Meine Damen und Herren! Ich habe 25 Jahre meines Lebens, ich kann damit eigentlich sagen, mein ganzes Leben, bisher im Dienst am Recht gestanden, als Richter, als Anwalt, als Staatsanwalt und schließlich auch in der Gesetzgebung. Ich bin daher der Überzeugung, daß diese Fragen nicht parteipolitisch angesehen werden sollten, wie es leider wieder einmal der Herr Kollege Euler getan hat, mit dem Refrain: Die Sozialdemokratie ist an allem schuld. Wenn es keine .Sozialdemokratie gegeben hätte, dann hätten sich die Richter nicht vor den Kopf gestoßen gefühlt, und dann wäre keine Justizkrise entstanden. Herr Kollege Euler, so kann man die Dinge nicht ansehen. Es sollte selbst unter Ihrem Niveau sein, Ihr parteipolitisches Süppchen noch an dieser Sache zu kochen.
Ich muß auch der Auffassung entgegentreten, als ob die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion seinerzeit ohne Kenntnis des Sachverhalts abgegeben worden wäre. Wir haben sehr genaue und sehr zuverlässige Berichte über die mündliche Urteilsbegründung im Falle Hedler gehabt, ehe wir uns hier zu unserer Erklärung entschlossen haben. Im übrigen ist es weiterer Irrtum, anzunehmen, wir hätten beantragt, daß das Haus einen der Richter oder die Richter schuldig sprechen solle. Nichts Derartiges ist geschehen. Wir haben einen Antrag überhaupt nicht gestellt, sondern wir haben eine Erklärung abgegeben, und solche Erklärungen sind im Landtag von Schleswig-Holstein, im Landtag von Nordrhein-Westfalen und im bayerischen Landtag abgegeben worden, dort übrigens von allen Parteien oder jedenfalls von den Parteien, von denen man eine staatstragende Tätigkeit erwarten kann — die anderen Parteien zählen für mich nicht —, während hier in diesem Hause ein bedauerliches Schweigen besonders in der Mitte herrschte. So sind ja die Dinge gewesen. Also nicht die Sozialdemokratische Partei hat ohne Kenntnis des Tatbestandes ihre Erklärung abgegeben, sondern die Bundesregierung hat ohne Kenntnis der Sache ihre Erklärung abgegeben.
— Wir haben, Herr Kollege Hilbert, 'im Ausschuß zum Schutze der Verfassung von dem Herrn Bundesinnenminister Heinemann gehört, daß er das amtliche Stenogramm der Urteilsgründe erst in dieser Sitzung, die ungefähr acht Tage nach der Regierungserklärung lag, in die Hand bekommen habe.
Also dort ist diese Leichtfertigkeit geschehen und nicht auf unserer Seite.
Ich kann deshalb nicht verstehen, wie der Herr Bundesjustizminister sich an diesen Platz stellen und im Namen der deutschen Richter sprechen kann; denn auch ich bin durchaus mit dem Herrn Kollegen Dr. Schmid und dem Herrn Kollegen Zinn darin einig, daß man nicht etwa alle Richter in einen Topf werfen darf, daß man auch nicht einmal von einer Mehrzahl sprechen darf. Aber ich bin der Meinung, daß man gerade den deutschen Richter damit herabsetzt, wenn man die Richter, die in Neumünster das Urteil gesprochen haben, typisch sein läßt und das zum Anlaß nimmt — wie es der Herr Bundesjustizminister getan hat —, um sich vor dieses Urteil zu stellen.
Dieses Urteil liegt Ihnen, meine Damen und Herren, ja in der mündlichen Begründung im amtlichen Stenogramm vor. Da der Herr Bundesjustizminister es hier so hinzustellen beliebte, als sei das lediglich eine Beweisfrage gewesen, als sei das Gericht lediglich zu der Erkenntnis gekommen, es habe dies oder jenes nicht feststellen können, so muß ich darauf erwidern: Das ist ja gar nicht wahr. Das Gericht hat zum Beispiel festgestellt:
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte nur von denjenigen Widerstandskämpfern im Zusammenhang mit Landesverrat gesprochen, die mit dem Ausland zusammengearbeitet haben.
