Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion ist mit dem Antrag des Ausschusses einverstanden, die Sache bis zur Regelung durch die endgültige Geschäftsordnung zurückzustellen. Das scheint mir richtig zu sein.
Ich möchte aber doch auf einige Argumente aufmerksam machen, die nach meiner Meinung dabei eine Würdigung verdienen. Es wurde soeben gesagt, daß diese Bestimmung über die geheime Abstimmung der Schmerz unseres Parlamentarismus sei. Das vermag ich wirklich nicht einzusehen, nachdem die Bestimmung nur einmal angewendet worden ist. Aber daß sie vorhanden ist, kann unter Umständen doch von Bedeutung sein. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe sie nicht, so eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten für die Partei- und Fraktionsbürokratie, auf die Abgeordneten einzuwirken. Und gerade daß es bei einigen Fraktionen - nebenbei bemerkt, und das sage ich ausdrücklich : nicht in unserer Fraktion --- das Institut des Fraktionszwanges gibt, ist nach meiner Meinung ein notwendiges Korrelat dazu, daß es auch die Möglichkeit der geheimen Abstimmung gibt.
Natürlich hat das Volk ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Abgeordneten gestimmt haben. Es ist aber die Frage, ob der Wunsch und der Wille, das, was hier geschieht, auch öffentlich zu vertreten und zu verantworten, der Richtigkeit vorgeht oder ob die Richtigkeit und die Gewissensmäßigkeit der Öffentlichkeit vorgehen. Da bin ich persönlich allerdings der Ansicht, daß die Richtigkeit der Öffentlichkeit vorgeht. Denn es läßt sich nicht leugnen: die Gefahr ist einigermaßen erheblich, daß mit der Öffentlichkeit ein Mißbrauch getrieben wird in Fällen, in denen Interessentenkreise besonderer Art hinter einer bestimmten Frage stehen. Das Wort von dem Druck 'der Straße ist nach meiner Meinung zu abgegriffen, als daß ich es hier gebrauchen möchte, aber der Druck von Interessentenkreisen ist schlechterdings gar nicht wegzuleugnen. Dieser Druck besteht, und die Möglichkeit, einem solchen Druck durch die geheime Abstimmung auszuweichen, trägt nur einer allgemein menschlichen Erfahrung Rechnung, daß nicht alle Menschen Engel sind, sondern daß sie unter Umständen einem solchen Druck aus propagandistischen oder aus anderen Gründen einmal nachgeben. Eventuell genügt schon die Möglichkeit, daß diese Bestimmung da ist, um sie möglichst wenig zur Anwendung zu bringen.
Aus allen diesen Gründen möchte ich doch der Auffassung widersprechen, daß diese Bestimmung ein Scheusal sei, das man in die Wolfsschlucht werfen müsse. Diese Frage soll man in aller Ruhe, und nicht aus dem Zusammenhang herausgerissen, mit den anderen Fragen der Geschäftsordnung zur Beratung und Abstimmung stellen.
Ich halte überhaupt die Gelegenheitsgesetzgebung
in puncto Geschäftsordnung nicht für wünschenswert. Man soll, da wir uns zur Zeit noch im Stadium der Entwicklung der Geschäftsordnung befinden, diese Entwicklung auch in Ruhe abwarten. Der Fall der geheimen Abstimmung ist seit Bonn nicht wieder akut geworden. Wir haben also kein besonderes Bedürfnis, und wir haben bisher auch keine besonderen Erfahrungen gemacht, die es rechtfertigen. in die normalen Beratungen des Geschäftsordnungsausschusses eingreifend und vorweggreifend eine besondere Regelung zu beschließen.