Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kol-legen, ich begrüße Sie alle herzlich.Auf der Ehrentribüne hat seine Exzellenz der Pre-mierminister der Republik Singapur, Herr Lee, mitseiner Delegation Platz genommen.
Herr Premierminister, ich begrüße Sie herzlich im Na-men der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wirfreuen uns, dass Sie sich im Rahmen Ihres Besuches inDeutschland die Zeit genommen haben, den DeutschenBundestag zu besuchen. Ich wünsche Ihnen einen ange-nehmen und erfolgreichen Aufenthalt in Deutschland.Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. HermannOtto Solms feierte am 24. November 2005 seinen65. Geburtstag.
Ich möchte ihm im Namen des ganzen Hauses herzlichgratulieren und alles Gute wünschen. Es fängt wieder al-les sehr einvernehmlich an.Sodann teile ich Ihnen mit, dass der KollegeDr. Günther Beckstein am 23. November 2005 auf seineRedetMitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat.
– Es gibt irreversible Entscheidungen im Leben; diesegehört dazu. – Als Nachfolgerin begrüße ich die Kolle-gin Dorothee Mantel, die wir bereits aus der vergange-nen Wahlperiode kennen, sehr herzlich.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der BundesregierungEntwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
Entwurfs eines Gesetzes über den Betrieb elektronischerMautsysteme
– Drucksache 16/32 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatistische Erhe-
– Drucksache 16/36 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft u. TechnologieInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Arbeit und Sozialesd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2005zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kö-nigreich der Niederlande über die grenzüberschreitendepolizeiliche Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit instrafrechtlichen Angelegenheitenext– Drucksache 16/57 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm,Dr. Thea Dückert, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Hong-kong als Zwischenschritt einer fairen und entwicklungs-orientierten Welthandelsrunde– Drucksache 16/86 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft underschutz für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für wirtschaftliche Zusammenarbeit undngeingebrachten 27. Novem-AusschussVerbrauchAusschussAusschussEntwicklu
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Präsident Dr. Norbert LammertZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und derSPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg inein steuerliches Sofortprogramm– Drucksache 16/105 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oskar Lafontaine,Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIELINKE: Hedgefondszulassung zurücknehmen– Drucksache 16/113 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-ChristianStröbele, Anna Lührmann, Volker Beck , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Abrissmoratorium für den Palast der Republik– Drucksache 16/60 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
InnenausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau, Dr. GesineLötzsch, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE: Abriss des Palastes der Republikstoppen– Drucksache 16/98 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
InnenausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschussZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Fleischskandalen:Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kon-trollen–Drucksache 16/111 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für GesundheitVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann istdas so beschlossen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Konsti-tuierung des Bundestages und seiner Ausschüsse, die wirheute Morgen vorgenommen haben, und nach der Wahlund Bildung der Bundesregierung beginnt nun die Erle-digung der konkreten Aufgaben, für die wir gewähltsind. An der Ernsthaftigkeit der Bemühungen auf allenSeiten gibt es keinen Zweifel. Es wäre ganz schön, wennwir uns dabei das Maß an Gelassenheit und auch anFröhlichkeit aus den konstituierenden Sitzungen bewah-rtdsfIbadwsdraFsmmwaEapGrvsdhiadIu
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:Regierungserklärung der Bundeskanzlerinmit anschließender AusspracheNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie heutige Aussprache nach der Regierungserklärungechseinhalb Stunden, für die morgige zehn Stunden undür die am Freitag weitere drei Stunden vorgesehen.
ch sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das soeschlossen.Zur Regierungserklärung liegt je ein Entschließungs-ntrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke under Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über dieir heute im Anschluss an die Generalaussprache ab-timmen werden.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatie Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mirus aktuellem Anlass zunächst eine Bemerkung. Seitreitag vergangener Woche werden im Irak eine deut-che Staatsangehörige und ihr irakischer Fahrer ver-isst. Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisseüssen wir davon ausgehen, dass die beiden entführtorden sind. Die Bundesregierung und – ich bin sicher –uch das gesamte Hohe Haus verurteilen diese Tat mitntschiedenheit.
Eines ist für die Bundesregierung und, wie ich denke,uch für dieses Parlament klar: Wir lassen uns nicht er-ressen.
enauso klar ist: Alle Anstrengungen der Bundesregie-ung sind in dieser Situation darauf gerichtet, das Lebenon Susanne Osthoff und ihres irakischen Begleiters zuchützen und ihre Freilassung zu erreichen. Unsere Ge-anken sind in diesen Stunden und Tagen bei den Ange-örigen und Freunden der Betroffenen. Wir fühlen mithnen. Sie sollen wissen: Alle Deutschen nehmen Anteilm Schicksal der Entführten und alle Deutschen empfin-en eine tiefe Solidarität und Verbundenheit mit ihnen.
hnen allen möchte ich versichern: Die Bundesregierungnternimmt alles, was in ihrer Macht steht, um die deut-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelsche Staatsangehörige und ihren Fahrer so schnell wiemöglich in Sicherheit zu bringen.Noch wissen wir nichts über die Motive oder die Hin-tergründe. Daher verbieten sich voreilige Schlussfolge-rungen.Aber es ist ganz grundsätzlich festzuhalten: Derinternationale Terrorismus ist unverändert eine dergrößten Herausforderungen für die Staatengemeinschaft.Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus dürfenwir nicht nachlassen. Er richtet sich gegen das, was unswichtig ist und was den Kern unserer Zivilisation aus-macht: Er richtet sich gegen unser gesamtes Wertesys-tem, gegen Freiheit, Toleranz, Respekt und die Achtungder Menschenwürde, gegen Demokratie und Rechts-staatlichkeit. Würden wir diese Werte aufgeben, würdenwir uns selbst aufgeben.
Meine Damen und Herren, noch etwas spüren wir indiesen Stunden, etwas, das unser Land auszeichnet: Vordem Leid anderer verschließen wir weder unsere Augennoch unsere Herzen. Wir wissen, was Solidarität ver-mag. Wir haben erfahren, welche Kraft aus der Gemein-schaft und aus der Nächstenliebe erwachsen kann. Wirsind uns bewusst, dass ein Volk mehr ist als eine loseAnsammlung von Individuen, und wir wissen, dass einVolk auch immer eine Schicksalsgemeinschaft ist. Wennwir diese Erkenntnis beherzigen, können wir darausKraft und Zuversicht schöpfen, mit denen wir auch diesegroßen Herausforderungen meistern können.Meine Damen und Herren, dieses Signal aus diesemHohen Haus am Anfang der Debatte ist mir sehr wichtig.Wir haben uns nämlich zusammengefunden, um heuteund in den nächsten Tagen die erste Regierungserklä-rung der neuen Bundesregierung zu diskutieren. Ich darfSie zu Beginn fragen: Für wen mag das heute wohl diegrößte Überraschung sein? Wer hätte noch vor einigenWochen und Monaten gedacht, dass heute eine großeKoalition antritt, um unser Land gemeinsam in die Zu-kunft zu führen?
Wer hätte gedacht, dass SPD und Union so viel Verbin-dendes entdecken, dass sie ein dichtes Programm fürvier Jahre vorlegen?
Wer hätte gedacht, dass mein Koalitionspartner von ei-nem Parteivorsitzenden aus Brandenburg angeführtwird? Wer hätte gedacht, dass das höchste Regierungs-amt schon in diesem Jahr einer Frau übertragen wird?Wer hätte das alles gedacht?
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Alle Wege vor 1989 endeten an einer Mauer, die nurenige Meter von diesem Platz entfernt unser Land fürlle Zeit zu zerschneiden schien. Wenn Sie schon einmaln Ihrem Leben so positiv überrascht wurden, dann hal-en Sie vieles für möglich. Dabei möchte ich bleiben.
Ich habe die neue Koalition eine „Koalition dereuen Möglichkeiten“ genannt. Ich wünsche mir, dassie unserem Land und allen Deutschen neue Möglichkei-en eröffnet, und ich wünsche mir, dass wir diese Chan-en dann auch wirklich nutzen und wahrnehmen. Daseißt für mich konkret: Der Anspruch der neuen Bundes-egierung an sich und an das Land ist nicht gering. Wirollen die Voraussetzungen schaffen, dass Deutschlandn zehn Jahren wieder zu den ersten drei in Europa ge-ört. Ich finde, das ist ein legitimer und wichtiger An-pruch.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz, die sozi-le Markwirtschaft, die duale Berufsausbildung, all dasaren Ideen, die die Menschen in der gesamten Welt in-pirierten. In Deutschland wurde das erste Auto gebautnd der erste Computer, in Deutschland wurde das Aspi-in entwickelt. Von diesen Innovationen zehren wir nocheute. Warum soll uns das, was uns früher und was unsu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland, in denrsten Gründerjahren, gelungen ist, heute, in den – wiech sage – zweiten Gründerjahren, nicht wieder gelin-en?
assen Sie uns also alle damit überraschen, was wir iniesem Lande können.Eine große Koalition zweier unterschiedlicher Volks-arteien eröffnet die ganz unerwartete Möglichkeit, zuragen, was wir gemeinsam besser machen können – ohnens dabei dauernd mit Schuldigkeiten aufzuhalten, ohneauernd mit dem Finger auf den anderen zu zeigen undu fragen, welchen Missstand der andere – natürlichanz allein – herbeigeführt hat. Denn eines ist klar: Wirlle, ob wir es zugeben oder nicht, tragen Verantwortungafür, dass wir heute die Möglichkeiten unseres Landesoch nicht voll ausschöpfen: Unser Wachstum kommteit Jahren nicht mehr richtig in Schwung, die Verschul-ung ist in erschreckende Höhen gestiegen, der Aufhol-rozess der neuen Bundesländer ist seit Jahren gestopptnd ohne den Automobilsektor wäre Deutschland nichtehr ein solches Hightechland, wie ich mir das
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelwünsche. PISA zeigt, dass wir an vielen Stellen nichtmehr einfach sagen können: Wir sind eine Bildungs-nation. Den rapiden Wandel der Arbeitswelt haben wirnoch nicht bewältigt. Deutschland ist nicht hinreichendauf die demographischen Veränderungen vorbereitet.Auch auf die Bedrohungen neuer Art und die fließendenGrenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit habenwir noch keine umfassenden Antworten gefunden.Meine Damen und Herren, wir alle kennen die Pro-bleme und ich kann sagen: Die große Koalition hat dieLage unseres Landes ehrlich analysiert und wir habenauch gemeinsam die Chance erkannt, die Möglichkeitenunseres Landes besser zu nutzen. Warum sollten wirnicht alle damit überraschen, was in diesem Land gelin-gen kann?Wir wissen, wir haben dicke Bretter zu bohren: Wirwollen den Föderalismus neu ordnen, wir wollen denArbeitsmarkt fit machen, wir wollen unsere Schulen undHochschulen wieder an die Spitze führen, wir wollen un-sere Verschuldung bändigen und unsere Gesundheits-und Renten- und Pflegesysteme in Ordnung bringen.Niemand kann uns daran hindern – außer wir selbst.Deshalb lassen Sie uns verzichten auf die eingeübten Ri-tuale, auf die reflexhaften Aufschreie, wenn jemand et-was verändern will. Es sollte wirklich einmal möglichsein, dass wir in dieser großen Koalition dieses alles hin-ter uns lassen und neue Wege gehen.
Bei der Vorbereitung auf diese Regierungserklärunghabe ich viel darüber nachgedacht, wie ich alle Gruppenerwähnen und würdigen kann, die für das Miteinander inunserem Land so wichtig sind. Ich habe darüber nachge-dacht, ob ich Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften,Kirchen und Religionsgemeinschaften alle einzeln be-nennen soll. Ich habe mich am Ende dafür entschieden,auf eine solche Auflistung zu verzichten. Denn es gehtnicht um Gruppen – es geht um uns alle, es geht um un-ser Gemeinwesen, um unsere gemeinsame Zukunft.
Überraschen wir uns deshalb damit, dass wir die gro-ßen Fragen nicht immer aufgegliedert nach Einzelfragenund -interessen angehen, sondern einmal im Zusammen-hang. Überraschen wir uns damit, dass wir sachlich, fair,ehrlich alles angehen und gemeinsam lösen. Bei allenAufgaben, die wir vor uns haben, sollten wir nicht ver-gessen: Frühere Generationen, die, die vor uns Problemezu lösen hatten, hatten ungleich größere Probleme; den-ken wir an den Aufbau nach dem Krieg in West und Ost,denken wir an die historische Leistung der Ostdeut-schen, friedlich eine Diktatur zu überwinden. Dagegenist unsere heutige Lage beneidenswert.Sicher: Licht und Schatten liegen an vielen Stellensehr eng beieinander; ich nenne den Aufbau Ost. Aberfestzuhalten bleibt doch: 15 Jahre nach der deutschenEinheit ist Gigantisches geleistet worden. Mit Transfer-zahlungen von jährlich 4 Prozent des Sozialprodukts istes gelungen, die neuen Bundesländer wieder aufzu-bauen. Ich möchte von dieser Stelle aus allen inDhbrdg1zimdUDpmumskIDesMSuLSnbktlbsJSSngA
Die Umwelt erholt sich, die Infrastruktur ist ausge-aut, in wenigen Tagen wird – das sei mir als Bewohne-in von Mecklenburg-Vorpommern gestattet zu sagen –as letzte Stück der Ostseeautobahn dem Verkehr über-eben. Das sind nur einige Beispiele dafür, was wir in5 Jahren alles geschafft haben.Auch sonst bietet unser Land großartige Vorausset-ungen, die wir nun endlich nutzen sollten: Deutschlandst Exportweltmeister. In keinem Land in Europa werdenehr Patente angemeldet. Gerade wurde wieder eineutscher Wissenschaftler mit einem Nobelpreis geehrt.
nsere kulturelle Vielfalt ist einzigartig.
eutschland ist das Land der Ideen, wie der Bundes-räsident sagt. Zu einem Land der Ideen gehört nacheiner Auffassung eine Regierung der Taten. Und diesensere Bundesregierung hat sich viele Taten vorgenom-en.
Ein Vizekanzler einer früheren großen Koalition undpäterer Bundeskanzler hat einmal gesagt: Mehr Demo-ratie wagen.
ch weiß, dass dieser Satz viele, zum Teil sehr heftigeiskussionen ausgelöst hat. Aber ganz offensichtlich hatr den Ton der damaligen Zeit getroffen. Ich sage per-önlich: Gerade in den Ohren der Menschen jenseits derauer klang er wie Musik. Gestatten Sie mir, diesenatz heute zu ergänzen und uns zuzurufen: Lassen Siens mehr Freiheit wagen!
assen Sie uns die Wachstumsbremsen lösen! Lassenie uns uns selbst befreien von Bürokratie und altbacke-en Verordnungen! Viele unserer europäischen Nach-arn zeigen uns doch, was möglich ist. Deutschlandann das, was andere können, auch; davon bin ich zu-iefst überzeugt.Schon die vergangene Regierung hatte Schritte einge-eitet, wodurch die Möglichkeiten, die unser Land hat,esser genutzt werden sollten. Jenseits aller parteipoliti-chen Differenzen – diese waren in den vergangenenahren nicht zu übersehen – möchte ich deshalb an diesertelle ausdrücklich eines tun: Ich möchte Bundeskanzlerchröder ganz persönlich dafür danken, dass er mit sei-er Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür auf-estoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er diegenda gegen Widerstände durchgesetzt hat.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Damit hat er sich um unser Land verdient gemacht.Nicht zuletzt dafür möchte ich ihm im Namen allerDeutschen danken.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass ichnicht jede Gruppe einzeln benennen möchte, und zwarnur deshalb, damit mir niemand vorwerfen kann, ichhätte eine Gruppe vergessen. Aber eine Gruppe ist mirso wichtig, dass sie erwähnt werden muss – sie wird beiallen künftigen Fragen eine wichtige Rolle spielen –: Ichmeine die Schwachen. Ich meine die Schwachen, die dieSolidarität und die Hilfe von uns allen brauchen. Ichmeine Kranke, Kinder und viele Ältere. Die Menschlich-keit unserer Gesellschaft entscheidet sich daran, wie wirmit ihnen umgehen.
Wir, die neue Bundesregierung von Union und Sozialde-mokraten, wollen unser Land so ertüchtigen, dass sichdie Schwachen auch in Zukunft darauf verlassen kön-nen, dass sie nicht alleine gelassen werden, dass ihnengeholfen wird. Das ist unser Verständnis von sozialerGerechtigkeit.Das beginnt bei der Absicherung der großen Lebens-risiken. Wir wollen die solidarische Altersversorgungerhalten. Aber wie wir wissen, wird der dritte Lebensab-schnitt immer länger. Deshalb haben wir uns entschlos-sen, die Antwort darauf zu geben und die gesetzliche Re-gelaltersgrenze der Rentenversicherung schrittweise auf67 Jahre anzuheben. Das geschieht nicht sofort, sondernbeginnt erst ab 2012 mit einer langen Übergangszeit.Wir haben daneben aber festgelegt, dass Menschen, die45 Arbeitsjahre hinter sich haben, auch weiterhin ab-schlagsfrei mit 65 Jahren in Rente gehen können. Ichdenke, damit haben wir uns eine ganz sinnvolle Rege-lung überlegt.
Wir haben das ausführlich diskutiert und gesagt, wirmüssen dafür sorgen, dass sich die Menschen rechtzeitigdarauf einstellen können. Verlässlichkeit soll das Mar-kenzeichen dieser Bundesregierung sein. Wir werdendas deshalb schon 2007 beschließen müssen. DiesesVorhaben wird dann Hand in Hand mit besonderen An-strengungen in Bezug auf Beschäftigungsmaßnahmenfür ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rah-men der Initiative 50 plus gehen. Wenn wir es nichtschaffen, dass auch die Älteren wieder die Chance ha-ben, länger arbeiten zu können, dann werden wir in derGesellschaft kein Verständnis dafür erhalten, dass wirdie Lebensarbeitszeit insgesamt verlängern. Beides mussHand in Hand gehen. Alles andere wird keine Akzeptanzfinden.
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Auf der Leistungsseite werden wir allerdings schnelleränderungen vornehmen. Wir wollen mehr Vertrags-reiheit und Gestaltungsmöglichkeiten von den Patienten
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelüber die Krankenkassen bis hin zu den Praxen und denKrankenhäusern. Bei der Arzneimittelversorgung kom-men wir um weitere Maßnahmen zur Kostensenkungnicht herum. Insbesondere die forschende Pharma-industrie muss bessere Standortbedingungen erhalten.Auch dafür haben wir Sorge getragen. Denn die Innova-tionskraft Deutschlands wird gerade von der forschen-den Pharmaindustrie in ganz wesentlichem Umfang ab-hängen.Genauso wie die Krankenversicherung bleibt auch diePflegeversicherung ein zentraler Baustein der solidari-schen Absicherung. Wir wollen, dass der Zweck und dieIdee der Pflegeversicherung auch weiterhin gelebt wer-den können. Das heißt, dass wir das Umlageverfahrendurch eine kapitalgedeckte Demographierücklage ergän-zen werden. Das heißt auch, dass die private Pflegeversi-cherung zukünftig einen Beitrag zur Bewältigung derSolidarität leisten muss. Das muss fair geschehen; aberwir glauben, dass dies im Rahmen der Pflegeversiche-rung ein richtiger Schritt ist.
