Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat zu dieser Frage schon wiederholt Stellung genommen.
— Herr Renner, ich habe mir das Protokoll vom 27. Januar 1950 vorgenommen, in . welchem Sie ausführen, es sei nötig, daß diese Frage aus der Atmosphäre der Hetze herausgenommen und langsam einer sachlichen Behandlung zugeführt werde. Ich kann mir diese Ihre Meinung, die Sie am 27. Januar vertreten haben, nur zu eigen machen.
In dem Antrag der Kommunistischen Partei geht es vordergründig um das Material, das nach der Drucksache Nr. 480 von den amerikanischen
Truppen erbeutet worden ist. Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Innenminister, wenn er nicht durch eine Landtagssitzung in Düsseldorf abgehalten worden wäre, hierzu eine Erklärung abgegeben hätte.
Diese Erklärung, Herr Renner, würde nach meiner Kenntnis beinhaltet haben, daß nach den uns vorliegenden Unterlagen solche zunächst allerdings von den Amerikanern erbeuteten Unterlagen nach der Räumung Thüringens an die Sowjetunion, an die sowjetrussischen Truppen herausgegeben worden sind.
— Das ist allerdings neu, Herr Renner, und beleuchtet das, was Sie vorgetragen haben, eindeutig.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es mir
— und vielleicht nicht mir allein — auffällig gewesen ist, daß in dieser doch immerhin hochbedeutsamen Frage Herr Kollege Renner, der ja durchaus über die Möglichkeit der freien Rede verfügt, sich in einer erstaunlichen Weise an sein Manuskript gehalten hat.
— Woher das kommt, frage ich mich auch.
Ich glaube, 'daß hier Dinge zur Debatte stehen, die nach verschiedenen Seiten ein Gewicht haben. Ich weise einmal auf das hin, was ich über dieses Karteimaterial gesagt habe. Ich kann nur den Wunsch der KPD unterstreichen, daß wir möglichst bald in die Lage versetzt werden, von diesem Karteimaterial ausreichenden Gebrauch zu machen. Leider ist uns das bisher nicht möglich gewesen, aus Gründen, die uns allen bekannt sind.
Das zweite, was in der Drucksache Nr. 480 steht, ist der Wunsch nach einem Auftrag an die Bundesregierung, bei dem Hohen Kommissar der Regierung Frankreichs ' Unterlagen über die Zahl der ehemaligen deutschen .Kriegsgefangenen anzufordern, die in die Fremdenlegion übergeführt worden sind
und auf den Schlachtfeldern Indochinas Leben und
Gesundheit gelassen haben. Ich glaube, es besteht in diesem Hause Einmütigkeit darüber, daß
dieser Ausfluß deutscher Not und 'diese Nachwirkung der Kriegsereignisse, ,die, wie wir gestern
in der Zeitung gelesen haben, dazu führt, daß
sich täglich 50 heimatlose deutsche Jugendliche bei
der Fremdenlegion melden, ein Zustand ist, — --
— Das habe ich in der Zeitung gelesen, und ich bin der Meinung, Herr Renner, daß manchmal das, was in der Zeitung steht, zutreffend ist.
— Doch, die lesen auch Zeitung, Herr Renner.
— Diese Tatsache ist außerordentlich bedauerlich, und wir empfinden die Not, die darin liegt, schwer.
Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Bundesinnenminister, wenn er dazu Stellung genommen hätte, darauf hingewiesen hätte, daß die französische Regierung über die im Dienst der Fremdenlegion gefallenen Deutschen ausreichend und beschleunigt Auskunft gegeben hat und daß ein Antrag der Bundesregierung an die Hohen Kommissare in dieser Richtung nicht erforderlich ist.
Da ich somit der Auffassung bin, daß der Inhalt der Drucksache Nr. 480 sachlich erledigt ist, kann ich nur beantragen, über diese Drucksache zur Tagesordnung überzugehen.
Ich möchte aber noch etwas anderes hinzufügen. Ich habe davon gesprochen, daß diese Angelegenheit zwei Seiten hat. In dem gleichen Augenblick, in dem dieser Antrag gestellt wird und der Versuch gemacht wird, den Alliierten oder der deutschen Bundesregierung, die sich nicht hinreichend darum bemüht habe. die Schuld für die Ungewißheit über das Schicksal unzähliger deutscher Kriegsgefangener zuzumessen. werden wir darüber unterrichtet, daß sehr zahlreiche deutsche Kriegsgefangene, die sich heute noch in russischer Kriegsgefangenschaft befinden, in einer Weise behandelt werden, die allerdings unsere Aufmerksamkeit in stärkster Weise verlangt.
- Darüber, Herr Renner, habe ich mir vorliegende Berichte von Leuten. die merkwürdigerweise und glücklicherweise den Möglichkeiten dieser Verurteilung haben entgehen können.
