Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Beratung des Punktes I der Tagesordnung fort:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981
— Drucksachen 9/50, 9/265 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Ich rufe auf:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/481 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Dr. Zumpfort
Dr. Friedmann
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von zwei Stunden vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen.
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 11 umfaßt Arbeit und Soziales.
— Ich lege Wert darauf, daß wir wissen, worüber wir reden, Herr Grobecker. Er hat ein Volumen von über 54 Milliarden DM.
Das ist immerhin eine Größenordnung, wie sie auch der Haushalt des Landes Nordrein-Westfalen oder auch der Haushalt der Bundespost hat. Immerhin entfällt fast ein Viertel des gesamten Haushalts aufArbeit und Soziales. Es ist dies der größte Einzelplan im ganzen Bundeshaushalt.Nun könnte man natürlich meinen, es wäre eine Qualifikation eigener Art, wenn man soviel Geld für Arbeit und Soziales ausgibt.
Wer dies meint, der sitzt einem Irrglauben auf.
Man kann nämlich auch mit wenig Geld gute Politik machen. Das haben wir 20 Jahre lang getan.
Und man kann mit viel Geld schlechte Politik machen. Das tun Sie.
Das Volumen dieses Haushalts ist also kein Hinweis auf die Qualität der Sozialpolitik.In diesem Bundeshaushalt sind 8 Milliarden DM als sogenannte Liquiditätshilfe, d. h. als Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg vorgesehen. Dazu kommen noch einmal 2,6 Milliarden DM für Arbeitslosenhilfe direkt im Haushalt von Herrn Ehrenberg. Das heißt, in Verbindung mit den Arbeitslosen sind in diesem Jahr rund 10,5 Milliarden DM an Steuergeldern aufzuwenden. Dies ist ein unheimlich großer Betrag. Ich möchte sagen, es ist schlimm, daß ein Betrag in einer solchen Größenordnung nötig ist.
Ein Skandal aber ist es, wie hier das Parlament über Monate hinweg an der Nase herumgeführt wurde.
In den 8 Milliarden DM für Nürnberg sind nämlich rund 4,5 Milliarden DM — genau sind es 4,3 Milliarden DM — enthalten, die erst während der Beratungsphase nachgeschoben worden sind. Erst im Laufe der Zeit kam die volle Höhe des Zuschußbedarfes heraus. Bis dies soweit war, erlebten wir geradezu einen Handlungsablauf wie in einem Kriminal-
Metadaten/Kopzeile:
2364 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Friedmannroman. Ich möchte ihn einmal in den einzelnen Etappen darstellen.
— Nun geht es los, Herr Grobecker — mit Recht! Das Arbeitsförderungsgesetz sieht vor, daß der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vom Vorstand aufgestellt, vom Verwaltungsrat beraten und vom Arbeitsminister genehmigt wird. Der Haushalt muß so rechtzeitig fertig sein, daß er am 1. September des Vorjahres dem Arbeitsminister vorliegt. Genau dies ist nicht geschehen.
Viele spürten in der damaligen Zeit, wie es mit den Arbeitslosen aussieht, aber es stand die Bundestagswahl vor der Tür,
und Minister Ehrenberg konnte es nicht gebrauchen, daß man vor der Bundestagswahl so über die wahre Situation im Zusammenhang mit den Arbeitslosen und mit Nürnberg sprach.
Dies war ihm sichtlich unangenehm, und er hat die Debatte über diesen Punkt und damit auch die Beratung des Haushalts in Nürnberg verschoben. — Dieses war sein erster Streich.Der zweite folgt in der Tat zugleich. Er hat, als es dann so weit war, diesen Haushalt zu verabschieden, mit einem Zuschuß von 3,6 Milliarden DM operiert. Dazu hat er die Gremien in Nürnberg veranlaßt, den ursprünglichen Haushalt der Bundesanstalt von 28 Milliarden DM auf unter 26 Milliarden DM herunterzudrücken.
Herr Ehrenberg wird uns zwar nachher sagen, daß Nürnberg eine selbständige öffentlich-rechtliche Körperschaft sei, mit der er weiter nichts zu tun habe,
tatsächlich bedarf aber der Haushalt der Bundesanstalt seiner Genehmigung. Diese Genehmigung ist nicht nur eine notarielle Beurkundung, sondern er handhabt die Genehmigungspraxis durchaus so, daß er ganz konkrete Auflagen macht. Auch jetzt, als die Bundesanstalt einen Nachtragshaushalt aufstellte, hat er der Bundesanstalt nicht alles gegeben, was sie meinte haben zu müssen. Er hat ganz konkret gesagt, wie es laufen müsse.Das heißt, seine Genehmigungszuständigkeit verwendet er dafür, den Haushalt in Nürnberg, verehrter Herr Kollege Walther, auch dementsprechend zu konstruieren.
Und so hat er den Haushalt — Herr Blüm, richtig —in Nürnberg auf unter 26 Milliarden DM herunter-manipuliert, damit er mit einem Zuschuß von 3,6 Milliarden DM auskäme. —
Dieses war sein zweiter Streich.Es geht aber dann weiter: Diese 3,6 Milliarden DM sind nicht gerade so aus der Luft gegriffen, sondern die stehen in direktem Zusammenhang mit einer anderen Zahl gleicher Größenordnung. Herr Ehrenberg hat nämlich den Bundeszuschuß an die Rentenversicherung in diesem Jahr um 3,5 Milliarden DM gekürzt. Die Beitragszahler müssen seit Anfang dieses Jahres mehr für die Rentenversicherung aufbringen. Die höheren Beiträge für die Rentenversicherung bewirken bei der Rentenversicherung eine höhere Einnahme aus Beiträgen in Höhe von 3,5 Milliarden DM. Genau in dieser Höhe hat er Zuschüsse für die Rentenversicherung gestrichen. Statt dessen hat er die 3,5 Milliarden DM nach Nürnberg gesteckt.Da er nicht mehr als diese 3,5 Milliarden DM hatte, durfte der Zuschußbedarf nicht höher sein als diese 3,5 Milliarden DM. Und so stellt sich uns das Ganze als ein in sich geschlossenes Werk dar. —
Dies war sein dritter Streich.
— Doch der vierte kommt sogleich, richtig, Herr Blüm; denn das Ganze mußte ja stimmig sein, und der Zuschußbedarf in Nürnberg hängt doch mit der Zahl der Arbeitslosen zusammen. Ein Zuschuß nach Nürnberg in Höhe von 3,5 Milliarden DM ist nur mit einer Arbeitslosenzahl von 1 085 000 im Jahresdurchschnitt zu vereinbaren. Also durften es nicht mehr als 1 085 000 sein. Das war seine Überlegung. Entsprechend hat er auch die Vertreter der öffentlichen Hand bei der Bundesanstalt beeinflußt und Einsatz von ihnen verlangt.Jeder wußte zur damaligen Zeit, daß die Arbeitslosenzahl in diesem Jahr höher sein werde. Herr Ehrenberg wird uns nachher sagen: Die Institute und alle Steuerschätzer hätten zum damaligen Zeitpunkt auch nur mit 1 085 000 Arbeitslosen gearbeitet.
Tatsächlich aber hat das Institut der Deutschen Wirtschaft das von den Spitzenverbänden der gewerblichen Wirtschaft getragen wird, bereits um die Jahreswende von 1,2 Millionen Arbeitslosen gesprochen. Ich weiß schon, Herrn Ehrenberg ist diese Seite unserer Gesellschaft nicht ganz so vertrauenswürdig, aber der Abteilungsleiter beim Vorstand der IG Metall, Herr Friedrichs, hat schon im November letzten Jahres gesagt, daß wir in diesem Jahr mit 1,2,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2365
Dr. Friedmannwenn nicht gar mit 1,3 Millionen Arbeitslosen rechnen müssen.
Dies alles war also bekannt und auch mein Kollege Heinz Franke hat des öfteren darauf hingewiesen, daß die Annahme des Herrn Ehrenberg bezüglich der Zahl der Arbeitslosen zu optimistisch sei.
Hinterher hat er alles zugeben müssen, doch zunächst hat er das Ganze stimmend gemacht. Dies war nämlich sein vierter Streich.Doch es geht weiter: Herr Ehrenberg hat unterstellt, daß in diesem Jahr 57 % der Arbeitslosen von ihrem Anspruch auf Arbeitslosengeld Gebrauch machen würden. Die Erfahrungen aus zurückliegenden Rezessionen haben gezeigt, daß dieser Prozentsatz um so mehr steigt, je stärker eine Rezession ausfällt. Mit ziemlicher Sicherheit kann man sagen, daß die Empfängerquote von 57 % zu gering veranschlagt ist, d. h. hier stecken weitere Risiken im Haushalt der Bundesanstalt, selbst wenn die Zahl der Arbeitslosen nicht steigen sollte. Dies ist sein nächster Streich.Doch damit noch nicht genug. Das Geld fehlt j a jetzt in der Rentenversicherung. Es wird deshalb nicht dazu kommen, wie er ursprünglich gesagt hat, daß die Rentenversicherung bis 1984 über eine sogenannte Schwankungsreserve von dreieinhalb Monatszahlungen verfügen werde. Diese Schwankungsreserve wird auf etwa 1,7 Monatszahlungen fallen.Nun hat man aber in der Öffentlichkeit zugestanden, daß die Hinterbliebenenversorgung neu geregelt werden muß. Es liegt auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Richtung vor. In diesem Zusammenhang ist das Modell der Teilhaberente entwickelt worden, und zwar das sogenannte 70 %Modell. Damit hat auch Herr Ehrenberg und damit hat auch die Koalition Wahlkampf gemacht. Nachdem jetzt aber in der Rentenkasse Geld fehlen wird, weil der Zuschuß gekürzt worden ist, wird eine so großzügige Regelung der Hinterbliebenenversorgung nicht mehr möglich sein. Die Öffentlichkeit ist jetzt noch in dem Glauben, es gebe eine großzügige Teilhaberente. Das Geld dafür wird aber fehlen. Hier wird Herr Ehrenberg widerrufen müssen. Ich selbst bin der Meinung, daß hier viel finanzieller Gestaltungsspielraum im Arbeitsministerium fehlt. Von daher kann er seine Staatssekretärin, Frau Fuchs, gerne als Bürgermeisterin nach Hamburg ziehen lassen. Hier zeichnet sich also ab, wie ein Wahlversprechen nicht gehalten wird. Dies ist ein weiterer Streich des Herrn Ehrenberg.Früher waren wir stolz darauf, daß die Arbeitslosenversicherung erhebliche Rücklagen hatte, obwohl jahrelang Beitragssätze von nur 1,3 % kassiert wurden.
— Richtig, Herr Franke: 1969 betrug die Rücklage bei der Arbeitslosenversicherung noch rund 6 Milliarden DM. Der letzte Pfennig dieser Rücklage ist in diesen Tagen aufgelöst worden. Die Kasse in Nürnberg ist bis auf den letzten Pfennig ausgeplündert, weil die Rücklage aufgelöst wurde.
Auch dies ist ein Streich von Herrn Ehrenberg.Aber es geht noch weiter. Herr Ehrenberg wird jetzt auf die Idee kommen müssen, höhere Beiträge für Nürnberg zu verlangen. Die Arbeitnehmer werden stärker zur Kasse gebeten. Sehr wahrscheinlich wird er Überlegungen zu verwirklichen versuchen, wonach der Kreis derer, die Beiträge zahlen, erweitert wird. Er wird also auf die Arbeitsmarktabgabe zugehen. Auch dies wird ein weiterer Streich von Herrn Ehrenberg werden.Meine Damen und Herren, dies alles zeigt, daß unter dem Einfluß des Arbeitsministers in Nürnberg ein Haushalt getürkt wurde
und daß der Zuschußbedarf, der sich daraus ergibt, dementsprechend unrichtig war mit der ganz konkreten Folge, daß im Haushaltsentwurf des Bundes von Anfang an ein falscher Ansatz stand.Wir haben dies rechtzeitig erkannt. Wir wollten, daß die Bundesregierung in aller Öffentlichkeit einen Ergänzungshaushalt vorlegt, damit darüber gesondert beraten wird. Dies war auch der eigentliche Grund, aus dem wir in der vorletzten Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde verlangten.Die Regierung hat es abgelehnt, einen Ergänzungshaushalt vorzulegen, und zwar aus einem meines Erachtens ganz durchsichtigen Grund: Wer gibt schon gern zu, daß er das Parlament, daß er die deutsche Öffentlichkeit nicht richtig informiert hat, daß er hier mit Zahlen manipuliert hat?
Man muß sich den Umfang dieser Manipulation einmal drastisch vor Augen halten. Der Finanzminister kam nach einer Kabinettssitzung zu uns in den Haushaltsausschuß. An Hand von ein paar Zettelchen hat er dargelegt, es sei leider nicht möglich, mit 27 Milliarden neuen Schulden auszukommen; man brauche 6,5 Milliarden mehr neue Schulden in diesem Jahr.
Davon entfallen allein 5 Milliarden auf den Haushalt von Herrn Ehrenberg.Dies ist in meinen Augen eine Affäre, die den Umfang der Tornado-Affäre beim Verteidigungsminister erreicht.
Herr Ehrenberg kann hier Herrn Apel brüderlich die Hände reichen.
Metadaten/Kopzeile:
2366 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Friedmann— Ja, Apel II. Die Dimensionen, um die es hier geht, stehen hinter jenen des Projekts „Tornado" nicht zurück.Nun ist in diesen Tagen immer wieder — auch in dieser Debatte — davon gesprochen worden, man müsse zunächst einmal den Mißbrauch abstellen, der im ganzen Bereich der Arbeitslosenversicherung bestehe. Ich möchte es vorweg sagen: Mit dem Beseitigen von Mißbräuchen wird man dem Problem an sich nicht beikommen.
Man wird da so manches beheben können; vor allem wird man — was mir am wichtigsten ist — die wirklichen Arbeitslosen von dem. Vorwurf befreien können, hier werde etwas mißbraucht.
Wir wollen uns doch — ich nehme an, da stimmen wir überein — darüber im klaren sein: Echte Arbeitslosigkeit ist ein schweres Schicksal.
Arbeitslos zu sein, das muß ertragen werden können, denn Arbeit ist eben mehr als nur Broterwerb, Arbeit ist auch Lebensgestaltung,
Arbeit ist Selbstverwirklichung, Arbeit ist Gestaltung dieser Gesellschaft und damit mehr als Geld-verdienen.
Den Arbeitslosen, die so betroffen sind, muß unser aller Anteilnahme und unser aller Hilfsbereitschaft gelten.Aber es hat sich herumgesprochen, daß dennoch Mißbräuche vorkommen. Herr Ehrenberg und sein verehrter Herr Staatssekretär haben dies anläßlich einer Anfrage, die ich im Parlament vor ein paar Wochen einbrachte, noch bestritten; inzwischen spricht auch Herr Ehrenberg selbst von Mißbräuchen.Der Bundesrechnungshof hat vor einiger Zeit — Ende vergangenen Jahres — ein Gutachten vorgelegt, in dem er all die Erfahrungen zusammenfaßt, die er bei der Bundesanstalt gemacht hat. Er kam zu dem Ergebnis, daß man — seiner Meinung nach ohne Gesetzesänderungen — im Jahr anderthalb Milliarden Mark einsparen könne, wenn man nur mißbräuchlichen Anwendungen entgegentrete. Ob dies immer geht, muß noch geprüft werden. Meine Fraktion wird nachher einen Entschließungsantrag einbringen, in dem wir die Regierung auffordern, die Anregungen des Rechnungshofes zu überprüfen und uns hier dann wieder zu berichten.Einige Fälle aber scheinen mir doch sehr eklatant zu sein. So weist z. B. der Rechnungshof darauf hin, daß in 16 % der Fälle Arbeitslose, die wieder ein völlig normales Arbeitsverhältnis aufgenommen haben, das Arbeitsamt nicht informieren und ihr Arbeitslosengeld weiter beziehen. Zugegeben, irgendwann später wird man das Geld wiederholen wollen, aber zunächst einmal ist es ein Liquiditätsverlust für den Bund, und nicht alles wird wiedergeholt.Doch damit nicht genug: Der Bundesbeauftragte für Datenschutz war der Meinung, die Prüfung solcher Vorgänge verstoße gegen den Datenschutz. Die Bundesanstalt hat seine Argumente übernommen, und nun läßt man es bei dem Mißstand.
— Ich finde, lieber Manfred Carstens, das ist tatsächlich ein starkes Stück. Der Arbeitsminister wäre gut beraten, wenn er hier für Klarheit sorgen würde.
In diesem Gutachten ist auch die Rede davon, daß die Bediensteten der Arbeitsverwaltung angehalten worden seien, recht großzügig Leistungen zu gewähren, ohne Unterlagen zu verlangen. Man hat ihnen auch versichert, es werde nicht nachgeprüft. Dies ist eine Mentalität, die beim Umgang mit öffentlichen Geldern nicht in Ordnung ist.Auch der Zumutbarkeitserlaß sollte einmal wieder überprüft werden. Ich bin der Meinung, es muß möglich sein, auch dann einmal einen Arbeitsplatz anzunehmen, wenn er nicht so nah und gut bezahlt ist wie der alte, auch wenn er vielleicht nicht ganz so den Berufungen des einzelnen entsprechend ausgestattet ist. Auch hier fehlt Führung von seiten des Arbeitsministers.Aber es wird auch notwendig sein, in die Leistungsgesetze einzugreifen. Wir überlassen es der Bundesregierung, wo sie ansetzen will. Ich möchte hier nur ein paar Fälle ansprechen. Ich denke z. B. an die sogenannten Kindergeldarbeitslosen. Herr Buschfort, darüber wird in Ihrem Haus nachgedacht, und wenn Sie ehrlich sind, werden wahrscheinlich auch Vorschläge dazu kommen. Damit sind jene Schüler und Studenten gemeint, die sich nach Abschluß ihrer Ausbildung arbeitslos melden, damit die Eltern das Kindergeld weiter bekommen. Ich denke auch an jene 59jährigen, die oft gegen ihren Willen vom Arbeitgeber zur Arbeitslosigkeit verurteilt werden, weil ein Jahr Arbeitslosigkeit Voraussetzung dafür ist, daß man hinterher vorgezogene Rente bekommt.
Ich denke an all die Fälle, wo Arbeitslosigkeit nötig ist, um Ausfallzeiten in der Rentenversicherung zu bekommen oder um sonst irgendwo Anwartschaften zu erwerben. Sie hatten eine Kommission eingesetzt, bei der, wie üblich, nichts herauskam. Herr Ehrenberg kommt nicht darum herum, mit eigenen Vorschlägen zu kommen; das muß er schon selber tun.
All dies sind nur Symptome eines Übels, dessen Wurzeln tiefer gehen. Das eigentliche Übel dieser Si-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2367
Dr. Friedmanntuation besteht darin, daß wir zu viele Arbeitslose haben.
— Richtig, danke für den Hinweis. Wer Arbeitslosen helfen will, der muß eine Wirtschaftspolitik betreiben, die zu mehr Arbeitsplätzen führt.
Es ist für mich sehr interessant, was man aus Kreisen der Bevölkerung da zugeschickt bekommt. Ich habe hier eine Wahlkampfanzeige der SPD aus dem Jahre 1972. Da stand z. B. folgendes:
Jeder Deutsche soll wissen, was das bedeuten würde: eine halbe Million Arbeitslose,
nämlich Existenzangst, Radikalismus. Dazu darf es nie kommen. Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiterregieren!
Sie haben eine halbe Million Arbeitslose als Schreckgespenst an die Wand gemalt, und wir hatten damals nicht einmal eine halbe Million Arbeitslose, weil Sie auf unserer Arbeit aufbauen konnten. Jetzt haben wir viel, viel mehr, und das soll jetzt plötzlich normal sein. Wir sind es gewohnt, daß der Herr Minister und der Herr Bundeskanzler aufs Ausland verweisen. Aber was hilft es den Frierenden, wenn man sagt: In Grönland ist es noch kälter?
Hier tut es not, Wirtschaftswachstum zu haben. Wir können Wirtschaftswachstum erzielen, wenn sich die Regierung, die Koalition nicht dort im Wege stehen, wo etwas zu machen ist. Wir können Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze schaffen, wenn wir bei der Kernenergie, bei der Wohnungswirtschaft und bei der Kommunikationstechnik vorankommen.
Das sind drei Wachstumsgebiete, bei denen Sie in Gottes Namen von Ihren Bedenken herunterkommen und vorankommen müssen.Lassen Sie mich noch rasch auf ein drittes Gebiet hinweisen, da meine Redezeit bald um ist. Zum Kompetenzbereich von Herrn Ehrenberg gehört auch das Krankenversicherungswesen. Wir haben zwar das Kostendämpfungsgesetz; aber seit mindestens zwei Jahren galoppieren die Kosten im Gesundheitswesen davon, trotz Kostendämpfungsgesetz, trotz Konzertierter Aktion. Die Frage ist: warum? Ich möchte Ihnen das gerne sagen:
nicht nur wegen der steigenden Kosten für denZahnersatz oder für Heil- und Hilfsmittel, sondernvor allem wegen der stationären Behandlung im Krankenhauswesen.
Seit 1965 sind die Kosten auf diesem Gebiet um 21 Milliarden DM gestiegen. Und Herr Buschfort, wenn Sie sagen, wir hätten das im Bundesrat verhindert: Mit der Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz haben Sie sich zwar Kompetenzen zugemutet, aber eine Lösung war darin ebensowenig wie in Ihrer neuen Novelle zu erkennen.Mit dem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner produzieren Sie einen Zickzackkurs, der unsere Bürger nur verunsichert. Zuerst belasten Sie unsere Krankenkassen mit 32 Milliarden DM, indem Sie den Beitrag der Rentenversicherung zur Krankenversicherung von 17 auf 11,7 % senken. Seit dem 21. Rentenanpassungsgesetz diskutieren Sie die Frage, ob an die Rentner ab dem nächsten Jahr ein individualisierter Beitrag gezahlt werden soll. Jetzt, im Rentenanpassungsbericht 1982, sagen Sie mit Blick auf 1983: Nein, der Beitrag soll pauschaliert werden. Gleichzeitig kündigen Sie an, daß ab 1985 wieder eine neue Regelung kommt, und zwar direkte Krankenversicherungsbeiträge. So kompliziert wären die Sachen gar nicht, wenn Sie sie nicht so handhaben würden.Ich muß Ihnen sagen: Mit diesem Haushalt hat die Regierung ein Musterstück an unsolider Finanzpolitik aufgezeigt.
So darf das nicht weitergehen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat vorgestern darauf hingewiesen, daß das, was bei Herrn Ehrenberg passiert sei, mit einer seriösen Haushaltspolitik nichts mehr zu tun habe.
Wir schließen uns dieser Kritik an; sie ist auch die unsrige.
Wir sind der Meinung, daß hier nicht korrekt gearbeitet wurde, daß Parlament und Öffentlichkeit hintergangen wurden. Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie gestatten mir vorweg eine persönliche Bemerkung — Herr Friedmann, Sie werden mir sogar zustimmen —: Es ist wirklich schade, daß der Herr Wittgenstein nicht mehr Mitglied dieses Hauses ist. Der hatte Sachverstand, mit dem konnte man debattieren.
— Ich habe Ihnen ja versprochen, daß ich diese Grußadresse anbringen würde. Ich bedaure es wirklich, daß der Herr Wittgenstein nicht mehr hier ist; denn mit ihm konnte man wirklich sachgerecht de-
Metadaten/Kopzeile:
2368 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Grobeckerbattieren. Wenn man sich anhört, was Sie sagen, so kann man nur feststellen: Herr Friedmann, ein Friedmann werden Sie nie. Darauf können Sie sich verlassen.
Wenn man einmal der Reihe nach durchgeht, was Herr Friedmann gesagt hat, so kommt man zu folgendem Ergebnis.
Da ist zunächst diese Arie gewesen, daß der Finanzminister und der Arbeitsminister den Haushalt nicht rechtzeitig und nicht in sachgerechter Weise vorgelegt hätten. Das alles haben wir jetzt schon zwei Tage lang gehört.
Weil das so ist und weil Sie nicht darauf verzichten können, das immer wieder vorzutragen, weil Sie den Eindruck erwecken wollen, wir hätten geschummelt, muß man darauf auch immer wieder eingehen, egal wie oft. So häufig, wie das behauptet wird, so häufig muß das zurückgewiesen werden.Herr Friedmann, noch einmal: Für die Haushalte aller öffentlichen Hände, Gebietskörperschaften gilt, daß sie von demselben ökonomischen Datenkranz ausgehen müssen, von denselben Daten, den Daten aller Institute, und daß alle die im Gesetz beschriebenen Notwendigkeiten berücksichtigt werden müssen. Das hatten wir vor zwei Tagen schon einmal. Im Dezember, als uns der Etat vorgelegt worden ist, sind all diese Daten vom Finanzplanungsrat, aus all den Gutachten, aus all dem, was vorlag, zugrunde gelegt worden.Der zweite Punkt. In dem 39köpfigen Verwaltungsrat der Bundesanstalt, der diese Haushaltsaufstellung vornehmen muß, ist die Bundesregierung mit fünf Mandaten vertreten. Auch die übrige öffentliche Hand ist vertreten, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber. Dieser Verwaltungsrat stellt den Haushalt auf. Er hatte im Dezember einen Haushalt aufgestellt, wie er sich beim Zuschußbedarf im Einzelplan 11 widerspiegelt. Das können Sie doch nicht leugnen.Klar ist, daß im Verlauf der letzten Monate, seit wir den Jahreswirtschaftsbericht Ende Januar vorgelegt bekommen haben, Daten korrigiert werden mußten.
— Richtig, Jahr für Jahr.
Es gibt kein Haushaltsjahr, in dem nicht — ich muß mich wiederholen, weil sonst der Eindruck entsteht, als sei hier doch geschummelt worden — diese gesetzlichen Verpflichtungen korrigiert wurden. Jahr für Jahr ist das so: bei der Kriegsopferversorgung,beim Zuschußbedarf in Nürnberg, beim Mutterschaftsgeld. Diese gesetzlichen Ansätze müssen korrigiert werden, bevor man in die zweite und dritte Lesung geht.Nun noch einmal zum Arbeitsmarkt. Herr Friedmann, Sie haben hier, von uns mit Beifall bedacht, in aller Ruhe und vorsichtig dargestellt: Man darf nicht immer nur über Mißbräuche reden, weil dann ein falscher Eindruck entsteht. Da haben wir alle geklatscht. Anschließend haben Sie aber doch wieder damit angefangen und haben aufgezählt: aber diese, aber jene. Hören Sie auf mit dieser Mißbrauchshysterie! Laßt uns daran arbeiten, daß wir das Gesetz ändern, und beraten, auf welche Weise wir es verändern müssen, damit nicht tatsächlich der Eindruck entsteht, als seien die Arbeitslosen allesamt Faulenzer. Das geht nicht. Bitte halten Sie sich daran. Sie haben das hier ganz vernünftig gemacht, aber dann haben Sie doch wieder eine Aufzählung begonnen.Man kann natürlich auch zu anderen Ergebnissen kommen, z. B. was das Kurzarbeitergeld angeht.
Dann müssen wir darüber reden, wie die Unternehmer damit umgehen. Das geht so nicht.Sie haben auch die 59er Regelung angesprochen. Wir wollen auf dieses Instrument nicht verzichten. Nur: Wie soll das in Zukunft finanziert werden? Darüber müssen wir reden. Da, finde ich, darf sich der Unternehmensbereich nicht ausruhen. Da müssen die etwas mehr zulegen.
Es gibt eine ganze Reihe von Tatbeständen — ich sage nicht: von Mißbrauchstatbeständen —, die das Gesetz zuläßt und die wir neu regeln müssen.Sie wissen so gut wie ich, daß der Arbeitsminister bis jetzt der einzige war, der in seinem Haus angefangen hat, darüber nachzudenken und ein Gesetz vorzulegen. Die Haushälter haben — Sie waren daran beteiligt — ja schon ziemlich frühzeitig gewisse Vorschläge vorgelegt, die nach unserer Auffassung verwirklicht werden müssen. Der Arbeitsminister ist dabei.Ich finde schon, daß wir im Herbst darüber reden müssen. Dabei muß natürlich die Aufgabenstellung ganz generell — nicht nur beim AFG, sondern ganz generell in der sozialen Sicherung — überprüft werden. Wir müssen sehen, welche Leistungen, die vor 10 oder 20 Jahren hier beschlossen wurden und richtig waren, heute überflüssig, nicht mehr notwendig sind.Dennoch muß, ganz generell gesehen, die Diskussion in der Sozialpolitik — und da gibt es außer uns beiden noch sehr viel kompetente Leute — über die Arbeitslosigkeit und die mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Finanzfragen neu aufgegriffen werden.Ich finde nicht, daß wir es so laufen lassen können, daß genau die Betriebe, die Unternehmen, die durch Rationalisierung am meisten — auf Neuhochdeutsch gesagt — „freigesetzt" haben, überhaupt nicht mehr an der Finanzierung der Bundesanstalt für Arbeit und der Aufgaben, die diese Bundesan-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2369
Grobeckerstalt zu erfüllen hat, beteiligt sind. Ich finde schon, daß es notwendig wäre, auch in Richtung auf den Herbst und die großen Debatten, die wir dann werden führen müssen, darüber nachzudenken, ob wir das eigentlich so lassen können.
Nun haben wir in diesem Haushalt nicht nur die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit, sondern wir haben ja auch noch ein paar andere Ansätze. Herr Friedmann hat sich der Kostendämpfung zugewandt. Ihr Herr Geißler, der Generalsekretär der CDU — so nennt sich das bei Ihnen —, hat im Januar 1976
— in der klassischen Arbeiterpartei heißt das inzwischen „Geschäftsführer"; ich bedaure auch, daß es bei uns nicht „Sekretär" heißt, das ist wahr —
eine Prognose zur Ausgabenentwicklung der Krankenversicherung vorgelegt. Ich will ihm nicht verbieten, so etwas zu tun, ich will ihn nur daran messen. Dabei kommt er bei seinen — wie er sich ausgedrückt hat — vorsichtigen Schätzungen für das Jahr 1980 zu einer Gesamtausgabe der Krankenkassen von 109 Milliarden DM. Wir sind sehr froh, daß wir das korrigieren können, denn Tatsache ist, daß nur 86 Milliarden DM ausgegeben worden sind
— ja, im Verhältnis zu dem, was Herr Geißler prognostiziert hat; ich finde das schon ganz gut — und daß die Krankenversicherungsbeiträge jetzt mehr als drei Jahre stabil geblieben sind; das hat es noch nicht gegeben.
Nun bedeutet das nicht etwa, daß nun nichts mehr gemacht werden kann, im Gegenteil. Ich finde es auch gut — wir begrüßen das ausdrücklich —, daß es eine Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes geben wird. Wir werden noch darüber reden.Ich gebe gern zu, daß wir den Forschungsansatz im Einzelplan 11, Herr Minister, etwas gerupft haben, aber er ist nicht so gerupft worden, daß Sie in diesem Bereich nicht wirklich auch noch weitermachen könnten, was die Untersuchungen angeht, insbesondere — ich ermuntere Sie dazu — über den Verbrauch und die Produktion von Arzneimitteln. Ich bin ziemlich sicher, daß wir irgendwann da ran müssen. Nach meiner Einschätzung ist es so: Wenn Sie die Hälfte der Medikamente ins Meer kippen würden, dann wäre das schlecht für die Fische, aber gut für die Menschen. Da müßten wir vielleicht doch rangehen, da ist allerhand einzusparen. Ich ermuntere Sie, in diesem Bereich voranzugehen.
Wir haben — Herr Friedmann, es ist völlig klar, daß Sie das verschweigen — trotz der Haushaltsknappheit zum erstenmal in diesen Etat einen neuen Ansatz eingestellt. Das ist deshalb so sensationell, weil es das ja sonst nirgends gibt. Wir haben dem Arbeitsminister einen Ansatz gegeben, der ihn in die Lage versetzt, im Bereich der Krebsbekämpfung, der Krebsbehandlung mit Modellvorhaben voranzugehen, in diesem Bereich etwas zu entwikkeln. Es gibt sonst im ganzen Bundeshaushalt keinen neuen Ansatz, hier gibt es jedoch einen, nicht sehr üppig ausgestattet, aber er ist so ausgelegt, daß man etwas damit anfangen kann.Aber ich will auch, Herr Bundesminister, ein Wort zu Ihren Partnern sagen, die an diesem neuen Modellvorhaben Krebsbekämpfung mitwirken: Dies wird keine neue Gemeinschaftsfinanzierung.
Dies ist ein Modellvorhaben, das über einige Jahre läuft und dann wieder aus dem Bundeshaushalt verschwinden muß. Nicht daß das da wieder losgeht mit einer Gemeinschaftsaufgabe, die nun zu einer Daueraufgabe wird! Das ist nicht so.Das gleiche will ich auch zu einem zweiten Punkt sagen. Wir haben den Ausländeransatz etwas erhöht, ihn etwas besser ausgestattet, weil wir der Auffassung waren, daß die Anstrengungen der Bundesanstalt für Arbeit, ausländische Jugendliche umzuschulen und auszubilden, im Sande verlaufen, wenn man nicht dafür sorgt, daß die ausländischen Jugendlichen vorher Deutsch lernen, bevor sie in die berufliche Schulung gehen. Wir haben diesen Ansatz deshalb bescheiden erhöht. Auch hier gilt, daß dies nicht zu einer generellen Aufgabe des Bundes werden darf, Herr Bundesarbeitsminister; die Länder müssen sich daran beteiligen. Wir werden nicht durchgehen lassen, daß in diesem Bereich eine neue Aufgabe des Bundes entsteht. Die Länder müssen sich beteiligen. Letztlich haben wir dafür gesorgt, daß diese Kurse für ausländische Jugendliche verstärkt durchgeführt werden können.Alles in allem, Herr Friedmann, kommt man zu dem Ergebnis: Trotz des von uns nicht so geliebten Volumens des Einzelplans 11 ist dieser Einzelplan — das können Sie als Berichterstatter mindestens so gut beurteilen wie ich —, jedenfalls was seinen verfügbaren Teil angeht, so ausgequetscht worden, so eng geschneidert worden, daß man nicht davon ausgehen kann, daß der Bundesarbeitsminister, was diesen Teil angeht, üppig leben kann, im Gegenteil.Wir werden ganz sicherlich diesen Sommer dazu benutzen, zu überlegen, was im Bereich der gesetzlichen Verpflichtungen getan werden kann. Es gibt dazu einen Katalog von Möglichkeiten. Ich will darauf verzichten, ihn hier aufzublättern. So viel ist jedoch sicher: Es sind nicht nur Arbeitnehmer, die das Arbeitsförderungsgesetz mißbräuchlich benutzen, es gibt auch auf der anderen Seite genug. Nur dürfen wir keine Mißbrauchshysterie anfangen. Sonst müßten wir beide, Herr Friedmann — womit ich sehr einverstanden wäre —, vielleicht einmal gemeinschaftlich eine Kampagne in Richtung auf Steuerhinterziehung anfangen. Das wäre vielleicht
Metadaten/Kopzeile:
2370 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Grobeckerfür die veröffentlichte Meinung in Deutschland nicht schlecht.
Was diesen Etat angeht — er ist sehr eng geschneidert —, kann der Bundesarbeitsminister in dem verfügbaren Teil wenig Sprünge machen. Es ist gut, daß eben auch der Bundesarbeitsminister und — geben Sie das bitte auch der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg weiter — die Anstalt wissen müssen, daß das Geld knapp ist und daß sie keine Sprüngen machen dürfen. Wir haben auch dort mit globalen Minderausgaben gearbeitet. Dieses Instrument war in Nürnberg bisher nicht üblich. Ich denke, daß wir, wenn wir uns im Herbst hier wiedersehen, auch darüber urteilen können, ob das gut gelaufen ist oder nicht. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem schwergewichtigen Titel des Haushalts muß, wenn man sorgfältig argumentiert und wenn man Kritik übt, die Kritik eigentlich in zwei Richtungen gehen: nicht allein an das Ministerium, sondern auch — ich sage das mal ganz deutlich — an das Parlament; an das Parlament deswegen, weil das, was wir jetzt beklagen, nämlich die Ausgabenhöhe und die mangelnde Deckungsfähigkeit der Ausgaben, durch dieses Parlament von allen Fraktionen mit verursacht worden ist.
Wir haben — um es einmal deutlich zu machen — in der Vergangenheit in der Regel Gesetze gemacht, die sich auf ein Wachstum bezogen haben,
ein Wachstum des Bruttosozialprodukts und entsprechenden Einnahmen des Staates von 2 bis 4 %. Was wir heute erleben, ist ein durchschnittliches Wachstum von höchstens 1/2 bis 1 % für die nächsten Jahre. Es ist klar, daß wir auf diese Art und Weise eine Einnahme-Unterdeckung in das Gesetz hineinkonstruiert haben.Die Gesetze wurden zum Teil unter der stillschweigenden Voraussetzung gemacht, daß sich das Prinzip der Solidargemeinschaft nicht mehr halten kann, daß heißt, daß sich die Kassen nicht mehr selber finanzieren. Es wurde eingeplant, daß der Haushalt einspringt. Durch solche Gesetze wurde der Bundeshaushalt immer stärker in Mitleidenschaft gezogen. Das ist, wie gesagt, ein Problem, das alle Parteien angeht. Ich möchte gerade die Damen und Herren der Opposition an den CDU-Parteitag 1965 in Kiel erinnern. Damals hat Gerstenmaier die Frage nach der Finanzierbarkeit des Sozialstaates gestellt. Die Antwort, die damals gekommen ist, hat gestern auch der Bundeskanzler gegeben, nämlich: Sozialpolitik kann nur so weit gemacht werden, wie sie finanzierbar ist. Nach diesem Grundsatz müssen wir zur heutigen Zeit verfahren.
Es geht uns — um das abschließend zu sagen — nicht darum, das soziale Netz abzuschaffen.
Ich möchte es mit eigenen Worten sagen: Es geht uns darum, es etwas tiefer zu hängen, so daß alle Leistungen, die dieses Gesetz bietet und die vernünftig sind, weiter gezahlt werden können, daß das finanzierbar bleibt. Wie wir das machen wollen? Ich hoffe, da sind vernünftige Vorschläge in der Zukunft zu erwarten. Das ist der eine Teil der Kritik.Nun der andere Teil der Kritik: Es ist zuzugestehen, Herr Minister, daß Sie sich redlich bemühen, Zahlen für eine solide Voraussage der Leistungen heranzuschaffen, die nach dem Gesetz erbracht werden müssen. Aber bei der Höhe der Ausgaben ist an manchen Stellen Kritik anzusetzen. Der Bundesrechnungshof hat in einem Gutachten — Sie haben das im Haushaltsausschuß sehr tief gehängt — meines Erachtens nicht richtig gewürdigt, sehr gute Vorschläge gemacht. Auch aus den Reihen der Sozialpolitiker sind Vorschläge gekommen. Wenn es einem Kollegen aus meiner Partei, Herrn Hölscher, möglich ist, im Bereich der ABM in einem Arbeitsmarktbezirk so viele Mißstände aufzuzeigen, wie in der Liste, die Ihnen zugesandt worden ist, drinstehen, dann stimmt etwas nicht bei der Verwaltung; dann müßten Sie die Aufsicht über die Arbeitsämter etwas besser wahrnehmen.
Es handelt sich konkret — für alle Damen und Herren, die es interessiert — um eine Liste darüber, wie auf besonders drastische Weise mit ABM-Mitteln Entlastungen der Haushalte von öffentlichen Verwaltungen und gemeinnützigen Verbänden stattgefunden haben — und das in einem einzigen Arbeitsmarktbezirk.Das, meine Damen und Herren, zu den allgemeinen Kritikpunkten. Nun zu einigen wenigen anderen Stichpunkten.Wir haben in dem Haushalt eine Übergangslösung dafür gefunden, daß der Betreuungsverband für Zivildienstleistende aufgelöst worden ist, die Zivildienstleistenden aber noch weiter betreut werden müssen, und zwar dadurch, daß wir im Bundesamt für Zivildienst einen entsprechenden Titel derart aufgestockt haben, daß in diesem Jahr 34 Aushilfskräfte eingestellt werden können. Das war allerdings deswegen notwendig — das muß man deutlich sagen —, weil es Herr Iven versäumt hat, in Kenntnis der bevorstehenden Auflösung seines Verbandes ausreichend und frühzeitig Verhandlungen mit gemeinnützigen Trägern aufzunehmen, damit die zu Betreuenden auch woanders untergebracht werden konnten.
Wir werden darauf achten, daß es nach einem Jahr wirklich so weit gekommen sein wird, daß die Aufgabe auf andere Träger überführt worden ist.Der zweite Kritikpunkt: Es gibt Konflikte zwischen dem Staat und den Verbänden, die die Einführungslehrgänge für Zivildienstleistende durchfüh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2371
Dr. Zumpfortren. Der Konflikt besteht einmal darin, daß der Staat in der Regel teurere Lehrgänge macht als die Privaten. Der Konflikt besteht zum anderen darin, daß der Staat — in diesem Fall wieder das Ministerium und Herr Iven — trotzdem noch versucht, einen Großteil der Einführungslehrgänge von den Privaten wegzuziehen und sie vom Staat durchführen zu lassen.
Es gibt ein sogenanntes interfraktionelles Modell Typ C, wonach das staatliche Element bei den Einführungslehrgängen zwar verstärkt, die Lehrgänge selber aber vor allem von freien Trägern durchgeführt werden sollen. Mein Eindruck ist — das ist bei den Beratungen herausgekommen —, daß sowohl Herr Iven als auch das Ministerium nur den ersten Teil der Vereinbarungen unterstützen, aber nicht den zweiten Teil. Wir wenden uns entschieden dagegen.
Wir haben deswegen in dem entsprechenden Titel des Haushalts 5 Millionen DM des Gesamtansatzes von 20 Millionen DM gesperrt, und wir hoffen, daß die Entsperrung deswegen stattfinden kann, weil hier eine Veränderung des Handelns eingetreten ist.Ein nächster und letzter Punkt — und das geht insbesondere an die Adresse der Opposition — ist die Position des Ausländerbeauftragten. Wir sollten — das gilt insbesondere für Sie, Herr Friedmann — dieses Amt nicht durch ominöse Zahlen in Zeitungsinterviews in Mißkredit bringen. Das ist sowohl der Person des Ausländerbeauftragten, Frau Funcke, als auch der Aufgabe nicht angemessen.Daß alle Parteien diese Aufgabe hochschätzen, sieht man daran, daß wir interfraktionell geschlossen dafür gestimmt haben, den Titel für die Sprachlehrgänge für ausländische Kinder zu erhöhen. Das zeigt der Öffentlichkeit, welche Bedeutung wir dem Problem der ausländischen Arbeitnehmer und dem dafür geschaffenen Amt des Ausländerbeauftragten zumessen. So sollte es auch in Zukunft sein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Debatte dieses Haushalts darf ich noch einige Gedanken und kritische Anmerkungen beitragen.In der Sozialpolitik klaffen bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinander. Die SPD hat, als sie 1969 antrat, den Eindruck erweckt, erst jetzt werde das soziale Zeitalter beginnen. Und was ist nun, 12 Jahre danach? Die Rücklagen der Sozialversicherungsträger sind verbraucht. Ebbe in allen Kassen. Die finanziellen Belastungen haben zugenommen. Die Grenze der Belastbarkeit bei Steuern und Sozialabgaben ist erreicht. Das Fundament unserer sozialen Sicherheit ist durch jahrelange Millionenarbeitslosigkeit erschüttert.Vor einem Jahr haben Sie in Essen verkündet, Vollbeschäftigung bleibe das Ziel Nummer eins. Zu unser aller Schaden sind wir heute von diesem Ziel weiter entfernt als noch vor einem Jahr.Und dann geben Sie den Hinweis: Seht ihr denn die Weltprobleme nicht? Doch, wir sehen sie. Wir sehen auch, daß es in den Industriestaaten insgesamt 25 Millionen Arbeitslose und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft 7,5 Millionen Arbeitslose gibt. Wir sehen aber auch, daß es bei uns sieben Jahre lang eine Zahl von Arbeitslosen um die Millionengrenze gibt.
Was wir nicht zulassen dürfen, ist, daß Sie sich mit dem Hinweis auf die Weltsituation aus Ihrer Verantwortung stehlen. Sie sind für die Politik der Bundesrepublik Deutschland mit verantwortlich. Und deshalb sind Sie hier zu fassen.
Dabei war die Ausgangslage für die SPD/FDPKoalition 1969 ausgesprochen günstig. Die CDU/ CSU hatte doch das soziale Netz, ein wirklich solides soziales Netz geschafffen: bruttolohnbezogene dynamische Rente, Mutterschutz, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung, Sozialhilfe, Arbeitsförderungsgesetz — ein Werk noch aus der großen Koalition —; die Kassen waren voll, Wirtschaft und Preise waren stabil. Man hat doch nicht grundlos von einem „Juliusturm" und einem „Sabelturm" gesprochen.Und wie sieht es denn heute aus? Das Erbe ist vertan: Die Reform-Euphorie ist abgeklungen. Größer geworden sind in der Bevölkerung die Zweifel an der Stabilität des sozialen Netzes.Und die Zweifel in der Bevölkerung müssen wachsen, da in den vergangenen Tagen und Wochen aus dem Regierungslager sehr widersprüchliche Stellungnahmen gekommen sind. Der Herr Finanzminister und der Herr Wirtschaftsminister sprechen von „Wildwuchs", der gekappt werden muß. Der Herr Bundesarbeitsminister verkündet am Bildschirm: Einschnitte in das soziale Netz wird es nicht geben.Sind diese Einschnitte nicht schon erfolgt? Die verkürzten Rentenanpassungen der letzten drei Jahre, die Einengung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer, die Verteuerung des Arbeitsweges für Pendler, die auf das Kraftfahrzeug angewiesen sind. Glaubt man denn, die Bevölkerung merkt das nicht und spürt das nicht?Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie müssen es doch am allerersten gemerkt haben. Der SPD-Ortsverband Grafenhausen, Kreis Waldshut, hat seine Beitragszahlungen an die Partei mit der Feststellung eingestellt: „Die Bundesregierung hat seit ihrer Wiederwahl 1980 überwiegend Maßnahmen beschlossen, die gerade sozial schwächere Bevölkerungskreise belasten." Was wird sich da in Ihren Reihen erst vollziehen, wenn diese Re-
Metadaten/Kopzeile:
2372 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Höpfingergierung im Spätherbst dieses Jahres die Karten offenlegen muß!Und der Regierungssprecher, Herr Rühl, sagte am 20. Mai, das Kabinett habe den Bestrebungen politischen Vorrang gegeben, die sozialen Ausgaben auf den eigentlichen Zweck zu beschneiden. Damit gesteht die Regierung doch ein, daß sie bisher öffentliche Gelder zwecklos ausgegeben hat.
Das allein wäre schon ein Grund, sie unverzüglich zu entlassen.
Doch der Regierungssprecher bekommt den Zorn der Genossen zu spüren. Der Herr Kollege Lutz erklärt, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sei nur noch zum Heulen: der Regierungssprecher Rühl verkünde „Gewäsch, bei dem einem normalen Bundesbürger der Kaffee hochkommen" müsse.Frage: Wer hat denn nun eigentlich recht: der SPD-Sozialpolitiker Egon Lutz oder der Regierungssprecher der SPD/FDP-Bundesregierung? Ich hoffe, daß der Herr Bundeskanzler seinen Regierungssprecher in Schutz genommen hat. Denn was soll der arme Mann verkünden, wenn die Politik dieser Regierung so und kein Jota besser ist?
Worum es geht, Herr Bundesminister? Es geht nicht an, daß Sie vorneweg marschieren und lauthals die Parole des unantastbaren sozialen Netzes verkünden und hinter Ihnen Ihre Kabinettskollegen schon an der Arbeit sind, jeden Tag neuen „Wildwuchs" entdecken und Pläne schmieden, wie die Maschen des sozialen Netzes aufgelöst oder enger gezogen werden können. Um die Wahrhaftigkeit geht es.Mitunter wird das Ansteigen des Sozialetats als besondere Leistung herausgestellt. Es stimmt, daß der Haushalt des Bundesministers für Arbeit kräftig gestiegen ist. Doch dies ist noch kein Beweis dafür, daß die soziale Ordnung besser, gerechter oder leistungsfähiger geworden wäre.Im Gegenteil: Die Ausgaben zur Finanzierung sozialer Schäden haben diesen Haushalt vom Dezember 1980 bis zum Juni 1981 anwachsen lassen.
Mehr als ein Fünftel dieses Haushalts, nämlich 101/2 Milliarden DM, ist notwendig allein als Zuschuß an die Bundesanstalt und für die Arbeitslosenhilfe.
Das ist die Tatsache. Es gibt also keine zusätzlichen oder besseren sozialen Leistungen. Die Tatsache, daß seit 1975 mehr als 50 Milliarden DM für Arbeitslosengeld und weitere 12 Milliarden DM für Arbeitslosenhilfe ausgegeben werden mußten, kennzeichnet nicht die Größe sozialer Taten, sondern die Folgewirkungen einer verfehlten Wirtschafts- und vor allem Energiepolitik.Auf Grund dieser Daten richtet sich die Kritik sehr häufig an die Bundesanstalt für Arbeit. — Wo Kritik angebracht werden muß, da ist sie auch vorzubringen. — Doch vor einem müssen wir uns hüten: Wir dürfen den Blick nicht verengen und die Kritik nicht nur an einen Adressaten richten. Die Wirtschaftsdaten sagen doch alles aus: reales Wachstum: minus 1,5 %; reale Investitionen: minus 4 %; Zahlungsbilanz: minus 30 Milliarden DM; Gewinne: 0,5%. Und nach den Tagesnachrichten des Wirtschaftsministeriums vom 2. Juni sieht die Situation nicht wesentlich günstiger aus. Ich frage mich daher, woher der Finanzminister den Mut genommen hat, eine Rede zu halten, die den Eindruck erweckt hat, als sei in unserem Lande alles in Ordnung, und dann noch Vergleiche anstellt, die gar nicht stimmen. — August Bebel soll einmal gesagt haben: „Wo es keine Gewinne gibt, rauchen keine Schlote." Für unsere Zeit heißt das: Wo nicht genügend investiert werden kann, gibt es keine Arbeitsplätze.
Dabei besteht die sozialste Tat einer Regierung darin, eine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu gestalten, die es jedem, der arbeiten kann und arbeiten will, ermöglicht, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Denn vom Erfolg eigener Arbeit seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können, macht den Menschen unabhängiger und freier.
Es gehört zur traurigen Bilanz dieser Regierung, daß die Arbeitslosigkeit zum Dauerproblem geworden ist. Hier denke ich besonders an unsere junge Generation, vor allem an die Zunahme der Arbeitslosigkeit unter den Zwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen. Der Schritt der Jugendlichen ins Leben darf kein Schritt ins Leere werden. Und was die Behinderten angeht: Wenn das Jahr der Behinderten einen Sinn hat, dann den, daß wir angestoßen werden, die Probleme dieser Menschen zu sehen, gerade auch im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz.
Es hat sich eine verallgemeinernde Drückeberger- und Mißbrauchsdiskussion eingeschlichen. Es wird versucht, den Arbeitslosen auch noch die Schuld zuzuweisen. Gegen eine solche Verallgemeinerung wehren wir uns und tun dies für diejenigen, die sich selber nicht wehren können. Wer hätte angesichts des Umstandes, daß die Arbeitslosenquote im April 1981 in Passau 9,5 %, in Kempten aber nur 3,1 % beträgt, die Dreistigkeit, zu behaupten, daß die Bevölkerung in Passau weniger arbeitswillig ist als die in Kempten? In einigen Städten des Ruhrgebiets liegt die Arbeitslosenquote viermal so hoch wie in Arbeitsamtsbezirken in Baden-Württemberg. Will jemand ernsthaft behaupten, die Ursache dafür sei, daß die Arbeitnehmer im Ruhrgebiet arbeitsunwilliger sind als die Kollegen im Schwabenland? Allein diese Gegenüberstellungen zeigen, daß man dem Problem und dem betroffenen Personenkreis mit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2373
HöpfingerVerunglimpfungen und Negativurteilen nicht gerecht wird.
Dem Problem wird man mehr gerecht, wenn man bereit ist, die regionalen Schwierigkeiten zu sehen und entsprechend zu werten und zu berücksichtigen, sowie ferner dadurch, daß man die Situation der Personengruppen, die von Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind, sack- und personengerecht beurteilt und in eine aktive Arbeitsmarktpolitik einbezieht.In diesem Zusammenhang darf ich die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ansprechen. Positiv ist hervorzuheben, daß auf Grund der Gesamtzahl der durchgeführten Maßnahmen etwa 20 % Dauerarbeitsplätze geschaffen worden sind. Daß es mißbräuchliche Inanspruchnahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt, sei nicht verschwiegen; dies muß zu einer schärferen Handhabung führen. In diesem Zusammenhang ist an den Bundesarbeitsminister die Frage zu richten: Wie steht es mit der Anwendung der Durchführungsanordnung?
Wann haben Sie diese das letzte Mal angewandt? Wann haben Sie in dieser Sache nachgefragt? Übertriebene Kritik an den Kommunen zu üben, halte ich für fehl am Platze. Denn viele Städte und Gemeinden haben sich zu vorgezogenen, nicht unbedingt notwendigen Investitionen entschlossen, um den Arbeitsämtern entgegenzukommen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu ermöglichen.Die Fragen der Rentenversicherung sind bereits angesprochen worden. Ich möchte noch einmal sagen: Diese Verschiebung der 3,5 Milliarden DM war einfach ein Skandal und muß wirklich zur Besorgnis Anlaß geben.Herr Bundesminister, es war auch kein schöner Beitrag zum 100jährigen Bestehen der deutschen Sozialversicherung. Vor 100 Jahren, am 17. November 1881, hat Bismarck im Reichstag die kaiserliche Botschaft verkündet, mit der die Sozialgesetzgebung eingeleitet wurde. Aus diesem Anlaß hat das Bundesarbeitsministerium einen Erinnerungskalender herausgegeben, der in seiner Einseitigkeit und Parteilichkeit einen Hohn auf die Sozialgeschichte in Deutschland darstellt.
Man kann dem bayerischen Kultusminister Dr. Hans Maier nur Dank dafür sagen, daß er sein Ministerium angewiesen hat, diesen Kalender in Bayerns Schulzimmern nicht anbringen zu lassen.
Wenn der Herr Kollege Sieler in einem Brief an das bayerische Kultusministerium schreibt, schließlich könne es nicht der Geschichte angelastet werden, daß sich gerade die Sozialdemokraten der Nöte der Arbeiter angenommen hätten, dann muß man hervorheben, daß in dieser Behauptung eine Geschichtsverdrehung liegt. Niemand bestreitet die Verdienste Ihrer Partei. Es wäre ebenfalls eine Unterlassung, z. B. das Erfurter Programm der Sozialisten zu verschweigen, das — wie das Rundschreiben „Rerum novarum" von Papst Leo XIII. über die Arbeiterfrage — vor 90 Jahren verkündet wurde.Wir wehren uns aber dagegen, daß in einer vom Steuerzahler finanzierten schriftlichen Darstellung aus dem Hause des Bundesarbeitsministeriums der Beitrag der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik sowie die Sozialarbeit der Zentrumsabgeordneten im Deutschen Reichstag und die soziale Aufbauarbeit unter Konrad Adenauer totgeschwiegen werden.
Drei kurze Beispiele. Es waren die Abgeordneten der Zentrumspartei, die 1877 im Reichstag — damit war die Zentrumspartei die erste von allen Parteien — den Antrag auf Erlaß von Arbeiterschutzgesetzen eingebracht haben.Im Jahre 1890 hatte Kaiser Wilhelm II. zu einer Weltarbeiterschutzkonferenz nach Berlin eingeladen. Der Kaiser bat den Zentrumsabgeordneten Franz Hitze um maßgebliche Mitarbeit und fügte in seinem Schreiben an Franz Hitze hinzu: „Wenn Sie es nicht tun, ein anderer kann es nicht."
Das sollten sich die Sozialdemokraten einmal ins Stammbuch schreiben.Ein drittes Beispiel. Ende 1977 fand eine Jubiläumsfeier zum 50jährigen Bestehen der Arbeitslosenversicherung und damit der Gründung des Vorgängers der heutigen Bundesanstalt für Arbeit statt. Damals erinnerte man sich wenigstens noch kurz an den Priester und Zentrumsabgeordneten Heinrich Brauns, in dessen Amtszeit als Reichsarbeitsminister von 1920 bis 1928 Arbeitsrecht, Arbeitsschutz und Sozialversicherung wesentlich weiterentwickelt und ausgebaut wurden.Im Jubiläumskalender 1981 aus dem Hause Ehrenbergs, der mit Steuermitteln finanziert ist, findet sich kein Wort darüber.
Wenn es sich nur um einen Jahreskalender handelte, brauchte man sich darüber nicht aufzuregen. Ein solcher Kalender vergeht mit Zeitablauf. Doch dieser Kalender spiegelt den Geist und die politische Ausrichtung Ihres Hauses wider.
Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Aufrichtigkeit gegenüber der Geschichte gehören zur Glaubwürdigkeit.Herr Bundesminister, Sie haben Gerechtigkeit gegenüber jedermann geschworen. Sorgen Sie dafür, daß man in Ihrem Hause der Geschichte der sozialen Entwicklung in unserem Lande Gerechtigkeit widerfahren läßt. Die geplante Festveranstaltung „100 Jahre Sozialversicherung" gibt Ihnen die Möglichkeit dazu.