Wir tun das – ich wiederhole mich –, weil sich Alte,Kranke und Kinder auch in Zukunft darauf verlassenkönnen müssen, dass ihnen geholfen wird und sie nichtalleine sind. Es geht dabei nicht nur um materielleDinge, sondern das ist auch eine moralische Aufgabe.Dabei wissen wir: Das Zusammenleben der Gene-rationen hat sich in den letzten Jahren tief greifend ver-ändert. Es gibt die traditionellen Familien; es gibt die sogenannten Patchworkfamilien; es gibt allein erziehendeEltern. Ich sage es kurz und knapp: Familie ist überalldort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauer-haft Verantwortung tragen.Ich will nicht, dass der Staat lenkend eingreift odergar Lebensentwürfe vorschreibt. Aber ich will schon– das ist unser gemeinsames Anliegen –, dass der Staatgute Rahmenbedingungen schafft. Das heißt, dass jungeMenschen ermutigt werden, sich für ein Leben mit Kin-dern zu entscheiden, und dass sie dazu nicht nur ermutigtwerden, sondern dass sie sich auch entscheiden können.
Das hat aus meiner Sicht zuvörderst damit zu tun, obes in diesem Land ein Klima der Zuversicht, des Mutesund der Perspektiven für das eigene Leben gibt. Aber eshat außerdem etwas mit sehr praktischen Fragen zu tun,nämlich mit ausreichenden und bezahlbaren Betreu-ungsmöglichkeiten. Sicher: Nach außen ist der Streitüber die Entscheidung zwischen Kindererziehung undberuflichem Fortkommen der vergangenen Jahrzehntenach vielen Diskussionen und Reden überwunden. Aberich betone: nach außen.
Dennoch wissen wir, dass die Realität auch heutenoch oft eine andere ist, dass die Widersprüche zwischenArbeits- und Familienwelt nicht einfach verschwundensind und es auch heute nicht selten noch immer eineFksnwDb2K–fkwWfisnFsaanvWhcslhEmkbsidzrllrPZsiFhlgG
ir werden die Kinderbetreuung auch steuerlich besserördern. Die Vielzahl von Familienleistungen wollen wirm Übrigen in einer Familienkasse bündeln, harmoni-ieren und organisatorisch zusammenfassen.Aber an einem Problem in unserem Land können wiricht vorbeisehen: Je besser die Ausbildung der jungenrauen und Männer ist, desto seltener entscheiden sieich für Kinder. Das kennen wir alle und das wird unsuch immer wieder erzählt. Eine Frau hat ein Studiumbsolviert, eine hervorragende Ausbildung machen kön-en, möchte im Beruf Karriere machen und steht dannor der Frage, wie sie diesen Berufswunsch mit ihremunsch, eine Familie zu gründen, vereinbart.Ich sage unumwunden: Ich würde lügen, wenn ich be-aupten würde, dass dieser Konflikt ganz einfach und lo-ker überwunden werden kann. Das kann er nicht. Abereitens der Politik können wir einen kleinen Beitrag dazueisten, diesen Konflikt ein wenig zu mildern. Genau dasaben wir getan, indem wir uns entschlossen haben, einlterngeld einzuführen. Es wird erstmals als Einkom-ensersatz ausgestaltet und zusätzlich mit einer Väter-omponente verbunden. Das ist ein neuartiger Ansatz ineide Richtungen. Ich ahne schon jetzt, welche Diskus-ionen er hervorrufen wird. Doch die Betriebe – das sagech ganz ausdrücklich – sollen sich stärker als bisher iner Pflicht sehen, auch einmal die Väter zeitweise frei-ustellen, und zwar, wo immer dies möglich ist, ohne be-ufliche Nachteile. Dieser sanfte Druck ist unumgäng-ich.
Ich nenne ein weiteres Stichwort aus unserem Fami-ienprogramm, das mir sehr wichtig ist: die Mehrgene-ationenhäuser. Ich halte es für eines der spannendstenrojekte der Familien- und Gesellschaftspolitik in einereit der Änderung der Altersstruktur in unserer Gesell-chaft. Wir wissen, dass die Anforderungen an Mobilitätm Berufsleben auf der einen Seite und der Wunsch nachürsorge innerhalb der Familie auf der anderen Seiteeute oft nicht miteinander vereinbar sind. Deshalb ge-ingt es oft nicht, dass die pflegebedürftigen Eltern amleichen Ort wie die Kinder wohnen oder dass sich dieroßeltern um die Enkel kümmern können.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelMit Mehrgenerationenhäusern – wir müssen diesenWeg symbolisch gehen, um immer wieder deutlich zumachen, dass es andere Formen des Zusammenlebensgibt – können wir Menschen aus der Vereinsamung he-rausführen. Wir können eine Plattform für bürgerschaft-liches Engagement schaffen und zeigen, dass sich dieGenerationen mit ihren Erfahrungen im Miteinander derStarken und Schwachen unserer Gesellschaft etwas zusagen haben. Deshalb ist das mehr als irgendein Projekt;es ist vielmehr eine Pforte für uns, um zu lernen, in einersich verändernden Gesellschaft miteinander menschlichzu leben.
Ich habe über die vermeintlich Schwachen gespro-chen. Wir wissen, dass sie in Wahrheit oft stark sind undeinen unverzichtbaren Beitrag für sich selbst und unserGemeinwesen leisten können. Dies zu erkennen undauch zu nutzen macht den Wert von Gerechtigkeit inunserer Gesellschaft aus.Ich bin davon überzeugt: Wir müssen uns in jeder Ge-neration neu besinnen, was gerecht und was ungerechtist. Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird. Un-gerecht ist, wenn sich Starke als Schwache verkleidenund damit die Gemeinschaft ausnutzen.
Ungerecht ist auch, wenn wir Menschen entmündigenund ihnen die Möglichkeit nehmen, ihre eigenen Kräftezu entdecken. Deshalb brauchen wir eine neue Gerech-tigkeit.Jeder von uns kennt in seinem Bekanntenkreis Men-schen, denen es wirklich schlecht geht und die unsereHilfe dringend brauchen. Aber wir alle kennen auchMenschen, die diese Hilfsbereitschaft einfach ausnutzen.
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle ganz konkretwerden: Diese Regierung bekennt sich ausdrücklich zurZusammenführung von Arbeitslosen- und Sozial-hilfe. SPD und Union haben diesen Schritt von Anfangan grundsätzlich für richtig gehalten. Das schließt unter-schiedliche Auffassungen, zum Beispiel über die Rolleder Kommunen, nicht aus. Aber wir werden diesenSchritt nicht nur gemeinsam gehen, sondern wir werdenauch dafür Sorge tragen, dass es in diesem Bereich mehrGerechtigkeit und weniger Missbrauch geben wird. Des-halb werden wir die Reform der Bundesagentur für Ar-beit fortsetzen. Bei der Vermittlungsarbeit sind – daskann mit Recht festgestellt werden – in den letzten Jah-ren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Wir werdenauch, wo immer möglich, Arbeit finanzieren statt Nicht-arbeit.
Denn Arbeit heißt, wie wir alle wissen, mehr als Ein-kommen und Geld; Arbeit bedeutet vielmehr Würde undSelbstachtung für die betroffenen Menschen.wZd2wdmzetaitAtDBmduzeucdzuFnTbhdkffmgbs
Aber nicht immer – auch das gehört zur Wahrheit –ird nur das in Anspruch genommen, was nach Sinn undweck den Empfängern gesetzlich zusteht. Deshalb wer-en wir die Regelungen so ändern, dass Kinder unter5 Jahren zunächst einmal von ihren Eltern unterhaltenerden, bevor die Gemeinschaft eintritt. Solidarität iner Gesellschaft kann keine Einbahnstraße sein. Sieüssen immer bedenken: Das alles wird von den Steuer-ahlern bezahlt, die jeden Morgen zur Arbeit gehen undin Recht darauf haben, dass auch andere ihre Verpflich-ungen einhalten.
Mehr Gerechtigkeit in diesem Bereich bedeutet aberuch, dass der Maßstab, das Arbeitslosengeld II einfachn zwei Zonen – Ost und West – aufzuteilen, so nichträgt. Deshalb wird die so genannte Regelleistung beimrbeitslosengeld II Ost an die des Westens angeglichen.
Alles in allem haben wir uns in der Arbeitsmarktpoli-ik vorgenommen, knapp 4 Milliarden Euro einzusparen.as ist ein anspruchsvolles Ziel, aber es ist ein wichtigereitrag zur Haushaltskonsolidierung.Wir führen – das richte ich an alle Landräte und Kom-unalpolitiker – derzeit sehr intensive Gespräche miten kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern,m bei der Revisionsklausel, was die Kosten für die so-iale Grundsicherung angeht, noch ein Einvernehmen zurzielen. Wir werden dabei an dem Ziel, die Kommunenm 2,5 Milliarden Euro zu entlasten, wie wir es verspro-hen haben, festhalten und das muss auch die Basis fürie Verhandlungen über die Jahre 2006 und 2007 sein.
Wir müssen – das wissen wir alle angesichts der kur-en Zeit, in der die Zusammenlegung von Arbeitslosen-nd Sozialhilfe erst wirkt – den Grundsatz „Fördern undordern“ umfassend umsetzen. Wir haben heute nochicht den Zustand erreicht, dass die Menschen, die zumeil weniger Leistungen bekommen, den Eindruck ha-en, dass sie wirklich eine zusätzliche Chance erhaltenaben. Das muss durchgesetzt werden. Ansonsten wirdie Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfeeine allgemeine Akzeptanz finden.
Wenn wir ein Land sein wollen, in dem wir ein Herzür Schwache haben, dann brauchen wir auch ein Herzür Leistung und auch ein Herz für mehr Leistung. Wirüssen stärker anerkennen, wenn sich Menschen enga-ieren, wenn sie etwas leisten und wenn sie etwas auf-auen. Diese Menschen verdienen nicht unseren Neid,ondern unsere Dankbarkeit.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Denn mehr Freiheit möglich zu machen heißt: Wir kön-nen den Schwachen dann und nur dann etwas abgeben,wenn wir mehr Starke haben, die alle anderen mitziehen.
Die neue Regierung wird sich genau aus diesemGrund in ganz besonderer Weise für den Mittelstandeinsetzen; denn dort lassen sich die meisten Quellen derInnovation finden. Dort ist der Jobmotor am wirkungs-vollsten und werden die meisten Ausbildungsplätze be-reitgestellt.
Wir werden die Wachstumskräfte des Mittelstandes sehrgezielt stärken. Wir wollen zum 1. Januar 2008 einerechtsformneutrale Unternehmensteuerreform in Kraftsetzen, das heißt endlich eine Lösung – das ist in Zeitender Globalisierung in Deutschland von extremer Bedeu-tung –, bei der die Personengesellschaften, die Familien-betriebe, die gleichen steuerliche Möglichkeiten habenwie die Körperschaften, wie die ganz Großen. Die Lö-sung dieser Aufgabe haben wir uns – das sage ich ganzunumwunden – seit zehn Jahren vorgenommen, wo im-mer wir gemeinsam oder nicht gemeinsam politisch tätigwaren. Aber wir haben diese Aufgabe nie gelöst. Des-halb sage ich ausdrücklich: Diese Regierung will dieseAufgabe lösen. Genau dies kann eine Möglichkeit dergroßen Koalition sein, sich auf die Sache zu konzentrie-ren, damit wir nicht im parteipolitischen Hickhack anei-nander geraten.
Für die Übergangszeit, in der wir die Rechtsformneu-tralität noch nicht erreicht haben, wollen wir die Ab-schreibungsmöglichkeiten befristet verbessern. Wir wol-len durch die Verbesserung der Istbesteuerung einenkleinen Beitrag zur Entlastung des Mittelstandes leisten,der durch die 13. Beitragserhebung im kommenden Jahrstärker belastet wird. Wir wollen des Weiteren – dashalte ich für ausgesprochen wichtig; das ist ein klaresSignal – eine reduzierte Erbschaftsteuer für Familienbe-triebe; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das sind dreiDinge, die wir für den Mittelstand tun.
Meiner Meinung nach können wir am meisten beimBürokratieabbau leisten. Wir wissen, dass kleine undmittlere Unternehmen etwa vier bis sechs Prozent ihresUmsatzes nur für die Deckung von Bürokratiekostenausgeben. Wir werden uns das genau anschauen und ersteinmal lernen, Bürokratiekosten zu berechnen und zubemessen. Wir nehmen uns klare Reduktionsziele vor.Andere Länder, zum Beispiel die Niederlande oderGroßbritannien, haben uns das schon vorgemacht. Wirmachen einen Small-Companies-Act, wie das auf Neu-deutsch heißt, also ein Gesetz für kleine Unternehmen,das ganz konkret zu weniger Kontroll- und Überprü-feMwLGIdsWemwksAdvVuSdupmEWgMGgusiheaddwGsudaGb
ch halte das für ausgesprochen wichtig. Ich weiß, dassas Gegenstand vieler politischer Debatten und Ent-cheidungen war. Jeder muss in diesem Land begreifen:enn wir uns zusätzlich zu dem, was wir in Europa ver-inbaren – das ist oft schon bürokratisch genug; dasuss ich leider sagen –, Lasten aufbürden, dann habenir gegenüber unseren europäischen Mitbewerberneine fairen Chancen. Wir wollen aber bei aller Freund-chaft zu allen anderen Ländern, dass in Deutschlandrbeitsplätze entstehen. Das ist die Aufgabe einer Bun-esregierung. Dafür müssen wir sorgen.
Das heißt also, dass wir eine Politik mit einem Grund-erständnis machen werden, das darauf beruht, dass dieorschriften, die wir machen, für die Menschen da sindnd nicht die Menschen zur Erfüllung der Vorschriften.o können wir den Starken im Lande wieder helfen undann auch den Schwachen in diesem Lande. Das mussnser Grundverständnis sein. Daran müssen wir allesrüfen. Das hat gar nichts mit Ideologie zu tun, sondernit ganz praktischem menschlichem Sachverstand.
Ich bin davon überzeugt, dass uns das gelingen kann.s gibt viele tüchtige Vorbilder. Ich habe vor einigenochen etwas sehr Selbstverständliches gesagt. Ich habeesagt: Ich will Deutschland dienen. – Ich kenne vieleenschen, die dem Land, anderen Menschen und deremeinschaft dienen – selbstlos und ohne dass davonroß Notiz genommen wird. Diese Menschen müssennser Vorbild, das Vorbild für diese Bundesregierungein. Die Anerkennung des Nächsten in der Gemeinde,m Wohngebiet, in der Schule oder im Betrieb – das allesat etwas damit zu tun, ob wir das schaffen, was wir oftine lebendige Bürgergesellschaft nennen. Das ehren-mtliche Engagement ist ein unersetzbarer Bestandteilieser Bürgergesellschaft. Wo immer es geht, wollen wirieses ehrenamtliche Engagement stärken. Genau das,as viele Menschen in ungezählten Kultur-, Musik- undesangvereinen in ihrer Freizeit tun, hält unsere Gesell-chaft zusammen. Bei allen Rechtsansprüchen, die wirns durch Gesetze setzen, müssen wir immer bedenken,ass noch ausreichend Spielraum genau für dieses ehren-mtliche Engagement bleibt. Ansonsten geht unsereresellschaft ganz Wesentliches verloren. Ich zumindestin davon zutiefst überzeugt.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelUnsere Kultur ist die Grundlage unseres Zusammen-haltes. Deshalb ist Kulturförderung für diese Bundes-regierung keine Subvention. Dieser Begriff – ich sagedas ausdrücklich – verbietet sich an dieser Stelle.
Sie ist eine Investition, und zwar eine Investition in einlebenswertes Deutschland.
Natürlich regelt unsere Verfassung die Förderung vonKunst und Kultur. Sie ist primär den Ländern zugeord-net. Das wissen wir. Aber ich sage ebenso deutlich, dassder Bund auch in Zukunft eine Reihe ganz wichtigerKulturaufgaben wahrnehmen wird.
Deutschland – und nicht nur die Summe der16 Bundesländer – ist schließlich eine europäische Kul-turnation.
Diese Bundesregierung – das hat etwas mit unseremhistorischem Verständnis zu tun – wird wie die Regie-rung zuvor auch einen Beitrag zum Erhalt des kulturel-len Erbes der Vertriebenen leisten. Wir wollen im Geisteder Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichensetzen, um an das Unrecht der Vertreibung zu erin-nern, und wir werden dies im europäischen Kontext tun.Aus meiner Sicht bietet die gemeinsame Erklärung derPräsidenten Rau und Kwásniewski eine gute Grundlagedafür, dass wir einen gemeinsamen und nicht einen tren-nenden Weg finden werden. Ich sage hier sehr persön-lich: Auf meinen Reisen, die ich in die entsprechendenLänder mache, werde ich mich sehr dafür einsetzen, dassuns dies gelingt. Das hat etwas mit unserem eigenen his-torischen Selbstverständnis zu tun. Es hat aber auch et-was mit dem Vertrauen anderer in uns zu tun. Deshalbmuss beides zusammengebracht werden. Ich bin derÜberzeugung: Das geht und das können wir schaffen.
Meine Regierung ist Anwalt aller Deutschen wie allerin Deutschland lebenden Mitbürgerinnen und Mitbürger.Wir werden deswegen mit allem Nachdruck, wo immeres erforderlich ist, gegen jede Form von Extremismus,Rassismus und Antisemitismus kämpfen.
Die Initiativen der Bürgergesellschaft, die sich hier en-gagieren, haben unsere volle Unterstützung. Wir sind eintolerantes, wir sind ein weltoffenes Land. Deutschlandist zugleich ein Land, das seine Traditionen und seineKultur pflegt. Das eine kann es ohne das andere nicht ge-ben; denn Heimat gibt gerade in Zeiten des sehr schnel-len Wandels, in denen wir leben, den Halt, den die Men-sGKlgLkDZtspkggDSBumsdnsmgsaKeWas–obhWdmaA
eshalb ist Integration eine Schlüsselaufgabe unserereit. Mit der Ansiedelung der Beauftragten für Migra-ion, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt habe ichehr bewusst ein Signal gesetzt, dass dies eine gesamt-olitische Aufgabe ist, der wir große Beachtung schen-en wollen.
Ich bin der Überzeugung, dass Integration nur gelin-en kann, wenn ausländische Kinder konsequent dazuebracht werden und auch die Möglichkeit haben,eutsch zu lernen. Wir werden deshalb gerade in denchulen das Erlernen der deutschen Sprache fördern.esser gesagt, wir werden die Länder in ihrem Bemühennterstützen, dass Kinder nur dann in die Schule kom-en dürfen, wenn sie der deutschen Sprache mächtigind. Ansonsten haben sie vom ersten Schultag an nichtie Chancen, die wir ihnen geben müssen, um auch ih-en ein gutes Leben in unserem Land zu ermöglichen.
