hat ohne Kenntnis der Sache ihre Erklärung abgegeben.
— Wir haben, Herr Kollege Hilbert, 'im Ausschuß zum Schutze der Verfassung von dem Herrn Bundesinnenminister Heinemann gehört, daß er das amtliche Stenogramm der Urteilsgründe erst in dieser Sitzung, die ungefähr acht Tage nach der Regierungserklärung lag, in die Hand bekommen habe.
Also dort ist diese Leichtfertigkeit geschehen und nicht auf unserer Seite.
Ich kann deshalb nicht verstehen, wie der Herr Bundesjustizminister sich an diesen Platz stellen und im Namen der deutschen Richter sprechen kann; denn auch ich bin durchaus mit dem Herrn Kollegen Dr. Schmid und dem Herrn Kollegen Zinn darin einig, daß man nicht etwa alle Richter in einen Topf werfen darf, daß man auch nicht einmal von einer Mehrzahl sprechen darf. Aber ich bin der Meinung, daß man gerade den deutschen Richter damit herabsetzt, wenn man die Richter, die in Neumünster das Urteil gesprochen haben, typisch sein läßt und das zum Anlaß nimmt — wie es der Herr Bundesjustizminister getan hat —, um sich vor dieses Urteil zu stellen.
Dieses Urteil liegt Ihnen, meine Damen und Herren, ja in der mündlichen Begründung im amtlichen Stenogramm vor. Da der Herr Bundesjustizminister es hier so hinzustellen beliebte, als sei das lediglich eine Beweisfrage gewesen, als sei das Gericht lediglich zu der Erkenntnis gekommen, es habe dies oder jenes nicht feststellen können, so muß ich darauf erwidern: Das ist ja gar nicht wahr. Das Gericht hat zum Beispiel festgestellt:
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte nur von denjenigen Widerstandskämpfern im Zusammenhang mit Landesverrat gesprochen, die mit dem Ausland zusammengearbeitet haben.
Es hat dies also festgestellt und ist nur mit der Ausflucht darum herumgekommen, daß der Kreis solcher Widerstandskämpfer nicht mehr identifizierbar sei. Als ob nicht heute jedes Kind in Deutschland wissen sollte, daß es die Offiziere gegen Hitler gegeben hat, die Kreise der Bekennenden Kirche, die Kreise der katholischen Kirche, die Menschen, die aus diesem oder jenem Grunde sich gegen die Tyrannei aufgebäumt haben, die damals mit Recht Verbindung mit dem Ausland gesucht haben, um noch das Letzte vor dem Untergang durch den wahnsinnigen Verbrecher zu retten!
Wenn der Richter das nicht weiß und nicht anerkennt, dann gehört er entweder in ein Tollhaus, jedenfalls nicht auf die Richterbank.
Das Gericht in Neumünster hat also festgestellt, daß der Vorwurf des Landesverrats gebraucht worden ist, und es hat ganz genau wie im Falle Ebert, den der Herr Bundespräsident gestern in so eindringlicher Weise dargelegt hat, wiederum einmal die Hand dazu geboten, daß die besten Kräfte des deutschen Volkes, die alles getan haben, um das deutsche Volk vor dem Untergang zu bewahren, in Neumünster diffamiert worden sind.
Noch in einem andern und für uns alle sehr traurigen Punkt hat sich das Gericht zu Auffassungen bekannt, bei denen es mir unbegreiflich ist, wie der Herr Minister, dem im Kabinett das Recht anvertraut ist, hier auch nur ein Wort dafür hat finden können. Wir wissen doch wirklich alle, was es bedeutet, daß von Verbrechern angeblich im deutschen Namen fünf bis sechs Millionen Juden vergast worden sind.
Dazu aber sagt das Gericht auf Grund der Verhandlung folgendes:
Der Angeklagte hat erklärt, daß er von einem deutschen Parteiführer erwarten müsse, daß er zuerst der fünf bis sechs Millionen deutscher Menschen gedenkt, die nach 1945 ermordet worden sind.
Also das Gericht hat sogar noch den Toten abgesprochen, daß sie Deutsche waren; denn unter diesen ermordeten Juden ist doch ein großer Teil deutscher Menschen gewesen. Das Gericht fährt dann fort:
Der Angeklagte hat weiter erklärt, daß damals andere Mittel und Wege hätten gefunden werden müssen, um das Judenproblem zu lösen.
Nämlich hinsichtlich des selbständigen Staates Israel. —
Gewiß, der Angeklagte, mag der Auffassung sein — und diese Auffassung ist ja von vielen vertreten worden —, daß die Judenfrage damals in Deutschland einer Lösung harrte und am besten gelöst worden wäre im Wege einer Auswanderung nach Palästina. Eine ganze Reihe von Zeugen hat uns auch bekundet, daß sie die Ausführungen des Angeklagten in diesem Sinne verstanden hätten. Aber auch eine derartige Stellungnahme würde weder objektiv noch subjektiv eine Kundgabe von Mißachtung enthalten. Denn ein bloßes Nichtanerkennen, ein bloßes Nichtgeltenlassen von Menschen oder Menschengruppen ist noch niemals eine Beleidigung gewesen.
Es ist nicht vorstellbar, wie ein Gericht das Grundgesetz, das von der Gleichheit der Menschen handelt und sagt, daß niemand wegen seiner Herkunft, Rasse, Religion oder aus sonstigen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden darf, ärger besudeln kann, als es in Neumünster geschehen ist,
und zwar angesichts der noch offenen Gräber der ermordeten Millionen, auch Deutscher, die das Unglück hatten, jüdischer Rasse zu sein.
Herr Justizminister! Sie sollten uns sagen, ob Sie sich zu diesen Grundsätzen bekennen. Wenn Sie das tun, dann kann ich Ihnen nur das eine zurufen: Um Gottes willen, gehen Sie!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war nicht gut, daß wir heute die Einbringung einer Gesetzesvorlage zu einer solchen Diskussion auswachsen ließen.
Ich bedauere es um so mehr, als diese Diskussion sich wieder mit einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren beschäftigt hat. Ich stehe nicht an zu erklären, daß auch mich die Lektüre dieser Urteilsgründe tief erschüttert hat.
..
Aber ich lehne es für meine Person und für meine Fraktion trotzdem ab, heute zu dem konkreten Fall des Urteils von Neumünster Stellung zu Nehmen, weil ich glaube, wir sollten es nicht tun. Wir sollten ein für allemal zu einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren nicht Stellung nehmen. Die Folgen eines anderen Verhaltens können wir nicht absehen.
Ich bin mit den meisten meiner Vorredner der Meinung, daß die ungeheuer ernste Frage der Justiz und der Justizkrise nicht so nebenher im Zusammenhang mit einem anderen Thema erörtert werden kann.
Der Herr Kollege Zinn hat mich an eine Debatte erinnert, die wir in Wiesbaden geführt haben. Es ist selbstverständlich, daß ich heute noch unverändert zu dem stehe, was ich damals gesagt habe.
Ich bin mir klar, daß wir heute das tun müssen,
was wir vielleicht vor 20 Jahren versäumt haben.
Im Interesse unseres Staates und im Interesse der zahlreichen guten, einwandfreien Richter müssen wir alles daran setzen,
eine Justiz zu schaffen, die mit unserem Staat auch innerlich verbunden ist.
Herr Kollege Schmid hat mit Recht darauf hingewiesen, und Sie, Herr Kollege Euler, haben es bestätigt, daß das auch eine Frage der Auswahl und der Ausbildung der Richter ist,
— der Auswahl und Ausbildung und Bildung, der Herzens- und Gewissensbildung der Richter. Dieser Frage sollten wir uns annehmen, und wir sollten diese Frage dann auch ohne jede parteipolitische Leidenschaft diskutieren. Denn das Problem geht uns alle gleichmäßig an, denen das Schicksal unseres deutschen Vaterlandes am Herzen liegt.
Ich bin überzeugt und möchte das ausdrücklich sagen, daß diesem Problem auch der Bundesjustizminister seine ernste und volle Aufmerksamkeit zu schenken bereit ist und daß vielleicht auch manche — erlauben Sie mir das zu sagen, Herr Bundesjustizminister — mißverständliche Äußerung von heute in mir und meinen Freunden, und ich glaube, auch in der Mehrheit dieses Hauses nicht die Gewißheit zerstört, daß Sie sich auch darüber im klaren sind, daß es die Aufgabe eines Bundesjustizministers und jedes Landesjustizministers ist,
Justiz und Staat zusammenzubringen, nicht gegeneinanderzuführen, damit wir, bevor wir eine echte Justizkrise haben, die Voraussetzungen beseitigen, daß sie entstehen könnte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löbe.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, dab ich bei einer recht unerwarteten Aussprache, die leider der Herr Justizminister an ebenso unpassender Stelle begonnen hat,
mich mit zwei Sätzen an den Herrn Kollegen Euler wende. Herr Euler hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß unzweckmaßige Kritik der Sozialdemokraten bei den Richlern jenes Verhalten bestarkt habe, das die weit verbreitete Unzurriedenhelt mit aer deutschen Justiz zeitigte. Herr Abgeordneter Euler, ich wollte Sie an einen Reichskanzler Wiuheim Marx erinnern, der wegen der Schmahungen, .die ihm politische Gegner zuteil werden ließen, öfter die Hilte deutscher Gerichte anrufen muhte und der eines Tages — ich habe die Sitzung selber präsidiert, desnalb ist sie mir in so guter Erinnerung — von seinem Kanzlerplatz, als der letzte derer, die ihn beschimpft hatten, zu 75 Mark Geldstrafe verurteilt war, erklarte: Ich werde niemals wieder eine Klage vor deutschen Gerichten erheben nach den Erfahrungen, die ich mit ihnen gemacht habe.
Der Reichskanzler Wilhelm Marx, der höchsten Juristenkreisen entstammte, hat damals so deutlich gesprochen, wie es heute drei sozialdemokratische Juristen zusammen nicht getan haben.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Wir würden uns nicht verstehen, wenn Sie kein Gefühl dafür haben, daß ich aus einer bangen Sorge gesprochen und die Frage des deutschen Richters angeschnitten habe. Ich habe das doch alles schon einmal erlebt. Ich bin als junger Jurist ins politische Leben, in das Leben des Rechtsstaates eingetreten und habe all das miterlebt, wovon man heute gesprochen hat, und habe erlebt, wie der Staat nicht nur dadurch Schaden nahm, daß der Richter versagte — manches ist richtig, was gesagt wurde —, sondern auch dadurch, daß man ihm von vornherein mißtraute, daß man ihn nicht leben ließ, daß man ihn nicht als einen Richter der Demokratie haben wollte.
— Das ging Hand in Hand, Herr Kollege Schmid,
und die Dinge wiederholen sich jetzt wieder. Das
ist der Grund, warum ich sprach, wirklich nicht,
um jemanden anzuklagen, nicht, um Sie anzuklagen, sondern um darum zu ringen, daß wir gemeinsam den richtigen Weg finden. Ich meine,
manches hat sich in der Aussprache geklärt. Ich
habe Anlaß, zu vergessen, was der Abgeordnete
Zinn sprach, der mein Freund ist und hoffentlich
bleiben wird, und zu vergessen, was der Abgeordnete Arndt mir mit, na, wutverzerrtem Gesicht
hier entgegenhielt, und ich will an das glauben, was der Abgeordnete Schmid als Ziel aufstellte. Der gute Richter! Der gute deutsche Richter fällt uns nicht in den Schoß! Der ist mehr Aufgabe, ich will sagen, der ist Aufgabe und nicht Erfüllung. Aber verderben Sie nicht, was an Gutem vorhanden ist!
Man sagt, ich habe in ein schwebendes Verfahren eingegriffen.
— Ich habe nicht gewertet.
Ich habe nur das, was mir bekannt war, Ihnen wiedergegeben. Es ist nicht richtig, wenn der Herr Abgeordnete Arndt annimmt, weil der Innenminister Heinemann die stenographisch festgehaltenen Urteilsgründe in der Sache Hedler nicht gekannt habe, mir seien sie nicht bekannt gewesen, als die Erklärung der Regierung erfolgte. Selbstverständlich waren sie mir bekannt.
— Ich habe sie nicht bestätigt, und wir denken nicht daran, sie zu bestätigen!
Aber wie sind denn die Dinge? In Deutschland und in der Welt klagt man die deutsche . Justiz an, daß sie ungeheuerliche Vorwürfe verteidige, daß sie sie billige, daß sie sich hinter das, was man Hedler vorwarf, stelle.
— Ach Gott, die sind doch von dem Herrn Kollegen Arndt mehr oder minder aus dem Zusammenhang gerissen.
— Das ist ja nicht wahr!
Meine Damen und Herren, es ist nicht schön, wenn man von sich selber sprechen muß, aber immerhin: wenn einer angegriffen wurde von dem, was man Hedler vorwarf, na, dann vielleicht ich! Ich habe zu einem Widerstandskreis gehört, einem Widerstandskreis, dessen Angehörige ihr Leben gelassen haben. Meine Verwandten, die Verwandten meiner Frau, sind ums Leben gekommen, weil sie Juden waren. Hunderte meiner Freunde haben ihr Leben in Auschwitz oder sonstwo verloren! Meinen Sie, das ist mir gleichgültig, was in Neumünster verhandelt wurde? Aber ich werde doch dadurch nicht berührt.
wenn ich immerhin einen Teil der deutschen Justiz in meiner Verpflichtung weiß, wenn ich das Gefühl habe, ich muß dafür sorgen, daß Recht Recht bleibt,
daß man nicht aus Animosität handelt und entscheidet. Ich muß dafür sorgen, daß der Richter nicht das Gefühl hat, verloren zu sein und Angriffen schutzlos ausgesetzt zu sein.
Ich habe Ihnen gesagt, meine Damen und Herren: ich bin zutiefst empört über das, was mir aus den Zuschriften entgegenschlägt, die ich Tag für
Tag bekomme. Ja, hat man da nicht das Gefühl, verantwortungslos zu sein? Jedes Grüppchen, das sich irgendwo zusammensetzt, fühlt sich befugt, von einem Schandurteil zu sprechen, ohne das Urteil zu kennen.
Das ist ja das Schlimme: die andern tun es, sie halten sich für befugt, das, was in Neumünster geschah, angeblich geschah, auf die deutsche Justiz auszuweiten. Dazu soll ich schweigen? Ich würde meine Pflicht verletzen,
weil ich weiß, daß die deutschen Richter besser sind, als sie hier dargestellt werden.
Ich habe das Recht, darüber zu sprechen. Ich habe damals, 1945, das Richtertum eines Oberlandesgerichtsbezirks mit aufgebaut. Ich kenne jeden Richter in meinem Bezirk und weiß, wes Geistes er ist, und weiß, auch wenn er einmal Pg war: ich habe ihn geprüft und weiß, daß er ein anständiger, sauberer, gutwilliger Mensch ist. Ich weiß allerdings auch, wieviel auf das Beispiel ankommt.
Ich habe das Empfinden: solange ich an der Spitze meines Oberlandesgerichts stand, war ich für jeden Richter eine Verpflichtung; der wußte, was ich mir als demokratisches Rechtsziel vorstellte. und ich hatte die Überzeugung, er orientierte sich an diesem Wollen. Darauf kommt es an, wie überall im Leben: Beispiel zu sein! Aber die Dinge müssen ausgesprochen werden, wenn nicht das Richtertum und wenn nicht damit unser Staat Schaden nehmen soll!
Meine Damen und Herren, es gab eine Kabinettsjustiz, höchste Bedrohung der Justiz, wesensfremd dem Begriff der Gerichtsbarkeit, die nur bestehen kann, wenn sie unabhängig ist, wenn sie ihre Impulse erhält aus einer höchsten Moral, aus dem Gewissen. Es gibt eine andere Gefahr: es gibt auch die Gefahr der Parlamentsjustiz,
es gibt auch die Gefahr der Parteijustiz.
Ich beschuldige niemanden, ich sage nur: es gibt die Gefahr, und ihr können wir nur dadurch begegnen, daß wir diese Dinge aussprechen und die Gefahr zeigen.
Darum, wenn viele gemeint haben, es sei nicht am Platze gewesen, über die Dinge zu sprechen. es war höchste Zeit, darüber zu sprechen. Ich glaube, meine Damen und Herren, von links bis rechts können wir uns in dem Willen finden: wir wollen alles tun, um den Richter zu schaffen, den wir brauchen, weil die Demokratie sonst nicht mehr besteht, und es soll der Tag kommen, an dem es in Deutschland wieder heißt: Ilya des juges à Berlin.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache über Drucksache Nr.
0 530 und darf das Einverständnis des Hauses annehmen, daß der Gesetzentwurf als an den zuständigen Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen gilt.
Darf ich die Fraktion, die den Gesetzentwurf unter Punkt 2 der Tagesordnung eingebracht hat, fragen, ob der Referent zur Einbringung des Gesetzentwurfes bereits anwesend ist?
-- Dann, meine Damen und Herren, kehren wir zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen .
Ich mache darauf aufmerksam, daß im Ältestenrat -- abgesehen von der Begründung, für die 10 Minuten in Aussicht genommen sind — für die allgemeine Aussprache eine Redezeit von 60 Minuten vorgesehen worden ist. Darf ich das Einverständnis des Hauses zu diesem Vorschlag des Ältestenrats feststellen? -- Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Das Wort hat als Antragsteller Herr Abgeordneter Ludwig.
Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 525 gestatten wir uns, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Gruppe des schaffenden Volkes zu lenken, die eines besonderen Schutzes bedarf. Wir denken dabei an Hausangestellte, Heimarbeiter, gewisse Schichten von Gelegenheitsarbeitern, unständig Beschäftigte, Land- und Forstarbeiter und Menschen mit unbestimmtem Arbeitsverhältnis.
Normal werden die Tarifverträge nach freien Verhandlungen der beiden Organisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgeschlossen, und wir wollen auch in Zukunft an dieser Regelung festhalten. Bei den genannten Gruppen handelt es sich aber um solche, bei denen der Partner auf der Arbeitgeberseite fehlt. Niemand kann zulassen oder wünschen, daß wertvolle Arbeitnehmerschichten arbeitsrechtlich benachteiligt sind. Deshalb war es notwendig, ein Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vorzulegen. Es soll in einer Weise verfahren werden, die es möglich macht, nicht nur beide Teile eingehend zu hören, sondern auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer in paritätischer Zusammensetzung entscheiden zu lassen.
Es wird vorgeschlagen, einen Hauptausschuß zu errichten. Bei dieser Gelegenheit gestatte ich mir, darauf hinzuweisen, daß in § 2 Absatz 2 letzte Zeile ein Druckfehler unterlaufen ist, der zu berichtigen wäre. Es muß dort statt „Stellenplan" heißen „Stellvertreter". Es soll also durch das Bundesarbeitsministerium ein Hauptausschuß errichtet werden, der aus sechs Vertretern der Spitzenverbände, und zwar der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, besteht, und dieser Ausschuß soll auf drei Jahre gewählt werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können bei ihm Anträge stellen auf Einführung oder Aufhebung schon eingeführter Mindestarbeitsbedingungen; im letzteren Fall, wenn die Voraussetzungen in Wegfall gekommen sind. Solche Mindestarbeitsbedingungen sollen festgesetzt werden, wenn eine Sicherung angemessener Löhne zur Befriedigung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse erforderlich erscheint. Die betroffenen Gewerkschaften, Vereinigungen von Unternehmern und oberste Arbeitsbehörden sind vor der Entscheidung zu hören. Wenn die Zulassung beschlossen wird, tritt ein Festsetzungsausschuß in Aktion. Für jeden Wirtschaftszweig und jede Tätigkeit, für die Mindestarbeitsbedingungen festzusetzen sind, muß ein Festsetzungsausschuß errichtet werden. Zuständig ist hier entweder die oberste Arbeitsbehörde oder, wenn ihr Bereich überschritten wird, der Bundesarbeitsminister. Diese Ausschüsse sollen aus drei bis fünf Mitgliedern und einem unparteiischen Vorsitzenden bestehen.
Die Mindestarbeitsbedingungen gelten unmittelbar und zwingend für Arbeitnehmer und Arbeitgeber des Geltungsbereichs. Günstigere tarifliche Bestimmungen werden nicht berührt. Ein Verzicht auf Rechte kann nur durch Vergleich möglich gemacht werden, und zwar auch nur nach Billigung durch die oberste Arbeitsbehörde. Ausschlußfristen zur Geltendmachung von Rechten . können nicht rechtswirksam vereinbart werden. Es soll also hier insbesondere die Schwäche der Position dieser Gruppen berücksichtigt werden. Nach Ablauf der Aufhebung der Mindestarbeitsbedingungen gelten diese weiter, bis eine andere Regelung getroffen ist.
§ 11 fordert eine wirksame Überwachung, was ebenfalls in Anbetracht der Schwäche dieser Gruppen erforderlich ist. Die Unternehmer können durch die oberste Arbeitsbehörde zur Einhaltung aufgefordert werden. Das Land kann durch die oberste Arbeitsbehörde Nachzahlungen an die Berechtigten gerichtlich geltend machen.
Die Aufsicht über die Geschäftsführung des Hauptausschusses führt der Bundesarbeitsminister. Die Kosten für diesen Hauptausschuß trägt das Arbeitsministerium; für die Festsetzungsausschüsse die für die Errichtung zuständige Stelle.
Beide Ausschüsse beraten nicht öffentlich. Die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefaßt, bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Das Beisitzeramt ist selbstverständlich Ehrenamt.
Es besteht nach diesem Vorschlag eine Auskunftspflicht gegenuber allen befaßten Steilen. Das schließt auch das Recht auf Betriebsbesichtigung und auf Verlangen entsprechender Unterlagen in sich.
Die Entscheidungen über Festsetzung oder Aufhebung bedürfen einer öffentlichen Bekanntmachung. Die Mindestarbeitsbedingungen sind auch ins Tarifregister einzutragen, genau wie die anderen Tarifverträge. Sie sind im Betrieb auszuhängen oder den Beschäftigten in anderer Weise zugänglich zu machen.
Ich möchte noch besonders darauf hinweisen, daß durch die paritätische Besetzung der Ausschüsse und durch die Möglichkeit, auch Vertreter der Beteiligten zu hören, diese Mindestarbeitsbedingungen nicht den Charakter der Tarifordnungen haben, wie wir sie im Nazireich gekannt haben. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß es in verschiedenen Ländern bereits ähnliche Vorschriften gibt, die zum Teil noch weitergehen als das, was wir hier vorschlagen. Ich erinnere nur an den gesetzlichen Mindestlohn in Amerika, der zweifellos diese Vorschläge weit überschreitet. Wir werden also überall, wo es geht, selbstverständlich an den Tarifverhandlungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer festhalten, also an der selbständigen Zusammenarbeit der Beteiligten zur Schaffung von Tarifverträgen. Wir müssen
aber auch diejenigen schützen, für die es nicht möglich ist, einen Partner auf der Unternehmerseite zu finden. Eine rasche Beratung und Verabschiedung wäre notwendig. Für gewünschte Verbesserungen werden wir uns jederzeit gern einsetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel. Sie haben 12 Minuten.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt eine sehr schwierige Materie. Die Prüfung scheint mir notwendig, ob wirklich eine gesetzliche Regelung dieser Frage erforderlich ist. Die Regelung soll, wie ich den Entwurf verstehe, zur Absicht haben, dort einzugreifen, wo der Abschluß von Tarifverträgen schwierig oder oft sogar aus den verschiedensten Gründen unmöglich ist. Die Art der Arbeitsverhältnisse ist nicht näher umschrieben, aber man kann wohl annehmen, daß die Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft, auch die der Heimarbeiter wenigstens im wesentlichen gemeint sind. Bezüglich der Regelung für Heimarbeiter möchte ich namens meiner Freunde sagen, daß wir die Vorlage des Heimarbeitsgesetzes erwarten. Das Arbeitsministerium hat die Vorlage in aller Kürze angekündigt, und wir sind nach wie vor der Auffassung, daß die Frage der Entgeltsregelung in dem Heimarbeitsgesetz verbleiben soll. Nun ist die Frage, ob eine Regelung für die Landwirtschaft und für die Hauswirtschaft notwendig ist. Ich glaube, man kann das Bedürfnis hierfür nicht abstreiten.
Dabei muß allerdings in der Diskussion darauf geachtet werden, daß die Verhältnisse in diesen Wirtschaftszweigen stark differenziert sind, daher ist die Regelung ungemein schwierig. Es wäre falsch, hier ganz allgemein von unerträglichen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu reden. Ich weiß, daß hier manches im Argen ist. Aber wir sollten auch hier nicht zu einer Verallgemeinerung kommen. Wir stellen ja oft fest, daß bei der Gegenüberstellung der Löhne Deputatleistungen nicht erwähnt oder doch nicht ihrer Bedeutung nach eingeschätzt werden. Wir müssen auch die doch ganz verschiedenartige Leistungsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe und auch der Haushaltungen in Rechnung stellen.
Es ist also schwierig, und es muß die Sorge sein, Regelungen zu finden, die allgemein als gerecht betrachtet werden können und die schließlich letzten Endes nicht mehr Schaden anrichten, als sie Nutzen stiften.
Auf eines möchte ich, gerade meine Freunde aus den Gewerkschaften hinweisen. Es besteht eine gewisse Gefahr, daß Mindestentgelte, wenn sie festgelegt werden, dann als Normalentgelte betrachtet werden — das ist eine Gefahr - und daß man sich dort nun zu stark nach den Mindestentgelten richtet, wo schon bessere Arbeitsbedingungen vorhanden sind.
— Ich habe diese Erfahrungen schon gemacht, es ist ja an sich nichts ganz Neues, und ich bitte doch, diese Gefahr nicht ganz leicht zu nehmen.
— Ich weiß nicht. In England liegen die Verhältnisse — letzten Endes auch auf dem Arbeitsmarkt
im Augenblick — etwas anders. Ich glaube, das
sind Dinge, die hier auch berücksichtigt werden
sollten. --
Ich möchte bei der Gelegenheit allerdings auch sagen, den landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Betrieben muß es angelegen sein, dafür Sorge zu tragen, daß schon aus dem Grund erträgliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden, damit diese Betriebe brauchbare Arbeitskräfte erhalten. Wir stellen ja doch allzuoft fest, daß die besten Kräfte aus der Landwirtschaft abwandern und versuchen, in der Industrie unterzukommen, und daß auch die Betätigung in der Landwirtschaft dadurch in ihrer Wertschätzung oft herabgemindert wird. Diese Betätigung wird oft als der letzte Ausweg betrachtet. Deswegen ist es notwendig, zu' vernünftigen Arbeitsbedingungen zu kommen, damit der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft auch sein Auskommen findet und stärker als bisher respektiert wird. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Schwierigkeit der Vermittlung von Arbeitskräften für die Landwirtschaft und teilweise auch für die Hauswirtschaft doch auch dadurch bedingt ist, daß eben die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein müßten. Man kann auf diesem Gebiet eine Vermittlung auch, nur dann durchführen, wenn entweder Tariflohn oder doch zumindest der ortsübliche Lohn gezahlt wird. Ich darf auch auf die Schwierigkeiten hinweisen, die auch durch die Konkurrenz der landwirtschaftlichen Betriebe entstehen können, wenn hier die Lohnverhältnisse sehr stark 'differenziert sind.
Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß darauf zu achten ist, daß die freie Vereinbarung der Arbeitsbedingungen zwischen den Sozialpartnern, zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, nach wie vor die Norm bleiben muß. Die Anwendung eines eventuell zu schaffenden Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen darf sich meines Erachtens und auch nach der Auffassung meiner Freunde nur auf solche Ausnahmen beschränken, in denen die Schaffung von Tarifverträgen insbesondere auch dadurch oft nicht möglich ist, daß entsprechende Tarifkontrahenten nicht vorhanden sind oder daß man, wie das ja auch manchmal geschieht, eben nicht tariffähig sein will. Ich möchte aber auch hier die Meinung zum Ausdruck bringen, daß ein solches Gesetz nicht dazu führen darf, daß die Selbstverantwortung der Beteiligten eingeengt wird, daß man vielleicht aus Bequemlichkeit und aus anderen Gründen hier Regelungen in Anspruch nimmt und nicht selbst genügend Versuche macht, um zu Regelungen in freien Vereinbarungen zu kommen.
Zu den Einzelheiten des Entwurfs möchte ich nur ganz wenig sagen. Ich möchte sagen, daß bei uns gegen die vorgeschlagene Organisation Bedenken bestehen. Wir sind der Meinung, daß der Erlaß dieses Gesetzes keinesfalls zur Einrichtung eines übersetzten Verwaltungsapparates führen darf; wir sind der Meinung, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber an den Stellen beteiligt sein müssen, die sich mit der Festsetzung der Mindestarbeitsbedingungen beschäftigen. Es ist allerdings eine entsprechende Einschränkung in der zahlenmäßigen Besetzung notwendig. Es ist auch zu prüfen, ob sich nicht durch die bestehenden
Schlichtungsinstanzen, die eingesetzt werden können, andere Einrichtungen vermeiden lassen.
Nochmals die Feststellung: Tarifverträge zwischen den Tarifparteien, zwischen den Partnern des abgeschlossenen Arbeitsvertrages müssen vor einer autoritären Kollektivregelung den Vorrang haben.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß eine sorgfältige Überprüfung des vorgelegten Entwurfes notwendig ist. Ich beantrage daher die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Arbeit.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Meine Freunde sind mit einer Verweisung des Antrags an den Ausschuß einverstanden. In Vorbereitung der dortigen Beratungen erlauben Sie mir, zu einigen grundlegenden Gesichtspunkten kurz Stellung zu nehmen.
Wie einige von Ihnen wissen, hat dieses Initiativgesetz der SPD eine ziemlich große Vorgeschichte. In ähnlicher — meines Erachtens in einigen Punkten besserer — Form wurde der Gesetzentwurf schon im Wirtschaftsrat eingebracht. Nachdem man über einen dort zunächst von der KPD eingebrachten Antrag, schlechthin und etwas grob — ich meine, in den Ausmaßen grob — einen Mindestlohn von 50 Pfennig festzusetzen,
— ich spreche ja nur von dem System — nachdem man über diesen Antrag nicht zu einer Einigung gekommen war, weil man sich im Gegenteil, ich glaube auch bei den Antragstellern, darüber einig
war, daß man es auf diese Weise nicht gut machen könne, hat sich eine Unterkommission des Wirtschaftsrates in langen Sitzungen damit beschäftigt, aus dem Entwurf der SPD etwas Gutes zu machen. Schließlich wurde ein Entwurf im Plenum des Wirtschaftsrates behandelt und abgelehnt. Ich betone das besonders, weil es, wenn ich mich recht erinnere, der einzige Gesetzentwurf auf arbeitsvertragsrechtlichem Gebiet war, der von der damaligen gesetzgebenden Körperschaft abgelehnt wurde. Alle anderen wurden genehmigt, und wenn sie nicht Gesetz wurden, dann lag es an der Militärregierung. Aber hier erfolgte eine Ablehnung.
Das möchte ich vorausschicken und nun darauf eingehen, daß es sich — das ist bereits von meinen Vorrednern gesagt worden — ausschließlich um ein Organisationsgesetz handelt. Es stehen weder die Mindestbedingungen selbst in dem Gesetz noch ist gesagt worden, nach welchen Grundsätzen sie in etwa festgelegt werden sollen. Ich sage gleich, daß ich das als einen Vorteil des Gesetzes ansehe; denn es ist ja völlig unmöglich, dafür nun Gesetzesparagraphen zu schaffen. Es ist schon im ersten Paragraphen die Rede davon, in welchen Fällen Mindestarbeitsbedingungen erlassen werden sollen. Wenn Sie nachschauen wollen, es heißt in § 1 Absatz 2: sie können festgelegt werden, „wenn eine tarifvertragliche Regelung durch die Gewerkschaften nicht erfolgt." Dieses absolute „nicht erfolgt" stößt auf Bedenken. Es folgt dann zwar die Aufzählung einiger Fälle, in denen oder aus denen das Nichterfolgen der Regelung begründet ist, aber es heißt dabei „insbesondere". Es gibt also außer den Gründen, die da stehen — zum Beispiel wenn eine Vereinigung der Arbeitgeber fehlt —, nach dem Willen der Antragsteller anscheinend auch noch andere Gründe, über die man im Ausschuß sehr erheblich reden müßte; denn grundsätzlich davon auszugehen, daß in den Fällen, in denen eine tarifvertragliche Regelung durch die Gewerkschaft — wie es mit einer gewissen Einseitigkeit heißt — deshalb nicht erfolgt, weil die Gewerkschaft zu einer solchen Regelung nicht bereit ist, das ist doch wahrscheinlich oder hoffentlich nicht im Sinne der Antragsteller. Ich erwähne diesen Punkt, weil mir da zwischen dem von mir schon erwähnten seinerzeitigen Initiativantrag derselben Partei im Wirtschaftsrat und dem vorliegenden Antrag eine Verschiedenheit aufgefallen ist und weil ich die Zweifel, die ich aufgeworfen habe, gerne geklärt und bereinigt wissen möchte.
Davon abgesehen fragt es sich nun, wo denn bei der heutigen Sachlage in der Tat noch ein Bedürfnis besteht, sich tarifunfähig zu machen. Das ist ja Gott sei Dank eine verschwindende Ausnahme geworden. Also wo ist noch ein Bedürfnis vorhanden, von dem mit vollem Recht und zu unserer Befriedigung und sicherlich auch mit Absicht in § 1 Absatz 1 hervorgehobenen Grundsatz der Tarifvertragshoheit der Sozialpartner abzuweichen oder, wie ich sagen möchte, ihn geradezu zu verletzen? Diese Frage wird in erster Linie durch den Hinweis auf die Heimarbeit beantwortet. Dazu hat der Kollege Sabel schon das Nötige gesagt.