Metadaten/Kopzeile:
2374 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
HöpfingerWenn schon ein Kalender aus Ihrem Hause in seiner geistigen Ausrichtung abzulehnen ist, um wieviel mehr ist dann erst die geistige Ausrichtung dieser Politik und damit auch der Haushalt Ihres Ministeriums abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese freundliche Begrüßung von der Opposition, die nicht dadurch origineller wird, daß sie sich wiederholt, macht mich gleich munter. Ich möchte gern mit dem Kollegen Höpfinger über ein paar Bemerkungen , die er gemacht hat, streiten. Ich will seinen historischen Ausflug nicht in jeder Reminiszens nachvollziehen, obwohl es reizvoll wäre, darauf hinzuweisen, warum Sozialdemokraten am Ausgang des vorigen Jahrhunderts nicht im Reichstag ihren Beitrag leisten konnten. Sie saßen im Gefängnis, und waren von der politischen Mitwirkung abgeschnitten. Es wäre reizvoll, hier auch dies einmal in aller Breite bei der Aufrechnung von historischen Verdiensten zu diskutieren.
Wir haben in dieser Woche schon den insgesamt untauglichen Versuch erlebt, wirklich über den Etat 1981 zu reden, und auch dies heute ist mehr eine — würde ich mal sagen — Vorberatung für die anstehenden Etatberatungen 1982.Ein paar Bemerkungen zu dem also, was hier der Kollege Höpfinger so anklagend in Richtung der Koalitionsfraktionen und da an die Mauer der Regierung gesagt hat. Er hat gefragt, wie es zu dieser Mißbrauchsdiskussion kommen könne, was unter dem Gesichtspunkt Wildwuchs passieren werde.
Ich habe hier am Anfang dieser Woche Ihrem Eröffnungsredner, Herrn Riedl — das war die Premiere —, zugehört. Und ich würde sagen: Da fängt die Diskussion bei Ihnen doch wohl erst an. Da sind hier große Tiraden über Mitnehmereffekte gehalten worden. Da ist über die „sozialen Hängematte" geredet worden.
Da ist so ein Mann, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Bloß müßte man das dann in der eigenen Fraktion anfangen.Zwei oder drei Dinge können doch wohl nicht so ganz zusammenpassen — und das ist für mich interessant —: Die einen sagen — das hat hier unter anderem der Herr Kiep vertreten —: Nehmt den Staat raus.Der Herr Höpfinger sagt: Laßt die soziale Gerechtigkeit nicht ins Wanken geraten. — Dies beides ist schon schwer zu vereinbaren.Und wenn ich in Ihre Anträge zur dritten Lesung gucke, dann finde ich einen sehr konkreten Antrag zu den Fragen der Bundesanstalt für Arbeit. Da steht unter c) ein so merkwürdiges Gebilde wie:spätestens zusammen mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes 1982 ein Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die vom Bundesrechnungshof angeregte Straffung der Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld durchgeführt wird.
— Natürlich können Sie das.
Aber was heißt denn das im Klartext aus Ihrer Sicht? Das hätte ich gerne in dieser Debatte gehört — wenn das zusammenpassen soll, was hier von unterschiedlichen Rednern gesagt worden ist.
Da ist die Opposition mit einer schlüssigen Antwort noch nicht da. Das werfe ich ihr nicht vor, weil wir tatsächlich in einer Situation sind, wo die unterschiedlichen Meinungen über die gegenwärtige Lage ausgetragen werden müssen.Ihre Sorge darüber, wie die Koalition mit dem Problem fertig werde, verstehe ich nicht so ganz. Ich nehme hier einmal ein Wort des Wirtschaftsministers auf, der gesagt hat, er sei ein Mann, der sage, wie er es sehe, aber er vertrage auch, daß andere sagen, wie sie es sehen. Auf diesem Hintergrund wird das eine sehr fruchtbare Diskussion.Ich leugne nicht, daß da eine ganze Menge zu diskutieren sein wird, auch angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb der Koalition. Es ist doch kein nationales Unglück, wenn man im Hinblick auf die Lösung schwieriger weltwirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Probleme erst einmal sagt, wie man das aus seiner Sicht sieht, und sich dann fähig zum Kompromiß zeigt. Dies ist doch überhaupt kein Unglück.
Lassen Sie mich nun ein paar Bemerkungen zu diesem Bundeshaushalt 1981 machen. Ich meine, wir haben hier ein Einverständnis darüber — obwohl das unterschiedlich zur Kenntnis genommen wird —, daß dieser Bundeshaushalt von den Auswirkungen der weltweiten krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklung betroffen ist. Davon sind ausnahmslos alle Industrieländer erfaßt. Das Verschieben der Lösung der Probleme hilft nicht, aber zunächst einmal muß man es sich ins Bewußtsein bringen. Daß eben ausnahmslos alle Industrieländer davon erfaßt sind, sollte uns in der Diskussion der Probleme etwas weniger hysterisch machen. Es wäre
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2375
Egertschon ein Gewinn, wenn wir uns über diesen Befund einvernehmlich verständigen könnten.
Dieser Tatbestand geht auch in die Gestaltung des Sozialhaushalts ein, und das ist eine Sache, die auch nicht weiter verwunderlich ist. Das findet sich dann in den Zahlen wieder, etwa im Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit. Das kann auch niemanden überraschen.Hier ist gesagt worden, der Arbeitsminister habe manipuliert. Nun bin ich kein Prophet und der Bundesarbeitsminister auch nicht. Die wirtschaftlichen Vorausschätzungen haben von Halbjahr zu Halbjahr nichts getaugt. Daß daraufhin Korrekturen notwendig sind, ist auch kein ungewöhnlicher Vorgang. Mit Manipulation hat das wirklich nichts zu tun.Ernster ist für mich die Frage, wie wir gemeinsam dem Versuch widerstehen — ich halte ihn für einen unredlichen Versuch —, die Wirtschaftskrise in eine Krise des Sozialstaats umzudeuten. Nicht der Sozialstaat — und auch darin steckt eine feinsinnige Dialektik — hat die Wirtschaft strapaziert, sondern die Wirtschaft strapaziert auch den Sozialstaat.
Es ist nicht die Finanzierungslücke in den öffentlichen Haushalten, die die Rezession schafft, sondern die Rezession hat neue Finanzierungslücken geschaffen. Die sozialen Kosten, die diese Gesellschaft verursacht, sind gewachsen. Die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft als Voraussetzung, die finanziellen Mittel für den Ausgleich der Schäden bereitstellen zu können, ist gesunken.In den letzten Tagen ist hier viel von Krankheiten der Gesellschaft gesprochen worden. Man hat diese Krankheit — und ich nehme da noch den vornehmsten Begriff — mit dem Wort Sozialleistungsgesellschaft kennzeichnen wollen. Tatsächlich ist das aber doch wohl eine Krankheit, die auch mit dem zu tun hat, was man beschönigend Leistungsgesellschaft nennt. In dieser Leistungsgesellschaft werden offenbar allzu viele Leistungsfähige und Leistungswillige nicht gebraucht, weil die Selbstheilungskräfte des Marktes versagen, weil der Markt ohne aktive staatliche Politik die strukturellen Wandlungen der Weltwirtschaft nicht verkraftet. Nicht die Ansprüche der Menschen allein sind gewachsen, sondern das, was man gerne Markt nennt, wird seinen hohen Ansprüchen nicht immer gerecht. Seine begrenzte Leistungsfähigkeit, sinnbildlich verkörpert in den Arbeitslosen, führt dazu, daß Leistungsansprüche vor die Türen der Sozialpolitik gekehrt werden. Wir wehren uns dagegen, daß man die Opfer für die Schäden haftbar machen will, daß man der Sozialpolitik die ungelösten Probleme der Wirtschaftspolitik serviert und dann noch zusätzlich verlangt, daß sie die Schuld dafür übernimmt und die Folgelasten durch Kürzungen auf dem Buckel der Betroffenen beseitigt.
Wir Sozialdemokraten wehren uns auch gegen den Versuch, den Sozialstaat gerade in dem Augenblick ins Gerede zu bringen, wo sich seine Notwendigkeit zwingender denn je erweist. Ist es nicht absurd, gerade in dem Augenblick von der Kürzung des Arbeitslosengeldes zu reden, wo die Arbeitslosenzahl von 1,2 Millionen
deutlich dokumentiert, daß der Markt nicht über die Zauberkräfte verfügt, um uns Vollbeschäftigung und immerwährenden Wohlstand zu garantieren? Gibt es einen unpassenderen Augenblick für die Forderung, der Staat solle sich aus der Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung zurückziehen, als die heutige Situation, in der mehr als eine Million Menschen die Grenzen der Marktwirtschaft am eigenen Leibe verspüren?Herr Friedmann, ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie die Unvollkommenheit, die sich in dem Ergebnis ausdrückt, die Vollbeschäftigung sichern zu wollen, hier mit dem Verlesen des Flugblattes höhnen wollen. Ich habe für diese Geschmacklosigkeit kein Verständnis.
Wer jetzt den sozialstaatlichen Konsens aufkündigen will, der spielt tatsächlich mit dem Feuer, auch mit dem inneren sozialen Frieden. Gerade unter ökonomisch schwierigen Rahmenbedingungen muß sich der Sozialstaat, der eine verfassungsrechtliche Garantie hat, wehren.
Es muß sich zeigen, daß in unserer Gesellschaft Rücksicht auf die Schwachen genommen wird und daß nicht das Ellbogenprinzip regiert.
Das Prinzip der Solidarität, das auch Christdemokraten und Freie Demokraten aus der geschichtlichen Tradition und der Programmatik der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie zu entlehnen versucht haben, hat seinen Ausdruck darin gefunden, daß wir in den letzten Jahrzehnten schrittweise die Lebens- und Einkommenbedingungen der sozial Schwachen im Verhältnis zu den Leistungsfähigeren und Privilegierten verbessert haben.
Herr Abgeordneter Egert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Metadaten/Kopzeile:
2376 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Nein, ich möchte gerne meine Ausführungen im Zusammenhang machen.
— Das können Sie mir hinterher geben, Herr Kollege Franke.Wie kann man, ohne den Begriff der Solidarität aufzugeben, verlangen, daß jetzt, wo es in der Wirtschaft schwieriger wird, in erster Linie die sozial Schwachen Verschlechterungen hinzunehmen haben? Wie ist es zu vertreten, daß Solidarität jetzt heißen soll, daß nicht mehr die Stärkeren für die Schwächeren eintreten sollen, sondern die Schwächeren für die Stärkeren?Sozialpolitiker sind keine Phantasten. Wir wissen, daß Sozialpolitik in einen ökonomischen Rahmen eingebettet ist. Allerdings verstehen wir Sozialpolitik auch nicht als ein Abfallprodukt der Wirtschafts- und Finanzpolitik,
für das in guten Zeiten viel, in schlechten Zeiten eben wenig oder gar nichts übrigbleibt. Das Verhältnis der Sozialpolitik zu ihren ökonomischen Rahmenbedingungen ist komplizierter. Die Ökonomie liefert uns nicht nur — je nach Kassenlage — die Finanzierung, sondern auch die Probleme, mit denen sich die Sozialpolitik auseinandersetzen muß. Deshalb müssen wir aus sozialpolitischer und vor allem aus sozialdemokratischer Sicht verlangen, daß die Probleme nach Möglichkeit auch dort gelöst werden, wo sie entstehen, d. h. im ökonomischen Bereich.Im Zusammenhang mit dem Einzelplan 11 heißt das: Wir können nicht zulassen, daß uns eine rein buchhalterisch konzipierte Rotstiftpolitik noch tiefer in die Wirtschaftskrise hineinführt und zusätzlich soziale und finanzielle Probleme erzeugt, im Vergleich mit denen die heutigen harmlos erscheinen.Wir haben bereits vor einem halben Jahr darauf hingewiesen, daß nach unserer Meinung ein unabweisbarer beschäftigungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Die Bundesregierung hat mit dem 6,3Milliarden-Kreditprogramm, das über die Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt wird, einen richtigen Schritt getan. Diesem Schritt müssen weitere und energischere Maßnahmen zur Wiedergewinnung und Sicherung der Vollbeschäftigung folgen.
Die Sozialpolitiker sind auch nicht so uneinsichtig, daß sie die schwierige Haushaltssituation des Bundes verkennen würden. Zwar sind wir der Meinung, daß es durchaus in die Landschaft paßt, daß der Bund in diesem Jahr durch Übernahme des Defizits der Bundesanstalt für Arbeit die Konjunktur in erheblichem Umfange stützt; aber wir verschließen uns auch nicht der Einsicht, daß allein mit Hilfe des traditionellen Instruments der Staatsverschuldung die vorwiegend strukturell bedingten Wirtschaftsprobleme nicht zu lösen sind. Daß das deficit spending seine haushaltspolitischen Grenzen hat, daß es nur für eine begrenzte Zeit und nicht auf Dauer anwendbar ist und daß es in der speziellen außenwirtschaftlichen Konstellation, in der wir uns befinden, zahlreiche Hemmnisse — wie z. B. die Zahlungsbilanzprobleme und das astronomisch hohe internationale Zinsniveau — gibt,
dies alles ändert nichts daran, daß gehandelt werden muß, daß sich der Staat nicht aus der Verantwortung zurückziehen darf, daß wir uns nicht in der Illusion wiegen dürfen, der Markt werden schon alles regeln.Eine Sparpolitik à la Brüning ist keine Lösung; sie würde nur eine weitere dramatische Verschlechterung der Lage mit sich bringen. Wir sollten einen 50 Jahre alten Irrtum nicht wiederholen.Einsparungen, soweit sie notwendig werden, müssen auch die sozial Stärkeren in die Pflicht nehmen; sie dürfen die bestehenden strukturellen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft nicht einseitig zu Lasten der sozial Schwachen weiter verschärfen. Die Folgelasten der weltwirtschaftlichen Krise müssen solidarisch verteilt werden.Ich räume ein, daß es im System der sozialen Sicherung, das sich über Jahrzehnte hinweg mehr oder minder ohne planvolle Gesamtkonzeption historisch entwickelt hat — hier ist an Kaiser Wilhelm erinnert worden —, ganz zweifellos an vielen Stellen Mißbrauch und nicht mehr gerechtfertigte Vergünstigungen gibt. Es wäre aber eine törichte Verzeichnung des Bildes, wenn man Mißstände und Wildwuchs einzig und allein im sozialen Sicherungssystem ausmachen wollte. Diese Erscheinungen gibt es überall. Um das zu beweisen, genügen wenige Stichworte, die zugleich in eine viel größere finanzielle Dimension führen: Subventionen, Steuerhinterziehung, ungerechtfertigte steuerliche Privilegien oder — um auch dieses Stichwort zu nennen — die EG-Agrarpolitik.
Es gehört schon zu den Merkwürdigkeiten der Diskussion in der veröffentlichten Meinung, mit welch verzerrter Optik sich die Kritik allein auf den Bereich der Sozialleistungen konzentriert. Warum stößt sich denn unser Gerechtigkeitsgefühl zwar an einem Arbeitslosen, der nicht sofort den ersten besten Arbeitsplatz nimmt, der ihm schlechtere Arbeitsbedingungen, geringere Bezahlung und längere Fahrwege einbringt, aber nicht daran, daß es Unternehmern in dieser Gesellschaft möglich ist, Veräußerungsgewinne in Millionen- oder Milliardenhöhe völlig steuerfrei zu kassieren?
Warum regt man sich über den Rentner auf, der nach Jahrzehnten arbeitsreichen und nicht gerade luxuriösen Lebens im Alter genausoviel Geld wie sein noch im Erwerbsleben stehender Kollege hat, statt sich z. B. über die Selbstbedienung der pharma-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2377
Egertzeutischen Industrie oder der Zahnärzte zu Lastender gesetzlichen Krankenversicherung zu erregen?
Warum empört man sich über den Saisonarbeiter, der in der Nebensaison Arbeitslosengeld bezieht, um später wieder zu seinem alten Arbeitgeber zurückzukehren, aber nicht wegen des Mißbrauchs des Kurzarbeitergeldes, der Lohnkostenzuschüsse und der Renten für 60jährige Arbeitslose durch die Unternehmer?
Warum sind die paar Mark unberechtigt bezogene Sozialhilfe Gegenstand der öffentlichen Diskussion und der Sensationspresse, und warum diskutiert niemand darüber, daß dem Fiskus riesenhafte Steuerausfälle entstehen, weil Selbständige einen Teil ihres privaten Konsums als Betriebsausgaben absetzen können?
Da sieht man die Proportionen dieser Diskussion. Das heißt nicht, daß alles das, was ich auf der einen Seite genannt habe, nun so fort gehen soll. Entscheidend ist, daß wir gemeinsam zu den richtigen Proportionen kommen. Dazu wollen wir beitragen.Schließlich waren wir die ersten,
die öffentlich darauf hingewiesen haben, daß unser soziales Sicherungssystem Ungerechtigkeiten, ungerechtfertigte Doppelvergünstigung und Privilegierung enthält
und das es dringend einer umfassenden, wenn auch schrittweisen Gesamtreform bedarf.Die haushaltspolitischen Notwendigkeiten werden die Diskussion dieses Themas beschleunigen und einen heilsamen Zwang, zur Lösung zu kommen, ausüben.
Dabei kann ich mir nicht vorstellen, daß es meine Partei bei einem phantasielosen Herumwerkeln und einem primitiven Kahlschlag belassen wird. Soziale Leistungen müssen überprüft werden, nicht um den sozialen Ausgleich einzuschränken und den Sozialstaat abzubauen, sondern um ihn insgesamt zu verbessern und gerechter auszugestalten.
Wenn die innere soziale Gerechtigkeit ausgebaut werden soll, dann gehört dazu, die Überversorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes, die krasse Ungleicheit der Altersversorgung zwischen den Beamten und den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft, die unvertretbar großzügige Subventionierung der landwirtschaftlichen Sozialpolitik durch den Bundeshaushalt kritisch unter die Lupe zu nehmen. Aber all dies kann nur ein Thema im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sein, die am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität orientiert ist. Diese Themen werden uns in Kürze beschäftigen.Es bleibt zu hoffen, daß die mutigen Sparer keine Angst vor der eigenen Courage bekommen, wenn es um Beamte, Landwirte und Unternehmerinteressen geht. Man darf gespannt sein, wie sich die Mißbrauchsbekämpfer, die Wildwuchsjäger verhalten werden. Bisher durfte man Heinrich Heine zitieren: „Ich kenn' die Weise, ich kenn' den Text, ich kenn' auch die Verfasser. Ich weiß, sie trinken heimlich Sekt und predigen öffentlich Wasser." Noch besteht die Chance, diesem Eindruck entgegenzuwirken. — Ich bedanke mich auch für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, Herr Präsident, zunächst einmal einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Höpfinger machen. Sie wissen, Herr Kollege Höpfinger, daß ich Sie als einen ungewöhnlich Redlichen und jemanden, der sich sehr bemüht, der Wahrheit gerecht zu werden, schätze und kenne.
Aber, Herr Kollege Höpfinger, Sie haben hier wie auch viele Ihrer Vorredner versucht, den Eindruck zu erwecken, als wenn sich die sozialliberale Koalition aus der nun einmal zugegebenermaßen nicht erfreulichen, sondern schwierigen Situation herauszuargumentieren versucht, indem sie auf internationale Vergleiche hinweist. Sie stehen da nicht allein, sondern wir hören das immer wieder. Ich meine, gerade Sie, da Sie sich um Redlichkeit bemühen, sollten feststellen, daß wir die deutsche Wirtschaft und die sich aus der wirtschaftlichen Situation ergebenden Schwierigkeiten nicht losgelöst von internationalen Zusammenhängen und Märkten betrachten und sehen dürfen.Ein Land, das seinen Wohlstand im wesentlichen der Tatsache verdankt, daß es annähernd 27 % all dessen, was es erwirtschaftet, auf ausländischen Märkten abzusetzen hat, ein Land ohne Rohstoffe, wenn Sie so wollen, ein armes Land, in dem gut verdient wird, kann sich aus diesen internationalen Zusammenhängen und damit auch internationalen Vergleichen nicht einfach herauslösen. Die Redlichkeit gebietet es, daß auch diese Maßstäbe angelegt werden.
Das bedeutet nicht, daß wir, die sozialliberale Koalition, nicht auch einen Teil der Verantwortung für dieSituation zu übernehmen hätten, und wir überneh-
Metadaten/Kopzeile:
2378 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Cronenbergmen sie auch. Das bedeutet auch nicht, daß wir nicht selbstkritisch eigene Positionen zu überprüfen haben. Aber, Herr Kollege Höpfinger, wenn Sie den Haushalt hauptsächlich, mindestens, was die Zeit anbelangt, ablehnen, weil Ihnen der Geist eines Kalenders nicht paßt, dann eröffnet das keine Möglichkeit, die Sache wirksam anzufassen. Bei aller möglicherweise gerechtfertigten Kritik an einem Kalender, den ich nicht kenne, sollten Sie das jedoch nicht zum Hauptanlaß nehmen, den Etat abzulehnen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Feststellungen treffen. Wir erleben in dieser Haushaltsdebatte eine außerordentlich kontroverse Auseinandersetzung. Wenn man sich jedoch die Diskussionsbeiträge ganz genau anhört, kommt man recht betrachtet zu dem Ergebnis, daß zumindest im analytischen Teil sehr viel Gemeinsamkeit besteht. Ich kann beim besten Willen keine sehr großen Unterschiede zwischen der CDU/CSU, der SPD und meiner Fraktion feststellen, was die Analyse unserer Situation anbelangt.
— Das ist eindeutig. — Der eine beklagt ein wenig mehr, der andere klagt ein wenig weniger, und alle zusammen sind sich völlig einig, daß die Ausgaben zu hoch seien und weitere Mehrschulden möglichst nicht gemacht werden sollten.
Das nimmt der eine oder andere auch zur Veranlassung, ein wenig mehr anzuklagen.Bei soviel Einsicht und bei so vielen, wie mir scheint, vernünftigen Appellen von allen Seiten des Hauses an alle Seiten sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Haushalt 1981 fast Mitte des Jahres verabschiedet wird und Änderungen in diesem Haushalt natürlich nicht das Ergebnis dieser Debatte sein können — denn wer etwas ändern will, muß Gesetze, muß, in diesem Zusammenhang, wohl auch Leistungsgesetze ändern —; können Kürzungen redlicherweise nur für den Etat 1982, sicher nicht für den Etat 1981 verlangt werden.Ich begrüße es außerordentlich, daß eigentlich von allen Rednern, egal, ob von denjenigen, die in dem allgemeinen Teil der Debatte, oder von denjenigen, die zur Wirtschaftspolitik gesprochen haben, der Zusammenhang zwischen der Misere des Bundeshaushaltes und den Schwierigkeiten in den Sozialversicherungshaushalten deutlich aufgezeigt worden ist. Unbestritten ist ja wohl, auch daß man die Finanzen des Bundeshaushaltes nicht insoliert betrachten kann, und unbestritten ist, daß die Abflüsse, die in die Sozialversicherungshaushalte gehen, den Bundeshaushalt ungewöhnlich belasten. Die roten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit — über 8 Milliarden DM —, die ja nun oft genug beklagt worden sind, sind j a Beweis für diesen Zuschußbedarf. Wir alle wissen, daß der Bund voll haftender Bürger für dieses Unternehmen ist. Die Defizithaftung für die Knappschaft im Jahre 1981 mit 9 Milliarden DM sind ebenso zu erwähnen wie die Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung von 20 Milliarden DM und die 4 Milliarden DM, die die agrarsoziale Sicherung aus der Bundeskasse abruft.Diese Beispiele zeigen eben, wie stark der Haushalt allein durch den Bereich der sozialen Sicherheit belastet wird. Er wird mit Risiken belastet, die zum Teil kalkulierbar, zum Teil aber auch unkalkulierbar sind.Bei allem Respekt vor Ihren seherischen Fähigkeiten, Herr Kollege Friedmann: Das ist so nicht voraussehbar und kalkulierbar. Der Haushalt ist eben mit gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Risiken belastet.
Zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte zahlen die Bürger Steuern, und für die Sozialversicherungshaushalte zahlen sie Beiträge.In diesem Zusammenhang muß man wissen, daß die Sozialabgabenquote gestiegen ist, und zwar in einem Umfang, der für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ein ernstes Problem ist. Das muß man ansprechen. Ich muß den Kollegen Egert in diesem Zusammenhang auch noch einmal darauf aufmerksam machen, das bei allem Verständnis für den Ruf nach Solidarität derjenigen, die in Not geraten sind — das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen —, diese Solidarität nicht mit der Verschlechterung unserer Wettbewerbsfähigkeit erkauft werden darf; denn entscheidend ist, daß wir mehr Arbeitsplätze schaffen, Herr Kollege Egert. Deswegen ist es unendlich wichtig, dafür zu sorgen, daß mehr Arbeitslose Arbeit bekommen und damit weniger Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird. Das ist aber nur dadurch zu erreichen, daß unsere Wirtschaft in die Lage versetzt wird, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten zu erhalten bzw. zu verstärken und vorhandene Mißbräuche abzubauen.
Meine Damen und Herren, es ist ganz deutlich zu machen, daß sich die Sozialabgabenquote von 1965 bis 1980 von ungefähr 10 % auf ca. 15 % erhöht hat. Es ist auch nicht zu leugnen, daß sich die Sozialleistungsquote unseres Bruttosozialprodukts von 1960 bis 1980 von 20 % auf 30 % entwickelt hat.Wenn man untersucht, wieso dies so ist, dann muß man dabei sehr wohl beachten, daß ein Teil darauf zurückzuführen ist, daß es zwischen den Volksparteien einen ungeheuren Wettlauf gegeben hat, kostentreibende Aktionen im Sinne sozialer Leistungen zu versprechen und auch durchzusetzen.
Wenn man hier von Verantwortungszuweisung spricht, darf insbesondere die Mitte des Hauses, Herr Kollege Blüm, nicht ausgenommen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2379
Cronenberg— Aber selbstverständlich bemühen wir uns darum, Volkspartei zu sein. Das ist überhaupt nicht bestritten, Herr Kollege Friedmann.
Ich habe auch nicht die Absicht, mich hier mit einigen Polemiken aus der Verantwortung zu mogeln.Ich möchte nur auf folgendes hinweisen: Entscheidend ist, daß hier nicht der Eindruck erweckt werden kann, die sozialliberale Koalition habe sozusagen alleinverantwortlich diesen nunmehr offensichtlich von allen beklagten Zustand herbeigeführt. Ich muß Sie vielmehr darauf hinweisen, daß es eben die Glanzleistungen gemeinsamer Aktionen insbesondere in der Zeit der Großen Koalition gewesen sind, die uns heute Kummer machen. Man muß darauf hinweisen, daß die uneingeschränkte Bruttorente das Ergebnis solcher gemeinsamer Aktionen war; eine uneingeschränkte Bruttorente, die ohne Rücksicht auf Bevölkerungsaufbau, ohne Rücksicht auf Wirtschaftswachstum, ohne Rücksicht auf die Steuerentwicklung und ohne Rücksicht auf die Sozialabgabenentwicklung zugesagt wurde. Die Bruttoanpasssungsfetischisten sitzen ja heute noch in der Mitte des Hauses und nicht bei den Koalitionsfraktionen.
Deswegen ist es im Grunde genommen unerträglich, wenn wir in diesem Zusammenhang allein in die Haftung genommen werden. Wir sind bereit, unser Stück Verantwortung zu tragen.
— Wir müssen auf diesem Hintergrund, Herr Kollege Franke, die Feststellung treffen: Wenn hier von Sünden die Rede ist, dann haben wir diese Sünden alle gemeinsam verursacht. Wir sollten uns redlich bemühen, diese Sünden auch gemeinsam auszubügeln.
Die Summe der Soziallasten, die neben dem hohen Lohnniveau für die Probleme in bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verantwortlich sind, ist Veranlassung für uns, die strukturellen Haushaltsprobleme — und zwar, wie gesagt, nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch in den Sozialversicherungshaushalten — zu lösen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, ist Ihnen bekannt, daß zum Funktionieren der bruttolohnbezogenen Rente, die bis 1969 funktioniert hat, eine Vollbeschäftigung gehört und daß die Vollbeschäftigung durch die SPD/FDP-Regierung zerstört worden ist?
Hochverehrter Herr Kollege Franke, meine Achtung vor Ihrer Intelligenz veranlaßt mich, nunmehr vorsichtig zu antworten. Sie wissen doch ganz genau — ich habe das soeben schon ein paarmal zu verdeutlichen versucht —, daß unsere Position nicht losgelöst von der internationalen Situation zu sehen ist. Lieber Herr Kollege Franke, ich versichere Ihnen: Wenn Sie in dieser Zeit die Verantwortung getragen hätten, wären Sie sicher nicht frei von diesen internationalen Problemen gewesen. Die Erhöhung des Ölpreises durch die OPEC-Länder hätten auch Sie — bei allem Respekt vor Ihnen und Ihrer Fraktion — nicht aufhalten können. Seien Sie doch wenigstens so redlich, mogeln Sie sich nicht durch so billige Fragen und Polemiken aus der Mitverantwortung.
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie mir bestätigen, daß das Funktionieren der bruttolohnbezogenen Rente, wie es der Kollege Franke soeben dargelegt hat, nur dadurch möglich war, daß der damalige Minister Katzer die Beiträge von 14 % auf 18 % heraufsetzte und dadurch die Belastbarkeit der Arbeitnehmer und der Wirtschaft erheblich an die Grenze gebracht wurde, vor der wir heute stehen?
Sehr wahr! Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, daß die Minister Katzer und Strauß gemeinsam in ihrer Regierungszeit diese Erhöhung durchgeführt haben, und zwar mit dem Ergebnis, daß die Soziallastquote eben so gestiegen ist, wie ich das soeben dargelegt habe. Dies zu bestätigen fällt mir nicht schwer. Ich muß dies mit dem Unterton des Bedauerns sagen, denn genau dies ist ja ein Teil dessen, was uns heute als Problem beschäftigt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Franke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, ist Ihnen bekannt, daß — als Folge der beiden Weltkriege — die ungünstige Altersstruktur unserer Bevölkerung ein stufenweises Heraufsetzen der Beiträge der Solidargemeinschaft letztlich notwendig gemacht hat?
Sehr verehrter Herr Kollege Franke, natürlich ist mir auch dies bekannt, nur: Sie wissen ebenso wie ich, daß genau in der gleichen Zeit der Anteil der Bevölkerung, der in einem Beschäftigungsverhältnis stand, insbesondere wegen der stark wachsenden Anzahl von Frauen, gestiegen ist. Das konnte also nur scheinbar funktionieren.
Metadaten/Kopzeile:
2380 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
CronenbergHerr Kollege Franke, wir sind gelegentlich stolz darauf, daß wir uns in der Kontinuität der Argumentation befinden, egal in welcher Koalition wir uns befinden oder ob wir uns in der Oppositionsrolle befinden. Diese Warnungen — ich muß leider heute feststellen, daß sie berechtigt waren — sind Mitte der 50er oder Anfang der 60er Jahre von den Vertretern der FDP, die damals für die Freien Demokraten an diesem Pult gestanden haben, genauso deutlich — und bedauerlicherweise: richtig — hier ausgesprochen worden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf den Zusammenhang hinweisen, daß die Summe der Belastungen neben dem hohen Lohnniveau, was wir ja begrüßen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft bestimmt und daß diese Belastungen auch Mitursache für die Probleme unseres Leistungsbilanzdefizits sind. Wir müssen feststellen — deswegen müssen wir uns selbst auch in die Pflicht nehmen —, daß jede D-Mark mehr Schulden den Außenwert unserer D-Mark schwächt und daß deswegen jede Mark, die wir mehr an Schulden machen, natürlich den Einkauf des Rohstoffs 01 verteuert und unsere Probleme verstärkt.Wir leben zur Zeit — ich unterstreiche: zur Zeit — über unsere Verhältnisse. Das können wir uns eben nicht länger erlauben. Jeder, der die Höhe der Abgaben und Steuern und der Versicherungsbeiträge beklagt, muß doch wissen, daß von der Einnahmeseite her nicht allzuviel zu holen ist. Für uns Sozialpolitiker ist das besonders schwierig. Wir werden uns ganz besonders in die Pflicht genommen sehen, damit wir hier die Dinge in Ordnung bringen.Dies muß unter Berücksichtigung des sozialen Friedens geschehen, denn der soziale Friede muß in diesen schwierigen Zeiten erhalten werden. Natürlich hängt es auch von dem sozialen Frieden ab, ob wir die notwendigen Anpassungen bewältigen können. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch mit allem Ernst und mit aller Deutlichkeit sagen: Der schlechteste soziale Friede ist der soziale Friede, der auf Pump finanziert wird.
Deswegen werden wir uns bemühen, die Finanzierungen solide zu gestalten.Schmerzende Eingriffe werden erforderlich sein. Wir werden Mißbrauch und Wildwuchs bekämpfen, und Wildwuchs beschränken bedeutet eben auch Eingriffe in Leistungsgesetze vorzunehmen. Wir werden dies mit der notwendigen Solidarität durchführen. Sie können versichert sein, meine Damen und Herren, daß wir Freien Demokraten uns bemühen werden, in redlicher und offener Diskussion und mit viel gutem Willen zusammen mit unserem Koalitionspartner diese Probleme zu lösen. Ich hoffe, daß diese Arbeit nicht durch kleinkarierte Schuldzuweisungen oder ähnliche kleinkarierte Diskussionen belastet wird. Wir werden alle zusammen — und ich möchte hier zum Ausdruck bringen: hoffentlich mit Unterstützung der Opposition — den Versuch unternehmen, das zu tun, was unter den gegebenen Voraussetzungen notwendig ist. — Herzlichen Dank für Ihre Geduld — —
— Ich weigere mich nicht, ich will Ihre Zwischenfrage gern beantworten, wenn der Präsident es zuläßt. Ich überlasse die Entscheidung dem Herrn Präsidenten.
Noch sind Sie am Rednerpult und können ja oder nein sagen.
Bitte.
Verehrter Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, daß Sie — entgegen den gestrigen Verlautbarungen des Herrn Kanzlers, er brauche die Opposition zur Reparatur der gegenwärtigen Situation Gott sei Dank nicht — der Meinung sind, daß auch die Opposition dringend zur Mitarbeit bei der Regulierung unserer Staats- und Sozialfinanzen vonnöten ist?
Hochverehrter Herr Kollege, ich weiß nicht, was der Kanzler braucht und er wirklich über diese Fragen denkt. Aber ich versichere Ihnen, daß mir noch nie im Leben guter Rat und Unterstützung für eine gute Sache unangenehm gewesen ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Sprecher der Opposition in der gestrigen Generaldebatte, der Chef der Landesgruppe der CSU, Dr. Zimmermann, hat sich in dieser Debatte wiederholt auf den Art. 115 des Grundgesetzes bezogen. Um seinen Nachrednern das zu ersparen, sei mir hier erlaubt, darauf hinzuweisen, daß die Begrenzung des Art. 115 für die öffentliche Kreditfinanzierung dem Wortlaut nach ausdrücklich die Ausnahme „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" zuläßt.
Da dies dort ausdrücklich postuliert ist, müßte eigentlich auch die CSU-Landesgruppe — wie alle anderen — davon zu überzeugen sein, daß bei einer Arbeitslosenquote von 4,8 % im Mai sich im Jahre 1981 wohl niemand auf den Art. 115 beziehen kann. Ich glaube, das war für die weitere Diskussion notwendig.
— Doch, Herr Zimmermann hat das sehr stark getan, Kollege Friedmann! Wir dürfen j a wohl die Ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2381
Bundesminister Dr. Ehrenbergneraldebatte auch ein bißchen ernst nehmen, nicht nur die sozialpolitische.
Es gibt die Notwendigkeit, sehr viel sorgfältiger, als diese Normalbestimmung es vorsieht, die Maßstäbe für finanz- und sozialpolitisches Handeln zu suchen, Maßstäbe, die durch das Leistungsbilanzdefizit und durch das abnorm hohe Zinsgefälle noch zusätzlich kompliziert werden.Ich bitte doch die beiden heutigen Diskussionsredner der Opposition, den Kollegen Friedmann und den Kollegen Höpfinger, es sich mit Rückblicken in die Vergangenheit nicht so leicht zu machen oder gar zu sagen, daß wir uns aus der Verantwortung stehlen, wenn wir Vergleiche in Europa ziehen. Daß eine Volkswirtschaft, die mehr als ein Viertel ihres Sozialprodukts auf den Märkten der Welt absetzt, in hohem Maße von diesen Märkten abhängig ist, kann doch auch von der Opposition nicht bezweifelt werden und kann ihr nicht verborgen bleiben.
Der Kollege Franke hat in einem Zwischenruf gesagt, die Vollbeschäftigung sei durch die SPD/FDPKoalition zerstört worden. Ich bitte Sie, doch mal zu überlegen, ob vielleicht in England, das eine Arbeitslosigkeit wie im Jahr 1931 hat, Sozialdemokraten regieren.
Mit diesem Beispiel vor Augen werden sich die deutschen Arbeitnehmer bei der kommenden Wahl mit Recht davor schützen, daß eine konservative Regierung in der Bundesrepublik bestimmt, wo es langgeht.
Der Kollege Friedmann hat hier bemängelt, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihren Etat nicht zum 1. September 1980 vorgelegt hat.
Da die Bundesanstalt für Arbeit leider 1980 wie 1981 auf einen größeren Liquiditätszuschuß des Bundes angewiesen war, konnte sie vernünftigerweise ihren Haushalt nur parallel mit dem Bundeshaushalt vorlegen und nicht vorher. Darum gelten ja auch für den Bundeshaushalt und den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit die gleichen Daten. Aber es war bisher j a wohl immer guter parlamentarischer Brauch — das wird auch so bleiben —, daß in einem Bundestagswahljahr die Regierung den Haushalt nicht vor der Wahl, sondern nach der Wahl vorlegt. Ich denke nicht, daß Sie in Zukunft davon abweichen wollen.
Darum sollte man sich hier solche unnötige Polemiken sparen.Es ist kein Zweifel, daß sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert hat. Aber, Herr Kollege Friedmann, man verkennt ein wenig die Realitäten, wenn man das allein Fehleinschätzungen des Bundesarbeitsministers anlasten wollte. Die Annahmen, auf denen der Bundeshaushalt und der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit beruhen, stammen aus dem Steuerschätzerkreis von Anfang Dezember 1980. Dort ist nicht allein der Bund, sondern sind auch die Länderfinanzminister, aus einem Teil der Bundesländer also Ihre Parteifreunde, und die Bundesbank gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister vertreten. Dieser geballte Finanzsachverstand unserer Republik hat die Dinge damals so eingeschätzt. Selbst das von Ihnen zitierte Institut der Deutschen Wirtschaft kam erst zum Jahresbeginn und nicht schon im Dezember, als der Bundeshaushalt von der Regierung und der Haushalt der Bundesanstalt vom Verwaltungsrat in Nürnberg verabschiedet wurden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedmann?
Herr Minister, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß von dem nachträglichen Zuschuß, der an Nürnberg gezahlt werden mußte, also von den 4,2 Milliarden DM, nur der geringere Teil auf das höhere Arbeitslosengeld entfällt?
Nein, Sie täuschen sich. Sie müssen sich die Zahlen ansehen, Herr Kollege Friedmann. Von den 4,2 Milliarden DM entfallen 2,1 Milliarden DM auf Arbeitslosengeld und 700 Millionen DM auf Schlechtwettergeld. Beides zusammen ist konjunkturell und saisonal bedingt. Der Rest entfällt auf berufliche Bildung und Rehabilitationsmaßnahmen; auch diese beiden Bereiche sind im Zuge der schlechteren konjunkturellen Entwicklung ebenfalls angestiegen, gehören also indirekt ebenfalls dazu.
— Ich bitte Sie! 2,1 und 0,7 sind 2,8. 2,8 ist doch wohl mehr als die Hälfte von 4,2.
— Gut, Herr Kollege Friedmann. Wenn man vor der Zwischenfrage in den Etat guckt statt hinterher, dann weiß man, wie die Zahlen sind.
Diese konjunkturellen Mindereinnahmen und konjunkturellen Mehrausgaben werden durch den Nachtragshaushalt der Bundesanstalt abgedeckt. Wir haben dort von uns aus 525 Millionen DM Minderausgaben eingesetzt, nicht um die Zahl der Rehabilitationsfälle und der beruflichen Bildungsmaßnahmen zu beschränken, sondern weil wir davon
Metadaten/Kopzeile:
2382 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Dr. Ehrenbergüberzeugt sind, daß hier durch mehr Kostenbewußtsein bei der Prüfung der Anträge diese Beträge erwirtschaftet werden können. Ich habe am Montag mit den Landesarbeitsamtspräsidenten und der Selbstverwaltung der Bundesanstalt darüber gesprochen. Diese Aktion wirt dort jetzt so umgesetzt, wie wir es hier beschlossen haben.Ich glaube, die schwierige Wirtschaftsentwicklung zwingt uns zu noch höherer Sorgfalt im Umgang mit den Finanzen. Der Nachtragshaushalt der Bundesanstalt war unvermeidbar. Er ist Anlaß genug, die schwierige ökonomische und finanzpolitische Situation der Zukunft ganz sorgfältig zu prüfen. Aber er ist noch lange kein Grund, meine Damen und Herren von der Opposition, jetzt ein finanzpolitisches Chaos oder ähnliches auszurufen. Davon kann in dieser Republik keine Rede sein.
Die Bundesregierung hat mit dem strukturpolitischen Programm vom 8. April eine Reihe von Voraussetzungen geschaffen. Sowohl der Abgeordnete Zimmermann wie auch Herr Höpfinger, beide hätten sich, bevor sie über den Investitionsstau bei Kernkraftwerken und Breitbandkabelnetzen und ähnliches redeten, die Beschlüsse der Bundesregierung vom 8. April ansehen sollen; dann hätten sie mit gutem Gewissen nicht mehr so reden können, wie sie es getan haben.
Meine Damen und Herren, auch in dieser Finanzenge beschränkt sich der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit keineswegs auf die Finanzierung notwendiger Lohnersatzleistungen. Dort stehen nach wie vor und unverzichtbar die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Hilfe für besonders belastete Gruppen im Vordergrund. So bin ich auch den Kollegen aus dem Haushaltsausschuß besonders dankbar, daß sie trotz der großen Haushaltsenge bereit gewesen sind, den Titel für die Intensivsprachkurse für ausländische Jugendliche nochmals um 2,5 Millionen DM aufzustocken, weil hier ein ganz wesentlicher Teil der Verhinderung künftiger Arbeitsmarktprobleme geleistet wird. Wir reden nicht von der Integration ausländischer Jugendlicher; wir tun etwas dafür.
Und es ist selbstverständlich, daß wir nicht nur bei der Rehabilitation und der beruflichen Bildung die Kosten der Träger überprüfen werden, sondern daß insgesamt eine grundlegende Überprüfung einer Vielzahl von Leistungen und auch von aufgetretenen Mißbräuchen geboten ist. Lange bevor die Opposition das so hochgespielt hat, haben wir bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die hier Stück für Stück die einzelnen Positionen überprüft hat. Es ist auch in dieser Debatte schon angesprochen worden, daß es dort zwischen den Beteiligten auf den Bänken der Sozialpartner zu keiner Einigung gekommen ist. Wen kann das wundern? Wer konnte denn erwarten, daß beispielsweise einem Vorschlag, das Kurzarbeitergeld durch Umlage der Arbeitgeber zu finanzieren, die Arbeitgeberbank zustimmen würde? Und wer konnte erwarten, daß einem Vorschlag, das Arbeitslosengeld zu kürzen, die Arbeitnehmerbank zustimmen würde? Das konnte nicht Sinn dieser Kommission sein.
Die Kommission hat eine vorzügliche Arbeit geleistet, indem sie sämtliche Tatbestände aufgelistet und mit unterschiedlichen Voten der beiden beteiligten Bänke, aber auch der Bundesanstalt und der Regierung versehen hat. Und in den jeweiligen Entscheidungsgremien werden jetzt diese Arbeiten behandelt. Für die Bundesregierung ist das eine wertvolle Grundlage für ihre Arbeit. Wir wollten uns nicht unsere Arbeit von den Sozialpartnern abnehmen lassen. Aber ich hielt es für richtig und halte es nach wie vor für richtig, an einer solchen Vorarbeit die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit zu beteiligen, wie es hier geschehen ist.Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu dieser so groß gewordenen Mißbrauchsdiskussion. Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß, je besser Sozialleistungen sind, desto größer die Verlockung zum Mißbrauch ist. Aber es besteht ebenso kein Zweifel daran, daß hier nennenswerte finanzielle Größenordnungen nur in seltenen Fällen gefragt sind und daß es in erster Linie um die Sauberkeit des Umgangs mit Beitragsmitteln geht. Nennenswerte finanzielle Größenordnungen sind nur von zwei Tatbeständen zu erwarten, auf die ich allerdings bei der Vorbereitung des Gesetzes die größte Sorgfalt legen werde.Es ist zum einen der Tatbestand, daß immer mehr Unternehmer auch dort, wo die Auftragslage gut ist und der regionale Arbeitsmarkt keine Probleme aufweist, dazu übergehen, 59jährige mit Ablösungsverträgen aus dem Betrieb herauszudrängen und eine Verjüngungskur auf Kosten der Solidargemeinschaften zu machen.
Leider, leider hat die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände sogar eine schriftliche Anleitung für diesen sozialpolitischen Mißbrauch herausgegeben. Das ist in der Tat durch nichts zu rechtfertigen.
— Ich glaube nicht, Herr Kollege Urbaniak, daß die BDA als gemeinnützig anerkannt ist.Der zweite Punkt. Es kommt immer häufiger vor, daß in einzelnen Betrieben in der Betriebsabteilung I Kurzarbeitergeld beantragt wird und in der Betriebsabteilung II Überstunden gefahren werden. Auch diesen Punkt werden wir in Zukunft durch Saldierung auf der betrieblichen Ebene so einschränken, wie es arbeitsmarktpolitisch notwendig ist.Natürlich gibt es auch eine Vielzahl von kleineren anderen Fällen. Hier ist in der Debatte immer wieder die Zumutbarkeit einer Arbeit angesprochen worden. Da würde ich den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bevor sie über Zumutbarkeit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2383
Bundesminister Dr. Ehrenbergsprechen, doch sehr herzlich empfehlen, einen Blick in das Arbeitsförderungsgesetz zu werfen. In § 103 AFG heißt es, daß eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar ist, weil — u. a. —der Beschäftigungsort vom Wohnort des Arbeitslosen weiter entfernt ist als der bisherige Beschäftigungsort, auch wenn der Beschäftigungsort nicht täglich erreichbar istunddie Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei der bisherigen Beschäftigung, .. .Das, was hier von einer Reihe von Rednern verlangt wurde, ist längst geltendes Recht, meine Damen und Herren. Ich bitte Sie, das in Zukunft zu beachten. Ich wäre froh, wenn die hier den Arbeitslosen zugemutete Mobilität auch von jedem Beamten in unserer Republik, etwa bei Versetzungen, als selbstverständlich verlangt würde.
Meine Damen und Herren, wir werden alle Tatbestände sehr sorgfältig überprüfen. Aber es kann für die Bundesregierung gar keinen Zweifel daran geben, daß die soziale Sicherheit des einzelnen und die soziale Stabilität insgesamt nicht in Frage gestellt werden dürfen.
Die soziale Sicherheit und der soziale Frieden in der Bundesrepublik sind nach wie vor unser wichtigster Produktionsfaktor und sichern die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Ich muß noch eine Nebenbemerkung zum Kollegen Cronenberg machen: Ganz so wettbewerbsgefährdend können unser gutes Lohnniveau und unsere guten Sozialleistungen j a nicht geworden sein. Sonst hätten wir im April nicht einen Handelsbilanzüberschuß von 3,5 Milliarden DM aufzuweisen,
ein Beweis dafür, daß diese deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verloren hat.
— Das wird auch so bleiben, verlassen Sie sich darauf, jedenfalls solange wir regieren. Sollte das einmal nicht der Fall sein, dann gnade uns Gott.
Meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in der Lage ist, mit schwierigen finanziellen Situationen fertig zu werden, beweist ein Blick zurück auf den Beginn des Jahres 1977. Damals stand jeden Tag in den Zeitungen, jeden Tag sprachen sieben Redner der Opposition davon, daß die Rentenversicherung übermorgen Pleite sein werde. Sie ist es nicht geworden, und sie wird es nicht. Wir haben mit zwei ausgewogenen, die Lasten auf Rentner undBeitragszahler gleichmäßig verteilenden Konsolidierungsgesetzen
von 1977 bis heute ein damals mittelfristig errechnetes Defizit von 85 Milliarden DM bewältigt. Heute wagt nicht einmal mehr die Opposition, die Stabilität der Rentenfinanzen anzuzweifeln.
— Bisher hat es niemand getan. Die Fakten geben ja auch keinen Anlaß, das zu tun.Statt dessen beschränkte sich Herr Friedmann darauf, die Finanzierungsmöglichkeiten der Reform 1984 in Frage zu stellen
mit der Begründung, der fehlende Bundeszuschuß aus dem Jahre 1981 in Höhe von 3,5 Milliarden DM habe der Reform den Boden entzogen. Verehrter Herr Kollege Friedmann, der Gesamtumsatz der Rentenversicherungsträger im Jahre 1981 beträgt rund 150 Milliarden DM. Angesichts dieser Größenordnung bei der laufenden Zahlung kann j a wohl der einmalige Entzug von 3,5 Milliarden DM die finanziellen Verhältnisse für die nächste 15-Jahres-Rechnung nicht wesentlich verändern. Das ergibt sich allein aus den Proportionen der beiden Größenordnungen.
Sie können davon ausgehen, daß wir die Rentenreform 1984, so wie es in beiden Regierungsparteien vor der Wahl beschlossen worden ist, auch durchführen werden.Die Konsolidierung ist erfolgt. Die Rentenversicherungsträger haben ihre Vorleistung erbracht. Sie können davon ausgehen, daß auch bei den nötigen Arbeiten für den Bundeshaushalt 1982 finanzpolitische Verantwortung und sozialpolitisches Augenmaß gleichgewichtig vorhanden sein werden, um das, was notwendig ist, zu tun, um sowohl die Finanzen stabil zu halten als auch die soziale Sicherheit in unserem Lande aufrechtzuerhalten. — Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11: Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 8 ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
2384 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Präsident StücklenWer dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 11 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe auf: Einzelplan 15Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit— Drucksache 9/485 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Rose Dr. SoellInterfraktionell ist für die Aussprache eine Redezeit von zwei Stunden vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen.Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich an die letzten Reden und Stellungnahmen der Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit erinnere, so könnte ich mir gut vorstellen, daß sie auch heute in der zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1981 vom gleichen Eifer und Überzeugungsdrang wie eh und je beseelt ist. Ich könnte mir daher vorstellen, daß sie uns sowie der Öffentlichkeit erneut vorzuerzählen versucht, sie würde für eine fortschrittliche Jugend-, Familien- und Gesundheitspolitik sorgen und wichtige anstehende Probleme lösen können. Meine Damen und Herren, dem ist aber nicht so.Es stand in letzter Zeit vieles in der Presse, was der Bundesregierung insgesamt nicht zur Ehre gereichte. Da war vom abgewirtschafteten Kabinett, vom krisengeschüttelten Bonn, vom Siechtum der Koalition die Rede. Es gibt aber kaum ein Ministerium in Bonn, auf das diese Begriffe so gut zutreffen wie auf das Haus Huber.
Von Krankheit und Siechtum ist das Bundesgesundheitsministerium schon lange betroffen, so paradox das auch klingen mag. Wodurch haben Frau Huber und das von ihr geleitete Ministerium in letzter Zeit Schlagzeilen gemacht? Da gab es schon vor einigen Monaten die Aussage: Bonns Gesundheitspolitik verdient den Namen nicht. Das ist in der „Frankfurter Rundschau" Ende des letzten Jahres nachzulesen.
Meine Damen und Herren, man höre und staune: Dieser Satz stammt nicht von der bösen Opposition, sondern er stammt von einem Senator der SPD aus Bremen. Ich kann dies sehr gut verstehen und füge ein kleines Beispiel zur Aufkärung und Erheiterung an.Im Frühjahr 1980 machte der Bundesgesundheitsminister einen Besuch bei der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und lobte diese Akademie mit dem Hinweis auf die wichtigen Funktionen dieser Einrichtung. Was geschah dann? Ausgerechnet nach diesem Besuch wurden die Zuschüsse um genau die Hälfte gekürzt. Ich kann mir vorstellen, daß man dort ein zweites Mal nicht mehr auf Ihren Besuch wartet.Aber Frau Huber hatte noch mehr Aufheiterndes auf Lager. Da wetterte sie einst gegen das Autofahren in der Silvesternacht oder gegen blanken Po und Busen
— und was es da sonst alles noch gab.Dafür mußte sie sich Schelte von allen Seiten gefallen lassen. Ich zitiere einige Presseausschnitte: „Klassenletzter im Bonner Kabinett" stand in der „Bild am Sonntag" am 1. März dieses Jahres. „In Antje Hubers Ressort läuft kaum noch etwas zusammen" war im „Rheinischen Merkur" am 8. Mai zu lesen. Meine Damen und Herren von der Koalition, damit Sie nicht meinen, das wären nur die Zeitungen, die Ihnen nicht gewogen sind: Auch der „Stern" hat vor kurzem, am 21. Mai, unter der Überschrift „Mißwirtschaft" nichts Erfreuliches über dieses Ministerium berichtet. Diese Liste, meine Damen und Herren, ließe sich beliebig fortsetzen.
Verehrte Frau Huber, Sie können einem leid tun. Sie sind zwar fleißig und willig, treten aber seit Jahren auf der Stelle und sind im Kabinett offensichtlich bloß noch als Muß-Frau akzeptiert.
Ich gestehe ganz offen, daß Sie mir inzwischen schon leid tun. Aber Ihre politische Arbeit ist, mit Verlaub gesagt, für einen Bundesminister indiskutabel. Sie werden zwar stolz von Steigerungsraten und Erfolgen sprechen — wie gewohnt —, doch wo sind Ihre Erfolge?Real betrachtet nimmt Ihr Etat seit einigen Jahren ständig ab. Lediglich der Posten Kindergeld bewirkt eine optische Täuschung, so daß das Haushaltsvolumen mit gut 20 Milliarden DM Bedeutung vorgaukelt.
In Wirklichkeit ist aber nicht einmal 1 Milliarde DM— und das mit absteigender Tendenz in den letzten Jahren — für politische Aufgaben vorhanden.
— Wenn da jemand sagt, das sei nicht wahr: 1975 waren es 1,41 Milliarden DM — ohne Kindergeld —, 1980 waren es 0,97 Milliarden DM — ohne Kindergeld —, 1981 0,94 Milliarden DM. Wenn das keine absteigende Tendenz ist, dann verstehe ich nichts von der schiefen Lage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2385
Dr. RoseMeine Damen und Herren, zieht man die gestiegenen Personal- und Sachkosten heran und setzt sie in Relation zur eigentlichen Produktivität, dann kann die Schlußfolgerung nur lauten: Einst war es eine stolze Aufgabe, die Familien- und Jugendpolitik unseres Landes gestalten zu können. Heute aber hat sie nur noch eine Alibifunktion.
Es wird nichts mehr bewegt, nichts mehr geistig erfaßt. Das Haus Huber ist zur Feuerwehr für einzelne Randgruppen geworden
und darf hier oder dort ein Modellvorhaben durchziehen, aber sonst: Fehlanzeige.
Meine Damen und Herren, das Haus Huber ist ja auch kein Ministerium mehr. Es ist nur noch ein Bundesverwaltungsamt. Dafür aber ist es mit 500 Mann zu groß geraten.Was würde ich mir als Ergebnis einer guten Jugend-, Familien- und Gesundheitspolitik erwarten? Auf alle Fälle gehörten dazu — das müßte allgemein von der Regierung gemacht werden —: gesicherte Arbeitsplätze, gesicherte Einkommen der Ernährer der Familien, ausreichend Wohnraum auch für Kinderreiche, Rückgang der Zahl der Scheidungen und Abtreibungen, Abnahme der Zahl der Heim- und sogenannten Schlüsselkinder, das Ende oder zumindest die Eindämmung des Drogen- und Alkoholmißbrauchs, Zukunftshoffnung für die Jugend und vieles andere mehr.Doch wie sieht die tatsächliche Lage aus? Das Durchschnittsrealeinkommen der Familien nimmt ab. Die Gründe dafür wurden am Dienstag in der Wirtschafts- und Finanzdebatte diskutiert. Die Wohnungsnot in zahlreichen Städten, aber auch auf dem Lande, ist inzwischen zum Alptraum geworden. Trotz oder gerade wegen gewaltiger Steigerungsraten beim Titel Familienplanung, der zunächst der Familienberatung und nicht der Abtreibung dienen sollte, nahmen die Abtreibungszahlen zu. Die Zahl der Scheidungen und Zerrüttungen bei unseren Familien konnte nicht herabgesetzt werden. Der Wert Familie wurde inzwischen — wenn auch nicht regierungsoffiziell — zum rechtsextremen Gedankengut erklärt.
— Das ist Ergebnis der Politik der letzten Jahre. Darüber werden wir doch nicht streiten.
Neben zahlreichen Heimkindern aus zerstörten Familien gibt es jetzt auch immer mehr Frauen in Frauenhäusern. Und je größer das Angebot, desto mehr Belegschaftsmitglieder wird es geben.Für Alkoholkranke müssen jedes Jahr 17 Milliarden DM ausgegeben werden, und auch der Drogenmißbrauch hat trotz neuer Maßnahmen und Finanzeinsätze eher zugenommen. Ob das kürzlich verabschiedete neue Betäubungsmittelrecht Hilfe bringt, wage ich sehr zu bezweifeln, da das Schlagwort „Therapie statt Strafe" falsche Hoffnungen weckt und Neugier begünstigt.