Wir brauchen einen Dialog mit dem Islam. Wir müs-en einander verstehen lernen; das gehört dazu. Wirüssen im Übrigen darauf achten, dass wir unsere ei-ene Religion, das Christentum, ausreichend verstehen,oweit wir Christen sind – das gilt auch für andere, dienderen Religionen anhängen –; denn einen Dialog derulturen kann man nur führen, wenn man sich seinerigenen Kultur auch wirklich bewusst ist.
ir werden das offen und ehrlich tun. Wir werden vorllen Dingen Differenzen eindeutig benennen, wo immerie auftreten.Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz ausdrücklichich sage dies auch als Frau –: Zwangsverheiratungender Ehrenmorde – beides schreckliche Begriffe – ha-en nichts, aber auch gar nichts mit Ehre zu tun und sieaben auch gar nichts in unserer Gesellschaft zu suchen.
ir können sie nicht dulden, wir wollen sie nicht dul-en. Wir werden das deutlich machen.Sicher kann jeder von uns selbst etwas für unsere Ge-einschaft tun. Vieles kann von dem Einzelnen besserls vom Staat erreicht werden. Aber der Einzelne hat einnrecht darauf, dass der Staat auch ihn in die Lage
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84 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2005
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelversetzt, seine eigenen Kräfte zu entfalten. Viele Men-schen werden heute – das müssen wir ganz klar sehen –an ihrem Einsatz, am Einbringen ihrer Möglichkeitengehindert, weil das größte Problem, mit dem unser Landzu kämpfen hat – die Arbeitslosigkeit –, nicht ausrei-chend gelöst ist. Wir haben die höchste Zahl an Lang-zeitarbeitslosen, die die Bundesrepublik Deutschland jeerlebt hat, und das muss sich wieder ändern.Im Übrigen werden wir von den Menschen als Regie-rung und als die diese Regierung tragenden Fraktionenzum Schluss an genau dieser Frage gemessen werden:Haben wir hier etwas erreicht oder haben wir nichts er-reicht? Diesem Anspruch wollen wir uns auch stellen.Ich sage ganz ausdrücklich: Das muss unser Ziel sein.
Wir wissen, dass die Politik keine Arbeitsplätzeschaffen kann; aber sie kann Rahmenbedingungen stel-len. Wir haben sehr viel über diese Rahmenbedingungengesprochen. Wir wissen, dass damit zusammenhängt,dass Menschen in Würde leben können. Deshalb habenwir uns einiges vorgenommen.Erstens. Seit über drei Jahrzehnten steigen die gesetz-lichen Lohnzusatzkosten bzw. verharren auf eineminternationalen Höchstniveau. Wir wollen das ändern;deshalb wollen wir die Beiträge zur Arbeitslosenversi-cherung um 2 Prozentpunkte senken. Einen Prozentpunktsollen Strukturmaßnahmen innerhalb der Bundesagenturfür Arbeit erbringen. Ein weiterer Prozentpunkt solldurch den Einsatz eines Punktes Mehrwertsteuer finan-ziert werden. Es ist im Übrigen erfreulich, dass die Län-der an dieser Stelle auf ihren Anteil an der Mehrwert-steuer verzichten werden.
Wir wollen die Lohnzusatzkosten in dieser Legislatur-periode dauerhaft unter 40 Prozent halten.Zweitens. Deutschland muss den Wandel zu einermodernen Dienstleistungsgesellschaft schaffen. Wirwerden deshalb die privaten Haushalte im Grundsatz alsArbeitgeber anerkennen. Jeder, der den politischen Streitder vergangenen Jahrzehnte verfolgt hat, weiß, dass hiereine lange ideologische Auseinandersetzung zu Endegeht. Wir werden sowohl für die Abrechnung von Hand-werkerleistungen als auch für die Frage der Kinderbe-treuung als auch für andere haushaltsnahen Dienstleis-tungen den Haushalt als Arbeitgeber installieren. Daswird ein Umdenken in Richtung einer Dienstleistungsge-sellschaft in Deutschland bedeuten. Ich finde das richtig,ich finde das erfreulich. Lassen Sie uns das Ganze mitFreude angehen.
Drittens. Wir wissen, dass gerade gering Qualifiziertein unserem Land unglaubliche Schwierigkeiten haben,eine Beschäftigung, und zwar zu regulären Löhnen, zufinden. Es geht hierbei nicht um irgendeine Statistik derBundesagentur für Arbeit, sondern es geht um etwa2 Millionen Menschen in unserem Land, für die wir unsGedanken über die Frage machen müssen: In welcherALKdssaEDtlMvadddmsdzntlsw–lhnaawkInusdsAIbmWmg3uv
Ich höre schon das Gegrummel. – Wir können natür-ich so weitermachen. Wir können so tun, als ob beste-ende Sicherheiten wirklich Sicherheit bieten. Wir kön-en aber auch einfach einmal fragen, ob wir das, wasndere Länder mit guten Erfahrungen machen, nichtuch tun sollten. Wir können doch das, was wir hören,enn wir bei unserer Abgeordnetentätigkeit im Wahl-reis den Handwerksmeister fragen: „Warum lassen Siehre Leute Überstunden machen? Warum stellen Sieicht einen zusätzlich ein?“, einfach einmal bedenkennd neue Wege gehen. Nach ein paar Jahren können wirchauen, ob es sich bewährt hat oder nicht und ob wiraraus Erfolge machen können. Wir sind das den Men-chen in diesem Lande schuldig. Bei über 4 Millionenrbeitslosen muss man auch einmal neue Wege gehen.ch zumindest bin davon völlig überzeugt.
Fünftens. Wir werden den Nationalen Pakt für Aus-ildung und Fachkräftenachwuchs weiterführen. Ichöchte mich hier ausdrücklich dafür bedanken, dass dieirtschaft, insbesondere das Handwerk und die Kam-ern, hierzu einen riesigen Beitrag geleistet haben. Wirehen davon aus, dass wir weiterhin in jedem Jahr0 000 neue Ausbildungsplätze brauchen. Wir müssenns auch ganz intensiv der Tatsache annehmen, dassiele junge Leute nicht ausbildungsfähig sind, wenn sie
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelvon der Schule kommen. Das erfordert ein enges Zusam-menwirken von Bund und Ländern an dieser Stelle;
denn man kann sich nicht damit abfinden, dass teureSchulausbildung nicht zur Ausbildungsfähigkeit der jun-gen Menschen führt.
In der Frage der betrieblichen Bündnisse – jeder weiß,dass wir darüber im Wahlkampf sehr unterschiedlicherMeinung waren und es auch weiter sind; das gehört zurWahrheit dazu – müssen wir weiterhin schauen, wie wirim Rahmen der Tarifautonomie – ich betone ausdrück-lich, dass niemand in dieser Koalition die Tarifautono-mie infrage stellt – ein höheres Maß an Flexibilität errei-chen. Ich will ausdrücklich sagen: Es geschieht einigesbei den Gewerkschaften. Unser ganzes Tun sollte daraufgerichtet sein, Gewerkschaften zu ermuntern, da, wo dasheute noch nicht geschieht, weiterzugehen und mehrFlexibilität zu schaffen. Die Erfahrungen von denen, diedas getan haben, sind positiv. Genau dieser Weg mussvon uns weiter gegangen werden oder es müssen zu-nächst Gespräche darüber geführt werden.Die beste Reform des Arbeitsmarkts hilft wenig– auch das wissen wir –, wenn wir uns nicht auf einesbesinnen, nämlich auf das, was uns als Land – ich habedas am Anfang gesagt – immer wieder stark gemachthat: Das sind Bildung und Innovation. Sie sind mehrdenn je der Rohstoff unseres Landes, der Rohstoff derDeutschen. Wir wissen: Wir müssen besser sein als an-dere, und zwar immer so viel besser, wie wir teurer sind.Wir wollen teurer sein, weil wir unseren Wohlstand er-halten wollen. Deshalb ist unser Ziel nicht, im Wettbe-werb um die niedrigsten Löhne mitzuhalten; das könnenwir nicht. Vielmehr müssen wir besser sein als andereund Bildung nach vorn bringen. Herkunft darf in diesemLand nicht die Zukunft der jungen Menschen bestim-men. Das muss unser Anspruch sein.
Meine Damen und Herren, an guten Traditionen man-gelt es nicht, weder bei unserer Schulbildung, wie manan ihrem Ruf erkennt, noch bei der Berufsbildung. DasSystem der dualen Berufsausbildung ist fast so bedeu-tend wie „Made in Germany“ bei der Produktherstel-lung. „Trained in Germany“ könnte wieder ein Marken-zeichen von uns werden. Wir wissen aber auch, weil esuns die PISA-Studie vor Augen geführt hat: Wir sindnicht so Spitze, wie wir es eigentlich gerne wären. Ander zweiten PISA-Studie zeigt sich allerdings, dass,wenn sich Länder anstrengen – ich nenne als Beispieldas Land Sachsen-Anhalt –, innerhalb von wenigen Jah-ren ein deutlicher Fortschritt erreicht werden kann. Wirwissen ja an vielen Stellen, wo die Probleme liegen. Esist wichtig, dass wir die Bildungschancen verbessern.Deshalb hat der Bund einmalig – wir werden das fortset-zen – ein Programm zum Ausbau von Ganztagsschulenaufgelegt, damit wir auch in diesem Bereich besser vo-rankommen. Ich hoffe, dass das nach der Föderalismus-rsetctT3wzWvsdtWWksmGek–bwhgushznIggiauWvzwmivIswDWEWd
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung auch einigeeiße Eisen angepackt. Wir werden noch einmal das Re-elwerk für die Grüne Gentechnologie überarbeitennd wir werden bessere Möglichkeiten für unsere chemi-che Industrie schaffen. Der Herr Bundesumweltministeratte gestern das Vergnügen, in Brüssel genau darüberu verhandeln. Wir werden die Initiative „Partner für In-ovation“ fortführen. Ich persönlich werde einen Rat fürnnovation und Wachstum, über den ich schon vor eini-en Monaten gesprochen habe, einrichten, weil ichlaube, dass die Tatsache – dessen muss sich die Politikm gesamten Hause bewusst sein –, dass sich das Wissenuf der Welt innerhalb von vier Jahren verdoppelt, beins mental noch nicht ausreichend wahrgenommen wird.ir alle – das gilt auch für mich persönlich – haben anielen Stellen Mühe, die technischen Entwicklungen sou verstehen, dass wir in der Lage wären, zu erkennen,elche rechtlichen Rahmenbedingungen wir schaffenüssen. Wir sollten so ehrlich sein, das zuzugeben, undm Dialog mit den Wissenschaftlern und Entwicklernon diesen lernen.Meine Damen und Herren, wir wissen: Als modernesndustrieland, als Dienstleistungsgesellschaft, als Wis-ensgesellschaft werden wir nicht bestehen können,enn wir nicht ein modernes Infrastrukturland sind.as hat auch etwas mit unseren Verkehrsnetzen zu tun.ir werden in den nächsten vier Jahren 4,3 Milliardenuro mehr für Verkehrsinfrastrukturprojekte ausgeben.ir werden die rechtlichen Rahmenbedingungen än-ern. Wir werden nicht nur, wie das in der Vergangenheit
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelder Fall war, das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-gungsgesetz für die neuen Bundesländer weiterführen,sondern für ganz Deutschland ein umfassendes Pla-nungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen. Daswird schwierige Beratungen erfordern. Aber wenn mansieht, wie europäische Mittel zum Beispiel in Spanien inWindeseile verbaut werden, während wir Menschen umArbeitschancen bringen, weil wir für bestimmte Infra-strukturprojekte Jahrzehnte brauchen, dann kann ich nursagen: Wir sind es den Menschen in diesem Landeschuldig, dass wir uns an dieser Stelle anstrengen undschauen, wie wir hier schneller vorankommen können.
Wir wissen, dass die Wettbewerbs- und Zukunftsfä-higkeit unseres Landes ohne eine zukunftsweisendeEnergiepolitik nicht denkbar ist. Wir haben unter-schiedliche Auffassungen über die Nutzung der Kern-energie. Aber wir haben uns – das finde ich wichtig – aufeine Gesamtstrategie in der Energiepolitik sowie daraufgeeinigt, dass wir uns über den Energiemix Gedankenmachen.Das heißt natürlich auch, dass wir ein deutliches Plä-doyer für erneuerbare Energien abgeben. Wir werdendas Erneuerbare-Energien-Gesetz in der Grundstrukturfortführen, aber wir werden – auch das gehört zur Ehr-lichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern – diewirtschaftliche Effizienz der einzelnen Vergütungen bis2007 überprüfen. Wir werden schauen, was grundlastfä-hig ist und wohin das Geld gehen muss. Ich glaube, wirwerden das in guter Gemeinsamkeit schaffen. Ziel ist einenergiepolitisches Gesamtkonzept mit einem ausgewo-genen Energiemix.
Ich werde Anfang des Jahres zu einem nationalenEnergiegipfel einladen, um einmal alle Beteiligten an ei-nen Tisch zu bekommen. Die Probleme müssen auf denTisch gelegt werden. Denn wir wissen, es gibt auch unterden verschiedenen Anbietern vielerlei Widersprüche.Wir werden ein sehr anspruchsvolles Programm zurenergetischen Gebäudesanierung auflegen. DiesesProgramm wird nicht nur der Bauwirtschaft neue Im-pulse geben – das ist der eine Aspekt –, sondern es wirdauch – davon bin ich zutiefst überzeugt – dem einzelnenBürger deutlich machen, welchen Beitrag er zur verbes-serten Effizienz bei der Energieversorgung, also auch beider Reduktion von Kohlendioxidemissionen, leistenkann. Wir haben uns bis jetzt viel zu viel auf die Indus-trie konzentriert. Es ist gut, dass wir jetzt auch den priva-ten Bereich hinzunehmen.
Wir werden die Regeln für den Emissionshandelüberarbeiten. Ich sage ausdrücklich, dass dieser ein gutesInstrument ist. Aber wir werden in der zweiten Phase,also ab 2008, schauen müssen, dass die Anreize für dieModernisierung unseres Kraftwerksparks erhalten blei-ben. Wir werden dafür sorgen müssen, dass die ener-guwdgcBedwdAfbgBdtandwdDeJBkdzeIcwgGhddLatdlVd
ch weiß, dass dies schwer ist. Aber lassen Sie uns sol-he anspruchsvollen Aufgaben angehen.Wir wissen: Ohne einen Fortschritt beim Aufbau Ostird es kein gesundes Wachstum in ganz Deutschlandeben. Wir brauchen dieses Wachstum für das innereleichgewicht unseres Landes. Deshalb müssen wir dieohe Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen die Abwan-erung aus den neuen Bundesländern stoppen und hieras Notwendige tun. Das heißt, wir müssen den neuenändern, wo immer es möglich ist – europarechtlich unduf anderen Gebieten –, mehr Freiheiten geben, Freihei-en, um mit den Geldern, die im Zusammenhang mitem Solidarpakt II zur Verfügung gestellt werden, mög-ichst viele sinnvolle Investitionen zu tätigen. Das ist dieoraussetzung dafür, dass wir auch in den neuen Bun-esländern vorankommen.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelMehr Freiheit möglich machen für neue Gerechtig-keit: All diese Neuausrichtungen vom Arbeitsmarkt biszum Aufbau Ost gehören zusammen. Sie dienen einemlangfristigen Ziel: Wir wollen Deutschland stärken undwieder zum Motor in Europa machen. Die Gestaltungdieses Wandels, den wir dringend brauchen, ist ohneVertrauen und ohne das Bewusstsein, dass sich die Men-schen auf die Politik verlassen können, undenkbar. Des-halb ist einer dieser Vertrauensbeweise gegenüber denMenschen eine solide Finanzpolitik, eine gute, solide Si-tuation bei unseren Staatsfinanzen.Meine Damen und Herren, wir brauchen dazu einenWandel, einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik. Ichsage ganz ausdrücklich: Die Ursachen, die Anfänge die-ser Fehlentwicklung liegen weit zurück. Die lassen sichim Übrigen ganz gut bei der ersten großen Koalition ver-orten.
– Da können Sie noch klatschen. – Deshalb wäre esschön, wenn die zweite große Koalition diesen Kurs-wechsel schafft. Wir haben die Weichen dafür sehr gutund entschlossen gestellt.
Wir brauchen eine langfristige Konsolidierungsstra-tegie. Dabei hat für uns das Reformieren und Investierenzeitlichen Vorrang. Wir haben die Abfolge der Schritteunseres politischen Handelns sehr gut vereinbart. AmEnde wird aus diesem politischen Konzept ein Drei-klang: sanieren, reformieren, investieren.Wir werden durch einen Zukunftsfonds in Höhe von25 Milliarden Euro Investitionen in Schwerpunktberei-che über die Legislaturperiode möglich machen. Ichhabe den Bereich Mittelstand genannt. Ich nenne weiter-hin die Verkehrsinfrastruktur, Forschung und Technolo-gie, die Förderung des Haushalts als Arbeitgeber und dieFörderung von Familien. Dies sind fünf Projektbereiche,bei denen die Menschen sehen: Wir können Schwer-punkte setzen; wir sind entschlossen, etwas zu investie-ren.Aber ohne eine Sanierung der Haushalte kommen wirnatürlich nicht zurande. Deshalb umfasst unsere Haus-haltskonsolidierung, dass wir einerseits – ich habe da-rüber gesprochen – die Arbeitsmarktkosten reduzieren.Wir werden die Zuschüsse an die sozialen Sicherungs-systeme begrenzen. Dies wird eine schwierige Aufgabe,die nur zu schaffen ist, wenn wir Strukturreformendurchführen.Andererseits wird die öffentliche Verwaltung einensubstanziellen Solidarbeitrag dazu leisten. Ich nenne dieGröße von 1 Milliarde Euro, die der Bund im öffentli-chen Bereich einsparen wird. Wir merken schon jetzt,dass wir über die Details sicherlich noch lange zu disku-tieren haben werden. Aber es bleibt die Verpflichtung,1 Milliarde Euro einzusparen. Auch wir als Politikerwerden dazu unseren Beitrag leisten.rwlkEseLwdbKvfusthdWhWwrvnbddhegtmfcsbi–ElD
Meine Damen und Herren, ich sage ausdrücklich: Ichnd wir alle wissen, dass für viele Menschen die Ent-cheidung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, und die wei-eren Konsolidierungspläne in Bezug auf unseren Haus-alt tief greifende Einschnitte bedeuten. Wir wissen,ass wir den Menschen an dieser Stelle viel abverlangen.ir wissen auch, dass die Bürgerinnen und Bürger des-alb eine Gegenleistung erwarten können.Diese Gegenleistung liegt für mich auf der Hand:enn wir solide Staatsfinanzen schaffen, dann beendenir das Leben von der Substanz. Zur Generationenge-echtigkeit gehört auch, dass wir die Augen nicht davorerschließen dürfen, dass wir mit allen Schulden, die wireu machen, zukünftigen Generationen Spielräume rau-en. Wer ernsthaft von Nachhaltigkeit spricht, muss sichiesem Problem widmen. Das hat nichts damit zu tun,ass wir in Europa einen Stabilitäts- und Wachstumspaktaben, den wir natürlich auch erfüllen wollen. Das hattwas mit dem moralischen Anspruch unserer Politik,enerationengerecht zu sein, und der Ernsthaftigkeit zuun. Deshalb werden wir das entschlossen umsetzen.