Wir rechnen damit, daß das Heimarbeitsgesetz, das ja leider im Wirtschaftsrat auch an der Versagung der Genehmigung durch die Alliierten gescheitert ist, nun schnellstens eingebracht wird; denn dafür besteht zweifellos eine dringende Notwendigkeit. Das Gesetz von 1934, das noch in der Vornazizeit vorbereitet worden ist, hat an sich gute Grundlagen für die Regelung der Heimarbeit geschaffen. 1939 sind dann die Treuhänder der Arbeit in das Gesetz eingefügt worden. Die gibt es nicht mehr, und dadurch hat das Gesetz seine Möglichkeiten verloren. Ich nehme das, was der Kollege Sabel gesagt hat, als eine Bestätigung dafür, daß das Haus in der Tat die baldige Vorlage eines Heimarbeitsgesetzes zu erwarten hat. Wenn man das unterstellt, dann bleiben tatsächlich nur noch wenige Gruppen, vielleicht überhaupt nur noch eine übrig, in denen ein Bedürfnis auftreten kann, und ob die nun gerade für die Regelung von Mindestarbeitsbedingungen prädestiniert sind, möchte ich bezweifeln. Ich möchte jedenfalls auf diesen Gedanken in Vorbereitung der Ausschußberatungen heute schon hinweisen.
Ich möchte Sie weiter darauf aufmerksam machen, daß in dem Tarifvertragsgesetz, welches, ich glaube, im April 1949 vom Wirtschaftsrat verabschiedet worden ist, die Möglichkeit geschaffen ist, daß auch mit einem einzelnen Arbeitgeber Tarifverträge abgeschlossen werden, so daß notfalls die andere Seite, die Arbeitnehmerseite, in der Lage ist, soziale Notstände durch Abschluß eines Tarifvertrages auch dort zu überwinden oder das sogar zu erzwingen, wo es an einer Vereinigung von Arbeitgebern fehlt.
Zum Schluß erlauben Sie mir bitte zu unterstreichen, was ich vorhin schon erwähnte, daß es uns bedenklich, vielleicht sogar gefährlich erscheint, von dem Grundsatz der Tarifvertragshoheit ohne Not abzuweichen. Wir sind bekanntlich erst seit wenigen Monaten im Nachkriegsdeutschland in der Lage, Lohn- und Arbeitsbedingungen zwischen den Sozialpartnern wieder frei und un-
beeinflußt abzuschließen. Ich glaube nicht, daß es ein Zeichen des Vertrauens in dieses Recht, das von der Rechten wie von der Linken gleich hoch gehalten wird, sein würde, wenn man nun autoritäre Lohnabsprachen oder Lohnregelungen in diesem Fall als unabweisbar — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist vorbei.
Ich bin gleich fertig. Noch dazu aber, wenn Sie das wollen, in einem Ausmaß, wie ich das vorhin bei der Hervorhebung von § 1 Absatz 2 über das Scheitern von Lohnvertragsabreden an dem Widerspruch der Gewerkschaften erläutert habe. Ich meine, wir sollten in der heutigen Zeit froh sein, daß wir den vor 1933 herrschenden Zustand der verbindlichen Schiedssprüche überwunden haben — ich will einmal vorsichtig sein: überwunden zu haben scheinen —, und wir sollten nicht in ein überholtes System zurückfallen, das sicherlich dem Interesse an unmittelbarer Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Sozialpartnern zuwiderläuft. Dies Bestreben sollten wir alle fördern und unterstützen. Es könnte auch sein, daß beide Partner in eine gewisse Gleichgültigkeit hinüberwechseln, weil sie sagen: letzten Endes schafft ja dies Gesetz eine zwangsweise Regelung für Mindestarbeitsbedingungen, und eine solche Gleichgültigkeit sollte meines Erachtens sowohl die einen wie die anderen Sozialpartner bedenklich stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Bayernpartei begrüßt und unterstützt jede berechtigte soziale Fortentwicklung, deren Ziel nicht nur der Schutz der menschlichen Arbeitskraft vor Ausbeutung, Betriebsgefahren und sonstigen, durch den Betrieb verursachten oder drohenden gesundheitlichen Schädigungen, sondern darüber hinaus die allmähliche allgemeine Verbesserung des Lebensstandards der arbeitenden Menschen ist. Wir sind bereit. bei der Beratung des vorliegenden Gesetzesvorschlags im zuständigen Ausschuß in der positivsten Weise mitzuarbeiten.
Weiterhin hat — darauf legt meine Partei entscheidendes Gewicht — jede zentralistische und schematisierende Normierung zu unterbleiben. durch welche die in den letzten Jahrzehnten allzuweit vorgetriebene Nivellierung der Preis- und Lohnverhältnisse vollendet würde. Diese Nivellierung ist mit eine der wesentlichen Ursachen der traurigen Tatsache, daß Bayern die weitaus höchste Arbeitslosenziffer aufzuweisen hat, unter der die bayerische Wirtschaft und der bayerische Arbeiter in gleicher Weise leiden. Der Verein der bayerischen metallverarbeitenden Industrie hat in seiner vor kurzem erschienenen Denkschrift
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Eine Wortmeldung? — Herr Abgeordneter Richter, bitte! Ich bitte um Entschuldigung, ich habe Ihre Wortmeldung nicht bemerkt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die SPD für die Regelung des Heimarbeiterschutzes ist, dürfte dem Hohen Hause noch aus dem Antrag der SPD, der bereits im September des vorigen Jahres gestellt wurde und in dem die SPD die Bundesregierung ersucht hat, beschleunigt ein Heimarbeiterschutzgesetz vorzulegen, bekannt sein. Diesem Antrag haben Sie zugestimmt. Dieser Antrag ist bis jetzt von der Bundesregierung leider noch nicht erfüllt worden. Nach meiner Meinung wäre dies sehr wohl möglich gewesen, da ein Heimarbeitsschutzgesetz, wie auch Herr Kollege Dr. Wellhausen und Herr Kollege Sabel und andere erwähnt haben, bereits im Wirtschaftsrat einmütig verabschiedet worden war. Das Gesetz ist nur deshalb nicht in Kraft getreten, weil die Militärregierungen ihre Zustimmungen nicht gegeben haben. Dieses Heimarbeitsschutzgesetz hat aber unmittelbar mit dem Gesetz zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen nichts zu tun.
Es hat in erster Linie die Aufgabe, die in der Heimarbeit tätigen Ärmsten der Armen zu schützen, Bestimmungen zu schaffen, daß die allgemeinen und besonderen Arbeitsschutzbestimmungen der Gewerbeordnung usw. auch für die Heimarbeit in Betracht kommen. Das ist maßgebend sowohl für die Kinderarbeit wie für die Arbeitszeit, wie für die Frage der Feiertags- und Sonntagsarbeit und derartiges mehr. Hier handelt es sich in erster Linie darum, daß für an sich wirtschaftlich schwache und gewerkschaftlich schwer zu betreuende Arbeitnehmergruppen oder ihnen gleichzusetzende Personengruppen Möglichkeiten geschaffen werden, nach denen ihre Arbeitsbedingungen und ihr Arbeitsentgelt so gestaltet sind, daß sie ein menschenwürdiges Dasein führen können.
Daß wir für den Tarifvertrag sind, brauche ich nicht besonders zu betonen; denn in § 1 Absatz 1 unseres Antrages wird dieser Grundsatz ausdrücklich klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Herr Kollege Dr. Wellhausen kann auch mit seiner Kritik an § 1 Absatz 2 beruhigt sein. Denn wenn es so sein sollte, daß eine Gewerkschaft oder ein Arbeitgeberverband oder ein Arbeitgeber einfach nicht wollte und deshalb ein Tarifvertrag zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht zustande kommen würde, ist es meiner Ansicht nach irrig anzunehmen, daß dann schon Mindestarbeitsbedingungen durch dieses Gesetz entstehen können. Denn nach § 2 Absatz 2 bedarf es ja erst der Zustimmung des Hauptausschusses, ob Mindestarbeitsbedingungen für die betreffende Gruppe von Arbeitnehmern oder sonstige Personen in Betracht kommen oder nicht. Wenn der Hauptausschuß, der ja paritätisch aus Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen — an dessen Spitze ein vom Bundesarbeitsminister bestellter Unparteiischer steht — zusammengesetzt ist, nicht zustimmt, also keine Mehrheit sich dafür findet, kann ein Erlaß von Mindestarbeitsbedingungen überhaupt nicht erfolgen. Meiner Auffassung nach würde es der Hauptausschuß sicherlich ablehnen, wenn auf der einen oder auf der anderen Seite bewußtes Verhindern einer tarifvertraglichen Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen vorliegen würde. Wir können auch das Tarifvertragsgesetz für diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht anwenden, weil die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung einer tarifvertraglichen Regelung nicht gegeben sind, das heißt die Anwendung eines Tarifvertrages auch auf die Außenseiter nicht möglich ist.
1 Wir müssen uns weiter darüber klar sein, daß es sich hier um die Schaffung von Mindestrecht handelt. Aber ich teile nicht die Befürchtung meines verehrten Kollegen Sabel, daß nur dieses Mindestrecht in der Praxis angewandt wird, das heißt, daß bessere Lohn- und sonstige Arbeitsbedingungen nicht möglich wären. Es kann so sein, aber es muß und es braucht nicht so zu sein. Wir wollen in erster Linie damit doch erreichen, daß dieses Mindestrecht ein soziales Recht ist, das als Mindestrecht angesehen und angesprochen werden muß und für all die Menschen. die zu diesen Arbeitnehmergruppen gehören, ein soziales Existenzminimum garantiert.
Aus diesen Erwägungen haben sich auch die Gewerkschaften positiv zu diesem Gesetz geäußert, und der Gewerkschaftsrat hat bereits unter dem 4. Juni 1949 geschrieben — Herr Präsident, ich darf den Absatz vorlesen —:
Der Gewerkschaftsrat hält es für dringend geboten, daß der Wirtschaftsrat vor der Beendigung seiner Tätigkeit noch ein Gesetz über die Regelung von Mindestarbeitsbedingungen beschließt.
Die Gewerkschaften stehen auch heute noch auf diesem Standpunkt.
Auch die Arbeitsminister der Länder haben in ihrer Sitzung vom 4. September 1949 den Beschluß gefaßt, in ihrer Aufstellung der Sofortgesetze nicht nur das Heimarbeitsschutzgesetz, sondern unter Nr. 11 auch ein Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen anzuführen. Sie sehen, nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitsminister aller Länder, die seit 1945 die Sozialpolitik zu betreuen haben, sind dieser Auffassung.
Aber auch das Internationale Arbeitsamt in Genf hat bereits in seiner 11. Tagung vom 30. Mai bis zum 16. Juni 1928 den Entwurf eines Übereinkommens Nr. 26 über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen geschaffen. Dort heißt es in Artikel 1:
Jedes Mitglied der internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Verfahren einzurichten oder beizubehalten, die es gestatten, Mindestlöhne für die Arbeitnehmer in gewissen Gewerben oder Teilen von Gewerben festzusetzen, in denen keine wirksamen Einrichtungen für Festlegung der Löhne, sei es durch Gesamtarbeitsvertrag
-- das heißt Tarifvertrag —
oder auf anderem Wege,. bestehen und in denen die Löhne außergewöhnlich niedrig sind. Ich glaube, Sie sind mit mit der Meinung, daß wir alles daranzusetzen haben, um in dieser internationalen fortschrittlichen Organisation, wie sie das Internationale Arbeitsamt unbestreitbar ist, wieder Mitglied zu werden und wieder aktiv mitarbeiten zu können. Daraus ergibt sich aber auch die Verpflichtung, daß wir ein Übereinkommen, das in einer Zeit abgeschlossen wurde, als wir Mitglied waren, im Jahre 1928, wahrscheinlich mit den Stimmen unserer dortigen Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Regierung, jetzt auch realisieren.
Ich bitte Sie deshalb, nicht nur den Antrag mit all dem Wenn und Aber, das — verzeihen Sie mir -- meine verehrten Herren Vorredner der verschiedenen Parteien hatten, dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, sondern sich positiv hinter diese soziale Maßnahme zu stellen, die der Hebung des Niveaus der Ärmsten der Armen unter den Arbeitnehmern dient.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 525 dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. — Widerspruch erhebt sich nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über eine vorübergehende Erweiterung der
Geschäfte der Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken .
Es liegt eine schriftliche Begründung des Gesetzentwurfs vor. Ich glaube, daß die schriftliche Begründung als Einbringung gelten kann. --Widerspruch erhebt sich nicht. Die Drucksache ist an den Ausschuß für Geld und Kredit zu verweisen. — Es scheint allgemeine Übereinstimmung zu herrschen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 5 und 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag der Fraktion der BP betreffend Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung und
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung .
Es handelt sich um dieselbe Materie. Deswegen rechtfertigt sich der Vorschlag, beide Punkte in einer Beratung zu erledigen.
Der Ältestenrat hat Ihnen bezüglich der Redezeit folgenden Vorschlag zu machen. Die beiden Berichterstatter zu Punkt 5 sollen je 5 Minuten sprechen, die Fraktion, die den Antrag unter Punkt 6 der Tagesordnung einbringt, soll 10 Minuten Redezeit haben. Die Redezeit im ganzen unter Einbeziehung des Schlußwortes soll 60 Minuten betragen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? -- Das ist nicht der Fall. Diese Beschränkung der Redezeit ist also beschlossen.
Ich bitte Herrn Abgeordneten Gengler, als Berichterstatter das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in seiner 14. Sitzung am 3. November 1949 beschlossen, dem § 103 der Geschäftsordnung folgende Absätze 2 und 3 anzufügen:
Auf Antrag von mindestens 70 anwesenden Mitgliedern kann die geheime Abstimmung beschlossen werden. Sie findet in der Weise statt, daß die Mitglieder auf weißen und unbeschriebenen Karten die Fragestellung des Präsidenten beantworten. Diese Karten werden von den Schriftführern in Urnen gesammelt. Im übrigen gilt für diese Abstimmung § 105 der Geschäftsordnung entsprechend.
Auf die Abstimmung über Gesetzesvorlagen findet diese Bestimmung keine Anwendung.
Äußerer Anlaß zur Aufnahme dieser Ergänzung des § 103 der Geschäftsordnung waren die aus Anlaß der Erörterung über den Bundessitz
aus dem Hause gestellten Anträge auf geheime Abstimmung. Es handelte sich um einen Sonderfall. Solchen etwa auftretenden Sonderfällen Rechnung zu tragen, ist der Sinn der Zulassung einer geheimen Abstimmung. Ich habe als Berichterstatter darauf hinzuweisen, daß Absatz 3 eine sehr wesentliche Beschränkung der Zulassung der geheimen Abstimmung enthält, indem bei einer Abstimmung über Gesetzesvorlagen diese Bestimmung keine Anwendung findet. In dieser starken Einschränkung liegt auch die Anwendung als Sonder- und Ausnahmefall.
Unsere Geschäftsordnung kennt die geheime Abstimmung sonst noch bei Personenwahlen. Diese ist nicht bestritten.
Gegenüber einer geheimen Abstimmung nach § 103 Absatz 2 und 3 der Geschäftsordnung wurde im Ausschuß eingewendet, daß der Abgeordnete für seine Haltung durch öffentliche Abstimmung einzustehen habe. Demgegenüber wurde im Ausschuß darauf hingewiesen, daß die Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber einem Druck von Interessenten, gegenüber einem Druck der Straße oder auch nur bei einem Fraktionszwang die Zulassung einer geheimen Abstimmung als Ausnahmefall erforderlich machen könne. In verschiedenen parlamentarischen Geschäftsordnungen, darunter in der des Nationalrats der Schweiz, eines anerkannt demokratischen Staates und Parlaments, ist die geheime Abstimmung enthalten, zum Teil weitgehender als bei uns.
Außerdem wurde im Ausschuß erklärt, daß, nachdem diese Bestimmung erst im November 1949 beschlossen worden sei, man fetzt nicht schon wieder ohne direkt zwingenden Grund eine Änderung der Geschäftsordnung vornehmen solle.
Man meinte, eine gewisse Beständigkeit sei hier am Platze.
Zudem hat der Geschäftsordnungsausschuß -- was besonders festgestellt wurde -- die Aufgabe, eine neue Geschäftsordnung auszuarbeiten. Gerade im Hinblick auf diese Arbeit des Geschäftsordnungsausschusses war die Mehrheit des Ausschusses der Meinung, man solle die Beschlußfassung über den Antrag auf Aufhebung der Absätze 2 und 3 des § 103 bis zur Beratung der endgültigen Geschäftsordnung zurückstellen.
Zu dem Antrag der Bayernpartei ist nach den Ausschußberatungen noch ein gleichlautender Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 476 hinzugekommen. Hätte er vorgelegen, dann wäre er natürlich sachlich in den Ausschußantrag einzugliedern gewesen.
Namens des Geschäftsordnungsausschusses beantrage ich die Zustimmung zu dem Antrag Drucksache Nr. 495: die Beschlußfassung über den Antrag der Fraktion der Bayernpartei — Nr. 184 der Drucksachen — bis zur Beratung der endgültigen Geschäftsordnung zurückzustellen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort, wiederum als Berichterstatter, hat der Herr Abgeordnete Sassnick.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen. Im
Gegensatz zu der hier und im Ausschuß vertretenen Ansicht des Herrn Kollegen Gengler zu der Drucksache Nr. 184 steht die Meinung einer Minderheit des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität, der ich hier Ausdruck zu verleihen habe.
Die Absätze 2 und 3 des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung, die eine geheime Abstimmung zulassen, wurden seinerzeit bei der Beschlußfassung über den vorläufigen Sitz der Bundesorgane aus zweckbestimmten Gründen von einer Mehrheit dieses Hohen Hauses durchgesetzt. Man kann daher von einer „lex specialis Bonnensis", von einem Spezialgesetz zugunsten Bonns sprechen.