Noch ein Wort zur Jugend. Wie ist denn die Situation nach zwölf Jahren — weil Sie so schön fragen —, für die Sie uns die Schaffung des modernen Deutschlands versprochen haben? Ein immer größerer Teil der Jugend steigt nach diesen zwölf Jahren aus Ihrem modernen Deutschland aus.
Und warum? Weil Sie den Jugendlichen Paradiesträume von der absoluten Freiheit, von der ständig zunehmenden Freizeit, vom staatlichen Taschengeld,
von mehr Demokratie, von ewigem Frieden vorgegaukelt haben. Gestern in der Debatte wurde noch davon gesprochen, als könne man zwischen Waffen und Brot für die Welt, unterscheiden. Darum geht es überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, jetzt, wo diese Blütenträume von der sozialistischen Götterdämmerung zerrissen werden, fällt der Bundesregierung nichts mehr ein. Da setzen Sie mit Müh und Not eine Enquete-Kommission für Jugendfragen ein. Das ist auch wieder ganz typisch: Für die Gegenwart gibt es nichts, es wird auf die Zukunft vertröstet — eine neue Option auf die Zukunft. Damit ist die Jugend aber nicht zufrieden.Meine Damen und Herren, dort, wo die Regierung etwas in der Gegenwart tun könnte, z. B. bei der Unterstützung der Jugend durch Mittel aus dem Bundesjugendplan, tritt sie kürzer und kürzer. Hausintern wurde noch Ende 1980 geglaubt, daß der Bundesjugendplan in bedrohlichem Umfang von innerer Auszehrung betroffen ist, doch am 29. Januar 1981 stellte sich Frau Huber hier hin und erklärte stolz, daß eine Erhöhung um 2 Millionen DM vorgesehen sei. Weil ihr das ein bißchen mager für die Millionen Jugendlichen und angesichts gestiegener Personal-und Sachkosten bei den Verbänden vorkam, griff sie noch schnell in die Trickkiste der Demagogie und rief: „Das Geld für die Jugendverbände ist gut angelegt, wenn sie sich in Frieden über die Grenzen hinweg begegnen, anstatt sich wie früher im Krieg gegenüberzustehen."
Als ginge es um Krieg und Frieden! Nein, Frau Minister, es geht um Ihre Glaubwürdigkeit und Ihre Verpflichtung als Jugendminister. Der Jugendring stellte vor kurzem nicht ohne Grund fest, daß beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit keinerlei Anzeichen zu erkennen sind, die Breitenförderung beim internationalen Jugendaustausch zu forcieren. Sie sollten also weniger Auf-
Metadaten/Kopzeile:
2386 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Rosemerksamkeit auf solche peinlichen Formulierungen verwenden
und sich wieder mehr den Klagen der Jugendverbände öffnen, die sich von der ausufernden Zettel- und Formularkrämerei beim Vollzug des Bundesjugendplans angewidert fühlen.
Soll ich Ihnen sagen, was auch ein Grund für die beklagte Staatsverdrossenheit eines Teils der Jugend ist? Sie haben es geschafft, die ehrenamtliche Jugendarbeit zu strangulieren,
indem Sie die staatliche und bürokratische Bevormundung auf den Schild gehoben haben.
Das ist der Vorwurf, den ich bei den Jugendverbänden in unzähligen Gesprächen gehört habe. Das wäre auch der Weg gewesen, den Sie mit Ihrem Entwurf zum Jugendhilferecht noch weiter fortgesetzt hätten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein anderes Thema anschneiden.
— Herr Wehner, Sie sind bekannt für Ihre Worte. Ich habe mich schon einmal gefreut, als Sie mir einen freundlichen Beisatz gegeben haben. Inzwischen werden Sie aber offensichtlich in der eigenen Fraktion nicht mehr so anerkannt, sonst hätten Sie gestern abend nicht die großen Schwierigkeiten gehabt.
Meine Damen und Herren, was uns in den letzten Wochen und Monaten mit dem Kindergeld vorgespielt wurde, war ein einziges Trauer- und Verwirr-spiel. Noch bei seiner Rede zur Einbringung des Haushalts am 23. Januar dieses Jahres hatte der Bundesfinanzminister stolz von den vorangegangenen Kindergelderhöhungen berichtet. Auch der Bundesfamilienminister sang eine Woche später dieselbe Hymne mit der Bemerkung: Es hat noch nie eine Zeit in der Bundesrepublik gegeben, wo sich das Kindergeld so gewaltig entwickelt hat.
Doch schon im Dezember des vergangenen Jahres grollte der Donner in Form des Obmanns der SPD im Haushaltsausschuß, als dieser öffentlich — nachzulesen im „Handelsblatt" vom 9. Dezember 1980 — über Einkommensgrenzen beim Kindergeld nachdachte. Allerdings war das derselbe Abgeordnete — der Herr Walther, den ich im Moment nicht sehe —, der während der ersten Lesung des Haushaltsgesetzes am 27. Januar dieses Jahres — diesmal natürlich vor den Fernsehkameras — schalmeite und wörtlich sagte: Dieser Haushaltsentwurf sichert das soziale Netz; er berücksichtigt die steuerliche Entlastung unserer Bürger ebenso wie die Erhöhung von Kindergeld und Wohnungen zugunsten kinderreicher Familien.War das nur die sattsam bekannte Tour der Verschönerung? Denn bald kam es massiv. Das soziale Netz wurde zu schwer und bedrückend. Entlastungen mußten gesucht werden. Prompt landete man wieder beim Kindergeld.Auch die FDP tat sich hervor — ich bin gespannt auf das, was der Kollege Eimer nachher sagen wird — und meinte Ende vergangenen Monats, daß die Einführung von Einkommensgrenzen bei der Kindergeldzahlung bzw. die Begrenzung dieser Staatszuschüsse auf maximal 18jährige bis zu 3,5 Milliarden Mark im Jahr brächte.Hörte man zu diesem Fragenkomplex den Bundesfinanzminister, so konnte man sich freuen. Zumindest laut „Westfälischer Rundschau" vom 21. Mai schloß er eine Kürzung beim Kindergeld aus. Vorgestern wollte er dies aufs Erstkindergeld beschränkt wissen. Es taucht die Frage auf: Was ist eine derartige Aussage des Herrn Ministers wert?
Das fragt man sich besonders nach seiner Rede vom Dienstag, als er so überzeugt von der Richtigkeit seiner Politik sprach,
daß am Schluß eigentlich bloß noch sein Standardsatz, den er uns immer erzählt, fehlte: „Die Finanzen sind solide."
Eigentlich sollte ich Herrn Matthöfer oder Frau Huber hier fragen, was denn nun wirklich mit dem Kindergeld geschieht. Ich befürchte allerdings, daß mit besonderer Dialektik das gleiche passiert, was vorher schon oft passiert ist: Die sagen das eine und tun das andere und haben für alles eine Begründung.
Am Schluß reden sie uns noch ein, die Kürzung des Kindergeldes sei aus konjunkturpolitischen Gründen dringend geboten.
Wir erinnern uns: Bei der Mineralölsteuererhöhung war es die energiepolitische Kur, bei der Erhöhung der Postabgabe war es der Abbau ungerechtfertigter Subventionen. Bei der Kindergeldkürzung wird es die konjunkturpolitische Behandlung der Verschwendungssucht sein. Und wenn das immer noch nicht hilft, springt das alte Arm-reich-Schema bei und begründet die Streichungen bei den Wohlhabenden: Die mit soundso viel Einkommen brauchen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2387
Dr. Rosekein Kindergeld, also Schluß mit der Subventionierung! Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Liedtke hat ja schon eine ähnliche Aussage gemacht, als er die Grenze bei 6 000 DM monatlich zog.
Meine Damen und Herren, so lassen wir allerdings nicht mit uns umspringen!
Ich gebe ja den Überlegungen recht, wonach nicht endlose neue Ausgabensteigerungen möglich sind.
Doch es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, wenn vor der Wahl mehr Kindergeld gegeben wird und es nach der Wahl wieder eingesammelt oder zumindest strukturell verändert wird.
Ich lasse mit mir bei der Überprüfung der riesigen Verwaltungskosten reden. Das muß nämlich einmal gesagt werden: An Verwaltungskostenerstattung für die Bundesanstalt für Arbeit fielen 1974 rund 190 Millionen DM an, und zwar bei mehr als 14 Millionen Kindern. 1977 waren es — bei einer abnehmenden Kinderzahl — bereits 233 Millionen. 1980 waren es — bei noch weniger Kindern — 250 Millionen, und die Spirale geht so weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das richtig ist: weniger Kinder, aber mehr Verwaltungskosten. Hier muß meiner Meinung nach angesetzt werden. Hände weg von der sozialpolitischen Errungenschaft des Kindergeldes, aber Umstrukturierung des Verwaltungsaufwandes!Nun muß ich noch etwas zur Materialverschwendung im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit sagen. Was mir hierzu von einer Reihe von Mitarbeitern des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden gesagt wurde, treibt einem die Zornesröte hoch.
— Ja, wenn ich Sie so freundlich sehe, dann vergeht mir das wieder; aber da vergeht mir sowieso einiges. Da wird ein Faltblatt nach dem anderen, ein Aufklärungsheftchen reißerischer als das andere fabriziert, und dann liegt das Material zentnerschwer herum und wartet auf den Reißwolf. So ist es.
Zum Beispiel hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht einmal einen funktionierenden Verteiler. Die produzieren also für den Ofen.
Meine Fraktion hat daher einen Kürzungsantrag zu den Öffentlichkeitsmitteln eingebracht; denn im Nicht-Wahljahr 1981 kann und muß man sparen. Der Umgang mit Steuergeldern darf nicht mehr so wie bisher fortgesetzt werden, insbesondere dann nicht,wenn koalitionsbezogene Propaganda gemacht wird. Diese Art von Verschwendung sollte auch bei Ihnen passé sein.
Ein weiteres Beispiel ist der seit rund zwei Jahren bestehende Arbeitsstab Frauenpolitik. Verstehen wir uns richtig, niemand aus der Unionsfraktion, natürlich auch ich nicht, verkennt die immer noch bestehenden Probleme, die sich für Frauen am Arbeitsplatz, in der Alterssicherung oder in der gesellschaftlichen Anerkennung insgesamt ergeben.
— Sie werden es schon noch hören, verehrter Herr Kollege. Manche meiner Kollegen haben lange Jahre daran gearbeitet, daß die Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft greifbare Erfolge bringt, und sie waren auch früher mit finanziellen Forderungen zur Stelle. Nur, die Art, wie Sie es angepackt haben, meine Damen und Herren von der Koalition,
hat uns von Anfang an mißtrauisch gemacht. Ihnen bzw. Ihrer Regierung fiel nichts anderes ein, als eine neue Art von Behörde zu schaffen, indem Sie den Arbeitsstab Frauenpolitik einrichteten und diesen Arbeitsstab mit möglichst hochdotierten Leuten besetzten. Da wurde vor ihrer endgültigen Pensionierung noch schnell eine Frau auf eine Ministerialdirigentenstelle hochgehievt, und das geschah mit dem einzigen Argument, daß sie sich als aktive Gewerkschafterin kein X für ein U vormachen läßt.
— Diese ist inzwischen schon in Pension. Ich dachte, die Aufgabe ist so wichtig, und deshalb dürfte sie nicht so schnell wieder verschwinden.Umgekehrt wurde eines offenbar. Sie wollte uns, dem Parlament und dem Haushaltsausschuß, ein U für ein X vormachen, ein U für „unbeschränkte Vorschüsse" auf eine Arbeit, die gar nicht geleistet wurde.
Darauf fiel dann nicht einmal die Bundesregierung herein; denn nicht wir waren es, sondern die Bundesregierung war es, die im Haushaltsentwurf 1981 eine Kürzung der Mittel im Vergleich zum Vorjahr von 4 Millionen DM auf 3,6 Millionen DM vorschlug. Als meine Fraktion darüber hinaus im Haushaltsausschuß die mangelnden Ergebnisse des Frauenstabes kritisierte und wegen undurchsichtiger Forderungen eine Kürzung um 400 000 DM beantragte, erhob sich bei den Vertretern der Koalitionsfraktionen großes Geschrei und der polemische Vorwurf, wir seien gegen die Frauen und ihre Gleichberechtigung.
Metadaten/Kopzeile:
2388 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Rose— Ich weiß es sehr gut, damals war eine Stellvertreterin im Ausschuß, und ich kann mich sehr wohl erinnern, was sie uns zugerufen hat.
Aber davon, daß wir gegen die Gleichberechtigung der Frauen seien, kann natürlich keine Rede sein. Wir waren und sind nur gegen die sinnlose Verschleuderung von Steuergeldern.
— Verehrte Frau Kollegin von der SPD, interessiert es Sie, wie es im Haushaltsausschuß ausging? Ausgerechnet die SPD-Damen im Haushaltsausschuß strickten kräftig mit, besonders im Rahmen der interfraktionellen Forschungskommission, daß der sowieso schon gekürzte Regierungsentwurf nochmal gekürzt wurde, und zwar von 3,6 Millionen DM auf 2,8 Millionen DM. Ihre Kolleginnen und nicht wir waren es, und die haben es durchgezogen.
Ich unterstelle diesen Kolleginnen dabei nicht, daß sie gegen die Gleichberechtigung von Frauen sind. Sie haben lediglich ebenso wie wir bemerkt, welch schlechte Arbeit geleistet wurde.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich, gern.
Herr Kollege, wären Sie so nett, zu verraten, ob Sie in dieser Frage gegen die Koalition gestimmt haben, was die Kürzung der Mittel für den Arbeitsstab Frauenpolitik anlangt?
Sehen Sie, lieber Herr Kollege, es ist mir vorhin gerade zugerufen worden, daß Sie uns von der Opposition nicht brauchen; Sie machen Ihre Beschlüsse alleine. Warum fragen Sie mich dann jetzt, ob ich denn gegen Ihre Meinung sei? Das habe ich doch nicht nötig. Machen Sie doch Ihre Sache selber.
— Warten Sie Ihre Rede ab, Herr Soell, was Sie für eine Legitimation haben!
Die Wahrheit ist, daß das Huber-Ministerium bzw. der Frauenstab Geld für Zwecke gefordert hatte, die inhaltlich noch gar nicht beschrieben waren, sozusagen nach dem Motto: Gebt uns man das Geld, wir bringen es schon unter die Leute.
Gegen diese Mentalität muß ein deutliches Zeichen gesetzt werden.
Herr Kollege Rose, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß Sie im Ausschuß zwar nicht für mehr Geld gestimmt haben, aber gerne mehr Geld bewilligen würden, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Sie können meine Ausführungen so verstehen. Wenn vernünftige Arbeit geleistet wird, bin ich auch dafür, daß man finanzielle Mittel gibt.
Wenn man den Einzelplan 15 liest, bekommt man sowieso den Eindruck, daß die Bundesregierung die sogenannten Randgruppen, Materialverschwendung und vieles andere mehr erwähnt, aber die wichtigen Probleme unserer Gesellschaft nicht im Griff hat. Zu den Familienferienstätten, zum Müttergenesungswerk, zu all diesen Einrichtungen müßte man etwas sagen; denn die Mittel dafür werden laufend gekürzt. Man hört von Regierungsseite, daß sie abgeschmolzen werden sollen. Nicht einmal die Schirmherrin des Müttergenesungswerks, die Frau unseres Bundespräsidenten, die sich so massiv eingesetzt hat, konnte hier etwas bewirken. Ich finde es sehr bedauerlich, daß man in diesem Falle zu sparen beginnt, bei Müttern kinderreicher Familien — nach einem Bericht der Bundesregierung haben 45 % aller Mütter mit drei und mehr Kindern noch nie Urlaub gemacht —, die besonders bedürftig sind, während man für alle möglichen anderen Gruppen Geld hat.
Es gibt einen eigenen Titel „Hilfe für gesellschaftliche Randgruppen": Obdachlose, Haftentlassene, Nichtseßhafte. Für sie alle will man Beratungsstellen einrichten, möglichst flächendeckend, so dicht, daß sich die Nichtseßhaften von Beratungsstelle zu Beratungsstelle durchschlagen können. Aber dazu will ich von Ihnen gar keine Antwort mehr hören. Sie werden sowieso sehen, daß Sie mit dem wenigen Geld, das Ihnen noch zur Verfügung steht, nichts mehr machen können.Es war vom Modellprogramm Psychiatrie die Rede. Nun, das wird ständig gestutzt. Einmal reden Sie von der Pionierarbeit, und dann müssen Sie feststellen, daß die Bundesregierung, Ihr eigener Finanzminister, Ihnen die Pionierarbeit zugrunde richtet. Sie treten wieder zurück ins Glied der Rekruten.Der einzige Sektor der Jugend- und Familienpolitik, in dem die Bundesregierung Schlagzeilen gemacht hat — nicht auf Grund von Leistungen —, war das skandalöse Personalkarussell der letzten Monate.
Die Presse hat darüber begierig berichtet. Der Bürger draußen im Lande muß sich veralbert vorkommen, wenn er hört, daß man schon im Blütenalter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2389
Dr. Rosevon unter 50 Jahren fette Pensionen kassieren kann.
Bonn leistet sich die teuersten Spaziergänger der Welt — das ist inzwischen eine Binsenweisheit geworden.
Man muß es nur richtig anstellen, man muß bei den Genossen nur rechtzeitig den Karriereschein beantragen.
— Gemach, gemach. Natürlich weiß ich, daß sich Frau Huber deutlich gegen eine Personalpolitik unter parteipolitischen Aspekten ausgesprochen hat. In einem Schreiben an meinen Kollegen KrollSchlüter vom 13. April dieses Jahres triumphierte sie: Derartige Praktiken wird es bei mir nicht geben.Doch was ist inzwischen wieder passiert? Die Ankündigung des Haushaltsausschusses, meine lieben Kollegen, im Jahr 1981 noch 3 000 Planstellen einzusparen, wurde schnell zu einer Beförderungswelle genutzt, natürlich bei den höheren Chargen. Obwohl alle Kollegen davon ausgingen — nachzulesen in der „Parlaments-Korrespondenz" vom 26. Mai 1981 —, daß bevorstehende Beschlüsse des Haushaltsausschusses nicht unterwandert werden sollten, hatten es die Herren im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit geschafft, mindestens fünf Beförderungsurkunden in den Geschäftsgang zu bringen. Und siehe da: Von diesen fünf sind vier Genossen. Einer ist parteilos, sozusagen als Feigenblatt.Das Faß zum Überlaufen bringt jedoch, daß diese Herren viele andere in der Beförderung überspringen, die jahrelang ihre Arbeit geleistet haben und sich jetzt von Bilderbuchklettermaxen überrollen lassen müssen.
In meiner letzten Haushaltsrede hatte ich moniert, daß im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit keine vernünftige Sachpolitik geleistet werden kann, wenn man als Abteilungsleiter völlig sachfremde Politiker oder Beamte heranzieht. Als ich damals das Beispiel Zahn anführte, mußte ich mir vom Kollegen Westphal bittere Worte gefallen lassen. Wie hält er es aber jetzt, wenn er erfährt, daß dieser Herr Zahn von seiner Abteilung wegversetzt wurde, weil er dem nachdrängenden Herrn Weber aus der SPD-Baracke Platz machen mußte? Wie nicht anders zu erwarten, ist dieser Herr Zahn jedoch nicht bestraft worden, sondern eine Stufe höhergefallen auf die Stelle des jetzigen Frührentners Dr. Kosmale, wahrscheinlich mit Aussicht auf baldige Beförderung.Meine Damen und Herren, da fällt mir eigentlich bloß noch Frank Elstners Fernsehshow ein: „Wetten, daß ...?". Wetten, daß die staatlichen Frührentner bald Zuwachs bekommen?
Frau Huber, wie nennen Sie nun diese Praktiken? Ihre Propagandaschreiber mögen wieder schöne Worte finden; die deutsche Öffentlichkeit jedoch urteilt über diesen Personalsumpf anders. Das Gesundheitsministerium ist zu einem Gesundungsministerium für Karrieristen geworden.
Nicht ganz so dramatisch, doch auch typisch verlief die Personalpolitik der letzten Jahre beim Bundesgesundheitsamt in Berlin. Ich verhehle nicht, daß ich die Arbeit der einzelnen wissenschaftlichen Institute — Robert-Koch-Institut oder Max-von-Pettenkofer-Institut — hoch einschätze und den früheren Weltruf auf diesem Sektor gern zurück hätte. Aber leider entwickelt sich die Wissenschaft zurück und die Behörde voran.
Jedes neue einschlägige Gesetz wird zu harten Planstellenforderungen ausgenutzt. Da ist mir vor kurzem ein Bericht des Bundesrechnungshofs auf den Tisch gekommen, der die Personalpraktiken des Bundesgesundheitsamts seit 1975 untersuchte. Was glauben Sie, was dabei herauskam?
Von den in den Haushaltsjahren 1975 bis 1980 insgesamt bewilligten 111 Planstellen
hat das Bundesgesundheitsamt 63, das sind ca. 57 %, anders genutzt, als vorgesehen, oft schon unmittelbar nach der Bewilligung. So waren z. B. die weitaus meisten Stellen für das Arzneimittelrecht vorgesehen, doch siehe da: Kaum hatte man die Stellen, brauchte man sie nicht mehr dafür. Man hat sie umgewidmet, oft schon nach einem halben Jahr.
Das würde ich — ich nehme den Hinweis „Unter-schleif" des Kollegen Glos auf — Hintergehung der Bewilligungsstelle, Hintergehung des Parlaments nennen.
Meine Damen und Herren, bei soviel personaler Mißwirtschaft braucht sich niemand zu wundern, daß die Leistungen immer geringer werden, das Geld laufend knapper und der Moloch Staatsapparat immer gefräßiger wird. Für die eigentliche Sacharbeit bleibt da nicht mehr viel übrig. Dieser Stil ist leider üblich geworden. Von einer Opposition, die etwas auf sich hält, die dafür keine Verantwortung übernimmt, kann man nicht verlangen, daß sie dem Haushalt zustimmt.Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir den Einzelplan 15 entschieden ab.
Metadaten/Kopzeile:
2390 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Soell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Rose hat uns hier in weiträumigen Formulierungen ein Mini-Bauerntheater mit Straußschem Verschnitt aus Vilshofen vorgeführt.
Wenn er z. B. Frau Minister Huber als „Muß-Frau" im Kabinett bezeichnet, will ich Ihnen eine Kostprobe aus dem alemannischen Bauerntheater geben. „Muß-Frau" ist für mich bisher etwas gewesen, was der alemannische Bauer seiner Tochter Vreneli im 19. Jahrhundert gesagt hat, wenn sie einen ungeliebten, aber wohlhabenden Nachbarssohn heiraten mußte: Lueg, Vreneli, d' Acker passet z'samme, aber d' Lieb' kummt später! — Das ist eine „Muß-Frau". Ich weiß nicht, wie das im Bayerischen aussieht.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie Ihre Zwischenrufe zeigen, daß es in Bayern auch so etwas gegeben hat.
Was Ihre polemischen Rundumschläge betrifft, so möchte ich mich nur mit dem angeblichen „Personalkarussell" im Zusammenhang mit der Entlassung von politischen Beamten beschäftigen. Nun dürfen Sie doch nicht vergessen, daß Sie jetzt in Berlin, wenn Sie demnächst an die Regierung kommen, froh sein müssen, daß es die Einrichtung des politischen Beamten gibt.
— Ja. — Aber Herr Rose, das, was Sie sonst hier präsentierten, lohnt im Grunde keine umfassende Auseinandersetzung.
Bevor ich auf einzelne Positionen des Haushalts zu sprechen komme, möchte ich mich noch mit zwei Bemerkungen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union auseinandersetzen. Gestern hat der Kollege Blüm in seinem schwarz in schwarz malenden Bild der Koalition vorgeworfen, unter der von ihr getragenen Regierung werde die Familie unterminiert; an anderer Stelle hat er hinzugefügt, die Familie werde immer mehr zur nostalgischen Restgröße.
Wissen Sie, in solchen Äußerungen der Opposition kommt eine außerordentlich große politische Bewußtseinsspaltung zum Ausdruck. Was taugen z. B. Sprüche dieser Partei, wenn ihre Vertreter in den Ländern, z. B. der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz oder der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sehr forciert mit vordergründigen und weitgehend unzutreffenden ökonomischen Argumenten auf dem Weg des Kabelfernsehens eine unkontrollierte Programmflut auf die Familien in der Bundesrepublik herunterregnen lassen?
Hier liegen doch internationale Erfahrungswerte vor, die deutlich machen, welche großen Wirkungen ein solches unkontrollierbares Massenangebot hat, wie dieses dazu beiträgt, Familienleben tatsächlich zu zerstören. Wir waren mit dem Kollegen Haase und anderen gerade in den USA. Es ist immer wieder interessant, dort abends oder morgens die Fernsehprogramme zu sehen. Dort gibt es 17 bis 24 Programme, je nachdem, ob Sie an der Ostküste oder im Mittelwesten oder an der Westküste sind. Sex, crime und commercials oder commercials, sex und crime ist das, was dort geboten wird. Die Amerikaner, jedenfalls diejenigen, die Einsicht haben, werden inzwischen kritischer gegenüber dieser Geschichte. Untersuchungen zeigen, daß mehr als ein Drittel der Kinder, vor allem in Sozialschichten mit anregungsarmer Umgebung, inzwischen das Fernsehen und die dort präsentierten Supermänner und Superfrauen mehr lieben als ihre Eltern, insbesondere als den Vater, weil der weniger zu Hause ist. Das sind Erfahrungen, die man hier mit einbeziehen muß.
Zweitens. Der Kollege Kiep hat in einem Schlenker seiner Rede gestern anklägerisch behauptet, die Sozialdemokraten würden die finanzpolitischen Schwierigkeiten des Haushalts 1982, von dem ja von seiten der Opposition mehr die Rede war als vom Haushalt 1981,
dazu benutzen, in der Familienpolitik ihre ideologischen Vorstellungen durchzusetzen. Zunächst bleibt natürlich der Sinn solcher Vorwürfe dunkel, auch wenn Herr Rose einige Zitate gebracht hat, wobei er wußte, daß sich etwa Äußerungen von Rudi Walther immer auf künftige Erhöhungen des Kindergeldes bezogen. Aber ich möchte Ihnen ein anderes Beispiel geben.
Herr Kollege Soell, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breuer?
Da ich nur die Hälfte der Zeit habe, die der Berichterstatter der CDU/CSU hatte, möchte ich hier keine Zwischenfrage zulassen.
— Wenn es ein Kollege wäre, den ich angesprochen hätte, wäre ich natürlich fairer. Das ist klar.Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß jedenfalls solche Vorwürfe voll auf die Opposition zurückfallen. Nehmen wir nur Niedersachsen, ein Land, das Herr Kiep j a auf den langen Wegen als fahrender politischer Reiter durchmessen und das er jetzt wieder verlassen hat; nehmen wir also dieses Land, weil er als Finanzminister j a in diesem Zusammenhang mit für die Entscheidungen vor den Wahlen verantwortlich war. Vor den Wahlen zum Bundestag wurde angekündigt, daß die Länder hier mitfinanzieren müß-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2391
Dr. Soellten, weil die Bundesregierung zu wenig für die Familie tue. Baden-Württemberg macht das über Darlehen und Niedersachsen über ein Baby-Geld. Und nun kreißte der große Berg, und heraus sprang das Mini-Mäuslein eines Baby-Geldes von insgesamt 56 Millionen DM pro Jahr und Einkommensgrenzen, über die wir bisher noch nie diskutiert haben. Wir haben uns noch nicht einmal in der internen Diskussion an solche Grenzen herangewagt. Ich halte es für legitim, über Einkommensgrenzen zu diskutieren. Aber dann kann man sich dann doch nicht so weit aus dem Fenster lehnen wie das Herr Kiep gemacht hat. Ich halte das für eine unmögliche Sache, jedenfalls für jemanden, der eine seriöse Politik betreibt.Eine dritte Bemerkung zur Frage, wer eigentlich mit ideologischen Scheuklappen Familienpolitik betreibt. Ich muß Sie daran erinnern, daß der Art und Weise, in der das Kindergeld bis 1975 bestand, eine außerordentlich elitäre Ideologie zugrunde lag, nämlich — nachweisbar durch Äußerungen von Herrn Wuermeling — daß Kinder von Leuten mit hohem Einkommen eben mehr kosteten und diese Familien deshalb über die Steuerfreibeträge auch einen höheren Ausgleich erhalten müßten. Seit Jahren versuchen Sie über den Bundesrat, uns diese neowuermelingsche Argumentation über den Kinderfreibetrag erneut aufzudrücken.
— Nein. — Wir Sozialdemokraten gehen im Gegensatz dazu von der Sozialstaatsforderung des Grundgesetzes aus,
die im Bereich der staatlichen Förderung der Familien — soweit diese überhaupt zureicht — von der Gleichheit der Lebenschancen ausgeht.
Diese Politik — jetzt komme ich dazu, Herr Kollege; danke, daß Sie mir das Stichwort geben — wird gerade durch die Zahlen in diesem Haushalt gestützt.Trotz der großen Haushaltsenge
ist der Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit von 18,8 Milliarden DM im Jahre 1980 auf 20,2 Milliarden DM im Jahre 1981 gewachsen. Darin ist das Kindergeld der größte Posten. Die Steigerung des Kindergeldes für das zweite und dritte Kind sowie für alle weiteren Kinder seit dem 1. Februar 1981 kommt rund fünf Millionen Familien zugute. Dadurch hat sich die seit 1975 beobachtbare Tendenz verstärkt, daß das Nettoeinkommen bei Arbeitnehmerfamilien mit Kinderneinschließlich Kindergeld stärker steigen konnte als das bei vergleichbaren Ehepaaren ohne Kinder.Durch diese neuerliche Erhöhung des Kindergeldes hat sich die für den Familienlastenausgleich unmittelbar zur Verfügung stehende Summe seit 1969 mehr als verdoppelt. Hinzu kommen weitere Erhöhungen staatlicher Transferleistungen, die für Familien bedeutsam sind, vom Wohngeld bis zur Ausbildungsförderung. Hinzu kommen schließlich nach wie vor weitere ehe- und familienbezogene Steuervorteile, etwa das Steuersplitting von über 40 Milliarden DM pro Jahr.Solche Maßnahmen tragen dazu bei, daß in der Bundesrepublik die materielle Lebenssituation der Mehrkinderfamilien höher ist als in allen vergleichbaren Industrieländern.Es ist richtig, daß der Etat außerhalb des Kindergeldes 1981 am Wachstum des Gesamteinzelplanes nicht teilgenommen hat. Er hat vielmehr sogar einen kleinen Rückgang zu verzeichnen. Dabei hat es auch Kürzungen gegeben. Auf zwei Beispiele komme ich gleich zurück.Zunächst möchte ich aber darauf hinweisen, Herr Rose, auch als Kritik dessen, was Sie dazu ausgeführt haben, daß Sie offensichtlich — Ihr Vorberichterstatter, Herr Glos, ist j a gerade bei Ihnen — vergessen haben, daß die Zuwächse von 1979 auf 1980 außerhalb des Kindergeldes teilweise zwischen 30 und 50 % — auch nach der globalen Minderausgabe — gestiegen sind. Das haben Sie vorher bestritten. Dabei gibt es — schauen Sie sich die Haushaltsjahre in der Abfolge der letzten zwei, drei Jahre an — bemerkenswerte Aufstockungen. Das reicht von der Erhöhung der Zuschüsse für die Familienverbände über die Aufstockung des Stiftungsvermögens des „Hilfswerks für behinderte Kinder", also für die Opfer der Contergan-Katastrophe, über die Unterhaltsvorschußkassen, über die Ausgestaltung eines Programms zur Integration von Flüchtlingen, insbesondere von jungen Flüchtlingen, bis hin zur Bekämpfung der Ursachen der Drogenabhängigkeit und bis zu den Modellvorhaben auf dem Gebiet der Psychiatrieversorgung.Niemand wird bestreiten können, Herr Rose, daß wir — das möchte ich Ihnen einmal sagen; betrachten Sie einmal die Mini-Programme, die gegenwärtig die Länder, insbesondere Bayern und Baden-Württemberg, fahren — einen außerordentlich großen Nachholbedarf in der Behandlung seelisch Erkrankter, insbesondere seelisch erkrankter Jugendlicher, haben. Gleiches gilt auch für die Erprobung neuer Therapien. Das alles ist nachzulesen in der Psychiatrieenquete 1975.Auch wenn es in diesem Haushalt gegenüber dem Regierungsansatz eine Kürzung gegeben hat, ist der Ansatz doch höher als im vergangenen Jahr und unterstreicht das politische Gewicht des Modellprogramms.Das Zögern der von CDU und CSU regierten Länder, sich an diesem Programm zu beteiligen, ist außerordentlich bedauerlich. Ich meine, Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über verschiedene Mischfinanzierungsarten und über ver-
Metadaten/Kopzeile:
2392 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Soellfassungsrechtliche Fragen sollten sich so gestalten, daß sie nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden.In der Öffentlichkeit — auch bei Ihnen, Herr Rose — hat es Kritik an den Kürzungen der Mittel für den Arbeitsstab Frauenpolitik gegeben. Für diese Kritik habe ich Verständnis. Verständnis habe ich aber nicht dafür, Herr Rose, daß Sie oder Ihr Vorgänger und insgesamt Ihre Fraktion und Ihre Haushaltsarbeitsgruppe jetzt wie vor zwei Jahren für Streichung dieser Stellen gewesen sind. Ich habe auch kein Verständnis — das muß ich in diesem Zusammenhang sagen — für Ihre Haltung gegenüber einer sehr erfahrenen Gewerkschaftlerin, die jetzt in Pension gegangen ist — und im öffentlichen Dienst eine sehr viel schlechtere Versorgung als in der früheren Tätigkeit bekommen hätte und die als Leiterin des Arbeitsstabes versucht hat, in diesen zwei Jahren tatsächlich ein Programm zu gestalten, um die Defizite abzubauen, die über sehr lange Jahre entstanden sind, gerade in Ihrer Regierungszeit. All das, was Frauen in der Arbeitswelt, ihre Gleichstellung beim Lohn und ihre Gleichstellung bei den Arbeitsbedingungen betrifft, ist teilweise schon in Modellprojekten untersucht worden. Dazu haben Sie nein gesagt. Ihr verbales Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Frau wird dadurch unglaubwürdig.
Herr Kollege Soell, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Herr Kollege Soell, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch die Vertreter der SPD in der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" dieses Instrumentarium als ungeeignet angesehen haben, die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft herbeizuführen?
Herr Gerster, ich bin sicherlich bereit, anzuerkennen, daß es da auch unterschiedliche Meinungen unter Sozialdemokraten über die Organisation im einzelnen gibt. Aber die Sozialdemokraten stehen weiterhin zu dem Grundsatz der Gleichberechtigung. Ihre ganze Geschichte beweist, gerade gegenüber Ihren geistigen Vorgängern, daß sie die Partei ist, die für die Gleichberechtigung der Frau in Politik und Gesellschaft stärker eingetreten ist als jede demokratische Kraft in den letzten 120 Jahren.
Lassen Sie mich mit dem Hinweis abschließen, daß wir im Interesse von Jugend, Familie und deren Gesundheit trotz der wachsenden finanzwirtschaftlichen Probleme auch durch die Gestaltung des Einzelplans 15 für das Jahr 1981 beweisen, daß wir eine ideologiefreie, aber wertbezogene Politik gestalten, eine Politik, die sich an den Werten des Grundgesetzes orientiert, aber auch an der Gestaltungsfreiheit, die das Grundgesetz gewährleistet. Das gilt für das Grundrecht der Persönlichkeitsentfaltung — etwa des Kindes — ebenso wie für die in Art. 6 festgelegte Schutzfunktion des Staates, das Wächteramt des
Staates im Hinblick auf die Familie. Daran werden wir auch in Zukunft festhalten. — Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute morgen in einer emotional sicherlich etwas aufgeladenen Stimmung wieder eines der Lieblingsthemen des Hauses, nämlich die Familienpolitik. Ich wollte mich eigentlich hauptsächlich auf die Ausführungen des Kollegen Blüm von gestern beziehen, der behauptet hat, die Familie werde unterminiert. Den Beweis blieb er natürlich schuldig.
Er hängte das Ganze wie immer an der finanziellen Förderung von Familien auf. Aber ich muß sagen, Herr Kollege Rose, Ihre Rede heute morgen gibt mir mit Sicherheit genau den gleichen Ansatz, darauf einzugehen. Was Sie hier gebracht haben, war doch wieder die typische Palette konservativer Familienideologie.
Sie haben an einer Stelle gesagt, irgend etwas treibt in Ihnen den Zorn hoch. Das haben Sie mehr gelassen gesagt. Ich muß sagen: Ihre Rede hat mir wirklich den Zorn hochgetrieben.
Ich finde es unglaublich, wie Sie sich weigern, die Not geschlagener Frauen zur Kenntnis zu nehmen.
Ich finde es unglaublich, wie Sie sich weigern, die Not ungewollt schwanger gewordener Frauen zur Kenntnis zu nehmen. Das muß ich hier an dieser Stelle mal sagen.
Aber wir sind hier in der Haushälter-Runde. Das bedeutet, man sollte zu dieser Debatte noch einige Zahlen beitragen, zumal hier immer wieder behauptet wird, die sozialliberale Koalition lasse es an der finanziellen Förderung der Familie fehlen.Es ist hier schon gesagt worden: Der Haushalt des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit ist der viertgrößte Haushalt überhaupt in diesem Jahr und umfaßt insgesamt ca. 20,2 Milliarden DM. Der größte Einzelposten darin ist mit 19,2 Milliarden DM das Kindergeld. Es ist einer der größten Einzelposten dieses Haushalts überhaupt.
Ich möchte Ihnen weitere Leistungen aufzählen, die für die Familien erbracht werden. Ich nenne das Mutterschaftsgeld mit 1,1 Milliarden DM. Ich nenne die Unterhaltsvorschußkassen, die mit 70 Millionen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2393
Frau Dr. Adam-SchwaetzerDM angesetzt sind und leider Gottes noch viel zuwenig genutzt werden, ganz einfach, weil die Möglichkeiten, Geld nach dem Unterhaltsvorschußgesetz zu beziehen, zuwenig bekannt sind. Ich nenne weiter das Wohngeld, und ich nenne die Förderung nach dem BAföG.Zu beachten ist da natürlich auch, daß aus dem Zuschuß, der aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung entrichtet wird, Waisenrenten in Höhe von 1,4 Milliarden DM von der Rentenversicherung ausgezahlt werden. Der größte Brocken — das muß man hier ganz deutlich sagen — sind keine direkten finanziellen Leistungen aus dem Bundeshaushalt, sondern das, was der Bundeshaushalt von den Familien nicht bekommt, nämlich der Splitting-Vorteil nach dem Ehegatten-Splitting, der in diesem Jahr mit 25 bis 30 Milliarden DM zu Buche schlägt.Wenn Sie alle diese Leistungen zusammenzählen, kommen Sie auf ca. 50 Milliarden DM, die hier an Geld und geldwertem Vorteil für die Familie finanziell zur Verfügung stehen. Da kann man doch nicht mehr davon sprechen, daß hier die Familien nicht genügend gefördert werden.
Ganz abgesehen davon bin ich natürlich der Meinung, daß eine finanzielle Förderung nicht alles ist, was die Familien brauchen. Aber darüber haben wir ja an anderer Stelle debattiert. Nur wollte ich das hier noch mal einführen.Auf eines möchte ich noch hinweisen. Es wird immer wieder gesagt, mit allem, was wir hier machen, wollten wir ideologisch in die Familien hineinwirken.
Die ganzen Leistungen, die ich soeben aufgezählt habe, werden natürlich ohne irgendwelche ideologischen Vorgaben gezahlt. Hier ist keine Verwendung eingebaut. Die können die Familien so verwenden, wie sie es selber für richtig halten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie beklagen sich immer, die Ausgaben für die Familien seien nicht hoch genug. Andererseits haben Herr Blüm und einige andere Redner gesagt, die Investitionen seien nicht ausreichend gestiegen. Zum dritten beklagen Sie natürlich die Zinsverpflichtungen aus der Verschuldung.Ich frage mich: Wie paßt das eigentlich alles zusammen? Wo ist da eigentlich das Konzept, das Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, als eine Alternative zu dem anzubieten hätten, was Sie immer wieder beklagen? Wo ist das Konzept? Wo haben Sie in zwölf Jahren Opposition eine konstruktive Opposition betrieben und können wirklich Alternativen bieten?
Ich möchte noch auf die Änderungsanträge eingehen, die wir hier auf den Pulten gefunden haben. Ich begrüße es j a, daß die Opposition in diesem Jahr zumindest keine haushalts- und ausgabenwirksamen Anträge gestellt hat, die eine zusätzliche Ausgabe bewirken. Das ist hier wohl erstmals der Fall.
Nun möchten Sie aber die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit gestrichen haben, und zwar quer durch alle Ansätze dieses Einzelplans.
— Ich frage Sie: Sind die Elternbriefe, die hier gemacht, an alle verteilt und von den Eltern gern angenommen werden und eine ausgesprochene Hilfe für die Eltern sind, eine Propaganda des Ministeriums, oder sind sie eine Hilfe, die den Familien gewährt wird? Ist die Broschüre „Familienferien", in der Adressen aufgeführt sind, wo Familien preiswerte Ferien verbringen können, eine Propagandaschrift, oder ist es eine Hilfe für die Familie?
: Ich habe meine Kinder
nicht nach einer Gebrauchsanweisung aufgezogen!)All dies wird natürlich hieraus finanziert. Ihr Vorwurf, Ihr Antrag — das kann ich nicht anders als so verstehen — geht auf die Unterstellung zurück, hier solle nur Imagepflege betrieben werden. Diese Unterstellung, meine Damen und Herren, beruht dann ja wohl auf den Erfahrungen, die Sie in den Ländern gemacht haben, in denen Sie selber die Regierung stellen.
Ich möchte hier noch kurz auf einen Brief eingehen, den eine ganze Reihe der Kolleginnen in den letzten Tagen erhalten haben, und zwar auf einen Brief der „Fraueninitiative 6. Oktober". Diese Fraueninitiative setzt sich nachdrücklich dafür ein, ein Modellvorhaben zu fördern, ein Frauenhaus im ländlichen Raum. In diesem Zusammenhang fällt einem natürlich ein, daß der Kollege Rose im Haushaltsausschuß einen Antrag gestellt hat, ausgerechnet dieses Modell nicht zu fördern. Meine Damen und Herren, ich begrüße es an dieser Stelle ausdrücklich, daß dieser Antrag der CDU/CSU abgelehnt worden ist.
Ich begrüße es ausdrücklich, daß auch autonome Frauengruppen Förderung aus dem Etat des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit beantragen. Ich betone hier ebenfalls, meine Damen und Herren, daß wir davon ausgehen, daß im verbliebenen Ansatz „Arbeiten und Maßnahmen auf dem Gebiet der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau" genug Geld übrigbleibt, damit dieses Modell tatsächlich gefördert werden kann.
Nun müssen aber noch einige Worte zu dem Bereich der Gesundheitspolitik — denn der ist ja von
Metadaten/Kopzeile:
2394 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Frau Dr. Adam-Schwaetzereinigen Vorrednern auch angesprochen worden — gesagt werden. Herr Grobecker und Herr Egert beklagten beide die Ausgaben für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung. Herr Grobecker unterstellte ganz pauschal, mindestens die Hälfte aller Arzneimittel brauchten wir im Grunde gar nicht. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß für die Prüfung der Unbedenklichkeit, der Wirksamkeit und der Qualität das Bundesgesundheitsamt zuständig ist, und dieses untersteht dem Gesundheitsminister. Ich gebe gern zu, daß der leichtfertige Umgang mit Arzneimitteln in unserer Gesellschaft ein großes Problem ist; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Nur warne ich davor, hier so pauschal, wie das heute morgen geschehen ist, davon auszugehen, daß Arzneimittel schädlich seien. Ich möchte sehr nachdrücklich darauf hinweisen, daß der Einsatz von Arzneimitteln in vielen Fällen eine Krankenhauseinweisung verhindern kann. Sie wissen alle, daß Krankenhauseinweisungen wesentlich teurer sind als Ausgaben für Arzneimittel in bestimmten Krankheitsfällen.
— Ich habe nie eine Apotheke gehabt.
Ich möchte auch noch auf das eingehen, was der Herr Kollege Rose hier bezüglich des Modellprogramms Psychiatrie gesagt hat. Herr Kollege Rose, ich würde exakt für dieses Programm furchtbar gern mehr Geld in den Haushalt einstellen, weil ich die Notwendigkeit dieses Programms Psychiatrie wirklich sehe. Nur, wer hindert uns denn, das Geld hier tatsächlich abfließen zu lassen? Welche Länder arbeiten denn mit dem Bund zusammen? Es sind doch nur die sozialdemokratisch oder sozialliberal regierten Länder, die hier zusammenarbeiten. Wer verhindert denn den Rest dieses Programmes? Es sind doch die CDU-Länder, die hier nicht mit uns zusammenarbeiten.
Ich will nicht darüber spekulieren, ob das aus ideologischen Gründen geschieht oder deshalb, weil sie Angst haben, dann die Anschlußförderung zu übernehmen.
Nur kann man sich nicht darüber beschweren, daß hier zuwenig Geld für die Psychiatrie ausgegeben wird, wenn die Länder gleichzeitig dieses Programm verhindern, und zwar ganz offensichtlich deshalb, weil sie auch Angst vor den finanziellen Folgen haben.
Frau Kollegin Dr. AdamSchwaetzer, erlauben Sie Zwischenfragen?
Es tut mir leid, das geht nicht mehr; meine Redezeit ist nämlich gerade abgelaufen. —
Ich möchte eigentlich nur noch einen Schlußsatz sagen: Herr Kollege Rose, ich bedaure genau wie Sie, daß in diesem Haushalt nur 1 Milliarde DM zur freien Verfügung steht. Aber es erscheint mir nun wirklich verfehlt, wenn die Opposition ihre Kritik an der Familienpolitik der sozialliberalen Koalition am viertgrößten Haushalt des Bundes aufhängt, in dem auch 95 % Kindergeldleistungen enthalten sind. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Burger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal ein paar Worte an Sie, lieber Herr Kollege Soell; richten. Ich war überrascht darüber, verehrter Herr Kollege, wie dünn Ihre Entgegnungen auf die immerhin umfassenden Angriffe unseres Redners, Dr. Rose, auf die Politik des Familienministeriums ausgefallen sind.
Ich meine, außer einer Anekdote — das Beste an ihr war der Dialekt — haben Sie eigentlich nichts auf die umfassenden Angriffe auf die Politik des Ministeriums entgegnet.
Sie haben die von CDU bzw. CSU regierten Bundesländer wegen ihrer Familienpolitik angegriffen. Sie haben nur kritisiert, daß es beim Familiengeld Einkommensgrenzen für jene Frauen gibt, die Sie bei der Bundesgesetzgebung vergessen haben. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mit den familienpolitischen Leistungen sehr zufrieden bin, die Länder, welche eine CDU- oder CSU-Regierung haben, anbieten. Ich bin sehr froh über das, was in BadenWürttemberg angeboten wird. Ich bitte Sie, die von der SPD regierten Länder doch aufzufordern, zugunsten der Familien das gleiche zu tun. Die Familien wären sehr froh, wenn sie auch in Ihren Ländern diese Hilfe bekämen.
Noch ein Drittes, Herr Kollege Soell. Sie kommen wieder mit der alten Geschichte von der Ungerechtigkeit der Kinderfreibeträge. Meine Damen und Herren, darüber kann man reden.
Heute, da 110 Milliarden DM Lohnsteuer eingehen, spielen Steuerfreibeträge für Arbeitnehmer aber natürlich eine ganz andere Rolle als vielleicht noch vor 20 Jahren. Heute sagen Arbeitnehmer: Warum zahle ich mit drei Kindern die gleiche Steuer wie mein Kollege, der keine Kinder hat? Das ist draußen ein Problem geworden. Ich meine, lieber Herr Soell, daß unsere Konzeption — Kindergelder plus Steuerbefreiungen sowie BAföG und Wohngeld nach Einkommensgrenzen — insgesamt gesehen eine wohlausgewogene Lösung darstellt, für die wir auch in Zukunft eintreten werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2395
BurgerFrau Adam-Schwaetzer, ich müßte eigentlich etwas mehr Zeit haben, um auf einiges, was Sie gesagt haben, einzugehen. Leider fehlt mir diese Zeit. Einer Behauptung möchte ich aber doch entgegentreten. Sie vermissen alternative Konzeptionen der CDU/ CSU. Frau Adam-Schwaetzer, denken Sie doch einmal in Ruhe darüber nach, nach welcher Konzeption denn die letzten Kindergeldverbesserungen durchgeführt worden sind — nach der Ihrer Familienministerin, nach der Ihres Finanzministers, nach der der Koalition oder nach der der CDU/CSU. Ich meine, das, was in den letzten Monaten in Kraft getreten ist, trägt doch deutlich die Handschrift der Opposition. Wir haben über den Bundesrat konkret Verbesserungen durchsetzen können, die eben nicht dem entsprochen haben, was Sie ursprünglich gewollt haben. Also haben wir eine Konzeption, und wir haben sie auch durchsetzen können.
Herr Kollege Burger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege, stimmen Sie mir in dem Punkt zu, daß Kinderfreibeträge einem Arbeitnehmer in der Regel unter dem Strich wesentlich weniger bringen als beispielsweise jemandem, der — wie ein Arzt — über ein Höchsteinkommen verfügt?
Eine weitere Frage: Sind Sie mit mir gemeinsam bereit, dieses zu ändern?
Ich kann Ihnen nur das gleiche sagen, was ich bereits auf frühere Fragen geantwortet habe: Ich halte steuerliche Kinderfreibeträge in dem vorgesehenen Umfang, wie wir sie beantragt haben, für richtig, denn der Ausgleich entsteht dadurch, daß Wohngeld und BAföG vornehmlich den Beziehern von niedrigeren Einkommen gewährt werden.
— Herr Kollege Hauck, es ist Ihnen doch sicher bekannt, daß Bezieher von gehobenen, ja sogar schon von mittleren Einkommen nicht mehr in den Genuß von BAföG-Leistungen kommen können.
— Wir haben nicht von Landwirten gesprochen, sondern von Beziehern mittlerer und gehobener Einkommen. Sie können diese Beträge nicht mehr erhalten. Warum sollen diese Bezieher von gehobenen Einkommen dann also nicht zum Ausgleich in den Genuß von Steuerfreibeträgen kommen? Ich meine dies auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit vertreten zu können. Ich sage dies auch als Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum Thema kommen. Ich wollte eigentlich nur etwas zu dem Problem, wie es morgen im Bereich von Familie und Kindergeld weitergehen soll, sagen.
Über den Beratungen dieses Haushaltes lasten die Sorgen über die Frage, wie es morgen weitergehen soll, wie die September-Beschlüsse über Einsparungen auch im Sozialhaushalt aussehen werden.
Herr Kollege Burger, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Gerne.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Burger, bitte erklären Sie mir mal, warum nach Ihrer Meinung jetzt überhaupt kein Kindergeld mehr bezahlt werden soll; denn Sie wollen doch wohl diesen Etat, der zu 95 % aus Mitteln für das Kindergeld besteht, ablehnen.
Herr Kollege Hölscher, als alter Fuhrmann, dürften Sie diese Frage eigentlich nicht stellen. Wir lehnen diesen Etat ab,
weil wir die Gesamtpolitik der Bundesregierung und des Ministeriums ablehnen, nicht, weil wir die Kindergelder nicht wollen.
— Herr Kollege Wehner, das, was Sie selber als Opposition getan haben, können Sie nicht bei uns kritisieren. Dafür fehlt Ihnen die Legitimation.
Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. Die Schlacht mit Worten über die künftige Gestaltung der Sozialpolitik ist voll entbrannt. Ich meine, ein Gefühl der Betroffenheit beschleicht viele Eltern und viele Männer und Frauen, die als Alleinerziehende für Kinder verantwortlich sind. Die öffentlichen Erklärungen von Politikern der Koalition sind sehr vieldeutig. Mit immer neuen Ankündigungen wird wohl getestet, welche unpopulären Maßnahmen sich auch durchsetzen lassen.Frau Minister Huber hat vor einigen Wochen, im März 81, in einem Interview von einer nächsten Kindergelderhöhung, allerdings vor allem für Bedürftige, gesprochen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Karl Liedtke, dementiert zwar Kürzungen des Kindergeldes oder Absichten dazu, fordert aber Einkommensgrenzen. Der SPD-Haushaltsexperte Rudi Walther kündigt gegenüber „ddp" an, beim Kindergeld 5 Milliarden DM einsparen zu wollen, ebenfalls durch die Einführung von Einkommensgrenzen.
Schließlich ist auch der Wegfall des Kindergeldes für das erste Kind in der öffentlichen Diskussion genannt worden.
Metadaten/Kopzeile:
2396 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
BurgerEs gibt hier Widersprüche zwischen FDP und SPD. Aber die Überlegungen über diese Vorhaben scheinen offensichtlich sehr weit gediehen zu sein. Schmiede und Schmiedchen sind am Werk. Und es werden Pläne gemacht, die allzusehr nach parteipolitischer Nützlichkeit und nicht nach dem Prinzip der Gerechtigkeit gestaltet werden.Meine Damen und Herren, ich meine, es wäre verheerend, wenn in diesen Wochen kurzatmige Beschlüsse gefaßt würden. Eine Sparpolitik, die den Weg des geringsten Widerstandes geht, wäre verhängnisvoll.Die jetzt bekanntgewordene volle Wahrheit über die Lage der Bundesfinanzen trifft viele Bürger unvorbereitet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Uns allen geht es gut", diese frohe Botschaft hatte jedermann vernommen. Vor wenigen Tagen hat der Herr Bundesarbeitsminister den Mitgliedern des Sozialausschusses die Broschüre „Ratgeber für soziale Sicherheit" überreicht. Da steht gleich an erster Stelle: „Geld für die Familie". Und auf der ersten Seite kann man lesen:Dieses Buch soll Sie ermutigen. Ihr Herbert Ehrenberg.Meine Damen und Herren, wir müssen davon ausgehen, daß alle diese Angebote auf dem Prüfstand stehen und daß alle diese Angebote nun gefährdet erscheinen. Dies ist eine Situation, meine Damen und Herren, die wir Ihrer Politik zu verdanken haben.
Wer eine Familie gründet, wer ja zum Kind sagt, der hat Mut für die Zukunft. Kinder haben, heißt aber Verantwortung tragen. Die Entscheidung für Kinder ist auch davon abhängig, ob die Eltern das Gefühl haben, während der Gesamtzeit der Erziehung und des Unterhalts der Kinder vor unzumutbaren Benachteiligungen geschützt zu sein. Was sich aber jetzt abspielt, wird Eltern enttäuschen und junge Menschen entmutigen.Ist es nicht so — und darüber bitte ich einmal nachzudenken —, daß alle bereits beschlossenen und wohl auch alle künftigen Maßnahmen als Mehrbelastungen bei der Familie ankommen: die höheren Benzinpreise, die gestiegenen Fahrpreise, die erhöhten Beiträge bei der Renten- und Krankenversicherung, Strompreise, Benutzungsgebühren für Kanalisation, Gebühren für Wasser, Kürzungen beim BAföG und schließlich auch Auswirkungen einer 5 %igen Inflation? Und nun sollen im September weitere Maßnahmen kommen.Nicht auf dem Rücken der kleinen Leute, so heißt es, soll dies alles ausgetragen werden. Wer aber, meine Damen und Herren, soll das denn alles aufbringen? Natürlich werden alle beteiligt sein und werden alle von diesen Maßnahmen betroffen sein müssen.Meine Damen und Herren, weil die Familie jetzt und später von beinahe allen Sparbeschlüssen direkt oder indirekt getroffen wird, fordere ich alleFraktionen auf: Hände weg vom Kindergeld! Das Kindergeld ist die einzige Leistung ohne regelmäßige Anpassung. Von 1965 bis 1975, zehn Jahre lang, gab es keine Erhöhungen, und spätere Verbesserungen sind immer mit Verbrauchsteuererhöhungen einhergegangen.Es geht uns aber um mehr als nur um Geld, es geht uns um den Stellenwert der Familie, um die Anerkennung der Leistung der Familie, es geht um die Lebenschancen der Kinder und um das Wohl der Kinder. Sicherheit und Familie waren die beiden Fixpunkte der CDU bei der Bundestagswahl. Es geht hier um die Sicherung der Zukunft: Äußere Sicherheit und Frieden und lebendige Familien sind verläßliche Garanten für eine gute Zukunft.
CDU und CSU wollen an ihren politischen Zielen in der Familienpolitik festhalten: keine Diffamierung der Familie, Stärkung ihrer Erziehungskraft; Kinderwünsche sollten erfüllbar sein,
Mann und Frau sollten ihre Rolle in Ehe und Familie, in Beruf und öffentlichem Leben frei, also weitgehend unabhängig von materiellen Zwängen gestalten können. Unser Leitbild heißt „partnerschaftliche Familie",
füreinander verantwortlich sein, Aufgaben gleichberechtigt vereinbaren können. Meine Damen und Herren, das wollen wir ermöglichen, das ist unsere Konzeption.
Sie ist modern, Frau Adam-Schwaetzer, und sie ist nicht ideologisch.
Wir bejahen die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Arbeit, Beruf und Gesellschaft.Wir haben noch ein zweites Ziel. Es heißt Wahlfreiheit. Meine Damen und Herren, diesem zweiten Ziel messen wir eine ganz besondere Bedeutung zu. Gerade hier aber haben wir Sorgen, denn die Anrechnung von Erziehungsjahren im Rentenrecht oder Familiengeld für alle Mütter, das sind von uns angestrebte langfristige Ziele, deren Realisierung im Augenblick anscheinend in immer weitere Ferne rückt.