Deutschland ist Exportweltmeister. Deutschlanduss sich, wenn es Exportweltmeister bleiben will, demreien Welthandel öffnen, auch wenn das in vielen Berei-hen schwer fällt. Nach einer Regierungswoche kann ichagen, dass wir bereits einen ersten Erfolg errungen ha-en. Wir haben am Beispiel der Zuckermarktordnungnnerhalb der Europäischen Union gezeigt – –
Ja, Frau Künast, das geht auch ohne Sie.
s ist sogar so, Frau Künast, dass Herr Sonnleitner diesobt und es trotzdem gut ist für die WTO-Verhandlung.as ist das Erstaunliche.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Wir sind gut vorbereitet auf die WTO-Verhandlung,die wir noch im Dezember zu führen haben. Ich sageausdrücklich: Ein Gegeneinander von moderner Land-wirtschaft und Verbraucherschutz gehört mit dieser Re-gierung der Vergangenheit an. Das soll unser Markenzei-chen sein.
Unser Motto in Bezug auf den Verbraucherschutzlautet: Null Toleranz gegenüber denjenigen, die das Ver-trauen der Verbraucher mit Füßen treten. Deshalb darfuns der Skandal, das Handeln mit verdorbenem Fleisch,so lange nicht ruhen lassen, bis wir an dieser Stelle alleSchwachstellen beseitigt haben. Ansonsten wird es fürdie deutsche Lebensmittelwirtschaft ganz schwierig.
Meine Damen und Herren, Sie sehen an all dem, wasich aufgeführt habe, dass wir uns viel vorgenommen ha-ben. Wir sind auch ganz sicher, dass viel möglich ist.Wir haben uns viel vorgenommen, weil wir wissen, dasswir wirtschaftlich wieder stark werden können und dannauch das leben können, was die soziale Marktwirtschaftin unserem Land groß gemacht hat. Dann können wirnämlich den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapitalweiter ausgleichen und denen helfen, die sich heute nochauf der Schattenseite des Lebens befinden.Wir können dann aber auch noch etwas anderes schaf-fen: Wir können wieder ein starker Partner in Europaund in der Welt werden. Deutsche Außen- und Europa-politik gründet sich auf Werte und sie ist Interessenpoli-tik. Eine Politik in deutschem Interesse setzt auf Bünd-nisse und Kooperationen mit unseren Partnern. Ich weiß,dass unsere Partner große Erwartungen an uns richten.Das haben ich und auch der Außenminister in den erstenTagen unserer Tätigkeit bei unseren Besuchen in Paris,Brüssel, London und vielen anderen Ländern der Euro-päischen Union ganz deutlich gespürt. Die Erwartungenan Deutschland in diesem Bereich sind so immens, weilsich Europa im Augenblick in einer tiefen Krise befin-det. Im Kern gründet diese Krise – das ist meine Über-zeugung – auf fehlendem gegenseitigen Vertrauen. Esgab schwere Rückschläge bezüglich des Verfassungsver-trages. Hinsichtlich der Finanzen der EuropäischenUnion gibt es starke Interessenkonflikte zwischen deneinzelnen Mitgliedstaaten. Der Lissabon-Prozess, derProzess, Europa zum dynamischsten Kontinent der Weltzu machen, ist bei weitem nicht so vorangekommen, wieer hätte vorankommen müssen. Im Fortgang der Erwei-terung der Europäischen Union stellen sich drängendeGrundsatzfragen: Wie weit reicht Europa? Was ist Sinnund Zweck der europäischen Einigung?Ich glaube, es hat keinen Sinn, um diese Krise herum-zureden, auch heute nicht. Es kommt vielmehr darauf an,sie zu meistern. Wir können sie aber nur gemeinsam mitunseren Nachbarn, mit unseren Partnern meistern, undzDscmPstmerseaaanHnwudnsiKGwbRnss6odDgishmnsesn
Ich weiß, dass auf dem Dezembergipfel der Europäi-chen Union große Aufgaben lasten, dass große Erwar-ungen daran gestellt werden. Wir werden im Zusam-enhang mit der finanziellen Vorausschau natürlich fürine Lösung eintreten, die im gesamteuropäischen Inte-esse liegt und nicht gleich dem Revisionszwang ausge-etzt ist. Deutschland ist – das sage ich ausdrücklich – zuinem vernünftigen Kompromiss bereit und wird dazuuch seinen Beitrag leisten. Klar ist aber auch, dass wirls neue Bundesregierung die deutschen Interessen mitllem Nachdruck vertreten werden. Das heißt: Eine fi-anzielle Überforderung kann es angesichts unsereraushaltslage, angesichts unserer eigenen Problemeicht geben. Auch das haben wir allen Partnern gesagt.
Europa hat sich mit den Lissabon-Verabredungeneit reichende Ziele gesetzt. Wir brauchen einen Erfolgnd wir brauchen diesen Erfolg, indem wir Reformenurchführen. Hier bündeln sich im Übrigen unsere in-enpolitischen Anstrengungen mit dem, was in Europatattfindet. Ich will ausdrücklich sagen – wir haben dasn diesem Hause viel zu wenig beachtet –: Die jetzigeommission und auch gerade der deutsche Kommissarünter Verheugen haben in der Europäischen Union et-as gemacht, was es seit Jahrzehnten nicht mehr gege-en hat – ich sage: eigentlich noch nie –: Sie haben sichichtlinien angeschaut und haben gefragt: Sind die nochotwendig? Brauchen wir bestimmte neue Projekte oderind sie für den Lissabon-Prozess, also für eine dynami-che Entwicklung, schädlich? Es handelt sich um über0 Richtlinien, die damit erst einmal vom Tisch sindder die verändert werden. Ich bin dafür ausgesprochenankbar. Europa kann nicht bestehen, indem man sagt:as eine gibt es und dann kommt immer etwas hinzu,eschehe auf der Welt, was es wolle. – Der Schritt, dench oben beschrieben habe, muss von Deutschland unter-tützt werden.
Wir wollen den Verfassungsvertrag, auch wenn daseute zum Teil illusorisch erscheint, zu einem Erfolgachen. Ohne ein eigenes Selbstverständnis ist Europaicht möglich. Das ist ein dickes Brett, das zu bohrenein wird. Aber wir haben uns in unserer Koalitionsver-inbarung hierzu ausdrücklich bekannt.
Europa ist – auch das wissen wir – ohne die Unter-tützung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürgericht möglich. Wir müssen darauf achten, dass die Men-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelschen nicht den Eindruck haben, sie würden überfordert.Deshalb müssen wir ganz besonders Wert darauf legen,dass Staaten, die der Europäischen Union beitreten wer-den, alle Bedingungen uneingeschränkt erfüllen müssen.Das muss die Voraussetzung sein, wenn wir Erweite-rungen der Europäischen Union vornehmen wollen.
So haben wir es auch in unserer Koalitionsvereinbarungfestgelegt: Die am 3. Oktober 2005 aufgenommenenVerhandlungen der Europäischen Union mit der Türkeimit dem Ziel des Beitritts sind ein Prozess mit offenemEnde, der keinen Automatismus begründet und dessenAusgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt. Solltedie EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in derLage sein, alle mit einer Mitgliedschaft verbundenenVerpflichtungen voll und ganz einzuhalten, so muss dieTürkei in einer Weise, die ihr privilegiertes Verhältniszur Europäischen Union weiterentwickelt – das wollenwir alle –, möglichst eng an die europäischen Strukturengebunden werden. Das ist eine Aufgabe, die sich überdie nächsten Jahre erstrecken wird. Wir stehen zu denVereinbarungen, so wie sie von der Vorgängerregierunggetroffen wurden. „Pacta sunt servanda“ muss das Prin-zip europäischen Vertrauens sein. Aber dieser Prozesswird mit besonderer Aufmerksamkeit zu beobachtensein.Die Menschen in Europa erwarten von uns natürlich,dass sie auf die bestehenden Herausforderungen eineAntwort bekommen; das sind Terrorismus, Massenver-nichtungswaffen, Bürgerkriege und internationale Kri-minalität. Deshalb kann ich mit Blick auf unser politi-sches Programm sagen, dass die große Koalition andieser Stelle mehr Gemeinsamkeiten gefunden hat alsjede andere denkbare politische Konstellation.
Das ist nicht in jedem Bereich so. Aber für den Bereichder inneren Sicherheit sage ich das aus voller Überzeu-gung. Hier haben wir einige Dinge hinbekommen, dieich ausgesprochen wichtig finde: Das Bundeskriminal-amt wird zur Abwehr von Terrorgefahren Präventivbe-fugnisse erhalten. Mit der Kronzeugenregelung verbes-sern wir den Kampf gegen die organisierte Kriminalität.Opferschutz geht vor Täterschutz.
– Es ist ja klar, dass da welche mit den Köpfen schütteln.Trotzdem geht Opferschutz vor Täterschutz. Wir werdendas ganz konsequent umsetzen. Deshalb werden wirauch die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegensolche Jugendliche einführen, die wegen schwerster Ge-walttaten verurteilt worden sind. Man kann da nicht denKopf in den Sand stecken, sondern muss sich dem Pro-blem widmen. Das erwarten die Menschen von uns, unddas zu Recht.–hSuhBhaBPskssehmdEvdMLSDehzwüdhgsawf–laturgs
Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit das spüren wir alle – werden immer fließender. Des-alb brauchen wir eine Gemeinsame Außen- undicherheitspolitik innerhalb der Europäischen Union,nd das auf der Grundlage einer europäischen Sicher-eitsstrategie. Europa muss – danach werden uns dieürgerinnen und Bürger fragen – sicherheitspolitischandlungsfähig sein. Das ist kein Ersatz – ich sage dasusdrücklich –, sondern eine Ergänzung des bewährtenündnisses NATO. Es geht darum, den europäischenfeiler der Allianz und damit die Allianz insgesamt zutärken. Denn die NATO ist und bleibt der stärkste An-er unserer gemeinsamen Sicherheit. Sie ist das strategi-che Konsultations- und Koordinierungsforum und woie das nicht ist, müssen wir, auch wir in Deutschland,inen Beitrag dazu leisten, dass sie es wieder wird. Ichabe das bei meinem Besuch in Brüssel sehr deutlich ge-acht.Ich sage auch ganz bewusst: Das ist kein Gegensatzazu, dass wir ein selbstbewusstes Europa sein wollen.in selbstbewusstes Europa muss aber ein starker undor allen Dingen auch ein einiger Partner sein, wenn esarum geht, die Interessen von Sicherheit, Frieden undenschenrechten durchzusetzen.Meine Damen und Herren, ich sage deshalb auch:assen Sie die Schlachten der Vergangenheit ruhen. Diechlachten sind geschlagen. Aber für die Zukunft gilt:ie neue Bundesregierung wird sich mit aller Kraft fürin enges, ehrliches, offenes und vertrauensvolles Ver-ältnis in der transatlantischen Partnerschaft einset-en. Diese Partnerschaft der Wertegemeinschaft derestlichen Welt ist ein hohes – ich sage: ein kaum zuberschätzendes – Gut.
Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang aucharauf vertrauen können – der Bundesaußenminister isteute aus den Vereinigten Staaten von Amerika zurück-ekommen –, dass die amerikanische Regierung die Be-orgnis in Europa ernst nimmt und jüngste Berichte zungeblichen CIA-Gefängnissen und illegalen Flügen,ie auch gegenüber dem Außenminister zugesagt, kurz-ristig aufklären wird.
Wissen Sie, es ist auch dramatisch, welche Entwick-ung Sie genommen haben.
Meine Damen und Herren, wir fühlen uns im Blickuf die transatlantische Partnerschaft den gleichen Wer-en verpflichtet – das ist viel in dieser Welt –: Friedennd Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Ge-echtigkeit und Toleranz. Anders gesagt: Wir haben dasleiche Verständnis von der Würde des Menschen. Daschweißt uns zusammen und bildet auch das Fundament.
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90 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2005
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelAber zum Selbstverständnis dieser Wertegemein-schaft und zum Selbstverständnis, das wir von uns undanderen Menschen haben, zählt auch, dass wir bei Men-schenrechtsverletzungen nicht schweigen, gegenüberniemandem auf der Welt, und seien es noch so hoff-nungsvolle Handelspartner und noch so wichtige Staatenfür Stabilität und Sicherheit.
Ich sehe – das sage ich ausdrücklich – zwischen Ko-operation, die notwendig ist, und dem Einhalten derMenschenrechte oder dem Benennen dessen, was wirunter Menschenrechten verstehen, keine Kluft, die nichtzu überbrücken wäre. Es geht hier um Ehrlichkeit imDialog. Das macht Beziehungen nicht unmöglich. So istjedenfalls meine Erfahrung.Meine Damen und Herren, es ist richtig: Deutschlandist noch nie so sicher und so frei gewesen wie heute.Dennoch – ich habe das am Anfang gesagt – leben wir ineiner Welt voller Herausforderungen: Terrorismus, Mas-senvernichtungswaffen, zerfallende Staaten, extreme Ar-mut, Epidemien und Umweltzerstörung. All das bedrohtunsere Sicherheit und unseren Wohlstand.Wir brauchen deshalb unsere Partnerschaften in derWelt dringender denn je. Ich möchte hier beispielhaft diePartnerschaft zwischen Deutschland und Russland alseine strategische Partnerschaft nennen. Russland ist einwichtiger Wirtschaftspartner. Aber Russland ist genausoein Verbündeter im Kampf gegen den internationalenTerrorismus und natürlich als Land für die politischeStabilität Europas unverzichtbar. Wir haben ein ganz be-sonderes Interesse daran, dass der Modernisierungspro-zess in Russland gelingt. Wir werden das in unseren au-ßenpolitischen Kontakten deutlich machen.Meine Damen und Herren, wir werden uns mit Kräf-ten für Frieden und Stabilität im Nahen Osten einsetzen.Wir schauen natürlich mit besonderer Sorge in diesenTagen auf den Irak, aber genauso auf die Entwicklungim Iran. Trotz der Rückschläge in letzter Zeit wird sichdie Bundesregierung weiter im Drei-plus-Eins-Prozessengagieren. Dieser Prozess muss fortgeführt werden. Ichsehe zu ihm keine Alternative. Aber ich kann den Irannur davor warnen, sich der Kooperation mit der interna-tionalen Staatengemeinschaft und der IAEO zu entzie-hen. Was gegenüber Israel seitens des Iran gesagt wurde,ist in jeder Hinsicht absolut inakzeptabel. Der Iran musswissen, dass wir das nicht hinnehmen.
Deutschland steht zu Israel in einer ganz besonderenVerantwortung. Wir haben in diesem Jahr den 40. Jah-restag der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungenbegangen. Für die neue Bundesregierung möchte ichdeshalb bei dieser Gelegenheit das Existenzrecht Israelsund das Recht seiner Bürgerinnen und Bürger, in siche-ren Grenzen frei von Terror, Angst und Gewalt zu leben,ausdrücklich bekräftigen.EpdtTbAslSdeDrfsLAkhsRsdzbaAwdDddSDWSuB
benso bekräftigen möchte ich allerdings das Recht desalästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat,
er Seite an Seite mit Israel in Sicherheit und anerkann-en Grenzen lebt. Das wäre auch ein klares Signal gegenerrorismus.
Meine Damen und Herren, deutsche Außenpolitikewährt sich im konkreten Handeln. Auf dem Balkan, infghanistan und an vielen anderen Orten tragen deut-che Soldaten, Polizisten, Diplomaten und Entwick-ungshelfer unter erheblichen Gefahren zu Frieden undtabilität bei. Was das im äußersten Fall bedeuten kann,as haben wir gerade wieder in Afghanistan schmerzlichrleben müssen. Deshalb möchte ich all denen, dieeutschland im Ausland vertreten, einen ganz besonde-en Dank sagen und eine ganz besondere Anerkennungür ihren mutigen Einsatz aussprechen. Sie sind in ver-chiedenen Funktionen wichtige Botschafter unseresandes.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist einermee im Einsatz, mit über 6 000 Soldaten auf dem Bal-an, in Afghanistan, am Horn von Afrika oder jetzt inumanitärer Mission in Pakistan. Die Bundeswehr kannich glücklicherweise auf die breite Unterstützung dieseregierung, des Parlaments und der Gesellschaft verlas-en. Die Soldatinnen und Soldaten haben sie auch ver-ient; denn sie brauchen sie für ihren Einsatz.
Unser Anspruch, in der Welt mitzusprechen und mit-uentscheiden, und unsere Bereitschaft zum Mitwirkenedingen sich. Die neue Bundesregierung wird daraufchten, dass die Ziele und Fähigkeiten der deutschenußen- und Sicherheitspolitik immer in einem Gleichge-icht bleiben. Deshalb werden wir den Umbau der Bun-eswehr zu einer Einsatzarmee konsequent fortsetzen.er Kernauftrag der Bundeswehr aus der Verfassung,ie Landesverteidigung, bleibt dabei natürlich unverän-ert gültig. Wir werden auch an den Beschlüssen zurtruktur und Stationierung der Bundeswehr festhalten.ie Bundesregierung bekennt sich zur allgemeinenehrpflicht.
ie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als die fürnser Land beste Wehrform erwiesen, gerade auch mitlick auf die Beziehung zu den Parlamentariern. Ich
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelglaube, dass es an dieser Stelle ganz wichtig ist, eineBundeswehr zu haben, die sich sicher sein kann, dass sieeine tiefe Verankerung in der deutschen Bevölkerunghat.
Wir werden Ende nächsten Jahres ein Weißbuch zurSicherheitspolitik veröffentlichen, erstmals wieder nachmehr als zehn Jahren. Ich denke, dann ist es höchsteZeit, wieder ausführlich über ein solches Grundlagendo-kument zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zurBundeswehr zu diskutieren.Angesichts der Globalisierung nimmt die Bedeutungder internationalen Institutionen zu. Für uns – das ist un-ser gemeinsames Verständnis – muss die UNO der zen-trale Ort der Konfliktlösung werden und dies dann auchbleiben.
Hier liegt eine wichtige Aufgabe vor uns. Wir werdenuns bemühen – ich halte es für ganz wichtig, dass wirdas schaffen –, bei der Reform der UNO gemeinsameeuropäische Positionen durchzusetzen. Wir bleiben be-reit, mit der Übernahme eines ständigen Sitzes im Si-cherheitsrat mehr Verantwortung zu übernehmen. Ichsage aber ausdrücklich: Die Reform der UNO kann nichtauf die Frage des Sicherheitsrates reduziert werden,
sondern sie geht weit darüber hinaus. Die Frage, welcheRolle die UNO in den nächsten Jahrzehnten einnimmt,wird von existenzieller strategischer Bedeutung für eineglobal zusammenwachsende Welt sein.