Die immerhin beachtliche Minderheit des Ausschusses schloß sich einer im Ausschuß vertretenen Auffassung an, daß geheime Abstimmungen überhaupt zu vermeiden sind. Das Parlament darf sich bei seinen Beschlußfassungen nicht hinter einen undurchsichtigen Vorhang begeben.
Der einzelne Abgeordnete soll sich nicht hinter der Wand der Anonymität verstecken.
Alle Wählerinnen und Wähler haben das absolute Recht, jederzeit über die Stellungnahme und Haltung jedes einzelnen Abgeordneten orientiert zu sein. Das ist aber nur möglich, wenn jede geheime Abstimmungsform ausgeschaltet wird. Wie soll das Vertrauen zum Parlament auch anders geweckt und gefestigt werden als durch vollste Offenheit und Klarlegung der Haltung des einzelnen Abgeordneten wie der Gesamtbeschlußfassung!
Die Ausschußminderheit lehnte daher den Antrag des Herrn Kollegen Gengler ab, die Beratung über die Drucksache Nr. 184 bis zu einer späteren Behandlung der endgültigen Geschäftsordnung zurückzustellen, und tritt für die sofortige Annahme des Antrages auf Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung ein. Diese Haltung empfiehlt sie auch dem Hohen Hause.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur Begründung der Drucksache Nr. 476 hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!. Als am 3. November 1949 die Fraktion der CDU in diesem Hohen Hause den Antrag stellte, um den es sich hier handelt und der der Geschäftsordnung einverleibt worden ist, waren wir wirklich der Auffassung, es handele sich um eine lex specialis. Aber schon in der Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses, in der der Antrag der Bayernpartei auf Aufhebung dieser beiden Absätze des § 103 zur Diskussion stand, und heute zu meinem Erstaunen wiederum durch den Herrn Berichterstatter, den Herrn Kollegen Gengler, wurde eine prinzipiell andere Haltung eingenommen. Der Herr Kollege Gengler gab zu, daß es sich hier um einen Sonderfall handele, also sagen wir: um den Fall Bonn—Frankfurt, der, wie ich gehört habe, den lang verstorbenen Frankfurter Lokaldichter Stolze am Abend dieser Abstimmung veranlaßt haben
soll, sich im Grabe herumzudrehen und zu erklären:
Des will mir net in den Kopp hinei; Des kann ka Demokratie mehr sei.
Aber daß nun die Fraktion der CDU entgegen anderen Informationen offensichtlich doch gewillt ist, an dem ergänzten § 103 festzuhalten, macht uns stutzig. Bei allem Verständnis für die damalige Situation glauben wir doch. daß aus prinzipiellen Gründen unter keinen Umständen eine derartige Bestimmung in der Geschäftsordnung des Bundestages erhalten bleiben sollte; denn praktisch wäre damit die Möglichkeit gegeben, alle sachlichen Abstimmungen durch eine Mehrheit des Hauses der öffentlichen Abstimmung zu entziehen und eine geheime Abstimmung zu voll-. ziehen.
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion sind der Auffassung, daß kein Beispiel eines demokratischen Staates. auch wenn es so sein sollte, wie der Herr Kollege Gengler von der Schweiz berichtete — was sich meiner Kenntnis im Augenblick entzieht —, dazu verleiten darf, eine Abstimmung in wichtigen Sachangelegenheiten der öffentlichen Kontrolle zu entziehen.
Ich glaube sagen zu dürfen, daß das Recht des Volkes unter anderem auch darin besteht, zu wissen, wie die Abgeordneten des Bundestages zu dieser und jener Frage Stellung nehmen,
und die Stellungnahme vollzieht sich nicht nur in Reden und Zwischenrufen, sondern entscheidend in der Abstimmung.
Aus diesen Gründen sind wir der Meinung: diese Bestimmung m u ß fallen!
Wir haben unseren Antrag erst dann gestellt, als sich im Geschäftsordnungsausschuß eine Mehrheit fand, die für eine Vertagung der Entscheidung bis zur Neuregelung der Geschäftsordnung überhaupt eintrat und dementsprechend beschloß.
Meine Damen und Herren, die Auffassung, die ich Ihnen vortrage, ist weithin im deutschen Volk vertreten. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr von Brentano, hatte ja Gelegenheit, in den Auseinandersetzungen mit der Deutschen Wählergesellschaft entsprechende Informationen einzuholen. Ich glaube, es wäre nützlich, wenn sich die Parteien, die am 3. November diesem Antrag zum Erfolg verholfen haben, heute darauf besinnen würden, daß man dieses Spiel nicht fortsetzen sollte. Es ist die Aufgabe jedes Abgeordneten jeder Fraktion, die Verantwortung, die der einzelne in sich trägt, die er spürt, auch so zum Ausdruck zu bringen, daß daraus keine Geheimpolitik bei den Abstimmungen gemacht wird. Das Volk hat ein Recht darauf, zu wissen, wie der von ihm gewählte Abgeordnete in ganz bestimmten Sachfragen urteilt, wie er stimmt; denn der Abgeordnete, der sich in die Anonymität hüllt, kann nachher leicht sagen: ich war dafür oder dagegen. Kein Mensch kann ihm das beweisen. Der Wähler aber hat ein Recht darauf, zu wissen, was der Abgeordnete in Tat und Wahrheit getan hat.
Eine Abstimmung enthält schließlich vor allem auch das Element des Willens, sich der öffentlichen Kritik auszusetzen. Ich glaube, es ist ein Wesensfaktor von entscheidender Bedeutung, daß der Abgeordnete sich mit der öffentlichen Kritik und vor allem mit seinen Wählern und seinem Wahlkreis auseinandersetzt und sich. dort für das verantwortet, was er getan oder was er unterlassen hat. Ich gebe zu, es bedarf dazu des Mutes, es bedarf dazu des Verantwortungsbewußt-seins. Ich unterstelle, daß wir alle diesen Mut und dieses Verantwortungsbewußtsein haben. Wir wollen, wenn wir unserer Pflicht genügen, nicht den Kopf in den Sand stecken, wir wollen keine Vogel-Strauß-Politik machen, wir wollen zu dem stehen, was wir übernommen haben zu tun, und wir wollen das Rechte tun.
Aus diesem Grunde ist es klug, wenn auch die Mehrheit dieses Hauses, die Regierungsmehrheit, von dem damaligen Notausgang keinen Gebrauch mehr macht und es auch gar nicht darauf ankommen läßt, daß eventuell in eine Prüfung der Frage eingetreten wird, ob bei weiter Interpretation nicht unter Umständen sogar eine Verletzung des Artikel .42 des Grundgesetzes mit dem Beschluß vom 3. November vorliegt. Ich hebe darauf heute nicht ab, sondern ich erkläre nur namens meiner Fraktion: nachdem eine Mehrheit. die sich aus den Regierungsparteien zusammensetzte, im Geschäftsordnungsausschuß bei Behandlung des Antrags der Bayernpartei für die Aufrechterhaltung einer Geschäftsordnungsbestimmung für den Sonderfall Bonn—Frankfurt für längere Zeit gestimmt hat, erst dann haben wir es für notwendig, und zwar zwingend notwendig erachtet, einen eigenen Antrag einzubringen. Ich bitte Sie, nicht auf den Ausweg zu verfallen, nun diesen Antrag etwa auch noch dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu überweisen, sondern durch eine _klare und offene Abstimmung hier und heute zu bekennen, ob Sie gewillt sind, den Notausgang zu verschließen, den Sie aus Anlaß der Entscheidung Bonn—Frankfurt gewählt haben, und ob Sie gewillt sind, zu einer ordentlichen Behandlung und dementsprechend offenen Abstimmung in Sachfragen zurückzukehren, oder ob Sie wirklich wünschen, daß die Entscheidung bis zu der noch Wochen - wir wissen nicht, wieviel Wochen dauernden Neuregelung der Geschäftsordnung zurückgestellt wird, von der wir dann erst recht nicht wissen, ob nicht wieder eine Mehrheit des Hohen Hauses bereit ist, diesen Paragraphen zu verewigen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Meine Damen und Herren! Dem Bundestag ist es bisher nicht gelungen, draußen im Land ein günstiges Echo zu finden. Nun ist es für jedes Parlament heutzutage schwer, etwa gar populär zu sein. Aber man braucht nicht so weit zu gehen, um alle Ressentiments gegen ein Parlament draußen im Volk zu wecken, und das ist nirgends so gelungen wie durch die Annahme dieses Antrages auf geheime Abstimmung ad hoc, zu dem Zwecke der Wahl einer Hauptstadt. Man sagt immer, man will die Jugend zur Demokratie erziehen. Gerade die Jugend will Offenheit, Entschlossenheit, Verantwortungsbewußtsein, und dies alles ist durch den Beschluß dieses Hauses schwer verletzt worden.
Ich möchte nicht die Argumente, die bei der letzten Debatte schon vorgebracht und auch heute wieder angeklungen sind, nochmals wiederholen; das würde nur das, was man dem Parlament immer vorwirft, bestätigen, daß nämlich zuviel geredet wird. Das meiste ist schon gesagt worden. Hier geht es nicht darum, jetzt noch zu reden, sondern abzustimmen und sich zu entscheiden. Ich habe schon bei der ersten Debatte dafür plädiert, daß man die Sache nicht an den Ausschuß verweist, sondern gleich entscheidet, weil es sich doch um eine politische Entscheidung handelt. Das hat sich heute bestätigt; denn es ist ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum zustande gekommen, über das wir nun doch politisch entscheiden müssen, und das bitte ich, heute zu tun, um die damalige falsche Stellungnahme zu korrigieren und offen, und zwar heute gleich, für die Abschaffung dieser geheimen Abstimmung einzutreten. Dazu beantrage ich namentliche Abstimmung und bitte um die Unterstützung von 50 Mitgliedern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren, vorweg zu dem Antrag auf namentliche Abstimmung: ich glaube, das ist eine Übertreibung. Denn es sind vermutlich nicht sehr viele Mitglieder dieses Hauses, die geneigt sind, mit der Emphase für die Aufrechterhaltung der geheimen Abstimmung einzutreten, wie sie aufgewandt worden ist, um die Beseitigung dieser Einrichtung zu begründen.
In Wirklichkeit sind die Gegensätze gering. Im Grunde genommen sind wir uns völlig einig, daß wir von dieser Einrichtung keinen Gebrauch machen. Ob man diese Bestimmung aufhebt, oder ob man von ihr einfach keinen Gebrauch macht,
indem man keine Mehrheit in diesem Hause für eine geheime Abstimmung findet, kommt auf dasselbe hinaus.
Nun, meine Damen und Herren, da Sie sich so freuen, will ich noch ein wenig Ihr Gedächtnis unterstützen. Der Herr Kollege Ritzel hat nämlich immer vom 3. November gesprochen und so getan, als sei die Einrichtung der geheimen Abstimmung damals im deutschen Parlament erstmalig erfunden worden.
In Wirklichkeit ist die Sache ganz anders: erstmalig ist die Sache erfunden worden bei der Abstimmung über den Bundessitz im Parlamentarischen Rat, und damals war es die SPD, die den Antrag gestellt hat,
die Abstimmung über den Bundessitz in der Form einer geheimen Abstimmung zu machen.
Dann, meine Damen und Herren, darf ich zum zweiten daran erinnern: als es hier darum ging, zu beschließen, daß ein Ausschuß in diesem Hause sich nochmal mit der Bundessitzfrage beschäftigen solle -- also bei der Abstimmung über die Überweisung an den Ausschuß —, wurde sogar eine geheime Abstimmung beantragt, und auch wieder von seiten der SPD!
Also, meine Damen und Herren, warum sind Sie so schrecklich bescheiden, nun, sagen wir einmal, das Recht der Priorität auf dem Gebiete der Erfindung geheimer Abstimmungen so weit von sich zu weisen?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine verehrten Damen und Herren! Über Bonn und über die seinerzeitige Bestimmung des Sitzes des Bundestages und .der Bundesregierung ist das Notwendige jetzt gesagt worden; ich will mich damit nicht mehr aufhalten. Ich möchte aber heute feststellen, daß mir seinerzeit — ich darf doch offen mit dem Hause reden — die geheime Abstimmung etwas gegen den Strich gegangen ist. Eine geheime Abstimmung sollte sich beschränken auf Abstimmungen über die Wahl von Personen,
so wie das in der Geschäftsordnung. vorgesehen ist. Das Hausgesetz hier, die Geschäftsordnung muß so unabhängig und so objektiv gestaltet werden, daß' sie in ihrem Aufbau, unabhängig von der Zusammensetzung irgendwelcher Regierungskoalitionen, wirklich den Bedürfnissen der Demokratie und der Gestaltung, dem Ansehen und der Würde dieses Hauses entspricht. Das ist meine Meinung.
Herr Abgeordneter Dr. Seelos, bitte keine Dialoge!
Ich fahre viel draußen herum und habe nirgends gefunden, daß diese Frage der Abschaffung der Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung bei der Wählerschaft eine so weltbewegende Frage wäre.
Wenn ich nicht selbst darauf hingewiesen hätte, kein Mensch hätte sich darum gekümmert!
Die Sache mit Bonn ist inzwischen erledigt. Aber warum, meine Damen und Herren, sollen wir nicht jetzt die reinen Grundsätze einer vernünftigen geschäftsordnungsmäßigen Handhabung gestalten? Ich bin dafür, daß wir uns da gar nicht weiter aufregen, besonders da eine große Mehrheit dieses Hauses diese geheime Abstimmung wieder abschaffen will.
Dazu brauchen wir auch keine namentliche Abstimmung. Meines Erachtens kann das hier mit einer. solchen Mehrheit geschehen, daß dieser Schmerz unseres Parlamentarismus wieder beseitigt ist und die Gemüter sich wieder beruhigen dürfen, nachdem jeder offen seine Meinung zum Ausdruck bringen darf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion ist mit dem Antrag des Ausschusses einverstanden, die Sache bis zur Regelung durch die endgültige Geschäftsordnung zurückzustellen. Das scheint mir richtig zu sein.
Ich möchte aber doch auf einige Argumente aufmerksam machen, die nach meiner Meinung dabei eine Würdigung verdienen. Es wurde soeben gesagt, daß diese Bestimmung über die geheime Abstimmung der Schmerz unseres Parlamentarismus sei. Das vermag ich wirklich nicht einzusehen, nachdem die Bestimmung nur einmal angewendet worden ist. Aber daß sie vorhanden ist, kann unter Umständen doch von Bedeutung sein. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe sie nicht, so eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten für die Partei- und Fraktionsbürokratie, auf die Abgeordneten einzuwirken. Und gerade daß es bei einigen Fraktionen - nebenbei bemerkt, und das sage ich ausdrücklich : nicht in unserer Fraktion --- das Institut des Fraktionszwanges gibt, ist nach meiner Meinung ein notwendiges Korrelat dazu, daß es auch die Möglichkeit der geheimen Abstimmung gibt.
Natürlich hat das Volk ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Abgeordneten gestimmt haben. Es ist aber die Frage, ob der Wunsch und der Wille, das, was hier geschieht, auch öffentlich zu vertreten und zu verantworten, der Richtigkeit vorgeht oder ob die Richtigkeit und die Gewissensmäßigkeit der Öffentlichkeit vorgehen. Da bin ich persönlich allerdings der Ansicht, daß die Richtigkeit der Öffentlichkeit vorgeht. Denn es läßt sich nicht leugnen: die Gefahr ist einigermaßen erheblich, daß mit der Öffentlichkeit ein Mißbrauch getrieben wird in Fällen, in denen Interessentenkreise besonderer Art hinter einer bestimmten Frage stehen. Das Wort von dem Druck 'der Straße ist nach meiner Meinung zu abgegriffen, als daß ich es hier gebrauchen möchte, aber der Druck von Interessentenkreisen ist schlechterdings gar nicht wegzuleugnen. Dieser Druck besteht, und die Möglichkeit, einem solchen Druck durch die geheime Abstimmung auszuweichen, trägt nur einer allgemein menschlichen Erfahrung Rechnung, daß nicht alle Menschen Engel sind, sondern daß sie unter Umständen einem solchen Druck aus propagandistischen oder aus anderen Gründen einmal nachgeben. Eventuell genügt schon die Möglichkeit, daß diese Bestimmung da ist, um sie möglichst wenig zur Anwendung zu bringen.
Aus allen diesen Gründen möchte ich doch der Auffassung widersprechen, daß diese Bestimmung ein Scheusal sei, das man in die Wolfsschlucht werfen müsse. Diese Frage soll man in aller Ruhe, und nicht aus dem Zusammenhang herausgerissen, mit den anderen Fragen der Geschäftsordnung zur Beratung und Abstimmung stellen.
Ich halte überhaupt die Gelegenheitsgesetzgebung
in puncto Geschäftsordnung nicht für wünschenswert. Man soll, da wir uns zur Zeit noch im Stadium der Entwicklung der Geschäftsordnung befinden, diese Entwicklung auch in Ruhe abwarten. Der Fall der geheimen Abstimmung ist seit Bonn nicht wieder akut geworden. Wir haben also kein besonderes Bedürfnis, und wir haben bisher auch keine besonderen Erfahrungen gemacht, die es rechtfertigen. in die normalen Beratungen des Geschäftsordnungsausschusses eingreifend und vorweggreifend eine besondere Regelung zu beschließen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.