— Herr Kollege, ich habe Ihnen die Konzeption meiner Fraktion auseinandergesetzt. Ich bestätige Ihnen noch einmal: an dieser Zielsetzung werden wir auch in mageren Jahren energisch festhalten.
Ich komme zum Schluß. Ein Haushalt ist Politik in Zahlen. Der jetzige brachte die halbe, der Haushalt 1982 bringt vielleicht die volle Wahrheit. Mit aller Klarheit hat der Verlauf der Debatte gezeigt, daß eine Sanierung des Haushalts auf Dauer nicht mög-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2397
Burgerlich sein wird ohne Abstriche in den verschiedensten Leistungsbereichen. Lassen Sie mich aber mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, daß es für meine Fraktion ganz bestimmte Prioritäten gibt, die aufrechtzuerhalten auch für die Zukunft unverzichtbar ist. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben wieder einmal die große Bandbreite der Opposition vorgeführt bekommen, von einem gewissen Herrn Rose, der sich ausgewiesen hat
durch ein Übermaß an Polemik,
das er kompensiert hat durch ein entsprechendes Minus an Sachgehalt seiner Ausführungen, und auf der anderen Seite Herrn Burger, der sich als Fachmann für dieses Arbeitsgebiet durch eine jahrelange Tätigkeit ausgewiesen hat und der auch in seinen Äußerungen hier den Ton gefunden hat, der uns miteinander dazu bringen kann, für das deutsche Volk, für das wir hier agieren, die bestmöglichen Beschlüsse und Entschlüsse zu fassen.
Herr Rose, Sie haben BAföG — das war, so nehme ich an, gemeint — als „staatliches Taschengeld" abgetan; Herr Kollege Burger hat seine Besorgnisse in der Frage ausgebreitet, wie denn bei veränderten finanziellen Rahmenbedingungen — weil es keine entsprechenden Zuwächse mehr gibt — die Familien damit fertig werden können.
Ich meine, hier ist nicht nur eine große Bandbreite unterschiedlicher Meinungen und Temperamente deutlich geworden; hier wird auch wieder ein Verwirrspiel — je nachdem, wie man es haben möchte — gezeigt.
Ich möchte für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in aller Form die unverschämten Angriffe auf Frau Bundesminister Huber, die Sie, Herr Kollege Rose, hier gestartet haben, zurückweisen!
Auch Ihre Angriffe, die Sie gegen die Beschäftigten quasi des gesamten Ministeriums gerichtet haben, möchte ich hier in aller Form zurückweisen.
Dort wird saubere und solide Arbeit geleistet.
Herr Kollege Rose, substantiell war in Ihrer Rede nicht allzuviel enthalten. Deswegen habe ich auch nur ein paar Sachpunkte herausschreiben können, auf die ich Ihnen — das soll ja schließlich der Sinn einer Debatte sein — eine Antwort geben will.
Sie haben den Bundesjugendplan genannt und haben gesagt, wir hätten es dahin gebracht, daß freie Jugendarbeit stranguliert werde.
Erinnern Sie sich doch bitte einmal daran, daß der Bundesjugendplan keine Erfindung der sozialliberalen Koalition ist, sondern ein Förderungsinstrument des Bundes, das in einer Zeit, als die CDU/CSU die Regierung gestellt hat, eingeführt worden ist, und daß es Verwendungsnachweise für die dort verausgabten Gelder seit eh und je in der gleichen Form gegeben hat.
Noch eines möchte ich nicht unerwähnt lassen. Es sind zum Schluß j a immer Sie, die aus Bemerkungen von Rechnungshöfen, in unserem Falle aus Bemerkungen des Bundesrechnungshofes, Honig saugen. Daß das bei der Ministerialbürokratie zu entsprechenden Verhaltensweisen führt, daß sich nämlich diese Bürokratie für die öffentlichen Gelder, die sie an Zuwendungsempfänger gibt, ihrerseits entsprechende Verwendungsnachweise geben lassen muß, ist doch nur allzu natürlich.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, Herr Präsident.
Herr Kollege, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zwar der Bundesjugendplan unter einer Unionsregierung eingeführt und damals auch gut durchgeführt wurde, daß ich aber in meinem Alter noch genug Gespräche mit den Jugendverbänden führen kann und mir dabei gesagt wird, so schlimm, wie der Formularkram zur Zeit sei, sei es noch nie gewesen?
Herr Kollege, nun kenne ich Ihre Gesprächspartner nicht, aber ich kann mir vorstellen, daß sie Ihrer Persönlichkeitsstruktur einigermaßen entsprechen werden.
Ich habe andere Gesprächspartner. Nur hatten Sie hier vorhin den Eindruck erweckt, als wäre die Kritik, die Ihnen aus entsprechenden Kreisen zugegangen ist, eine Kritik des Bundesjugendrings. Dies muß ich zurückweisen. Eine solche Kritik ist bei uns nicht angekommen.
Sie haben vorhin das Jugendhilferecht als etwas bezeichnet, was in die falsche Richtung führt. Wenn aber schon der Bundesjugendring zu zitieren ist, dann mit seiner Forderung, das Jugendhilferecht zu verabschieden!
Aus dem Katalog Ihrer Darlegungen habe ich mir als Stichwort noch „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung" — und überhaupt den Bereich „Öffentlichkeitsarbeit", den Sie als Propagandainstrument abgetan haben — aufgeschrieben. Wissen Sie, wenn die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein Propagandainstrument wäre, hätte
Metadaten/Kopzeile:
2398 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Jaunichsie auch entsprechende Verteiler, deren Fehlen Sie gerade bemängelt haben.Wie verhält es sich denn tatsächlich? Man kann doch wohl, wenn es um gesundheitliche Aufklärung geht, nicht einen Standardverteiler haben und jedem das gleiche zukommen lassen, einmal auf Alkohol, das andere Mal auf Drogenkonsum, das dritte Mal auf Fettleibigkeit und das vierte Mal auf etwas anderes bezogen. Nein, da muß man halt für die spezielle Zielgruppe, die man mit seinen Maßnahmen erreichen will, jeweils auch einen speziellen Verteiler und nicht einen generellen, der nach dem Gießkannenprinzip über das ganze Land ausgebreitet ist, vorhalten.Es gibt eine ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf der einen und entsprechenden freien Vereinigungen in unserer Gesellschaft auf der anderen Seite. So darf ich Sie daran erinnern, daß die Kollegen aus dem Fachausschuß erst kürzlich ein Gespräch mit der deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren geführt haben, wo uns bestätigt worden ist, daß es eine hervorragende Zusammenarbeit auf dem Feld der gesundheitlichen Aufklärung zwischen diesen Verbänden gibt. Sie tun dies hier mit „Propaganda" ab.
Herr Kollege Burger, soweit Sie hier Ziele von Familienpolitik beschrieben haben, kann ich volle Übereinstimmung unter uns feststellen. Nur klaffen Worte und Taten gelegentlich ein bißchen auseinander. Herr Kollege Burger, wir haben kein Vertrauen in Sie — nicht in Sie als Person, sondern in Sie als Fraktion oder Fraktionsgemeinschaft —, wenn es um steuerliche Freibeträge zur Minderung der finanziellen Lasten für Familien mit Kindern geht. Sie haben hier einmal eine konkrete Gesetzgebungsinitiative eingebracht, die in der Tat in den Auswirkungen begrenzt war; aber ich habe in Sie nicht das unbegrenzte Vertrauen, daß dies nicht nur als Einstieg zu den unbegrenzten Möglichkeiten eines progressiven Effektes bei diesen Freibeträgen zu verstehen war.
Denken wir an das merkwürdige Beispiel mit den Kinderbetreuungskosten, das sich auf ähnlichem Niveau vollzieht! Kurzum, hier können wir Ihnen keinen entsprechenden Vertrauensbeweis entgegenbringen. Ich muß Sie fragen, da Sie das heute hier im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung erwähnt haben: Wie wollen Sie zu diesen Freibeträgen kommen, und was soll dann mit dem Kindergeld geschehen? Oder soll das als eine neue Forderung in den Raum gestellt werden, die zu enormen Einnahmeausfällen für den Finanzminister führen müßte?Kollege Burger, ich komme zu Ihren Sorgen, die Sie für die Zukunft beschrieben haben. Hier und heute reden wir zum Haushalt des Jahres 1981, und für den Haushalt 1982 — da können Sie ganz sicher sein — wird es keine Schnellschüsse aus der Hüfte geben. Da wird es keine kurzatmigen Beschlüsse, wie Sie es genannt haben, geben, sondern wir werden in Ruhe und Sorgfalt unsere Position in unserem Bereich — ich meine diejenigen, die für Jugend, Familie oder Sozialpolitik zuständig sind — in unserer Fraktion auch sehr deutlich markieren.Als wir Sozialdemokraten programmatisch erklärt haben, daß wir künftige Zuwächse beim Kindergeld als einkommensabhängige Zuschläge zu dem bestehenden Kindergeld verstehen und begreifen, sind wir von keiner Seite mit Beifall bedacht worden. Es gab keine andere Fraktion dieses Hauses, die einem solchen Gedanken eine positive Seite abgewinnen konnte. Nach einigem, was ich gelesen und gehört habe, habe ich zwischenzeitlich den Eindruck, daß sich da bei manchen ein Wandel in der Auffassung abzuzeichnen beginnt. Ich kann dies nur begrüßen. Wenn wir eines Tages zu konkreten Beschlüssen kommen, werden wir sehen, wie entschieden wird.Wenn wir uns den Ablauf dieser Debatte, sei es auch nur für diesen Einzelplan 15, vor Augen führen, dann will ich das aus meiner Sicht zusammengefaßt so beurteilen: Die Opposition liebt es, sich sehr vollmundig zu gebärden. Wir haben das in den Ausführungen des Haushaltsberichterstatters sehr treffend erlebt. Auf der andern Seite hat sie bei den Haushaltsberatungen praktisch keine oder nur marginale Einsparungen durch Anträge bewirkt. Das einzige dazu finden wir auf diesem roten Sammelantrag, der sich mit allgemeinen Bewilligungen und einer Minderausgabe bei den Ansätzen für Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Wenn dieser Antrag angenommen würde, so würde das bedeuten, daß folgende Projekte nicht zu realisieren wären: Aufklärung für Heimbewohner, Aufklärung für Sozialhilfeempfänger, Ferienführer für Behinderte — eine glorreiche Fehlleistung Ihrerseits im Jahr der Behinderten. Außerdem könnte eine beabsichtigte neue Schrift zur Integration Behinderter in der Freizeit nicht herausgegeben werden. Ihr Antrag, der einen geringfügigen Einsparungseffekt bewirken würde, der aber absolut in die falsche Richtung ginge, kann und wird von uns nicht mitgetragen werden.Wenn man von diesen Ihren Forderungen absieht: Wie soll man sich dann die Gesamthaltung der Union erklären? Die Familienpolitik — Herr Kollege Rose, das haben Sie eben zu Recht angemerkt — war eines Ihrer zentralen Themen im Wahlkampf. Was kommt jetzt danach?
Schweigen im Walde!
— Und das wußten Sie vorher nicht? Da kann ich nur sagen: Dann haben Sie nicht aufgepaßt.
— Entschuldigen Sie! Sie sind diesen Denkkategorien doch verhaftet. Dann müssen Sie das seinerzeit doch auch so beurteilt haben. Sie können doch nicht von der Tatsache ablenken, daß Sie im Bundestagswahlkampf und Monate vorher im Parlament den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2399
JaunichEindruck erweckt haben, als gehe es im Bereich der Familienpolitik um große finanzielle neue Leistungen, die gesetzlich verankert werden müßten, und als sei alles, was die Bundesregierung tue, von vorne bis hinten falsch. Sie sagen auch jetzt, in diesem Haushaltsplan sei alles falsch; und dann begnügen Sie sich mit Streichungsanträgen in Höhe von 250 000 DM für die Öffentlichkeitsarbeit. Wem wollen Sie eigentlich deutlich machen, daß Sie eine Alternative zu dieser Regierung sind?
Da Sie weder Anträge zur Einsparung gestellt haben noch neue Orientierungen im Bereich von Familien-und Jugendpolitik zu setzen in der Lage sind, kann man doch wohl nur eine Konsequenz ziehen: Auch nach Ihrem Eindruck leistet die Bundesregierung eine gute und solide Arbeit.
— Sie können es nur nicht zugeben. Diesen Großmut bringen Sie nicht auf.Wie kann man denn kritisieren, daß eine so große Finanzmasse in diesem Haushalt durch Kindergeld gebunden ist? Das kann man doch nicht kritisieren, das kann man doch nur freudig und dankbar vermerken. Man kann doch nicht sagen, daß das Übrige, was dann noch bleibt, überhaupt keine Aktivitäten möglich mache, wenn man andererseits immer wieder beklagt, daß Aktivitäten gestartet würden, mit denen man persönlich nicht einverstanden sei. Auchdas ist ein großer Widerspruch.
— Oder wo der Bund nicht zuständig ist, natürlich. Und wie schwierig das Geschäft ist, auch dort, wo er Zuständigkeiten hat, irgend etwas zu entwickeln, einen Millimeter nach vorne zu bringen — nämlich im Verhältnis mit dem Bundesrat klarzukommen —, das wissen wir doch alle.Ich will noch ein paar Worte zum Bundesjugendplan sagen. Damit hat sich Herr Kollege Kroll-Schlüter in der ersten Lesung kritisch auseinandergesetzt. Was ist dann gekommen? Dann ist überhaupt nichts mehr gekommen. Wir Sozialdemokraten werden das im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zum Thema machen. Dann werden wir uns sehr lange und sehr gründlich darüber unterhalten, ob es Möglichkeiten gibt zu mehr Entfaltung der freien Initiative, ob wir mehr Kräfte freier Initiativen wecken können, das, was Sie, Herr Kollege Kroll-Schlüter, angeschnitten haben.
— Es tut mir leid, ich habe nur noch eine Minute Redezeit. Ich kann die Frage nicht zulassen, obwohl ich es gern täte. Sie wissen, daß ich keinem Streit aus dem Wege gehe, insbesondere mit Ihnen nicht.
Herr Kollege Jaunich, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich habe gerade gesagt: Weil ich nur noch eine Minute Redezeit habe, ist das nicht möglich.
— Herr Kollege, wer ein Übermaß an Polemik geboten hat, das zu beurteilen, ist ja wohl recht einfach für alle die, die anwesend sind.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, noch einmal: Wir sind bereit, uns mit Ihnen gemeinsam den Bundesjugendplan im zuständigen Bundestagsausschuß vorzunehmen und miteinander zu gucken, ob es z. B. bürokratische Verkrustungen gibt. Das mag ja sein; ich will das gar nicht definitiv abstreiten.
— Aber, Herr Kroll-Schlüter, Sie begnügen sich doch damit, im Plenum irgendeine Bombe loszulassen, und hinterher ist das Thema bei Ihnen dann nicht mehr gefragt. Möglicherweise verfahren Sie in Jugendfragen nach der von Kurt Biedenkopf befürchteten Devise. Er sieht nämlich voraus, daß Ihr Parteitag, der sich mit Jugendfragen beschäftigen soll, unter dem Motto stehen wird: Es gibt viel zu tun — heften wir es ab! Ich habe den Eindruck, daß Sie hier auch nach diesem Motto vorgehen. Man kann einen Punkt nicht kurz anschneiden und ihn dann nicht weiterverfolgen. Wir wissen doch, wie das parlamentarische Geschehen ist.
— Es ist nicht falsch. Es gibt bisher von Ihnen noch keine Bemühungen in diesem konkreten Gesetzgebungsbereich.
Ich habe eben erklärt, daß ich für meine Fraktion im Ausschuß beantragen werden, dies zum Thema zu machen. Dann werden wir darüber sprechen. Aber es wäre Ihre Sache gewesen, wenn Sie hier mehrfach in Reden solche Befürchtungen zum Ausdruck bringen, in der konkreten Weiterverfolgung, in der Kleinarbeit des Ausschusses — das gebe ich zu — dies zu verfolgen.
— Das haben Sie bisher nicht getan.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich aus gegebenem Anlaß eine Vorbemerkung zum Stil dieser Debatte machen. Am 10. April dieses Jahres sprach ich anläßlich der Debatte zum Einsatz der Enquete-Kom-
Metadaten/Kopzeile:
2400 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Eimer
mission „Jugendprotest im demokratischen Staat" von der Glaubwürdigkeit der Politiker und davon, „daß ein Politiker nicht die Aufgabe hat, Populäres zu sagen, sondern Notwendiges populär zu machen". Das Protokoll vermerkt: Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.Ich sagte weiter:Auch an einer anderen Stelle hat die Politik, wie ich meine, bei den Jugendlichen Glaubwürdigkeit verloren. Ich meine die Art und Weise, wie wir mit dem politischen Gegner umgehen.Darauf kam ein Zuruf von Herrn Walther Leisler Kiep „Sehr richtig!".Ich sagte weiter:Wenn sich Politiker gegenseitig unterstellen, daß der andere böse, unfähig oder dumm ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Jugendliche, die anderer Meinung sind als wir, uns ebenfalls als dumm oder böse hinstellen.Meine Damen und Herren, der Beifall an mehreren Stellen und zum Schluß meiner Rede gab mir etwas Hoffnung, daß dies nicht in den Wind gesprochen war. Der Stil dieser Auseinandersetzung hat sich aber, so meine ich, in dieser Debatte nicht geändert.
Wer die stärksten Worte findet, der findet sich in den fettesten Überschriften, und das mag verführen.Lassen Sie mich deshalb auch einige Worte zu den Vorfällen gestern abend am Ende der Sitzung sagen. Dies war ein Paradebeispiel dafür, wie man den Staat, die Demokratie und die Parlamentarier in Verruf bringen kann.
Hier wurden Fehler von allen Seiten des Hauses gemacht.
Ich sage das hier nicht, um damit gegen irgendeine Fraktion zu polemisieren. Ich meine, wir sollten das alles mit einer gehörigen Portion Selbstkritik sehen.Wie wollen wir den jungen Menschen begründen, daß es Abgeordnete geben soll, die ihr Recht auf Redezeit nicht ausschöpfen dürfen? Natürlich bewegt das, was Coppik und seine Freunde sagten, vor allem die Jugend. Welches Bild geben wir aber hier im Plenum ab — damit meine ich wieder alle — —
— Lassen Sie mich ausreden. Ich habe nicht gesagt, daß ich Sie angreifen will. Hier geht es um die Selbstkritik am Stil des gesamten Parlaments.Wie wollen wir der Öffentlichkeit und vor allem der Jugend klarmachen, welchem Irrtum Coppik und seine Freunde unterliegen, wenn wir nicht in der Lage sind, ihnen ernsthaft zuzuhören?
Auch ich habe mich geärgert über die Reden von Coppik und seinen Freunden, weil sie so taten, als seien diejenigen, die anderer Meinung sind als sie — ich auch —, unmoralisch und als berühre sie der Hunger und das Elend dieser Welt nicht.
Aber wir sollten uns auch die übrige Debatte selbstkritisch anschauen. Damit meine ich wieder die Vertreter von allen Fraktionen. Von heute morgen möchte ich vor allem meinen Kollegen Rose ansprechen. Ich glaube, Herr Rose, es wäre gut, wenn Sie sich Ihre Rede nochmals im Hinblick auf die Grundsätze anschauten, zu denen Sie damals auch Beifall gespendet haben.
Herr Kollege Eimer, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte. Vizepräsident Leber: Bitte schön.
Lieber Kollege Eimer, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mir erstens meine Rede vorher gut überlegt habe, zweitens zum Haushalt gesprochen habe und deshalb das Ministerium kritisieren wollte, drittens Ihre Aussagen, die Sie jetzt zur Jugend machen, voll bestätigen kann, wenn Sie meinen, wir sollten anders miteinander umgehen, daß ich viertens von Ihrer Seite aber auch dasselbe erwarte?
Herr Kollege Rose, das war zwar nicht direkt eine Frage, aber ich nehme selbstverständlich gern dazu Stellung. Ich habe nur eine Bitte dahin geäußert, daß vielleicht jeder versucht, sich selbst an die Brust zu klopfen. Wenn wir hier Glaubwürdigkeit in das Verhältnis zur Jugend bringen wollen, ist es notwendig, daß wir bei Kritik alle an uns selbst denken. Ich will versuchen, daß in diese Auseinandersetzung — jedenfalls von mir — keine Schärfe hineingebracht wird.
Herr Rose, ich will sogleich auf das zu sprechen kommen, was Sie hier zum Haushalt gesagt haben. Der Schwerpunkt Ihrer Auseinandersetzung mit dem Haushalt betraf im Grunde genommen nicht den „dicken Brocken" des Haushalts, nämlich die 95 %, um die es hier eigentlich geht, sondern Sie haben einen Nebenkriegsschauplatz gewählt. Sie haben über die 5% gesprochen, die neben dem Kindergeld vorhanden sind. Ich meine aber, Herr Kollege Rose, daß man, wenn man über den Haushalt redet, nicht nur über einen Teil sprechen kann, sondern man muß über den Schwerpunkt dieses Haushalts sprechen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2401
Eimer
Ich möchte gleich anschließend noch zu den Worten kommen, die Sie, Herr Burger, ebenfalls — —
— Lassen Sie mich halt ausreden. — Herr Burger, Sie haben mit einer gewissen Berechtigung gesagt, das Konzept des Kindergeldes und vor allem des Zuschlages entspreche mehr Ihren Vorstellungen als z. B. unseren Vorstellungen. Ich gebe zu, daß wir den Schwerpunkt bei diesen Erhöhungen mehr auf das Erstkindergeld gelegt hätten. Wenn 95 % dieses Haushalts für das Kindergeld ausgegeben werden und wenn Sie hier von diesem Pult aus sagen, das sei im Grunde genommen Ihr Konzept, dann verstehe ich nicht, wie Sie dann diesem Haushalt nicht zustimmen können.
Ich meine, es wäre gut, wenn Sie sich in diesem Fall einen Ruck geben könnten, denn so groß sind die Unterschiede in den Vorstellungen zwischen Ihnen und der Koalition nicht.Auf die Anregungen, die Herr Rose heute morgen in seiner Rede gegeben hat, möchte ich auch noch einmal zurückkommen. Herr Rose, Sie sprachen — auch im Zusammenhang mit dem Kindergeld — von der Bürokratie. Sie wissen alle, daß wir das Kindergeld sehr gerne auf eine Finanzamtslösung umgestellt hätten, weil damit ungefähr 3 000 Beamtenstellen einzusparen sind. Wir haben hier einen entsprechenden Vorschlag gemacht; wir können ihn nicht durchsetzen, weil der Bundesrat bisher nein gesagt hat. Es wäre doch ganz zweckmäßig, wenn Sie auf Ihre Kollegen in den Bundesländern etwas einwirken würden, damit wir hier in dieser Frage etwas weiterkommen können.Aber lassen Sie mich noch etwas zum Haushalt des Jahres 1982 sagen, weil ja der Haushalt 1982 in dieser Haushaltsberatung die Aussprache, vor allem am ersten Tag, beherrschte. Es wurde von Einsparungen in Milliardenhöhe gesprochen, und wir wissen, daß diese Einsparungen auch am Einzelplan 15 wohl nicht ganz spurlos vorbeigehen können. Wir werden ihn zwar nicht gern einer Korrektur unterziehen und uns hier nur wenn nötig stellen; aber da weniger als 5 % dieses Haushalts überhaupt freie Masse sind — d. h. so frei sind die gar nicht, denn die Beamtengehälter sind j a auch noch dabei —, kann sich jeder vorstellen, daß bei Einsparungen bezüglich dieser 5 % nicht sehr viel herauskommt. Diese Tatsache ist bekannt, und so ist es nicht verwunderlich, daß deswegen die Spekulationen ins Kraut schießen.Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, denen man notfalls zustimmen könnte, und solche, denen man nicht zustimmen kann. Wenn wir diese Diskussion ehrlich führen wollen, meine ich, wäre es zweckmäßig, hier heute keine neuen Barrieren aufzurichten, die spätere Verhandlungen erschweren. Es muß der Satz bleiben: Es gelten keine Tabus. Aber weil ich speziell angesprochen worden bin, auch von Herrn Hartmann — auch von Ihnen, Herr Rose, kam das zur Sprache —, möchte ich sagen: Es gibt Gerüchte über die Streichung des Erstkindergeldes. Diese Vorschläge stammen nicht von uns. Ich möchte diejenigen, die diese Vorschläge gemacht haben, einmal fragen, ob sie sich überlegt haben, welche Konsequenzen das im Hinblick auf unsere Verfassung und im Hinblick auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie hat. Ein Wegfall des Erstkindergeldes würde mit Sicherheit andere Ausgleichsentlastungen notwendig machen. Ich frage mich, ob hier Einsparungen überhaupt zweckmäßig und möglich sind.Da gibt es zum zweiten die Forderung nach Einkommensgrenzen für Kindergeld.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Eimer?
Ja, einen kleinen Moment.
Ich habe bei der letzten Haushaltsberatung gesagt, was wir davon halten. Unsere Meinung dazu hat sich nicht geändert. Ich meine, auch hier gilt der Satz: Es gelten keine Tabus.
— Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Eimer, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß der Bundesfinanzminister eindeutig dementiert hat, daß es in seinem Haus Pläne zur Streichung des Erstkindergeldes gebe?
Ich habe das mit Freude zur Kenntnis genommen. Das zeigt doch, daß es sich hier im Grunde genommen nur um ein Gerücht gehandelt hat.
Lassen Sie mich noch eines anführen, damit keine Mißverständnisse auftreten: Von Sparmaßnahmen werden alle getroffen werden. Wollte man nur die Bezieher großer Einkommen dazu heranziehen, so könnten wir die Sparmaßnahmen mangels Masse vergessen. Hier gilt leider das Wort: die Masse macht es aus. Das heißt aber nicht, daß Einsparungen — auf das Individuum bezogen — den kleinen Mann stärker belasten dürfen als denjenigen, der finanziell bessersteht.
Alle Sparmaßnahmen müssen sozial ausgewogen sein. Das Schwergewicht muß nach Möglichkeit auf die Beseitigung von Mißbrauch und Wildwuchs gelegt werden.Meine Kollegen, vor allem meine Kollegen von der Opposition, wir sind in allen Punkten offen für Kritik und für Anregungen. Wir wollen im Streitgespräch über die Sache den richtigen Weg finden. Kritik ist immer gut. Gerade Liberale sind immer offen für Kritik. Aus Schlagworten, wie ich sie leider aus den Reden von Herrn Blüm und Herrn Rose hörte, kann ich beim besten Willen keine Rezepte für die Zukunft ablesen.
Metadaten/Kopzeile:
2402 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Eimer
Wir teilen die Kritik der Opposition nicht. Deswegen werden wir diesem Haushalt zustimmen. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute verschiedentlich angesprochen worden, daß die Finanzmittel, die dem Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit neben dem Kindergeld zur Verfügung stehen, zu knapp bemessen sind. Nun wissen wir, daß das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bereits seit Anfang der 70er Jahre nicht gerade zu den angesehensten und erfolgreichsten in der derzeitigen SPD/FDP-Regierung gehört.
Es ist auch kein Geheimnis, daß die Finanzminister hier nicht gerade sehr freigiebig waren.
Die internen personellen Schwierigkeiten, von denen mein Kollege Rose schon gesprochen hat, sind sicherlich ein Grund dafür. Daß es aber Gesundheitspolitik schon seit langem nicht mehr gibt, wie Herr Mudra vom DGB selber gesagt hat, unterstützt von seiner Kollegin von der ÖTV — auch Herr Brückner, SPD-Senator, hat gesagt, daß die Gesundheitspolitik dieser Regierung ihren Namen nicht verdiene —, das muß doch auch noch andere Gründe haben.
Hier zeigt sich offenbar die Organisationsschwäche dieser Bundesregierung, für die der Bundeskanzler Verantwortung trägt. Er hat den Stellenwert der Gesundheitspolitik gründlich verkannt.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nur über die Gesundheitspolitik sprechen; über Jugend und Familie ist bisher schon sehr viel gesagt worden. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist nun einmal kein starkes Gesundheitsministerium, das in der Lage wäre, eigene Standpunkte zu präzisieren und die notwendige Emanzipation der Gesundheitspolitik innerhalb der Gesamtpolitik durchzusetzen. Wenn man die Gesundheitspolitik als eigenständigen Teil der Gesellschaftspolitik anerkennt, in der die wichtigen Grundlagen der Eigenverantwortung und der Solidarität gelegt werden, Tugenden, die wir in unserer Demokratie unabdingbar nötig haben, erkannt hat, dann kann man einfach nicht zulassen, daß das verantwortliche Ministerium seine Zuständigkeiten auf wichtigen Gebieten mit anderen Ressorts, deren Aufgabe nicht die Gesundheitspolitik ist, teilen muß.
So zeichnet für den gesundheitspolitisch bedeutsamen Bereich der Umwelthygiene, d. h. den Schutz des Menschen vor den ihm aus seiner Umwelt drohenden Gefahren, das Innenministerium verantwortlich. Für die medizinische Versorgung ist der Arbeitsminister zuständig, der die Gesundheitspolitik durch ökonomische Zwänge, durch Sparmaßnahmen, wenn sie auch im Grundsatz sicherlich notwendig sind, geradezu erdrückt. Auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung hat weitgehend der Forschungsminister die Kompetenz übernommen und zugleich bürokratisiert. Im Bereich des Lebensmittelwesens und des Veterinärrechts spricht das Ernährungsministerium ein gewichtiges Wort mit. Die Arzneimittelsicherheit ressortiert noch im Gesundheitsministerium, wird aber in immer stärkerem Maße durch Kostenüberlegungen des Arbeitsministers — z. B. durch den Arzneimittelhöchstbetrag — tangiert, während die Arzneimittelpreise wiederum im Wirtschaftsministerium beheimatet sind. Schließlich ist auch noch der Finanzminister daran beteiligt, wenn er nämlich immer wieder die Frage nach einer Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel mit falschen Argumenten aus dem EG-Bereich abschmettert.
Aber der Verbraucherschutz, meine Damen und Herren, wird von vielen sich zuständig fühlenden Initiatoren und eigentlich von sämtlichen Ministerien berieselt. Daraus resultieren dann tiefe Verunsicherung und ein offensichtliches Mißtrauen der Bevölkerung, die sich angesichts der vielen auf sie zukommenden Fragen und Anregungen fragen muß: Was darf man denn eigentlich noch essen, trinken, einatmen? Wo darf man noch baden? Wo darf man überhaupt noch Blumen pflücken?
Notwendige Verantwortung gerade in diesem Bereich und Mitverantwortung des Bürgers weichen auf diese Weise letztendlich tiefer Resignation.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Es tut mir leid. Ich habe nur fünf Minuten Redezeit.Die ärztliche Ausbildung schließlich, für die das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit verantwortlich zeichnet und die dringend reformbedürftig ist, wird dominierend beeinflußt von der Hochschulgesetzgebung samt Kapazitätsverordnung, von den völlig ungeeigneten Kriterien für die Zulassung von Medizinstudenten und von der Gestaltung der gymnasialen Oberstufe bzw. der Oberstufenreform. Meine Damen und Herren, da hat das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit überhaupt keinen Einfluß; es muß aber letztlich für eine gute Ausbildung der Ärzte garantieren.
Es ist daher erschreckend, feststellen zu müssen, daß für die Novellierung der Approbationsordnung für Ärzte, wenn dafür auch endlich offensichtlich praktikable Vorschläge im Ministerium vorliegen — wir haben lange genug darum gekämpft —, nach Aussage der Frau Minister erst im kommenden Jahr mit der Einbringung der notwendigen Gesetzesänderungen und der Verordnung zu rechnen ist. Man hat sich hier anscheinend auf Grund der Schwierigkeiten, die man schon seit langem kennt, auf lange Abstimmungsverhandlungen eingestellt. Die Medi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2403
Frau Dr. Neumeisterzinstudenten aber und vor allem die Bürger, für die eine gute ärztliche Versorgung lebensnotwendig ist, bleiben bei solchen Methoden auf der Strecke.
Meine Damen und Herren, nur ein starkes Gesundheitsministerium, das nicht von den wichtigsten, ureigenen Aufgaben zur Erhaltung der Gesundheit für den einzelnen und für das Volk entblößt ist, kann Gesundheitspolitik gestalten und sich gegen Übergriffe aus macht- und kompetenzhungrigen anderen Ministerien zur Wehr setzen. Dieses Ministerium ist dazu jedoch nicht in der Lage. Wer kann sich da noch wundern, daß in der Gesundheitspolitik nichts bewegt wird? Dies, meine Damen und Herren, ist keine Frage der Finanzen.
Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand erwartet, daß die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen von der Opposition Lob erhalten; schon gar nicht bei der Haushaltsdebatte. Wir hören Ihre Kritik und nehmen sie entgegen. Aber, Herr Rose, Ihr Mitleid können Sie sich schenken.
Es gibt Leute, die blamieren in Ihrer Rede niemand anders als sich selbst.
Ich gebe zu, es ist für mich manchmal bitter, für wichtige Aufgaben kein Geld zu haben. Wir müssen alle sparen. Aber wie soll ich es verstehen, daß ein Mitglied des Haushaltsausschusses, wenn er doch dasselbe denkt wie ich, sich für manche Dinge mehr Geld wünscht und dies für so wichtig hält, dieses nie im Haushaltsausschuß, sondern immer nur hier einmal im Jahr polemisch vorbringt? Was ist ihm wichtiger: seine Verantwortung als Abgeordneter oder sein parteipolitisches Wahlinteresse?
Dazu paßt dann auch, daß hier so billige Zeitungsmeldungen zitiert werden, wie über Busen und Po, Äußerungen, die ich mit Sicherheit nie getan habe. Das dürften auch Sie wissen. Dazu kennen Sie mich gut genug, daß Sie nicht glauben können, daß ich sowas je gesagt hätte.Aber es ist merkwürdig. In den vergangenen großen Haushaltsdebatten, schon zu Anfang, hat die Familienpolitik eine große Rolle gespielt. Da war der Bevölkerungsrückgang ein Alarmsignal, und man hat gefragt, was dagegen getan werde. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben damals ziemlich konservative Vorschläge gemacht. Wenn Sie heute sagen, wir verteufelten die „Familie" als rechtsextremistisches Gedankengut, das wir in die Ecke stellen wollten, so ist das nur eine Bemäntelung von Vorgängen, über die wir früher gestritten haben. Wir haben den Wert der Familie an dieser Stelle immer hochgehalten. Es fragt sich nur, wer geistig mit einigen Entwicklungen nicht Schrift gehalten hat. Das ist eine Frage, die wir keineswegs so beantworten, wie Sie es hier getan haben, Herr Rose. Man kann sich nicht einfach über die Nöte unserer Bürger hinwegsetzen und sagen: dies brauchen wir nicht und jenes brauchen wir nicht. Zur Familie gehören auch die mißhandelten Kinder, auch das Frauenhaus. Das versehen Sie alles mit einem negativen Akzent. Wenn ich so boshaft und so polemisch wäre wie Sie, Herr Rose, würde ich sagen: Paßt sehr gut zu den Nachrichten aus der Provinz, wo Herr Oberbürgermeister Kiesl kein Frauenhaus, aber ein Großbordell für notwendig hält.
— Ja, jeder blamiert sich, so gut er kann. Das trifft auf den Genannten, zu.Und wenn Sie dann zur Sache und zum Haushalt 1981, der sich ja doch wohl sehen lassen kann mit den großen Steigerungen, auch des Kindergelds, nichts sagen können, dann fangen Sie mit der Personalpolitik an.Aber damit ich ihnen nichts schuldig bleibe, will ich zu vier Punkten Stellung nehmen.
— Ja. Wenn Sie es gerne hätten, Herr Riedl. Ich werde mich auf Sie einstellen.
Erstens. Auch zu CDU-Zeiten sind in meinem Hause, also unter CDU-Amtsvorgängern, Entlassungen leitender Beamter unter 50 Jahren und nach sehr kurzer Amtszeit erfolgt. Ich nehme an, daß mein Amtsvorgänger dafür genau so gute Gründe hatte wie ich.Zweitens. Wenn Sie hier behaupten, daß dieses Haus so sehr SPD-strukturiert ist, dann kommen Sie mal hin und sehen sich die Personalratswahlen an. Dann werden Sie feststellen daß es in diesem Haus durchaus nicht so ist. Das wissen Sie auch ganz genau.
Drittens. Frau Marlies Kutsch, früheres Mitglied eines Hauptvorstands einer Gewerkschaft, hat bei uns nicht einen Riesenaufstieg vollzogen, und sie ist nicht in Pension gegangen, sondern in eine ganz normale Rente, die ihr aus ihrer Arbeitszeit zufließt. Das war doch der Grund, warum sie aufhören wollte.Viertens. Zu dem, was Sie über das BGA in Berlin gesagt haben: Sie loben das Institut. Da brauchen wir Stellen. Wir haben ständig neue Aufgaben. Wenn die Mitarbeiter dort vernünftig eingesetzt werden, kann wohl niemand etwas dagegen haben. Der Bundesrechnungshof hat jedenfalls festgestellt, es sei haushaltsmäßig nicht zu beanstanden, wie die Mitarbeiter dort eingesetzt worden seien.
Metadaten/Kopzeile:
2404 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Frau HuberUnd letzlich will ich Ihnen noch sagen: Ich erwarte ja keine große Unterstützung von Ihnen. Aber wenn Sie hier verbal dauernd für die Anliegen der Frauen kämpfen und dann acht Stellen für die ganze Bundesrepublik bei der Regierung bemotzen, die geschaffen worden sind, damit man sich um diese Anliegen kümmert, dann werden die Frauen draußen dafür wohl kein Verständnis haben.
Frau Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Wex?
Eine ganz kurze. Auch ich habe nur ein paar Minuten.
Eine ganz kurze. Frau Minister, würden Sie zugeben, daß wir bei der Frage des Frauenstabes niemals daran gedacht haben, zu sagen, es solle nichts für Frauen getan werden, sondern daß es nur eine Frage der ausreichenden Kompetenz war, die wirklichen Dinge für Frauen durchzusetzen, auch im Ministerium?
Was das betrifft, Frau Wex, so können wir sicher auf eine Linie kommen. Ich wäre sehr froh, wenn Sie, wenn es um mehr Kompetenzen für meinen Frauenstab geht, immer mitziehen würden.
Nun möchte ich gern einmal etwas zum Haushalt 1981 sagen. Der Haushalt 1981 wird ja durch die Spekulationen zum Haushalt 1982 völlig verdunkelt.
Aber was meinen Haushalt angeht, so kann ich doch die 7,2 %ige Steigerung beim Kindergeld im Jahr 1981 — und das unter erschwerten finanziellen Bedingungen — wohl einmal nennen. Jeder, der weiß, daß jetzt fast 20 Milliarden DM für Kindergeld ausgegeben werden, sieht j a auch, daß wir in den letzten sechs Jahren hier eine große Steigerung gehabt haben: bei Mehrkinderfamilien um 100 %, bei Zweikinderfamilien um 71 %. Während dieser sechs Jahre, über die ich hier rede, betrug der Preisanstieg insgesamt alles in allem 27 %. Daran kann man sehen, daß die Familien in der Zeit wirklich bessergestellt worden sind.Die Familien haben aber auch Aufgaben, die nicht in erster Linie Geld kosten;
von denen ist hier überhaupt nicht die Rede gewesen. Ich denke hier z. B. an das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, jetzt ein sehr brennendes Problem. Dafür müssen wir etwas tun. Unsere Arbeitswelt ist nicht so strukturiert, als ob es Familien gäbe, sondern sie ignoriert die Familien. Das finden andere Länder jetzt auch, z. B. bei der Familienministerkonferenz in Rom.
— Ich freue mich, daß Sie das unterstützen. —
Darüber werden wir jetzt eine Untersuchung durchführen, und wir wollen Einfluß nehmen. Das Wort „Gleichberechtigung" wird, wenn es um die Praxis geht, manchmal so kleingeschrieben. Aber hier kann ohne viel Aufwand etwas getan werden: durch Offenlegung von Benachteiligung und durch Überzeugungsarbeit. Wir werden auch einen Bericht vorlegen, z. B. über die Erfahrungen mit dem EG-Anpassungsgesetz.
Jetzt komme ich noch zum Bundesjugendplan. Wir haben hier im Bundestag eine Diskussion darüber gehabt und eine Kommission zum Problem „Jugendprotest im demokratischen Staat" eingesetzt. Wir wollen uns den Fragen der Jugend stellen. Die Jugendlichen denken j a nicht so, wie wir denken; viele sehen die Realität anders. Zwar ist die Sicht der Jugendlichen sicher nicht immer die richtige, gleichwohl finde ich: Selbst wenn der Arbeiter in Berlin-Wedding oder bei mir an der Ruhr die Dinge anders sieht, so kann man sie doch nicht so sehen wie der Polizeipräsident in Nürnberg oder der bayerische Innenminister.
Aber es gibt auch 50jährige Arbeiter bei mir zu Hause an der Ruhr, es gibt 75jährige Rentner in anderen Städten, die in manchen Punkten mit der Jugend einig sind. Da müssen wir politisch nachdenken; Gummigeschosse helfen da gar nicht.
Deswegen sollten wir nach so vielen Jahren des inneren und des äußeren Friedens in diesem Land einerseits eine gewisse Gelassenheit an den Tag legen, andererseits aber darüber nachdenken, wie man unsere demokratischen Prozesse so organisieren kann, daß sie für junge Menschen glaubwürdig sind. Wir müssen den jungen Menschen auch Freiräume schaffen, in denen sie sich entwickeln können, auch emotional; denn sie haben auch emotionale Bedürfnisse.Deswegen glaube ich, daß die Förderung der Jugendarbeit wichtig ist. Ich bin froh, daß der Umfang des Bundesjugendplans größer geworden ist. Dies ist in schweren Zeiten ein Pluspunkt, den man nicht zu verschweigen braucht. Wir haben im Bundesjugendplan mehr Geld und wollen es für politische Bildung, nämlich für das Gespräch mit der Jugend, gezielt einsetzen. Daß wir im Bundesjugendplan mehr Geld haben, war möglich dank der Einsicht auch im Haushaltsausschuß, für die ich mich bedanken muß; das tue ich hiermit auch.
Wir haben hier jetzt fast 124 Millionen DM, obwohl wir eine sehr begrenzte Förderungskompetenz haben. Es geht nicht, Herr Rose, daß Sie sagen, ich solle die Breitenarbeit fördern; denn das darf ich überhaupt gar nicht. Aber ich will hier auf dem breiten Felde der Verbandsjugendarbeit, die aber, wohlge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2405
Bundesminister Frau Hubermerkt, nur ein Teil der Jugendarbeit ist und sein kann, sehr gern einen Beitrag leisten. Ich betone aber den Wert, auch der offenen Jugendarbeit.
Hier haben wir Defizite, übrigens auch bei der Jugendhilfe, deren Reform ja nicht wir kaputt gemacht haben. Ich hoffe, daß die Koalitionsfraktionen — bei allen Schwierigkeiten, die wir hier haben — eine entsprechende Vorlage einbringen werden.
Auch für die Gesundheitspolitik gilt natürlich, daß wir uns, Frau Neumeister, an den Rahmen halten müssen, der uns finanzpolitisch vorgegeben wird. Ich glaube mit Ihnen und gebe dies gerne zu, daß die Aufgaben der Gesundheitspolitik zu stark auf die einzelnen Ressorts verteilt sind; da gebe ich Ihnen recht. Aber dieses Ressort ist in seinen Strukturen unter Ihrer Ägide gewachsen und entstanden.
— Das ganze Ressort; für den Schnitt bin ich nicht verantwortlich. Ich bedaure, daß wir nicht mehr Kompetenzen haben. Darin gebe ich Ihnen recht.Trotzdem können wir Schwerpunkte setzen. Drei dieser Schwerpunkte sind die Ausbildung in den Heilberufen, die Reform der Psychiatrie und der Schutz vor Chemikalien und Giften. Wir haben mit der Approbationsordnung, die Sie angesprochen haben, wegen der hohen Studentenzahlen Schwierigkeiten. Gott sei Dank ist jenes schlechte Ergebnis vom März repariert. Wir sind dabei, Frau Neumeister, die Novelle zur Approbationsordnung auf den Weg zu bringen. Wir haben schon eine Lösung für den August-Prüfungstermin vorgeschlagen und auf den Weg gebracht. Sie dürfen aber nicht glauben, daß es bei mangelnden Kapazitäten angesichts so vieler Studenten eine leichte Aufgabe ist, ein ideales Prüfungs- und Ausbildungssystem zu konstruieren, mit dem alle zufrieden sind. Wir wollen uns um mehr Praxisnähe bemühen.Bei der Reform der Psychiatrie haben wir einen schlimmen Prozeß hinter uns. Nachdem wir hier im Deutschen Bundestag eine gute Debatte über die Enquete hatten und auch von Ihrer Seite aufgefordert wurden, auch dort Beiträge zu leisten, wo wir nicht zuständig sind, mußten wir erleben, daß unser Psychiatrieprogramm von den CDU- bzw. CSU-geführten Ländern abgelehnt wurde. Wir haben voriges Jahr, genau genommen, 90 Millionen DM verloren, weil Ihre Länder nicht zugestimmt haben. Dies war auch ein Haushaltsproblem, aber von der anderen Seite aus betrachtet. Jetzt haben wir 40 Millionen DM eingesetzt — bei einer Folgeplanung mit steigender Tendenz bis 1984. Dieses wichtige Programm wird nun in einigen Ländern durchgeführt. Wir werden die Erfahrungen, die wir damit machen, allen Ländern zur Verfügung stellen, und zwar bald.Das Chemiekaliengesetz ist hier auch nicht erwähnt worden, obwohl es auch ein Beispiel dafür ist, wie trotz angespannter Haushaltslage etwas bewirkt werden kann. Der Haushaltsausschuß hat dieStellen, die für die Umsetzung nötig sind, trotz der grundsätzlichen Haltung gegen neue Stellen beschlossen. Wir werden den Verbraucherschutz verstärken.
Wir wollen auch im Hinblick auf die Tierarzneimittel etwas tun. Sie wissen, welche schwierigen Probleme wir im vergangenen Jahr hatten. Wir werden auch in diesem Jahr unseren Beitrag zur besseren Kennzeichnung der Lebensmittel leisten, und wir werden die Novellierung des Weingesetzes betreiben, das wir voriges Jahr nicht über die Hürde gebracht haben.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bedaure, daß wir z. B. auch die Novelle zum Sozialhilfegesetz im Bundesrat nicht durchgebracht haben. Darin hatten wir mit besseren Leistungen für Eltern und Kinder einen guten Ansatz. Insbesondere für die Alleinerziehenden wäre dies wichtig gewesen. Wir wollten vom Segen des verbesserten Kindergeldes bei den jeweiligen Anhebungen auch den Sozialhilfeempfängern etwas zugute kommen lassen. Aber leider ist die Novelle — wie gesagt — nicht über die Hürden des Bundesrates gekommen. Wir waren daran sicher nicht schuld, denn all dies war hier beschlossen.
Nun müssen wir wegen der Diskussion um den Warenkorb, die jetzt begonnen hat, sicher warten, bis wir wieder eine größere Novelle einbringen. Wir denken aber weiterhin daran und haben nicht vergessen, was war.Im übrigen haben Sie die sogenannten sozialen Randgruppen hier in gewisser Weise abgetan. Mir gefällt schon der Ausdruck „soziale Randgruppen" nicht. Es heißt: Sie kümmern sich j a nur noch um diese sozialen Randgruppen. — Ich halte sie für wichtige Gruppen.
— Ich habe den Satz noch im Ohr, wenn er auch nicht von Ihnen war.
Frau Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Nein, es ist schon nach 13 Uhr.
Ich möchte sagen, daß wir uns im Hinblick auf diese Gruppen — ganz gleich, ob es Auswanderer, Asylbewerber oder andere sind — große Sorgen machen. Als Beispiel erwähne ich nur, daß wir jetzt mehr Geld für das ICEM-Programm zur Verfügung stellen, welches Flüchtlingen hilft, wieder in die Heimat oder in andere Länder zu gelangen. Wir haben bis jetzt 3,6 Millionen DM ausgegeben. Wir werden jetzt dafür sorgen, daß 4 200 Asylbewerber auf diese Weise, auf humane Weise unser Land wieder verlassen können. Sie wollen es auch verlassen.
Metadaten/Kopzeile:
2406 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Frau HuberIch sage Ihnen offen: Auf Grund der Finanznot werden wir jetzt auch das Pflegekostenproblem bei den Älteren nicht lösen. Wir werden unsere Vorarbeiten für eine spätere Lösung aber nicht einstellen. Wir möchten gern einen Bericht über die ambulanten sozialen Dienste erstellen. Angesichts der wachsenden Zahl von zu Betreuenden halten wir es für nötig, mehr ambulante Dienste einzurichten. Wir werden auch dafür ein Modell entwickeln.
Hier ist sehr viel von 1982 geredet worden. Meine Damen und Herren, wir werden da vor großen Aufgaben stehen. Aber die werden nicht in dieser Debatte verbal gelöst. Ich kann nur sagen: Der Haushalt 1981 sollte in dieser Debatte nicht untergehen. Er ist, was mein Ressort betrifft, ein guter Haushalt.
Daß ich immer noch Wünsche habe, gebe ich hier nochmals zu.Aber eines kann ich Ihnen mit Blick auf 1982 sagen: Das Prinzip der großen Gießkanne ist sicher vorbei. Aber das habe ich nicht erst heute, sondern schon drei Jahre lang gesagt.
— Und ich meine, Frau Wex, neben dem Element der Sparsamkeit liegt hierin auch ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit. Wenn wir uns das ernsthaft vornehmen, dann, glauben wir, können wir im Haushalt 1982 Einschnitte machen, für die der weniger verdienende Bürger, der die meisten Lasten trägt, sehr wohl Verständnis hat.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.
Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Nr. 10 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Über diesen Änderungsantrag stimmen wir jetzt zunächst ab. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —
Wer enthält sich? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Einzelplan 15 ist in der vorgelegten Ausschußfassung angenommen.
Meine Damen und Herren, zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, daß eine Mittagspause eingelegt wird.
Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksache 9/491 —
Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Dübber Dr. Zumpfort
Dr. Stavenhagen
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden?
— Meine Damen und Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß zwischen den Fraktionen eine Kurzdebatte vereinbart worden ist. Ich muß mich an diese Vereinbarung der Fraktionen halten.
Ich stelle also fest, daß zwischen den Fraktionen Kurzbeiträge von zehn Minuten Dauer vereinbart worden sind. Wer an dieser Regelung festzuhalten wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mir eine Bemerkung erlauben. Es ist für den Präsidenten unerträglich, wenn hier nicht mit ganz klaren Vorstellungen gearbeitet werden kann. Wenn zehn Minuten Redezeit vereinbart worden sind und innerhalb der Plenardebatte davon abgewichen werden soll, muß das hier oben zumindest bekannt sein. Ich möchte auch bitten, daß wir über einen derartigen Punkt hier nicht noch eine lange Geschäftsordnungsdebatte führen.
Meine Damen und Herren, wird von den Herren Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die öffentlichen Kassen sind leer. Das haben wir hier in den letzten zwei Tagen diskutiert!
— Die sind nicht leer, die sind im Minus.
Ein Bereich, der mit am empfindlichsten davon betroffen wurde, ist der, der angeblich unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sichern soll, nämlich Wissenschaft und Forschung. Nach Abschluß der Haushaltsberatungen steigt der Ansatz im Ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2407
Dr. Stavenhagenzelplan 30 zwar nominal um rund 350 Millionen DM gegenüber dem Vorjahres-Ist, dies ist allerdings weniger, als die Preissteigerungen in diesem Bereich ausmachen. Hinzu kommt aus dem Vorjahr noch eine Bugwelle von über 300 Millionen DM, also Ausgaben, die im Vorjahr auf dieses Jahr verschoben worden sind und jetzt zu leisten sind. Ferner ist gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung eine Reduzierung von 600 Millionen DM zu verkraften.Dies ist mit einer kontinuierlichen Forschungspolitik nicht vereinbar. Das Ergebnis war auch notgedrungen, daß wichtige Projekte und Programme zusammengestrichen werden mußten, und zwar nach Kriterien, die man nicht immer als rational bezeichnen kann.So bekommt z. B. eine führende Großforschungseinrichtung, das Deutsche Elektronensynchrotron in Hamburg, Betriebsmittel, die nur einen Betrieb von maximal sieben Monaten erlauben. Eine gewisse Rüstzeit kommt hinzu, aber insgesamt muß dort langsamer gearbeitet werden, was sicher nicht außerordentlich effizient ist.Im Institut für Plasmaphysik in Garching wurde ein Großprojekt ZEPHYR — das Projekt, das wichtige Fragen im Bereich der Fusionsforschung mit klären sollte — gestrichen.Das Kohleveredelungsprogramm der Bundesregierung, das ursprünglich einmal mit 14 Projekten diskutiert wurde, wird immer weiter reduziert. Zur Zeit liegen wir mit Mühe noch bei fünf Projekten; wahrscheinlich wird es noch weiter reduziert.Die fortgeschrittenen Reaktorlinien sind nicht mehr finanzierbar. Hier klafft eine Deckungslücke in der Größenordnung von 2 Milliarden DM bis zur Fertigstellung. Ein führender Hersteller hat bereits bei seinen Unterlieferanten Auftragsstopp verfügt. Im Herbst droht Projektstillstand, wenn nicht die Elektrizitätswirtschaft in die Finanzbresche springt.Meine Damen und Herren, wir drohen in diesem wichtigen Bereich der Forschung zur technologischen Provinz zu werden.
Daß wir in anderen Bereichen technologische Provinz sind, entnehme ich der Tatsache, daß ein führender deutscher Pharmahersteller der amerikanischen Harvard-Universität 50 Millionen Dollar zum Aufbau eines Instituts für Molekularbiologie zur Verfügung stellen will. Dieses Geld fließt nach Amerika, nicht nach Deutschland, weil offenbar bei uns die Forschung nicht diesen Qualitätsanforderungen genügt.
Meine Damen und Herren, der Fachausschuß für Forschung und Technologie hat zu Recht darauf hingewiesen, daß das Sparen Anlaß sein sollte, forschungspolitische Prioritäten zu setzen. Statt dessen sehen wir aber nur Kurzatmigkeit und Konzeptionslosigkeit.Dann z. B., wenn die Vorhaben im Bereich der Rad-Schiene-Technik fast auf Null gefahren werden und die Magnetschwebetechnik mit dem Argument, dort sei schon mehr gebaut worden, weitergefördert wird, hat das mit konzeptionellem Denken in der Forschung nichts zu tun.
Eine zweite Maßnahme des Ministers, im Bereich der Großforschungszentren 7,5% der Stellen einsparen zu wollen, kann so — nämlich linear — nicht durchgeführt werden. Herr Minister, wir sind Ihrer Auffassung, daß man hier zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Sach- und Personalkosten kommen muß. Aber dann muß man bei den Zentren auch sagen, bei welchen Aufgaben und an welchen Zentren konkret gespart wird; man kann das nicht linear machen, weil das dazu führt, daß die besten Mitarbeiter der Zentren diesen als erste den Rücken kehren.
Ich meine, daß man vor allen Dingen bei den Projektträgerschaften ansetzen muß. 644 Stellen für Projektträger, 102 Stellen für Projektbegleiter: hier ist Raum zum Sparen.Lassen Sie mich auf zwei Bereiche zu sprechen kommen, die in den Haushaltsberatungen eine wichtige Rolle spielten. Der eine Bereich ist die Humanisierung der Arbeitswelt. Ich wiederhole unsere Kritik an diesem Programm. Wir sind der Meinung, daß im Bereich der Humanisierung der Arbeitswelt wenige, aber wichtige Schwerpunkte gesetzt werden sollten.
Es gibt sicher Bereiche in der Arbeitswelt, die der Verbesserung bedürfen; ich denke in diesem Zusammenhang an Asbest, an Farben und Lacke usw. Aber es kann nicht wahr sein, daß man in der öffentlichen Verwaltung mit Mitteln für Humanisierung Rationalisierungs- und Veränderungsmaßnahmen durchführt. Das werden wir nicht hinnehmen!
— Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß haben diese Kritik im Grunde genommen geteilt.
Wenn sie sie nicht geteilt hätten, wären wir nicht einvernehmlich zu der Sperre von 6 Millionen und zu der Kürzung von 34 Millionen bei den Verpflichtungsermächtigungen für die folgenden Jahre gekommen.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen hatten wir im Fernsehen eine Sendung, in der die Kürzungen im Bereich der Humanisierung beklagt wurden. Da wurde eine Näherin gezeigt, die auf ihren neuen und für ihre Arbeit und ihre Gesundheit besseren Stuhl hinwies. Dazu muß ich Ihnen sagen: Solche Verbesserungen können nicht Sache des
Metadaten/Kopzeile:
2408 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. StavenhagenBundes sein. Dies muß die Industrie leisten! Wer „Marktwirtschaft" und „Eigenverantwortung" sagt, hat auch diese Verantwortung zu tragen, die Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern, dort, wo es heute nach wissenschaftlichem Stand möglich ist, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Solche Stühle sind nicht Sache des BMFT, sondern Sache der Industrie!
Wenn die Gewerkschaft hier unterstützend tätig werden will, ist dies positiv und zu unterstreichen.
Angesichts der sehr kurzen Redezeit komme ich zu einem letzten Punkt, zur Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorlinien.
Meine Damen und Herren, als der Schnelle Brüter dem Parlament angedient wurde, sollte er 1,7 Milliarden kosten. Wenn er 1986 fertig sein wird, wird er wenigstens 5,4 Milliarden gekostet haben. Als uns der Hochtemperaturreaktor angedient wurde, sollte er 700 Millionen DM kosten. Wenn er fertig sein wird, vielleicht 1985, wird er wenigstens 3 Milliarden DM kosten. Aufaddiert sind das seit der Bauentscheidung Mehrkosten von über 6 Milliarden DM. Dies ist natürlich im Haushalt nicht berücksichtigt.