— Darauf warte ich, Herr Renner. — Ich darf nur darauf hinweisen, daß mir neben anderen ausführlichen Berichten ein Bericht vorliegt, ,der eine große Zahl deutscher Soldaten betrifft. die von der Heeresgruppe Kurland in russische Gefangenschaft geraten sind. Ich entnehme diesem Bericht, daß von September —Oktober 1949 an in ständig steigendem Maße deutsche Soldaten und Offiziere, besonders solche, die sich in irgendwelchen maßgeblichen Positionen befunden haben, russischen Verfahren unterworfen worden sind: die durchaus mit dem korrespondieren, was wir im eigenen Land an Gewaltmaßnahmen und Rechtlosigkeit erfahren haben.
Man nimmt zur Kenntnis, daß steigend mit dem Herannahen des Termins der zugesagten endgültigen Entlassung deutscher Kriegsgefangener russische Kommissionen Vernehmungen in einem Lager mit einem Personal von 40 Mann. soweit es sichtbar wurde, durchgeführt haben. Diese Vernehmungen wurden zu irgendwelchen Anklagen verdichtet, dann wurden ganz summarisch etwa 30 deutsche Soldaten vor ein Tribunal geladen. formell zur Sache vernommen und wieder hinausgeschickt. Dann fand die nächste Einvernahme statt, und nachdem das geschehen war, wurde ohne weiteres .ein Urteil verkündet. das im Zweifel auf 25 Jahre Zwangsarbeit lautete.
— Herr Renner, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher „Romane" werden wir uns vielleicht noch einmal unterhalten.
— Im Augenblick liegen Berichte vor von Männern, die diese Dinge miterlebt und mitgemacht haben.
— Es ist die billigste Methode, alles das, was Ihnen nicht paßt, als Lüge abzutun.
Ich weise auf diese Dinge hin , mein Damen und Herren. Unserem Volke muß wirklich zur Kenntnis kommen, daß die Gefangenen dieser Lager in Zellen in Untersuchungshaft gebracht wurden. Ich habe die Beschreibung einer solchen Zelle, in der der Mann, der sie beschreibt, selbst gesessen hat. Es war ein Raum von 30 qm mit einem Fenster, und in diesem Raum waren 20 bis 30 Häftlinge untergebracht. Der Raum hatte einen Tisch und Sitzgelegenheiten für acht Personen und einen Eimer. Ich brauche nicht weiter auszumalen, wie es in diesem Raum ausgesehen hat.
Ich bringe einen Bericht aus einem ganz bestimmten Lager nach dem letzten Abtransport, aus einem Lager mit einer Nummer über 7000. Das läßt ja darauf schließen, daß es nicht wenige solcher Lager gibt. Nach dem letzten Heimtransport am 22. Dezember 1949 befanden sich dort noch 550 Soldaten, davon 450 in einer Sonderverwahrung, in Untersuchungshaft. 100 noch in der Gefangenschaft, wenn man das so nennen I darf, auf freiem Fuß. Diese Soldaten werden verurteilt auf Grund irgendwelcher Bestimmungen des russischen Strafgesetzbuches, das sie nicht kennen und gegen das sie sich praktisch nicht wehren können. Nach einem mir besonders zugegangenen Bericht ist in einem belegten Fall ein Regimentskommandeur deswegen verurteilt worden, weil er einer Division angehörte, die sich in einem bestimmten Gebiet befunden hat, von dem behauptet wird, daß dort Gewalttaten vorgekommen seien; dieses Gebiet hat die Größe von zwei Provinzen.
Angesichts dieser Tatsachen sind wir der Meinung, daß es sich in gar keinem Fall darum handelt, etwa tatsächlich vorgekommene Verbrechen oder Gewalttaten zu ahnden, sondern darum, eine ganz wesentliche, sicher in die Hunderttausend gehende Zahl von deutschen Kriegsgefangenen aus politischen Gründen unschädlich zu machen.
Das sind meines Erachtens die Fragen, die das deutsche Volk heute interessieren.
Das sind die Dinge, die wir vor dem Weltgewissen aussprechen müssen.
Wenn ich nicht wüßte, daß die Bundesregierung in Fühlung mit den Hohen Kommissaren steht, um den Versuch zu machen,
durch Einflußnahme auf die Regierungen, die die
Hohen Kommissare entsenden, eine Einwirkung
auf die Sowjetunion zu erreichen, damit sie die über die Behandlung von Kriegsgefangenen getroffenen alliierten Abmachungen innehält, wenn ich nicht ebenfalls wüßte, daß die Bundesregierung sich darum bemüht, die Mitgliedstaaten der Genfer Konvention, zu denen ja neuerdings auch. Rußland gehört, zu einem Eingreifen zu veranlassen, dann würde ich das zu einem besonderen Antrag erheben. Mir ist bekannt, daß die Bundesregierung diese Bemühungen aufgenommen hat. Wir müssen wünschen, daß diese Bemühungen zu einem Erfolge führen, damit nicht Zehntausende und Hunderttausende deutscher Männer, die einem solchen aller Gerechtigkeit hohnsprechenden Verfahren unterworfen und für ein Vierteljahrhundert größtenteils in Zwangsarbeit gebracht wurden, auf diese Weise fünf Jahre nach Kriegsende praktisch ermordet werden.
Bei dieser Beurteilung der Lage und unter diesen Gesichtspunkten beantrage ich, über den Antrag der Kommunistischen Partei zur Tagesordnung überzugehen.