Als der Abgeordnete, auf dessen Antrag hin die Vorschrift über die namentliche Abstimmung in die Geschäftsordnung aufgenommen wurde, gebe ich meiner besonderen Genugtuung darüber Ausdruck, daß es möglich zu sein scheint, die geheime Abstimmung in diesem Hause wieder verschwinden zu lassen. Weiterhin gebe ich die Auffassung meiner Freunde bekannt, die dahin geht, daß es besser ist, sie schon heute zum Verschwinden zu bringen, als erst dann, wenn die neue Geschäftsordnung für das Haus fertiggestellt wird; denn wir sind uns darüber im klaren, daß diese neue Geschäftsordnung erst noch, ausreifen muß. Bis zu diesem Zeitpunkt, der möglicherweise noch Monate auf sich warten läßt, ist es doch immerhin wichtig, daß dieses Parlament vor aller Öffentlichkeit bekundet, sich von der Anonymität der Abstimmung völlig freimachen zu wollen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort zu dem von Herrn Kollegen Reismann vorgebrachten Gegenargument sagen. Es hat einen Anschein von Richtigkeit für sich, wenn gesagt wird, die Möglichkeit geheimer Abstimmung müsse solange bestehen, als es noch einen Fraktionszwang gebe. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei anonymer Abstimmung ist überhaupt nicht festzustellen, inwieweit Fraktionszwang angewandt bzw. erfolgreich geltend gemacht wurde. Gerade die Öffentlichkeit der Abstimmung gibt den breiten Bevölkerungsschichten erst die Möglichkeit, zu erkennen, inwieweit Fraktionen ständig geschlossen stimmen. Gerade über die offentlichkeit der Abstimmung wird der Bevölkerung erst die Möglichkeit gegeben; sich ihr Urteil über die Fraktionen zu bilden, die immer oder wenigstens bei allen wichtigeren Fragen Fraktionszwang anwenden. Deswegen glaube ich, daß gerade Ihr Argument, Herr Kollege Reismann, Ihr Absehen auf den Fraktionszwang, wohlverstanden, zu der Entscheidung führen muß, die Anonymität der Abstimmung gänzlich zu beseitigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Ich will die Argumente für und wider die Beibehaltung oder Abschaffung der Möglichkeit einer geheimen Abstimmung nicht wiederholen. Es läßt sich sehr viel für die Beibehaltung einer geheimen Abstimmung sagen, und die Stellungnahme der Mehrheit des Ausschusses, die dahin ging, die Dinge in aller Ruhe zu überdenken und dann in einer endgültigen Geschäftsordnung niederzulegen, hat eine ganze Menge für sich. Auf der anderen Seite sind aber viele meiner politischen Freunde der Auffassung, daß die anderen Interessen, die für die Öffentlichkeit jeder Abstimmung sprechen, eben doch so stark sind, daß man heute schon eine Abstimmung über diesen Punkt herbeiführen sollte.
Ich kann also für meine Fraktion nicht etwa erklären, daß sie unbedingt auf der Beibehaltung
der geheimen Abstimmung besteht. Es wird bei uns jeder so stimmen, wie er es für richtig hält. Ein ganzer Teil meiner Freunde ist für die Aufhebung der geheimen Abstimmung, ein anderer Teil für die Beibehaltung. Das ist das gute Recht jedes Abgeordneten.
Das ist die Klarstellung, die ich noch geben wollte.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Seelos hat soeben mitgeteilt, daß er den Antrag auf namentliche Abstimmung zurückziehe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritze].
Meine Damen und Herren! Ich freue mich über die Tatsache, daß der Abgeordnete Dr. Horlacher eine Bresche in die bisher etwas versteifte Front geschlagen hat, möchte mich aber ganz kurz äußern zu den Feststellungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer in bezug auf die Sünden, die angeblich oder tatsächlich
die sozialdemokratische Fraktion des Parlamentarischen Rates vor Jahr und Tag begangen haben soll. Jedenfalls waren Sie dieser Sünden teilhaftig, Herr Kollege Dr. Schäfer, und nachdem sich nun in diesem Hohen Hause offensichtlich eine Wandlung zu vollziehen beginnt, glaube ich, darf man für den Beschluß — —
— Na ja, ich nehme niemanden aus! — Ich möchte nur feststellen, wenn von den Beschlüssen des Parlamentarischen Rats bis zu dem heute zu fassenden Beschluß eine Wandlung zu vollziehen l ist, dann gilt für alle die, die sich dieser Wandlung anschließen, der schöne Satz:
Die vom Irrtum zur Wahrheit reisen, Das sind die Weisen.
Die im Irrtum beharren,
Das sind die Narren!
Ich nehme an, Herr Abgeordneter Ritzel, daß Sie damit Vorgänge aus der Vergangenheit meinen
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Am weitesten geht der Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 495, auf Grund dessen die Beschlußfassung über den Antrag zurückgestellt werden soll. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Das letztere ist ohne Zweifel die Mehrheit. Danach ist über die Anträge Drucksache Nr. 184 und Drucksache Nr. 476 abzustimmen, die beide der Substanz nach gleich sind: die Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Offenbar ist die Mehrheit für Streichung. Es ist so beschlossen. Die Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung sind damit gestrichen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität auf Änderung des § 104 der vorläufigen
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages .
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Ritzel.
Ich mache noch bekannt, daß seitens der Fraktion der FDP ein Änderungsantrag eingekommen ist, wonach in dem Antrag des Ausschusses in Absatz. 1 Satz 3 die Worte „oder auf Antrag von mindestens 30 Abgeordneten" gestrichen werden sollen.
Man hat sich im Ältestenrat geeinigt, das Ganze in 20 Minuten Redezeit abzutun. Ich bitte, darauf Rücksicht zu nehmen.
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Berichterstattung über diesen Tagesordnungspunkt kurz fassen. Ich halte mich hauptsächlich an das Ausschußprotokoll vom 3. Februar 1950. Der Ausschuß hatte in seiner 7. Sitzung vom 14. Dezember 1949 durch die Änderung des § 104 der vorläufigen Geschäftsordnung die Einführung des sogenannten Hammelsprungs beschlossen. Das Wort Hammelsprung ist nicht schön, aber wir haben bis jetzt noch kein besseres gefunden. Der mündliche Bericht hierüber wurde nicht an das Plenum geleitet, da der Präsident des Bundestags in einer Besprechung mit dem Vorsitzenden des Ausschusses am 12. Januar 1950 bekanntgegeben hatte, daß die Absicht bestehe, eine technische Abstimmungsanlage in den Sitzungssaal einbauen zu lassen, wodurch sich der Hammelsprung erübrigen würde. Auf Grund des Beschlusses über die Einführung des Hammelsprungs und der Erfahrungen in der Plenarsitzung vom 2. Februar 1950 beauftragte jedoch der Ausschuß den Vorsitzenden, darauf hinzuwirken, daß der Antrag auf Änderung des § 104 zur satzungsgemäßen Einführung des bereits geübten Hammelsprungs schon jetzt vom Plenum verabschiedet werde.
Wir alle haben ja selbst die mehrfache Anwendung dieses Hammelsprungs erlebt. Die Formulierung des § 104, wie ihn der Geschäftsordnungsausschuß Ihnen vorschlägt, finden Sie in der Drucksache Nr. 528 in Ihrer. Mappe. Ich höre eben, daß zu diesem Vorschlag ein Ergänzungsantrag eingereicht worden sei. „Auf Anordnung des Sitzungsvorstandes oder auf Antrag von mindestens 30 Abgeordneten erfolgt die Zählung in folgender Weise" soll geändert werden, indem lediglich stehenbleiben soll „Auf Anordnung des Sitzungsvorstandes". Also die Antragstellung von 30 Abgeordneten soll fallen. Zu diesem Abänderungsantrag hat der Geschäftsordnungsausschuß noch nicht Stellung genommen; ich kann daher darüber auch nicht berichten.
Im ganzen möchte ich sagen, daß die statutenmäßige Einführung des Hammelsprungs besonders im Hinblick darauf, daß es vermutlich noch weite Wege haben wird, bis eine technische Abstimmung in diesem Hause durchgeführt sein wird, die auch erhebliche Kosten verursachen würde, eine Notwendigkeit bedeutet. Heute ist die Anwendung des Hammelsprungs in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Es ist nur ein Akt der Ordnung, wenn wir den § 104 entsprechend in die Geschäftsordnung einbauen. Ich will nur darauf hinweisen, daß bei der praktischen Übung, die wir hinter uns gebracht haben, eine Änderung gegenüber dem vorgeschlagen ist, was analog den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Deutschen Reichstags in dem hier zur Diskussion und Abstimmung stehenden § 104 enthalten ist. Es heißt hier, daß die Abstimmung sich vollzieht, indem
die Mitglieder entweder durch die Ja -Tür — rechts gedacht vom Präsidenten aus, also hier —, durch die Nein-Tür — links, also dort — oder, wenn sie sich der Stimme enthalten wollen, durch die dem Vorstandstisch gegenüberliegende Tür in den Saal eintreten und von den Schriftführern laut gezählt werden. Die Enthaltemich -Tür wäre also in der Mitte. Bis jetzt hat sich die Sache so abgespielt, daß die eine Tür und die Mitteltür benutzt wurden und diese hier als EnthaltemichTür. Ich glaube, aus der Erfahrung des Deutschen Reichstags in Erinnerung zu haben, daß man nicht ohne Grund die Ja-Tür und die Nei n-Tür ziemlich weit auseinandergelegt hat, und ich glaube, daß es nützlich wäre, diese Übung in dem Hohen Hause durch eine entsprechende Fixierung in der Geschäftsordnung beizubehalten. Abgesehen also von dem Abänderungsantrag der FDP, über den ich nicht berichten kann, schlage ich Ihnen vor, den § 104 in der vorliegenden Fassung gemäß dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses anzunehmen und nicht abzuwarten, bis eine technische Einrichtung die Abstimmung in einer anderen Weise regelt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. – Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.
Meine Damen und Herren! Ich habe bei diesem Hammelsprung als Schriftführer regelmäßig das Amt eines Zählers. Ich möchte aus der Praxis vorschlagen, eine Bestimmung darüber einzufügen, daß während der Abstimmung durch den Hammelsprung kein Abgeordneter, der bereits in den Saal hereingekommen ist, ihn wieder
verlassen darf.
Dies wird notwendig sein, denn sonst besteht theoretisch die Möglichkeit, daß einer hinausgeht und zum zweiten Male wieder hereinkommt. Ich bitte daher den Herrn Präsidenten, diese Sache zur Diskussion zu stellen.
Haben Sie den Antrag schriftlich eingereicht?
— Das müssen Sie. Es ist sonst gegen die Geschäftsordnung.
Ich habe den Antrag nicht schriftlich; er hat sich eben aus der Diskussion ergeben. Ich werde ihn sofort schriftlich stellen und dem Herrn Präsidenten einreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löbe.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es bedarf gar keines Antrages. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß während der Dauer einer Auszählung kein Abgeordneter diesen Saal verlassen darf. Denn welche Unsicherheiten kämen sonst in die Auszählung; selbst reine Vergeßlichkeit kann bei lang hingezogenen und wiederholten Abstimmungen das Resultat verändern. Ich glaube, es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz: alle Abgeordneten verlassen den Saal, und wenn die Abstimmung begonnen hat, muß jeder drinnen bleiben, bis sie beendet ist. Das sollte ohne Antrag als Anschauung des Präsidiums und des Bundestags gelten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Oellers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat sich mit dem von uns gestellten Abänderungsantrag praktisch nur zum Sprecher der Auffassung gemacht, die alle Fraktionen im Ältestenrat vertreten haben. Wir sind der Ansicht, daß man den Hammelsprung nur auf Anordnung des Sitzungsvorstandes durchführen lassen sollte, nicht aber auch auf Wunsch von 30 Abgeordneten, was ja gegebenenfalls zu sehr unangenehmen Konsequenzen führen könnte. Ich glaube, einen Hammelsprung auf Antrag aus dem Hause vorzusehen, wird nicht notwendig sein.
Herr Abgeordneter Miessner, ich glaube, Sie können auf Ihren Antrag wirklich verzichten. Genau sowenig wie wir eine Bestimmung in der Geschäftsordnung haben, daß niemand zweimal abstimmen darf, genau sowenig brauchen wir diese Bestimmung; sie versteht sich doch von selbst.
Keine Wortmeldungen? — Wir treten in die Abstimmung ein. Ich lasse zunächst über den Antrag des Abgeordneten Dr. Schäfer und Fraktion abstimmen, in dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 528 die Worte „oder auf Antrag von mindestens 30 Abgeordneten" zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Die große Mehrheit ist für Streichung.
Ich lasse weiter über den Abänderungsantrag des Abgeordneten Dr. Miessner abstimmen:
Während der Abstimmung dieser Art darf
kein Abgeordneter den Saal verlassen.
Das wäre wohl einzufügen hinter „von den Schriftführern laut gezählt".
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Es ist wirklich nur der Antragsteller dafür gewesen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den Antrag auf Drucksache Nr. 528 in der geänderten Fassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens über den Antrag der Abgeordneten Dr. von Brentano und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten .
Ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort erteile, möchte ich bekanntgeben, daß der Ältestenrat der Meinung war, man solle sich darauf einigen, diesen Punkt in 15 Minuten zu erledigen.
Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Da im Ausschuß bei der Verabschiedung des Antrags vollkommene Einmütigkeit bestand, hoffe ich, daß dieser Antrag bzw. dieser Münd-
liche Bericht in diesem Hohen Hause, wenn möglich ohne eine Debatte, ebenfalls einmütig verabschiedet werden kann.
Es gab in Deutschland nach der Schaffung des Gesetzes von 1927 eine Zeit, in der es den Universitätsprofessoren schwer fiel, ihren Studenten gewisse Spielarten der Geschlechtskrankheiten vorzuführen. Der fürsorgerische und aufklärende Gedanke, der im Gesetz von 1927 verankert war, hatte seine Bewährungsprobe durchaus bestanden. Während des Krieges schon und nach dem Kriege waren wir alle über die ungeheuerlich ansteigende Kurve der Geschlechtskrankheiten erschrocken. Neben dieser ansteigenden Kurve haben wir auch eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen auf diesem Gebiete erlebt, die das Gesetz von 1927 durchlöchert haben. Kriegsrecht und Besatzungsrecht haben sich miteinander gemischt; wir haben eine wilde Zeit hinter uns gebracht. Ihnen allen sind noch die widerwärtigen Augenblicke bekannt, als wahre Menschenjagden stattgefunden haben, als die Arbeiterfrau mit grauen Haaren, die mehreren Kindern das Leben geschenkt hat, als die Frau Generalsuperintendentin zusammen mit den leichten Mädchen auf einem Lastwagen verladen wurden. Von all diesen wilden Zuständen wollen wir einmal wieder los. Wir wollen zu friedlichen Verhältnissen kommen, und wir wollen durch dieses Gesetz, das wir Ihnen vorschlagen und das die Regierung vorlegen und dessen Grundlage das Gesetz von 1927 bilden soll, erreichen, daß wir hier wieder die Gründlichkeit einer fürsorgerischen, einer vorbeugenden Betätigung ermöglichen, wobei vor allen Dingen der Polizeicharakter von diesem Gesetz weit ferngehalten werden soll. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, der Regierung den Auftrag zu erteilen, ein Gesetz vorzulegen, das auf der Grundlage des Gesetzes des Jahres 1927 basiert. Wir wollen die zwanzigjährige Erfahrung dabei mitberücksichtigen, und wenn die Regierung diesen Entwurf vorlegt und das Plenum dem Ausschuß den Auftrag gibt, diesen Gesetzentwurf zu beraten, so werden wit uns dieser Aufgabe gern und mit Gründlichkeit unterziehen, weil wir glauben, damit einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung bzw. Wiedergewinnung der Volksgesundheit auf diesem Gebiet zu leisten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 529 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe! — Er ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Befreiung von Rundfunkgebühren für Erwerbslose .
Hier hat der Ältestenrat den Vorschlag zu machen, den Punkt in 10 Minuten zu erledigen.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Lange als Berichterstatter das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 205 der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Befreiung von Rundfunkgebühren für Erwerbslose ist von diesem Hohen Hause den Ausschüssen für Post- und Fernmeldewesen, dem Ausschuß für Sozialpolitik und dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und .des Films unter Federführung des erstgenannten Ausschusses überwiesen worden.
Da die Militärregierungen in den verschiedenen Besatzungszonen die Funkhoheit privaten Rundfunkgesellschaften übertragen haben und somit die Post und damit das Bundespostministerium unmittelbar keinen Einfluß auf die Befreiung von Rundfunkgebühren nehmen kann --dadurch: daß es von sich aus entscheidet ist der Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen zu der Auffassung gekommen, daß die Regierung ersucht werden soll, mit den Rundfunkgesellschaften Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, den Prozentsatz des von der Gebührenzahlung befreiten Personenkreises zu erhöhen und einheitlich für das gesamte Bundesgebiet festzulegen. Die Befreiung von der Gebührenzahlung soll auf Antrag nach Prüfung der Bedürftigkeit erfolgen.