Deswegen ist er Titel Reaktorentwicklung im Haushalt 1981 unterdotiert und entspricht im Grunde genommen so auch nicht dem Haushaltsrecht.Weil wir nicht verantworten konnten und wollten, daß jetzt die Baustellen etwa eingestellt werden, haben wir diesen Titel dennoch beschlossen, haben den Minister aber bei den Haushaltsberatungen gleichzeitig ersucht, sich um eine Sicherstellung der Finanzierung bis zur Fertigstellung beider Projekte zu bemühen. Dies ist auch der Inhalt unseres Entschließungsantrags für die dritte Lesung. Wir sind der Meinung, daß der Minister bis zum 1. Oktober dieses Jahres ein Finanzierungskonzept für beide Linien haben muß. Mit Sicherheit kann es im Haushalt 1982 nicht wieder so sein, daß Milliarden fehlen und man nichtweiß, wie diese Milliarden zu decken sind.
— Wir sind der Meinung, daß die Industrie hier durchaus einen höheren Anteil zu leisten hat. Dafür muß die Industrie allerdings auch Klarheit haben, was mit den beiden Projekten passiert,
ob sie als Bauruinen stehenbleiben sollen oder ob sie tatsächlich ihren Beitrag zu Forschung und Technologie leisten können.
Wir hoffen sehr, daß die Beratungen auch von den Kollegen in dieser Richtung geführt werden und daß sie mit uns der Meinung sind, daß ein sauberes Finanzierungskonzept Grundvoraussetzung für einen ordentlichen Haushalt ist.Angesichts der Probleme beim Einzelplan 30, angesichts der fehlenden Perspektiven durch den neuen Forschungsminister — wir sind gespannt und hoffen, daß wir da 1982 vielleicht etwas mehr zu sehen bekommen —, angesichts dieser Konzeptionslosigkeit können wir dem Einzelplan 30 unsere Zustimmung nicht geben. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dübber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Löffler hat hier vorgestern den beherzenswerten Satz gesprochen, wir sollten die Haushaltsdebatte nicht zu einem Ritual ausarten lassen, indem wir immer wechselseitig die altbekannten Vorwürfe austauschen. Man könnte sie, so hat er gesagt, dann einfach numerieren. Ich will versuchen, mich an diesen Ratschlag zu halten
und mich auf wenige Bemerkungen beschränken.Zu dem Antrag, den Herr Stavenhangen hier vorgelegt hat, über den wir morgen abstimmen müssen, möchte ich sagen, daß wir bitten, diesen an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Forschung und Technologie, sofern der Ältestenrat das für richtig hält, zu überweisen, damit wir dann darüber im einzelnen sprechen können. Auch wir halten die Kosten für diese beiden Reaktorlinien für überprüfungs- und erörterungswürdig; aber wir müssen auch sagen, daß es im Prinzip richtig ist, wenn der Minister das Ziel verfolgt, die Industie stärker zu beteiligen.
Man kann nicht in der Sache ständig kritisieren, daß vom Forschungsminister in einzelnen Bereichen zuviel ausgegeben wird, und dann hier in einem Bereich, wo der Steuerzahler über 90 % zahlt, dagegen sein, daß der Minister versucht, die Industrie stärker zur Kasse zu bitten.
Wir stellen mit Genugtuung fest, daß der Minister von Bülow in diesem Bereich bereits erste Erfolge erzielt hat, und ich hoffe, auch im Namen der Steuerzahler, daß er das weiterführen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2409
Dr. DübberIch will mich nicht zu den mehreren tausend Einzelprojekten äußern; dazu ist die Zeit hier zu knapp. Im Einzelplan 30 sind gewiß Kürzungen vorgenommen worden, die für alle Beteiligten schmerzlich waren; aber dieser Etat ist auch — das muß man sehen — in der vergangenen Wahlperiode jedes Jahr um durchschnittlich 9,2 % gewachsen. Das hat seine Folgen hinterlassen, und das zeigt sich in dem Augenblick, indem es ein solches Wachstum nicht mehr gibt. Es sieht auch nicht so aus, als wenn das 1982 besser werden wird.Ich will ein paar Sätze über ein Projekt sagen, von dem ich meine, daß es jetzt angesichts der knappen Kassenlage von uns anders gesehen wird. Es handelt sich dabei um den Rundfunksatelliten, den wir bauen und von dem wir eigentlich gar nicht wissen, was wir damit machen sollen. Er wird eines Tages über dem Äquartor stehen, aber bis heute wissen wir nicht, wer die Programme dazu liefern soll. Wir bauen ihn bekanntlich zusammen mit den Franzosen im Rahmen eines Gemeinschaftsprogramms, sind also nicht ohne weiteres in der Lage, davon Abstand zu nehmen. ARD und ZDF geben sich der Illusion hin, sie könnten damit ein viertes und fünftes Programm ausstrahlen und das mit kommerzieller Werbung bezahlen. Ich bin gewiß, daß die Ministerpräsidenten und die Landtage das verhindern werden. Aber diese leichtfertigen Ankündigungen haben bereits einen Schaden angerichtet: Die Zeitungsverleger sind auf den Plan getreten und wollen sich mit Radio Luxemburg an einem eigenen Programm beteiligen. Ich meine, daß dieser neue Medienkrieg unerfreulich und überflüssig ist.
Wir wären sicher alle besser beraten gewesen, wenn wir dieses Problem schon früher eingehend erörtert hätten.Ich habe dieses Beispiel deswegen ausgewählt, weil ich verdeutlichen will, wie man durch die berühmten technischen Sachzwänge plötzlich in politische Probleme kommt, wenn man die Sache am Anfang nicht zu Ende gedacht hat. Aber die Knappheit der Mittel in dieser Zeit wird da sicher sehr hilfreich sein, auch im Zusammenhang mit anderen Fragen.Es hat Debatten über das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" gegeben. Herr Stavenhagen hat das auch angeschnitten. In der Anlaufzeit ist sicher einiges gefördert worden, über das man streiten könnte. Was aber die derzeit gültige Projektliste angeht, so kann ich für meine Fraktion in voller Überzeugung sagen, daß mindestens 95 % aller 500 Vorhaben voll förderungswürdig sind.
Wir halten dieses Programm politisch für entscheidend wichtig, auch wenn es nicht möglich sein wird, es in den nächsten Jahren im selben Umfang wie bisher auszubauen. Im übrigen ist der Ansatz erhalten geblieben; wir haben darüber ja Debatten gehabt.Herr Stavenhagen hat weiterhin beklagt, daß für DESY nicht genug Geld zur Verfügung steht. Freilich, zu Ihren Ausführungen, Herr Stavenhagen, hätte gehören müssen, daß wir im Haushaltsausschuß für DESY noch einmal 2,5 Millionen DM zugelegt haben. Die Sache sieht also doch nicht ganz so tragisch aus, wie sie sich zuerst — vor allen Dingen auf Grund der Äußerungen der Beteiligten — dargestellt hat.Was wir uns wünschen — damit möchte ich schließen —, ist, daß das Programm dieses Hauses gestrafft wird. Der Minister hat damit schon einen Anfang gemacht. In einem Haus, das kein Gesetzgebungsministerium ist, besteht immer die Gefahr der Ausweitung der finanziellen Förderung auf möglichst breite Bereiche. Das bedeutet praktisch: Nur diejenigen Referenten, die viel Geld ausgeben können, können sich als vollwertige Beamte empfinden. Das ist sicherlich nicht immer von Vorteil.
Wichtig ist für uns in der Zukunft die Energieforschung, wobei wir mit Genugtuung feststellen, daß sich der Anteil der nichtnuklearen Forschung in der Vergangenheit ständig vergrößert hat.
Wir fordern Herrn Minister von Bülow auf, diese Politik fortzusetzen. Wir wünschen ihm dabei viel Erfolg. Wir stimmen seinem Haushalt zu. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, wir sollten uns heute bei der Beratung des Einzelplans 30 nicht so sehr auf Zahlen beziehen. Vielmehr müssen wir notwendigerweise erkennen, daß wir an einem Punkt angekommen sind, an dem wir zu grundsätzlich neuen Überlegungen kommen müssen.
So wichtig auch im Hinblick auf unsere Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern Forschung und Entwicklung und ihre Förderung für unsere nationale Zukunft sind, so können wir doch unsere Augen nicht vor der Notwendigkeit verschließen, auch in diesem Bereich zu Einschränkungen, zu Einsparungen zu kommen.Aber ich möchte ganz deutlich sagen, daß hier mit Sicherheit auch Grenzen gesetzt sind. Es sind eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen; denn wenn sie auch nicht gesetzlich festgeschrieben sind, so sind sie doch vertraglich vereinbart. Wir müssen Wünschenswertes vom Notwendigen trennen. Wir müssen Kontinuität in der Forschung und in der Forschungsförderung sicherstellen. Mit Sicherheit sind kurzfristige Kürzungen und Streichungen nicht gerade als Sparmaßnahmen zu verstehen, weil solche Maßnahmen vielfach notwendigerweise zum Abbruch von — möglicherweise auch wichtigen — Forschungsvorhaben und Forschungsprojekten führen
Metadaten/Kopzeile:
2410 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr.-Ing. Laermannkönnten. Von daher gesehen muß man sich die Frage stellen, ob Kürzungen unter dem Strich auch tatsächlich zu Spareffekten führen. Ich bin der Meinung, daß wir gerade beim Einzelplan 30 bei einem Punkt angekommen sind, an dem uns die Zahlenkosmetik überhaupt nicht mehr weiterhilft,
an dem auch der Haushaltsausschuß nicht mehr allein an den Zahlen korrigieren kann; das kann unter Umständen nämlich sehr teuer werden. Hier müssen wir zu neuen Konzeptionen und neuen Strukturen kommen. Die Koalitionsfraktionen haben im Forschungsausschuß bei ihrer Entschließung zum Haushalt einige Punkte angeführt, und auf einige möchte ich im Laufe meiner Ausführungen zurückkommen.
— Herr Gerstein, ich gestehe Ihnen zu, daß Sie eine Reihe von Äußerungen, die ich in der Öffentlichkeit getan habe und welche die Position der FDP zur Forschungspolitik betreffen, aufgenommen haben, zum Teil sogar wörtlich. Sie sehen daraus, daß wir diese Dinge in praktisches Handeln umgesetzt haben. Um so erstaunter muß ich fragen, warum die Opposition, wenn das von ihr abgeschrieben ist, im Ausschuß gegen diese Vorlage gestimmt hat. Das müssen Sie mir dann allerdings erklären.
— Herr Bugl, ich glaube, wir setzen diese Unterhaltung im Ausschuß fort. Ich möchte nämlich hier ein paar Ausführungen machen. Wenn Sie gestatten, komme ich wieder zur Sache zurück.
— Herr Probst, es entspricht gar nicht Ihrer sonstigen Haltung, jetzt hier mit solchen plakativen Äußerungen zu operieren.Die finanziellen Ressourcen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft sind gerade im Bereich der Forschung wirkungsvoller zu nutzen, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Hier hat sich ja auch einiges in Richtung auf mehr und zuviel Bürokratie und zuviel Verwaltungsaufwand entwickelt. Ich glaube, hier müssen wir nachschauen, ob wir nicht durch Reduzierung dieses Aufwands die verfügbaren Ressourcen im Sinne unserer Ziele und Zwecke der Forschungsförderung wirkungsvoller einsetzen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gerstein, auf die von allen Fraktionen dieses Hauses getragene Entschließung des Deutschen Bundestages zur Grundlagenforschung verweisen. Hier sind Vorstellungen vorgelegt worden, die zu einer effizienteren Verwendung der verfügbaren Finanzmittel führen können, die dazu führen können, daß wirunter Umständen auch mit geringeren finanziellen Aufwendungen des Staates die Förderungsziele selbst erreichen.Ich hoffe sehr, daß in diesem Zusammenhang auch die Bund-Länder-Kommission, deren Stellungnahme zu unserer Entschließung uns bekanntgeworden ist, sich im Sinne der notwendigen Neuorientierung noch einmal mit diesen Problemen beschäftigt und vielleicht auch ihre bisherige Stellungnahme noch einmal prüft.Ich meine auch — ich wiederhole es —, daß wir mit einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands möglicherweise mehr Mittel für die eigentliche Forschungsförderung freibekommen. Herr Kollege Stavenhagen hat zutreffenderweise auf die Projektträger hingewiesen. Es ist fast ein altes Thema von mir: 60 Millionen DM für Projektträger, für Verwaltungen, nicht gerechnet die zusätzlichen Verwaltungsarbeiten, die dadurch beim Zuwendungsnehmer, beim Antragsteller entstehen. Ich will die Palette hier nicht darstellen.
— Dies gehört mit dazu.Ich meine, daß wir in der direkten Forschungs- und Entwicklungsförderung, die notwendig ist — um das hier deutlich zu sagen —, nur noch das fördern können und das fördern sollten, was tatsächlich auch Forschung ist. Ich meine, hier stimmen wir mit dem Forschungsminister überein, dem ich ausdrücklich unsere Unterstützung in seinem Bemühen zusagen möchte, daß wir bei Demonstrationsprojekten, ganz gleich, wo diese Demonstrationsprojekte angesiedelt sind — ob im Verkehr, im Bereich der Kommunikationstechnik oder aber in der Energietechnik —, nur noch das mit Forschungsmitteln fördern, was in der Finanzierungsspitze auch Forschung ist. Im übrigen müssen wir die späteren Nutzer — ob das die Bundesbahn, die Post, die Energieversorgungsunternehmen oder die Industrie sind — stärker an der Finanzierung beteiligen.
Ich bin auch der Meinung, daß es die ureigenste Aufgabe der Wirtschaft und ihrer Selbstverwaltungsorganisationen ist, z. B. im Bereich der Technologieberatung selbst tätig zu werden und sich das nicht über die Forschungsförderung vom Staat finanzieren zu lassen.Ich sage noch einmal: Wir möchten den Forschungsminister ausdrücklich in seinem Bemühen bestärken und unterstützen, sich um eine stärkere finanzielle Beteiligung der Industrie zu bemühen. Ich verstehe es überhaupt nicht, warum es z. B. gerade im Energiebereich, in der Energietechnik, keine Forschungsinstitute gibt wie in anderen Industriebereichen, die von der Wirtschaft, von der Industrie selbst finanziert werden.
Der Kollege Stavenhagen hat vorhin darauf hingewiesen, daß ein großes deutsches Chemieunternehmen ein Forschungsinstitut in den USA finan-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2411
Dr.-Ing. Laermannziert. Dies ist sicherlich ein bedenkliches Zeichen, und wir haben uns intensiv mit der Frage zu beschäftigen, warum dies geschehen ist, ob es möglicherweise die Rahmenbedingungen sind, die diesem Unternehmen nicht geeignet erschienen.
Ich widerspreche aber Ihrer Behauptung, daß es daran liegen könnte, daß hier nicht das geeignete Forscher- und Wissenschaftspotential zur Verfügung steht. Herr Kollege Stavenhagen, wer ein Projekt in der Größenordnung von 110 Millionen DM im Ausland finanzieren kann, möge sich doch bitte überlegen, ob dieses auch im Interesse unseres Staates und unserer Gesellschaft nicht auch hier hätte geschehen können.
Ich verbinde diese Äußerung mit einer gewissen Kritik an diesem Unternehmen.Aber ich meine, eine der Voraussetzungen ist die, daß politische Klarheit über die mögliche Nutzung solcher Forschungs- und Entwicklungsarbeiten geschaffen werden muß. Ich beziehe mich hier auch ausdrücklich auf den Schnellen Brüter. Es ist Aufgabe des Parlaments, hier Klarheit herbeizuführen, damit auf dieser Grundlage auch die Industrie, auch die Wirtschaft, auch die Unternehmen kalkuliert höhere Aufwendungen machen können.Es muß aber dennoch geklärt werden, wie wir mit der „Bugwelle" bei den fortgeschrittenen Reaktorlinien fertig werden, wie das Defizit von 177 Millionen DM gedeckt werden kann. Ich meine — das sage ich hier ausdrücklich —, daß die Vorstellung, diese „Bugwelle" in das Jahr 1982 zu verschieben, nicht akzeptiert werden kann. Ich glaube, daß wir im Jahre 1982 vor noch größeren Schwierigkeiten stehen als in diesem Jahr. Deshalb besteht die Notwendigkeit, auch politisch die Randbedingungen zu klären, damit eine größere Beteiligung der Industrie erfolgen kann; denn sie muß erfolgen.
Hier ist Kritik an dem Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" geübt worden. Ich teile in weiten Bereichen diese Kritik; das ist nicht unbekannt. Aber ich bin dennoch der Meinung, daß dieses Programm besondere Bedeutung im Hinblick auf die bestehenden Schwierigkeiten im Bereich der Arbeitshilfen hat. Aber die Mittel dieses Programms müssen sinnvoll verwendet werden.
Wir stimmen auch den Vorschlägen des Haushaltsausschusses bezüglich der Sperre zu. Hier muß noch Unsinniges, Exotisches herausgenommen werden. Wir müssen auch davon ausgehen, daß alles, was hier an Mißbräuchlichem aufgetreten ist, im Grunde genommen das gesamte Programm in Mißkredit zu bringen droht. Ich glaube, das kann in niemandes Interesse sein. Deswegen sind wir alle aufgerufen, dieshier zu klären und auch klare Schlußfolgerungen zu ziehen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Mentalität der Zuwendungsempfänger machen. Ich frage, ob die bisherigen Verfahren der Forschungsförderung nicht auch ein Anspruchsdenken hervorgerufen haben,
ob nicht deshalb Begehrlichkeiten nach staatlichen Mitteln geweckt worden sind, weil der Staat Geld gibt. Ich denke, der Staat muß die Rahmenbedingungen schaffen, damit die für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens als notwendig erkannten Entwicklungen aus eigener Kraft und in eigener unternehmerischer Verantwortung durchgeführt werden können. Das möchte ich generell unter indirekter Forschungsförderung verstanden wissen.Die Instrumentarien der sogenannten indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung müssen ausgebaut werden. Das ist eine Forderung, die auch in der Entschließung des Ausschusses zum Ausdruck kommt. Ich nenne nur: Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen; erhöhte Abschreibungen für Investitionen, die der Forschung und Entwicklung dienen, z. B. auch für die vorhin erwähnten Demonstrationsanlagen; Bereitstellung von Risikokapital, nicht nur für Forschung und Entwicklung, sondern — was in vielen Fällen viel wichtiger ist — für die anschließende Umsetzung der aus der Entwicklung folgenden betrieblichen Investitionen. Selbst ein noch so gutes Ergebnis nutzt nichts, wenn anschließend das Geld fehlt, um die betrieblichen Umstellungen zu finanzieren. Das ist ein Punkt, dem wir besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Ich meine auch, daß wir eine steuerliche Entlastung bei Patent- und Lizenzeinnahmen vornehmen müssen. Das ist sicherlich eine kleinere Maßnahme, aber wir müssen sie angehen. Wir müssen auch die Aufwendungen der Vertragsforschung steuerlich stärker berücksichtigen, weil nämlich durch eine engere Kooperation von Forschungsinstituten an den Hochschulen und außerhalb der Hochschulen und der Industrie in der Tat ein wesentlicher Beitrag auch für den Transfer von Forschungsergebnissen geleistet werden kann.
— Ich habe davon gesprochen, daß wir uns hier hinsichtlich mancher Bereiche über steuerliche Erleichterungen unterhalten müssen, um im Bereich der direkten programmorientierten Forschungsförderung eine Entlastung herbeizuführen.
Ich glaube, daß wir dies im Interesse des Einsparensvon öffentlichen Mitteln tun müssen — und auch tun
Metadaten/Kopzeile:
2412 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr.-Ing. Laermannkönnen —, damit unter dem Strich das Ziel der Entlastung des öffentlichen Haushaltes erreicht wird.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.
Ja. Ich möchte damit schließen und zu den Personalfragen und der Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus Zeitgründen keine Ausführungen mehr machen.
Ich möchte abschließend nochmals betonen, daß wir, die FDP-Fraktion, dem Haushalt des Forschungsministers zustimmen werden,
daß wir seine Schwierigkeiten sehen und uns gemeinsam bemühen wollen, diese Schwierigkeiten zu überwinden, und daß wir notwendigerweise an die Strukturen und die Konzeptionen der Forschungsförderungspolitik herangehen müssen — auf der Grundlage des Beschlusses, den wir im Forschungsausschuß gefaßt haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den schmerzhaften Kürzungen im Haushaltsjahr 1980 wird auch 1981 für den Forschungsminister ein schwieriges Jahr. Mit knapp 6,1 Milliarden D-Mark stehen nur 3,4 % mehr Mittel zur Verfügung als im letzten Jahr. Angesichts der viel höheren Kostensteigerungen, besonders bei Großprojekten, besteht die Gefahr, daß wir auf manchen Gebieten keine neuen Vorhaben mehr aufgreifen können. Auf anderen Gebieten müssen wir aussichtsreiche Projekte strecken oder verschieben.Gegenüber der bisher geltenden mittelfristigen Finanzplanung — das ist schon erwähnt worden — sind 2 Milliarden DM einzusparen. Diese schwierige Finanzlage darf aber nicht bedeuten, daß jeder Bewegungsspielraum für die Forschungspolitik verlorengeht. Es wäre falsch, sich jetzt darauf zu beschränken, den vorhandenen Bestand an geförderten Projekten möglichst unangetastet durch den gegenwärtigen finanziellen Engpaß zu bringen und mit Neuem zu warten, bis die Haushaltslage wieder freundlicher aussieht. Der Zwang zum sparsamen Einsatz der Mittel ist vielmehr eine Chance, die Prioritäten auch in bezug auf laufende Projekte neu zu setzen.Ich habe dem Forschungsausschuß und dem Haushaltsausschuß bereits erläutert, wo ich unter dem Zwang, kurzfristig einzusparen, Kürzungen vollziehen mußte. Herr Stavenhagen, es ist natürlich zuzugeben, daß, wenn in einer so kurzen Frist Kürzungen durchgeführt werden müssen, das natürlich nicht nach einer optimalen Konzeption verlaufen kann, die man sich lange im voraus überlegt,
sondern man kann die Kürzungen teilweise nur dorthin legen, wo man im Augenblick überhaupt manövrierfähige Masse hat. Das geht dann nicht immer entlang der Idealvorstellungen.
— Warten Sie's ab! — Dabei sind auch Gebiete betroffen, bei denen es unter langfristigen Gesichtspunkten falsch ist zu sparen. Ich bin durchaus der Meinung, daß z. B. im Bereich der Verkehrstechnologien die Rad-Schiene-Technik, die für das große Unternehmen Bundesbahn von entscheidender Bedeutung ist, nicht einfach der Kürzung anheim fallen darf.
— Das tut sie auch nicht. — Die Entwicklung von Komponenten wird weiter vorangetrieben. Die Frage ist nur, ob wir es uns leisten können, eine Versuchsstrecke in der finanziellen Größenordnung von 300 Millionen D-Mark aufzubauen, ob es nicht möglich ist, hier alternative Lösungen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbahn zustande zu bringen, z. B. im Zusammenhang mit Neubaustrekken.
Wir kommen aus Zeiten einer verhältnismäßig komfortablen Finanzausstattung. Wir gehen Zeiten entgegen — und diese Zeiten werden noch lange dauern —, wo wir jede Mark umdrehen müssen. Deswegen stellt sich die Frage, ob man eine perfekte Neubaustrecke allein für Versuchszwecke herrichtet oder ob es nicht möglich ist, sehr viel beweglicher, wie das andere Staatsbahnen auch tun, z. B. die SNCF, Alternativlösungen zustande zu bringen.Es gibt aber einen Bereich, bei dem wir eine neue Grundlage der Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft finden müssen, nämlich bei der Förderung großtechnischer Demonstrationsprojekte. Hier müssen wir in Zukunft zurückhaltender sein, ohne uns vollständig zurückzuziehen. Als letztes Glied in der Innovationskette sind solche Vorhaben in bestimmten Fällen wichtig, um Forschungsergebnisse beispielhaft in die Praxis umzusetzen. Gerade wegen der Anwendungsnähe solcher Vorhaben ist es aber unabdingbar, daß Hersteller und Betreiber künftig mehr aus der eigenen Tasche beitragen, wie sie dies auch in anderen westlichen Industriestaaten tun. Bei unseren größten Projekten beträgt die Förderquote oft 90 % und mehr. Der Staat trägt das Risiko fast allein. Das geht nicht mehr.
Sie wissen, daß ich Gespräche mit der Elektrizitätswirtschaft und dem Reaktorhersteller über die weitere Finanzierung des Schnellbrüter-Prototyps SNR-300, begonnen habe. Ein erstes, noch unzurei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2413
Bundesminister Dr. von Bülowchendes Angebot von RWE und KWU liegt auf dem Tisch. Andere Elektrizitätsversorgungsunternehmen arbeiten an einem Modell, wie ihre Beteiligung am SNR-300 aussehen könnte. Für den weitergehenden Fall, daß — wie in anderen Ländern — die Elektrizitätswirtschaft auch allgemein zu den Kosten von Forschung und Entwicklung für ihren Bereich beiträgt, sind zusätzliche Fragen zu lösen. Bei einer gerechten Umlegung von Forschungsaufwendungen auf den Strompreis sind z. B. nicht nur die Tarifkunden, sondern auch die Sonderkunden zu erfassen. Ich hoffe hier sehr auf die Mitarbeit auch der Länderwirtschaftsminister, die letztlich die Stromtarife genehmigen müssen.Trotz der Aussicht auf einen größeren Beitrag der Wirtschaft bleibt die Kostenentwicklung bei den Reaktorprototypen besorgniserregend. Ich werde in den nächsten Wochen ein unabhängiges Consulting-Unternehmen beauftragen, sich diese Kostenexplosion und das Projektmanagement des SNR-300, aber auch die Rolle des Forschungsministeriums
und anderer beteiligter Stellen genauer anzusehen und Verbesserungen vorzuschlagen.
— Das ist im Hinblick auf die großen Beträge, die hier in Rede stehen, gut ausgegebenes Geld, vor allem wenn es mit einem Lernprozeß bei den Beteiligten verbunden ist.
Meine Damen und Herren, hier ist die Stelleneinsparung von 7,5 % in den Großforschungseinrichtungen angesprochen worden. Ich gebe zu, daß dies ein verhältnismäßig pauschaler Versuch ist, die Diskussion über Stelleneinsparungen voranzutreiben. Wir wollen das flexibel handhaben. Es soll in einer Diskussion über die Vorschläge, die aus den Großforschungseinrichtungen kommen, zwischen dem Ministerium und den beteiligten Stellen — die Ausschüsse des Deutschen Bundestages sind natürlich dazu aufgerufen, mit zu diskutieren — herausgefunden werden, wo Schwerpunkte gesetzt werden sollten. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß die Großforschungseinrichtungen in der Lage sein werden, sich noch mehr nach außen zu öffnen, daß sie z. B. Technologietransfer nach draußen machen, daß sie ein Zentrum für die technologische Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen in ihrer Region werden und von daher Entlastung gegenüber der Einsparung bei der Förderung durch staatliche Stellen finden werden. Das bedarf, wie sich versteht, der Kooperation mit dem Finanzminister. Ich hoffe sehr, daß wir hier Möglichkeiten finden werden.Herr Kollege Laermann, Sie sprachen von der Bürokratisierung. Ich bin gern bereit, alles aufzunehmen, durchzurechnen und zu diskutieren. Unter dem Strich sollten wir fairerweise auch gegenüber den vielen Menschen, die an diesen Projekten arbeiten, sagen, daß die Verwaltungskosten der Projekte des Forschungsministeriums etwa 3 % der aufgewendeten Summen ausmachen. Nun kann man auf der Grundlage der Statistik natürlich viel diskutieren. Aber man sollte es auch nicht übertreiben, indem man etwa sagt, hier würden die großen Massen des Forschungsetats aufgefressen. Das kann man immer noch besser machen. Herr Kollege Laermann, ich würde Ihnen empfehlen, z. B. die politischen Stiftungen zu fragen, wieviel Prozent Verwaltungsanteil ihnen zugebilligt wird.
Ich würde auf jeden Fall sagen, daß diese drei Prozent nicht so sehr außerhalb der Marge liegen. Aber wir sind dabei, auch dort Reduktionen vorzunehmen.Ich betone nochmals: Wir müssen auch in Zeiten einer realen Stagnation des Forschungshaushalts durch Umschichtungen Akzente setzen, um nicht neue Entwicklungen zu verschlafen. Als einen Schlüsselbereich nenne ich die Mikroelektronik. Wir sind Zeugen einer stürmischen technischen Entwicklung hin zur Größtintegration, die in wenigen Jahren mehrere Millionen Transistorfunktionen auf einem elektronischen Bauelement möglich macht. Die Voraussetzung dafür sind neue Verfahren wie die Röntgenstrahllithographie. Nur solche Halbleiterhersteller werden konkurrenzfähig bleiben, die diese Technologie rechtzeitig beherrschen.Mit dem Berliner Speicherring für Synchrotonstrahlung BESSY steht der deutschen Halbleiterindustrie ab 1982 ein Großgerät zur Verfügung, mit dem sie an der Spitze dieser technologischen Entwicklung stehen wird. Es kommt jetzt darauf an, daß die Firmenleitungen die hier zur Verfügung gestellten Möglichkeiten auch intensiv nutzen. Es nützt überhaupt nichts, wenn der Staat Vorleistungen erbringt und die entsprechenden Geräte zur Verfügung stellt, ohne daß die Markterschließung nachher dynamisch vorgenommen wird.Mindestens ebenso wichtig ist das Meistern der Umstrukturierungsvorgänge, die der Einsatz der Mikroelektronik für viele Branchen, besonders für die kleinen und mittleren Unternehmen mit sich bringt. Hier spielt das vom BMFT geförderte VDI-Technologiezentrum in Berlin eine wichtige Rolle. Mittelständische Unternehmen können sich hier zur Lösung von konkreten Entwicklungsproblemen bei der Halbleiteranwendung beraten lassen. An der langen Warteliste läßt sich ablesen, wie groß dieser Beratungsbedarf ist. Hier ist z. B. ein Element, wo wir sagen können: Dies ist eine Art indirekter Forschungsförderung, ohne daß wir große Steuerverluste in Kauf nehmen nässen, die etwa die angeregten Sonderabschreibungen oder Steuervergünstigungen mit sich bringen.Ein anderer Bereich, der auf längere Sicht an die volkswirtschaftliche Bedeutung der Mikroelektronik heranreichen kann, ist die biologische Forschung und die Biotechnologie. Ich teile durchaus Ihre Auffassung: mich hat es genauso verwundert, daß ein Chemiekonzern an eine amerikanische Universität herangetreten ist und bereit ist, dort erhebliche Beträge zu investieren. Wir sind dabei, den Hintergrund für diese Entscheidung aufzuklären. Ich
Metadaten/Kopzeile:
2414 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Dr. von Bülowbin gern bereit, Ihnen das Ergebnis später vorzutragen.Haupteinsatzgebiete dieser Technologien werden die Landwirtschaft, die Energieversorgung, die chemische und die pharmazeutische Industrie sein. Für die hier erzeugten Produkte, z. B. Antibiotika, Proteine, Vitamine, Insulin, Pharmarohstoffe, gibt es weltweit einen schnell wachsenden Bedarf.Mit der Entwicklung der Gentechnologie wird das Einsatzgebiet immer breiter. Die Verfahren werden effizienter.Es zeichnen sich freilich Risiken ab, die wir noch nicht voll überblicken. Gerade um besser beurteilen zu können, welche der wirtschaftlich verlockenden Möglichkeiten verantwortet werden können, ist mehr Forschung wichtig.Es gibt weitere Gebiete, wo wir trotz der Haushaltsenge vorankommen müssen. Ich nenne nur die Umweltschutzforschung, wobei der Wasserversorgung, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, umweltfreundlichen Energieversorgung mit konkreten Maßnahmen Umweltgefahren begegnet werden muß.Ein Wort zum Programm „Humanisierung des Arbeitslebens". Es freut mich, daß es in den parlamentarischen Haushaltsberatungen keine weiteren Kürzungen gegeben hat. Dieses Programm muß auch künftig ein Schwerpunkt sein, weil uns der menschengerechte Arbeitsplatz nicht als Abfallprodukt der technologischen Entwicklung gleichsam in den Schoß fällt.
Ich nenne nur die zunehmende Lärmbelastung und das Asbest-Problem. Herr Stavenhagen, glauben Sie ja nicht, daß die Marktwirtschaft sozusagen automatisch als Abfallprodukt diese besseren Arbeitsplätze zustande bringt. Das kann man allenfalls dann annehmen, wenn der Arbeitsmarkt so eng ist, daß man um Arbeitskräfte dadurch werben muß, daß humanere Arbeitsplätze geschaffen werden.
Aber die nächsten sechs, sieben Jahre werden nicht dadurch gekennzeichnet sein. Ich verkenne überhaupt nicht, daß die Industrie teilweise erhebliche Anstrengungen macht, um in diese Richtung zu gehen. Aber um Anreize in dieser Richtung zu geben, ist dieses Humanisierungsprogramm absolut erforderlich.Und seien wir doch nicht so beckmesserisch. Wenn das Forschungsministerium in einem völlig neuen Bereich, der auch international weder in der Wissenschaftswelt noch in der Wirtschaftswelt aufbereitet war, Neuland betreten hat und wenn hier ganze Wissenschaftlergruppen neu gebildet werden müssen, die sich dieser Fragestellung überhaupt zum ersten Mal widmen, dann sind trial and error, dann ist auch Irrtum automatisch damit verbunden.
Ich glaube, daß wir auf einem vernünftigen Weg sind, auf dem wir zu einem allgemeinen Konsens kommen, daß dieses Programm notwendig ist. Sie deuten das j a in einem gewissen Umfang an. Ich glaube, wir werden hier gute Fortschritte machen.In der Öffentlichkeit wird über Forschungspolitik immer noch viel zu viel unter dem Klischee einer Entgegensetzung von direkter, angeblich bürokratisch gängelnder und indirekter, angeblicher freier Forschungsförderung geredet. Dabei wird nicht registriert, welche ausgewogene Mischung von Instrumenten wir bereits haben. Erst recht verbietet es die Reinheit der Lehre offenbar, nach dem Bedarf zu fragen. Es ist aber für kleinere und mittlere Unternehmen oft viel wichtiger, eine aktive Beratungshilfe zur Förderung hinzuzubekommen als nur Geld.
Der Ausbau der Fraunhofergesellschaft zu einer leistungsfähigen Vertragsforschungsorganisation mit einem besonderen Schwerpunkt im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen kann sehr wohl auch als ein wirkungsvolles Element in direkter Foschungsförderung verstanden werden. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, wie wenig die Diskussion über das Verhältnis von direkter und indirekter Förderung, die sich allein an Finanzmitteln orientiert, der Wirklichkeit der Innovationsförderung gerecht wird. Lassen Sie uns also besser gemeinsam danach suchen, wo ernste Lücken bei der Deckung des volkswirtschaftlich notwendigen Bedarfs sind. Mir macht z. B. Sorge, daß die Bereitstellung von Risikokapital im Verhältnis zu anderen Ländern nicht genügend zu sein scheint, um Innovationen voranzutreiben. Lassen Sie uns solche konkreten Fragen anfassen, damit wir nicht im ideologischen Schlagabtausch hängenbleiben und dann mangels ernster Vorbereitung in Wahrheit nur kurzfristige Umlegungsnotwendigkeiten von Kürzungen die Richtung der Forschungspolitik bestimmen. — Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30, Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 14 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist damit angenommen.Ich rufe die Einzelpläne 06 und 36 auf: Einzelplan 06Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern— Drucksache 9/476 —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2415
Vizepräsident WurbsBerichterstatter:Abgeordnete Dr. Riedl WaltherHoppeGärtnerKühbacherEinzelplan 36Zivile Verteidigung— Drucksache 9/496 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Hackel KühbacherMeine Damen und Herren, auch hier wurde im Altestenrat vereinbart, über die beiden Einzelpläne 06 und 36 eine verbundene Debatte zu führen. Weiter wurde eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Riedl .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! De Einzelplan 06 des Bundesministers des Innern ist — gemessen an den enormen Zuwachsraten der anderen Einzelpläne — fast, so möchte ich sagen, ein — in dieser Hinsicht jedenfalls — sehr guter Einzelplan, weil nämlich die Steigerungsrate des Einzelplans 06 gegenüber dem Ist 1980 lediglich ein Plus von 1,7 % aufweist. Wenn man das Soll von 1980 zugrunde legt, schließt dieser Einzelplan sogar mit minus 1,3 % ab. Wenn alle Einzelpläne des Bundes eine solche Steigerungsrate hätten,
bräuchten wir uns mit der riesigen Staatsverschuldung, über die wir uns seit Tagen zu unterhalten haben, heute nicht mehr zu befassen.Der Einzelplan 06 ist auch vom Volumen her ein verhältnismäßig bescheidener Etat. Unter den 27 Einzelhaushalten des Bundes steht er erst an 13. Stelle mit einem Gesamtvolumen von 3 484 000 000 DM. Angesichts der sicherlich großen politischen Bedeutung, die dieser Einzelhaushalt hat, darf ich einmal seinen Finanzanteil am Gesamthaushalt nennen. Er beträgt in der Tat nur 1,6 %. Also 1,6 % der gesamten Bundesausgaben entfallen auf den Amtsbereich des Bundesministers des Innern. Das ist — ich sage es noch einmal — im Vergleich zur politischen Bedeutung dieses Hauses sicherlich eine sehr bescheidene Zahl.Vor allen Dingen die finanzielle Beschränkung im Jahre 1981 ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren, die unser Lob finden muß. Damit wird dem Ministerium und dem Minister — das ist zuzugeben — eine besondere Verantwortung bei der Verwendung der ihm zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel übertragen.Lassen Sie mich zu einigen Einzelpunkten dieses Haushalts etwas sagen. Ich möchte für dieses Haus und für die Öffentlichkeit auch einmal einige Schwerpunkte nennen. Für die innere Sicherheit wird im Bereich des Innenministeriums ein Betrag von 1,5 Milliarden DM ausgegeben. Das ist der größte Topf in diesem Haushalt. Der zweitgrößte Topf ist die Kulturförderung einschließlich der Kassenhilfe für die beiden Rundfunkanstalten „Deutschlandfunk" und „Deutsche Welle", für die rund 600 Millionen DM zur Verfügung stehen. Dann folgt die Umweltpolitik mit 400 Millionen DM. Für Flüchtlinge, Vertriebene und Eingliederungshilfen stehen Finanzbeträge in Höhe von insgesamt 360 Millionen DM zur Verfügung. Für die Sportförderung schließlich wird immerhin noch ein Betrag von sage und schreibe 100 Millionen DM ausgegeben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu den einzelnen Sachbereichen kurz einige Anmerkungen machen. Ich komme zuerst auf den Bereich der inneren Sicherheit zu sprechen. Hier sind schwerpunktmäßig das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder zu nennen. Die Steigerungen in diesem Bereich betragen gegenüber dem Vorjahr 4 %, ohne daß man sagen kann, daß sich die innere Sicherheit in unserem Land adäquat verbessert hätte. Dies bedeutet also sicherlich auch für die Polizei, für die Sicherheitskräfte vom Haushalt her eine nicht unbedeutende Belastung bei der Durchführung ihrer Arbeit. Die Erhöhung, die deutlich unter der durchschnittlichen Steigerungsrate des Haushalts liegt, entfällt im wesentlichen auf die Besoldungs- und Tariferhöhungen 1980.Ich beziehe mich auf einige Diskussionen von heute vormittag. Als wir den Einzelplan 11 ablehnten, kamen von Ihrer Seite Zurufe: Damit hat die CDU/CSU auch die Rentenerhöhung abgelehnt! — Dies sind politische Entscheidungen, die im Parlamentarismus doch auch von Bundestagsabgeordneten begriffen werden müssen. Deshalb möchte ich für diejenigen, die immer Mühe haben, das parlamentarische Verfahren nachzuvollziehen, hier ausdrücklich anfügen, daß die CDU/CSU-Fraktion dem Haushalt für die innere Sicherheit in den vergangenen Jahren immer ihre volle und uneingeschränkte Zustimmung gegeben hat und dies auch im Jahre 1981 tun wird.Was wir in diesem Zusammenhang vermissen, Herr Minister, ist eine Grundsatzentscheidung, wie es mit der Ausbauplanung für die innere Sicherheit weitergehen soll, die ja vor einigen Jahren im Anschluß an das Schleyer-Attentat von allen Fraktionen und Parteien in diesem Hause beschlossen worden ist. Ich möchte Ihnen sagen, daß die CDU/CSU-Fraktion nach wie vor zu ihrer Zusage steht, daß auch die Endphase dieser Ausbauplanung verwirklicht werden solle. Wir wollen im Sicherheitsbereich — in welchen Zeitabschnitten, Herr Kollege Walther, auch immer; darüber muß man sich unterhal-
Metadaten/Kopzeile:
2416 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Riedl
ten — diese Endphase der Ausbauplanung verwirklichen. Wir verkennen — ich füge dies hinzu — natürlich nicht, daß die Haushaltslage dabei eine ganze Reihe von Problemen schaffen wird. Es muß aber Klarheit hergestellt werden — dies ist die Aufgabe der Regierung —, auf welchem Niveau die Ausbauplanung stabilisiert werden soll.Was wir als CDU/CSU-Fraktion auf keinen Fall hinnehmen werden, ist ein Abbau der inneren Sicherheit, wie er offenbar — hierzu hätten wir von Ihnen heute gerne eine klare Aussage — jedenfalls im Bundesministerium der Finanzen, aber auch im Bundesinnenministerium zur Zeit in Rede steht: Die geplante Reduzierung der Zahl der Polizeivollzugsbeamten beim Bundesgrenzschutz auf 20 000 möchten wir als unannehmbar bezeichnen.Ein Wort zur Reaktorsicherheit. Die Reaktorsicherheit gehört auch in den Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministers.
— Ich kann mich dem Zwischenruf „Leider!" anschließen, weil es in diesem Bereich nicht vorangeht. Herr Kollege Ehmke ist ja gerade hier; er hat gestern sehr optimistische Äußerungen gemacht, daß es mit der Kernenergie in Deutschland weitergeht. Herr Kollege Ehmke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vermissen die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Kernkraftwerke, die der Bundesinnenminister genau wie der Deutsche Bundestag mit der Bereitstellung der Mittel in der Hand hat. Und wir haben mit Sorge gesehen, daß die Mittel für die Untersuchungen zu Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen von 45 Millionen DM im Jahre 1980 auf 35 Millionen DM in 1981 gekürzt worden sind. Wir möchten diese 35 Millionen DM als die absolut unterste Grenze bezeichnen, die in diesem Bereich nicht unterschritten werden darf.Drittens ein Wort zur Sportförderung: Bei der Sportförderung sind die Mittel für den Sportstättenbau gegenüber dem Ansatz 1980 ganz erheblich gekürzt worden, und zwar von 31 Millionen DM auf 23,5 Millionen DM. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, daß die CDU/CSU im Haushaltsausschuß gemeinsam mit der Koalition dieser Kürzung zugestimmt hat. Ich möchte nur dieses Abstimmungsverhalten einmal exemplarisch für viele Dutzende von Fällen anführen, in denen die CDU/CSU im Haushaltsausschuß durchaus ihren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts — jedenfalls im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten — leisten wollte.Meine Damen und Herren, die Zeit reicht natürlich nicht aus, die Sportförderung näher zu kommentieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur eines ganz kurz ansprechen: Das, was wir an Sportförderung in Bund, Ländern und Gemeinden tun, hat Millionen von jugendlichen Menschen zu begeisterten Sportausübenden gemacht. Wer in diesen Tagen die Junioren-Europameisterschaft im Fußball im westdeutschen Raum verfolgt und gesehen hat, wie bei allen Spielen 30 000, 40 000 oder 50 000 Jugendliche mit großer Begeisterung zugeschaut haben, wie unsere Fußball-Juniorenmannschaft begeistert gespielt hat, dem wird deutlich geworden sein, daß diese Veranstaltung allen denen einen schlagenden Gegenbeweis geliefert hat, die glauben, daß in unserer Jugend irgendeine Krise vorhanden, daß unsere Jugend irgendwo nicht in Ordnung sei. Die Begeisterung, die wir hier festgestellt haben, sollte uns alle ermutigen, die Jugend gerade dort zu fördern, wo der dafür richtige Bereich ist. Das ist jedenfalls im Sport im ganz besonderen der Fall. Dieses Beispiel sollte für uns alle eine Ermunterung sein, an die Jugend in unserem Land nicht nur zu glauben, sondern sie auch in ihrem Bestreben, freiheitliche Menschen im Erwachsenenbereich zu werden, zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, die Kulturförderung des Bundesinnenministeriums steht — ich möchte das nicht von der Qualität, aber von den Finanzen sagen — auf verhältnismäßig schwachen Füßen. Die Staatssekretärin im bayerischen Kultusministerium hat dieser Tage im Zusammenhang mit dem Ankauf von Teilen des Hildesheimer Tafelsilbers einen Ausspruch getan, den ich hier einmal wiederholen möchte:Ob ein Staat ein Kulturstaat ist, erweist sich besonders in Zeiten finanzieller Bedrängnis.Wir haben im Einzelplan 06 einen bescheidenen Haushaltsansatz für die Kulturförderung, den wir — und hier appelliere ich an alle Fraktionen dieses Hauses — unter gar keinen Umständen mehr unterschreiten dürfen; denn dies sind Beträge, mit denen man die Riesensummen bei der Verschuldung des Bundes in der Tat nicht ausgleichen kann. Wir sollten uns bei der Kulturförderung darüber einig sein, daß dies das Minimum dessen ist, was wir in einem Kulturstaat wie der Bundesrepublik Deutschland dafür an Steuergeldern ausgeben sollten.Ein Wort zum Bereich der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten: In diesem Bereich hat es die deutlichste Steigerung in dem Haushalt gegeben. Die Steigerung beträgt 75,9 Millionen DM oder, in Prozentzahlen ausgedrückt, 26,9 %. Die Hauptursache hierfür ist die Rückführung Deutscher, für die Eingliederungshilfen gewährt werden, und Ausgleichsleistungen für ehemalige politische Häftlinge.Lassen Sie mich an dieser Stelle auch einmal die Arbeit würdigen, die auf diesem Gebiet für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Integration der Ausländer und Heimkehrer sowie für die Familienzusammenführung geleistet wird. Hiervon ist in diesem Parlament wie in manchen anderen Bereichen sozialer Qualität leider viel zu selten die Rede.Zu diesen Aufgaben, die ohne viel Aufhebens, aber mit großem Erfolg erfüllt werden, zähle ich auch die Kulturarbeit der Vertriebenen und Flüchtlinge, für die das Bundesinnenministerium jährlich mehr als 4 Millionen DM bereitstellt. Diese Mittel sind ein wirksamer Betrag, um das kulturelle Heimaterbe der Vertriebenen und Flüchtlinge in unserem Volk lebendig zu halten.Meine Damen und Herren, ich weise ausdrücklich darauf hin, wir reden seit einigen Minuten nicht von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2417
Dr. Riedl
Milliardenbeträgen, sondern von Millionenbeträgen, von einer bescheidenen Summe, die im Haushalt des Innenministers dafür zur Verfügung steht.Darf ich abschließend noch ein Wort zum öffentlichen Dienst sagen. Dieser Bundesinnenminister ist ja der Chef, sozusagen der oberste Dienstherr aller öffentlich Bediensteten in diesem Lande.Was in den letzten Jahren an Versuchen, den öffentlichen Dienst zu verändern, alles durch die Welt gegeistert ist, kennen Sie. Die jüngsten Vorschläge, beispielsweise von Bundesarbeitsminister Ehrenberg, die auf die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe gezielt haben, kennen Sie. Sein Parteikollege Farthmann hat einheitliche Erhöhungsbeträge im öffentlichen Dienst gefordert, andere wieder die Abkopplung oder zeitliche Hinausschiebung der Tarifoder Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst. All dies sind im Prinzip nichts anderes als mehr oder weniger untaugliche Versuche, das Berufsbeamtentum insgesamt abzuschaffen.
Herr Kollege Walther, wir sollten um die Dinge nicht herumreden, es gibt eben bei Ihnen — das sollte man ganz emotionslos sagen — starke Strömungen, das Berufsbeamtentum, so wie wir es in Deutschland heute haben, wesentlich zu verändern. Sie betreiben dies seit einigen Jahren. Ich erkläre hier für die CDU/CSU-Fraktion, daß das Berufsbeamtentum in der herkömmlichen Form, im Grundgesetz garantiert, für die CDU/CSU-Fraktion unantastbar ist.Die Sparsamkeit im öffentlichen Dienst und die Sparsamkeit in der Bürokratie ist eine Selbstverständlichkeit. Wir haben deshalb im Haushaltsausschuß einen Antrag gestellt, der weiter geht als Ihrer, nämlich auf Streichung von 4 000 unbesetzten Stellen im öffentlichen Dienst. Sie hatten die Streichung von 3 000 Stellen beantragt. In der Tat müssen Sie hier initiativ werden. Ich möchte hier einmal eine Zahl nennen. Die Zahl der unmittelbar dem öffentlichen Dienst Angehörenden hat sich in der Bundesrepublik Deutschland seit 1969 von 3,2 Millionen auf 4,2 Millionen erhöht. Das sind insgesamt 30 %. Der Anteil der Personalkosten beträgt beim Bund einschließlich Bahn und Post zur Zeit rund 25 %, in den Ländern durchschnittlich sogar über 40 %. Dies ist für uns alle eine Aufforderung, hier gemeinsam nach wesentlichen Einsparungsvorschlägen im öffentlichen Dienst zu suchen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies war der Versuch, einmal in einer Haushaltsrede für einige Sachbereiche Auskünfte und Wertungen zu geben.Demgegenüber stehen die politische Verantwortung des Innenministers und das politische Tun und Lassen dieses Innenministers. Hier liegt auch der Hauptgrund, daß die CDU/CSU dem Einzelplan 06 nicht zustimmt. Ich möchte deshalb — auch im Hinblick auf den Zeitablauf — in aller Kürze sagen, Herr Innenminister Baum, warum wir diesen Etat ablehnen. Wir lehnen diesen Etat ab, weil unter Ihrer politischen Verantwortung zugelassen worden ist, daß heute Radikale im öffentlichen Dienst Platz haben. Die CDU/CSU lehnt es ab, daß wir im öffentlichen Dienst, gleich in welcher Form, ob als Beamte, Angestellte oder Arbeiter, Kommunisten beschäftigen. Dafür sind Sie verantwortlich.
Herr Bundesinnenminister, wir lehnen diesen Etat auch ab, weil Sie in den Jahren Ihrer Amtszeit nicht bewiesen haben, daß Sie sich auch in schwierigen Situationen voll und ganz hinter unsere Sicherheitsdienste stellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die peinliche Verabschiedung des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamts, Karl Herold, erinnern, wo Sie j a selbst Bein Eintreten in den Veranstaltungssaal des Bundeskriminalamtes gemerkt haben, welche Welle der Aversion Ihnen entgegenschlug. Sie haben mir an diesem Nachmittag persönlich leid getan, als ich beobachten konnte, wie das Bundeskriminalamt Ihnen sicher nicht als Mensch, aber als Bundesinnenminister die kalte Schulter gezeigt hat, weil die Bediensteten des Bundeskriminalamts gemerkt haben: Hier kommt ein Dienstvorgesetzter zu uns, der sich in kritischen Situationen nicht voll und ganz hinter uns stellt.
Herr Abgeordneter, ich bitte, langsam zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, ich bitte noch um eine halbe Minute. Ich bin sofort am Ende meiner Ausführungen.
Wir lehnen Ihren Einzelplan 06 ab, Herr Bundesinnenminister, weil Sie kein entschiedener Verfechter für Verfassung, für Ordnung und für Sicherheit in unserem Lande sind. Wenn es im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten Jahren von politischer Seite her Unsicherheiten gegeben hat, sind sie in erster Linie von Ihnen ausgegangen, und Sie haben dafür die politische Verantwortung zu tragen.
Ganz zum Schluß noch eines: Wenn ein Bundesinnenminister Gerhart Baum das derzeitige Demonstrationsrecht in unserem Lande für ausreichend hält, ist er für uns alle fehl am Platz. Deshalb unser Nein zum Einzelplan 06!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Innenhaushalt ist fürwahr kein Bereich der lauten Töne hier im Parlament. Herr Kollege Riedl, Sie haben j a mit Ihren Eingangsbemerkungen auch aufmerksame Zuhörer gehabt; nur war der zweite Teil mit den abgedroschenen Sonthofener Floskeln, die Sie hier wohl pflichtgemäß vorführen müssen
— man muß sich j a auch im eigenen Bereich immer wieder rechtfertigen —, eigentlich, Herr Kollege Riedl, unter Niveau.
Metadaten/Kopzeile:
2418 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
KühbacherAber ich glaube, ich brauche den Bundesinnenminister hier nicht zu verteidigen; er wird Ihnen in diesem Punkt die gehörige Abreibung selbst erteilen.
— Ich wollte jetzt gerade zur Sache kommen. Wenn Sie mir außer Zwischenrufen vielleicht auch einmal Ihre Ohren und möglicherweise die grauen Zellen darüber schenken würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
— Ist es möglich, Herr Kollege?Ich sagte, der Innenhaushalt ist kein Bereich der lauten Töne.
— Sehen Sie, Sie schreien mich von unten an, und ich versuche, Ihnen höflich zu antworten.
— Und nun werden Sie noch polemisch.
— Nun lassen Sie das doch!Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in der Diskussion über den Innenhaushalt der Polizei einige Worte des Dankes sagen. Ich denke, daß die Polizeibeamten des Bundes, ob sie beim Bundesgrenzschutz oder beim Bundeskriminalamt oder beim Verfassungsschutz tätig sind, es in diesen schwierigen Zeiten nicht leicht haben und daß wir auch kaum erwarten können, daß die Arbeit der Polizei bei dem sich abzeichnenden materiellen Engerrükken und bei der sich abzeichnenden weiteren Verschärfung der sozialen Probleme leichter wird. Deshalb möchte ich mich bei der Polizei ausdrücklich für das Engagement in der Vergangenheit bedanken und sie bitten, dieses Engagement für die Zukunft aufrechtzuerhalten.
Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit ist eine Menge passiert. Es sind für den Ausbau der Polizei— gemeinsam getragen, wie der Kollege Riedl gesagt hat — beim Bundesgrenzschutz 1 400 neue Planstellen, beim BKA 840 neue Planstellen und beim BW fast 500 neue Planstellen geschaffen worden. Was mir aber noch wichtiger erscheint, ist, daß wir innerhalb der Polizei doch für angemessene Stellenhebungen haben sorgen können, um den Polizeibeamten selbst eine Aufwertung ihrer Tätigkeit auch im Bereich der Bezahlung bieten zu können. Schauen Sie sich einmal an, was für Stellenhebungen wir haben machen können. Von 1976 bis 1980 sind etwa 15 000 Stellenhebungen möglich gewesen. Das wirkt sich unmittelbar auf den Dienst jedes einzelnen Polizeibeamten aus.Für den Haushaltsausschuß kann ich hier sagen, daß da noch eine weitere Rate aussteht. Wir sollten die Bundesregierung und Sie, Herr Minister, auffordern, die Dinge fortsetzen — im Clinch mit dem Finanzminister, wobei wir Sie unterstützen werden —, die im Bereich der Anhebung der Polizei des Bundes auf das Niveau der Polizei der Länder zugesagt sind. Das kann nur schrittweise geschehen, aber wir sollten diese Zusage auf jeden Fall einhalten.
— Sie bringen mich auf ein anderes Thema. Ich wollte dem Minister eigentlich zum Schluß einschenken, was es bedeutet, unten zur Zurückhaltung zu mahnen, sich aber oben anders zu verhalten.
Lassen Sie mich aber zu einem anderen Bereich noch etwas sagen, weil mir das wichtig erscheint. Herr Minister, ich glaube, in den Diskussionen mit den Bürgern und mit der Polizei festgestellt zu haben, daß wir vielleicht gemeinsam noch einmal überdenken sollten, ob es richtig ist, im Bund, insbesondere aber in den Ländern von dem Prinzip der Einheitslaufbahn so weit abzurücken, ob es nicht richtiger ist, daß ein Polizeibeamter die Chance hat, vom einfachen Polizeibeamten bis zum Polizeidirektor, bis zum höchsten Polizeiführer durchzusteigen. Ich glaube, dies ist eine sehr anspruchsvolle Frage.Ich meine, auch die Überlegung, ob man Polizeibeamte von der Schule her zu Polizeibeamten formen kann, sollte überdacht werden. Ist es nicht besonders schwierig für junge Polizeibeamte, die in Demonstrationen schwierigen Belastungen ausgesetzt sind, wenn sie keine Erfahrungen in einem anderen beruflichen Bereich haben sammeln können? Ist es nicht vielleicht ein Gefühl der Sicherheit auch für sie selbst, wenn sie in einem erlernten Beruf mit Menschen haben umgehen müssen, dort auch Rückschläge erfahren haben, so daß sie Auseinandersetzungen, denen sie sich täglich stellen müssen, viel- leicht besser gewachsen wären? Vielleicht sind wir da ein wenig zu schnell auch hinsichtlich einer bestimmten Bildungsüberlegung von einem Weg abgewichen, der sich in der Vergangenheit gut eingefahren hatte. Vielleicht kann man schrittweise in diese richtige Richtung, die ich meine, zurückgehen.Ich komme nun zu einem weiteren Bereich, der mir noch sehr viel wichtiger erscheint. Das ist die Frage der inneren Sicherheit und die Frage: Sind die Bürger mit dem, was an innerer Sicherheit durch das Präsentsein von Polizeibeamten dargestellt wird, zufrieden? Hier spielt natürlich in erster Linie die Länderpolizei die entscheidende Rolle. Eine wichtige Aufgabe hat hier aber auch der Bundesgrenzschutz, der überall dort, wo es brennt, hinzugezogen wird und insbesondere an den Flughäfen, in den Grenzbereichen ganz erstaunliche Erfolge hat.Herr Minister, Sie werden in Ihrem Hause das umzusetzen haben, was der Haushaltsausschuß beschlossen hat. Herr Kollege Riedl hat schon gesagt, daß man zunächst mit der geplanten Streichung von 4 000 Planstellen angefangen hat, und nun sind es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2419
Kühbacher3 000 Stellen für den gesamten Bundeshaushalt. Davon ist Ihr Haus nicht verschont geblieben.Nun möchte ich in Richtung auf das Bundesfinanzministerium, aber auch natürlich in Richtung auf die Ressortminister eine Überlegung des Haushaltsausschusses anführen. Wir hatten uns eigentlich nicht gedacht — das gilt für alle Minister —, daß Sie diese Stelleneinsparung quasi mit dem Rasenmäher bei allen Etats und Dienststellen vornehmen. Bei uns bestand vielmehr die Überlegung, daß damit auch eine Diskussion über die Notwendigkeit von Aufgabenerfüllungen verbunden sein sollte.
