Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Wir würden uns nicht verstehen, wenn Sie kein Gefühl dafür haben, daß ich aus einer bangen Sorge gesprochen und die Frage des deutschen Richters angeschnitten habe. Ich habe das doch alles schon einmal erlebt. Ich bin als junger Jurist ins politische Leben, in das Leben des Rechtsstaates eingetreten und habe all das miterlebt, wovon man heute gesprochen hat, und habe erlebt, wie der Staat nicht nur dadurch Schaden nahm, daß der Richter versagte — manches ist richtig, was gesagt wurde —, sondern auch dadurch, daß man ihm von vornherein mißtraute, daß man ihn nicht leben ließ, daß man ihn nicht als einen Richter der Demokratie haben wollte.
— Das ging Hand in Hand, Herr Kollege Schmid,
und die Dinge wiederholen sich jetzt wieder. Das
ist der Grund, warum ich sprach, wirklich nicht,
um jemanden anzuklagen, nicht, um Sie anzuklagen, sondern um darum zu ringen, daß wir gemeinsam den richtigen Weg finden. Ich meine,
manches hat sich in der Aussprache geklärt. Ich
habe Anlaß, zu vergessen, was der Abgeordnete
Zinn sprach, der mein Freund ist und hoffentlich
bleiben wird, und zu vergessen, was der Abgeordnete Arndt mir mit, na, wutverzerrtem Gesicht
hier entgegenhielt, und ich will an das glauben, was der Abgeordnete Schmid als Ziel aufstellte. Der gute Richter! Der gute deutsche Richter fällt uns nicht in den Schoß! Der ist mehr Aufgabe, ich will sagen, der ist Aufgabe und nicht Erfüllung. Aber verderben Sie nicht, was an Gutem vorhanden ist!
Man sagt, ich habe in ein schwebendes Verfahren eingegriffen.
— Ich habe nicht gewertet.
Ich habe nur das, was mir bekannt war, Ihnen wiedergegeben. Es ist nicht richtig, wenn der Herr Abgeordnete Arndt annimmt, weil der Innenminister Heinemann die stenographisch festgehaltenen Urteilsgründe in der Sache Hedler nicht gekannt habe, mir seien sie nicht bekannt gewesen, als die Erklärung der Regierung erfolgte. Selbstverständlich waren sie mir bekannt.
— Ich habe sie nicht bestätigt, und wir denken nicht daran, sie zu bestätigen!
Aber wie sind denn die Dinge? In Deutschland und in der Welt klagt man die deutsche . Justiz an, daß sie ungeheuerliche Vorwürfe verteidige, daß sie sie billige, daß sie sich hinter das, was man Hedler vorwarf, stelle.
— Ach Gott, die sind doch von dem Herrn Kollegen Arndt mehr oder minder aus dem Zusammenhang gerissen.
— Das ist ja nicht wahr!
Meine Damen und Herren, es ist nicht schön, wenn man von sich selber sprechen muß, aber immerhin: wenn einer angegriffen wurde von dem, was man Hedler vorwarf, na, dann vielleicht ich! Ich habe zu einem Widerstandskreis gehört, einem Widerstandskreis, dessen Angehörige ihr Leben gelassen haben. Meine Verwandten, die Verwandten meiner Frau, sind ums Leben gekommen, weil sie Juden waren. Hunderte meiner Freunde haben ihr Leben in Auschwitz oder sonstwo verloren! Meinen Sie, das ist mir gleichgültig, was in Neumünster verhandelt wurde? Aber ich werde doch dadurch nicht berührt.
wenn ich immerhin einen Teil der deutschen Justiz in meiner Verpflichtung weiß, wenn ich das Gefühl habe, ich muß dafür sorgen, daß Recht Recht bleibt,
daß man nicht aus Animosität handelt und entscheidet. Ich muß dafür sorgen, daß der Richter nicht das Gefühl hat, verloren zu sein und Angriffen schutzlos ausgesetzt zu sein.
Ich habe Ihnen gesagt, meine Damen und Herren: ich bin zutiefst empört über das, was mir aus den Zuschriften entgegenschlägt, die ich Tag für
Tag bekomme. Ja, hat man da nicht das Gefühl, verantwortungslos zu sein? Jedes Grüppchen, das sich irgendwo zusammensetzt, fühlt sich befugt, von einem Schandurteil zu sprechen, ohne das Urteil zu kennen.
Das ist ja das Schlimme: die andern tun es, sie halten sich für befugt, das, was in Neumünster geschah, angeblich geschah, auf die deutsche Justiz auszuweiten. Dazu soll ich schweigen? Ich würde meine Pflicht verletzen,
weil ich weiß, daß die deutschen Richter besser sind, als sie hier dargestellt werden.
Ich habe das Recht, darüber zu sprechen. Ich habe damals, 1945, das Richtertum eines Oberlandesgerichtsbezirks mit aufgebaut. Ich kenne jeden Richter in meinem Bezirk und weiß, wes Geistes er ist, und weiß, auch wenn er einmal Pg war: ich habe ihn geprüft und weiß, daß er ein anständiger, sauberer, gutwilliger Mensch ist. Ich weiß allerdings auch, wieviel auf das Beispiel ankommt.
Ich habe das Empfinden: solange ich an der Spitze meines Oberlandesgerichts stand, war ich für jeden Richter eine Verpflichtung; der wußte, was ich mir als demokratisches Rechtsziel vorstellte. und ich hatte die Überzeugung, er orientierte sich an diesem Wollen. Darauf kommt es an, wie überall im Leben: Beispiel zu sein! Aber die Dinge müssen ausgesprochen werden, wenn nicht das Richtertum und wenn nicht damit unser Staat Schaden nehmen soll!
Meine Damen und Herren, es gab eine Kabinettsjustiz, höchste Bedrohung der Justiz, wesensfremd dem Begriff der Gerichtsbarkeit, die nur bestehen kann, wenn sie unabhängig ist, wenn sie ihre Impulse erhält aus einer höchsten Moral, aus dem Gewissen. Es gibt eine andere Gefahr: es gibt auch die Gefahr der Parlamentsjustiz,
es gibt auch die Gefahr der Parteijustiz.
Ich beschuldige niemanden, ich sage nur: es gibt die Gefahr, und ihr können wir nur dadurch begegnen, daß wir diese Dinge aussprechen und die Gefahr zeigen.
Darum, wenn viele gemeint haben, es sei nicht am Platze gewesen, über die Dinge zu sprechen. es war höchste Zeit, darüber zu sprechen. Ich glaube, meine Damen und Herren, von links bis rechts können wir uns in dem Willen finden: wir wollen alles tun, um den Richter zu schaffen, den wir brauchen, weil die Demokratie sonst nicht mehr besteht, und es soll der Tag kommen, an dem es in Deutschland wieder heißt: Ilya des juges à Berlin.