Rede von
Dr.
Georg-August
Zinn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß in den letzten Jahren wohl niemals der deutschen Justiz und damit im Grunde auch dem Recht ein schlechterer Dienst als durch die Ausführungen erwiesen worden ist, die soeben der Herr Bundesjustizminister gemacht hat.
Nach derartigen Ausführungen hätte ein Justizminister in einem Land, zumindest in den süddeutschen Ländern, gewisse Konsequenzen erwarten müssen. Er hätte damit rechnen müssen, daß er zum Rücktritt veranlaßt wird.
— Das ist meine Meinung. Der Herr Bundesjustizminister hat aus Anlaß der Begründung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit die Justizkrise, die in Deutschland permanent seit mehr denn einem Vierteljahrhundert vorherrscht, zum Gegenstand einer neuen Erörterung gemacht, die weder seinem Ansehen noch dem Ansehen des deutschen Richters irgendwie dienlich gewesen ist.
Der Herr Bundesjustizminister hätte gut daran getan, die Rede des Herrn Bundespräsidenten, die gestern an dieser Stelle gehalten worden ist, mit mehr Aufmerksamkeit zu verfolgen,
dann wäre vielleicht manches in seinen Ausführungen unterblieben, manches von ihm nicht gesagt worden, was er gesagt hat.
Im Jahre 1946 haben wir in den süddeutschen Ländern, so auch in Hessen, Verfassungen ausgearbeitet. Auch damals haben wir uns mit den Problemen der Justiz, mit der Justizkrise, der Haltung der deutschen Juristen, insbesondere der deutschen Richterschaft in der Zeit von Weimar, aber auch danach beschäftigt. Es war kein geringerer als ein heute diesem Hause angehörender führender Politiker der CDU, der dem Sinne nach damals zum Ausdruck gebracht hat, daß angesichts der Haltung nicht vielleicht der Mehrheit, aber eines erheblichen Teils der deutschen Richterschaft sowohl vor 1933 als auch in der Nazizeit einem die Schamröte in das Gesicht steigen müsse, und dieser Politiker ist der Führer der Bundestagsfraktion der CDU, der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Ich glaube von ihm, daß er auch heute noch zu diesem Wort stehen wird.
Ich will nur andeutungsweise auf die Ausführungen hinweisen, die der bekannte katholische Schriftsteller Hecker gemacht hat. Sie alle wissen, inwieweit die deutsche Richterschaft zumindest zu einem erheblichen Teil — an der politischen Entwicklung der Vergangenheit ihr Anteil Schuld trägt,
beginnend mit dem Prozeß, der seinerzeit im Jahre 1923 oder 1924 in München gegen Hitler und Genossen durchgeführt wurde, bis zur Rechtsprechung des IV. Strafsenats des Reichsgerichts, bis zu jenem Urteil — dem Magdeburger Urteil —, von dem gestern der Herr Bundespräsident als einem Schandfleck der Weimarer Zeit gesprochen hat. Ich erinnere daran. daß es nicht einzelne waren, sondern ein ganz erheblicher Teil der deutschen Richterschaft, die in den Sondergerichten, den Terrorinstrumenten des Dritten Reiches, mitgearbeitet haben.
Es sollen ja auch in der heutigen Justiz, vor die soeben der Herr Bundesjustizminister seinen Schild zu halten versucht hat, solche ehemaligen Mitglieder der Sondergerichte — wenigstens in einigen Zonen und Ländern — in nicht allzu geringer Zahl tätig sein.
Die Krise der Justiz zur Weimarer Zeit hatte ihre Ursache darin, daß mancher zwar Richter in der Demokratie sein wollte, aber nicht Demokrat in der Gerichtsbarkeit. Und dieses Wort, das hinsichtlich der Verhältnisse der damaligen Zeit Geltung hatte, gilt auch heute wieder.
Der Herr Bundesjustizminister ist auf den Fall Hedler zu sprechen gekommen. Ich will im einzelnen zu dieser Angelegenheit nicht Stellun nehmen. Ich habe aber den Eindruck, daß er die Begründung — die ja vorliegende, wörtliche Begründung, die in der Verhandlung am Schluß gegeben wurde — nicht kennt. Der Herr Bundesiustizminister bzw. das Kabirett oder die politischen Freunde des Herrn Ministers haben sich seinerzeit gegen den Antrag oder die Erklärung. die wir in diesem Hohen Hause abgegeben haben. mit der Begründung gewendet, sie sei ein Eingriff in ein schwebendes Verfahren. Wenn sich schon jemand eines griffs in ein schwebendes Verfahren enthalten sollte, darn sollte es in erster Linie ein Bundesjustizminister sein.
Der Herr Bundesjustizminister hat davon gesprochen. daß die Erörterungen, die wir in den letzten Wochen aus Anlaß des Falles Hedler erlebt haben. die Meinung aufkommen lassen könnten. daß die deutsche Justiz Schaden zu nehmen drehe. Ich möchte eines sagen, Herr Bundesjustizminister: Nicht darauf kommt es an, ob die deutsche Justiz Schaden nimmt. sondern darauf, daß das Recht in Deutschland keinen Schaden nimmt.
Das Recht in Deutschland ist bedroht durch Richter wie einen Richter Paulick. und es ist auch bedroht durch Ausführungen, wie sie soeben der Herr Bundesjustizminister gemacht hat.