Sie sollten in Ihren Häusern überlegen, welche Aufgaben die erste und welche die zweite Priorität haben,
welche Aufgaben man möglicherweise gänzlich fallenlassen kann, selbst wenn dabei auf Gesetze verzichtet werden muß. Wenn man sie nicht mehr braucht, werden wir hier im Bundestag eine entsprechende Reduzierung auf Null beschließen.
Das sollte mit der Überlegung, Planstellen einzusparen, verbunden werden. Wenn das jetzt, wie ich es gehört habe, ganz schematisch aufgeteilt wird, so entspricht das nicht den Überlegungen im Haushaltsausschuß. Ich glaube, daß wir darüber noch eine Diskussion zu führen haben.Herr Bundesinnenminister, Sie haben es schwer, da Sie den größten Teil des Personals im Bereich der inneren Sicherheit haben; aber auch dieser Bereich kann nicht ausgenommen werden. Es wäre zu wünschen, daß auch dort die betroffenen Berufsvertretungen spüren, daß es Prioritätensetzungen gibt. Überlegungen dazu müssen zunächst von der Regierung ausgehen. Das kann ich der Regierung nicht ersparen. Wenn es gar nicht anders geht, werden wir das in bewährter Manier und Verantwortung zusätzlich im Haushaltsausschuß machen. Aber zunächst ist die Regierung am Zuge.
— Das ist z. B. eine alte Struktur, die nicht mehr verständlich ist und aufgelöst werden könnte. Aufgabenkritik sollte hinzukommen.Lassen Sie mich ein Wort zum Umweltschutz sagen, Herr Minister, weil mir dieser wichtig erscheint und weil mir auch hier ein Anspruchsdenken eingerissen zu sein scheint, das der Aufgabenstellung nicht gerecht wird. Wir haben in den letzten drei Jahren, insbesondere was die Luftreinhaltung angeht, enorme Finanzmittel in den Umweltschutz investiert. Ich glaube, daß das richtig war. Wir haben zwei sehr wichtige Berichte auf dem Tisch des Innenausschusses, den Cadmium-Bericht und den Asbest-Bericht, die dort geprüft werden und auf weitere Umsetzung warten.Ich will Ihnen aber einmal am Beispiel eines Einzelfalles erzählen, was es bedeutet, wenn sich der Bund in diesem Bereich engagiert. Es besteht die Absicht, 50 % von förderungsfähigen Umstellungskosten durch Bundesmittel zu bezuschussen. Hier setzt nun seitens der Firmen, die jahrelang den notwendigen Umweltschutz nicht gewährleistet haben, die produziert und Gewinne erzielt haben, bei der Umstellung ein Rennen nach öffentlichen Mitteln ein mit der Drohung, daß überhaupt nichts geschieht, daß Betriebe gänzlich stillgelegt werden, wenn der Bund nicht 60 %, 70 %, teilweise sogar 80 % der förderungsfähigen Kosten bezuschußt. In meinem Bundesland spielt sich im Moment eine solche Sache ab, wo eine Firma — ich sage das einmal so schlicht — mit dem Druck der Erpressung versucht, sowohl die niedersächsische Landesregierung, Herr Kiep, als auch den Bund vorzuführen. So geht das nicht. Man muß diesen Unternehmern sagen, daß sie doch wohl auch irgendeine Interessenquote bei diesen Umstellungsprozessen tragen müssen.Wenn der Bund, wie in diesem Fall, von rund 54 Millionen DM Investitionen 21 Millionen DM übernehmen will und wenn das Land Niedersachsen — das ist in einer Finanzklemme — weitere 6,5 Millionen DM dazugibt — das sind dann rund 28 Millionen DM —, dann kann die Firma nicht sagen: Wir machen überhaupt nichts, wenn wir nicht mindestens 35 bis 40 Millionen DM bekommen. Dann wird natürlich gepokert; am liebsten hätten sie es, wenn alles bezahlt würde. Das geht nicht. Ich habe die herzliche Bitte, daß wir quer durch die Parteien vor Ort deutlich machen: Wenn öffentliche Mittel dazu kommen, gibt es eine Interessenquote, und die muß bei mindestens 50 % liegen. Sonst funktioniert das nicht; denn nach der Umstellung sollen in dem Betrieb j a weiterhin Gewinne erzielt werden. Wozu sonst wird der Betrieb aufrechterhalten? Diese Interessenquote muß eingehalten werden. Zu sagen, Umweltschutz sei Aufgabe der öffentlichen Hand, Gewinne seien Sache der Betriebe — möglichst hohe —, dieses Rollenspiel kann es nicht geben.
— Herr Probst, ich weiß, ich mache es mir ein bißchen einfach.
Aber das muß an dieser Stelle einmal gesagt werden, weil die Mentalität, die dahinter steckt, bekämpft werden muß. Es geht also nicht unbedingt um den Einzelfall.Ein weiterer Punkt, der von Herrn Kollegen Riedl in sehr netter Form angesprochen wurde, ist der Bereich der Kultur. Natürlich, Herr Kollege Riedl, umfaßt der Bundeskulturbereich, den wir verantworten, eine umfangreiche Palette. Sie haben ein Wort Ihrer Kollegin aus Bayern zitiert, das aber meines Erachtens völlig im Widerspruch zu dem Verhalten des Landes Bayern im Bundesrat steht.
Der Bundesrat entscheidet, daß sich der Bund aus der Kulturförderung heraushalten möge. Ich habe
Metadaten/Kopzeile:
2420 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Kühbacherdas Protokoll und den Beschluß bei mir. Ich weiß ja noch nicht, ob der Bundeshaushalt durchgeht.
— Natürlich, nicht bei dem Mittelansatz. Das ist ja erstaunlich. Das Land Bayern möchte Geld haben für Buxheimer Chorgestühl, für Silber und sonst etwas. Aber ansonsten soll sich der Bund heraushalten. Also da, wo es ums Geldgeben geht, bitte schön. Sonst soll sich der Bund heraushalten, wie z. B. bei der Förderung gesamtstaatlich bedeutender Vorhaben der Kultur und Kunst.Können wir es uns überhaupt erlauben, aus diesen sensiblen Bereichen wie Musikförderung, Filmförderung, Literaturförderung auszusteigen? Würden die Länder das sofort übernehmen? Ich bin Ihnen dankbar, daß wir bei dem knappen Haushalt, in dem wir j a noch einmal streichen mußten, den sensiblen Bereich der Kultur gemeinsam haben ausnehmen können. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir auch beim Haushalt 1982 aufpassen, daß der Einzelplan des Innenministers nicht zuerst im Bereich der Kultur angeknabbert wird. Wir sollten versuchen, das gemeinsam zu erreichen. Und Ihrer Kollegin in Bayern ins Stammbuch: Wir wollen nicht nur tönende Worte hören, sondern auch Taten sehen. Verhalten Sie sich im Bundesrat so, wie Sie sich gegenüber dem Bürger auf der Straße immer verkaufen wollen!Ein letztes Wort im Bereich der Innenpolitik sollte dem Sport gehören. Wir haben über einen winzigen Punkt der Sportförderung eine lebhafte Debatte geführt. Wir haben für diesen Punkt im Laufe der Haushaltsberatung sehr viel mehr Zeit verwenden müssen, als der Sache angemessen war. Der Haushaltsausschuß hat sich nämlich erlaubt, eine Großveranstaltung mit einem bestimmten Betrag nicht zu bezuschussen, nicht um diesen Betrag im Bereich der Sportförderung zu streichen, sondern um ihn dem Bereich des Behindertensports zuzuführen. Ich glaube, Herr Minister, die Entscheidung war völlig richtig; denn anschließend, nach der großen Diskussion erklärte der Zuschußnehmer, der fürchterlichen Klamauk gemacht hat und überhaupt nicht verstehen konnte, daß auch eine wohlmeinende Empfehlung eines Parteivorsitzenden plötzlich nicht mehr durchdrang: Na j a, wenn wir die 200 000 DM nicht vom Bund bekommen, dann nehmen wir das aus unseren 4,5 Millionen DM betragenden Rücklagen. Wenn man das so leicht machen kann, weil so viele Rücklagen bestehen, dann zeigt das doch, daß wir noch zu sanft gewesen sind.Ich denke, daß es richtig war, im Bereich des Behindertensports etwas zu tun. Ich kann Sie nur unterstützen, Herr Minister, in diesem Bereich auch weiterhin aktiv zu sein und modellhafte Vorhaben durchzuführen.Ich möchte meinen Beitrag mit einem ausdrücklichen Dank an Sie, Herr Kollege Riedl, und Ihre Mitstreiter im Haushaltsausschuß wegen Ihrer — so sage ich einmal — hilfreichen Unterstützung bei der Behandlung des Themas Aussiedler aus Drittländern schließen. Wie haben ohne große Diskussion eine Sache auf den Weg bringen können, die sich bei vielen Einzelschicksalen hilfreich auswirkt. Wenn wir nun sparen müssen, so sollten wir das in diesem Bereich auf keinen Fall tun. Vielmehr sollte dieser Bereich eher ausgeweitet werden. Ich danke Ihnen, daß wir trotz der sonstigen Kürzungen im Bundeshaushalt hier — ich glaube, es waren 35 Millionen DM — gemeinsam haben zulegen können. Obwohl wir sonst sehr auf Sparsamkeit bedacht waren, haben wir hier also eine Ausnahme gemacht. Ich bedanke mich auch für die Lautlosigkeit, mit der das beschlossen worden ist.Herr Minister, noch einige Worte zum öffentlichen Dienst, zu den Gehältern und was dort alles diskutiert wird. Graf Lambsdorff hat heute morgen im Deutschlandfunk gesagt, daß es keine finanzielle Masse brächte, wenn man den Spitzensteuersatz auf 80 % erhöhte. Diese Schlußfolgerung ist richtig, was die Finanzmasse angeht.Herr Minister, es ist auch völlig klar, daß wir die Tarifverhandlungen nicht beeinflussen wollen, wenn wir über die Gehälter im öffentlichen Dienst sprechen. Aber es dürfte doch auch der Bundesregierung und Ihnen nicht entgangen sein, daß im Moment eine Diskussion um die Spitzengehälter im öffentlichen Dienst stattfindet. Ein Kollege, der auf Arbeitnehmerseite Mitglied im Aufsichtsrat eines großen Unternehmens ist, sagte mir: Die leitenden Angestellten und die Vorstandsmitglieder in diesem großen Unternehmen erhalten seit drei, vier Jahren überhaupt keine Gehaltszulagen mehr, und sie kommen dabei zurecht.Von daher, Herr Minister, verwundert es mich — Sie wissen, daß es die Diskussion über Besoldung von B 3 aufwärts bis zu den Ministergehältern gibt —, daß nichts schneller passieren konnte, als daß Anweisung gegeben wurde, ein Gesetz umzusetzen, das dieses Parlament noch nicht einmal erreicht hat. Sie und andere nehmen bereits — ich glaube, ab 1. Juli — die Vorschußzahlung auf die Gehaltserhöhung in Empfang, die dieses Parlament noch nicht einmal zur Kenntnis genommen, geschweige denn beschlossen hat.Das betrifft die Frage der Glaubwürdigkeit. Wie wollen wir denn Mitte des Sommers gemeinsam einschneidende Maßnahmen ergreifen, wenn nicht an dieser Stelle — ich sage das einmal so; es bringt nicht viel Geld — eine symbolhafte Handlung bei denjenigen vorgenommen wird, die an der Spitze der Gehaltsskala des öffentlichen Dienstes stehen?
Ich spreche damit keinen Beamten an, sondern die Minister. Da fängt es an, daß man überlegen muß, ob denn in diesem Jahr ein solcher Zuwachs sein muß, ob man das nicht hinausschieben kann, ob man nicht deutlich machen kann: Wenn wir an das Sparen denken, dann fangen wir bei uns an, bevor wir dem Bürger sagen, er müsse sich daran beteiligen.Das wollte ich Ihnen noch einschenken, Herr Minister. Ich hoffe, daß diese Gedanken, die andere Kollegen schon vor mir in der Öffentlichkeit präsentiert haben, auf fruchtbaren Boden fallen. Es hat nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2421
Kühbachersymbolhaften Wert, aber ich glaube, der Bürger versteht es, wenn dort angefangen wird.Zum Schluß will ich sagen: Wir Abgeordneten machen das seit vier Jahren. Ich bitte die Minister, sich zu beteiligen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat uns mit einem Etat von rund 3,5 Milliarden DM erfreut, die Opposition dazu mit einem Kürzungsantrag von 60 000 DM. Wir werden diesen Kürzungsantrag ablehnen und dafür im Gegensatz zu Ihnen den Etat annehmen.Herr Kollege Riedl, Ihre Begründung der Ablehnung des Etats hätte ich mir etwas eindrucksvoller gewünscht, damit es etwas mehr Spaß macht, darüber zu streiten.In der Tat steht der Bundesinnenminister nicht nur für Ordnung und Sicherheit, was Sie von ihm verlangen, sondern er steht gleichzeitig auch für Recht und Verfassung und für die Erhaltung der bürgerlichen Freiheiten.
Das ist genau die Forderung, die wir an einen liberalen Innenminister stellen, und das ist ein entscheidender Grund — nicht nur die sachliche Zustimmung zu den Positionen —, warum wir diesen Etat annehmen.
Im personellen Bereich gibt es eine Mehrforderung von 112 Stellen, und zwar — das ist das Interessante — in den Bereichen, in denen wir selber mehr Leistung fordern: für das Umweltbundesamt im Zusammenhang mit dem Chemikaliengesetz, für Zirndorf und für das Bundesverwaltungsamt für das BAföG.Herr Riedl, ich sehe keinen, der das Berufsbeamtentum abschaffen will. Ich glaube, da bauen Sie sich einen Türken auf, um ihn dann selber erschlagen zu dürfen. Das will keiner. Aber die Tatsache, daß wir uns gemeinsam mit Ihnen, mit allen Fraktionen vor das Berufsbeamtentum stellen und es erhalten wollen, kann natürlich die Frage der Personalkosten nicht sakrosankt machen.
Das muß man in der Tat miteinander verbinden.Ich bin der Meinung, daß der erzielte Tarifabschluß in Höhe von 4,3 % maßvoll ist. Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, was Herr Kühbacher gesagt hat. Es ist interessant, daß alle Ministerpräsidenten der Länder auf eine Umfrage des Deutschen Beamtenbundes erklärt haben, daß sie von Sonderopfern nichts halten, daß sie keine Sonderopfer vom öffentlichen Dienst verlangen. Ihre Vorstellungen laufen auf eine Nivellierung der Spitzengehälter hinaus. Nordrhein-Westfalen hat ja einen Vorschlag gemacht, nämlich ab A 16 zu sockeln. Dabei kommt bundesweit der ungeheure Betrag von 5 Millionen DM heraus. Dieser Antrag ist im Finanzausschuß des Bundesrates außer von Nordrhein-Westfalen nur noch von dem Bundesland Bremen unterstützt worden, und das ist, wie Sie wissen, nicht die Mehrheit. Ich meine, man sollte keine Forderungen erheben, die die eigenen Freunde nicht mit durchziehen wollen, weil sie erkennen, daß auf diese Weise kein Honig zu saugen ist. Ihre Vorstellung - ab B 3 aufwärts — macht einen Betrag von 29,5 Millionen DM aus. Ich weiß nicht, ob sich Ihre Symbolik auf das Sparen einrichtet oder ob sie sich auf das Nivellieren einrichtet. Ich habe den Eindruck, daß wir im öffentlichen Dienst dann zu einer spürbaren Einsparung von Personalkosten kommen, wenn wir hart an die Aufgabenkritik gehen und uns fragen: Welche staatlichen Aufgaben können wir abbauen, damit wir wissen, welches Personal wir dann für die Zukunft nicht mehr benötigen?
Dabei kann etwas herauskommen.
Beim zweiten Punkt stimme ich Ihnen zu. Da müssen wir uns im Innenausschuß an die eigene Nase fassen. Der Zulagenbericht liegt seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Dieses Werk ermöglicht einen traumhaften Blick durch die Wunderwelt des deutschen Beamtenbesoldungsrechts; Antennenzulage und was ich da sonst alles noch gelesen habe. Da müssen wir einmal ran, allerdings nicht isoliert, sondern im Zusammenhang. Ich habe den Vorsitzenden des Innenausschusses gebeten, diesen Zulagenbericht möglichst bald auf die Tagesordnung zu setzen, damit wir vorankommen.Zum Bereich innere Sicherheit. Es ist positiv, daß das Hauptzulagenvolumen beim Bundeskriminalamt mit dem Schwerpunkt Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität angesiedelt ist. Herr Zimmermann hat uns gestern mit einer Bemerkung erfreut, als er sagte: Die Namensschilder bei der Polizei wollt ihr, aber das Vermummungsverbot lehnt ihr ab. — Ich persönlich halte nichts von den Namensschildern; ich habe nie ein Hehl daraus gemacht. Nur, eines muß man ja auch einmal sagen: Namensschilder für die Polizei gibt es nur in Tübingen in Baden-Württemberg bei der Verkehrspolizei. Dieser Versuch ist auf der örtlichen Polizeiebene selbst entstanden. Ein Vermummungsverbot, das hier geradezu mit symbolhafter Verve erkämpft werden soll, gibt es in keinem anderen europäischen oder westlich-demokratischen Land, in keinem anderen Land! Das muß ja seinen Grund haben. Dieser Grund ist in der Tat relativ leicht erkennbar, weil Sie nämlich, wie Ihnen die Polizei selber sagt — die GdP, der 90 % der Beamten angehören, ist gegen eine Veränderung des Demonstrationsstrafrechts; des Rechts des Landfriedensbruchs und des Versammlungsgesetzes, um genau zu sein; es wäre nämlich
Metadaten/Kopzeile:
2422 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Hirschunsinnig —, die Polizei unter dem Legalitätsprinzip zu zwingen in eine — —
— Nein, entschuldigen Sie, die Beamten sagen genau dasselbe, weil sie nämlich mehr praktische Erfahrungen haben als Sie. Der Punkt ist nämlich der: Wenn Sie die Polizei nicht dazu bringen wollen, einen Rechtsbruch zwar zu sehen, ihn aber zu dulden, dann sind Sie gezwungen, in eine Demonstration, die bisher friedlich verlaufen ist, hineinzugehen, und die vermummten Leute herauszuholen. Dann werden Sie wunderbare Erlebnisse haben. Sie werden sie nämlich geradezu zum Krawall bringen, sie da hineintreiben. Davor möchten wir die Polizei allerdings bewahren.
Wir wollen nicht nach der Nürnberger Methode erst einmal alle verhaften, um dann zu sehen, was dabei herauskommt. Da werden Sie eine trügerische Ruhe erleben, aber keine wirkliche Ruhe
— Ihr macht doch alle so, als ob es kein Zürich, kein Nürnberg gegeben hätte. — Na ja, es hat keinen Sinn.
Wenn man der inneren Sicherheit dienen will, muß man sich auf ein paar andere Schwerpunkte konzentrieren.
— Ich habe Sie akustisch nicht verstehen können.
— Na, also; vorhin hat die Frau Kollegin Huber gesagt, jeder wird hier nach seinen eigenen Äußerungen beurteilt. Mehr habe ich Ihrem Zwischenruf nicht hinzufügen.
Wenn man etwas für die innere Sicherheit tun und erreichen will, muß man sich auf einige Schwerpunkte konzentrieren. Da ist einmal die Befreiung der Strafverfolgungsbehörden, auch der Polizei, von einem hohen bürokratischen Aufwand bei der Bekämpfung von Bagatelldelikten. Hier müssen wir ansetzen.Der zweite Punkt ist die gezielte Bekämpfung besonderer Schwerpunkte der Kriminalität, nicht nur durch polizeiliche Maßnahmen oder Maßnahmen der Strafvollstreckung. Das Betäubungsmittelgesetz ist ein hervorragendes Beispiel dafür.Der dritte Punkt ist die rechtzeitige Erkennung zukünftiger Schwerpunkte, insbesondere bei der Eingliederung ausländischer Jugendlicher in unsereGesellschaft. Ich beklage die Lahmheit und die Halbherzigkeit, mit der die Länder insbesondere die Ausbildung jugendlicher Ausländer in der Bundesrepublik behandeln und damit in der Tat ein hohes Gefährdungspotential für die Zukunft schaffen. Man muß einmal sehen, daß über 500 000 ausländische Jugendliche in der Bundesrepublik zur Schule gehen und daß davon 60 % keinen Hauptschulabschluß bekommen und 65 % ohne jede Spur beruflicher Bildung sind. Ich glaube, daß die Länder verpflichtet sind, in dieser Frage entschiedener vorzugehen. Ebenso beklage ich es, daß die CDU/CSU-regierten Länder seit Jahren im Bundesrat einen Gesetzentwurf blockieren, der die erleichterte Einbürgerung derjenigen ausländischen Jugendlichen ermöglichen soll, die Deutsche werden wollen, die hier ihre endgültige Heimat finden wollen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung von sich aus initiativ wird, um die Blockade dieser christlichen Länder zu umgehen.Der vierte Punkt, der uns bewegt, ist die Tatsache zunehmender politischer, auch extremistischer Betätigung ausländischer Organisationen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Wir müssen dafür sorgen, daß sich die innenpolitischen Auseinandersetzungen aus allen möglichen Ländern dieser Erde nicht in der Bundesrepublik abspielen. Das würde in der Tat zu einem wachsenden Fremdenhaß führen, den wir uns nicht leisten können und nicht leisten sollten.Über die Frage der Asylbewerber werden wir im einzelnen sicherlich im Laufe der nächsten Monate noch sprechen können. Ich bin der Überzeugung, daß der Gesetzentwurf, den der Bundesrat vorgelegt hat, in dieser Form nicht akzeptiert werden kann; das betrifft insbesondere die Ausdehnung der Zuständigkeiten der Ausländerbehörden und die Vorstellung, die Leute im Zweifel erst abzuschieben und dann zu entscheiden, ob sie ein Recht auf politisches Asyl haben oder nicht. Es ist dankenswert, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erklärt hat, daß das Verfahren dem Rang des Grundrechts entsprechen muß, und ich sage auch: unserer eigenen Verantwortung gegenüber unserer politischen Vergangenheit.
Zum Umweltschutz. Er wird hier manchmal nur als Investitionshemmnis behandelt. Ich fand es sehr eindrucksvoll, daß Herr Kollege Farthmann aus Nordrhein-Westfalen durch eine Erklärung dargestellt hat, daß von 1 587 immissionsschutzrechtlichen Verfahren immerhin 996 innerhalb von sechs Monaten und weitere 448 in zwölf Monaten abgewikkelt werden. Ich wäre dankbar, wenn ich einmal die Zahlen anderer Bundesländer dazu hören könnte, um zu sehen, ob es sich um die Trendeligkeit von Verwaltungen oder um das System als solches handelt.Was neu ist und was jeden von uns berühren muß, ist der Bericht, der unter dem Titel „Global 2000" erschienen ist. Er enthält die Feststellung: Wenn sich die gegenwärtigen Entwicklungstrends fortsetzen, wird die Welt im Jahre 2000 noch überbevölkerter, verschmutzter, ökologisch noch weniger stabil und für Störungen anfälliger sein als die Welt, in der wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2423
Dr. Hirschheute leben. Ich glaube, dort wird zum erstenmal in wirklich gründlicher Arbeit dargestellt, daß es nicht einmal genügt, wenn die Industriestaaten versuchen, ihre Umwelt innerhalb ihrer Grenzen in den Griff zu bekommen, sondern daß wir in erheblichem Umfang dazu beitragen müssen, die Lebensverhältnisse in den Entwicklungsländern zu verbessern, wenn sich nicht auch bei uns die Lebensverhältnisse aus ökologischen Gründen in übersehbarer Zeit wesentlich verschlechtern sollten.Wir treten für die Verbandsklage im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege ein. Wir wollen den Umweltschutz als Staatsziel verankert wissen. Wir wollen durch eine stärkere internationale Zusammenarbeit erreichen, daß es kein Umweltdumping gibt.Ich war schon sehr überrascht, als im Innenausschuß die Vorlage des Asbestberichts dazu führte, daß uns von der Opposition vorgehalten wurde, man sollte die Bürger doch nicht beunruhigen. Ich habe den Eindruck, daß der Bürger beunruhigt wird, wenn er vermuten muß, daß ihm aus wirtschaftlichen Interessen Tatbestände verschleiert werden.
Ich bin dankbar, daß die Bundesregierung auf eine Anfrage hin erklärt hat, daß die Überprüfung des Sicherheitsgrades der Kernkraftwerke nach Harrisburg dazu geführt hat, daß man die Haftungshöchstgrenze von 1 Milliarde DM für Kernenergieunfälle in Frage stellen kann. Ich hoffe, wir kommen in absehbarer Zeit zu einer Initiative, diese Haftungshöchstgrenze abzuschaffen, damit hier auch die Konsequenz aus der dargestellten Sicherheit der Kernkraftwerke gezogen wird.Eine letzte Bemerkung zum Bereich der zivilen Verteidigung. Die Mittel in diesem Bereich sind knapp; das ist keine Frage. Hier wird immer wieder auf den Schutzraumbau hingewiesen. Ich frage mich, ob bei beschränkten Mitteln die Konzentrierung der Mittel auf den Schutzraumbau wirklich sinnvoll ist oder ob das nicht — für den Kriegsfall — einem Kriegsbild entspricht, das nicht mehr zur Zukunft gehört. Man muß, denke ich, dafür sorgen, daß beschränkte Mittel so eingesetzt werden, daß sie nicht nur im sogenannten erweiterten Katastrophenfall, sondern in vernünftiger Weise auch bei normalen Katastrophenfällen — wenn ich diesen Ausdruck verwenden darf — eingesetzt werden können, z. B. bei Naturkatastrophen.Dazu gehört auch die Sorge für die Menschen, die im einfachen und im erweiterten Katastrophenschutz tätig sind. Über 1 Million Menschen sind freiwillig in entsprechenden Organisationen. Diesen Bürgern haben wir für ihren Einsatz und ihre Opferbereitschaft zu danken. Wir sind verpflichtet, die beschränkten Mittel, die in diesem Bereich zur Verfügung stehen, in erster Linie für diejenigen einzusetzen, die dort Freizeit, Energie und Arbeit einbringen, um ihren Mitmenschen zu helfen. Als Beispiele nenne ich die freiwillige Feuerwehr, das THW, den Samariterbund, die Johanniter, die Malteser, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft und andere. Hier müssen wir die Mittel, die wir haben, in ersterLinie konzentrieren, um nicht nur etwas Segensreiches zu schaffen und zu machen, sondern um gleichzeitig dafür zu sorgen, daß die Mittel, die wir einsetzen, wirklich einem vernünftigen Verwendungszweck zugeführt werden können.Wir werden den Etat des Innenministers annehmen. — Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hackel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hirsch, Sie haben hier einige Ausführungen zum Demonstrationsrecht gemacht, die mindestens nicht bei allen Teilen der Bevölkerung — ich gehe davon aus: bei dem größeren Teil der Bevölkerung — so getragen werden und getragen werden können.Gerade derjenige, der aus einer Stadt kommt — wie ich aus Berlin —, wo Demonstrationen stattfinden, die das Maß des Zuträglichen bei weitem überschritten haben, wird feststellen, daß erhebliche Teile der Bevölkerung mit Recht sagen: Toleranz darf nur so weit gehen, wie andere selber Toleranz zu üben bereit sind.
Und dies, Herr Kollege Hirsch, ist gelegentlich überschritten worden. Es gab eine hervorragende Einrichtung in diesem Frühjahr wie den „Tag des Fahrrads". Wissen Sie, was da passiert ist? Da haben sich Leute, die mit dem Fahrrad gefahren sind, auf die Straße hingestellt und haben Autos, in denen Eltern mit ihren Kindern gesessen sind, 11/2 bis 2 Stunden in brütender Hitze festgehalten. Und das nennen diese Leute erstens Umweltschutz, zweitens etwas für die Gesundheit tun und drittens humanitäres Leben ausführen. Da endet die Grenze, wo wir Demonstrationsrecht nicht nur falsch auslegen, sondern gelegentlich eventuell sogar ändern müssen. Das ist der Punkt.
Aber ich wollte eigentlich gar nicht zum Haushalt 06 und zum Demonstrationsrecht sprechen.
Meine Aufgabe ist es, einiges zur zivilen Verteidigung zu sagen. Und wer über zivile Verteidigung und den Einzelplan 36 reden soll und reden muß, der hat eigentlich eine traurige Aufgabe zu erfüllen. Denn offensichtlich ist die zivile Verteidigung das Stiefkind der Regierungspolitik.
Seit Jahren versucht die Union im Bundestag, die Debatte über die zivile Verteidigung im Bundestag zu beleben und ihr den Stellenwert zu geben, der der zivilen Verteidigung eigentlich gebührt. Aber besonders dann, wenn man dazu kommt, einen richtigen Zusammenhang zwischen Zivilverteidigung und zivilem Bevölkerungsschutz einerseits und militärischer Verteidigung als wirksamer Abschreckung zur Erhaltung des Friedens andererseits in Ein-
Metadaten/Kopzeile:
2424 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. Hackelklang miteinander zu bringen — auch Sie, Herr Kollege Hirsch, haben das soeben getan —, gehen offensichtlich bei einigen Kollegen ideologische Schranken herunter. Da wird gesperrt. Da geht es plötzlich nicht mehr weiter. Das Interessante ist, daß in diesem Bereich die polemische Debatte nicht geführt wird, wie sie etwa gestern abend am Ende einer Verteidigungsdebatte geführt worden ist, sondern ein gewisses Nichtstun wird demonstriert, indem zu bestimmten Fragen beharrlich geschwiegen wird. Dieser Bereich zeichnet sich schließlich drittens durch das Fehlen jeglicher Initiativen und neuer Impulse aus.Der Kollege Dregger hat in der Aussprache zur Regierungserklärung am 28. November 1980 im Bundestag gesagt:Die neue Regierungserklärung erwähnt das Thema— gemeint ist der Zivilschutz —nur mit einem einzigen Satz, Herr Bundesminister, ohne eine Handlungsankündigung damit zu verbinden.Heute, bei der zweiten Lesung, müssen wir feststellen: Das, was damals gesagt worden ist, schlägt sich in Zahlen und Fakten innerhalb des Haushaltsplanes nieder. Der sowieso geringe Ansatz des Einzelplans 36, der 756 Millionen DM betragen hat, ist um 16,2 Millionen DM noch einmal gekürzt worden und hat heute ein Volumen von 740 Millionen DM. Das ist weniger als das Volumen des Haushaltsplans der Erzdiözese Bonn/Köln. Das geben wir in der ganzen Bundesrepublik für zivile Verteidigung aus. Das ist eine Steigerung um 1,4 %. Man stelle sich das einmal im Zusammenhang mit einer Zuwachsrate des Gesamthaushalts um 7,2 % vor.
Dabei ist inzwischen, Herr Kollege Hirsch — auch darauf möchte ich eingehen, weil Sie es angesprochen haben —, offensichtlich doch weithin bekannt, und zwar auch bei Leuten, die sich sehr intensiv mit der zivilen Verteidigung beschäftigen und ideologisch sicher nicht in erster Linie uns zuzurechnen sind, etwa Carl Friedrich von Weizsäcker, daß Zivilschutzvorbereitungen eben nicht die Kriegsgefahr erhöhen und durchaus modern im Sinne einer modernen Verteidigung sind.
Im Gegenteil, wer solche Argumentation bringt, muß davon ausgehen, daß die Verteidigungsbereitschaft verringert wird. Deswegen ist j a auch vor Jahren von der Regierung, von der Opposition, von den verschiedensten politischen Kräften übereinstimmend festgestellt worden, daß das Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Verteidigung bei den Ausgaben die Größenordnung 1 : 20 haben sollte. 1980 hatten wir ein Verhältnis von 1 : 53; 1981 werden wir wahrscheinlich, so wie sich das im Moment darstellt, ein Verhältnis von 1 : 56 haben.
— Darauf, was das bedeutet, komme ich gleich zurück. — Dies ist ein unhaltbares Mißverhältnis. Wir müssen also den Gesamtbereich Verteidigung sehen und dürfen nicht versuchen, einen einzelnen Bereich von den anderen Bereichen abzukoppeln, meine Damen und Herren.
Der Zivilschutz, meine Damen und Herren, darf nicht losgelöst, getrennt von der gesamten Verteidigungslast gesehen werden. Aus diesem Grunde wird es notwendig sein, zu begreifen, daß es in Zukunft nicht nur um die Frage geht: Welche Auswirkungen hat Zivilschutz, zivile Verteidigung im psychologisch-militärischen Bereich? Mindestens genauso wichtig sind die sozialen und die humanitären Gesichtspunkte, die bei der zivilen Verteidigung in der Zukunft eine Rolle zu spielen haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Bitte, Herr Kollege Kühbacher.
Herr Kollege Dr. Hackel, würden Sie diesem Haus mitteilen wollen, in welchem Rüstungsbereich Sie auf ein Waffensystem und in welchem Teilstreitkräftebereich — Heer, Luftwaffe, Marine — Sie auf Personal verzichten können,
um im Bereich der zivilen Verteidigung ein Mehr leisten zu können? Denn den Haushalt wollen wir ja insgesamt — darüber wird hier seit zwei Tagen intensiv diskutiert — nicht weiter ausweiten.
Herr Kollege Kühbacher, ich komme gleich dazu, was insbesondere im Zusammenhang mit der zivilen Verteidigung zu kritisieren ist, sowie zu dem, was Sie sich in den Beratungen der einzelnen Haushalte im finanziellen Bereich haben zuschulden kommen lassen. Hier müssen wir in Zukunft versuchen, Wege für eine gemeinsame Lösung zu finden, um im zivilen Bereich weiterzukommen.
Denn im Falle eines Krieges, aber auch im Fall von Katastrophen ist es j a so, daß wir die schwächsten Glieder der Gesellschaft am meisten gefährdet sehen, nämlich die Kinder, die Alten, die Gebrechlichen und die Kranken. Um so erstaunlicher ist es, daß es in diesem Bereich gerade von der sozialliberalen Koalition so wenig Anstöße gibt, den Zivilschutz weiter zu verbessern.In der Diskussion über Zivilschutz wird, insbesondere wenn von Schutzbaumaßnahmen die Rede ist, immer die Frage gestellt: Inwieweit ist wirklich ein totaler Schutz möglich? Totaler Schutz wird nicht möglich sein — das wissen wir—, aber das „Alles- oder-nichts-Denken" birgt doch eine erhebliche Ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2425
Dr. Hackelfahr, in sich nämlich die Gafahr, daß wir gar nicht anfangen, z. B. im Bereich der Schutzbaumaßnahmen, mehr zu tun, als in der Vergangenheit geschehen ist. Obwohl der Minister, Herr Kollege Hirsch, hier gelegentlich angekündigt hat, daß gerade bei den Schutzbauten noch einiges getan werden müsse — insbesondere sollten auch private Schutzbaumaßnahmen intensiviert werden —, sagen Sie, wir sollten keinerlei Geld in diesen Bereich stecken. Ich bin da etwas anderer Meinung: Es ist durchaus möglich, daß wir einen Teil von Schutzbaumaßnahmen im Bereich des Zivilschutzes finanziell unterstützen. Das ist sinnvoll, und das bringt auch in Zukunft etwas.
Die Bedeutung der zivilen Verteidigung ist nicht allein daran zu messen — wenngleich sie daran auch zu messen ist —, in welchen Bereichen Katastrophenschutz praktiziert wird. Deswegen bin ich etwas erstaunt darüber gewesen, daß die FDP und die SPD auch den Einzelplan 36 während der Haushaltsberatungen schlicht und einfach überrollt haben. Hier sind Streichungen vorgenommen worden, die eigentlich nicht hätten vorgenommen werden dürfen. Und vor allem: Das, was gestrichen worden ist, ist im Grunde genommen in den Einzelplan 36 nicht wieder eingebaut worden,
obwohl er schmalbrüstig genug ist. Auch dem Vorschlag, den wir gemacht haben, dieses Geld insbesondere bei den öffentlichen Schutzbaumaßnahmen einzusetzen, ist die Koalition nicht gefolgt. Ich finde es sehr schade, daß wir uns auf diesem Gebiet nicht einigen konnten.Meine Damen und Herren, es hat schon seit ewigen Zeiten einen Streit im Haushaltsausschuß und auch im Innenausschuß darüber gegeben, daß der Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — in erheblichem Maße von der Deutschen Bundespost belastet wird, und zwar durch die Abgabe von Gebühren an die Deutsche Bundespost. Es geht hierbei um eine Größenordnung von über 60 Millionen DM. Diese über 60 Millionen DM sind in den verschiedenen Ausschüssen wiederholt angesprochen worden. Die Bundespost oder die Bundesregierung war nicht in der Lage, hier eine Regelung zu finden oder einen Vorschlag zu machen. Herr Bundesminister, was die Bundespost betrifft, so haben wir in diesem Jahr eine „Telefonsteuer" in der Größenordnung von 1,3 Milliarden DM zu bezahlen. Diese 1,3 Milliarden DM sind fast das Doppelte von dem, was im gesamten Haushalt der zivilen Verteidigung veranschlagt ist. Ist es denn nicht möglich, diese 60 Millionen DM aus dem Bereich der zivilen Verteidigung herauszunehmen und sie in anderen Bereichen anzusiedeln und damit auch von seiten der Bundespost etwas für diesen Bereich zu leisten, der doch wirklich groß genug und wichtig genug ist?
— In diesem aber ganz besonders, Herr Kollege.
So wie die Waffensysteme für die Bundeswehr von Wichtigkeit sind, so spielen beim Katastrophenschutz und beim zivilen Bevölkerungsschutz die Geräte, die Systeme und die Fahrzeuge eine wichtige Rolle. Noch wichtiger ist, daß man den einzelnen Menschen sieht, der dahintersteht. Der Mensch muß im Ernstfall einstehen, organisieren; er muß helfen. Hier nehmen die Hilfsorganisationen — das wurde schon gesagt —, angefangen beim Technischen Hilfswerk bis hin zum Roten Kreuz eine herausragende Stellung ein. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, und insbesondere Sie, Herr Minister, bitten, doch dafür zu sorgen, daß es nicht dazu kommt, daß pauschale Kürzungen sowohl beim Personal als auch bei den sächlichen Verwaltungsausgaben in Zukunft auch über diesen Bereich hinwegfegen. Der Handlungsspielraum dieser Organisationen, aber auch die Übungsmöglichkeiten dieser Organisationen werden so weit eingeschränkt, daß es im Prinzip kaum noch zu vertreten ist, wenn die Einschränkungen über das Maß, das sowieso schon vorgesehen ist, noch hinausgehen. Die Menschen, die dort tätig sind, haben schließlich nicht nur eine Funktion innerhalb ihrer Verbände selbst, sondern sie erfüllen natürlich auch als Einzelpersonen eine Multiplikatorenfunktion, indem sie ihren Freund, ihren Nachbar, ihre Familie, ihre unmittelbare Umwelt auf das aufmerksam machen, was in der zivilen Verteidigung not tut, daß nämlich auch der Selbstschutz in stärkerem Maße in den Vordergrund tritt, als das in der Vergangenheit der Fall war.Wenn wir das bedenken und davon ausgehen, daß wir im Bereich der zivilen Verteidigung im Prinzip für die Zukunft eine soziale Aufgabe zu erfüllen haben, werden wir uns auch darüber im klaren sein, daß wir einer längerfristigen gedanklichen Konzeption bedürfen, daß wir auch längerfristige finanzielle Konzeptionen haben müssen, daß wir eine Beeinflussung des öffentlichen Bewußtseins erreichen müsen und daß wir den Willen aufbringen müssen, die schon vorhandene Bereitschaft zum Selbstschutz zu fördern. Zivile Verteidigung ist aus meiner Sicht und aus der Sicht der Union eine der wichtigsten sozialen und eine der wichtigsten humanitären Aufgaben der 80er Jahre. — Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Nöbel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat im Zusammenhang mit der zivilen Verteidigung von einer traurigen Aufgabe gesprochen und gemeint, es handle sich bei dieser politischen Aufgabe um das Stiefkind der Regierungspolitik.
Ich muß feststellen, daß der Beitrag meines Vorredners hier ansonsten sehr inhaltslos heruntergespult wurde.
Metadaten/Kopzeile:
2426 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Dr. NöbelEs fehlt Ihnen noch sehr viel Sachwissen. Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, was richtig ist.
Richtig ist, daß der Ansatz 1981 in Höhe von740,6 Millionen DM gegenüber der Ist-Ausgabe 1980— diese muß ich zum Vergleich heranziehen — in Höhe von 703,4 Millionen DM zunächst einmal ein Plus von 5,3 % beinhaltet.
— Jetzt bekommen Sie die „Milchmädchenrechnung". Das heißt in Zahlen ausgedrückt: 37,2 Millionen DM mehr gegenüber der Ist-Ausgabe 1980. Dies ist der erste Punkt. Das ist aber erst die halbe Wahrheit.
— Herr Miltner, nicht so hektisch! Diese Hektik verträgt sich mit den Aufgaben der zivilen Verteidigung ganz und gar nicht.Das ist, wie gesagt, noch nicht die ganze Wahrheit, weil die Kürzung, auf die hier hingewiesen worden ist, um zirka 9,5 Millionen DM im Aufgabenbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten keine effektive Kürzung bedeutet, sondern nur aus zollrechtlichen Gründen vorgenommen worden ist. Wenn ich hier ein wahrheitsgemäßes Bild zeichnen will, muß ich diese 9,5 Millionen DM also noch auf die zusätzlichen 37,4 Millionen DM draufsatteln. Dann komme ich — das ist dann die Wahrheit, was diesen Haushaltstitel angeht — —
— Ja, das wissen sie nicht. Deshalb sage ich ja, was richtig ist. Das habe ich angekündigt, und das möchte ich jetzt auch zu Ende führen. Das bedeutet eine effektive Steigerung um 6,4 %. In Zahlen ausgedrückt ist das eine Steigerung um 44,7 Millionen DM. Das sind zunächst einmal die Zahlen. Und das ist auch die Antwort auf das, was hier an angeblichen Kürzungen vorgenommen wurde.
Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, Herr Kollege, was mein Herr Vorredner offenbar nicht weiß. Es war die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die vor drei Jahren ein Aktionsprogramm erarbeitet hat. Und dieses Aktionsprogramm ist dann hier vom Hause auch einstimmig beschlossen worden. Dieses Konsolidierungsprogramm, das von uns ursprünglich ganz bescheiden auf vier Jahre vorgesehen war, ist mittlerweile auf zehn Jahre erweitert worden.
— Ich habe nur eine kurze Redezeit.Somit haben wir also Schwerpunkte gesetzt.
Wir haben 1979/80, als dieses Programm wirksam wurde, 2 200 Fahrzeuge neu beschafft und den Organisationen, von denen Herr Hirsch gesprochen hat und die Sie auch erwähnt haben, zur Verfügung gestellt.
Wir werden in 1981 wiederum 1 100 Fahrzeuge neu beschaffen und diesen freiwilligen Hilfsorganisationen zur Verfügung stellen.Das bedeutet, daß wir schon seit 1979, seit drei Jahren also, jeweils das Dreifache an Fahrzeugen jährlich wie in den vorhergehenden Jahren angeschafft haben.
Im Schutzraumbau, Herr Gerster, haben wir in diesem Jahr 9 Millionen DM mehr als im Vorjahr zur Verfügung, nämlich 68,1 Millionen DM — gegenüber 1980 59,1 Millionen DM.
— Das habe ich doch eben schon gesagt. Hören Sie mir doch wenigstens zu! Was Ihren Beitrag betrifft, habe ich das, was richtig ist, doch schon abgehakt. Ich setze das hier nur einmal fort, damit Sie lernen, was für eine Konzeption wir im Bereich Zivilverteidigung haben.
— Ja, die Zahlen stören Sie, das weiß ich.30 Großschutzräume, also Mehrzweckeinrichtungen, mit ca. 70 000 Schutzplätzen sind im Bau. Weitere 100 Großvorhaben für ca. 150 000 Schutzplätze sind in der Planung.
— Nein. — 15 Schulschutzräume mit 17 000 Plätzen sind im Bau. Ferner sollen bis 1985 150 Altbunker saniert werden. Da kann man natürlich herummotzen und mehr fordern. Das ist aber am allerwenigsten dann seriös, wenn sich hier ein Mitglied der CDU/ CSU-Fraktion hinstellt, solches anmahnt und verschweigt, daß erstens nur ein gewisser Grundschutz möglich ist — man muß bereit sein, das der Öffentlichkeit zu sagen —
und daß wir zweitens realistischerweise auf eine langfristige Entwicklung angewiesen sind, die wir in Kauf nehmen müssen, weil drittens diejenigen, die in der echten Wiederaufbauphase Regierungsverantwortung trugen, seinerzeit die Katastrophe im Katastrophenschutz verschuldet haben. Sie müssen mal die alten Protokolle nachlesen. Ich habe das längst hinter mir, Ihre Redner nicht. Schutzraumbau war für Sie während Ihrer Regierungsverantwortung ein Tabu.
— Das weiß doch jeder hier im Hause. — Statt dessen ließen Sie damals eine Zeitschrift in jeden Haus-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2427
Dr. Nöbelhalt verteilen, in der es hieß, man brauche sich nur eine Aktentasche über den Kopf zu halten, um sich vor den Gefahren einer Atombombe schützen zu können. Das war Ihre Schutzraumkonzeption seinerzeit, als Sie Regierungsverantwortung trugen.
Schließlich hat 1966, wenn Sie es noch genauer wissen wollen, das Haushaltsstrukturgesetz der Zivilverteidigung völlig den Garaus gemacht, weil von der sozialdemokratischen Opposition initiierte Gesetzesvorhaben, die hier auch durchgebracht werden konnten, auf Grund der Situation des Jahres 1966 nicht mehr in Kraft treten konnten. Das sind doch alles Tatsachen, die Sie nicht bestreiten können.Ich gebe eines zu: Natürlich kann die von uns programmierte öffentliche Förderung nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wir müssen das Ganze doch realistisch sehen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerlach?
Ja, bitte sehr, Herr Gerlach.
Herr Kollege, würden Sie dem Hohen Hause wenigstens zugeben, daß das von Ihnen genannte Haushaltsstrukturgesetz gemeinsam mit Ihrer Fraktion verabschiedet worden ist?
Was war denn der Grund, daß wir da mitziehen mußten? Um diesen Staat vor dem Bankrott zu retten! Das war doch damals die Situation.
Sie wissen doch, weshalb dieses Gesetz damals erforderlich war, und Sie wissen, daß Sie froh waren, als unsere Fraktion mit in die Große Koalition hineinging, nämlich um Ihnen zu helfen. So war das damals.
Ich will zurückkommen auf den Bereich der zivilen Verteidigung. Weil die öffentliche Förderung, wie gesagt, nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann, danken wir ganz besonders — ich schließe mich da dem Kollegen Hirsch an — den ungefähr 1,2 Millionen freiwilligen Helfern in den Organisationen wie DLRG, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Arbeitersamariterbund, Malteser-Hilfsdienst, JohanniterUnfallhilfe usw.
— Deutsches Rotes Kreuz!
Erste Priorität hat bei uns die Verbesserung der Ausstattung. Da sind wir uns mit den Liberalen einig. Erste Priorität hat die Förderung dieser freiwilligen Helfer, sowohl was die Ausstattung der Einheiten angeht als auch ihre Unterbringung.
Dies wird in den kommenden Monaten und Jahren Priorität haben. Zufrieden sind wir damit — das will ich auch einmal sagen —, daß der Hubschrauberrettungsdienst mit seinen 18 Rettungsstationen kontinuierlichen Betrieb und schnellen Einsatz gewährleistet. Er ist vorbildlich in ganz Europa und weit darüber hinaus.
Außerdem kommt es jetzt darauf an, die vom Deutschen Bundestag gegen Ende der letzten Legislaturperiode am 3. Juli 1980 einstimmig beschlossene Empfehlung realisieren zu helfen. Da müßten Sie mittun, denn Sie haben mitbeschlossen. Zu beurteilen, ob Ihnen das reichte oder nicht reichte, ist nicht mein Geschäft. Sie können höchstens sagen, Sie hätten es verschlafen. Das vermag ich nicht zu beurteilen; ich unterstelle es Ihnen nicht.
Bleiben wir also erst einmal bei diesen gemeinsamen Forderungen, die wir aufgestellt haben! Da geht es darum, die Zivilschutzgesetzgebung erst einmal zu vereinfachen und somit zu verbessern. Das ist Punkt eins, der uns am wichtigsten ist. Da ist in der Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein bißchen viel durcheinander gewesen.
Es geht darum, als Voraussetzung für eine ausgewogene Gesamtverteidigung Rahmenrichtlinien zu erlassen, in denen die Organisation und die Koordination der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen von Bund und Ländern verbindlich geregelt sind. Das ist ein Schwerpunkt.
Weiter geht es um die Vorlage des Gesundheitssicherstellungsgesetzes. Da sind wir nach dem, was wir erfahren haben, optimistisch.
Es geht nicht zuletzt um eine verbesserte Aufklärung der Bevölkerung.
Lassen Sie mich als Schlußsatz sagen: Bezüglich der Aufklärung der Bevölkerung — aber nicht nur diesbezüglich — war der heutige Redebeitrag des Oppositionsvertreters wieder einmal ein ganz schlechtes Beispiel. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war für mich in den letzten Minuten einigermaßen reizvoll, einen Streit zu verfolgen, der sich auf eine Entscheidung der Großen Koalition erstreckt hat. Ich möchte aber nicht ausschließen, daß ich mich damals, wenn ich im Parlament gewesen wäre, dieser Meinung angeschlossen hätte. Es geht ja um die Schutzbaupflicht, und wir alle wissen, wie schwierig es war und ist, dies zu finanzieren, und wie schwierig es auch ist, das Bewußtsein der Bevölkerung für Zivilverteidigung herzustellen. — Ich komme darauf gleich noch zurück.Es ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden, daß die finanzpolitische Situation für das Innenres-
Metadaten/Kopzeile:
2428 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Baumsort erhebliche Ausgaben- und damit auch Aufgabeneinschränkungen mit sich bringt. Die Spardiskussion ist von uns gemeinsam geführt worden, und ich darf mich zunächst für die kooperative Art bedanken, die alle Fraktionen des Hauses an den Tag gelegt haben.Wir müssen davon ausgehen, daß vom Bundesministerium des Innern Aufgaben nicht mehr so wahrgenommen werden können wie früher. Das ist in den einzelnen Bereichen schon sichtbar geworden. Wir müssen auch sagen, daß die Möglichkeiten der Prioritätensetzung weitgehend ausgeschöpft sind. In einer ganzen Reihe von Bereichen sind die Grenzen vertretbarer Einschränkung erreicht. Das haben hier sowohl Herr Kühbacher als auch Herr Riedl als auch Herr Hirsch gesagt, und das muß man einfach unterstreichen.In dieser Situation möchte ich besonders hervorheben, daß einige wichtige Bereiche noch mit zusätzlichem Personal bedacht worden sind. Diese Entscheidung folgt einer politischen Prioritätensetzung. Ich denke hier an die verbesserte Aufgabenwahrnehmung in den Bereichen „Asyl", „Einziehung von BAföG" und „Chemikalienprüfung", die uns damit ermöglicht worden ist.Angesprochen worden ist auch die Ausbauplanung innere Sicherheit. Sie ist immerhin zur Hälfte realisiert. In diesem Jahr sind keine Stellen vorgesehen. Ich habe das, was hier gesagt worden ist, sehr aufmerksam registriert. Ich werde mich dafür einsetzen, daß die Ausbauplanung auf der Tagesordnung bleibt. Die Tür ist also nicht zugemacht. Aber ich weiß, meine Kollegen, daß das ursprüngliche Konzept jetzt an den Realitäten des Haushalts gemessen werden muß.
— Not macht erfinderisch, aber, Herr Kollege Walther, nicht so erfinderisch, wie das Herr Kühbacher, hier angeregt hat. Ich sehe kaum eine Möglichkeit, Herr Kühbacher, diese globalen Stellenkürzungen, die sich etwa auf den BGS mit ca. 350 Stellen auswirken würden, nun durch Herausschneiden aus anderen Teilen des Innenressorts aufzufangen. Den Wunsch, den Sie geäußert haben, will ich gern unterstreichen, aber ohne diesen Preis zu zahlen, den Sie mir nahegelegt haben. Da sehe ich keine Möglichkeit. Für den BGS wird das, wenn es so kommt, zu Schwierigkeiten führen.
Die Besoldungstruktur im BGS — auch für diese Bemerkung, Herr Kühbacher, bin ich dankbar — muß an die Struktur der Länderpolizeien angepaßt werden. Wir werden uns also bemühen müssen, die fünfte Rate noch zu bewilligen, damit die Umstrukturierung des BGS zu Ende gebracht wird.Ich habe auch keinen Zweifel daran gelassen, Herr Kollege Riedl, daß ich eine Reduzierung des Bundesgrenzschutzes auf 20 000 Stellen nicht für vertretbar halte. Diese Position von mir ist eindeutig; ich wiederhole sie hier.Mit den Kürzungen dieses Jahres kommen die Sicherheitsbehörden an eine Grenze, wo ihre Handlungsfähigkeit berührt wird. Das gilt auch für Sachmittel, also beispielsweise für die Verpflichtung des Bundeskriminalamts als Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund, das gilt für die Mobilität und die Aufgabenwahrnehmung des BGS, und das gilt auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz, wenn ich an die operativen Mittel und Maßnahmen denke, die hier notwendig sind.Besonders einschneidend sind die Streichungen im Forschungsbereich. Bei den Umweltforschungsmitteln sind es 21 %, und das geht — das muß ich Ihnen sagen, meine Kollegen — an die Substanz der Umweltforschung. Machen wir uns nichts vor! Das geschieht zu einem Zeitpunkt, wo wir eigentlich dringend neue ökologische Instrumente brauchen. Einschneidend ist auch die Kürzung im Bereich der Reaktorsicherheitsforschung; das wurde hier schon gesagt. Hier sind Kürzungsraten bei der Reaktorsicherheit von 23 % und beim Strahlenschutz von 12 % festzustellen. Damit ist die unterste Grenze erreicht. Die jetzt noch verfügbaren Mittel werden dringend benötigt, wenn wir unsere Aufgaben in diesen Bereichen der Sicherheit wahrnehmen wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher, Herr Minister?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie kratzen die Haushälterehre an. Sie sprachen von Streichungen im Reaktorsicherheitsbereich. Würden Sie dem Haus bestätigen, daß zwischen erster und zweiter Lesung in diesem Bereich nicht eine Mark im Haushaltsausschuß gestrichen worden ist?
Herr Kollege, ich habe hier nicht das Parlament, sondern den Haushalt insgesamt gemeint, also sowohl die Entscheidung der Bundesregierung als auch die Entscheidung des Parlaments. Ich mache im übrigen niemandem einen Vorwurf, sondern ich stelle nur fest, was sich aus der Haushaltslage ergibt.