Es erscheint mir wesentlich, hier noch darauf hinzuweisen, daß der Kreis der von der Zahlung der Rundfunkgebühren Befreiten in der französischen Besatzungszone 3 Prozent der Rundfunkteilnehmer, in der britischen und amerikanischen Zone 5 Prozent ausmacht. Der Ausschuß hält es für wichtig, daß der Prozentsatz des von der Gebührenzahlung befreiten Personenkreises für das gesamte Bundesgebiet einheitlich festgelegt wird.
Ich will nicht verfehlen, die uns mitgeteilten Beschlüsse der Ausschüsse für Sozialpolitik einerseits und für Fragen der Presse, des Films und Rundfunks andererseits bekanntzumachen.
Der Ausschuß für Sozialpolitik bejaht eine Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Rundfunkgebühren für einen bestimmten Personenkreis und hat folgenden Beschluß gefaßt:
Der Ausschuß empfiehlt der Bundesregierung, bei den zuständigen Stellen darauf hinzuwirken, daß hilfsbedürftige Rundfunkhörer, deren Einkommen nicht über die Fürsorgesätze geht, von den Rundfunkgebühren befreit werden.
Der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films hat beschlossen, sich einmal der Stellungnahme des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen anzuschließen, darüber hinaus aber zur Erwägung zu geben, ob es nicht zweckmäßig wäre, erstens die Rundfunkgesellschaften zu ersuchen, die bisherigen Kontingente von der Gebührenzahlung befreiter Personen zu erhöhen. Damit deckt sich. die Auffassung dieses Ausschusses mit der desjenigen, für den ich referiere. Vielleicht ist auf diese Weise auch eine Erhöhung der Einkommensgrenze für die Bedürftigkeit in dieser Hinsicht möglich. Der Ausschuß regt zweitens an, zur Erleichterung des technischen Verfahrens den Arbeitslosen bei der Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung einen Gutschein auszuhändigen, den sie an Stelle der Rundfunkgebühr beim nächsten Inkasso abgeben.
Meine Damen und Herren! Wir haben in unserm Antrag bewußt darauf verzichtet, nur von Erwerbslosen zu sprechen, weil wir der Ansicht sind, daß neben den Erwerbslosen noch eine ganze Reihe bedürftiger Kreise vorhanden ist, die vor allem bei den sozial Bedrängten, den Versicherungsempfängern, Rentenempfängern usw. zu suchen sind. Deshalb bitten wir dieses Hohe Haus, sich dem Antrage des Ausschusses mit der Maß-
gabe anzuschließen, .daß die Bundesregierung mit den Rundfunkgesellschaften entsprechende Verhandlungen aufnimmt, um den Prozentsatz des von der Gebührenzahlung befreiten Personenkreises zu erhöhen und, wie vorhin schon erwähnt, für das gesamte Bundesgebiet einheitlich festzusetzen. Ich bitte also, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 509 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betreffend landwirtschaftliches Pachtwesen .
Für diesen Punkt sollen maximal 20 Minuten
verwendet werden.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Frey als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 230 ist vom Plenum dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen worden. Nach eingehender Aussprache ist der Ausschuß zu der Auflassung gekommen, daß das heute bestehende Pachtrecht einer Revision, und zwar einer durchgreifenden Revision bedarf. Durch Gesetze, Notverordnungen, Sperrmaßnahmen usw., die in der Zeit des Dritten Reiches vorgenommen sind, darüber hinaus aber noch durch die verschiedenen Maßnahmen und Verordnungen der Militärregierungen nach 1945 ist in dem gesamten Pachtrecht und im Pachtwesen ein Wirrwarr entstanden, der selbst geübten und guten Juristen ein Durchfinden sehr erschwert. Vor allem aber ist durch die aufgezeigten Mängel jedes Gefühl für Treu und Glauben in das Pachtrecht verlorengegangen, und es besteht die bemerkenswerte Tatsache, daß heute die Pachtschutzbestimmungen sich geradezu ins Gegenteil umgekehrt haben, indem eben für die Verpächter kein Grund und Wille mehr besteht, ihr Eigentum zu verpachten, während eben die Pächter durch diese ganzen Unsicherheiten auch in jeder Weise gefährdet sind. Das ist der Grund, weshalb auf dem gesamten Pachtwesen geradezu eine Erstarrung eingetreten ist. Das kann gerade für die volkswirtschaftlich wichtigen Dinge des Pachtrechtes nicht hingenommen werden. Unter Würdigung all dieser Gesichtspunkte ist der Ausschuß zu dem einstimmigen Beschluß gekommen, die Drucksache Nr. 230 an das Hohe Haus zurückzuverweisen mit der Empfehlung, die Regierung aufzufordern, beschleunigt eine Gesetzesvorlage zur Neuregelung des landwirtschaftlichen Pachtwesens einzubringen.
Die Drucksache hat ebenso dem Ausschuß für Bau- und Bodenrecht, für den ich die Ehre habe, hier ebenso zu berichten, vorgelegen. Dieser Ausschuß hat sich auch einstimmig dem Beschluß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angeschlossen. Von einer Festlegung von einzelnen Richtlinien, wie sie der Antrag Nr. 230 vorsieht und vorschlägt, ist abgesehen worden, so daß also heute dem Hohen Hause in Abänderung
dieser Drucksache Nr. 230 folgender Beschluß zur Annahme empfohlen wird, der also, wie gesagt, von den beiden Ausschüssen einstimmig beschlossen worden ist, wie er in der Drucksache Nr. 535 vorliegt. Er heißt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, beschleunigt eine Gesetzesvorlage zur Regelung des landwirtschaftlichen Pachtwesens einzubringen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 535 betreffend landwirtschaftliches Pachtwesen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist also so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Antrag der Fraktion der BP betreffend Stromlieferung .
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Etzel. — Da der Herr Berichterstatter zur Zeit nicht anwesend ist, stelle ich die Angelegenheit zurück.
Ich rufe nunmehr Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrages der Fraktion der KPD betreffend Gefallenenliste ehemaliger deutscher Wehrmachtsangehöriger .
Das Wort zur Begründung hat als Antragsteller der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Meiner Fraktion kam es, als wir diesen Antrag überlegten, darauf an, Klarheit zu schaffen über die tatsächlichen Verluste an Menschenleben, die dem deutschen Volke durch diesen verbrecherischen Hitlerkrieg an der Front entstanden sind. Über diese Zahl gibt es keine Klarheit, ebensowenig wie es Klarheit darüber gibt, wieviel Personen als ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht sich zur Zeit noch in Kriegsgefangenschaft befinden.
Lassen Sie mich zur letzten Frage auf etwas hinweisen. Das einzige wirklich amtliche Material über die Zahl der Kriegsgefangenen ist eine Mitteilung des Bundesministers für Arbeit, die am 1. Dezember 1949 dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses des Bundestages für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen, dem Herrn Abgeordneten Leddin, zugegangen ist, aus der zu ersehen ist, daß die Länderregierungen am 1. September 1949 die Zahl der noch zu erwartenden Heimkehrer auf 244 500 geschätzt haben. Für die Zwischenzeit liegen Zahlen vor, die beweisen, daß allein aus der Sowjetunion eine weitaus größere Anzahl von Kriegsgefangenen bereits zurückgekommen ist, als das in den 244 500 zum Ausdruck kommt.
Nun gibt es aber eine Möglichkeit, ungefähre Gewißheit über die tatsächlichen Kriegsverluste zu bekommen. Während des Krieges bestand in Berlin-Schöneberg in der Hohenstaufenstraße eine sogenannte Wehrmachtsauskunftsstelle für Kriegsgefallene und Kriegsverluste. Zu Beginn des Krieges gingen bei dieser Stelle sämtliche Ver-
lustmeldungen der Wehrmacht ein. Sie wurden statistisch erfaßt, täglich zu Verlustlisten zusammengestellt und in siebenfacher Ausfertigung an die übergeordneten Dienststellen weitergegeben. Über diese Vorgänge, über die Arbeitsmethoden bei dieser Dienststelle, über das Schicksal, das das dort aufgespeicherte Material erfahren hat, gibt es heute, wenn man nur will, nachprüfbare Zeugenaussagen von deutschen Personen, die ehedem in dieser Dienststelle beschäftigt waren. Man braucht nur den Willen aufzubringen, diesem Beweismaterial nachzugehen. Nun, das Herz dieser Auskunftsstelle bildete die Kartei, die einen ungeheuren Umfang hatte und um die es heute in unserem Antrag geht.
Zu Beginn des Krieges erreichten die Verlustmeldungen diese Dienststelle regelmäßig. Ein Wandel trat erst nach der Schlacht von Stalingrad ein, als die Zeit der „erfolgreichen" Absetzbewegungen, der Frontbegradigungen, als die Periode der sogenannten Ausweichoffensiven begann. Damals steigerten sich die Verluste ins Unermeßliche, vor allen Dingen auch die Ausfälle infolge Entkräftung. Von den Soldaten, die damals von ihren Truppenteilen zurückgelassen werden mußten, ist ein außerordentlich hoher Prozentsatz nicht mehr lebend in Gefangenschaft geraten.
Am 20. August 1943 wurde dann infolge der sich steigernden Zahl der amerikanischen Bombenangriffe auf Berlin die Dienststelle nach Thüringen verlegt, und zwar nach Meiningen und Saalfeld. Noch während des Umzuges wurde die Hohenstaufenstraße in Berlin bombardiert. Dabei sind erstmalig wertvolle Listen und andere aufschlußreiche Materialien verbrannt.
In Saalfeld wurde die ordnungsmäßige Kontrolle der Verluste durch das sich ständig vergrößernde Chaos an den Fronten außerordentlich erschwert. Bis Mitte des Jahres 1945 wurden ungefähr 21/2 Millionen Tote und 5 Millionen Verwundete gezählt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Verlustmeldungen nur noch sehr unvollständig nach Saalfeld gelangten. Ganze Fronttruppenteile waren vollständig aufgerieben worden; ganze Einheiten verschwanden spurlos, und die Verlustlisten der Truppen, soweit sie überhaupt weitergeleitet worden waren, fielen teilweise auf dem Weg nach Saalfeld durch Bombenangriffe oder durch andere Umstände der Vernichtung anheim. Besonders schwer waren die Verluste bei der Marine, vor allem in dem sogenannten Übersetzverkehr, festzustellen: bei den Übersetzarbeiten von der Krim nach Odessa, von Afrika nach Italien, von Leningrad nach Stettin. Niemand ist in der Lage, die Namen, ja nicht einmal die Truppenteile der auf diesen versenkten Schiffen oder Fähren ums Leben gekommenen deutschen Soldaten anzugeben. Etwas anderes tritt hinzu: Auf höheren Befehl wurde schon frühzeitig angewiesen, daß bei besonderen Anlässen die Benachrichtigung der Angehörigen Gefallener gestoppt werden müsse. Solche Anlässe waren Massenverluste, wie beispielsweise die enormen Verluste bei Stalingrad, bei Orel im August 1943, bei der Winteroffensive im Westen im Dezember 1944, der sogenannten Ardennenoffensive. Je mehr die Alliierten auf 'deutschen Boden eindrangen, desto mehr stoppten die Zugänge von Verlustmeldungen, und wurde auch die Benachrichtigung der Angehörigen erschwert.
Vor der Besetzung Saalfelds in der Nacht vom 1 ersten auf den zweiten Osterfeiertag 1945 haben einige Offiziere und Beamte nachweisbar befehlsgemäß bei der Saalfelder Dienststelle lagernde wichtige Akten und statistisches Material und Listen verbrannt. Am 20. April 1945 wurde das deutsche Personal durch die Amerikaner aus der Dienststelle ausgewiesen. Als am 1. Juli 1945 sich die Amerikaner aus Thüringen und damit auch aus Saalfeld zurückzogen, nahmen sie mit einem Teil der Angestellten auch die gesamte Kartei mit sämtlichen Unterlagen mit sich und transportierten alles zunächst einmal nach Kassel. Im April 1945 lagen bei der Auskunftsstelle noch rund eine Million offizieller Totmeldungen von deutschen Wehrmachtsangehörigen vor, für die den Angehörigen noch keine. Benachrichtigung zugeschickt worden war. Die Amerikaner sind heute noch im Besitz dieser Kartei der ehemaligen Wehrmachtsverluste von Kriegsgefallenen. Als Beweismaterial dafür zitiere ich eine Meldung aus den letzten Tagen:
Die französische Militärregierung in Berlin
hat die unter ihrer Kontrolle stehende Auskunftsstelle der ehemaligen Deutschen Wehrmacht, Berlin-Halensee, Kurfürstendamm 96,
angewiesen, alle in der französischen Fremdenlegion gefallenen ehemaligen deutschen
Kriegsgefangenen als Tote der ehemaligen
Wehrmacht zu registrieren. Die Angehörigen
der ehemaligen deutschen Soldaten werden
vom Office des Intérêts Français et des
Affaires Consulaires, Berlin -Frohnau, EdithCawell-Straße 40/41, lediglich vom Ableben
der Gefallenen benachrichtigt. Eine genaue
Todesursache und Todesdatum werden nicht
angegeben. Wie kann man, wenn diese Totenlisten, diese Kartei, wie behauptet wird, den deutschen Stellen übergeben worden ist, vor etwa drei Wochen noch eine derartige Dienstanweisung herausgeben? In dieser Kartei, von der wir reden, sind Unterlagen über den Verbleib von mindestens einer Million deutscher Soldaten enthalten. Die Amerikaner halten diese Kartei aus Gründen, die offensichtlich sind, zurück.
Die amerikanischen Militaristen wollen uns Deutsche glauben machen, in der Sowjetunion seien heute noch Hunderttausende von Kriegsgefangenen verschwunden.
Richtig! Es gibt in diesem Hause, es gibt bei den Parteien in Westdeutschland auch Kräfte genug, die dieses Spiel mitmachen:
Der Zweck ist offensichtlich. In uns Deutschen soll der Haß und die Empörung gegen Sowjetrußland erzeugt werden mit dem Ziel, noch einmal die deutsche Jugend willig zu machen, gegen die Sowjetunion im Interesse des amerikanischen Monopolkapitals zu marschieren.
Hitler hat während des Krieges dieselbe Politik betrieben. Er hat die Gefallenenziffern verheimlicht, um die Aufrechterhaltung der Kriegsbereitschaft und damit die Verlängerung des Krieges gegen die Sowjetunion psychologisch zu untermauern. Die Zurückhaltung der Kriegsgefallenenlisten und Ihre Bejahung dieser Zurückhaltung dient heute demselben Zweck.
Die Schaffung der nötigen Bereitschaft soll bewirken, auf den von den USA und den Imperialisten gewünschten Weltkrieg einzugehen. Das deutsche Volk soll nicht erfahren, was der letzte Weltkrieg an Blutopfern gekostet hat. Darum ist auch unsere Regierung interessiert, die Angehörigen der Gefallenen in Ungewißheit zu erhalten. Diese Taktik nämlich soll ihr helfen,
heute ihre Remilitarisierungspläne vorwärtszutreiben — —(Schluß-Rufe rechts. — Unruhe.)
— Sie bestreiten das Vorliegen der Remilitarisierungspläne?
— Dann lassen Sie sich einmal von Herrn Dr. Konrad Adenauer erklären, was seine Unterredungen mit den Generälen von gestern zum Ziele haben.
Wir verlangen von dieser Adenauer-Regierung nicht mehr und nicht weniger, als daß sie bei der Hohen Kommission vorstellig wird, um die Herausgabe dieser Kriegsgefallenenlisten zu erzwingen.
Wir sind der Meinung, daß mit der Veröffentlichung dieser Listen, die vorhanden sind, den Angehörigen dieser Gefallenen viel Leid und viel Schmerz . erspart werden könnte, indem man ihnen Gewißheit über das Ergehen ihrer Angehörigen gibt. Wir sind der Auffassung, daß die Erkämpfung der Freigabe dieser Listen im deutschen Interesse liegt und daß das deutsche Volk ein Anrecht darauf hat, daß die Listen freigegeben werden. Sollten Sie anderer Meinung sein, dann steht hinter dieser Ihrer anderen Meinung die Ursache, die ich hier klar zum Ausdruck gebracht habe:
Sie wollen diese Ungewißheit, weil Sie im Schatten dieser Ungewißheit Ihre Kriegspläne besser vorwärtstreiben können.
Wir kommen jetzt zur Aussprache. Der Ältestenrat hat für die Aussprache insgesamt eine Redezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme Ihre Zustimmung zu dieser Regelung an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehlers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat zu dieser Frage schon wiederholt Stellung genommen.
— Herr Renner, ich habe mir das Protokoll vom 27. Januar 1950 vorgenommen, in . welchem Sie ausführen, es sei nötig, daß diese Frage aus der Atmosphäre der Hetze herausgenommen und langsam einer sachlichen Behandlung zugeführt werde. Ich kann mir diese Ihre Meinung, die Sie am 27. Januar vertreten haben, nur zu eigen machen.
In dem Antrag der Kommunistischen Partei geht es vordergründig um das Material, das nach der Drucksache Nr. 480 von den amerikanischen
Truppen erbeutet worden ist. Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Innenminister, wenn er nicht durch eine Landtagssitzung in Düsseldorf abgehalten worden wäre, hierzu eine Erklärung abgegeben hätte.