Denn, meine Damen und Herren, die Stärkung der in-ternationalen Institutionen ist angesichts der Globali-sierung lebensnotwendig. Eine Politik, die den Ansprucherhebt, die Globalisierung zu gestalten – diesen Anspruchmüssen wir erheben, auch wenn viele Menschen den Ein-druck haben, Politik könne das nicht mehr –, darf nichtüber internationale Institutionen hinweggehen, sondernsie muss die internationalen Institutionen dazu befähigen,die Globalisierung auch zu gestalten.Wir sagen: Die soziale Marktwirtschaft hat sich alsgroßer Erfolg für uns alle und als Vorbild für andere er-wiesen; das ist ein schöner Satz, aber die Fragen, ob wirdas durchsetzen können und in welcher Weise die inter-nationalen Organisationen agieren – ich kann das an derWelthandelsorganisation festmachen –, sind damit nichtbeantwortet. Die meisten Menschen haben nicht denEindruck, dass wir heute über die Möglichkeiten verfü-gen, weltweit das zu vertreten, was uns an sozialem Aus-gleich der freien Wirtschaft – in Form der sozialenMarktwirtschaft – wichtig ist, sondern sie haben Angst,dass davon für sie nichts mehr übrig bleibt. Deshalb istdie Gestaltungskraft von Politik nicht mehr nur nationalnnrlwwl2utsIZidsmwtWdßDsvvndSuRRdswwuwdmSsDD
ch weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchsvolleiele. Aber wir müssen lernen: Die Probleme ereilen unsm Inland, wenn wir es nicht schaffen, die Probleme an-erswo einer Lösung zuzuführen.
Meine Damen und Herren, aus all dem, was ich ge-agt habe, wird deutlich: Wir haben uns viel vorgenom-en – weil wir sicher sind, dass vieles möglich ist undeil wir auch wissen, dass viele Menschen vieles erwar-en. Diese Koalition will Rituale überwinden und neueege aufzeigen. Viele werden sagen: Diese Koalition,ie geht ja viele kleine Schritte und nicht den einen gro-en. Ich erwidere ihnen: Ja, genau so machen wir das.enn wir glauben, dass auch das ein moderner Ansatzein kann. Es hat sich herausgestellt, dass die Vernetzungon vielen kleinen Computern, an vielen Stellen, effekti-er ist als der eine Großrechner – der Erfolg des Inter-ets beruht auf genau dieser Philosophie. Deshalb wer-en wir eine Regierung sein, die diese vielen kleinenchritte ganz bewusst in Angriff nimmt. Wir werdenns nicht drücken vor dem Handeln, wir werden eineegierung der Taten sein. Wir wissen, dass wir auchückschläge werden hinnehmen müssen. Aber wir wer-en eines zeigen: Wir haben große Möglichkeiten in die-em Land. Deutschland ist voller Chancen, nach innenie nach außen.
Fragen wir deshalb nicht zuerst, was nicht geht oderas schon immer so war; fragen wir zuerst, was geht,nd suchen wir nach dem, was noch nie so gemachturde. Haben wir den Mut, das dann aber auch wirklichurchzusetzen! Überraschen wir uns also damit, wasöglich ist, überraschen wir uns damit, was wir können!tellen wir unter Beweis, dass wir unser Land gemein-am nach vorn bringen, mit Mut und Menschlichkeit!enn Deutschland kann mehr und ich bin überzeugt,eutschland kann es schaffen.Herzlichen Dank.
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Ich eröffne die Aussprache. Für die Opposition erhält
als Erster das Wort der Vorsitzende der FDP, Dr. Guido
Westerwelle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich möchte für die liberale Opposition in diesemHause zunächst etwas über die beiden schrecklichenEntführungen im Irak sagen. Frau Bundeskanzlerin, ichmöchte hier klar erklären, dass wir uns Ihren Äußerun-gen zu dieser Entführung in vollem Umfange anschlie-ßen. Hier stehen wir alle beieinander und zueinander unddie Regierung hat das volle Vertrauen auch der Opposi-tion, dass sie hier richtig handelt.
Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und den Damen undHerren Ministern gratulieren wir zur Wahl bzw. zur Er-nennung. Wir wünschen Ihnen eine glückliche Handund, weil es um unser Land insgesamt geht, auch vielErfolg.Wir Freidemokraten werden hier im Deutschen Bun-destag eine Opposition sein, die hart in der Sache ist,verbindlich im Umgang und bei den Ergebnissen kon-struktiv. Wir kennen unsere Verantwortung; das habenSie in den jüngsten Gesprächen zur Föderalismusreformgemerkt. Wir Freidemokraten sind hier im DeutschenBundestag in der Opposition, sind aber in fünf Landesre-gierungen vertreten. Damit haben die Liberalen im Bun-desrat übrigens Einfluss auf genauso viele Stimmen wieder Juniorpartner in dieser Bundesregierung, die Sozial-demokraten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchtemit einem Zitat beginnen:Eine Opposition ist in ihren Qualitäten nicht dannstaatserhaltend, wenn sie eine wohlwollende Beur-teilung durch die Bundesregierung oder durch ihreParteien findet. … Die Opposition ist die Begren-zung der Regierungsmacht und die Verhütung ihrerTotalherrschaft.Das waren die Worte des Oppositionsführers KurtSchumacher am 21. September 1949 im Deutschen Bun-destag.
Was damals galt, bei einer Stimme Mehrheit, das giltumso mehr bei der Begrenzung der Regierungsmacht ei-ner so genannten großen Koalition. Gerade in Zeiten ei-ner großen Koalition kommt auch auf die Oppositioneine besondere Verantwortung zu. Diese werden wirwahrnehmen.
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Auch der ehrliche Hinweis, man sei sich da und dortnicht einig, ändert nichts an Ihrer Verantwortung. DasEingeständnis einer Regierung, dass sie hier und dortnicht weiterkommt, weil man sich nicht einig ist, ist fürdie Betroffenen in keiner Weise tröstlich, wenn dieKrankenkassen- und Rentenbeiträge weiter steigen, wo-durch die Lohnzusatzkosten nach oben gehen, wenn dieSteuerlast entsprechend angehoben wird und wenn eskeine betrieblichen Bündnisse gibt. Sie sagen, Sie seiensich in der Energiepolitik einig, mit Ausnahme der Kern-energie. Ja, wenn man sich bei der Kernenergie nicht ei-nig ist, dann kann man weiß Gott nicht von Einigkeit imGrundsatz bei der Energiepolitik sprechen.
Der Bundespräsident hat in seiner ersten Rede in die-sem Jahr das Motto „Arbeit hat Vorfahrt“ ausgegeben.Die Koalitionsvereinbarung gibt vielem Vorfahrt – manchSinnigem und manch Unsinnigem –, nur der Arbeit ebennicht. Durch Steuererhöhungen sowie durch Einmaler-löse wollen Sie von 2006 bis 2009 – an dem, was gedrucktwurde, muss man sie messen – 150 Milliarden Euro mehreinnehmen. Die echten Minderausgaben sollen in diesemZeitraum aber nur 15 Milliarden Euro betragen. Hier gehtes nur noch um die Finanzierung des „Weiter so!“. Wieman bei einer Einnahmeverbesserung von 150 MilliardenEuro und gleichzeitiger Ausgabenkürzung von 15 Mil-liarden Euro, also bei einem Verhältnis von 10 : 1, von ei-ner sparsamen Regierung reden kann, bleibt das Geheim-nis manchen Kommentators.
Das komplizierte Steuersystem wird nicht vereinfacht.Die Sozialversicherungssysteme werden weder mutignoch grundsätzlich reformiert, stattdessen wird mehrGeld hineingegeben.Die letzte Regierung ist doch nicht an dem geschei-tert, was sie getan hat, die letzte Regierung ist zuerst andem gescheitert, was sie nicht getan hat, an dem Hin undHer und an der eigenen Zögerlichkeit. Das darf sichnicht wiederholen. Deswegen ist es übrigens auch beun-ruhigend, dass Sie gleich in der ersten Regierungserklä-rdgnmbdvZDKDGDFzfuKgnnnWngd
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Dr. Guido WesterwelleMeine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD,im Wahlkampf haben Sie in jeder Stadt Deutschlands einPlakat aufgehängt, auf dem es hieß: „2 % Merkelsteuerauf alles“. Jetzt kommen nicht nur 2 Prozent Merkel-Steuer, sondern obendrauf noch 1 Prozent Münte-Steuer.Das ist die Lage in diesem Lande.
Es ist nicht einmal politik- oder kompromisstheoretischnachvollziehbar, wie Sie zu diesem Ergebnis gekommensind. Wenn man Verträge schließt, ist es normalerweiseso, dass man sich dann, wenn der eine die eine Meinungund der andere eine andere Meinung vertritt, in der Mittetrifft. – Nicht so bei der großen Koalition! Die Unionsagt: „2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung!“, die SPDsagt „Keine Mehrwertsteuererhöhung!“ und dann trifftman sich mutig bei einer Erhöhung der Mehrwert-steuer um 3 Prozent. Das ist wirklich nur noch peinlich.
Weil Sie, meine Damen und Herren Kollegen von derSPD, an dieser Stelle mit Fröhlichkeit über Ihre Verle-genheit hinwegtäuschen wollen, möchte ich Ihnen einessagen: Wenn wir aus Koalitionsverhandlungen nicht miteiner Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozent, son-dern um gleich 3 Prozent herausgekommen wären, kannich nur erahnen, welchen Tanz Sie in diesem Haus auf-geführt hätten. Dagegen sind wir richtig zurückhaltend.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union,weil Sie jetzt ebenfalls Ihre Fröhlichkeit entdeckt haben,möchte ich auf Folgendes aufmerksam machen: In derKabinettsitzung gestern hat man sich auf die Streichungder Eigenheimzulage verständigt. Ich erinnere mich anDebatten in diesem Hause, bei denen wir von der rechtenSeite dieses Hauses alle gemeinsam gesagt haben: Ja, diesteuerlichen Ausnahmetatbestände müssen gestrichenwerden, aber sie dürfen nicht für das Stopfen von Haus-haltslöchern verwendet werden, sondern sie müssen indie Senkung der Steuersätze investiert werden, sonst istdas für die Bürgerinnen und Bürger unterm Strich einefette Steuererhöhung. – Genau das tun Sie jetzt. NichtFreiheit und Vorfahrt für Arbeit diktieren Ihre Politik,sondern es wird eine Politik nach Kassen- und Haus-haltslage gemacht. Weil Sie sich an echte Strukturver-änderungen nicht heranwagen und Sie sich nicht einigsind, müssen diese Verträge bei Ihnen zulasten Drittergeschlossen werden, nämlich zulasten der Bürgerinnenund Bürger in Deutschland.
Übrigens: Ein Musterbeispiel für das, was in Zeiteneiner großen Koalition einem Kampf von David gegenGoliath gleicht, war die erste Pressekonferenz nach Ab-schluss der Koalitionsverhandlungen. Da stellen sichBundeskanzlerin und Vizekanzler auf der Bundespresse-klsefsVwKJDKgemuvdnWsgdmungthdudlstdvdza2sdMiv–
ann passt das nicht mit der Erhöhung der Zahl der Mi-ister und Staatssekretäre zusammen.
enn eine Bundesregierung von allen Deutschen Spar-amkeit verlangt, dann ist eine Regierung mit 70 Mit-liedern überdimensioniert. Ein Ministerium, zwei Bun-esminister und drei Parlamentarische Staatssekretäreehr – wer so handelt und redet, der trinkt selber Weinnd predigt der Bevölkerung Wasser. Auch das passticht zur Glaubwürdigkeit einer neuen Zeit, die Sie an-emahnt haben.
Wir brauchen eine Politik, die konsequent auf Wachs-um und Reformen statt auf ein „Weiter so“ setzt. Wiraben heute in einem Antrag zum wiederholten Male iniesem Hause darauf hingewiesen, dass Steuersenkungnd Steuervereinfachung zusammengehören und dassie Finanzierung entsprechender Maßnahmen auch mög-ich ist.Es war übrigens eben eine drollige Begegnung, alsich die Bundeskanzlerin dankbar an die Herren Minis-erpräsidenten gewandt und bemerkt hat, wie schön esoch sei, dass sie auf ihren Anteil an der Mehrwertsteuererzichtet hätten. Aber der deutschen Öffentlichkeit seiann auch die komplette Wahrheit genannt: Bei 1 Pro-ent der Einnahmen verzichten die Länder – pfiffig unduch raffiniert, wie sie sind – auf ihren Anteil; bei denProzent langen sie natürlich genauso zu. Nicht, dassich in der deutschen Öffentlichkeit ein falscher Ein-ruck durchsetzt: Dort auf der Länderbank sitzt nichtutter Teresa; die Ministerpräsidenten haben vielmehrhre Interessen – auch die finanzpolitischen – eiskalt aus-erhandelt. Das will ich an dieser Stelle festhalten.
An dieser Stelle auch Sie nicht, Herr Platzeck.
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Dr. Guido WesterwelleDie Konjunktur zieht nur dann an, wenn auf demArbeitsmarkt positive Signale gesetzt werden. Was Siefür die Probezeit vereinbart haben, ist zu wenig. Wir ha-ben gemeinsam regelmäßig über die betrieblichen Bünd-nisse und die Notwendigkeit des Aufbruchs der Tarifkar-telle gesprochen. Leider haben Sie selber heuteeingestanden: Können wir nicht, schaffen wir nicht!Die Reform der sozialen Sicherungssysteme ist nichtnur nötig, sondern auch möglich. Das haben wir geradeheute gesehen, da die Rente zum ersten Mal überhauptnur noch unter Inanspruchnahme eines Überbrückungs-gelds ausgezahlt werden kann. In Wahrheit haben wir beider Rente noch eine Schwankungsreserve – die eiserneReserve – von zwei Tagen.Was das Gesundheitswesen angeht, wissen wir, dassdie Kassen zum 1. Januar die Beiträge erhöhen wollen.Sie aber sagen uns hier: Wir werden uns im nächstenJahr mal wegen der Gesundheitspolitik zusammenset-zen; das konnten wir gemeinsam leider nicht schaffen. –Das ist für Deutschland zu wenig!Sie haben ausgeführt, dass wir eine Qualifizierungs-und Technologieoffensive brauchen. Darin unterstützenwir Sie, insbesondere, wenn Sie bei der BiotechnologieFortschritte erzielen. Auch bei der Grünen Gentechnikwerden Sie uns an Ihrer Seite haben.Ich betone auch ausdrücklich: Es ist richtig, dass Siesich eine neue Allianz der Familien- und Bildungspoli-tik zum Ziel gesetzt haben. Auch wir sind der Überzeu-gung, dass die Globalisierung in erster Linie im Wettbe-werb der Bildungssysteme entschieden wird.Sie sagten aber auch, wir bräuchten ein anderes Klimain Deutschland, keine Neidgesellschaft; Spitzenleistun-gen müssten anerkannt werden. Sie haben aber geradedas glatte Gegenteil beschlossen: Nachdem zum 1. Ja-nuar der Spitzensteuersatz gesenkt worden ist, wird erjetzt, wenige Monate später, zum Jahresende gleich wie-der erhöht. Das Ganze nennen Sie „Erhöhung des Spit-zensteuersatzes“. In Wahrheit ist es nichts anderes als dieReichensteuer, wie sie Herr Müntefering mit seiner Heu-schreckendebatte in die Diskussion eingeführt hat. Wereine solche Heuschreckendebatte führt und dann mit ei-ner Reichensteuer darauf antwortet, der sorgt dafür, dassArbeitsplätze entstehen – in Österreich und anderenNachbarländern, aber nicht bei uns in Deutschland. An-erkennungskultur heißt auch, Leistungen anzuerkennen,statt sie mit Strafzetteln zu verfolgen.
Wenn Sie beim Bürokratieabbau vorankommen, wer-den wir Sie dabei begleiten und unterstützen. Wenn ausdem positiven Ansatz des Elterngeldes nicht neue Schul-den, sondern neue Chancen für die Kinder entstehen,werden wir diesen Vorschlag unterstützen.Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit400 Anträgen im Deutschen Bundestag gezeigt, dass wirin der Lage sind, konkrete Einsparungen vorzuschlagenund zu vertreten. Wir haben als Liberale eine besondereVerantwortung bei den Themen Bürgerrechte undRechtsstaat. Diese dürfen in einer großen Koalition nichtueuvCkeÜtSnwADFlHzdtrgsrIdgrFsSeMZ
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Frau Bundeskanzlerin, im Namen der SPD-Fraktionratuliere ich Ihnen zu Ihrer Amtsübernahme und wün-che Ihnen und unserem Land eine erfolgreiche Regie-ungszeit.
ch danke Ihnen, Frau Merkel, auch für die Anerkennunger wichtigen Reformschritte, die Gerhard Schröder ein-eleitet hat. Er hat das Land in schwieriger Zeit erfolg-eich gelenkt.
Herr Kollege Kauder, der Beifall in Ihren Reihen, alsrau Merkel Herrn Schröder gelobt hat, war ein bisschenchwach.
ie müssen noch einiges lernen. Aber ich gebe zu, dasss auch für uns eine ungewohnte Situation ist, Frauerkel Beifall zu zollen. Wir werden das im Laufe dereit noch lernen.
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)Dr. Peter StruckFrau Merkel, Ihre Regierungserklärung ist ein soliderGrundstock, auf den wir in den nächsten vier Jahren set-zen können. Meine Fraktion wird mit dem für Parlamen-tarier notwendigen Selbstbewusstsein dazu beitragen,dass es vier erfolgreiche Jahre für Deutschland werden.
Deutschland genießt bei unseren Nachbarn und Part-nern hohes Ansehen. Dazu hat Gerhard Schröder ent-schieden beigetragen. Deutschland ist ein verlässlicherPartner. Als jemand, der zuletzt für einen wichtigen Teilder deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Verant-wortung getragen hat, weiß ich, wovon ich rede. In denFragen der Außen- und Sicherheitspolitik hat es schon inder Vergangenheit eine große Übereinstimmung zwi-schen uns gegeben, übrigens auch mit den Kolleginnenund Kollegen der FDP-Fraktion. Ich denke dabei an diegemeinsame Verantwortung für die Friedenseinsätze derBundeswehr und – anknüpfend an Ihre Bemerkung, FrauMerkel, und an die des Kollegen Westerwelle – die Hil-fen für den Irak, die fortgesetzt werden müssen. UnserLand darf sich einer Erpressung nicht beugen.
Herr Westerwelle, es war ja zu erwarten, dass Sie ge-gen die geplante Mehrwertsteuererhöhung argumentie-ren werden. Ich hätte mir ebenfalls eine andere Lösunggewünscht. Aber Koalitionsverhandlungen sind keine„Wünsch dir was“-Veranstaltungen. Das hätten auch Sieübrigens gemerkt, wenn Sie die Chance gehabt hätten,Koalitionsverhandlungen zu führen. Aber der Wählerhat Ihnen diese Chance nicht gegeben.
