Rede von
Manfred
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Gerster hat gerade kritisiert, daß wir gesellschaftliche Veränderungen durch Gesetze durchgeführt hätten. Dies ist zutreffend. Ich frage aber, wie in einem Rechtsstaat tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen durchgeführt werden sollen, wenn nicht durch Gesetze!
Jetzt könnten Sie sagen — das werden Sie wahrscheinlich tun —: Die waren aber gar nicht notwendig. Da empfehle ich Ihnen nur eines: Lesen Sie einmal die Regierungserklärung von Kurt Georg Kiesinger nach; schauen Sie sich an, wie er damals zugeben mußte, was alles versäumt worden war und was an gesellschaftlichen Veränderungen erforderlich sei! Wir werden auch in der Zukunft diese Gesellschaft durch Gesetze reformieren. Wenn wir es so machten wie Sie, daß wir sagten, diese Gesellschaft wird nicht mehr reformiert, dann ist diese Gesellschaft tot.
Sie haben gesagt, es blicke keiner mehr durch.
Wissen Sie, neu ist das Argument nicht, daß da keiner mehr durchblickt. Darum bringe ich jetzt ein Zitat aus dem Jahre 1898.
Da schreibt ein Herr Anton Menger — —
— Hören Sie doch einmal zu! Das ist ja etwas, was Sie auch gesagt haben. Das müßte Sie doch eigentlich interessieren! — Er schreibt im Jahre 1898:
Heute, wo die Gesetze jedes Kulturstaates ganze Bibliotheken füllen und wo kaum jemand gefunden wird, der das ganze Rechtssystem seines Landes auch nur oberflächlich kennt, ist die Voraussetzung, daß jeder Staatsbürger alle Gesetze kennt, die lächerlichste aller Fiktionen.
Genau diese lächerliche Fiktion, daß jeder Staatsbürger alle Gesetze kennen soll, haben Sie heute wieder als Forderung aufgestellt. Wissen Sie, seit dem Jahr 1898 haben Sie nichts, aber auch gar nichts dazugelernt.