Es hat dies also festgestellt und ist nur mit der Ausflucht darum herumgekommen, daß der Kreis solcher Widerstandskämpfer nicht mehr identifizierbar sei. Als ob nicht heute jedes Kind in Deutschland wissen sollte, daß es die Offiziere gegen Hitler gegeben hat, die Kreise der Bekennenden Kirche, die Kreise der katholischen Kirche, die Menschen, die aus diesem oder jenem Grunde sich gegen die Tyrannei aufgebäumt haben, die damals mit Recht Verbindung mit dem Ausland gesucht haben, um noch das Letzte vor dem Untergang durch den wahnsinnigen Verbrecher zu retten!
Wenn der Richter das nicht weiß und nicht anerkennt, dann gehört er entweder in ein Tollhaus, jedenfalls nicht auf die Richterbank.
Das Gericht in Neumünster hat also festgestellt, daß der Vorwurf des Landesverrats gebraucht worden ist, und es hat ganz genau wie im Falle Ebert, den der Herr Bundespräsident gestern in so eindringlicher Weise dargelegt hat, wiederum einmal die Hand dazu geboten, daß die besten Kräfte des deutschen Volkes, die alles getan haben, um das deutsche Volk vor dem Untergang zu bewahren, in Neumünster diffamiert worden sind.
Noch in einem andern und für uns alle sehr traurigen Punkt hat sich das Gericht zu Auffassungen bekannt, bei denen es mir unbegreiflich ist, wie der Herr Minister, dem im Kabinett das Recht anvertraut ist, hier auch nur ein Wort dafür hat finden können. Wir wissen doch wirklich alle, was es bedeutet, daß von Verbrechern angeblich im deutschen Namen fünf bis sechs Millionen Juden vergast worden sind.
Dazu aber sagt das Gericht auf Grund der Verhandlung folgendes:
Der Angeklagte hat erklärt, daß er von einem deutschen Parteiführer erwarten müsse, daß er zuerst der fünf bis sechs Millionen deutscher Menschen gedenkt, die nach 1945 ermordet worden sind.
Also das Gericht hat sogar noch den Toten abgesprochen, daß sie Deutsche waren; denn unter diesen ermordeten Juden ist doch ein großer Teil deutscher Menschen gewesen. Das Gericht fährt dann fort:
Der Angeklagte hat weiter erklärt, daß damals andere Mittel und Wege hätten gefunden werden müssen, um das Judenproblem zu lösen.
Nämlich hinsichtlich des selbständigen Staates Israel. —
Gewiß, der Angeklagte, mag der Auffassung sein — und diese Auffassung ist ja von vielen vertreten worden —, daß die Judenfrage damals in Deutschland einer Lösung harrte und am besten gelöst worden wäre im Wege einer Auswanderung nach Palästina. Eine ganze Reihe von Zeugen hat uns auch bekundet, daß sie die Ausführungen des Angeklagten in diesem Sinne verstanden hätten. Aber auch eine derartige Stellungnahme würde weder objektiv noch subjektiv eine Kundgabe von Mißachtung enthalten. Denn ein bloßes Nichtanerkennen, ein bloßes Nichtgeltenlassen von Menschen oder Menschengruppen ist noch niemals eine Beleidigung gewesen.
Es ist nicht vorstellbar, wie ein Gericht das Grundgesetz, das von der Gleichheit der Menschen handelt und sagt, daß niemand wegen seiner Herkunft, Rasse, Religion oder aus sonstigen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden darf, ärger besudeln kann, als es in Neumünster geschehen ist,
und zwar angesichts der noch offenen Gräber der ermordeten Millionen, auch Deutscher, die das Unglück hatten, jüdischer Rasse zu sein.
Herr Justizminister! Sie sollten uns sagen, ob Sie sich zu diesen Grundsätzen bekennen. Wenn Sie das tun, dann kann ich Ihnen nur das eine zurufen: Um Gottes willen, gehen Sie!