— Nein, Herr Kollege, ich stelle das nur fest. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß das Innenressort sparen muß, und das geschieht hier auf allen Feldern.Das geschieht z. B. auch auf dem nächsten Feld, das ich erwähnen möchte, bei der Kulturförderung. Hier wurden Kürzungen von fast 10 % ausgesprochen. Besonders sind davon die Mittel für den Nachfolgetitel Nationalstiftung, Herr Kollege Kühbacher, mit einer Absenkung von 12,5 Millionen DM auf 5 Millionen DM betroffen. Diese Absenkung bedeutet, daß die kulturpolitisch wichtigen Projekte des Bundes — es sind sehr wenige: Literaturfonds, Kunstfonds und Musikfonds — nur mit Einschränkungen finanziert werden können. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie auf die kulturpolitische Verantwortung des Bundes hingewiesen haben. Ich halte sie in vie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2429
Bundesminister Baumlerlei Hinsicht für wichtig. Es sind geringe Mittel, mit denen sehr viel erreicht werden kann. Wenn man hier weiter kürzt, wird man die kulturpolitische Verantwortung des Bundes in Frage stellen müssen. Von den gesamten Mitteln des Kulturhaushaltes des Bundesinnenministeriums fließen ohnehin — ich halte das für richtig — etwa 60 % nach Berlin.Die Sportförderung hat mit relativ geringen Mitteln eine Menge erreicht. Es sind wesentliche Impulse und Initiativen davon ausgegangen. Wir müssen jetzt auch hier kürzen. Dennoch entspricht das Niveau der Sportförderung eigentlich immer noch internationalem Standard und kann einen internationalen Vergleich aushalten. Wir werden jetzt im Sportbereich prüfen, ob die Mittel überall sinnvoll eingesetzt sind. Wir werden z. B. die Bundesleistungszentren daraufhin überprüfen, ob sie richtig genutzt werden, und anderes mehr.Ich freue mich über die Bemerkungen, die Sie, Herr Kollege Kühbacher, in bezug auf den Behindertensport und auf die Großveranstaltung in Baden-Baden gemacht haben. Ich habe die Entscheidung, die das Parlament getroffen hat, nicht zu kritisieren.Im öffentlichen Dienst sind die Löhne und Gehälter nach den Tarifabschlüssen um 4,3 % gestiegen. Das bedeutet für 1981 keinen realen Kaufkraftausgleich; aber das ist nichts Besonderes, das ist auch für die Tarifbereiche der gewerblichen Wirtschaft festzustellen. Aber die Abschlüsse dort liegen doch höher; sie liegen in der Regel sogar wesentlich höher.Ich möchte in aller Bescheidenheit auch für die Gewerkschaften, mit denen ich verhandelt habe, darauf hinweisen, daß der öffentliche Dienst damit schon einen gewissen Stabilitätsbeitrag geleistet hat. Der Bundesbankpräsident hat sicher recht, wenn er das in den letzten Tagen noch einmal festgestellt hat.Bei der Wohnungsfürsorge wird sich der öffentliche Dienst in die Risikogemeinschaft einordnen. Die Nebentätigkeit wird eingeschränkt. Wir haben auch die noch weiter einschränkenden Vorschläge des Bundesrates positiv beurteilt. Wir werden die Arbeiten an einem neuen Beurteilungssystem fortsetzen. Wir konnten bei den Tarifverhandlungen auch eine Verhandlungszusage zum Abbau der Überversorgung im öffentlichen Dienst erreichen. Ich halte es für sehr wichtig, daß die Gewerkschaften bereit sind, mit uns über die Reduzierung von bestehenden tarifvertraglichen Ansprüchen zu reden.
Dazu ist einige Kraftanstrengung notwendig; denn das muß von den Beschlußkörperschaften der Gewerkschaften dann auch angenommen werden.Ich stelle fest: Der öffentliche Dienst ist sicherlich bereit, im Rahmen der Risikogemeinschaft aller Bürger allgemeine Lasten mitzutragen, wie das bisher schon geschehen ist. Ich möchte aber bitten, daß man die ca. 5,6 Millionen Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht abgegriffenen Vorurteilen unterwirft. Das ist hier nicht geschehen, aber das geschieht draußen immer wieder. Wenn ich die Debatte über Leistungsbereitschaft, Privilegien im öffentlichen Dienst verfolge, so ist sie sehr viel von Vorurteilen geprägt. Ich bin ebenfalls der Meinung, die Herr Hirsch geäußert hat: Bei der Bürokratiekritik geht es letztlich um eine Kritik an den staatlichen Aufgaben. Es geht um die Frage, ob wir staatliche Aufgaben abbauen können und müssen. Ich bin der Meinung, wir müssen es. Wer also im öffentlichen Dienst durchgreifend sparen will, muß sagen, wo weniger Aufgaben erbracht werden sollen. Die berechtigten sozialen Interessen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten müssen, meine ich, genauso gewürdigt werden wie die der Beschäftigten im privaten Sektor.Herr Kollege Kühbacher, Sie haben mich in die unangenehme Situation gebracht, über mein eigenes Gehalt sprechen zu müssen. Sie haben das ja sehr pointiert angesprochen. Ich spreche nicht nur zu meiner eigenen Situation, sondern es geht um eine Frage, von der Sie mit Recht gesagt haben, daß sie auch eine gewisse Symbolwirkung habe. Ich möchte gar nicht leugnen, daß das so ist.Ich habe mir allerdings, als Sie gesprochen haben, die Frage gestellt, ob der Öffentlichkeit die Symbolwirkung der Zurückhaltung dieses Parlaments bei der Diätenfestsetzung bewußt ist. Die Frage muß man ja stellen. Es ist so eine Sache mit den Symbolwirkungen. Es gibt auch noch andere Prinzipien. Es gibt die Frage des Leistungsprinzips. Alles das ist zu berücksichtigen. Herr Kollege Wernitz, wir haben oft über diesen Punkt gesprochen, der jetzt nicht isoliert behandelt werden sollte, Herr Kollege Kühbacher. Wir werden im Ausschuß auf die Angelegenheit zurückkommen. Die Position der Bundesregierung kennen Sie. Sie steht natürlich hier zur Diskussion. Das Parlament entscheidet.Was den Bereich des Umweltschutzes angeht, so möchte ich noch einmal hervorheben, daß auch in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage Umweltschutz keine Angelegenheit ist, die man vernachlässigen kann. Umweltschutz ist keine Sache für Schönwetterzeiten. Er ist die Voraussetzung für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaft.
— Eine Sekunde, ich möchte nur den Gedanken zu Ende führen. — Er schafft und sichert Arbeitsplätze. Unterlassener Umweltschutz ist in der Regel teurer als das, was man mit vorsorgenden Maßnahmen erreicht.
Ich bin der Meinung, daß es auch nicht darum gehen kann, nun alles staatlich zu regeln. Wir haben die wichtigsten Umweltschutzgesetze in diesem Hause verabschiedet. Eine Regelungssucht ist von einem bestimmten Punkt an sogar ein Zeichen von Schwäche. Wir müssen also den Unternehmen das Angebot machen, freiwillig zu Selbstbeschränkungen im Bereich des Umweltschutzes zu kommen. Ich kann mich nur wundern, daß der BDI zum Umweltschutz in dieser Woche öffentlich einschränkende Bemerkungen gemacht hat. Ich sage noch einmal:
Metadaten/Kopzeile:
2430 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister BaumWer in dieser Phase den Umweltschutz klein schreiben will, hat nicht begriffen, in welcher Situation wir uns befinden.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, eine letzte Bemerkung, dann gerne.
Bitte sehr.
Ich stimme Herrn Kühbacher zu. Er hat eine Bemerkung zu einer großen deutschen Firma gemacht, die Umweltschutzmaßnahmen mit Mitteln des Bundes und des Landes Niedersachsen verwirklichen will. Ich habe mich eben noch einmal vergewissert, welche Dividende diese Firma zahlt. Angesichts dieser Dividendenhöhe bin ich der Meinung: Sie könnte kräftiger in ihre eigene Tasche greifen bei der Finanzierung dieser Maßnahmen.
Bitte.
Herr Bundesinnenminister, können Sie mir bestätigen, daß trotz der von Ihnen gerade behandelten geringeren Haushaltsansätze im Bereich des Innern und auch im kulturellen Bereich des Bundes im Bundeshaushalt 1981 10 000 DM eingestellt sind für die künstlerische Beratung des Kanzlerfestes und 7 000 DM für die künstlerische Beratung des Jazzfestivals des Kanzlers in Berlin?
Wenn Sie das sagen, Herr Kollege Miltner, wird das schon so sein.
Was haben Sie gegen künstlerische Beratungen?
Ich bin jetzt überfragt. Wir können gern darüber diskutieren. Aber das sind im Grunde keine Beträge, die die Ausgaben für Kulturförderung nach oben treiben könnten.
Ich möchte noch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung ihre Maßnahmen auf dem Sektor des Umweltschutzes, wie hier angekündigt, vorbereitet: Verstärkung des Immissionsschutzes, also Novellierung der TA Luft; Schutz des Bodens gegen Schwermetallbelastungen; Regelungen mit dem Ziel, Asbest zurückzudrängen.
Ich möchte hier noch einmal in Erinnerung rufen, daß unsere Bereitschaft, den Rhein zu sanieren, insbesondere die Salzfracht im Rhein zu reduzieren, unverändert vorhanden ist. Wir werden in der nächsten Woche auf meine Einladung hin in Luxemburg eine Sitzung der Umweltminister aller Rhein-Anliegerstaaten haben, mit dem Ziel hier endlich einen Fortschritt zu erreichen.
Zur Reaktorsicherheit möchte ich sagen, daß es keinen vom Bund zu verantwortenden Investitionsstau gibt. Jemand hat hier davon gesprochen, daß die Bundesregierung die Genehmigungsverfahren behindert. Das ist nicht der Fall. Es gibt keinen Investitionsstau etwa durch gerichtliche Verfahren, nennen Sie mir ein einziges gerichtliches Verfahren, das zur Zeit den Bau eines Kernreaktors in der Bundesrepublik Deutschland behindert. Sie werden mir kein einziges nennen können.
Ich sage Ihnen für die Bundesregierung, daß es keine verzögerlichen Entwicklungen gibt, die auf die Bundesaufsicht zurückzuführen wären. Die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke, wie vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigt, wird erfolgen. Die entsprechenden Maßnahmen werden jetzt vorbereitet. Es sind im übrigen nicht nur staatliche Maßnahmen, sondern es ist auch eine Aufgabe der Antragsteller, also der privaten Betreiber, die Anlagen etwa so zu normieren, daß nicht immer ein gesondertes Verfahren, laufen muß, sondern daß man Verfahren bündeln kann. Ich werde noch vor der Sommerpause diese Vorschläge vorlegen. Allerdings möchte ich mit Deutlichkeit sagen: Es wird keine Einbuße an Sicherheit und Rechtsschutz geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Gerne. Vizepräsident Leber: Bitte sehr.
Herr Bundesinnenminister, wenn Sie hier über Möglichkeiten der Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens sprechen, darf ich fragen, ob die Regierung nach wie vor den Zusammenhang herstellt zwischen Genehmigungsverfahren und Entsorgung. Treffen Informationen zu, daß der Salzstock in Gorleben dafür möglicherweise nicht geeignet ist?
Herr Kollege, die Bundesregierung stellt mit den Ländern zusammen einen solchen Zusammenhang nach wie vor her. Er entspricht den Beschlüssen, die wir getroffen haben.Es gibt erste Ergebnisse über die Bohrungen im Salzstock Gorleben. Wir haben die Abgeordneten, die dafür ein besonderes Interesse gezeigt haben, auch schon informiert. Ich werde morgen auch mit dem Forschungsminister darüber reden. Nach dem, was ich weiß und was die Physikalisch-Technische Bundesanstalt mir mitgeteilt hat, läßt sich diesen Ergebnissen jedenfalls nicht entnehmen, Herr Kollege Walther, daß der Salzstock ungeeignet wäre. Aber ich möchte jetzt kein abschließendes Urteil fällen. Dies ist ohnehin erst in einigen Monaten mög-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2431
Bundesminister Baumlich, wenn nicht gar erst nach Abteufung eines Schachtes.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Walther?
Gerne. Vizepräsident Leber: Bitte sehr.
Herr Bundesminister, nachdem Sie sich auf eine Auskunft jener Anstalt in Braunschweig berufen, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit wären, eine erneute Rückfrage bei dieser Anstalt zu halten, weil ich das Gefühl habe, daß möglicherweise der Informationsweg von Braunschweig nach Bonn noch nicht so schnell funktioniert hat.
Ich glaube, Herr Kollege Walther, dieses Gefühl ist unberechtigt. Ich habe jetzt ein Fernschreiben zitiert, das gerade erst eingegangen ist. Aber ich bin gern bereit, mit dem Parlament in den Ausschüssen die Angelegenheit sehr eingehend zu erörtern.
Lassen Sie mich noch etwas zum Bereich der inneren Sicherheit sagen. Die Zunahme von Gewalttaten und Rechtsbrüchen war j a schon Gegenstand einer gesonderten Debatte hier im Deutschen Bundestag. Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich in einer Sondersitzung mit den Ursachen und Folgen befaßt. Auch wenn im einzelnen Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind, muß man sagen, daß sich das Gremium der Innenministerkonferenz in dieser schwierigen Situation durchaus als funktionsfähig erwiesen hat. Wir haben eine gemeinsame Entschließung gefaßt und waren uns einig, daß die Entwicklung nicht pauschal als Fehlhaltung der Jugend gedeutet werden darf. Wir, die Innenminister von Bund und Ländern, sind uns einig, daß die Ursachen und Motive vielfältig sind, so vielfältig, daß hier nur eine differenzierte Betrachtung aus gesamtgesellschaftlicher Sicht der politischen Verantwortung gerecht werden kann, und wir sind uns einig, daß wir alle Anstrengungen unterstützen werden, die dazu beitragen, den Rechts- und Gemeinschaftsfrieden zu sichern. Wir sind uns weiterhin einig, meine Damen und Herren, daß dies nicht allein mit polizeilichen Mitteln zu erreichen ist. Deshalb wundere ich mich, daß hier wiederum das Demonstrationsrecht, das Versammlungsrecht, die Frage der Dateien, der Ausrüstung der Polizeien nach vorne gerückt werden. Wir müssen den gesellschaftlichen Ursachen nachgehen, sonst werden wir den Anforderungen des inneren Friedens in diesem Lande nicht gerecht werden. Ich spreche mich hier noch einmal eindeutig aus, weil Sie das für Berlin erwähnt haben, Herr Kollege Hackel: Es ist im Grunde selbstverständlich, daß Gewalt nicht als Mittel der Politik eingesetzt werden kann. Wir werden nach wie vor entschieden gegen diejenigen vorgehen, die Gewalt anwenden, aber wir sind auch der Meinung, daß unverhältnismäßige staatliche Reaktionen zu Solidarisierungsprozessen führen und das Gewaltpotential noch erweitern können. Dies wollen wir auf jeden Fall vermeiden.
Meine Damen und Herren, es ist von der Ausländerfrage die Rede gewesen. Ich möchte hier feststellen, daß der Ausländerextremismus in der Tat Anlaß zu wachsender Sorge ist. Die Türken stellen mit 1,5 Millionen das größte Ausländerpotential in der Bundesrepublik Deutschland. Kleine türkische Minderheiten — auf der linken wie auf der rechten Seite — neigen zu Gewalttaten. Dies ist auch bei einigen anderen Ausländergruppen der Fall. Diese Extremisten diskreditieren auf diese Weise den weitaus überwiegenden Teil der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, die sich — das muß man deutlich sagen — wie alle anderen Mitbürger gesetzestreu verhalten. Wir werden aber nicht zulassen — ich unterstreiche das, was Herr Kollege Hirsch hier gesagt hat —, daß der Aufenthalt in unserem Land zu ungesetzlichem Handeln mißbraucht wird. Auch die Ausländer haben die Spielregeln unserer Gesellschaft strikt zu beachten. Wir wollen nicht, daß Ausländerfeindlichkeit genährt wird. Die Innenministerkonferenz wird sich in der nächsten Woche auf meinen Antrag hin erneut mit diesem Fragenkomplex befassen.
Es war die Rede von der Aussiedlerproblematik. Ich möchte mich dafür bedanken, daß hier zusätzliche Mittel bewilligt worden sind. Im Jahre 1980 sind ca. 52 000 Aussiedler gekommen. In den ersten Monaten des Jahres 1981 ist die Zahl etwas zurückgegangen. Ich möchte hervorheben, daß Polen seine Verpflichtungen erfüllt hat. Die Zahl der Aussiedler aus der Sowjetunion geht leider etwas zurück. Ich möchte feststellen, daß Aussiedler in zunehmender Zahl ohne Genehmigung der dortigen Behörden in die Bundesrepublik Deutschland kommen.
Ein letztes Wort zur Zivilverteidigung. — Herr Kollege Hackel, Sie haben im Grunde Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Niemand wird Ihnen bestreiten — ich jedenfalls werde es nicht tun —, daß die Zivilverteidigung ein wichtiges Stück der Gesamtverteidigung ist. Wir haben in diesem Parlament, Herr Kollege Dregger, wiederholt darüber diskutiert. Die Vorwürfe, die Sie auch an die Adresse des Herrn Kollegen Nöbel und die Koalitionsfraktionen gerichtet haben, sind meines Erachtens völlig unbegründet. Die einzige Bewegung, die überhaupt stattgefunden hat, ist auf Initiative der Koalition erfolgt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Bitte sehr, Herr Kollege Gerster.
Herr Minister, würden Sie entgegen den Rechenkünsten des Kollegen von der SPD bestätigen, daß bei einer Gesamtsteigerung des Bundeshaushaltes um 7,2 % die zivile Verteidigung mit einer Steigerung, die mehr bei 1 als bei 2 % liegt, finanzmäßig in diesem Haus eine negative Priorität bekommen hat?
Metadaten/Kopzeile:
2432 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Herr Kollege, ich würde das so nicht sagen. Die Zuwachsrate liegt sicherlich unter der Steigerungsrate des Bundeshaushaltes. Sie liegt aber zum Beispiel wesentlich über der Steigerungsrate des Haushaltes des Bundesinnenministeriums. Wichtig ist doch, daß wir die Kontinuität des Ausgabenprogramms beibehalten.
Ich muß feststellen, daß wir das Konsolidierungsprogramm, das wir im letzten Jahr im Bundessicherheitsrat verabschiedet haben — es läuft über einen Zeitraum von zehn Jahren und kostet über eine Milliarde DM — fortführen können. Darauf haben sich die Organisationen eingestellt. Dieses Programm sollte gesichert bleiben. Das schafft auch bei den Hilfsorganisationen Vertrauen.
Viele, die hier gesprochen haben, haben recht: Es ist wichtig, daß wir die Menschen, die sich im Bereich der Zivilverteidigung ehrenamtlich betätigen, ausrüsten, daß wir ihnen die notwendige Ausrüstung, die Fahrzeuge und die Unterkünfte geben. Das geschieht mit diesem Sonderprogramm,
so daß Sie zur Kritik keinen Anlaß haben. Daß wir für diesen Aufgabenbereich gerne mehr Geld gehabt hätten, Herr Kollege Gerster, ist überhaupt keine Frage.
Herr Bundesminister, Herr Kollege Gerster möchte gerne eine weitere Frage stellen. Würden Sie dem entsprechen?
Ja.
Herr Minister, ich bedanke mich für die Großzügigkeit. Würden Sie unter „Kontinuität" auch verstehen — da Sie das, seitdem Sie Minister für die zivile Verteidigung sind, herausstellen —, daß der Anteil der Schutzraumplätze für die Bevölkerung weiterhin unter 3 % bleibt, wie es seit Jahren festzustellen ist?
Herr Kollege Gerster, selbst wenn es so ist, welche Schlußfolgerung ziehen Sie denn daraus?
Möchten Sie, daß dieser Staat mit Steuergeldern Schutzräume baut? Ich bin nicht der Meinung, daß das in erster Linie Aufgabe des Staates ist — er leistet Zuschüsse hierzu. — Ihre Fraktion tritt für Subsidiarität ein, Ihre Fraktion tritt für Selbstverantwortung ein. Wenn die Bürger Sicherheit brauchen — sie brauchen Sicherheit —, dann ist das zu allererst ihre eigene Entscheidung und keine Sache von Steuergeldern.
— So einfach ist es, Herr Dregger, denn der Staat ist überfordert, wenn er jedem einzelen Bürger einen Schutzraum zur Verfügung stellen sollte.
Im übrigen würde ich mir sehr überlegen, Angriffe gegen die Bundesregierung zu unternehmen. Länder und Gemeinden haben hier eine ebenso große Verantwortung. In den Gemeinden ist sehr viel gebaut worden. Sehr viele schöne, sichtbare Dinge und sehr wenig Schutzräume sind gebaut worden.
Das ist eine autonome Entscheidung, die von jeder einzelnen Gemeinde getroffen wird.
Ich meine, daß für den Zivilschutz die Bereitschaft der Bevölkerung, selbst einen aktiven Beitrag zu leisten, eine unerläßliche Voraussetzung ist. Wir sollten nicht immer auf den Staat sehen. Ohne die Bereitschaft, Herr Kollege Gerster, materielle Opfer zu bringen, wird der Zivilschutz auch in den nächsten Jahren unvollständig bleiben. Sie werden nicht davon ausgehen können, daß die Steigerungsraten, die Sie sich vorstellen, in den Haushaltsplänen realisiert werden können. Wir müssen alle an die Selbstverantwortung der Bürger appellieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum Abschluß bei all denen bedanken, die sich um den Haushalt des Bundesministers des Innern Mühe gemacht haben. Ich denke an den Haushaltsausschuß, an die Berichterstatter und an die Mitglieder des Innenausschusses. Ich danke für die gute Zusammenarbeit.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne. Ich rufe zuerst Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern —, auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wir stimmen zuerst über diesen Änderungsantrag ab. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?— Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer dem Einzelplan 06 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 06 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — auf. Wer dem Einzelplan 36 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenstimmen? — Wer enthält sich? — Einzelplan 36 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 31Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft— Drucksache 9/492 —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2433
Vizepräsident LeberBerichterstatter:Abgeordnete Dr. Stavenhagen WestphalZwischen den Fraktionen sind für die Aussprache Redebeiträge bis zu zehn Minuten für jede Fraktion festgelegt worden. Ich darf die Damen und Herren fragen, ob sie damit einverstanden sind. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Wie ich sehe, ist das nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort Frau Kollegin Benedix-Engler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 31 des Ministers für Bildung und Wissenschaft ist der vergleichsweise kleinste Haushalt. Aber, ich meine, er zeigt in besonderer Weise exemplarisch und symptomatisch, wie diese Regierung mit ihrer Politik am Ende ist und wie die Staatsverschuldung bereits heute zu Lasten der jungen Generation geht.Meine Damen und Herren von der Koalition, im Bereich von Bildung und Wissenschaft wollten Sie j a klotzen, Prioritäten setzen. Ich denke noch daran, wie Sie die Zielmarke ausgaben: 50 % eines Jahrgangs zum Abitur und natürlich möglichst alle zur Hochschule! Und ich denke noch daran, wie Ihre junkerlichen Altmeister der Bildung — ich nenne stellvertretend nur von Dohnanyi, von Friedeburg, von Oertzen — eine Erwartungshaltung geweckt haben und eine Akademisierungs- und Abiturisierungswelle in Gang setzten. Das muß man in diesem Zusammenhang natürlich einmal sagen.Sie haben eine Jugend auf den Weg gebracht, der, wie sich jetzt schon abzeichnet, leider für viele eine Sackgasse werden wird. Ich nenne nur ein Beispiel: Für eine offene Stelle im Bereich der Sozialpädagogik melden sich heute 60 Bewerber.Noch steigt der Studentenstrom. In den nächsten acht bis zehn Jahren werden wir die höchste Studentenquote haben; sie wird weit über 1 Million betragen.Just in dieser Situation versucht die Regierung, sich aus ihrer Verpflichtung auszuklinken, die sich aus § 10 des Hochschulbauförderungsgesetzes ergibt. Just in dem Moment wollen Sie die mit den Ländern vereinbarten Hochschulbaufinanzierungsmittel um 20 % kürzen, und just in diesem Moment wollen Sie sich aus der Studentenwohnraumförderung völlig zurückziehen, in einem Augenblick, in dem die Wohnraumsituation besonders prekär wird.Sie haben also 1 Million und mehr junge Leute auf den Weg gebracht. Mitten auf dem Weg sagen Sie plötzlich: Jetzt ist die Verpflegung ausgegangen; es ist nun eure Sache, zu sehen, wie es weitergeht! — Betroffene sind die Schüler, die Studenten, die Hochschulen und die Länder.
Wenn also irgendwo das harte Urteil „verantwortungslos" angebracht ist, dann für eine solche Verhaltensweise.
— Ja, genau das. — Unverantwortlich ist es, weil es eine Verschärfung des Numerus clausus zur Folge haben muß — und kein Geringerer als der Herr Bundeskanzler hat ja versprochen, daß er den Numerus clausus schnellstens abbauen wird —, weil Forschung und Lehre gefährdet sind und weil kein ausreichender Ersatz für wissenschaftliche Großgeräte mehr möglich sein wird. Dies hat sehr einschneidende Folgen für die Leistungskraft unserer Hochschulen. Es ist verantwortungslos, weil hier Ausgaben im investiven Bereich — und zwar in einem doppelt investiven Sinne — ausfallen; verantwortungslos auch angesichts des Wahlversprechens, das man doch wohl nur so verstehen konnte,, daß die Veranschlagung auf 2,4 Milliarden DM Finanzbedarf für 1981 im Hochschulbaubereich bedeutet, daß der Bund einen Anteil von 1,2 Milliarden DM zur Verfügung stellen sollte; verantwortungslos, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Koalition, weil hier Verpflichtungen nicht eingehalten werden und weil ein Verfassungsstreit droht. Wenn wir mit großer Sorge feststellen und beklagen — ich hoffe, wohl allseits —, daß im geistigen und moralischen Umfeld unserer Bundesrepublik etwas nicht stimmt, dann sind dies leider weitere Beispiele für mangelnde Vertragstreue und für mangelnde Glaubwürdigkeit. So darf man nicht handeln, wenn man Werte stabilisieren und aufbauen und Vertrauen stärken will.
Die Antwort könnte nur lauten: Die Finanznot, in die Sie dieses Land gebracht haben, läßt uns keine andere Möglichkeit.Mindestens in einem Bereich stimmt das nicht. Wir haben Ihnen Vorschläge zur Umschichtung im Haushalt gemacht,
und wir haben Ihnen gesagt, daß man hier umschichten kann.Und jetzt komme ich zu einem symptomatischen Zeichen dieses Haushalts.
Zwei Bereiche nämlich blieben von den harten Kürzungen verschont. — Herr Westphal, ich werde das ganz genau darlegen. — Zwei Bereiche wurden von den Kürzungen verschont und wurden teilweise sogar mit besseren Konditionen ausgestattet: der Bereich der Modellversuche und der Bereich der Förderung überbetrieblicher und außerbetrieblicher Werkstätten.
Jahr für Jahr haben wir bei den Modellversuchen eine Umschichtung gefordert und ein Auslaufen der durch die Rahmenbedingungen vereinbarten Mittel
Metadaten/Kopzeile:
2434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Frau Benedix-Englerverlangt. Und warum? Weil — das wurde immer wieder von uns dargelegt — es sich hier um einen Bereich handelt, der inzwischen eine Art Grauzone geworden ist, wo die parlamentarische Kontrolle nicht gegeben ist, und der unüberschaubar geworden ist, ein Bereich, dem nicht alle Länder mehr zustimmen und dem die, die zustimmen, nur mit halbem Herzen zustimmen, ein Bereich, in dem leider viele Versuche angesiedelt sind, die nicht ergebnisoffen angelegt werden und die darauf abzielen, weiter Integration zu betreiben und den Schulweg zu verlängern. Aber Integration ist längst als Holzweg erwiesen, weil man den jungen Menschen nur mit unterschiedlichen, d. h. gegliederten Angeboten gerecht werden kann.Statt ständig die Verlängerung der Schulausbildungs- und Studienzeiten voranzutreiben und zu forcieren — bitte begehren Sie nicht gleich auf; wir haben einander heute früh geschworen, daß nichts tabu sein darf —, sollten wir ernsthaft miteinander darüber reden, ob nicht sogar die Abschaffung des dreizehnten Schuljahres und eine Kürzung der Ausbildungs- und Studiengänge sinnvoll wäre und ob man den jungen Menschen nicht vielleicht besser gerecht würde, wenn man ihnen behilflich wäre, schon mit 20 Jahren berufliche Erfolgserlebnisse zu haben,
mit 20 schon Verantwortung zu tragen und mit 25 auf eigenen Füßen zu stehen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weisskirchen?
Bitte, Herr Kollege Weisskirchen.
Können Sie bestätigen, sehr verehrte Frau Kollegin Benedix-Engler, daß all die Dinge, die Sie angesprochen haben, von den überbetrieblichen Ausbildungsstätten bis zu den übrigen Modellvorhaben, von allen Bundesländern, insbesondere von den CDU-geführten Bundesländern gemeinsam mit den anderen, bestätigt werden?
Lieber Herr Weisskirchen, ich habe Ihnen schon oft klarzumachen versucht, daß es etwas völlig Selbstverständliches ist, daß dann, wenn hier ein Topf steht und ich sage: „Ihr lieben Länder, greift zu; ihr müßt nur ganz bestimmte Konditionen erfüllen", alle Länder, speziell natürlich die armen Länder, geneigt sind, diese Kriterien zu erfüllen und zuzugreifen. Der Topf muß weg! Der ist falsch.
Also lassen Sie uns doch dort, wo keine Rechtsverpflichtungen bestehen, den Ländern dieses sicher notwendige Experimentierfeld übertragen. Sie können es in begrenztem Rahmen überschaubar halten und kontrollieren. Und stimmen Sie doch unserem Entschließungsantrag zu! Sie verlangen doch sonst heute immer Denkpausen. Da wäre eine Denkpause wirklich sinnvoll.
Ein zweiter Haushaltsansatz muß zu denken geben, weil auch er nicht gekürzt, sondern im Gegenteil mit hohen Zuschüssen zu den laufenden Kosten — ich nenne eine Zahl: 80 %; das ist ein ungewöhnlich hoher Satz für laufende Kosten — ausgestattet wurde und weil der Mittelabfluß hier stockt. Das sind die überbetrieblichen Werkstätten. Auch hier wäre zwar nicht ein Abbau, aber doch ein Kürzertreten sinnvoll. Denn den großen Ansturm auf die Ausbildungsplätze hat die Wirtschaft, haben gerade die Mittelständler, das Handwerk hervorragend bewältigt. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß das mit staatlichen Maßnahmen niemals geschafft worden wäre.
Der Schülerberg, der in die Ausbildung drängt, baut sich ab, die jetzt finanzierten Werkstätten aber werden in den Jahren fertig, in denen bereits ein Mangel an Auszubildenden fühlbar werden wird. Nun frage ich Sie: Warum forcieren wir denn dann den Bau dieser Werkstätten? Sie wollen mich doch wohl nicht glauben machen, daß wir die nachher aus Mangel an Auszubildenden wieder „einmotten" und das Personal nach Hause schicken.
Ich glaube, daß der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung hier einen sehr aufschlußreichen Hinweis gegeben hat. Er hat nämlich just in diesen Tagen gesagt — er gehört ja zu Ihnen, ist also unverdächtig —,
daß die vorgesehenen 77 000 überbetrieblichen Ausbildungsstätten nicht ausreichten, daß man 100 000 bräuchte. Das würde Kosten von 2 Milliarden DM bedeuten; dafür müsse man natürlich die Betriebe zur Kasse bitten. In diesem Zusammenhang denke ich daran, daß die SPD-Bildungspolitiker vor Jahren noch gesagt haben: Wir werden das duale Bildungssystem austrocknen lassen.
Meine Damen und Herren, es bleibt dem Betrachter — bitte, Sie mögen uns eines Besseren belehren — der Schluß: In der Hochschulpolitik macht man eine Schnellbremsung. Die schweren Schäden, die dadurch entstehen, lastet man anderen an. Die Verantwortung für die enttäuschten Hoffnungen, die zunächst geweckt worden sind, nimmt man in Kauf. Wichtig ist nur, daß der ideologische Kurs beibehalten wird.
Daß wir einem solchen Haushalt nicht zustimmen, ist, glaube ich, keine Frage. Aber wir geben Ihnen eine Chance, den von mir soeben skizzierten Eindruck total zu korrigieren. Wer würde sich mehr freuen als wir, wenn Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen. — Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Westphal.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2435
Vizepräsident LeberMeine Damen und Herren, wir haben das seltene Privileg, einen Kollegen, der Geburtstag hat, an einem solchen Tag über sein Arbeitsgebiet reden zu hören.
Danke schön, Herr Präsident. Da hat wieder jemand geplaudert. Vielen Dank auch denen, die mir hier auf allen Seiten so herzlich gratuliert haben.
Frau Benedix, das, was ich Ihnen hier auf Ihren Beitrag antworten muß, wird nicht festlich. Haben Sie einmal mitgezählt? Ich habe es getan: Das war im Rahmen unserer Haushaltsberatungen in dieser Woche der fünfte Haushalt eines Ressorts, den Sie von der Opposition ablehnen, und zwar mit der Begründung, daß Ihnen das, was der Haushalt an Ausgaben vorsieht, nicht genug ist.
Das ist der Inhalt Ihrer Sparvorwürfe. Herr Picard, Ihr Redner, hat uns hier kritisiert, daß wir für die auswärtige Kulturpolitik nicht genügend Mittel zur Verfügung stellten. Den Verteidigungshaushalt brauche ich j a nicht extra zu erwähnen; die Debatte kennen wir. Heute morgen, zu Beginn, haben Sie den Haushalt für Soziales, ebenfalls heute morgen, den Haushalt für Jugend, Familie und Gesundheit in gleicher Weise behandelt, und nun wollen Sie dies auch beim Haushalt für Bildung und Wissenschaft tun; das sind fünf Haushalte. Mal sehen, wie es weitergeht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daweke?
Bitte.
Herr Kollege Westphal, liegt es vielleicht an den Feierlichkeiten zu Ihrem Geburtstag, daß es Ihnen entgangen ist, daß hinsichtlich des finanziellen Volumens hier keinerlei Ausdehnung stattfindet, sondern daß wir lediglich Umschichtungsanträge stellen?
Ja, Sie haben bei diesem Haushalt Umschichtungsanträge mit einem Volumen von genau 4 Millionen DM für den studentischen Wohnheimbau gestellt; ich werde nachher darauf zurückkommen. Aber kritisiert haben Sie, daß der Hochschulbau — Hunderte von Millionen DM fordernd — nicht genügend ausgestattet wird. Wo ist denn da Umschichtung?
Ich will darauf in der Sache jetzt kommen.Meine Damen und Herren, der Etat des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist eines der deutlichen Beispiele für die Problemstellung, der wir uns gegenübersehen, verursacht durch die Finanzsituation des Bundes und speziell durch den Etat des Jahres 1981. Soll nun der verantwortliche Politiker in dieser Debatte hervorheben, was der Bund trotz fehlender Mittel alles tut, um in einem Bereich, in dem der Bund mangelnde Zuständigkeiten hat, Bildung und Ausbildung junger Menschen in einer Größenordnung von immerhin 4,3 Milliarden DM zu fördern? Oder soll der verantwortungsbewußte Politiker am Beispiel dieses Etats zeigen, was getan worden ist, was getan werden mußte, um öffentliche Ausgaben zurückzudrängen und Einsparungen zu erreichen? Die Antwort kann wohl nur sein: Es müssen beide Seiten der Medaille deutlich gezeigt werden. Es entspricht den Tatsachen, daß dieser Teiletat sowohl Verbesserungen an wichtigen Stellen der Bildungspolitik enthält als auch unter harten Einschränkungen zu leiden gehabt hat, damit wir unsere Finanzproblematik meistern können.Lassen Sie mich dies an einigen konkreten Beispielen verdeutlichen.Erstens. Während — wie übrigens überall im Bundeshaushalt — die Sondermaßnahmen des Programms „Zukunftsinvestitionen" auslaufen, stocken wir die Mittel für die Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten bewußt von 147 Millionen DM auf 185 Millionen DM auf.
Wir fördern damit berufliche Bildung an der richtigen Stelle.Der Generalsekretär des Bundesinstituts für berufliche Bildung sagt, 77 000 Plätze, die wir fördern, seien nicht genug; es müßten mehr werden. Frau Benedix, ich bitte Sie, diese Zahl in ein Verhältnis zu den Ausbildungszahlen insgesamt zu setzen, die es in der Wirtschaft gibt. Hier hilft die öffentliche Hand mit überbetrieblichen Einrichtungen, die von der Wirtschaft mit gefördert werden, aber doch in einem Ausmaß, das im Verhältnis zu dem außerordentlich gering ist, was es tatsächlich an Ausbildungsplätzen gibt. Wenn hier mehr getan würde, so würde die Qualität unserer Berufsausbildung ausgebaut und erweitert werden.
Ein zweiter Punkt. Wir verstärken die im Vorjahr mit 2,6 Millionen DM begonnenen Förderungsmaßnahmen für die Berufsbildung benachteiligter — sowohl deutscher als auch ausländischer — Jugendlicher erheblich. Dafür werden in diesem Jahr 29 Millionen DM eingestellt. Der Bund hilft, damit die Wirtschaft ihre Aufgabe, sich qualifizierten Nachwuchs zu schaffen, besser erfüllen kann.
Ein dritter Gesichtspunkt. Wir steigern die Zuschüsse für die Forschungsförderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und bei den Sonderforschungsbereichen überproportional. Die Steigerungsrate beträgt 6 %. Das bedeutet ein Mehr von 27 Millionen DM. 474 Millionen DM stehen dafür in diesem Jahr zur Verfügung. Auch in schwieriger Zeit sehen wir die Notwendigkeit der Grundlagenforschung und fördern diese.Ein vierter Gesichtspunkt. Wir erhalten im wesentlichen — von einem behutsamen Bremsen abgesehen — die Förderung der Modellversuche im allgemeinen Bildungswesen, in der beruflichen Bil-
Metadaten/Kopzeile:
2436 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Westphaldung und im Hochschulbereich. Das gleiche gilt für die Ressortforschungsaufgaben in diesen drei Feldern der Bildungspolitik. Der Bund — so könnte man sagen — treibt die Länder zur inhaltlichen Verbesserung von Erziehung, Bildung und Ausbildung. Diese Aufgabe zu erhalten, entspricht unserer Auffassung. Ihr Bremsen, ihr Umschichtenwollen von dieser Position in andere Bereiche halten wir nicht für den richtigen Weg.
Hier gibt es eine sinnvolle Förderungsaufgabe des Bundes, die allen bei der Verbesserung von Bildung und Erziehung hilft.Fünftens. Wir steigern, wenn auch nicht in dem von manchen gewünschten Ausmaß, die Stipendien für den Auslandsaufenthalt deutscher Studenten und junger Akademiker. Das gleiche gilt für die Hochbegabtenförderung.Sechstens. Wir realisieren die finanziellen Konsequenzen aus der erhöhten Inanspruchnahme der Ausbildungsförderung, insbesondere durch die Schüler berufsorientierter Bildungswege. Doch der Bildungsminister weiß, daß der Ansatz von 2,4 Milliarden DM für den Zweidrittelanteil des Bundes nun für die kommenden Jahre durchgeschrieben werden muß. Er hat, tapfer, daraus die Konsequenzen bereits gezogen und eine BAföG-Novelle vorgelegt, die strukturelle Änderungen zwecks Einsparungen an vertretbaren Stellen unter Erhaltung des sozialen und bildungspolitischen Grundbestandes dieses Gesetzes enthält und die gleichzeitig, ab Frühjahr des kommenden Jahres die Förderungssätze und Freibeträge so erhöht, daß die Preissteigerungsraten von drei vergangenen Jahren aufgefangen werden.
Meine Damen und Herren, dies verdient Anerkennung. Auch unsere Studenten sollten vor dem Protest einen Augenblick daran denken, daß unser Förderungssystem nach wie vor eine internationale Spitzenstellung einnimmt.
— Ja, sehr richtig. Ich gehe davon aus, daß der Bildungsminister dazu gleich noch ein Wort sagen wird.Siebentens. Wir haben dem Finanzminister zugestimmt, daß die Aufgabe des Studentenwohnraumbaus nach zehn Jahren erheblicher Bundeshilfen — seit 1970 etwa 700 Millionen DM — im Rahmen der Bereinigung von Mischfinanzierungstatbeständen in drei Jahresschritten an die dafür nach der Verfassung zuständigen Länder zurücküberführt wird.Der Haushaltsausschuß hat alles getan, um sicherzustellen, daß bereits gegebene Zusagen eingehalten und Verpflichtungen erfüllt werden. Wenn im Zuge der Abwicklung in den beiden kommenden Jahren dabei Engpässe eintreten sollten, hat der Bildungsminister unsere Zusage, diese durch entsprechende Ansätze zu vermeiden. Die Länder aber sind aufgefordert, sich dieser in ihrer Hauptverantwortung liegenden Aufgabe zu stellen. Einige, leider nicht alle Länder, handeln entsprechend. Immerhin stehen im Jahre 1981 mit 140 Millionen DM mehr Mittel von Bund und Ländern zusammen für die Aufgabe des Studentenwohnraumbaus zur Verfügung als im vergangenen Jahr.Achtens. Die schwierigste Situation — das bestreiten wir nicht — ergibt sich auf dem Sektor des Hochschulbaus. Nach einem Jahrzehnt gewaltigen Ausbaus, bei dem der Bund, die Hälfte der gesamten Kosten getragen hat, 13 Milliarden DM, mußten wir uns für eine langsamere Gangart entscheiden. Die Kürzung der Mittel um 20 % bei allen drei Gemeinschaftsaufgaben trifft auch den Hochschulbau. 680 Millionen DM werden dafür 1981 zur Verfügung stehen, und dies gilt — wie es inzwischen klargestellt worden ist — auch für die folgenden Jahre der mittelfristigen Planung.Mein Plädoyer im Haushaltsausschuß, die vorhandenen Reste von etwa 120 Millionen DM zu mobilisieren, ist — ich danke dafür dem Finanzminister — inzwischen auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Bund hat zugesagt, eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen. Er hat darüber hinaus ein Übriges getan und den Ländern angeboten, ihnen die Vorausfinanzierung zu ermöglichen — mit 400 Millionen DM im Planungszeitraum und Beginn der Zahlung des entsprechenden Bundesanteils in angemessenem Rahmen ab 1984.Dazu kommen dann auch Möglichkeiten des Beginns gewisser, noch nicht begonnener Vorhaben, besonders im Bereich der Großgerätebeschaffung. Hierfür wird erneut und noch zusätzlich für die Vorfinanzierungsmöglichkeit ein Rahmen von 50 Millionen DM an Bundesmitteln angeboten. Doch dies geht von der nüchternen Notwendigkeit aus, die Planungen im nächsten Rahmenplan nach härteren Kriterien als bisher zu überprüfen und dabei Blütenträume, die sich Bund und Länder nicht mehr leisten können, deutlich zurückzuschneiden.Diejenigen, die dieses notwendige Vorgehen kritisieren, den den Einschnitt als abrupten Abbruch darstellen, sollten zunächst die Länderfinanzminister fragen, ob die nicht auch für eine langsamere Gangart eintreten. Sie sollten sich dann selber prüfen, was sie sonst zum Thema Gemeinschaftsaufgaben, Mischfinanzierungs-Bereinigung und Zurückstutzen öffentlicher Aufgaben geredet haben und noch täglich reden.Der Bund hat im übrigen in langen Jahren des gewollten Ausbaus unseres Hochschulwesens bei fast allen Ländern erhebliche Beträge vorfinanziert, die nur langsam von den Ländern abgebaut wurden. Es ist bei der zuungunsten des Bundes unausgewogenen Aufteilung von Steuereinnahmen, Deckungsquoten und Aufgabenzuwachs nicht unbillig, wenn nun der Bund die Länder anregt, daß sie nun einmal die Belastungen — durch das In-Vorlage-Treten — für einige Jahre übernehmen. Den Bund zum Sparen aufzufordern und ihm gleichzeitig vorzuwerfen, er gebe den Ländern nicht genügend Mittel, ist jedenfalls zu kurz gedacht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2437
Herr Kollege Westphal, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Redezeit, die Sie angemeldet hatten, abgelaufen ist.
Die Länderchefs, so meine ich, wären gut beraten, wenn sie am 5. Juni, also morgen, dem Bundeskanzler ihre Zustimmung zu dem Angebot des Bundes für die kommenden Jahre der Fortsetzung des Hochschulbaus signalisierten. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste hat Frau Kollegin von Braun-Stützer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ehemalige Präsident der Republik Senegal, Leopold Senghor, berichtete vorgestern in Berlin, daß sein Land der Erziehung und Ausbildung höchste Priorität zumesse. Für Erziehung und Bildung werde in seinem Land ein Drittel der Staatsausgaben aufgewendet. In der Bundesrepublik werden von den öffentlichen Etats in Bund, Ländern und Gemeinden immerhin rund 77,1 Milliarden DM in Bildung, Forschung und Erziehung investiert.
Das sind immerhin 15,3 %, die auch schon eine enorme Leistung darstellen. — Herr Daweke, ich komme gleich dazu. Aber wäre eine Industriegesellschaft wie die Bundesrepublik, die zwar keine eigenen Rohstoffe hat, aber dafür einen großen Reichtum an qualifizierten Arbeitnehmern aufweist, nicht dazu verpflichtet, mindestens so viel in Bildung und Erziehung zu investieren wie Senegal? Ich weiß, der Vergleich zwischen unterschiedlich entwickelten Ländern hat immer seine Nachteile und muß nicht unbedingt zwingend sein. Es stellt sich aber — gerade in Zeiten von knappen Haushaltsmitteln — immer die Frage nach den Prioritäten.Nun kann kein Mensch daran vorbeisehen, daß schon der Haushalt 1981 und erst recht die nachfolgenden Haushalte einschneidende Sparmaßnahmen erzwingen und daß infolgedessen auch der Bildungshaushalt sein Scherflein zum Sparhaushalt beizutragen hat. Wir sind bereit, uns an dieser Sparsolidarität zu beteiligen.Allerdings haben wir Verständnis für jene Kritiker, die darauf hinweisen, daß der Einzelplan 31 ein Minus von 3,3 % gegenüber den tatsächlichen Ausgaben des vergangenen Jahres aufweist, während der Bundeshaushalt insgesamt mit einem Ausgabeplus von 7,2 % abgeschlossen hat. Wir halten diese Art von ungleichgewichtigem Sparen für falsch und kurzsichtig. Wir müssen deshalb bei den Haushalten der kommenden Jahre erreichen, daß der Anteil des Bildungshaushalts am Gesamthaushalt mindestens konstant bleibt, wenn nicht gesteigert wird.
— Es ist zu leisten, wir werden dies leisten. Hochverehrter Herr Kollege Dr. Möller, Sie werden sich wundern, was überkommen wird. Von Ihnen haben wir noch nicht eine konkrete Maßnahme gehört.
Wir müssen dies erreichen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, die Frucht aller großen Bildungsinvestitionen der 70er Jahre zu verspielen. Wir werden bis Ende der 80er Jahre mit dem Problem der geburtenstarken Jahrgänge zu kämpfen haben, die das gleiche Anrecht auf Öffnung des Bildungssystems haben müssen, die gleichen Bildungs- und Berufschancen, wie die früheren Jahrgänge.
Um dieses Ziel — konstanter Anteil des Bildungshaushalts am Gesamthaushalt — erreichen zu können, müssen wir die Bereitschaft zum Umdenken und zu strukturellen Veränderungen aufbringen.Die bildungspolitische Zielsetzung der sozialliberalen Koalition war und ist die Öffnung des Bildungssystems für alle, zum sozialen und wirtschaftlichen Nutzen des einzelnen und der ganzen Gesellschaft. Dieses Ziel ist in einem Umfang verwirklicht worden, das vor 1969 kein Mensch zu hoffen gewagt hätte, und darauf sind wir stolz.
Wir werden darum kämpfen, daß dieses Ziel auch unter veränderten und schwierigeren Rahmenbedingungen möglich bleibt, auch wenn dies unter Umständen schmerzhafte Operationen erfordern wird. Zu diesem Kraftakt sind wir bereit, und wir sind sicher, daß wir dies zusammen mit den Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion im Bildungsausschuß werden leisten können.
Ein Beweis dafür liefert bereits der Bildungshaushalt 1981. Nehmen wir die Studentenwohnraumförderung. Jedem von uns wäre wohler gewesen, wenn wenigstens die Anträge, die seit Mitte vergangenen Jahres bis Ende 1980 vorgelegt wurden, noch hätten abgewickelt werden können. Wir haben uns im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft auch für ein derartiges Abschlußprogramm ausgesprochen. Der entsprechende Beschluß des Bildungsausschusses konnte angesichts der Finanzlage leider nicht realisiert werden.Allerdings — darauf hat der Kollege Westphal bereits hingewiesen — haben auch die Länder immer darauf gedrängt, daß die Mischfinanzierung im Bereich der Studentenwohnraumförderung aufgelöst und diese Aufgabe wieder voll an die Länder zurückgegeben wird. Ich verweise hierzu auf die Arbeitspapiere der Ministerpräsidenten zum Thema Gemeinschaftsaufgaben. Von den Ländern allerdings muß man jetzt erwarten, daß sie die Studentenwohnraumförderung auch entschieden als eigene Aufgaben fortsetzen.
Metadaten/Kopzeile:
2438 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Frau von Braun-StützerDies ist keineswegs in allen Bundesländern der Fall, und hier gibt es durchaus einen Nachholbedarf.
— Beim Studentenwohnraumbau?
Ich habe die konkreten Zahlen jetzt nicht mehr im Kopf. Herr Daweke, Sie haben schon zu lange auf diesem Podium gestanden, um nicht zu wissen, daß man in zehn Minuten nur sehr wenig sagen kann und dabei immer nur die Hälfte dabei zur Sprache kommt.Bei den Gemeinschaftsaufgaben, also auch beim Hochschulbau, ist in der Koalition eine 20 %ige Kürzung vereinbart worden. Das wäre allenfalls dann akzeptabel gewesen, wenn der tatsächliche Bundesanteil des Jahres 1980 von über 1 Milliarde DM und nicht das Haushaltssoll 1980 von 850 Millionen DM als Ausgangsgröße zur Anwendung gekommen wäre.Die Konferenz der bildungspolitischen Sprecher der FDP-Fraktionen aus Bund und Ländern hat deshalb bereits im Februar gefordert, daß die Kürzung des Bundesanteils beim Hochschulbau von 850 Millionen DM auf 680 Millionen DM nach oben hin korrigiert werden sollte. Die Kritik vieler verschiedener Institutionen an diesem Punkt der Koalitionsvereinbarung war durchaus berechtigt. Ich begrüße also nachträglich und nachdrücklich, daß die damalige Fehlentscheidung durch ein zusätzliches Angebot der Bundesregierung an die Bundesländer korrigiert wird. Dazu hat sich der Kollege Westphal ja bereits im einzelnen geäußert.Ich halte dieses Angebot des Bundes für eine geeignete Grundlage, um die Verständigung und das Vertrauen zwischen Bund und Ländern wieder herzustellen, was mir sicherlich notwendig erscheint. Dies ist dringend notwendig, damit es nicht zu unvertretbaren Stillegungen oder Streckungen von Bauvorhaben kommt.In diesem Zusammenhang halte ich es übrigens für außerordentlich kurzsichtig, wenn Bund und Länder sich beim Hochschulbau nur noch den Schwarzen Peter zuschieben. Auf der Strecke bleibt dabei die Sache. Es kommt vielmehr darauf an, daß jetzt in den zuständigen Gremien — vor allen Dingen im Planungsausschuß für den Hochschulbau und im Wissenschaftsrat — konkrete Konzepte für die erschwerten finanzwirtschaftlichen Bedingungen erarbeitet werden. Auch diese Herrschaften werden sich über Prioritäten klar werden müssen. Hier muß sich die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft der jungen Generation und für die Zukunft von Wissenschaft und Forschung durchsetzen.Beim 7. BAföG-Änderungsgesetz werden, wie in allen anderen Bereichen, die vielbeschworenen Grenzen des Wachstums deutlich. Die Begrenzung des Bundesanteils auf 2,4 Milliarden DM in den Jahren 1981 und 1982 wird nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch vom Bundesrat und der Opposition getragen, was ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen möchte.
Aber schon jetzt ist klar, daß eine steigende Zahl von BAföG-Berechtigten bei einem starren Finanzrahmen große Probleme aufwerfen wird, die in den nächsten Jahren wiederum Anpassungsfähigkeit und Fähigkeit zu strukturellem Umdenken erfordern, wenn nicht das gesamte Ziel des BAföG in Frage gestellt werden soll. Es ist schon jetzt schwer, bei den Betroffenen Verständnis dafür zu gewinnen, daß Einsparungen in diesem Bereich unvermeidbar sind, während sich andere Einzelpläne des Bundeshaushalts erheblicher Zuwachsraten erfreuen. Das heißt, wenn schon beim BAföG und anderen Bildungsaufgaben gespart wird, dann muß das auch Konsequenzen in anderen Bereichen der Politik haben.
Nur dann werden diese einschneidenden Sparmaßnahmen von der Öffentlichkeit akzeptiert werden.Der Bund hat — was wir Liberale sehr bedauern — nur sehr begrenzte Zuständigkeiten im Bereich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Dies schmälert aber seine gesamtstaatliche Verantwortung für diesen Bereich der Politik nicht. Zu dieser Verantwortung gehören nicht nur die angesprochenen finanziellen Beiträge des Bundes, sondern auch der Beitrag des Bundes zu strukturellen Verbesserungen und Reformen in diesem Bereich. Das Instrument der gemeinsam von Bund und Ländern vereinbarten Modellversuche ist deshalb für uns unverzichtbar.
Zum Verantwortungsbereich des Bundes gehört auch die berufliche Bildung. Die Ansätze im Einzelplan 31 für diesen wichtigen Bereich werden so gut wie nicht gekürzt. Die Zukunftschancen einer großen Zahl junger Menschen — immerhin der Mehrheit — hängen davon ab, ob es gelingt, Qualität und Quantität des betrieblichen und des schulischen Ausbildungsplatzangebots in den nächsten Jahren zu steigern.Die Zielsetzung, Berufsbildung für alle, ist trotz erheblicher Fortschritte noch nicht erreicht. Wir brauchen das Engagement der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Länder und des Bundes, um vor allem die Bildungschancen bisher noch benachteiligter Gruppen wie der Behinderten, der Mädchen und der jungen Ausländer entscheidend zu verbessern.
Hier wie in anderen Fragen der Bildungspolitik muß sich die Solidarität zwischen den Generationen bewähren. Die Lösung dieser gesellschaftspolitischen Aufgabe ist zugleich ein Beitrag zur sozialen Entwicklung unserer freiheitlichen Demokratie und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im internationalen Bereich. — Ich danke Ihnen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2439
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hinter die Schelte, die hier eingangs betrieben worden ist, keine Ausgangsschelte setzen. Worte, wie Sie sie gebraucht haben, Frau BenedixEngler, helfen der Sache relativ wenig, sie verstellen eigentlich mehr den Blick für die aktuellen Probleme, vor die wir alle gestellt sind, nicht nur wir, sondern auch Sie.
Der Bildungsminister steht, wie jeder in den letzten Tagen hat nachvollziehen können, an zwei Fronten. Zum einen steht er den Betroffenen gegenüber. Er muß deutlich machen, daß eine Stagnation bei den Bildungsausgaben nicht mit dem Ende von Bildungspolitik identisch ist. Ich habe gestern vor fast 40 000 Studenten diese Position mit Überzeugung vertreten.
Der Bildungsminister steht aber zum anderen einer wachsenden Zahl von Sparkommissaren gegenüber, berufenen wie unberufenen, denen er deutlich machen muß, daß der alte Grundsatz „Bildung ist eine unverzichtbare Investition in die Zukunft" nicht falsch geworden ist.
Ich sage auch dies mit Überzeugung.
Ich glaube, daß beide Positionen im Haushalt dieses Jahres nicht in Widerspruch stehen. Wir haben versucht, im Haushalt 1981 einen Mittelweg zu finden, den man — mit allem Wenn und Aber — als einen „Sparsamkeitshaushalt mit Augenmaß" bezeichnen könnte.
Ich möchte einige wenige Bemerkungen über die Entwicklung machen, die hinter uns liegt, weil man über das Künftige schlecht rechten kann, wenn man über das Gewesene, das Getane und das Geleistete mit etwas zu schlanker Hand, wie Sie, gnädige Frau, das getan haben, hinweggeht.Wir haben seit Mitte der sechziger Jahre einen beträchtlichen Rückstand im Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen vergleichbaren Industrienationen aufgeholt. Diese Mehrheit, die heute noch im Bundestag sitzt, ist daran gottlob wesentlich beteiligt gewesen.
Ich will das an wenigen Beispielen deutlich machen. Ich will diese Beispiele nicht besonders ausweiten, weil vieles zu diesem Thema schon gesagt worden ist. Ich erwähne als erstes den Hochschulbau. Wenn man heute darüber klagt, daß die Mittel für den Hochschulausbau weniger geworden sind, sollte man fairerweise auch sagen, daß wir gemeinsam mit den Ländern in zehn Jahren 250 000 Hochschulplätze erstellt haben, d. h. zehn bis zwölf mittlere Hochschulen erbaut haben.
Wir werden am Freitag den Regierungschefs, wenn sie beim Bundeskanzler zusammentreffen, ein Angebot machen, das in der Größenordnung von 1,8 bis 1,9 Milliarden DM gemeinsamer Ausgaben in diesem Jahr liegen wird. Ich glaube, daß wir damit bei entsprechender Anstrengung 1981 ohne das Entstehen von Bauruinen überstehen werden. Ich hoffe sehr, daß die Länder — ohne den Klageweg — begreifen, daß hier ein Angebot gemacht worden ist, das nicht mehr beliebig ausweitbar ist.Ich nenne den Bereich der beruflichen Bildung. Frau von Braun-Stützer hat dazu einige Zahlen genannt. Ich habe vorgestern mit Herrn Schnitker, dem Präsidenten des Deutschen Handwerks, gesprochen. Bevor Sie, liebe gnädige Frau, uns hier agitieren, daß überbetriebliche Ausbildungsstätten unwichtig seien, müßten Sie dies zunächst einmal dem Deutschen Handwerk deutlich machen. Das Handwerk weiß, was es an diesen überbetrieblichen Ausbildungsstätten hat.
Niemand in unserem Lande, weder Gewerkschaften, noch Handwerker, noch Industrielle zweifeln daran — Helmut Rohde, der dort sitzt, weiß das am allerbesten; er hat die Entwicklung in Gang gesetzt —, daß wir ohne diese Ausbildungsstätten hier kein Wort über Qualitätssteigerungen in der beruflichen Ausbildung zu verlieren brauchen.
