Meine Damen und Herren! Meiner Fraktion kam es, als wir diesen Antrag überlegten, darauf an, Klarheit zu schaffen über die tatsächlichen Verluste an Menschenleben, die dem deutschen Volke durch diesen verbrecherischen Hitlerkrieg an der Front entstanden sind. Über diese Zahl gibt es keine Klarheit, ebensowenig wie es Klarheit darüber gibt, wieviel Personen als ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht sich zur Zeit noch in Kriegsgefangenschaft befinden.
Lassen Sie mich zur letzten Frage auf etwas hinweisen. Das einzige wirklich amtliche Material über die Zahl der Kriegsgefangenen ist eine Mitteilung des Bundesministers für Arbeit, die am 1. Dezember 1949 dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses des Bundestages für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen, dem Herrn Abgeordneten Leddin, zugegangen ist, aus der zu ersehen ist, daß die Länderregierungen am 1. September 1949 die Zahl der noch zu erwartenden Heimkehrer auf 244 500 geschätzt haben. Für die Zwischenzeit liegen Zahlen vor, die beweisen, daß allein aus der Sowjetunion eine weitaus größere Anzahl von Kriegsgefangenen bereits zurückgekommen ist, als das in den 244 500 zum Ausdruck kommt.
Nun gibt es aber eine Möglichkeit, ungefähre Gewißheit über die tatsächlichen Kriegsverluste zu bekommen. Während des Krieges bestand in Berlin-Schöneberg in der Hohenstaufenstraße eine sogenannte Wehrmachtsauskunftsstelle für Kriegsgefallene und Kriegsverluste. Zu Beginn des Krieges gingen bei dieser Stelle sämtliche Ver-
lustmeldungen der Wehrmacht ein. Sie wurden statistisch erfaßt, täglich zu Verlustlisten zusammengestellt und in siebenfacher Ausfertigung an die übergeordneten Dienststellen weitergegeben. Über diese Vorgänge, über die Arbeitsmethoden bei dieser Dienststelle, über das Schicksal, das das dort aufgespeicherte Material erfahren hat, gibt es heute, wenn man nur will, nachprüfbare Zeugenaussagen von deutschen Personen, die ehedem in dieser Dienststelle beschäftigt waren. Man braucht nur den Willen aufzubringen, diesem Beweismaterial nachzugehen. Nun, das Herz dieser Auskunftsstelle bildete die Kartei, die einen ungeheuren Umfang hatte und um die es heute in unserem Antrag geht.
Zu Beginn des Krieges erreichten die Verlustmeldungen diese Dienststelle regelmäßig. Ein Wandel trat erst nach der Schlacht von Stalingrad ein, als die Zeit der „erfolgreichen" Absetzbewegungen, der Frontbegradigungen, als die Periode der sogenannten Ausweichoffensiven begann. Damals steigerten sich die Verluste ins Unermeßliche, vor allen Dingen auch die Ausfälle infolge Entkräftung. Von den Soldaten, die damals von ihren Truppenteilen zurückgelassen werden mußten, ist ein außerordentlich hoher Prozentsatz nicht mehr lebend in Gefangenschaft geraten.
Am 20. August 1943 wurde dann infolge der sich steigernden Zahl der amerikanischen Bombenangriffe auf Berlin die Dienststelle nach Thüringen verlegt, und zwar nach Meiningen und Saalfeld. Noch während des Umzuges wurde die Hohenstaufenstraße in Berlin bombardiert. Dabei sind erstmalig wertvolle Listen und andere aufschlußreiche Materialien verbrannt.
In Saalfeld wurde die ordnungsmäßige Kontrolle der Verluste durch das sich ständig vergrößernde Chaos an den Fronten außerordentlich erschwert. Bis Mitte des Jahres 1945 wurden ungefähr 21/2 Millionen Tote und 5 Millionen Verwundete gezählt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Verlustmeldungen nur noch sehr unvollständig nach Saalfeld gelangten. Ganze Fronttruppenteile waren vollständig aufgerieben worden; ganze Einheiten verschwanden spurlos, und die Verlustlisten der Truppen, soweit sie überhaupt weitergeleitet worden waren, fielen teilweise auf dem Weg nach Saalfeld durch Bombenangriffe oder durch andere Umstände der Vernichtung anheim. Besonders schwer waren die Verluste bei der Marine, vor allem in dem sogenannten Übersetzverkehr, festzustellen: bei den Übersetzarbeiten von der Krim nach Odessa, von Afrika nach Italien, von Leningrad nach Stettin. Niemand ist in der Lage, die Namen, ja nicht einmal die Truppenteile der auf diesen versenkten Schiffen oder Fähren ums Leben gekommenen deutschen Soldaten anzugeben. Etwas anderes tritt hinzu: Auf höheren Befehl wurde schon frühzeitig angewiesen, daß bei besonderen Anlässen die Benachrichtigung der Angehörigen Gefallener gestoppt werden müsse. Solche Anlässe waren Massenverluste, wie beispielsweise die enormen Verluste bei Stalingrad, bei Orel im August 1943, bei der Winteroffensive im Westen im Dezember 1944, der sogenannten Ardennenoffensive. Je mehr die Alliierten auf 'deutschen Boden eindrangen, desto mehr stoppten die Zugänge von Verlustmeldungen, und wurde auch die Benachrichtigung der Angehörigen erschwert.