Die Mehrwertsteuer wird erst 2007 erhöht und nichtschon nächstes Jahr, wie im Wahlprogramm der Unionangekündigt. Das hat den Vorteil, dass im kommendenJahr der Aufschwung nicht gestört wird und die eineoder andere Anschaffung vielleicht im kommenden Jahrvorgezogen wird. Die Grundnahrungsmittel bleiben beider Mehrwertsteuererhöhung außen vor; das sollten wirfesthalten. Es bleibt bei 7 Prozent. Es wird keine Erhö-hung in diesem Bereich geben. Wir müssen die Hand-lungsfähigkeit des Staates wiedergewinnen. Dazu mussdie Einnahmebasis verbessert werden. Das ist völlig un-strittig. Ein Teil der Mehrwertsteuererhöhung wird na-türlich den Bürgern durch die niedrigeren Beiträge zurArbeitslosenversicherung zurückgegeben und die Lohn-nebenkosten können so gesenkt werden.Seit einer Woche ist die Bundesregierung im Amt. Esist die zweite große Koalition in der Geschichte unseresLandes. Die zweite nicht nur in zeitlicher Reihenfolge,auch in ihrer Größe lassen die Wähler der Oppositionmehr Platz. Bei der ersten großen Koalition gab es mitder FDP-Fraktion eine relativ kleine Opposition.
Geschichte wiederholt sich nicht. Die große KoalitionMerkel/Müntefering lässt sich nicht eins zu eins aufKiesinger/Brandt übertragen. Dennoch bin ich über-zgtWumBasmEfukdüAtrleWvvhrsAHagAMELbrKodlMhJ
ber das ist jetzt Geschichte und jetzt gilt es etwas Gu-es aus dieser neuen Konstellation zu machen. Die Vo-aussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben. Der Koa-itionsvertrag ist ein Kompromiss, kein fauler, sondernin fairer Kompromiss.
ir alle haben uns zurückgenommen, damit das Landorankommt. Wir alle sind für den ganzen Koalitions-ertrag verantwortlich. Keiner kann sich nur die Rosinenerauspicken.
Diese neu gewählte Bundesregierung ist eine Arbeits-egierung, eine Koalition des Machbaren. Das wirdchon am Umfang des Koalitionsvertrages deutlich. Von wie Arbeitsmarktreform bis Z wie Zölle werden dieandlungsfelder beschrieben. Das mag dem einen odernderen nicht sexy genug sein. Vielleicht wird auch dieroße Linie vermisst.
ber Politik muss immer praktisch und konkret für dieenschen sein.
s geht uns in der Koalition darum, die Probleme desandes zu lösen, den Menschen ein besseres Leben zuescheren und Deutschland in eine gute Zukunft zu füh-en.
urz gesagt: Es geht um ehrliche und solide Arbeit,hne Schnörkel und ohne Schleifchen. Die Umsetzungieses Koalitionsvertrages verlangt Disziplin und Ver-ässlichkeit. Die Art und Weise, wie vor allem Frauerkel und Franz Müntefering den Vertrag ausgearbeitetaben, hat Vertrauen geprägt, das für die nächsten vierahre unser Verhältnis bestimmt.
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Dr. Peter StruckDie neue Bundesregierung steht vor großen und wich-tigen Weichenstellungen für die Entwicklung unseresLandes. Sie kann dabei auf dem Fundament aufbauen,das die alte Bundesregierung unter BundeskanzlerSchröder gelegt hat. Mit der Agenda 2010 wurden wich-tige und richtige Entscheidungen getroffen. Daran wer-den wir in unserer Arbeit anknüpfen. Wir bekennen unsnachdrücklich zur Zusammenlegung der Arbeitslosen-hilfe und Sozialhilfe in der Grundsicherung für Arbeits-suchende.
Alle Arbeitssuchenden erhalten eine Chance. Bislangwurden junge Menschen, die noch nie gearbeitet haben,und Menschen, die sehr lange arbeitslos waren, auf einAbstellgleis geschoben. Sie bekamen zwar Geld, aber esgab keine Regelung, wie sie wieder Arbeit finden konn-ten. Seit dem 1. Januar ist das anders. Arbeitsfähige So-zialhilfeempfänger nehmen wieder an der Arbeitsver-mittlung teil. Auch das ist ein Erfolg, der sich sehenlassen kann.
Es gibt Hilfe aus einer Hand. Mit der Zusammenle-gung der sozialen Systeme Arbeitslosenhilfe und Sozial-hilfe hat jeder größere Chancen und auch einen neuenpersönlichen Ansprechpartner. Arbeitssuchende sindkeine Nummern mehr. Es wird sich intensiv um sie ge-kümmert. Ein Betreuungsschlüssel von 1 : 75 für Ju-gendliche und junge Erwachsene ist bereits nahezu über-all verwirklicht. Das ist auch ein Erfolg der Maßnahmen,die seit 1. Januar dieses Jahres wirken.
Natürlich ist die Frage der Arbeitsmarktreform heftigumstritten gewesen. Wir haben in den Koalitionsver-handlungen darüber diskutiert. Wir müssen ein solchkomplexes und umfangreiches Reformvorhaben flexibelanpassen und verbessern. Daher werden wir verschie-dene Maßnahmen optimieren und Missbrauchsmöglich-keiten einschränken.Wir beginnen die Arbeit nicht an einem Nullpunkt.Die SPD-geführte Bundesregierung hat wichtige Im-pulse für die Reform des Landes gegeben – zusammenmit unserem damaligen Koalitionspartner Die Grünen,dem ich unseren Respekt aussprechen möchte.
Wir wollen Sie nicht vergessen.Wir werden am Pakt für Ausbildung festhalten unddazu beitragen, dass kein junger Mensch von der Schul-bank in die Arbeitslosigkeit fällt. Die neue Bundesregie-rung wird den Weg beim Abbau von Steuersubventionenund Steuervergünstigungen fortsetzen und darf dabeiauch auf die Unterstützung des Bundesrates hoffen. Wirwerden die 4 Milliarden Euro für das Ganztagsschulpro-gramm bis Ende der Legislaturperiode zur Verfügungstellen.
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Die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre warrfolgreich. Sie festigt und stützt nachhaltig den Wachs-umskurs der deutschen Wirtschaft, die im drittenuartal 2005 kalenderbereinigt um 1,4 Prozent gewach-en ist. Der deutsche Sachverständigenrat hat die alteundesregierung für die wichtigen und weit reichendeneformen ausdrücklich gelobt. Dazu hat Holger Schmie-ing, Chefvolkswirt Europa der Bank of America, ge-agt: „Die Wirtschaft steht am Anfang eines klassischenufschwungs.“ Wir werden diesen Aufschwung beför-ern, und zwar mit unseren Maßnahmen, die wir in deroalition vereinbart haben.
Ein nicht geringer Teil unserer Probleme in der Ver-angenheit ist der gegenseitigen Blockade von Bundes-ag und Bundesrat geschuldet. Ich freue mich, dassatthias Platzeck da ist, auch wenn er nicht derjenigest, den ich ansprechen möchte. Die anderen, die damalslockiert haben, sind leider schon weg. Insofern mussch ihm mitgeben: Sie sind nicht gemeint, Herr Minister-räsident, wenn ich das sagen darf.
Unsere Aufgabe wird es sein, die Handlungsfähigkeites Staates neu sicherzustellen und diesen Missstand zueseitigen. Es geht darum, Entscheidungen schneller zureffen und Zuständigkeiten klarer zu regeln. Da sind wirns mit der Opposition doch einig. Deshalb ist dieeform der föderalen Ordnung nicht nur eine Spiel-iese der Verfassungsjuristen, sondern von zentraler Be-eutung für die Handlungsfähigkeit des Staates. Wennir die Änderungen bis zur Jahresmitte im Gesetzblatttehen haben, dann sind wir ein großes und wichtigestück weiter, dann können wir auf die Reform der föde-alen Ordnung stolz sein.
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Dr. Peter StruckIch habe in den letzten Tagen eine Reihe von Meldun-gen über die Frage gelesen, wie lange diese Koalitionhalten soll. Manche fragen sich, ob das Ganze wirklichvier Jahre hält. Dieses Bündnis ist aus meiner Sicht eineganz solide Sache, eine solide Vereinbarung.
Wir wollen in dieser Legislaturperiode zusammenar-beiten, und zwar für volle vier Jahre. Dann entscheidendie Wähler neu. Ich jedenfalls werde gemeinsam mitVolker Kauder – wenn der jetzt zuhört; das muss er nochlernen – –
– Ich wiederhole den Beginn meines Satzes: Ich jeden-falls werde in diesen vier Jahren mit Volker Kauder ge-meinsam alles tun, um die Koalitionsfraktionen in dieLage zu versetzen, diesem Bündnis zu einem Erfolg zuverhelfen.
Das heißt, dass die Fraktionen selbstbewusst alles dasprüfen werden, was die Regierung vorlegt. Die Regie-rung weiß das. Dafür ist das Parlament da. Frau Bundes-kanzlerin, es ist so, dass nicht alles, was Sie wünschen,vom Parlament auch so beschlossen wird.
Es gilt nach wie vor das alte strucksche Gesetz: Kein Ge-setz kommt so raus, wie es hier reingekommen ist. – Da-für sind wir da.Aber natürlich stehen wir zu unseren Verpflichtungenim Koalitionsvertrag. Mit diesem Koalitionsvertrag ha-ben wir ein gutes Beispiel gegeben. Wir haben unsbewegt. Die Volksparteien sind aus den Gräben heraus-gekommen. Das reicht aber nicht. Auch die gesellschaft-lichen Gruppen, die Verbände, die Arbeitgeber und dieGewerkschaften, müssen aus den Gräben heraus, ge-nauso wie wir aus den Gräben herausgekommen sind.Das Land braucht den offenen Dialog.
Das Land braucht auch die Bereitschaft, Eigeninteressenhintanzustellen. Die Summierung von Lobbyinteressenmacht noch nicht das Gemeinwohlinteresse aus.
Wir werden und können uns nicht jeder Gruppe mit ih-ren Wünschen beugen. Jeder muss in diesem Dialog Ver-antwortung übernehmen. Niemand sollte sich auf dieZuschauerrolle zurückziehen. Wir, SPD, CDU und CSU,können den gesetzlichen Rahmen für mehr Arbeit undBeschäftigung schaffen, aber andere müssen bereit sein,ihn zu nutzen. Wir wollen Fortschritt für unser Land undwir laden alle ein, diesen Weg mit uns zu gehen. Er wirdein Erfolg für Deutschland.
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Aber natürlich lohnt es sich in diesem Zusammen-ang – nicht nur in diesem, sondern auch in jedem ande-en –, über Außenpolitik zu streiten, weil es unterschied-iche Ansätze in unserer Gesellschaft gibt. Wir stehenor der Tatsache, dass die Bundesregierung ihr Verhält-is zum Völkerrecht und zum Krieg klären muss.
Es ist von den USA – nicht nur von den USA, auch innserem Land – immer wieder erklärt worden, manüsse einen Krieg gegen den Terror führen. Ich habeestgestellt: Der Krieg, der da geführt wird, egal wo,ührt nicht zu weniger Terror, sondern zu mehr Terror.ir müssen raus aus dieser Spirale der gegenseitigenewalt.
Das Verhältnis der Regierung Schröder/Fischer wariesbezüglich nicht bestimmt, nicht klar. Sie hat das Völ-errecht beim Jugoslawienkrieg verletzt. Sie hat danneim Irakkrieg auf dem Völkerrecht bestanden. Deshalbage ich: Wir brauchen hier ein klares Verhältnis. Dasuss ein Ja zum Völkerrecht sein;
enn nur das Völkerrecht kann die Macht der USA in ge-issen Grenzen beschneiden, kann die USA einschrän-en.Wir haben noch einen zweiten Kampf der USA. Wiraben eine Weltwirtschaft. Also gibt es auch eine Welt-olitik. Die Frage ist: Wer macht Weltpolitik, die UNOder die USA? Das ist die Auseinandersetzung, die ge-enwärtig geführt wird. Dazu sage ich: Unsere Regie-ung – Sie, Frau Bundeskanzlerin – muss sich für dieeltung des Völkerrechts einsetzen. Das bedeutet dannber auch, dass man in schwierigen Situationen, wie da-als in Jugoslawien, zum Bruch des Völkerrechts Neinagt.
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Dr. Gregor GysiDie USA negieren das Völkerrecht, wie wir das beimIrakkrieg erlebt haben. Sie haben noch eine andereSchwierigkeit: Das ist ihr eigenes inneres Recht. Daskann auch Präsident Bush nicht so schnell ändern; dennes ist über Jahrzehnte entstanden und gewachsen. DieGefangenenlager, die sie auf Guantanamo, in Kuba und,wie wir jetzt erfahren, auch in anderen Ländern einge-richtet haben, dienen dem Zweck, ihr eigenes Recht ge-genüber den Gefangenen nicht gelten zu lassen. Das istdreist!
Dass, wie man jetzt hört, auch deutsche Flughäfen zudiesem Zweck missbraucht worden sind, ist ein starkesStück. Entschuldigen Sie, dass ich meine Zweifel habe,wenn die Regierung sagt, sie habe davon nichts gewusst.Bei der hohen Sicherheit auf unseren Flughäfen kann ichmir nicht vorstellen, wie so etwas heimlich funktionierensoll, sodass eine Regierung davon nichts erfährt. Aufklä-rung ist dringend geboten.
Ich habe gesagt, dass das Völkerrecht auch dazudient, die Macht der Stärksten zu begrenzen. Wenn dasso ist, brauchen wir in dieser Situation gegenüber Präsi-dent Bush starke, klare und deutliche Worte statt Zurück-haltung.
Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, zusammen mitHerrn Müntefering einen Koalitionsvertrag vorgelegt.Ich glaube, es wird leider eine große Koalition zur Ver-schärfung statt zur Lösung ökonomischer, arbeitsmarkt-politischer, sozialer und kultureller Probleme in unsererGesellschaft. Verschärft setzen Sie den falschen Kurs derSPD/Grünen-Regierung fort.
Sie, Herr Struck, haben eben davon gesprochen, dass eseine erfolgreiche ökonomische Politik gegeben habe.Aber 5 Millionen Arbeitslose sind der Beweis dafür,dass die Politik nicht erfolgreich war.
Im Mittelpunkt Ihres Koalitionsvertrages steht dieHaushaltskonsolidierung, mit der Sie allerdings erst2007 anfangen wollen, weil Sie hoffen, dass 2006 ir-gendein Aufschwung kommt, der Ihnen nutzen könnte.Ich glaube, solche Tricks funktionieren im Privatlebennicht und sie funktionieren auch in der Politik und derGesellschaft nicht.Sie wollen wieder Einsparungen im sozialen und iminvestiven Bereich vornehmen. Damit sparen Sie die Ge-sellschaft kaputt.
Sie haben zu Recht, Frau Bundeskanzlerin, auf dieChancen durch den Zusammenbruch der Sowjetunionund des Staatssozialismus hingewiesen. Damit warenChancen verbunden; das stimmt. Aber wir können dochnicht leugnen, dass es Vertreterinnen und Vertreter desKapitals gibt, die seitdem denken, der Sozialstaats-krPmWrSgasigsmkEh„eKlSHlsaispfwKusssIsgWlnfDgeDGd
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– Wir können durchaus lesen. – Ich sage Ihnen aberauch, dass Sie nicht den Mut haben, auch nur von einemKonzern in Deutschland 1 Euro mehr Steuern zu verlan-gen. Das zeigt das klägliche Verhalten der Politik gegen-über der Wirtschaft. Das ist nicht hinnehmbar. So kom-men wir mit dieser Bundesrepublik nicht weiter.
Es wird immer behauptet, wir hätten die höchstenQuoten. Ich habe mir einmal die Zahlen angesehen. DieSteuerquote im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt be-trägt 20 Prozent. Damit liegen wir als eines der wirt-schaftlich stärksten Länder auf dem vorletzten Platz inEuropa. Geringere Steuern hat nur noch die Slowakei.Dann wird gesagt, man müsse auch die Lohnnebenkos-ten sehen. Also haben wir sie addiert und landen bei34,6 Prozent. Damit liegen wir, Frau Bundeskanzlerin,auf Platz 16 nach Griechenland, nach Spanien und nachGroßbritannien. Das ist doch ein Skandal. So können wirunsere Probleme nicht lösen.
Solidarität erfordert auch, dass die mit mehr Eigentumund mehr Vermögen mehr leisten als andere.
Ich komme zur Vermögensteuer. In Deutschlandwerden Steuern in Höhe von 0,8 Prozent des Brutto-inlandsproduktes auf das Vermögen gezahlt. Wissen Sie,was die „Financial Times Deutschland“ geschrieben hat,welche Länder weniger von ihren Reichen verlangen? –Mexiko, Tschechien, Slowakei und Österreich. Für michsind das keine Vorbilder.
Andere Länder, selbst die USA, verlangen deutlich mehrvon ihren Eigentümerinnen und Eigentümern als wir.Hätten wir die Eigentums- und die Vermögensteuern derUSA, hätten wir Mehreinnahmen in Höhe von 50 Mil-liarden Euro im Jahr. Damit könnte man eine ganzeMenge anfangen.
Wie sehen also Ihre Lösungsvorschläge aus? Sie sa-gen, ab 1. Januar 2007 soll die Mehrwertsteuer um3 Prozentpunkte erhöht werden. Alle wissen, das belas-tet die unteren sozialen Schichten und die Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer viel mehr als andere Schich-ten. Das ist ökonomisch eine riesige Katastrophe. Ichkönnte jetzt alle Argumente der SPD aus dem Wahl-kampf wiederholen. Dies war doch Ihr zentrales Wahl-kampfthema. Jeder kennt das Plakat, mit dem Sie gegendie „Merkelsteuer“ polemisiert haben.Wd1dSwdwSrd2nKKAsAvmsIBlwcAdWSlamwEbrewndGfrwven
Ich habe mir das einmal angesehen: Wenn wir dieteuerquote und die Lohnnebenkostenquote von Frank-eich hätten – dort sind es 10 Prozent mehr als bei uns –,ann hätten wir jährlich Mehreinnahmen in Höhe von20 Milliarden Euro. Ich bitte Sie, eine Sekunde darüberachzudenken, dass wir über Nullrunden bei Rente, überürzungen bei Arbeitslosen und über Zuzahlungen beiranken gar nicht diskutieren müssten, wenn wir diesert von Steuergerechtigkeit in Deutschland einführten.
Lassen Sie mich auch etwas zur Arbeitsmarktpolitikagen. Wir fanden von Anfang an den Weg bezüglichrbeitslosengeld II und Hartz IV im Kern, abgesehenon ein paar Einzelumständen, für falsch. Wir haben im-er gesagt, dass die dahinter stehenden Ideen falschind.Ich werde von meinem Beispiel nicht abrücken. Einngenieur, der 50 Jahre alt ist und der 25 Jahre in seinemeruf gearbeitet hat, bekommt ein Jahr lang Arbeits-osengeld I, das nach seinem Einkommen berechnetird. Nach diesem Jahr bekommt er nur noch einen lä-herlichen Betrag in Höhe des Arbeitslosengeldes II.ber nicht nur das! Der Gesetzgeber verlangt auch noch,ass sein Sparvermögen, seine Altersversorgung, seineohnung und sein Auto nur das Niveau wie bei einemozialhilfeempfänger haben dürfen. Wenn er darüberiegt, weil er sich den Lebensstandard eines Ingenieursufgebaut hat, bekommt er gar nichts. Das darf man Ar-ut per Gesetz nennen. In einer so reichen Gesellschaftie der unseren ist das nicht hinnehmbar.