Fortschritte gibt es auch im Bereich der Ausbildungsförderung, obwohl wir hier einige schmerzhafte Einschnitte zu verzeichnen haben. In den letzten zehn Jahren ist es durch die soziale Absicherung des Bildungsaufstieges Arbeiterkindern und besonders auch Mädchen in höherem Maße gelungen, die sogenannte höhere Bildung auch wirklich zu erreichen.Diese Aussage gilt auch für die Grundlagenforschung. Hier hat der Bund nicht geknausert. Er hat auch in diesem Jahr im Haushalt für die Förderung der Grundlagenforschung wiederum 6 % mehr ausgegeben. Wenn ich Ausbildungsförderung und Grundlagenforschung hier erwähne, dann tue ich das besonders gerne, weil oben auf der Tribüne Heinz Oskar Vetter und ebenso der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Seiboldt, sitzen; Sie sollen wissen, daß wir Ihre Probleme ernst nehmen.
Aus gegebenem Anlaß will ich gerne zum gestrigen Tage eine Bemerkung zu den Bildungsausgaben im Verhältnis zu den Verteidigungsausgaben machen. Ich sage das deshalb, weil mir gestern ein Mitglied dieses Hauses mit einigen Bemerkungen das
Metadaten/Kopzeile:
2440 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister EngholmLeben in der Bildungspolitik relativ schwer gemacht hat.
Die Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind in den letzten zehn Jahren um 180 % gestiegen. Die Verteidigungsausgaben des Landes — ich will damit niemandem den Mund wässerig machen — sind in den letzten Jahren um 110 % gestiegen. Wenn jemand sagt, hier finde ein Ausverkauf von Bildung zugunsten der Verteidigung statt, dann trifft das so nicht zu. Das wollte ich gerne festhalten.
Die wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, über die schon seit zwei Tagen gesprochen wird, haben natürlich auch den Einzelplan 31 erreicht und dort Spuren hinterlassen. Das ist von meinen Vorrednern auch deutlich gesagt worden. Ich muß dem wenig hinzufügen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen mit diesen begrenzten Kürzungen leben, und wir Bildungspolitiker wollen das Beste daraus machen.Lassen Sie mich noch zwei abschließende Bemerkungen machen, ohne daß sie gegen irgend jemand gezielt wären. Zum einen: Wenn über den Bildungshaushalt beraten wird, muß jeder wissen, Bildungshaushalt ist zu 100 % auch immer ein Jugendhaushalt. Das, glaube ich, hat Herr Daweke in der letzten Debatte auch zu einer Bemerkung veranlaßt. Wer den Dialog mit der jungen Generation will, kann ihn sich nicht durch immer mehr Geld erkaufen wollen. Er kann aber umgekehrt den Dialog natürlich auch nicht mit weiteren und beträchtlichen Abstrichen bei den existentiellen Bedürfnissen der Jugendlichen selbst eröffnen und führen.
Die junge Generation, die heute sehr zahlreich nach Ausbildungsplätzen und Bildungsplätzen nachfragt, kann ja selbst nichts dafür, daß wir Baby-Boom und Pillenknick gehabt haben. Sie sind halt da. Und wenn es dafür eine Verantwortung gibt, dann ist es unsere, die der Erwachsenen. Von daher gesehen, glaube ich, hat die junge Generation einen Anspruch auf die natürliche Solidarität der etablierten Erwachsenenwelt; denn schließlich verlangen wir von der heute antretenden jungen Generation auch, daß sie in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren unser aller Rente erwirtschaftet und zahlt. Insofern hat sie also Anspruch auf unsere Solidarität.
Die jungen Menschen — das habe ich in zahlreichen Debatten festgestellt — empfinden Kürzungen im Bildungsbereich so lange als eine unbillige Vorleistung, als nicht auch andere Gruppen unserer Gesellschaft — und zwar besonders solche, denen es finanziell leichter fällt — dazu beitragen, daß das System des Sparens sozial ausgewogen ist.
Eine zweite abschließende Bemerkung — ich habe das schon gesagt —: Bildungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft. Strukturwandelprobleme, Probleme der Rohstoffbeschaffung, Abbau von Leistungsbilanzdefiziten, das Annehmen und Bestehen von arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen, aber auch das Bestehen von Proben auf die demokratische Substanz unserer Gesellschaft sind nur möglich mit hervorragend ge- und ausgebildeten jungen Menschen. Die jungen Menschen sind bereit, sich selbst in Bildung zu engagieren. Ich bitte Sie alle, bei aller notwendigen Sparsamkeit daran zu denken: Dies ist ein Bereich, bei dem falsches Sparen auf lange Sicht die doppelten und dreifachen Kosten verursacht. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen zur Aussprache über den Einzelplan 31 liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Nr. 15 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wir stimmen zuerst über diesen Änderungsantrag ab. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 31 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 31 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ehe ich den nächsten Einzelplan aufrufe, möchte ich dem Hause eine Mitteilung machen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches — Verwaltungsverfahren —, Drucksache 9/529. Die Vorlage ist in der Zwischenzeit verteilt worden. Ich frage das Haus, ob es mit diesem Vorschlag einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe auf: Einzelplan 07Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz— Drucksache 9/477 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Soell Gerster
Im Ältestenrat ist für jede Fraktion eine Redezeit von 10 Minuten vereinbart worden. Ist das Haus mit dieser Begrenzung der Redezeit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Ich erteile als erstem Redner das Wort dem Herrn Abgeordneten Gerster.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2441
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Westphal hat eben hier behauptet, die Union stelle überall Erhöhungsanträge und fordere zugleich mehr Einsparungen. Herr Westphal, das ist ein altes Märchen, das Sie jedes Jahr wiederholen. Ich möchte hier ganz klar feststellen: Die Unionsgruppe hat im Haushaltsausschuß natürlich in Einzelbereichen Erhöhungsanträge gestellt, in anderen Einzelbereichen aber genauso Kürzungsanträge gestellt. Die Kürzungsanträge waren in ihrer Gesamtsumme bedeutend höher als die Summe der Erhöhungsanträge. Bitte, unterlassen Sie deshalb derartige Märchen, die den Tatsachen nicht entsprechen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Verfahren machen. Wir hätten die Kürzungsanträge natürlich auch wieder im Plenum stellen können.
Herr Kollege Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Ich darf erst den Gedanken zu Ende führen. — Wir hätten die Kürzungsanträge im Plenum wieder stellen können. Nachdem wir für einen Erfolg aber keine Chance sahen, haben wir davon Abstand genommen, weil wir Trapezübungen, wie sie etwa Ihr linker Genosse Coppik gestern hier vorgeführt hat — Antrag stellen, Minister redet, Antrag zurückgezogen —, dem Parlament ersparen wollen.
Bitte, ich lasse gern die Frage zu.
Herr Gerster, Sie sprechen über etwas ganz anderes als das, was ich hier gesagt habe. Ich darf Sie fragen, ob Sie nicht mit mir einverstanden sein können, daß es den Tatsachen entspricht, daß bei all den Haushalten, die ich aufgezählt habe — Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium, Sozialministerium, Jugendministerium und nun auch beim Bildungsministerium —, die Redner Ihrer Fraktion hier an diesem Pult Mehrforderungen haben deutlich werden lassen — ich habe nicht von Anträgen gesprochen —, die Ihren Vorwürfen, wir würden nicht genügend sparen — ein Sparziel kann ich bei Ihnen gar nicht erkennen —, voll widersprechen?
Herr Westphal, leider läßt es der Präsident nicht zu, daß diese Zeit angerechnet wird. Ich sage noch einmal: Wir haben in der Summe mehr Kürzungsanträge gestellt als Erhöhungsanträge.
Wenn Sie uns diesmal und auch in früheren Jahren unseren Kürzungsanträgen gefolgt wären, wären Sie heute nicht in der Finanzmisere, in der Sie sich befinden.
Meine Damen, meine Herren, ich komme zum Einzelplan 07. Die derzeitige Regierungskoalition sah seit ihrem Bestehen in der Rechtsetzung ein
Mittel evolutionärer Gesellschaftsveränderungen. Gerade mit der Rechtspolitik wollte sie gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen. Kein Wunder, daß am Anfang dieser Koalition der Satz stand, man wolle jeden Tag ein neues Reformgesetz auf den Weg bringen. Kein Wunder, daß sich seit 12 Jahren Gesetzesänderung an Gesetzesänderung reiht und immer neue Gesetze aneinanderreihen. Kein Wunder, daß heute, am Ende dieser Koalition, die Bürger keinesfalls unter zu wenig Gesetzen leiden, sondern mehr unter zu vielen, unter zu komplizierten und zu wenig transparenten Gesetzen. Dadurch ist eine neue Ungleichheit entstanden, eine Ungleichheit zwischen Rechtskundigen und Rechtsunkundigen.
Wenn Sie heute auf der Straße mit den Leuten reden, werden Sie sehr schnell eine Erkenntnis bekommen: Die Bürger sind es satt, durch ein Wechselbad ständig neuer Rechtsnormen und Rechtsreformen gezogen zu werden.
Sie spüren, daß neue Gesetze es nicht unbedingt besser, in der Regel aber teurer werden lassen. Sie sehnen sich nicht nach noch neueren und schon gar nicht nach weiteren Regelungsbereichen, sondern sie wollen Beständigkeit und Verläßlichkeit des Rechtswesens.
Herr Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein; da meine Zeit nicht verlängert wird, nicht.Dies alles aber ficht den Bundesjustizminister nicht an. Wie der Kollege Erhard in einer bemerkenswerten Rede vor einiger Zeit hier veranschaulicht hat, sieht des Ministers Arbeitsprogramm in dieser Periode 175 Gesetzesvorhaben allein im engeren Justizbereich vor; nicht irgendwelche Paragraphen — nein, vollständige Gesetze. Dabei ist noch gar nicht mitgerechnet, was an sonstigen Rechtsnormen, Verordnungen usw. darüber hinaus geplant wird.Im Haushalt 1981 finden diese Absichten ihren Niederschlag. Für Reformvorhaben im Justizbereich wollte der Minister 1,5 Millionen DM ausschließlich für Untersuchungen, noch einmal Untersuchungen und noch einmal Untersuchungen. Auch wenn der Haushaltsausschuß gemeinsam 300 000 DM gestrichen hat: Für derartige Untersuchungen sind immer noch über eine Million DM übrig. Herr Westphal, wenn Sie uns zustimmen würden, könnten wir auch hier wieder eine Million DM streichen.Lassen Sie es mich mit meinen Worten sagen: In einer Zeit, in der niemand mehr recht weiß, was jetzt schon recht ist oder nicht, in einer Zeit, in der der Minister im Zusammenhang mit den Hausbesetzungen z. B. öffentlich darüber nachdenkt, ob das Legalitätsprinzip im Strafrecht uneingeschränkt gelten soll, ob Recht also überhaupt erst angewendet werden soll, in einer derartigen Zeit werden weiterhin ständig krampfhaft neue gekünstelte Reformwiesen ge-
Metadaten/Kopzeile:
2442 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Gerster
sucht, statt daß man einmal ernsthaft über den Abbau allzu vieler Bestimmungen nachdenkt.
Hier kommen drei verräterische Sünden sozialistischer Politik zum Ausdruck: Erstens. Immer mehr Lebensbereiche sollen mit staatlicher Reglementierung überzogen werden. Zweitens. Man setzt das Recht zur Veränderung der Gesellschaft ein und schafft neue Konflikte, statt die bestehenden zu lösen.
Drittens. Mit immer mehr Gesetzen wird der Bürger einerseits verunsichert, da er nicht mehr durchblikken kann, andererseits aber immer mehr zur Anpassung gezwungen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Zusatzbemerkung machen.
Ich glaube, daß diese Reglementierungssucht die individuelle Persönlichkeitsentfaltung bedeutend stärker beeinträchtigt als das von Ihnen so sehr gefürchtete Privatfernsehen.
Diese gesamte kostspielige Suchaktion nach neuen Regelungsbereichen könnte sich Herr Minister Schmude ersparen, wenn er erstens mit den Leuten auf den Straßen spräche, um zu erfahren, was sie tatsächlich bedrückt, zweitens, wenn er dann entsprechende Regelungen träfe, und drittens, wenn er im übrigen Gesetze abbaute statt neue hinzuzufügen.
— Verehrter Herr lautstarker Zwischenrufer, da liegt Ihr Problem. Sie fühlen sich als Partei des Volkes und haben — angefangen bei den Jungsozialisten bis zu den Ministern — längst die Verbindung zur Bevölkerung verloren.
Sie schweben in esoterischen linken Zirkeln, deren Produkte Sie hier in den Personen Coppik, Hansen und anderen erleben können. Das hat mit dem natürlichen Leben nichts mehr zu tun.
Ich will Ihnen wenige Beispiele nennen, wo die Bürger Hilfe erwarten.Erstens. Den Arbeiter bedrückt, daß das Asylverfahren so lange dauert, daß Nichtberechtigte jahrelang auf seine Kosten in unserem Lande leben können. Bei voller Wahrung des Asylrechts sollten Sie endlich einer Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahren zustimmen.
Ich finde in diesem Haushalt, daß wir wieder zusätzliche 10 Millionen DM für Personalstellen beim Bundesverwaltungsgericht vorgesehen haben; ich habe da mitgemacht, wir haben da mitgemacht.
Wir mußten aber deshalb mitmachen, weil die Verschiebung von 5000 Verfahren auf das nächste Jahr infolge der derzeitigen Arbeitsüberlastung dort Folgekosten in Höhe von 33 Millionen DM gebracht hätten. Wir führen hier mit neuem Personal eine Reparatur durch,
die Sie einsparen könnten, wenn Sie das Verfahren von vornherein richtig regelten.
Herr Kollege Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin?
Nein. —
Zweitens. Den Bürger bedrückt etwa, daß wir Wohnungssuchende haben, die sich seit drei Jahren vertrösten lassen, die völlig rechtstreu sind, Bürger, die sich ärgern, daß Hausbesetzer möglicherweise nach Krawallen Wohnraum — unter Umständen mietfrei — von heute auf morgen zur Verfügung gestellt bekommen. Da fragt sich doch jeder Bürger, der rechtstreu ist, ob er der Verrückte, der Blöde ist,
weil er nicht das Recht bricht, da er ansonsten über den Rechtsbruch zu seinem Recht kommen könnte. Das ist doch das Problem!
Drittens. Fragen Sie einmal in den Großstädten, warum so viele große Wohnungen nur von ein, zwei Personen bewohnt werden. Es herrscht Wohnungsnot bei Studenten, weil Sie ein Mietwohnrecht geschaffen haben, bei dem ältere Wohnungsinhaber fragen, ob sie noch an andere weitervermieten sollen. Mir ist die Frage gestellt worden: Soll ich an Studenten vermieten? Ich werde nach dem neuen Scheidungsrecht eher den Ehemann oder die Ehefrau los als den Mieter, den ich in meine Wohnung hineinsetze! — Das können Sie draußen hören.
Viertens. Den Arbeitnehmer bedrückt, daß vorsätzlich herbeigeführte Arbeitslosigkeit zur Alimentierung und damit zur Belohnung von Arbeitsunlust führen kann.Meine Damen, meine Herren, das sind nur Beispiele, die zu finden es keiner wissenschaftlichen Untersuchung bedarf und deren Lösungsvorbereitung es auch keiner Millionen bedarf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2443
Gerster
Es ist schon wahr: der Justizminister macht nicht zuwenig, sondern er macht zuviel, so viel, daß es der Reformhuberei gleicht. Nur, meine Damen, meine Herren, er betreibt die Reformen überall da, wo es die Menschen am wenigsten wollen.
Herr Minister, ich wünsche Ihnen den Mut zu einer Informationsreise durch die Fußgängerzonen unserer Großstädte, aber bei Tag und nicht bei Nacht, wie ich hinzufügen möchte. Die Bürger unseres Landes werden Ihnen dann schon klarmachen, wo es gesetzlicher Initiativen bedarf, Initiativen nicht zur Veränderung unserer Gesellschaft, sondern zur Beseitigung bestehender, zum Teil schon seit Jahren bestehender Konflikte. Ich bin sicher, bei diesen Gesprächen wird der Minister dann schon erfahren, warum eine Volkspartei wie die Union, die weiß Gott die Bodenverhaftung noch hat — im Gegensatz zur SPD —
seiner Politik und seinen Millionen für neue Reformen im Justizbereich nicht zustimmen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Gerster hat gerade kritisiert, daß wir gesellschaftliche Veränderungen durch Gesetze durchgeführt hätten. Dies ist zutreffend. Ich frage aber, wie in einem Rechtsstaat tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen durchgeführt werden sollen, wenn nicht durch Gesetze!
Jetzt könnten Sie sagen — das werden Sie wahrscheinlich tun —: Die waren aber gar nicht notwendig. Da empfehle ich Ihnen nur eines: Lesen Sie einmal die Regierungserklärung von Kurt Georg Kiesinger nach; schauen Sie sich an, wie er damals zugeben mußte, was alles versäumt worden war und was an gesellschaftlichen Veränderungen erforderlich sei! Wir werden auch in der Zukunft diese Gesellschaft durch Gesetze reformieren. Wenn wir es so machten wie Sie, daß wir sagten, diese Gesellschaft wird nicht mehr reformiert, dann ist diese Gesellschaft tot.
Sie haben gesagt, es blicke keiner mehr durch.
Wissen Sie, neu ist das Argument nicht, daß da keiner mehr durchblickt. Darum bringe ich jetzt ein Zitat aus dem Jahre 1898.
Da schreibt ein Herr Anton Menger — —
— Hören Sie doch einmal zu! Das ist ja etwas, was Sie auch gesagt haben. Das müßte Sie doch eigentlich interessieren! — Er schreibt im Jahre 1898:
Heute, wo die Gesetze jedes Kulturstaates ganze Bibliotheken füllen und wo kaum jemand gefunden wird, der das ganze Rechtssystem seines Landes auch nur oberflächlich kennt, ist die Voraussetzung, daß jeder Staatsbürger alle Gesetze kennt, die lächerlichste aller Fiktionen.
Genau diese lächerliche Fiktion, daß jeder Staatsbürger alle Gesetze kennen soll, haben Sie heute wieder als Forderung aufgestellt. Wissen Sie, seit dem Jahr 1898 haben Sie nichts, aber auch gar nichts dazugelernt.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Das wird mir nicht abgezogen, darum auch keine Zwischenfragen!
Sie haben natürlich recht, wenn Sie als Konservativer fordern, daß Beständigkeit im Rechtswesen sein müsse. Wenn Sie seit 1898 hätten regieren können, hätten wir wahrscheinlich noch die Beständigkeit aus dem 19. Jahrhundert. Und die wollen wir natürlich nicht!
Jetzt kommt eine andere Geschichte, auf die ich auch sehr gerne eingehen möchte, nämlich die Hausbesetzungen. Immer wieder sagen Sie, ein Bürger, der auf eine Wohnung wartet, erregt sich mit Recht darüber, wenn ein anderer in eine leerstehende Wohnung mietfrei einzieht. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie auch mal etwas anderes geißeln, nämlich, daß es Leute gibt, die jahrelang Wohnungen leerstehen lassen,
die öffentliche Hand genauso wie jeder Privatmann. Wir haben heute in den Großstädten — —
— Nicht nur städtische! Es sind zu einem großen Teil Privatleute, die gegen die bestehende Zweckentfremdungsverordnung ihre Häuser verkommen lassen, weil sie sie anders verwenden wollen.
Metadaten/Kopzeile:
2444 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Schmidt
Gegen diese Leute höre ich nie etwas. Mir leuchtet zwar ein, daß jemand sagt, es sei nicht in Ordnung, daß hier Leute Häuser besetzen; nur hätte ich mir auch einmal gewünscht, daß gesagt wird, es sei nicht in Ordnung, wenn andere gegen bestehende Gesetze Wohnraum verkommen lassen. Das höre ich von Ihnen nie.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage.Im übrigen haben Sie so schön und polemisch die Studenten angesprochen. Bisher war es üblich, daß es sich, wenn jemand einem Studenten in seiner Wohnung ein Zimmer vermietete, um ein Untermietverhältnis handelte. Das Untermietverhältnis ist rechtlich etwas ganz anderes als das Mietverhältnis bei normalem Wohnraum. Es ist viel weniger geschützt. Hier liegt weiß Gott nicht der Grund dafür, daß heute nicht mehr so viel untervermietet wird. Ein Grund ist vielmehr der gestiegene Lebensstandard der Bürger. Dazu haben wir allerdings beigetragen. Wir können es den Bürgern nicht vorwerfen, daß sie die Untervermietung nicht mehr nötig haben.
Auf der anderen Seite sagen Sie, der Justizminister mache zuviel, aber die Bürger wollten etwas anderes; man brauche nur in die Fußgängerzonen der Großstädte zu gehen. Ich habe den Zentrumswahlkreis in München mit der größten Fußgängerzone weit und breit. Ich gehöre zu denjenigen Abgeordneten, die nicht nur in der Wahlkampfzeit, sondern auch sonst — ich z. B. noch im letzten Mai — in die Fußgängerzone gehen.
— Ich halte j a viel von intelligenten Zwischenrufen, aber von dummen sehr wenig.Ich möchte Ihnen sagen: Ich weiß sehr genau, was die Bürger wollen. Unsere Bürger verlangen von uns, daß wir sie in ihren Wohnungen besser schützen, als es jetzt der Fall ist.
Sie haben einmal den Versuch gemacht, die bestehenden Mieterschutzgesetze aufzuheben. Die Folge war eine Katastrophe. Daß wir eine Reihe von Schutzgesetzen erlassen mußten, war eigentlich nur die Folge davon, daß Sie sich immer für die Hauseigentümer einsetzen, während die Mieter für Sie keine Rolle spielen.
Wenn ich mir heute ansehe, was Sie in diesem Bereich wieder an Gesetzesvorschlägen vorgelegt haben, dann muß ich sagen: Das ist nichts anderes als ein großangelegtes Subventionierungsprogramm für Haus- und Grundeigentümer. An die Mieter denken Sie überhaupt nicht, wir dagegen sehr wohl.
— Ja, ja, die Bodenverhaftung, die Herr Gerster gemeint hat, sehe ich nur darin, daß Sie mit denen, die Grund und Boden als Eigentum haben, sehr verhaftet sind.
Sie haben gesagt, der Bundesjustizminister mache zuviel, die Bürger wollten etwas anderes. Wegen der Bodenständigkeit der SPD möchte ich den Herrn Justizminister ausdrücklich bitten,
gerade im Bereich des Mietrechts
— ach, mein Gott — das, was jetzt im Kabinett vereinbart worden ist, sehr zügig vorzulegen. Wir sollten uns in diesem Hause bemühen — in den Beratungen könnten Sie einmal zeigen, daß Ihnen nicht nur die Interessen der Haus- und Grundeigentümer am Herzen liegen —, daß die Mieter, die in den Großstädten von der Umwandlungsspekulation bedroht werden, davor geschützt werden.
Wir sollten uns darum bemühen, daß nicht eine Entwicklung einsetzt, die Sie wollen, indem Sie die alten Sozialwohnungen aus dem Bestand herausnehmen wollen. Die einzigen billigen Wohnungen sollten in dem Bestand bleiben. Sie sollten dazu beitragen — wie Sie es jahrelang gefordert haben —, daß derjenige, der ungerechtfertigte Vorteile hat, zu einer Fehlbelegungsabgabe herangezogen wird.
Da will ich Ihnen mal wieder ein Beispiel sagen, für das Sie sich interessieren werden. Sie schlagen jetzt plötzlich einen anderen Weg ein. Der bayerische Innenminister Tandler hat sich vor wenigen Wochen und Monaten noch feiern lassen, daß er die Absicht hatte, in Bayern eine Fehlbelegungsabgabe einzuführen. Was Sie jetzt machen, ist dies: Während wir eine Fehlbelegungsabgabe wollen, die dann der Allgemeinheit, nämlich den Ländern, zugute kommt,
wollen Sie diese Mieten nur erhöhen. Der Effekt ist, daß das, was einkommt, nur den Haus- und Grundeigentümern zur Verfügung gestellt wird und keine einzige Wohnung mehr gebaut wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2445
Schmidt
— Also, Herr Kollege Erhard, Sie sind viel zu erfahren, um nicht zu wissen, daß es Sozialwohnungen nicht nur in der Hand der Gemeinnützigen, sondern sehr viele Wohnungen auch in der Hand von privaten Bauherren gibt. Und ganz gleich, wen Sie jetzt angehen wollen: Es ist ein Unrecht in diesem Land bei einem Mangel an preisgünstigen alten Sozialwohnungen,
wenn Sie diese Wohnungen herausnehmen, die Mieten stark erhöhen und diejenigen, die keine preisgünstige Wohnung finden, plötzlich dafür bezahlen lassen wollen, um einen Kreis, dem es wirklich nicht schlecht geht, zu begünstigen.
Ich habe in dieser Haushaltsdebatte gehört — der Herr Kiep hat das gesagt —, daß es angeblich für die CDU/CSU bei der Prüfung des Abbaus von Subventionen und Vergünstigungen kein Tabu gibt. Ich möchte Ihnen nur eines sagen: All das, was Sie im Mietbereich vorgelegt haben, ist für mich nichts anderes als ein gigantisches Subventionierungsprogramm für die Haus- und Grundeigentümer in einer Zeit, wo alle anderen Opfer bringen müssen.
Herr Kollege Schmidt, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß Sie da sehr aufgeregt sind, weil Ihnen das nicht angenehm ist.
Ich habe zum Abschluß — —
— Ja, Herr Niegel, wenn Sie ihn gemacht hätten, dann könnte ich ihn nicht begreifen.
Aber er ist von Ihnen j a nur mitunterschrieben. So habe ich ihn, glaube ich, ganz gut verstanden.
Ich möchte den Bundesjustizminister ermuntern, in seinen Reformvorhaben fortzufahren und dabei bereits ganz besonders an einen Bereich zu denken, nämlich an den Schutz der Mieter, die dieses Schutzes bedürfen. — Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Engelhard das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst hat mich die Befürchtung beschlichen, daß ich meine Unterlagen nicht in Ordnung und mich im Tagesordnungspunkt geirrt habe. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Deswegen will ich gleich eingangs sagen, daß ich mich hier als Aussteiger melde. Ich habe nicht vor, mich an diesem Rundumschlag in der hier geführten Art — weder à la Gerster noch à la Schmidt —
in irgendeiner Weise zu beteiligen. Es wird zu den Themen, die zur Sprache gekommen sind, an anderer Stelle allerdings einiges zu sagen sein.
Herr Kollege Gerster, ich habe etwas erwartet — und ich würde mit Ihnen einig gehen, wenn Sie es etwas differenzierter gemacht hätten — zur Gesetzesflut und zu den geplanten Vorhaben des Justizministeriums. Das sind alles ganz sicher ernste Themen, und wir sind mit den Kollegen anderer Fraktionen wohl darin einig, daß die Qualität der Gesetzgebung ganz wesentlich davon abhängt, daß Kontinuität vorhanden ist,
und auch darin, daß die Erfolge nicht alleine an Zahlen abgelesen werden können.Ich hatte gedacht, Sie setzten sich als Mitglied des Haushaltsausschusses etwas detailliert mit den Forschungsvorhaben auseinander, die das Bundesjustizministerium eingeleitet hat und für die jetzt 1,2 Millionen DM bereitgestellt worden sind. Sie haben das nicht getan. Dazu ist natürlich einiges zu sagen. Herr Kollege Gerster, wenn Sie diesen Betrag ganz pauschal kritisieren und sagen, dies diene ja nur dazu, der Gesetzesflut neuen Auftrieb zu geben, übersehen Sie, daß der größte Teil dieses Betrags Forschungsvorhaben dient, die dazu eingeleitet werden, Erfolgskontrolle durchzuführen.
Rechtstatsachen benötigen wir, und der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages verlangt von der Bundesregierung bei allen Beratungen immer und immer wieder Rechtstatsachen. Es darf doch gar nicht wahr sein, daß langjährige und erfahrene Mitglieder des Rechtsausschusses vor noch gar nicht so langer Zeit anläßlich der Beratung eines strafrechtlichen Vorhabens ihre Meinung wie folgt untermauert haben: Wenn ich so meine Lokalpresse lese, dann gewinne ich den Eindruck, daß eine bestimmte Art von Gewaltkriminalität im Zunehmen begriffen ist. Weil das nicht sein darf, benötigen wir die Rechtstatsachenforschung. Nicht nur für künftige Vorhaben ist sie wichtig, sondern um das einer Überprüfung zu unterziehen, was wir in vergangenen Legislaturperioden unternommen haben und was heute geltendes Recht ist.Ich kann es hier nur stichpunktartig nennen: Ist es etwa überflüssig, den Erfolg zu kontrollieren, den Änderungen unserer Zivilprozeßordnung, Änderun-
Metadaten/Kopzeile:
2446 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Engelhardgen unserer Strafprozeßordnung gebracht haben? Ist es etwa überflüssig, Rechtstatsachenforschung zum Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zum Insolvenzrecht zu betreiben? Hierher gehört auch die interessante Frage — das zukunftgerichtet —: Welche Möglichkeiten der Konfliktlösung bestehen vor- und außergerichtlich? Denn das würde sicher nicht nur den Rechtsfrieden in unserem Lande stärken, sondern auch der Entlastung unserer Justiz dienen.Nun ist j a der Einzelplan 07 mit seinen knapp 350 Millionen DM kein Mammutetat. Man sieht also, daß Rechtsgewährung und Rechtsstaat von der Bundesebene her relativ wohlfeil bedient werden.
Herr Kollege Engelhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Ja, bitte.
Herr Kollege Engelhard, halten Sie es für erforderlich, daß der Bundesjustizminister z. B. eine grundsätzliche Überarbeitung und Neuvorlage des Schuldrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches vorbereitet, wobei er offenbar die Absicht hat, den Jahrtausendwechsel als besonderes Ereignis vorzubereiten, und dies vor dem Hintergrund, daß sämtliche Gesetze umfassender Art, die in den letzten Jahrzehnten neu gemacht worden sind, gesetzestechnisch in der Regel schlechter waren als die Regelungen, die wir im Bürgerlichen Gesetzbuch aus früherer Zeit hatten? Halten Sie die grundlegende Neuerung eines bewährten Gesetzes vor diesem Hintergrund für erforderlich, oder gibt es heute nicht dringendere Rechtsprobleme, die viel dringender gelöst werden müssen?
Herr Kollege Gerster, dies ist ein in die Zukunft zeigendes Vorhaben des Bundesjustizministeriums, das mir bekannt ist. Ich halte es nicht von vornherein für illegitim oder gar verwerflich, nach nunmehr 80 Jahren Bürgerliches Gesetzbuch auch unserem Schuldrecht eine gewisse Überprüfung angedeihen zu lassen. Ob dies im einzelnen zu dem führt, was wir dann für richtig halten, darüber werden wir uns zu unterhalten haben, wenn zumindest erst einmal Vorentwürfe vorliegen.
Aber ich möche mich, Herr Kollege Gerster, einer anderen Frage zuwenden, die, wie ich glaube, im Rechtsbereich einige Aufmerksamkeit beansprucht. Wir haben ja jetzt in der letzten Zeit eine verstärkte Diskussion darüber, ob unser Rechtsstaat nicht zunehmend als Richterstaat, als Rechtsmittelstaat mißverstanden wird. Dieses Thema ist nicht neu, aber ich greife es hier deswegen erneut auf, weil sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Benda, in der letzten Zeit mehrfach in diese Diskussion eingeschaltet hat. So hat etwa Professor Benda den interessanten Hinweis gegeben, daß wir einmal darüber nachdenken müssen, ob nicht die Kapazität und die Ressourcen der Rechtsgewährung auch im Rechtsstaat beschränkt seien.
Für mich drängt sich — jedes Beispiel hinkt; wir wissen es — fast die Parallele zum Umweltschutz auf. So wie wir mittlerweile erkannt haben, daß saubere Luft, sauberes Wasser und Energie eben nicht unbeschränkt vorhanden sind, so sollten wir auch in dem ganz anderen Bereich des Rechts einmal darüber nachdenken, ob es richtig sein kann, daß dem Bürger für jede, aber auch jede Kleinigkeit nicht nur ein hochbezahlter Richter angedient wird, sondern darüber hinaus auch — manchmal zu weit — ein umfangreicher Instanzenzug zur Verfügung steht.
Professor Benda hat dann bei einer anderen Gelegenheit die Frage gestellt: Wieviele Richter kann ein Staat, auch ein Rechtsstaat, eigentlich haben? Die Antwort darauf lautet, wie ich meine, nicht vordergründig so: erstens so viele, wie man braucht, um die gesetzten und gestellten Aufgaben erfüllen zu können, und zweitens so viele, wie man bezahlen kann. Ich meine umgekehrt, daß es eine Grenze gibt, deren Überschreitung den Wert der dann vorhandenen allzuvielen Richter und das, was sie an Recht sprechen, selbst in Zweifel zieht. Dadurch würde das Ansehen der Justiz und der Richter gemindert, weil es auf dieser Welt noch immer so ist: Nur das, was in einer beschränkten Zahl vorhanden ist, genießt wirklich Ansehen. Das, was man in einer unabsehbaren Zahl quasi auf der Straße finden kann, tut auch den Personen, die in diesem Bereich ihres Amtes zu walten haben, nicht gut.
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Herr Leonardy, hat vor einiger Zeit bei einem parlamentarischen Abend diesen Gedankengang aufgegriffen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Stadt Karlsruhe im Zuge ihrer Touristikwerbung ein Ausschreiben gemacht hat, zu dem man zügige Sprüche einreichen konnte. Einer dieser Sprüche lautete so schön: Karlsruhe hat viele Gesichter, jedes zweite gehört einem Richter
Soweit ist es auch in Karlsruhe noch nicht, wie Herr Leonardy hinzufügte. Er wollte damit aber deutlich machen, was auch im Rechtsstaat nicht sein darf.
Die Zeit verbietet es mir, einiges zu den Bußgeldsachen zu sagen. Ganz verkürzt nur eine Zahl: Wenn wir wissen, daß — umgerechnet — 740 Richter in dieser Republik ausschließlich mit Bußgeldsachen befaßt sind — das sind 5 010 aller Richter; das sind, was ich fast noch interessanter finde, mehr Richter, als in der gesamten wichtigen Arbeitsgerichtsbarkeit tätig sind —, dann sollten wir uns überlegen, was zu tun ist. Dies ist eine rechtspolitische Aufgabe, deren Bewältigung uns — weniger beim Bund, mehr bei den Ländern, auf lange Frist auch im Rahmen von Haushalt und Finanzen — gut zu Gesichte stünde.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2447
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einigem Interesse habe ich mich darauf eingerichtet, hier vom Sprecher der Opposition zu hören, an welcher Stelle eigentlich in dieser Haushaltsberatung seine Kritik am Justizministerium ansetzt. Sollten es die finanziellen Mittel sein, die bei uns wirklich sehr sparsam vorhanden sind und sehr sparsam eingesetzt werden? Sollte es das Sachprogramm sein? Herr Gerster, Sie haben es geschafft, beide Erwartungen zu enttäuschen. Sie sind oberflächlich über beides hinweggegangen, ohne genau zu sagen, worum es Ihnen eigentlich geht.
Wenn Sie rückblickend sagen, die Rechtspolitik dieser Koalition sei von einer Flut von Gesetzen und Reformen gekennzeichnet, so verweise ich auf die rechtspolitische Erklärung, die ich hier am 19. März 1981 abgegeben habe und in der ich Ihnen eingehend darlegen konnte, was alles nach den Versäumnissen in Ihrer Regierungszeit 1969 und in den folgenden Jahren notwendig war, wie der Reformstau abgebaut werden mußte, den Regierungen Ihrer Parteien hatten entstehen lassen.
Daß das wirklich notwendig war, das zeigt sich dann daran, daß ein Großteil, ja der wichtigste Teil, dieser von Ihnen jetzt beklagten und als überflüssig abgelehnten Reformen mit Ihrer Zustimmung zustande gekommen ist. Da frage ich Sie: Weshalb haben Sie dem überhaupt zugestimmt, wenn Sie sich heute davon distanzieren?
Wir kennen das z. B. von der Reform des Ehe- und Familienrechts, wo Sprecher Ihrer Parteien nicht müde werden, öffentlich auf Distanz zu gehen und Kritik aller möglichen Art zu äußern. Dabei ist das ein Vorhaben, das mit Ihrer Zustimmung zustande gekommen ist.
Ich halte das für sehr inkonsequent, was Sie da machen.
Ich habe Ihnen weiter darlegen können, daß es in dieser Wahlperiode nicht darum gehen wird, neue Reformvorhaben von diesem Rang anzufassen, sondern daß es jetzt vor allem darum geht, den Bestand zu bewahren
und behutsam weiterzuentwickeln, zu konsolidieren, abzurunden, zu überarbeiten, zu ergänzen und natürlich auch einige wenige neue Vorhaben, die wichtig sind, in Angriff zu nehmen. Ich habe weder in der Debatte im März noch heute von Ihnen gehört,
was Sie davon für überflüssig halten und was Sie ablehnen.
Wenn Sie jetzt hergehen und sagen, für Reformvorhaben und für Untersuchungen werde zuviel Geld ausgegeben, so sage ich einmal, daß es sich um einen Betrag von knapp über 1 Million DM für das Ministerium handelt, den Sie im Haushaltsausschuß noch gekürzt haben. Zum anderen: Was die Frage angeht, wofür das ausgegeben wird, so hat Herr Engelhard Ihnen schon gesagt, daß Rechtswirkungen von Gesetzen, die schon erlassen sind, geprüft werden und auch die Voraussetzungen für wichtige neue Vorhaben geprüft werden; ich nenne die Aufbereitung der Justizstatistik, das Projekt vor- und außergerichtliche Konfliktlösungen, die Erfolgskontrolle der Strafprozeßreform und anderes mehr. Da frage ich Sie wirklich, was sollen wir mit dem Rezept, zu diesen wichtigen und schwierigen Fragen auf die Straße zu gehen und den Bürger zu fragen, was er davon hält? Das ist doch ein sehr banaler Vorschlag, von dem Sie selbst wissen, daß er nicht geht und daß Sie ihn auch nicht praktizieren würden, wenn Sie an dieser Stelle ständen.
Den Kontakt mit dem Bürger haben wir durchaus. Wo ihn der Schuh drückt, das wissen wir recht gut. Aber dem abzuhelfen, erfordert mehr, als nur sein Ohr am Mund des Volkes zu haben.
Nur das zu tun, was populär ist — wenn Sie etwa gerade das Beispiel des Asyslrechts nehmen; den Arbeiter drücke, so sagten Sie, die Dauer des Asylrechts —, ist ein nicht qualifizierter und im Ergebnis möglicherweise verhängnisvoller Vorschlag.
Wir können dort, wo es um die Bewahrung und Ausgestaltung von Grundrechten geht und wo wir sorgfältig abwägen müssen, was wir etwa an Rechtsschutz vermindern, doch nicht nach einer Augenblicks- und Tagesstimmung handeln. Diesen Vorschlag wollen Sie doch wohl nicht wirklich machen?
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Herr Minister, würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß ich vor allen Dingen beanstandet habe, daß Sie gewissermaßen auf der Straße liegende Rechtsprobleme, die einer Lösung harren, nicht angehen und statt dessen mit kostenintensiven Mitteln künstlich nach neuen Reformvorhaben suchen, daß ich also angesichts dieser Ambivalenz darauf hingewiesen habe, daß Sie das lösen sollten, was tatsächlich ansteht und die Bürger berührt?
Sie haben sogar Beispiele für diese auf der Straße liegen-
Metadaten/Kopzeile:
2448 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Bundesminister Dr. Schmudeden Probleme, die man anfassen sollte, gebracht, Herr Gerster.
Ich habe Ihnen schon zum Asylrecht das Notwendige gesagt und kann noch ergänzen: Wollen Sie es wirklich verantworten, daß man hier, wo es um die Existenz geht, darangeht, den Betroffenen weniger Rechtsschutz zu gewähren als einem Kläger, der einen Bauprozeß oder einen Prozeß um eine Besoldungskürzung oder irgend etwas anderes durchficht? Wollen Sie das da verantworten, wo es um ein Grundrecht geht?
Sie haben da noch weitere Themen, die Hausbesetzer und das Mietrecht, angesprochen. Ich will das hier in der kurzen Zeit nicht vertiefen. Dazu hat Ihnen der Kollege Schmidt schon einiges gesagt.
Wenn Sie jetzt noch beanstanden, daß wir uns auch um die Frage kümmern, ob nicht das Schuldrecht dieses 80 Jahre alten Bürgerlichen Gesetzbuches einer Überarbeitung und Zusammenfassung bedarf, dann machen Sie es sich entschieden zu leicht. Hier geht es nicht um die Ausweitung der Normenflut, hier geht es nicht darum, krampfhaft irgendein neues Unternehmen zu suchen, sondern darum, Folgerungen daraus zu ziehen, daß sich wichtige schuldrechtliche Grundsätze außerhalb dieses Gesetzes entwickelt haben, daß unser Schuldrecht sich heute in 80, in 100, in 200 Gesetzen verstreut wiederfindet und es für den Bürger gar nicht auffindbar ist, oft auch nicht für den Fachmann. Hier geht es darum, in aller Ruhe, in aller Sorgfalt ein Werk vorzubereiten, das weniger Normen, mehr Übersichtlichkeit, mehr Einfachheit für unsere Rechtsordnung bringt. Das sollten Sie im Ernst nicht kritisieren.
Ich greife gerne auf, was Sie, Herr Engelhard, zu der Frage gesagt haben, ob es nicht in einzelnen Bereichen unseres Verfahrensrechts zu viele Rechtsmittel gebe. Sie wissen, wir sind im Justizministerium dabei, eine Neufassung des Ordnungswidrigkeitenrechts vorzunehmen, weil gerade in diesem Bereich eine Flut von Verfahren über die Gerichte hereinschwappt, die sich innerhalb von wenigen Jahren, von 1971 bis 1978, vervielfacht hat. Nur haben wir uns da jetzt schon mit der öffentlichen Kritik auseinanderzusetzen, hier würden die Rechte des Betroffenen verkürzt. Wir werden mit aller Sorgfalt prüfen, was an Kritik kommt. Es kann aber nicht dabei bleiben, daß in diesem Bereich — Sie haben das richtig gekennzeichnet — richterliche Arbeitskraft in einem Unmaße gebunden wird, während sie uns sonst dringend fehlt.
Mir ist, um noch einmal zu Ihnen zu kommen, Herr Gerster, nicht klargeworden, wo Sie im Justizetat die Millionen für neue Reformen kürzen wollen. Sie hätten im einzelnen sagen sollen, was Ihnen nicht paßt, dann hätten wir darüber reden können; so ist das hier nicht möglich. So kann ich auch Ihren Vorwurf nur als unberechtigt zurückweisen.Zusammenfassend, meine Damen und Herren, möchte ich die Gelegenheit nicht versäumen, mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses zwar nicht für die Mittel, die meinem Ressort zugewiesen worden sind — das hätte ruhig ein bißchen mehr sein dürfen —, aber für das Verständnis und für die sachliche Arbeit zu bedanken. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 07 liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Hierzu liegt auf Drucksache 9/526 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der CDU/CSU vor. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einzelplan 07 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 19Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/486 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerster WaltherWird von den Herren Berichterstattern das Wort gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 19. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einzelplan 19 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe auf:Haushaltsgesetz 1981— Drucksachen 9/498, 9/514 —Berichterstatter:Abgeordnete Walther HoppeCarstens Dr. Zumpfort
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2449
Vizepräsident LeberWird von den Herren Berichterstattern das Wortgewünscht? — Das ist nicht der Fall.Mir liegen Wortmeldungen zu einer kurzen Aussprache vor. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Kollegin Berger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Sätze zur Begründung unserer Entschließungsanträge auf den Drucksachen 9/540 und 9/541.
Ich komme erstens zum Antrag auf Drucksache 9/540, zur globalen Minderausgabe, wie man haushaltstechnisch nennt, was besser Einsparungsauflage heißen sollte. Sie ist ein Notbehelf, dessen man sich immer dann bedient, wenn die veranschlagten Einnahmen nicht reichen, um die vorgesehenen Ausgaben auszugleichen.
Zugleich stellen globale Minderausgaben die überkommene Rollenverteilung zwischen Parlament und Regierung leider völlig auf den Kopf. Während traditionell das Parlament die Ausgabenwünsche der Regierung in ganz konkreten Einzelpunkten kürzt, bleibt es beim Vollzug der Einsparungsauflage allein der Regierung überlassen, darüber zu befinden, wo denn nun die von uns bewilligten Ausgaben beschnitten werden sollen. Das ist ohne Zweifel ein Stück Verzicht auf das Budgetrecht des Parlaments, und dem soll die in unserem Antrag geforderte Berichtspflicht wenigstens ansatzweise — wenn auch sicherlich nicht optimal — entgegenwirken.
Zugleich liegt darin ein Stück Kontrolle, ob die Sparauflage von der Regierung auch wirklich eingehalten wird. Diese Kontrolle ist, wie wir wissen, weil wir es leidvoll zur Kenntnis nehmen mußten, mehr als nötig. Die Kassen sind so leergefegt, daß sich auch mit der Krümelbürste in den Etatansätzen kaum noch Bodensatz zusammenkehren läßt.
Im Jahre 1980 hat der Herr Finanzminister die Minderausgaben von über 3 Milliarden DM nur zur Hälfte eingespart, und das, was von ihm erwirtschaftet worden ist, wurde zu drei Vierteln bei den Investitionen weggenommen. Der Minister ist der selbstgesetzten Sparauflage höchst unzureichend nachgekommen. Damit sich das nicht wiederholt, muß das Parlament die Kontrolle behalten, wofür hoffentlich ja auch die Kollegen von der SPD und der FDP sein werden.
Der zweite Antrag auf Drucksache 9/541 betrifft den Investitionsbegriff im Haushalt. 1978 steckte sich der Bundesfinanzminister wieder einmal das hohe Ziel, den Bundeshaushalt nun endlich umzustrukturieren und den Anteil der Investitionen auszubauen. Ergebnis der Bemühungen: Die Ausgaben für Investitionen stagnieren seit 1979, ihr Anteil am Gesamtaufkommen ist niedriger denn je.
In dieser Lage tat Herr Minister Matthöfer nun das, was die Bundesregierung immer macht, wenn sie nicht mehr so recht weiter weiß: Er bestellte ein Gutachten, von dem er sich versprach, daß es den Investitionsbegriff erweitern würde.
Die Gutachter taten ihm den Gefallen nicht so recht. Das solchermaßen erhoffte Wunder der Investitionsvermehrung fand nicht statt. Auf eine Kleine Anfrage hin mußte der Minister zugeben, daß er im Haushalt 1980, gemessen an den Kriterien des Gutachtens, 3,5 Milliarden DM als Investitionen ausgewiesen hatte, die überhaupt keine Investitionen waren.
Bei diesem Ergebnis liegt es nun auf der Hand, daß dem Gutachten das gleiche Schicksal droht wie all den anderen über 1000 Gutachten, die von der Regierung Jahr um Jahr erstellt werden: feierliche Übergabe — lesen — keine Konsequenzen — weglegen.
Diese Absicht des Ministers ist erkennbar. Um das zu verhindern, haben wir diesen Antrag vorgelegt, dessen Annahme ich Ihnen im Namen der CDU/ CSU-Fraktion sehr empfehle. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Walther.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Frau Kollegin Berger die beiden Anträge, die j a eigentlich erst morgen zur Abstimmung stehen — so ist es jedenfalls beantragt; es steht dort nicht „zur zweiten Lesung", sondern zur „dritten Beratung" —, liebenswürdigerweise relativ unpolemisch begründet hat,
will ich auch vergleichsweise glimpflich verfahren.
Mir bleibt es gleichwohl nicht erspart, Frau Kollegin Berger, bei aller Wertschätzung darauf hinzuweisen, daß gerade Ihr Kollege Carstens, der sich jetzt schon zur Zwischenfrage gemeldet hat, im letzten Jahr der vehementeste Kämpfer im Haushaltsausschuß für eine Erhöhung der globalen Minderausgabe gewesen ist. Daß er in der Zwischenzeit, offenbar vom Kollegen Kiep belehrt, dazu gekommen ist, die globale Minderausgabe doch nicht für ein solches Wundermittel anzusehen wie im letzten Jahr, das ehrt ihn zwar. Aber ich finde es wirklich witzig, wenn Sie nun so tun, als seien Sie der Erfinder der Abschaffung der globalen Minderausgabe.
Herr Kollege Walther, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kolleg Walther, darf ich Ihnen sagen, daß jetzt die Aussprache zum Haushaltsgesetz stattfindet und daß die Kollegin Berger im Rahmen der Aussprache die beiden Anträge begründet hat, wie wir das im Laufe der heutigen, gestrigen und vorgestrigen Debatte mit vielen Anträgen gemacht haben, und darf ich Ihnen bei der Gelegenheit, weil Sie mich soeben angesprochen haben, sagen — —
Metadaten/Kopzeile:
2450 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Herr Kollege, Sie sollen keine Ausführungen machen, sondern Sie wollten, glaube ich, eine Frage stellen.
Das geht alles von meiner Redezeit ab!
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Walther, ob Sie wissen, daß ich gestern in meiner Rede zum Ausdruck gebracht habe, weswegen wir uns so verhalten haben, so daß ich gar nicht verstehen kann, weswegen Sie noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen?
Herr Kollege Carstens, ich verstehe ja, daß Ihnen nicht gefällt, daß ich auf Ihre eigenen Sünden vom letzten Jahr zurückkomme. Die globale Minderausgabe ist im Einzelplan 60 veranschlagt. Wenn schon, dann hätten Sie die Aussprache zum Einzelplan 60 benutzen müssen, um diesen Antrag hier zu debattieren. Aber ich will hierüber formal gar nicht streiten. Wir werden morgen, wie ich hoffe gemeinsam, diesen Antrag dem Haushaltsausschuß überweisen. Ich halte das für richtig, weil ich glaube, daß es keinen Sinn hat, uns hier öffentlich in wenigen Minuten darüber zu unterhalten, ob der Termin 30. September oder vielleicht ein späterer Termin vernünftig ist. Ich will darüber keinen Streit mit Ihnen beginnen, sondern schon heute ankündigen, daß wir dafür plädieren, diesen Antrag morgen dem Haushaltsausschuß zur weiteren Beratung zu überweisen.
Wenn Sie darauf bestehen sollten, den zweiten Antrag morgen zur Abstimmung zu stellen, müßten wir ihn ablehnen; aber ich hoffe, Sie werden bereit sein, mit uns gemeinsam einer Überweisung an den Finanz- und Wirtschaftsausschuß und an den Haushaltsausschuß zuzustimmen. Ich glaube, wir sollten uns über die Thematik ausführlicher unterhalten, als dies im Rahmen einer so relativ kurzen Debatte möglich ist.
Frau Kollegin Berger, ich weiß, das Thema, was unter den Begriff der öffentlichen Investition fällt, ist so alt wie die öffentliche Finanzwirtschaft überhaupt. Ich weiß, daß man lange darüber streiten kann. Ich weiß, daß man beispielsweise auch darüber streiten kann, ob nicht vieles, was bei der Verteidigung bei der Hauptgruppe 5 unter Sachausgaben verbucht wird, in Wahrheit Investitionen sind. Aber es hat keinen Sinn, so zu tun, als könnten wir das hier beim Bund allein entscheiden.
Dazu gibt es die Grundgesetzartikel 109 und 115; ich beziehe mich in diesem Zusammenhang insbesondere auf Art. 109 des Grundgesetzes. Wenn Sie wollen, lese ich ihn Ihnen vor. Danach müssen wir bei Festlegung solcher neuen Begriffe Länder und Gemeinden befragen, d. h. wir können eine Änderung nur mit Zustimmung von Ländern und Gemeinden durchführen. Diese Prozedur möchten wir gerne durchführen, und deshalb sage ich für uns schon heute: Wir sind gern bereit, uns ganz seriös und ernsthaft mit der Thematik, die Sie angesprochen haben, zu befassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns morgen ohne jedweden Streit auf eine Überweisung an die Ausschüsse einigen könnten. Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen dann zur Einzelberatung und zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1981 in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 24, 26 bis 31 und 33 bis 36, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Haushaltsgesetz 1981 ist in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt II der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksache 9/409 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/517 —
Berichterstatter: Abgeordneter Peter
Wird das Wort von dem Herrn Berichterstatter gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist nicht der Fall
— Das habe ich nicht gesehen. Das tut mir außerordentlich leid. Wünschen Sie das Wort als Berichterstatter?
— Dann eröffne ich die Aussprache, und Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz, dem der Ausschuß, soviel ich weiß, ohne Gegenstimme zugestimmt hat, enthält eine Regelung, gegen die ich in rechtsstaatlicher Hinsicht allergrößte Bedenken habe. Was man einmal in einem Erlaß geregelt hatte, hat man jetzt in die Form eines Paragraphen, den wir hier beschließen, gegossen, um zu sagen, dann wäre das Verfahren rechtsstaatlich. Dieser Paragraph gibt der betroffenen Verwaltung jede Möglichkeit, zu tun und zu handeln, was und wie sie will. Das verstößt ebenso gegen ein Grundrecht — der Justizminister ist nicht mehr da — wie das, was er beim Asylrecht besorgt. Wenn man die Frau eines Asylanten oder die Frau eines hier beschäftigten Fremdarbeiters auf vier Jahre vom Arbeiten ausschließt und fünf, sechs und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2451
Erhard
sieben Gummikautelen in einen Paragraphen hineinschreibt und dann noch sagt, das sei überprüfbar und rechtsstaatlich, dann sind wir am Ende. Das ist die Eröffnung für reine Willkür in der betroffenen Verwaltung. Ich für meine Person stimme dem Gesetz aus diesem Grunde nicht zu.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Einzelberatung und zur Abstimmung.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift, mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Mit Mehrheit in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte III bis V und den Zusatzpunkt auf:III. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/ EWG— Drucksache 9/428 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußIV. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Baustatistikgesetzes— Drucksache 9/436 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOV. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung
— Drucksache 9/451 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOErste Beratung des von den Abgeordneten Walther, Löffler, Grobecker, Gärtner und Genossen und den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches — Verwaltungsverfahren — — Drucksache 9/529 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung HaushaltsausschußWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/428, 9/436, 9/451 und 9/529 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates zu den Tagesordnungspunkten III bis V ersehen Sie aus der Tagesordnung. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 9/436, Tagesordnungspunkt IV, soll zusätzlich an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Das ist so; es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI auf:Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/422 —Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf der Drucksache 9/422, die in der Sammelübersicht 12 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte VII bis XV auf:VII. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der ersten Richtlinie 73/239/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung , insbesondere die touristische Beistandsleistung betreffend— Drucksachen 9/158 Nr. 17, 9/335 —Berichterstatter:Abgeordneter Rapp
VIII. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der ersten Richtlinie 73/239/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betr. die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung hinsichtlich der Kreditversicherung— Drucksachen 9/108 Nr. 57, 9/501 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Voss
Metadaten/Kopzeile:
2452 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren— Drucksachen 7/5082, 9/108 Nr. 54, 9/439 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. KreileX. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 234/68 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels— Drucksachen 9/252 Nr. 27, 9/431 —Berichterstatter: Abgeordneter BredehornXI. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den Unterrichtungen durch die BundesregierungEmpfehlung für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Abkommens der Regierung Kanadas und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Form eines Briefwechsels über ihre FischereibeziehungenEmpfehlung für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Fischereiabkommens zwischen der Regierung Kanadas und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft— Drucksachen 9/108 Nr. 19, 9/158 Nr. 13, 9/509 —Berichterstatter: Abgeordneter EigenXII. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über die Einführung eines Marktbeobachtungssystems im BinnenverkehrVorschlag einer Entscheidung des Rates über ein Marktbeobachtungssystem im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsgüterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksachen 9/108 Nr. 33, 9/432 —Berichterstatter:Abgeordneter DaubertshäuserXIII. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates über Maßnahmen zur Förderung des kombinierten VerkehrsVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1107/70 zwecks Ergänzung der Beihilferegelung im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr durch die Aufnahme von Bestimmungen über den kombinierten Verkehr— Drucksachen 9/127 Nr. 21, 9/433 —Berichterstatter: Abgeordneter FeinendegenXIV. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Entscheidung des Rates zur Einführung eines Informations- und Beratungsverfahrens betreffend die Beziehungen und Abkommmen mit Drittländern im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr— Drucksachen 9/127 Nr. 18, 9/434 —Berichterstatter: Abgeordneter IbrüggerXV. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung einer Beihilfe des Europäischen Sozialfonds zur Sicherung des Einkommens der Arbeitnehmer im Schiffbau— Drucksachen 9/260, 9/512 —Berichterstatter: Abgeordneter SielerWird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier keine Aussprache zu Details dieser Vorlagen eröffnen. Ich habe sie mir angeguckt und festgestellt, daß in einer Reihe von Vorlagen nicht berichtet wird, welchen Standpunkt das Europäische Parlament zu den genannten Problemen einnimmt. Ich wäre sehr dankbar, wenn uns in Zukunft berichtet würde, was das dafür ja auch zuständige Europäische Parlament zu diesen einzelnen Vorlagen sagt. Das würde unsere Willensbildung insbesondere dann erleichtern, wenn wir selber einen die Vorschläge nicht ganz billigenden oder ablehnenden Standpunkt einnehmen.
Ich bedanke mich, Herr Präsident, daß ich diese Bemerkung machen durfte.
Ich nehme an, das ist eine Anregung, die die beiden in Betracht kommenden Ausschüsse zur Kenntnis nehmen werden.Weiter wird das Wort nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Ich lasse über die folgenden Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1981 2453
Vizepräsident LeberWer den Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 9/335, 9/501, 9/439, 9/431, 9/509, 9/432, 9/433, 9/434 und 9/512 zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Mit Mehrheit so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Juni 1981, 9 Uhr zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1981 ein.Die Sitzung ist geschlossen.