Diese Erklärung, Herr Renner, würde nach meiner Kenntnis beinhaltet haben, daß nach den uns vorliegenden Unterlagen solche zunächst allerdings von den Amerikanern erbeuteten Unterlagen nach der Räumung Thüringens an die Sowjetunion, an die sowjetrussischen Truppen herausgegeben worden sind.
— Das ist allerdings neu, Herr Renner, und beleuchtet das, was Sie vorgetragen haben, eindeutig.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es mir
— und vielleicht nicht mir allein — auffällig gewesen ist, daß in dieser doch immerhin hochbedeutsamen Frage Herr Kollege Renner, der ja durchaus über die Möglichkeit der freien Rede verfügt, sich in einer erstaunlichen Weise an sein Manuskript gehalten hat.
— Woher das kommt, frage ich mich auch.
Ich glaube, 'daß hier Dinge zur Debatte stehen, die nach verschiedenen Seiten ein Gewicht haben. Ich weise einmal auf das hin, was ich über dieses Karteimaterial gesagt habe. Ich kann nur den Wunsch der KPD unterstreichen, daß wir möglichst bald in die Lage versetzt werden, von diesem Karteimaterial ausreichenden Gebrauch zu machen. Leider ist uns das bisher nicht möglich gewesen, aus Gründen, die uns allen bekannt sind.
Das zweite, was in der Drucksache Nr. 480 steht, ist der Wunsch nach einem Auftrag an die Bundesregierung, bei dem Hohen Kommissar der Regierung Frankreichs ' Unterlagen über die Zahl der ehemaligen deutschen .Kriegsgefangenen anzufordern, die in die Fremdenlegion übergeführt worden sind
und auf den Schlachtfeldern Indochinas Leben und
Gesundheit gelassen haben. Ich glaube, es besteht in diesem Hause Einmütigkeit darüber, daß
dieser Ausfluß deutscher Not und 'diese Nachwirkung der Kriegsereignisse, ,die, wie wir gestern
in der Zeitung gelesen haben, dazu führt, daß
sich täglich 50 heimatlose deutsche Jugendliche bei
der Fremdenlegion melden, ein Zustand ist, — --
— Das habe ich in der Zeitung gelesen, und ich bin der Meinung, Herr Renner, daß manchmal das, was in der Zeitung steht, zutreffend ist.
— Doch, die lesen auch Zeitung, Herr Renner.
— Diese Tatsache ist außerordentlich bedauerlich, und wir empfinden die Not, die darin liegt, schwer.
Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Bundesinnenminister, wenn er dazu Stellung genommen hätte, darauf hingewiesen hätte, daß die französische Regierung über die im Dienst der Fremdenlegion gefallenen Deutschen ausreichend und beschleunigt Auskunft gegeben hat und daß ein Antrag der Bundesregierung an die Hohen Kommissare in dieser Richtung nicht erforderlich ist.
Da ich somit der Auffassung bin, daß der Inhalt der Drucksache Nr. 480 sachlich erledigt ist, kann ich nur beantragen, über diese Drucksache zur Tagesordnung überzugehen.
Ich möchte aber noch etwas anderes hinzufügen. Ich habe davon gesprochen, daß diese Angelegenheit zwei Seiten hat. In dem gleichen Augenblick, in dem dieser Antrag gestellt wird und der Versuch gemacht wird, den Alliierten oder der deutschen Bundesregierung, die sich nicht hinreichend darum bemüht habe. die Schuld für die Ungewißheit über das Schicksal unzähliger deutscher Kriegsgefangener zuzumessen. werden wir darüber unterrichtet, daß sehr zahlreiche deutsche Kriegsgefangene, die sich heute noch in russischer Kriegsgefangenschaft befinden, in einer Weise behandelt werden, die allerdings unsere Aufmerksamkeit in stärkster Weise verlangt.
- Darüber, Herr Renner, habe ich mir vorliegende Berichte von Leuten. die merkwürdigerweise und glücklicherweise den Möglichkeiten dieser Verurteilung haben entgehen können.
— Darauf warte ich, Herr Renner. — Ich darf nur darauf hinweisen, daß mir neben anderen ausführlichen Berichten ein Bericht vorliegt, ,der eine große Zahl deutscher Soldaten betrifft. die von der Heeresgruppe Kurland in russische Gefangenschaft geraten sind. Ich entnehme diesem Bericht, daß von September —Oktober 1949 an in ständig steigendem Maße deutsche Soldaten und Offiziere, besonders solche, die sich in irgendwelchen maßgeblichen Positionen befunden haben, russischen Verfahren unterworfen worden sind: die durchaus mit dem korrespondieren, was wir im eigenen Land an Gewaltmaßnahmen und Rechtlosigkeit erfahren haben.
Man nimmt zur Kenntnis, daß steigend mit dem Herannahen des Termins der zugesagten endgültigen Entlassung deutscher Kriegsgefangener russische Kommissionen Vernehmungen in einem Lager mit einem Personal von 40 Mann. soweit es sichtbar wurde, durchgeführt haben. Diese Vernehmungen wurden zu irgendwelchen Anklagen verdichtet, dann wurden ganz summarisch etwa 30 deutsche Soldaten vor ein Tribunal geladen. formell zur Sache vernommen und wieder hinausgeschickt. Dann fand die nächste Einvernahme statt, und nachdem das geschehen war, wurde ohne weiteres .ein Urteil verkündet. das im Zweifel auf 25 Jahre Zwangsarbeit lautete.
— Herr Renner, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher „Romane" werden wir uns vielleicht noch einmal unterhalten.
— Im Augenblick liegen Berichte vor von Männern, die diese Dinge miterlebt und mitgemacht haben.
— Es ist die billigste Methode, alles das, was Ihnen nicht paßt, als Lüge abzutun.
Ich weise auf diese Dinge hin , mein Damen und Herren. Unserem Volke muß wirklich zur Kenntnis kommen, daß die Gefangenen dieser Lager in Zellen in Untersuchungshaft gebracht wurden. Ich habe die Beschreibung einer solchen Zelle, in der der Mann, der sie beschreibt, selbst gesessen hat. Es war ein Raum von 30 qm mit einem Fenster, und in diesem Raum waren 20 bis 30 Häftlinge untergebracht. Der Raum hatte einen Tisch und Sitzgelegenheiten für acht Personen und einen Eimer. Ich brauche nicht weiter auszumalen, wie es in diesem Raum ausgesehen hat.
Ich bringe einen Bericht aus einem ganz bestimmten Lager nach dem letzten Abtransport, aus einem Lager mit einer Nummer über 7000. Das läßt ja darauf schließen, daß es nicht wenige solcher Lager gibt. Nach dem letzten Heimtransport am 22. Dezember 1949 befanden sich dort noch 550 Soldaten, davon 450 in einer Sonderverwahrung, in Untersuchungshaft. 100 noch in der Gefangenschaft, wenn man das so nennen I darf, auf freiem Fuß. Diese Soldaten werden verurteilt auf Grund irgendwelcher Bestimmungen des russischen Strafgesetzbuches, das sie nicht kennen und gegen das sie sich praktisch nicht wehren können. Nach einem mir besonders zugegangenen Bericht ist in einem belegten Fall ein Regimentskommandeur deswegen verurteilt worden, weil er einer Division angehörte, die sich in einem bestimmten Gebiet befunden hat, von dem behauptet wird, daß dort Gewalttaten vorgekommen seien; dieses Gebiet hat die Größe von zwei Provinzen.
Angesichts dieser Tatsachen sind wir der Meinung, daß es sich in gar keinem Fall darum handelt, etwa tatsächlich vorgekommene Verbrechen oder Gewalttaten zu ahnden, sondern darum, eine ganz wesentliche, sicher in die Hunderttausend gehende Zahl von deutschen Kriegsgefangenen aus politischen Gründen unschädlich zu machen.
Das sind meines Erachtens die Fragen, die das deutsche Volk heute interessieren.
Das sind die Dinge, die wir vor dem Weltgewissen aussprechen müssen.
Wenn ich nicht wüßte, daß die Bundesregierung in Fühlung mit den Hohen Kommissaren steht, um den Versuch zu machen,
durch Einflußnahme auf die Regierungen, die die
Hohen Kommissare entsenden, eine Einwirkung
auf die Sowjetunion zu erreichen, damit sie die über die Behandlung von Kriegsgefangenen getroffenen alliierten Abmachungen innehält, wenn ich nicht ebenfalls wüßte, daß die Bundesregierung sich darum bemüht, die Mitgliedstaaten der Genfer Konvention, zu denen ja neuerdings auch. Rußland gehört, zu einem Eingreifen zu veranlassen, dann würde ich das zu einem besonderen Antrag erheben. Mir ist bekannt, daß die Bundesregierung diese Bemühungen aufgenommen hat. Wir müssen wünschen, daß diese Bemühungen zu einem Erfolge führen, damit nicht Zehntausende und Hunderttausende deutscher Männer, die einem solchen aller Gerechtigkeit hohnsprechenden Verfahren unterworfen und für ein Vierteljahrhundert größtenteils in Zwangsarbeit gebracht wurden, auf diese Weise fünf Jahre nach Kriegsende praktisch ermordet werden.
Bei dieser Beurteilung der Lage und unter diesen Gesichtspunkten beantrage ich, über den Antrag der Kommunistischen Partei zur Tagesordnung überzugehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen meines Herrn Vorredners haben über die tatsächliche, für alle Deutschen entsetzliche Lage unserer Landsleute, denen es bis heute noch nicht vergönnt ist, ihre Heimat wiederzusehen, die
R) nötige Klarheit gebracht. Meine Fraktion vertritt den Standpunkt der weit überwiegenden Mehrheit dieses Hohen Hauses und lehnt es ab, zu der schwersten, uns alle belastenden Schicksalsfrage unserer Nation an der Hand kommunistischer Zweckanträge Stellung zu nehmen.
Der Antrag, der uns heute vorliegt, hat allein die Tendenz, auf die amerikanische Militärregierung wegen angeblich hinterhältiger Methoden einen Verdacht zu werfen. Die Militärregierung kann sich selbst schützen. Wir aber haben die Aufgabe, zu erkennen, daß unser für die Kriegsgefangenen blutendes Herz nicht in eine politische Linie getrieben und dazu mißbraucht wird, um angesichts des beklagenswerten Loses unserer armen Brüder im Ausland eine Politik zu begünstigen, die nach dem Motto: „Haltet den Dieb!" von der wahrhaften Schuld, von den tatsächlichen Verbrechen uns absehen lassen möchte.
Die einzige Möglichkeit, solche Mißbrauchsanträge wie es dieser ist, zu behandeln, ist der von meinem Herrn Vorredner beantragte Übergang zur Tagesordnung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mende.
Meine Damen und Herren! Ich will hier nicht die Frage ventilieren, welche Legitimation ausgerechnet die kommunistische Fraktion hat, einen solchen Antrag einzureichen.
Ich will vielmehr auf die sachlichen Unrichtigkeiten dieses Antrages kurz eingehen.
— Sie haben drüben noch ganz andere. ich komme noch darauf. — Es heißt hier in Ziffer 1, daß
nicht erst während der letzten Kriegsereignisse, sondern schon seit 1941 die deutschen Verluste verheimlicht und zweitens schon seit jener Zeit die Angehörigen der Gefallenen zum großen Teil nicht mehr benachrichtigt
wurden. Es ist den Kommunisten anscheinend
nicht bekannt. in welcher Form das Gefallenenwesen gehandhabt wurde.
Seit Kriegsbeginn war es üblich, daß beim Tode eines Soldaten der Einheitsführer die Angehörigen direkt benachrichtigte, gleichzeitig aber auf dem Dienstwege an die Wehrmachtsauskunftsstelle die halbe Erkennungsmarke übersandt wurde und diese Dienststelle in Berlin nachher die Aufgabe hatte, die amtlichen Unterlagen zur Berichtigung des Personenstandsregisters zu liefern. Daraus geht eindeutig hervor, daß das OKW gar keine Möglichkeit hatte und auch absolut keinen Gebrauch davon gemacht hat, etwa die Einheitsführer unten zu beeinflussen, was praktisch auch gar nicht möglich gewesen wäre, da in jedem Verband die Umgebung des Gefallenen bei den Urlauben jederzeit Gelegenheit hatte, den Angehörigen die tatsächlichen Verhältnisse zu schildern.
Ich muß also feststellen, daß die Fassung, wie sie im Absatz 1 von den Kommunisten formuliert wurde, den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen kann und auch nicht entspricht.
Allerdings hat es nach dem Spätsommer des Jahres 1944 für einzelne Gebiete keine Möglichkeit mehr gegeben, die Angehörigen Gefallener zu benachrichtigen. Nach der Einnahme Aachens und nach der Besetzung des westdeutschen Raums galt das für den Westen, und nach dem Verlust ostdeutscher Gebiete galt das ebenso für den Osten. Es kann sich also lediglich um die Zeit handeln, da die Angehörigen nicht mehr benachrichtigt werden konnten.
Auch hier — das werden Sie nicht wissen, Herr Rische — haben sich in den Gefangenenlagern alle zusammengetan, die etwas von dem Schicksal eines gefallenen Kameraden wußten, und es sind viele auf diesem privaten Wege benachrichtigt worden, so daß die von Ihnen genannte Zahl absolut nicht den Tatsachen entsprechen kann, soweit sie die Zeit von 1944 bis zum 5. oder 9. Mai 1945 betrifft.
Aber noch etwas anderes muß ich erwähnen. Ich glaube, Sie machen sich keine Vorstellung, mit welcher Korrektheit die katholischen und evangelischen Feldgeistlichen, die Gräberoffiziere und Gräberunteroffiziere das Gefallenenwesen draußen im Felde gehandhabt haben, soweit es immer möglich war.
Ich muß diese Feststellung treffen, weil dieser
Antrag und die Formulierung der Absätze 1 und 2
den Eindruck erwecken könnten, als ob hier mit einer Verantwortungslosigkeit vorgegangen wurde, was ich zurückweisen muß.
Nun zu der Frage des Antrags selbst: Ich glaube, man könnte über das Problem, das mein Herr Vorredner erwähnte -- die Zwangsverurteilungen in der Sowjetunion —, eine ganze Plenarsitzung mit Stoff und namentlichen Angaben füllen. Es würde die erschütterndste Anklage sein, und es würde hier vielleicht eines der größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekannt werden, das sich in diesen Tagen in den Lagern des Ostens und Südostens vollzieht.
Aber wie gesagt, wenn die Registrierung im März durchgeführt ist es bedarf übrigens gar nicht des Wartens bis zum März, ich wäre jetzt schon in der Lage. die groteskesten Verurteilungen mit Ort, Zeit und Lagernummer bekanntzugeben.
— Sie können nachher mit mir darüber sprechen, ich werde Ihnen Einsicht in mein Material geben. Ich rate Ihnen, zu Herrn Pfarrer Mertens zu gehen, der Ihnen seitenweise Lagernummern und Namen geben kann.
Ich muß mit aller Entschiedenheit zurückweisen, was Herr Renner gesagt hat, in diesem Hause würde man eine Bejahung der Zurückhaltung der Listen beobachten können, und eine solche Bejahung würde kriegstreiberische Politik sein. Herr Renner, Sie sprachen von Leuten, die schon wieder Uniform anziehen wollen. Es gibt Leute, die haben sie längst wieder an. Ich kenne sie sogar, es sind Herr Bechler, Herr Markgraf, Herr Lattmann, Herr Vinzenz Müller! Ich glaube, wenn Sie da ein Wort an Ihre Kollegen drüben richteten, würden Sie den Kern der Sache besser treffen, als Sie uns eben erzählten.
Darf ich Ihnen zum Schluß noch eine Anregung mit auf den Weg geben. Ich glaube, Sie würden sich ein großes Verdienst erwerben können, wenn Sie von Ihrem großen roten Bruder die Herausgabe einer Liste der noch Lebenden in der Sowjetunion erwirken könnten.
Sie werden leider nicht in der Lage sein, dem deutschen Volke eine Liste der Toten mitzuteilen, und zwar deswegen, weil Totenlisten nicht geführt werden und bis 1948 die Sterblichkeitsziffern in den russischen Gefangenenlagern gar nicht registriert werden durften.
Sie werden auch deswegen dazu nicht in der Lage sein, weil, wie uns bekannt ist, ein großer Teil der mit viel Pietät gepflegten Gräber aller Gefallenen, auch Ihrer Freunde, auch der Kämpfer der Roten Armee, eingeebnet wurden und 2 Millionen Gräber in Rußland nie mehr festgestellt werden können.
-- Das zu beweisen ist sehr einfach.
— Lieber Herr Rische, mit Lautstärke können Sie diese für Sie peinliche Situation nicht verändern!
Ich wiederhole meine Anregung an Sie: erstens die Herausgabe einer Liste der noch in Sowjetrußland lebenden Deutschen zu erwirken, auf Grund Ihrer besonderen Beziehungen.
und zweitens durch eine Petition an die Sowjetregierung, die Sie vielleicht durch ehemalige Rußlandemigranten persönlich überreichen lassen
— vielleicht macht es sogar Herr Plievier oder ein anderer, vielleicht macht es Herr Markgraf —, zu erreichen, daß ein Teil der Zwangsverurteilten oder die zwangsverurteilten und zurückgehaltenen Arbeitersöhne nach Hause können!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pohle.