Vor der Besetzung Saalfelds in der Nacht vom 1 ersten auf den zweiten Osterfeiertag 1945 haben einige Offiziere und Beamte nachweisbar befehlsgemäß bei der Saalfelder Dienststelle lagernde wichtige Akten und statistisches Material und Listen verbrannt. Am 20. April 1945 wurde das deutsche Personal durch die Amerikaner aus der Dienststelle ausgewiesen. Als am 1. Juli 1945 sich die Amerikaner aus Thüringen und damit auch aus Saalfeld zurückzogen, nahmen sie mit einem Teil der Angestellten auch die gesamte Kartei mit sämtlichen Unterlagen mit sich und transportierten alles zunächst einmal nach Kassel. Im April 1945 lagen bei der Auskunftsstelle noch rund eine Million offizieller Totmeldungen von deutschen Wehrmachtsangehörigen vor, für die den Angehörigen noch keine. Benachrichtigung zugeschickt worden war. Die Amerikaner sind heute noch im Besitz dieser Kartei der ehemaligen Wehrmachtsverluste von Kriegsgefallenen. Als Beweismaterial dafür zitiere ich eine Meldung aus den letzten Tagen:
Die französische Militärregierung in Berlin
hat die unter ihrer Kontrolle stehende Auskunftsstelle der ehemaligen Deutschen Wehrmacht, Berlin-Halensee, Kurfürstendamm 96,
angewiesen, alle in der französischen Fremdenlegion gefallenen ehemaligen deutschen
Kriegsgefangenen als Tote der ehemaligen
Wehrmacht zu registrieren. Die Angehörigen
der ehemaligen deutschen Soldaten werden
vom Office des Intérêts Français et des
Affaires Consulaires, Berlin -Frohnau, EdithCawell-Straße 40/41, lediglich vom Ableben
der Gefallenen benachrichtigt. Eine genaue
Todesursache und Todesdatum werden nicht
angegeben. Wie kann man, wenn diese Totenlisten, diese Kartei, wie behauptet wird, den deutschen Stellen übergeben worden ist, vor etwa drei Wochen noch eine derartige Dienstanweisung herausgeben? In dieser Kartei, von der wir reden, sind Unterlagen über den Verbleib von mindestens einer Million deutscher Soldaten enthalten. Die Amerikaner halten diese Kartei aus Gründen, die offensichtlich sind, zurück.
Die amerikanischen Militaristen wollen uns Deutsche glauben machen, in der Sowjetunion seien heute noch Hunderttausende von Kriegsgefangenen verschwunden.
Richtig! Es gibt in diesem Hause, es gibt bei den Parteien in Westdeutschland auch Kräfte genug, die dieses Spiel mitmachen:
Der Zweck ist offensichtlich. In uns Deutschen soll der Haß und die Empörung gegen Sowjetrußland erzeugt werden mit dem Ziel, noch einmal die deutsche Jugend willig zu machen, gegen die Sowjetunion im Interesse des amerikanischen Monopolkapitals zu marschieren.
Hitler hat während des Krieges dieselbe Politik betrieben. Er hat die Gefallenenziffern verheimlicht, um die Aufrechterhaltung der Kriegsbereitschaft und damit die Verlängerung des Krieges gegen die Sowjetunion psychologisch zu untermauern. Die Zurückhaltung der Kriegsgefallenenlisten und Ihre Bejahung dieser Zurückhaltung dient heute demselben Zweck.
Die Schaffung der nötigen Bereitschaft soll bewirken, auf den von den USA und den Imperialisten gewünschten Weltkrieg einzugehen. Das deutsche Volk soll nicht erfahren, was der letzte Weltkrieg an Blutopfern gekostet hat. Darum ist auch unsere Regierung interessiert, die Angehörigen der Gefallenen in Ungewißheit zu erhalten. Diese Taktik nämlich soll ihr helfen,
heute ihre Remilitarisierungspläne vorwärtszutreiben — —(Schluß-Rufe rechts. — Unruhe.)
— Sie bestreiten das Vorliegen der Remilitarisierungspläne?
— Dann lassen Sie sich einmal von Herrn Dr. Konrad Adenauer erklären, was seine Unterredungen mit den Generälen von gestern zum Ziele haben.
Wir verlangen von dieser Adenauer-Regierung nicht mehr und nicht weniger, als daß sie bei der Hohen Kommission vorstellig wird, um die Herausgabe dieser Kriegsgefallenenlisten zu erzwingen.
Wir sind der Meinung, daß mit der Veröffentlichung dieser Listen, die vorhanden sind, den Angehörigen dieser Gefallenen viel Leid und viel Schmerz . erspart werden könnte, indem man ihnen Gewißheit über das Ergehen ihrer Angehörigen gibt. Wir sind der Auffassung, daß die Erkämpfung der Freigabe dieser Listen im deutschen Interesse liegt und daß das deutsche Volk ein Anrecht darauf hat, daß die Listen freigegeben werden. Sollten Sie anderer Meinung sein, dann steht hinter dieser Ihrer anderen Meinung die Ursache, die ich hier klar zum Ausdruck gebracht habe:
Sie wollen diese Ungewißheit, weil Sie im Schatten dieser Ungewißheit Ihre Kriegspläne besser vorwärtstreiben können.