Gerhard Schröder hat in einem Punkt Recht gehabt.r hat im Wahlkampf gesagt, dass gerade die Jungenesser gestellt sind. Das stimmte auch. Die Jungen wa-en besser gestellt. Aber was vereinbaren Sie jetzt mit-inander? Sie vereinbaren, die Besserstellung der Jungenieder zurückzunehmen, indem Sie sagen, dass es kei-en Anspruch bis zum 25. Lebensjahr gibt. Ich möchte,ass wir über folgenden Widerspruch nachdenken. Dasrundgesetz regelt die Volljährigkeit. Im Strafrecht istestgelegt, ab wann man voll strafmündig ist. Das Zivil-echt regelt, ab wann man zivilrechtlich voll belangterden kann. Dem 24-Jährigen wird also gesagt, dass eroll verantwortlich ist. Aber wenn er arbeitslos wird, sollr zu Mami und Papi gehen, weil er für Sie sozusagenoch minderjährig ist und Sie für seinen Lebensunterhalt
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Dr. Gregor Gysinicht aufkommen wollen. Das ist nicht hinnehmbar. Dasist ein Widerspruch in sich.
Nun haben Sie gesagt, sie wollten beim Arbeitslosen-geld II und den übrigen Kosten noch einmal 4 MilliardenEuro einsparen. Folgendes ist ja interessant: Sie haben– das weiß kaum jemand – durch die Bundesagentur fürArbeit eine Art Subventionierung des Bundeshaushaltsfestgelegt. Sie haben nämlich gesagt: Für all diejenigen,die in dem einen Jahr, in dem sie Arbeitslosengeld I be-ziehen, nicht vermittelt werden – das sind die meisten –,muss die Bundesagentur 10 000 Euro an den Bund zah-len. Damit kommt er auf eine Einnahme von über5 Milliarden Euro. Jetzt habe ich gedacht: Da kürzen Sieirgendetwas. Nein, da kürzen Sie natürlich nicht. Aufdiese Einnahme bestehen Sie.Aber Sie wollen 4 Milliarden einsparen. Das gehtwieder zulasten der Arbeitslosen, zulasten einer, wie ichmeine, völlig falschen Gruppe. Deutlich über 90 Prozentunserer Arbeitslosen wollen arbeiten. Dass es einzelneAusnahmen gibt, braucht mir niemand zu erzählen; dasweiß auch ich. Das ist aber nicht unser gesellschaftlichesProblem. Unser gesellschaftliches Problem sind diejeni-gen, die Erwerbsarbeit – auch zur Wahrung ihrerWürde – wollen und keine reale Chance dazu haben. Da-ran muss sich etwas ändern.
Jetzt haben Sie noch festgelegt, dass der Rentenbei-trag, der für die Arbeitslosen gezahlt wird, gesenkt wird.Es ist völlig klar: Dann bekommen diese nur Minirentenund wir haben später das Problem der Altersarmut. Dashilft uns doch nicht weiter. Wir verlagern hier ein Pro-blem auf die nächste Generation.Die Rentnerinnen und Rentner sollen jetzt vierNullrunden durchmachen. Zwei Nullrunden haben sieschon hinter sich. Es gab sogar erstmalig eine Bruttoren-tenkürzung und dann eine Nettorentenkürzung durchBeitragserhöhungen. Nullrunden bei Mehrwertsteuerer-höhungen und anderen Kostensteigerungen sind natür-lich in Wirklichkeit Nettorentenkürzungen – und dassechs Jahre lang; das muss man sich einmal überlegen.Dass Sie in einer Gesellschaft, die so reich ist, in denletzten Jahren ihren großen Konzernen sowie den Bes-ser- und Bestverdienenden alle möglichen Geschenkemachen konnten, bei den Rentnerinnen und Rentnernaber sagen: „Wir haben kein Geld“, ist nicht hinnehm-bar.
Es soll ja noch die Rentenformel verändert werdenund dann wollen Sie das Renteneintrittsalter anheben.Sie wollen das langfristig tun. Sie betonen immer, dassdie Menschen älter werden. Das stimmt; den demogra-phischen Faktor sehen auch wir. Warum erwähnen Sieaber nicht einmal, wie sehr die Produktivität gestiegenist? Daimler-Benz brauchte vor 20 Jahren für einen be-stimmten Produktionsgang vier Arbeitskräfte; heutewird dafür nur noch eine Arbeitskraft benötigt. Dasheißt, wenn damals vier Arbeitskräfte vier Rentner mitedwtelRngtaadKvkWhAgfAd–bsgnNSkimddsWtDbc
Deshalb sage ich Ihnen: Sie werden sich um dieachfrageseite in Deutschland kümmern müssen, wennie die Wirtschaft stärken und mehr soziale Gerechtig-eit schaffen wollen. Wir machen das nicht aus reindeologischen Gründen. Wir denken dabei auch ökono-isch; aber wir wollen natürlich – das ist unser Ziel alsemokratische Sozialistinnen und Sozialisten –, dass esen Menschen in dieser Gesellschaft besser geht. Manollte nicht einerseits Wasser predigen und andererseitsein trinken. Wir haben gesagt: Wir predigen wenigs-ens auch Wein.
as ist der Unterschied. Wir wollen, dass es den Leutenesser geht. Sie wollen das für viele nicht mehr errei-hen. Das ist nicht hinnehmbar.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind eine Frau.
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Dr. Gregor Gysi
– Das ist erstmalig in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland; das wird man doch wohl mal erwähnendürfen. – Ich hätte mir von Ihnen zwei, drei lohnendeSätze zur Gleichstellungspolitik in dieser Gesellschaftgewünscht.
Ich habe nichts dazu gehört; das finde ich schade.Sie kommen aus Ostdeutschland. Da hätte ich mirgewünscht, dass Sie das Ziel der Angleichung derLebensverhältnisse Ost und West zumindest nicht auf-geben. Das steht aber kein einziges Mal im Koalitions-vertrag und Sie haben es auch kein einziges Mal geäu-ßert. Wenn Sie schon nicht sagen können, wann in Ostund West gleicher Lohn für gleiche Arbeit bezogen wird,dann geben Sie doch nicht auch noch das Ziel auf.
Wir erwarten von Ihnen zumindest einen Fahrplan, indem Sie sagen, in welchen Schritten Sie dieses Ziel er-reichen wollen. Alle Verteuerungen, zum Beispiel dieErhöhung der Mehrwertsteuer, werden sich im Ostennoch verheerender auswirken als im Westen. Das kennenwir von früher. Deshalb muss man darauf hinweisen.Ich glaube auch, dass wir Investitionen brauchen. Siesprechen gerne vom Zukunftsfonds. Ich sage Ihnen nur:Eine Schummelei geht nicht. Sie können nicht immermit Jahresbeträgen operieren, aber, wenn es um den Zu-kunftsfonds geht, von dem Vierjahresbetrag reden. Esgeht um 6 Milliarden Euro pro Jahr; das muss man hin-zufügen. Dies ist zumeist Geld, das auch sonst ausgege-ben worden wäre, mag es auch vernünftige Investitionendarunter geben. Wenn Sie aber in die Verkehrsinfrastruk-tur investieren wollen, können Sie nicht gleichzeitig dieZuschläge für Bus und Bahn reduzieren. Damit würdenSie nämlich Ihrem eigenen Programm einen Schlag insGesicht versetzen.
Frau Bundeskanzlerin –
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
– ein letzter Satz –, Sie sind wohl für längere Zeit ein-
malig in Ihrem Amt, sowohl als Frau als auch als Ost-
deutsche. Das werden wir nach Ihnen so schnell nicht
wieder erleben. Irgendwann müssen Sie aber aufhören,
entweder freiwillig oder weil Sie müssen.
Sie sollten sich überlegen, dass es doch dann schön
wäre, sagen zu können: Die Gesellschaft ist friedlicher
geworden. Die Gleichstellung der Geschlechter ist vo-
rangekommen. Die soziale Gerechtigkeit hat zugenom-
men. Die Angleichung von Ost an West hat zugenom-
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nd Angela Merkel hat als erste Bundeskanzlerin derundesrepublik Deutschland das Steuer übernommen.arüber freuen wir uns als Union ganz besonders.
ch gratuliere allen Mitgliedern der Bundesregierungnd unserer Bundeskanzlerin. Ich wünsche Ihnen, Frauundeskanzlerin, viel Erfolg und für Ihre Arbeit Gottesegen.
Die Herausforderungen, vor denen unser Land steht,ind groß. Die Menschen wissen das. Massenarbeits-osigkeit, Staatsverschuldung, demographischer Wandel,as fortschreitende Zusammenwachsen der globalenirtschaft und die neue Konkurrenz durch dynamischachsende und erfolgshungrige Volkswirtschaften instasien haben erhebliche Auswirkungen auf unserand. Wer sich auf den Erfolgen der Vergangenheit aus-uhen will, wird sich gegenüber diesen Entwicklungenicht behaupten können. Wir hingegen gestalten als Re-ierungskoalition das Heute, um das Morgen zu gewin-en.
evölkerungsrückgang und Überalterung sind Heraus-orderungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.enn unsere Systeme der sozialen Sicherung sowohleute lebenden als auch zukünftigen Generationen einetabile Perspektive bieten sollen, dann müssen wir jetztie Weichen richtig stellen.Noch dramatischer stellt sich die Situation der öffent-ichen Haushalte dar. Wir spüren, dass die gewaltigetaatsverschuldung der Politik fast den Atem nimmt. Sieeschränkt die Handlungs- und Freiheitsräume kommen-er Generationen. Ein finanzpolitisches „Weiter so!“äre ein Verrat an der Zukunft unserer Kinder undnkelkinder. Die Sanierung unserer Staatsfinanzen wird
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Volker Kauderdeshalb vordringliche Aufgabe der neuen Regierungsein. Dies ist im Koalitionsvertrag auch ganz klar unddeutlich geregelt.Diese Ausgangslage zeigt die schwierige Aufgabe,die vor uns liegt. Aber wir glauben an dieses Land undseine Zukunft. Deutschland hat gute Grundlagen: inno-vative Unternehmen, eine bedeutende Forschungsland-schaft. Das größte Potenzial unseres Landes aber sinddie Menschen, gerade die jungen Menschen. Sie müssendurch die Politik dieser Regierung wieder Zukunfts-perspektiven erhalten und Zuversicht schöpfen können.
Manchmal erinnert mich Deutschland an den gefes-selten Riesen Gulliver, kraftstrotzend und doch bewe-gungsunfähig. Wir wollen in dieser Regierungskoalitioneinen Beitrag dazu leisten, Gulliver zu entfesseln und diein unserem Land steckenden Möglichkeiten zur Entfal-tung zu bringen. Wir werden unseren Bürgerinnen undBürgern neue Chancen eröffnen. Deutschland kannmehr – diese Regierung wird dazu einen Beitrag leisten.
Viele Menschen machen sich wegen der schwierigenLage unseres Landes Sorgen – das kann ich gut verste-hen. Was Angela Merkel aber heute als Regierungspro-gramm vorgestellt hat, vermittelt Zuversicht, Optimis-mus, Zukunft. Mit Mut und Menschlichkeit stellt sichdiese Regierung den Herausforderungen unserer Zeit.
Wir haben alle Chancen. Wir können immer noch auseigener Kraft die in unserem Land angelegten Möglich-keiten entfalten, um Wohlstand und Freiheit auch in Zu-kunft zu sichern und den Menschen wieder eine Perspek-tive zu geben.Auch wenn es sich bei der großen Koalition um einBündnis auf Zeit handelt, geht es uns nicht um eine Poli-tik für den Augenblick. Wenn wir Seifenblase auf Sei-fenblase aufsteigen ließen, um den Launen der Demos-kopie und den Partikularinteressen der Lobbyisten zugefallen, könnte dies einen Unterhaltungseffekt haben;den Erwartungen unserer Bürgerinnen und Bürger wür-den wir damit nicht gerecht werden. VerantwortlichePolitik heißt, auch über den Tag – über diese Legislatur-periode – hinauszuschauen. Dazu sind wir in dieser gro-ßen Koalition bereit.
Ein Beispiel für diese Politik über den Augenblick hi-naus ist die Reform unserer bundesstaatlichen Ord-nung. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer Regierungser-klärung klar und deutlich gesagt: Wir werden dasföderale System erneuern und die Kompetenzen vonBund und Ländern entflechten, klare Verantwortlichkei-ten festlegen und das Prinzip der Subsidiarität stärken.Ein weiteres Beispiel ist die Gesundheitspolitik.Union und SPD sind mit unterschiedlichen Konzeptenangetreten. Aber beide Seiten eint die Überzeugung,dhlgsurdshSrlvFdsDdizlnrDtfVdAuBsFDl
Wenn ich an manche Arbeit der vergangenen Regie-ung denke – das will ich als einzigen Hinweis geben –,ann muss ich sagen: Sich ein bisschen mehr Zeit zu las-en ist besser, als Schnellschüsse zu machen, die maninterher nachbessern muss.
Die Gesundheitspolitik ist aber auch, Herr Kollegetruck, ein Beispiel dafür – wir wollen sie ja zur Füh-ungsaufgabe machen, was richtig ist –, dass wir es nochernen müssen, zunächst intern miteinander zu reden, be-or wir öffentlich Vorschläge machen.
Wir wollen den Erfolg der Bundesregierung unterührung von Angela Merkel. Peter Struck und ich wer-en dazu, zusammen mit unseren Fraktionen im Deut-chen Bundestag, den Beitrag leisten, der notwendig ist.
ie Verhandlungen der letzten Wochen haben gezeigt,ass es trotz politischer Gegnerschaft möglich gewesenst, für eine Wahlperiode ein Regierungsprogramm auf-ustellen. Nach einem harten Wahlkampf ist uns das al-en am Anfang nicht leicht gefallen. Aber die Erkennt-is, dass Menschen und Land vor der Parteipolitikangieren, hat zu diesem Regierungsbündnis geführt.amit bekennen sich Union und SPD zu ihrer staatspoli-ischen Verantwortung.Natürlich ist in den letzten Wochen das Verständnisüreinander gewachsen. Das menschlich gute Klima dererhandlungen ist entscheidende Vertrauensbasis füriese Regierung.
ber es gibt nach wie vor Unterschiede zwischen Unionnd SPD.
ei aller guten Zusammenarbeit: Wir bleiben unter-chiedliche Parteien und wir bleiben unterschiedlicheraktionen.
ie Parteien dieser Koalition haben mit unterschied-ichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen um den
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Volker KauderGestaltungsauftrag für unser Land geworben. Trotz kon-kreter Einigungen und trotz der Koalitionsvereinbarung,die wir getroffen haben, haben wir aber unsere bleiben-den Überzeugungen.
Leitbild der Union ist das christliche Menschenbild.Es ist geprägt durch unverfügbare personale Würde,Freiheitsbegabung, Unvollkommenheit und den Bezugzu einer Gemeinschaft, in der sich das Leben des Einzel-nen verwirklicht. Einen bevormundenden Staat, der denMenschen gängelt, seine Entfaltungsräume einengt undin alle Lebensbereiche regelnd eingreift, lehnen wir ab.
Aus der Unvollkommenheit und Gemeinschaftsbezogen-heit des Einzelnen erwächst für uns wiederum diePflicht, denen zu helfen, die es schwerer im Leben ha-ben. Wir werden die Schwachen nicht allein lassen, son-dern ihnen Lebenschancen eröffnen. Das ist unser Ver-ständnis von Solidarität.
Jeder ist aber auch gefordert, für sich selbst Verant-wortung zu übernehmen. Wir wollen die Menschen zuFreiheit und Eigenverantwortung ermutigen. Verantwor-tung für sich und Verantwortung für andere müssen un-sere Gesellschaft prägen. Das verlangt von uns allen,nicht nur an die Maximierung des eigenen Vorteils zudenken, sondern auch das Wohl der Allgemeinheit imBlick zu haben.Um eine solche Haltung zu fördern, brauchen wir eineBildung, die sich nicht verkürzt als Berufsbildung ver-steht. Im Begriff Bildung steckt das Wort Bild. Damit istdas Menschenbild gemeint, an dem sich alle pädagogi-schen Anstrengungen orientieren müssen. In einer Zeitzunehmender Beliebigkeit und moralischer Orientierungs-losigkeit werden sich CDU und CSU für ein Bildungssys-tem einsetzen, das auf dem Bild einer verantwortlichenPersönlichkeit beruht und einen Wertekompass vermit-telt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Be-kämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist das zentraleund größte Anliegen der großen Koalition. Daran wer-den wir gemessen. Massenarbeitslosigkeit steht ebensofür die gesellschaftliche Ausgrenzung des Einzelnen undseiner Familie wie für die Erosion der Finanz- und So-zialsysteme. Das gilt für ganz Deutschland. Das gilt ins-besondere aber auch für die Menschen in den neuen Län-dern. Deshalb hat der weitere Aufbau Ost für uns eineganz besondere Bedeutung und ist in der Koalitionsver-einbarung zentral benannt.
Vorfahrt für Arbeit, Vorfahrt für Rahmenbedingun-gen, die wirtschaftlichen Aufbruch möglich machenund die Produktivkräfte unseres Landes entfalten, dashat die Union vor der Wahl versprochen und das werdenwßrbgdswuhkApLvbDbumGnabSdassWbsnvoabsjKsWdddHMl
Die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen,m den wirtschaftlichen Aufbruch möglich zu machen,üssen auch andere mithelfen. Ich sage ganz deutlich:efordert ist jetzt auch die Wirtschaft. Sie muss dieeuen Spielräume nutzen und stärker investieren. Aberuch die Gewerkschaften haben eine Verantwortung, da-ei zu helfen, dass wir in unserem Land vorankommen.Grundlage verantwortlicher Politik sind geordnetetaatsfinanzen. Die Lage der öffentlichen Haushalte istramatisch. Die Personal- und Zinsausgaben, die Sozial-usgaben des Bundes übersteigen in diesem Jahr voraus-ichtlich die Steuereinnahmen. Wir zahlen also die Zin-en mit neuen Schulden. So darf es nicht weitergehen.ir können zukünftigen Generationen keine unzumut-aren Belastungen aufbürden und wir dürfen nicht zulas-en, dass die Zukunftsperspektiven der zukünftigen Ge-erationen und der jungen Menschen immer mehrerbaut werden.
