Herr Kollege Gerster, dies ist ein in die Zukunft zeigendes Vorhaben des Bundesjustizministeriums, das mir bekannt ist. Ich halte es nicht von vornherein für illegitim oder gar verwerflich, nach nunmehr 80 Jahren Bürgerliches Gesetzbuch auch unserem Schuldrecht eine gewisse Überprüfung angedeihen zu lassen. Ob dies im einzelnen zu dem führt, was wir dann für richtig halten, darüber werden wir uns zu unterhalten haben, wenn zumindest erst einmal Vorentwürfe vorliegen.
Aber ich möche mich, Herr Kollege Gerster, einer anderen Frage zuwenden, die, wie ich glaube, im Rechtsbereich einige Aufmerksamkeit beansprucht. Wir haben ja jetzt in der letzten Zeit eine verstärkte Diskussion darüber, ob unser Rechtsstaat nicht zunehmend als Richterstaat, als Rechtsmittelstaat mißverstanden wird. Dieses Thema ist nicht neu, aber ich greife es hier deswegen erneut auf, weil sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Benda, in der letzten Zeit mehrfach in diese Diskussion eingeschaltet hat. So hat etwa Professor Benda den interessanten Hinweis gegeben, daß wir einmal darüber nachdenken müssen, ob nicht die Kapazität und die Ressourcen der Rechtsgewährung auch im Rechtsstaat beschränkt seien.
Für mich drängt sich — jedes Beispiel hinkt; wir wissen es — fast die Parallele zum Umweltschutz auf. So wie wir mittlerweile erkannt haben, daß saubere Luft, sauberes Wasser und Energie eben nicht unbeschränkt vorhanden sind, so sollten wir auch in dem ganz anderen Bereich des Rechts einmal darüber nachdenken, ob es richtig sein kann, daß dem Bürger für jede, aber auch jede Kleinigkeit nicht nur ein hochbezahlter Richter angedient wird, sondern darüber hinaus auch — manchmal zu weit — ein umfangreicher Instanzenzug zur Verfügung steht.
Professor Benda hat dann bei einer anderen Gelegenheit die Frage gestellt: Wieviele Richter kann ein Staat, auch ein Rechtsstaat, eigentlich haben? Die Antwort darauf lautet, wie ich meine, nicht vordergründig so: erstens so viele, wie man braucht, um die gesetzten und gestellten Aufgaben erfüllen zu können, und zweitens so viele, wie man bezahlen kann. Ich meine umgekehrt, daß es eine Grenze gibt, deren Überschreitung den Wert der dann vorhandenen allzuvielen Richter und das, was sie an Recht sprechen, selbst in Zweifel zieht. Dadurch würde das Ansehen der Justiz und der Richter gemindert, weil es auf dieser Welt noch immer so ist: Nur das, was in einer beschränkten Zahl vorhanden ist, genießt wirklich Ansehen. Das, was man in einer unabsehbaren Zahl quasi auf der Straße finden kann, tut auch den Personen, die in diesem Bereich ihres Amtes zu walten haben, nicht gut.
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Herr Leonardy, hat vor einiger Zeit bei einem parlamentarischen Abend diesen Gedankengang aufgegriffen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Stadt Karlsruhe im Zuge ihrer Touristikwerbung ein Ausschreiben gemacht hat, zu dem man zügige Sprüche einreichen konnte. Einer dieser Sprüche lautete so schön: Karlsruhe hat viele Gesichter, jedes zweite gehört einem Richter
Soweit ist es auch in Karlsruhe noch nicht, wie Herr Leonardy hinzufügte. Er wollte damit aber deutlich machen, was auch im Rechtsstaat nicht sein darf.
Die Zeit verbietet es mir, einiges zu den Bußgeldsachen zu sagen. Ganz verkürzt nur eine Zahl: Wenn wir wissen, daß — umgerechnet — 740 Richter in dieser Republik ausschließlich mit Bußgeldsachen befaßt sind — das sind 5 010 aller Richter; das sind, was ich fast noch interessanter finde, mehr Richter, als in der gesamten wichtigen Arbeitsgerichtsbarkeit tätig sind —, dann sollten wir uns überlegen, was zu tun ist. Dies ist eine rechtspolitische Aufgabe, deren Bewältigung uns — weniger beim Bund, mehr bei den Ländern, auf lange Frist auch im Rahmen von Haushalt und Finanzen — gut zu Gesichte stünde.