Meine Damen und Herren! Ausgerechnet hier irrt sich einmal mein Freund Renner, denn hier schließt sich der Reigen nicht.
Nach meiner Ansicht und nach der meiner Fraktion hätte der Verlauf der Debatte etwas anders gestaltet werden können. Wir halten es für unbedingt notwendig, daß der Herr Innenminister zu diesem Antrag Stellung nimmt. Dem Herrn Innenminister ist bekannt, wie das Material auch mit Hilfe deutscher Stellen ausgewertet worden ist. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß durch diesen kommunistischen Antrag irgendwo in der Welt oder in Deutschland die Meinung aufkommt: es wird uns doch etwas vorenthalten, man könnte uns die Namen unserer Toten sagen. Ich glaube, auch ein Vertreter des Herrn Ministers hätte heute zu diesem Antrag Stellung nehmen können.
Ich beantrage deshalb für die SPD-Fraktion: Der Bundestag möge beschließen:
Der Herr Bundesinnenminister wird ersucht, zu dem Antrag der KPD-Fraktion, Drucksache Nr. 480, dem Hause eine schriftliche Mitteilung über die Auswertung des in Saalfeld vorgefundenen Materials über gefallene deutsche Wehrmachtsangehörige zugehen zu lassen.
Meine Damen und Herren, jetzt aber noch ein anderes, und das nun von der rein menschlichen Seite zu meinem Kollegen Renner. Ich möchte Ihnen ganz ehrlich die Frage vorlegen, Herr Kollege Renner: Fühlen Sie sich denn in diesem Augenblick wohl, wenn Sie hier von diesem Pult zu dieser Frage Stellung nehmen?
Hier hat die Politik zu schweigen und an deren Stelle die Menschlichkeit zu treten!
Wir, die wir seit Jahren in der Heimkehrerbetreuung arbeiten, wir brauchen keine Beweise und keine Dokumente. Die Zurückgekehrten sind, uns Beweis genug.
Ich möchte Ihnen ein Weiteres sagen. Wir würden Ihren Antrag vollinhaltlich unterstützen, wenn wir wüßten: irgendwo ist noch eine amerikanische, eine französische oder eine englische Stelle, die Material darüber hat und sagen könnte, Weser und jener sei gefallen. Wir wissen um den Schmerz der Mütter. Einen Toten kann man beweinen, aber dauernd in dieser Hoffnung und in dieser Zerrissenheit zu leben, das ist das Furchtbare! Wenn Sie, Herr Renner, uns auf diesem Weg der Wiederherstellung der Menschlichkeit folgen wollen, dann mögen Sie, fordere ich Sie auf, Ihre Verbindungen dazu ausnutzen, der Sowjetunion zu empfehlen, nur eines zu tun: den Eltern und den Frauen und Kindern die Namen der Toten zu nennen, derjenigen, die in der Sowjetunion verstorben sind.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Ehlers.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß der Herr Innenminister nicht mehr hier ist, nicht, weil er nicht zu diesem Antrag Stellung nehmen wollte, sondern weil er durch eine dringende Landtagssitzung in Nordrhein-Westfalen verhindert ist. Ich halte es für unzweckmäßig, den Herrn Innenminister zu ersuchen, schriftlich Stellung zu nehmen, weil das den Eindruck erwecken könnte, als ob er sich einer solchen Stellungnahme habe entziehen wollen. Ich beantrage Unterbrechung der Aussprache und Vertagung auf morgen, um dem Herrn Innenminister Gelegenheit zu geben, zu diesem Antrage Stellung zu nehmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Der Herr Abgeordnete hat beantragt, die Aussprache über diesen Punkt der Tagesordnung abzubrechen und morgen fortzusetzen und selbstverständlich dann auch abzustimmen, damit dem Herrn Innenminister Gelegenheit geboten werden kann, Stellung zu nehmen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Das erstere war zweifellos die Mehrheit. — Nein, der Antrag scheint sogar einstimmig angenommen zu sein.
— Nein, die Aussprache geht damit jetzt nicht weiter, sondern sie wird unterbrochen und morgen fortgesetzt.
Ich rufe also nunmehr den eben zurückgestellten Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des
Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den
Antrag der Fraktion der BP betreffend Stromlieferung .
Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Etzel.
Meine Damen und Herren! Am 24. Oktober 1949 hat die Fraktion der Bayernpartei einen Antrag betreffend Stromlieferung an den Bundestag gestellt. Der Antrag hat gelautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt
1. den Zentrallastverteiler anzuweisen, daß er das Energie-Notgesetz in vollem Umfange durchführt und die einseitige Benachteiligung der Wirtschaft einzelner Länder, durch welche deren gleichmäßige und volle Entwicklung nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Eigenart gefährdet wird, unterläßt, vor allem auch die Bayern diskriminierende Kürzung der Zulieferung von 180 000 Kilowatt auf 130 000 Kilowatt sofort rückgängig macht,
2. bei den Besatzungsmächten Schritte zu unternehmen, um zu erwirken, daß die Stromlieferung Bayerns an Länder außerhalb des Bundes in Zeiten knapper Wasserführung gekürzt oder erforderlichenfalls ganz eingestellt wird.
Dieser Antrag ist seinerzeit dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Prüfung überwiesen worden. Ihm lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 9. November des vergangenen Jahres mußten die Strombezüge der süddeutschen Länder Bayern, Baden-Württemberg, Württemberg-Hohenzollern, Südbaden, Rheinland-Pfalz und Südhessen
zur Schonung der Wasservorräte in Vorarlberg und im Schwarzwald zurückgesetzt werden. Die zur Aufrechterhaltung des Verbundbetriebes unentbehrlichen großen Speicher waren im damaligen Zeitpunkt so weit entleert, und zwar bis auf 15 Prozent ihres Inhalts, daß in Kürze mit ihrem völligen Ausfall gerechnet werden mußte.
Die Situation ist in solchen Fällen folgende: Die gesetzliche Grundlage für Maßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums bei eintretenden Schwierigkeiten ist das Energie -Notgesetz vom 10. Juni 1949. Die betrieblichen Aufgaben der Stromversorgung und auch des Stromaustausches zwischen den Energiebezirken und den Ländern wickeln sich normalerweise auf privatwirtschaftlicher Grundlinie ab. Wenn Versorgungsschwierigkeiten eintreten, die als Kriegsfolgen heute immer noch bestehen und immer wieder eintreten können, dann ist hier mit Hilfe des Energie -Notgesetzes eine Möglichkeit zum Eingreifen gegeben; es sind dann entsprechende Maßnahmen nötig. Hierbei sollen nach den gesetzlichen Bestimmungen die Länder eine möglichst gleichmäßige Behandlung erfahren, das heißt, soweit das nach den technischen Anlagen und den physikalischen Voraussetzungen möglich ist. Die Erzeugungsmöglichkeiten für elektrische Energie sind nun einmal nach oben begrenzt durch die jeweilige Kraftwerkskapazität, die wiederum Schwankungen infolge von Störungen, Maschinenausfällen, wechselnder Wasserdarbietung usw. unterliegt.
Es ist gelungen, im vergangenen Jahr 1949 die Leistungsfähigkeit um 20 Prozent, das heißt um 1 Million Kilowatt zu erhöhen, und auf Grund dieser Erhöhung sind die Verbrauchsrichtwerte entsprechend verbessert worden. Dabei hat das Land Bayern einen Anteil bekommen, der bei einer wöchentlichen Kapazität von 530 Millionen Kilowatt für Bayern 93 Millionen Kilowatt betrug. Diese Stromaufteilung ist für den Fall auftretender Versorgungsschwierigkeiten festgesetzt worden, und zwar im Rahmen des Energie -Notgesetzes durch den Länderausschuß, einen Ausschuß, der vor der damaligen Schwierigkeit zum letzten Mal am 11. Oktober 1949 getagt hatte. Wir haben bei der Untersuchung im Ausschuß für Wirtschaftspolitik festgestellt, daß eine Benachteiligung des Landes Bayern im Zuge der damals notwendigen Restriktionen nicht eingetreten ist. Es ist aus Zufuhrgebieten, insbesondere aus den norddeutschen Gebieten, dauernd die Strommenge geliefert worden, die nach der vorhandenen Leitungskapazität geliefert werden konnte, und zwar sind die Leitungen monatelang Tag und Nacht in einem betrieblich kaum zu vertretenden Ausmaß überlastet worden,.
Kurz nach der Stellung dieses Antrages ist dann zusätzlich eine Leitung zwischen Frankfurt und Nürnberg in Betrieb genommen worden in einer Stärke und Leistung von 220 000 Volt. Die Zurücksetzung der bayerischen Wirtschaft von 180- auf 150 000 Kilowatt ist praktisch kaum in Erscheinung getreten, weil es damals durch besondere Verhandlungen gelungen ist, das Hamburger Elektrizitätswerk über die Ostzone einzuschalten und so die bayerische Wirtschaft in einem Maße zu versorgen, daß dieser Rückführungsbeschluß praktisch nicht durchgeführt zu werden brauchte.
Trotz dieser geschilderten Lage ist aber auch insgesamt Bayern nicht benachteiligt worden. Bayern hat in den ersten 11 Monaten des vergangenen Jahres 1949 einen Verbrauch von 4 138 Millionen Kilowattstunden gehabt gegenüber 3 449 Millionen Kilowattstunden im gleichen Zeitabschnitt des Jahres 1948. Es hat damit die Steigerung erfahren, die der mittleren Steigerung im Bundesgebiet entspricht. Diese Steigerung ist zugunsten von Bayern durchgeführt worden, obwohl Bayerns eigene Wasserstromerzeugung in der gleichen Zeit um 400 Millionen Kilowattstunden niedriger gewesen ist als im Jahr zuvor. Das Mittel liegt etwa bei 20. Schleswig -Holstein hat damals von der Steigerung zusätzlich bekommen 6,9 Prozent, Hamburg 9, Niedersachsen 10,9, Nordrhein-Westfalen 27,7, Bremen 19,1, Hessen 22,7, Württemberg-Baden 19, Bayern 20 und die Länder der französischen Zone 20,5 Prozent. Es ist ,also festzustellen, daß weder tatsächlich noch anordnungsmäßig irgendwelche diskriminierenden Maßnahmen gegenüber Bayern durchgeführt worden sind.
Was den zweiten Teil des Antrages der Bayernpartei anlangt, so sind schon seit längerer Zeit Verhandlungen über eine Zurücksetzung des Exports der Bundesrepublik geführt worden, die auch bereits zu günstigen Ergebnissen geführt haben. Ich will es mir angesichts der Tatsache, daß die praktischen Dinge sehr weit zurückliegen, ersparen, die Einzelheiten dem Hohen Hause vorzutragen und damit seine Zeit aufzuhalten. Ich darf nur darauf hinweisen, daß die so geschilderten Verhältnisse das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft schon am 5. Dezember 1949 veranlaßt haben, an die Verwaltung für Wirtschaft in Frankfurt am Main-Höchst folgendes Schreiben zu schicken:
:Stromversorgungslage in Bayern. Das Ministerium dankt für die ausführliche Darlegung der Stromversorgungslage und die Bereitschaft der VfW, alle technischen Möglichkeiten für eine verstärkte Aushilfe für Bayern wahrzunehmen. Es hofft, daß die Inbetriebnahme der 200-Kilowatt-Leitung die Möglichkeit zu einer weiteren Verbesserung der Verhältnisse bieten wird.
Angesichts dieser Sachlage hat der Ausschuß für Wirtschaftspolitik beschlossen, Ihnen vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
den Antrag der Fraktion der Bayernpartei Nr. 226 der Drucksachen für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Aussprache. Der Ältestenrat hat hierfür eine Gesamtzeit von 25 Minuten vorgesehen. Ich bitte, sich danach einzuteilen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Darstellung ist nur kurz folgendes zu sagen. Bayern ist ganz bestimmt als einziges Land im Dezember vorigen Jahres in der „glücklichen" Lage gewesen, abschalten zu müssen, während sämtliche anderen Länder das nicht gebraucht haben. So müßte man eigentlich nach der vorhergehenden Darstellung sagen; denn nach dieser ist doch Bayern überhaupt nicht benachteiligt worden. Tatsache ist aber, daß im Dezember in Bayern die Stromversorgungslage wieder die gleiche Entwicklung zu zeigen anfing wie im Jahre vorher und im vorvergangenen Jahr.
Eine zweite Darstellung dürfte auch nicht ganz richtig gewesen sein, nämlich die, daß die Leitungen voll ausgenützt Strom nach Bayern gebracht haben. Richtig, sie waren voll ausgenützt, sie wurden aber, bevor die volle Energie des Stromes nach Bayern kam, schon in Württemberg angezapft.
Das waren zwei der Gründe, warum wir im ersten Abschnitt unseres Antrags eine Aufhebung der einseitigen Strombenachteiligung in Bayern gefordert haben. Sie ist ja nun behoben, und damit ist der erste Punkt hinfällig geworden. Zum zweiten Punkt ist zu sagen, daß durch die Kürzung, die Bayern gerade infolge der Lieferungen nach Österreich erfahren hat — es mußten 30 000 Kilowatt laufend geliefert werden —, jedes Mal, wenn durch mangelnde Wasserführung Stromknappheit war, eine besondere Benachteiligung entstanden ist und infolgedessen die bayerische Stromversorgung am Zusammenbruch war. Nun ist aber auch dieses aufgehoben worden. Statt der 30 000 Kilowatt nach Österreich wird Kohle geliefert. Damit hat der Antrag seinen Zweck erreicht, und die Bayernpartei schließt sich dem Vorschlag des Ausschusses an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stücklen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schwierigkeiten, die bei der
Stromversorgung Bayerns im November und Dezember aufgetreten sind, sind heute längst überholt. Diese Schwierigkeiten waren durch den augenblicklichen Mehrstrombedarf in dieser Jahreszeit und durch den Weihnachtsbedarf gegeben. Wir wollen heute unseren württembergischen Freunden nicht mehr den Vorwurf machen, daß sie unsere Leitungen vor Erreichung der bayerischen Grenze abgezapft haben. Die Tatsache ist heute die, daß die Stromversorgung ausreicht. Die Tatsache ist weiter die, daß die Stromversorgung auch im Monat März unserer Voraussicht nach keine Unterbrechungen erfahren wird, da unsere Laufwasserversorgung sich weitestgehend gebessert hat. Ich möchte hier feststellen, daß unsere Dampfkraftstromerzeugung augenblicklich nur zu 60 Prozent ausgenutzt ist und daß wir keine Veranlassung haben, Bedenken zu haben, daß die Stromversorgung noch einmal zusammenbrechen könnte.
Ich möchte es nicht versäumen, den Dank an die Länder Norddeutschlands und an das Bundeswirtschaftsministerium zum Ausdruck zu bringen, die Bayern in der schwierigen Lage der Stromversorgung weitestgehend unterstützt haben. Ich glaube auch, daß durch die Tatkraft der bayerischen Staatsregierung, die weitestgehende Planungen und Projekte der Stromversorgung in Angriff genommen hat, Bayern im nächsten Jahr in der Lage sein wird, die Stromversorgung durch eigene Kraft aufrechtzuerhalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wönner.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meines Vorredners veranlassen mich, einige Worte zu dem Thema zu sagen. Es ist und bleibt nun einmal eine Tatsache, daß wir es in diesem Jahre dem Wettergott zu danken haben, daß wir nicht wieder so wie in den Vorjahren kritische Energieversorgungslagen in Bayern gehabt haben. Es ist auch nicht ganz so, daß alle Schwierigkeiten für den Augenblick schon beseitigt sind. Ich habe mich heute noch beim Landeslastenverteiler für Bayern über die Situation erkundigt und von ihm folgende Mitteilung erhalten: „Die derzeitige Stromversorgungslage in Bayern kann ohne größere Schwierigkeit aufrechterhalten werden, unter der Voraussetzung, daß der seit gestern eingetretene Frost nicht sehr lange dauert." Also immerhin eine Einschränkung, die daran geknüpft werden muß.
Darum dreht es sich aber im Augenblick nicht, sondern wir halten es für notwendig, die Regierung darauf hinzuweisen, daß für die künftigen Winter die Stromversorgungssituation Bayerns grundlegend geändert werden muß.
Zu den Ausführungen des Berichterstatters möchte ich gar nichts sagen, obwohl sie auch nicht in allen Einzelheiten unseren Vorstellungen entsprechen, weil die politischen Stromabschaltungen in Bayern den Beratungen des Ausschusses offenbar nicht ausreichend als Grundlage gedient haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist damit geschlossen. Wir stimmen über die Drucksache Nr. 547 — Antrag des Ausschusses — ab. Wer für den Ausschußantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Übersicht über die in der Zeit vom 12. bis 31. Januar 1950 vom Ausschuß für Petitionen erledigten Eingaben .
Der Ausschußantrag liegt Ihnen vor. Das Wort wird nicht gewünscht. — Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich stelle allseitiges Einverständnis fest. Ich bitte diejenigen, die für die Überweisung sind, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, stehen wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich bin noch gebeten worden, bekanntzugeben, daß die FDP-Fraktion um 20 Uhr und die CDU/CSU- Fraktion sofort Fraktionssitzungen haben. — Weitere Mitteilungen liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 2. März 1950, 13 Uhr 30 Minuten.
Damit ist die 43. Sitzung des Deutschen Bundestags geschlossen.