Wir haben deshalb vereinbart – dies kann man nichtft genug sagen –, entschlossen zu sparen und vor allemuch gleichermaßen entschlossen Subventionen abzu-auen. Diese Maßnahmen sind für eine nachhaltige Ge-undung des Bundeshaushalts unabdingbar.Nachhaltigkeit im Sinne einer Stärkung der Chancenunger Generationen spielt sich vor allem im Bereich deronsolidierung der öffentlichen Haushalte ab, meineehr verehrten Damen und Herren.
ir stehen deshalb fest hinter dem Programm der Bun-esregierung, bis zum Jahr 2007 die Haushaltskonsoli-ierung durchzusetzen. Mit diesen Anstrengungen wer-en wir 2007 wieder einen verfassungskonformenaushalt erreichen und auch das Defizitkriterium vonaastricht einhalten. Dies erreichen wir leider nicht al-ein durch Einsparungen. Das wurde allen Beteiligten in)
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Volker Kauderden Koalitionsverhandlungen schnell klar. Aber wir ver-folgen ein Ziel, das allen nützt. Wir leisten damit einStück Zukunftssicherung im Interesse der Menschen inunserem Land, insbesondere im Interesse der nachwach-senden, jungen Generationen.Die Zukunft unseres Landes, gerade seine wirtschaft-liche Zukunft, liegt in den Köpfen unserer Menschen.Nur an der Spitze des wissenschaftlichen und techni-schen Fortschritts wird unser rohstoffarmes Land seineZukunftschancen wahren können. Die Neugier und denErfindergeist unserer Forscher dürfen wir nicht bürokra-tisch ersticken. Wir müssen Möglichkeitsräume schaf-fen, in denen sich wissenschaftliche Spitzenleistungenentfalten können.Vom Erfindungsreichtum und Forschergeist unsererSpitzenwissenschaftler in Hochschulen, Forschungsein-richtungen und Unternehmen profitieren wir alle. DieKoalition wird ein Klima schaffen, in dem Spitzenleis-tungen gedeihen können. Deshalb ist es gut, dass wir unsdarauf geeinigt haben, die Mittel für Forschung und Ent-wicklung deutlich anzuheben.Aber es geht nicht nur um die Spitze. Als Unionsfrak-tion setzen wir uns auch für die Schaffung von Bedin-gungen ein, die gerade den Schwachen den Zugang zuqualifizierter Bildung eröffnen. Bildung ist der Schlüs-sel zu sozialem Aufstieg, zu Wohlstand sowie zu gesell-schaftlicher und kultureller Teilhabe. Deshalb, meinesehr verehrten Damen und Herren, darf es so nicht wei-tergehen wie in den letzten Jahren: dass der Bildungser-folg der Kinder immer mehr vom Bildungshintergrundund der sozialen Situation ihrer Eltern abhängt. Das istein sozialpolitisches Armutszeugnis und in gleichemMaße eine Verschwendung von Ressourcen.
Soziale Gerechtigkeit hat viele Fassetten und vieleAusprägungen. Eines ist für mich aber klar: Ein Land istnur dann wirklich sozial gerecht, wenn der Zugang zuBildung und sozialem Aufstieg tatsächlich auch Kindernaus einfachen Verhältnissen ermöglicht wird.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt inbesonderem Maße für ausländische Zuwanderer undderen Kinder. Bildung eröffnet diesen Menschen Wegeaus der gesellschaftlichen Isolierung und ermöglicht In-tegration.Die zum Teil schon vorhandenen Angebote, etwa imBereich der Ganztagsschule, müssen ausgebaut werden.Das betrifft ganz besonders den frühen Erwerb vonDeutschkenntnissen. Wer die deutsche Sprache bei derEinschulung nicht beherrscht, ist auf dem Weg zum Bil-dungsverlierer. Die Angebote, die wir machen, müssengenutzt werden. Ich sage ganz deutlich: Es gibt aucheine Verantwortung der Eltern für die Zukunft ihrer Kin-der.
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Die Zukunft einer Gesellschaft liegt vor allem in ih-en Kindern. In Deutschland aber werden zu wenigeinder geboren. Wir wollen die Menschen durch eine fa-ilienfreundliche Politik wieder ermutigen, ihren Kin-erwunsch zu verwirklichen. Die Familie ist der zentralert, an dem heranwachsende junge Menschen Eigenver-ntwortung und Verantwortung für andere erlernen. Wirerden uns für die Schaffung eines kinderfreundlichenlimas in unserem Land einsetzen, die Familien schüt-en und ihre Entfaltungsmöglichkeiten sichern.Wir begreifen Deutschland als Zukunftsgemeinschaft.eimzelle und Grundlage dieser Zukunftsgemeinschaftind die Familien. Sie sind nach wie vor die wichtigsteorm des Zusammenlebens. Das Füreinandereinstehenn den Familien ist Grundlage für die Solidarität der Zu-unftsgemeinschaft.
it dem Koalitionsvertrag stellen wir in diesem Sinn dieichtigen Weichen. Deshalb werden wir daran mitwir-en, ein qualitätsorientiertes und bedarfsgerechtes Bil-ungs- und Betreuungsangebot für Kinder aller Alters-lassen zu schaffen. Um Familien besser als bisher zuördern, wollen wir die verschiedenen Leistungen in ei-er Familienkasse bündeln und damit für mehr Transpa-enz und Effizienz sorgen. Schließlich ist die Vereinbar-eit von Familie und Beruf eine unserer großenukunftsaufgaben. Viele Unternehmer wissen, welcheorteile eine größere Familienfreundlichkeit bietet. Fa-ilien bringen Gewinn – auch unternehmerischen Ge-inn. Ich fordere die Betriebe und Unternehmen deshalbuf, Familienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen dereutschen Wirtschaft zu machen.
Meine Damen und Herren, Reformen im Innern sindeil unserer Arbeit für Europa; daran hat uns nicht zu-etzt der Bundespräsident in den vergangenen Monatenmmer wieder erinnert. Sie sind auch die Voraussetzungür das Überleben der sozialen Marktwirtschaft unteren Bedingungen globaler Märkte. Der Markt ist keinelbstzweck – im Mittelpunkt allen Wirtschaftens stehtmmer der Mensch. Der Mensch darf nicht zum Objekterden, aber angesichts der weltwirtschaftlichen Ver-lechtungen kann dieses Prinzip kein Staat mehr alleinarantieren. Daher müssen wir mit unseren internationa-en Partnern eine weltwirtschaftliche Rahmenordnungestalten. Sie muss Freiheit und Eigentum schützen undleichzeitig den Menschen im Mittelpunkt halten. Auchie globale Wirtschaft braucht moralische Maßstäbe undlare Regeln. Wir werden Sie, Frau Bundeskanzlerin, beier Gestaltung dieser Aufgabe nach Kräften unterstüt-en.
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Volker Kauder
Nach dem Scheitern der Verfassungsreferenden inFrankreich und den Niederlanden müssen wir uns umEuropa kümmern – wir können nicht einfach weiterma-chen, als wäre nichts passiert. Schwärmerische Europa-romantik hilft uns dabei aber nicht weiter: Es ist Zeit füreine nüchterne Europapolitik. Wir müssen den Menschenklipp und klar sagen, wohin die Reise geht und – das sageich auch ganz deutlich – wohin nicht. Wir dürfen nichtlänger so tun, als ließen sich permanente Erweiterungund Vertiefung problemlos miteinander vereinbaren.
Die Menschen haben längst durchschaut, dass es im Ge-bälk knirscht. Aber der Verfassungsvertrag enthält vieleAnsätze, die in die richtige Richtung weisen; deshalbwerden wir auch weiter für ihn werben. Wir müssen dieBürokratie in Europa abbauen, anstatt sie auszuweiten.Deshalb begrüße ich, dass die Bundesregierung Richtli-nien und Verordnungen eins zu eins umsetzen und nichtwie in der Vergangenheit immer wieder draufsattelnwird. So tragen wir dazu bei, dass sich Europa von derBürokratie ab- und den Menschen wieder zuwendet.
Zur Vertrauensbildung nach innen wie nach außen ge-hört auch, dass wir endlich wieder Wort halten beim eu-ropäischen Stabilitätspakt. Wir haben zugesagt, dass wirdie Stabilitätskriterien im Jahr 2007 wieder erfüllenwerden. Wir werden den Beitrag dazu leisten, dass sichunsere Partner in der Europäischen Union auf diesesVersprechen verlassen können; das wäre auch ein guterStart in die deutsche Ratspräsidentschaft, die wir im ers-ten Halbjahr 2007 übernehmen.
Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert, Fraktion Die Linke.
Nein. – Wir stehen zu Europa, aber Europa ist für uns
keine bloße Freihandelszone, sondern immer auch eine
Wertegemeinschaft; davon werden wir uns bei allen an-
stehenden Erweiterungsverhandlungen auch leiten las-
sen.
Verlässlichkeit ist das wichtigste Kapital für unsere
außenpolitischen Beziehungen. Die beiden wichtigsten
Pfeiler unserer Außenpolitik sind die Einbindung in die
Europäische Union und die transatlantische Partner-
schaft. Europa und die Vereinigten Staaten gehören
derselben Wertegemeinschaft an: Uns eint das Streben,
Freiheit, Demokratie und Menschenrechte weltweit zu
fördern, und gemeinsam verbunden sind wir auch in un-
serem Bekenntnis zur Freundschaft mit Israel. Für die
Wahrnehmung unserer außenpolitischen Interessen brau-
chen wir Europa und Amerika. In der Sicherheitspolitik,
in Bosnien und Afghanistan, im Nahen Osten und bei
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Frieden und Freiheit zu erhalten und durchzusetzen,
as war schon immer eine unserer Aufgaben. Dafür steht
ber auch im 50. Jahr unsere Bundeswehr. Der Dienst
er Soldatinnen und Soldaten verdient unseren ganzen
espekt.
Wir begreifen Deutschland als Zukunftsgemeinschaft.
aher denken wir über den Augenblick hinaus und wol-
en in den nächsten vier Jahren die Weichen für eine Po-
itik stellen, die auch den kommenden Generationen ge-
echt wird.
Wir werden es nicht allen recht machen können. Aber
lle gemeinsam entwickelten Lösungen, auch die, die
uf den ersten Blick schmerzhaft sind, sind von der Ver-
ntwortung für die langfristige Zukunftsfähigkeit
eutschlands getragen. Wir sind bereit, unseren Beitrag
u leisten. Aber die Politik braucht auch die Unterstüt-
ung der Bürger. Durch eine konsequente Politik werden
ir um das Vertrauen der Menschen werben. Wir wis-
en, dass wir uns durch gute und erfolgreiche Arbeit die-
es Vertrauen verdienen müssen.
Wir brauchen aber auch Menschen – das sage ich mit
llem Nachdruck –, die anpacken, die sich beteiligen.
eglaufen ist das Gegenteil davon, Verantwortung für
nser Land zu übernehmen. Das gilt im Besonderen für
nsere Eliten. Mitmachen heißt das Gebot der Stunde!
er mitmacht, dient Deutschland. Wer mitmacht, ist ein
atriot.
Deutschland ist ein großartiges Land mit großartigen
enschen. Wir können aber noch mehr. Bringen wir das
taatsschiff in Fahrt! Die Mannschaft steht bereit. Der
urs ist klar. Lassen Sie uns gemeinsam die Segel set-
en. Wir wollen den Erfolg der Regierung Merkel. Wir
ollen den Erfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und
PD. Also: Wagen wir es miteinander!
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
ollegen Ilja Seifert, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Der Kollege Kauderat wiederholt, was schon die Kanzlerin in ihrer Rede
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Dr. Ilja Seifertsagte und was in der Koalitionsvereinbarung steht, dassSie nämlich großen Wert darauf legen, EU-Richtlinieneins zu eins umzusetzen. Was bedeutet das genau? Dasmöchte ich uns einmal vergegenwärtigen: Es geht Ihnendoch um die Antidiskriminierungsrichtlinie und spe-ziell darum, dass nicht draufgesattelt werden darf. Siemüssen, wie ich finde, der Öffentlichkeit dann aber auchsagen, dass Sie wollen, dass Menschen mit Behinderun-gen, Homosexuelle, Jüdinnen und Juden weiterhin dis-kriminiert werden dürfen.
Das ist nicht akzeptabel. Das bedeutet aber eine Umset-zung eins zu eins. Dies wollte ich hier einmal darstellen.
Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Bundeskanzlerin Merkel! Auch wir, dieFraktion der Grünen, denken an diesem Tag an die Gei-selnahme im Irak. Wir haben die Hoffnung und die Zu-versicht, dass die Bundesregierung jenseits allen Partei-enstreits still und geräuschlos das Beste tut, was man indieser Situation tun kann.Frau Merkel, wenn man Ihre Reden, die Sie in denletzten Jahren, die Sie in Leipzig und im Juli und Sep-tember hier im Parlament gehalten haben, gehört hat undmit Ihrer Regierungserklärung von heute vergleicht,dann kann man nur sagen: Wie sich die Zeiten ändern. Inden vergangenen Reden, die Sie in diesem Hause gehal-ten haben, haben Sie geschildert, dass wir, wenn sich inDeutschland bei den Steuern, in der Arbeitsmarktpolitikund in allen anderen Bereichen im Kern nicht grundsätz-lich etwas ändert, auf einen Abgrund zurasen. Heutestellen Sie sich hier hin, zollen dem Bundeskanzler Res-pekt für die Agenda, sind für kleine Schritte und sagen,etwas Großes müsse es nicht sein. Sie machen eine Tu-gend aus den kleinen Schritten. Damit werde Deutsch-land wieder auf die Beine kommen. Wie haben Sie IhreMeinung in dieser kurzen Zeit nur so stark ändern kön-nen, Frau Merkel, dass die Grundsatzreden Vergangen-heit sind und Sie jetzt die Politik der kleinen Schritte ge-hen wollen?
Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts ge-gen klug gewählte kleine Schritte. Die Richtung mussaber klar sein. Da ich den Koalitionsvertrag studiert undmir Ihre Regierungserklärung heute angehört habe, kannich für meine Fraktion feststellen, dass Sie dieser Koali-tion mit Ihrer Politik für die Bundesrepublik Deutsch-land keine Richtung haben geben können.
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enn Sie sie um 2 Prozent senken können, werden wirei 40,3 Prozent sein; denn die Arbeitnehmer tragen die,9 Prozentpunkte in der Krankenversicherung seit die-em Jahr alleine. Sie wollen die versicherungsfremdeneistungen wieder in die gesetzliche Krankenversiche-ung hineinnehmen. Ich glaube nicht, dass Sie das ein-paren können. Dadurch werden die Lohnnebenkostenei der gesetzlichen Krankenversicherung wieder um,5 Prozent steigen. Das heißt: Sie senken auf der eineneite und sorgen für Anstiege auf der anderen Seite.eswegen kann dieses Rezept nach unserer Überzeu-ung nicht aufgehen.
Frau Merkel, Sie haben immer wieder versucht – ichinde richtig, dass Sie das tun –, über die Wertehaltunghrer Politik zu sprechen. Sie haben die Freiheit in denordergrund gerückt und auch von Gerechtigkeit ge-prochen. Ich will das gerne aufnehmen, weil wir uns inolchen Debatten darüber auseinander setzen müssen.Zunächst will ich sagen: Wer hier das Wort Freiheitn den Mund nimmt, der darf zu den Bürgerrechten nichtchweigen, wie Sie das getan haben.
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Fritz KuhnFreiheit hat nur dann einen Sinn, wenn die Bürger auchgenügend Rechte und Möglichkeiten haben, ihre Freiheitgegenüber dem Staat zu verwirklichen. Wir dürfen nichtnur abstrakt über Freiheit reden, sondern wir müssenauch über die Frage sprechen, ob jeder Einzelne dieMöglichkeit hat, seine Selbstbestimmung, die ange-wandte Freiheit, auch in Anspruch zu nehmen.
Als Aufgabe der Politik sehe ich es an, dass sie dieseMöglichkeit schaffen muss. Sie tun es an keiner Stelle.Ich will Ihnen ein Beispiel für die Freiheit aus derWirtschaft nennen, die Sie nur mit Entbürokratisierungidentifiziert haben. Zu einem freien Wirtschaften in die-sem Land gehört, dass wir in Deutschland einen echtenWettbewerb haben. Dann müssen Sie aber einmal sagen,was Sie tun wollen, damit in wirklich allen Bereichenunserer Wirtschaft echte Märkte und nicht nur Monopoleoder Oligopole herrschen. Dazu haben Sie kein Wort ge-sagt, obwohl Sie in den Grundsatzreden immer überLudwig Erhard und die Ordnungspolitik in der Markt-wirtschaft reden. Sie hätten dann auch etwas zur Strom-wirtschaft sagen müssen, die durch überhöhte Durchlei-tungsgebühren alles andere als Wettbewerb in diesemLand möglich macht.
Daneben hätten Sie auch etwas zum Schienenverkehrsagen müssen. Es geht ja gerade darum, die Bahnreformso zu vollenden, dass alle Zugang zum Netz haben undein echter Wettbewerb entsteht. Schließlich hätten Siedann auch etwas zum Wettbewerb im Gesundheitssys-tem sagen müssen, der nur dann zu realisieren ist, wennwir energisch gegen die Lobbys kämpfen, die sich amGesundheitssystem einen dicken Hals verdienen können.
Ich bin schon jetzt gespannt, was Michael Glos – erhat sich irrtümlicherweise ja auch in die Tradition vonLudwig Erhard stellen lassen – im Hinblick auf denWettbewerb im Mediensektor tun wird, der nicht nureine wirtschaftliche, sondern auch eine Kernfrage derDemokratie ist. Ein echter Wettbewerb im Mediensektorist nämlich das Gefäß, innerhalb dessen sich eine demo-kratische Meinungsbildung entfalten kann.
Hier darf man nicht vorschnell vor denjenigen in dieKnie gehen, die im Wahlkampf für eine gute Presse ge-sorgt oder der Partei Geld gespendet haben, sondern esmuss für alle Teilnehmer des Marktes Wettbewerb her-gestellt werden. Das ist die Realisierung von Freiheit,über die wir sprechen müssen.
Kommen wir zu den Stichworten Freiheit und Ge-rechtigkeit. Frau Merkel, ich finde, Sie haben zumThema der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft zuwenig gesagt. Längst existiert das Problem in unsererGtwbhrSlzhaGdndidgzdWlebLggLzrvDrZnWlDicVudIbbrtB
afür müssen wir etwas tun. Wir müssen die Kontrollenn den Ländern verstärken. Wir müssen die wirtschaftli-he Selbstkontrolle ausbauen. Wir brauchen ein klareserbraucherinformationsgesetz, das es ermöglicht, Rossnd Reiter zu nennen, wenn jemand solche Produkte aufen Markt bringt oder sie annimmt und weiterverkauft.
ch frage Herrn Seehofer und Frau Merkel: Warum ha-en Sie unseren Gesetzentwurf im Bundesrat zweimallockiert, der dies möglich gemacht hätte?
Ich komme zu dem Punkt, der mich in Ihren Ausfüh-ungen am meisten gestört hat. Sie haben beim Innova-ionsprozess keine Richtung vorgegeben. Sie haben zumeispiel eine Strategie zum Klimaschutz, die wir mit
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Fritz Kuhndem Stichwort „Weg vom Öl“ zusammenfassen, garnicht erwähnt. Das ist nicht nur eine ökologische, son-dern auch eine wirtschaftliche Strategie, um von den idi-otisch hohen Ölkosten wegzukommen. Das ist auch eineStrategie zur Sicherheitspolitik; denn Öl ist ein internati-onal umkämpfter Rohstoff. Dazu hätte ich gerne etwasvon Ihnen gehört. Ich hätte gerne gewusst, wie es in derEnergiepolitik über das Erreichte hinaus weitergeht.Ich hätte auch gerne gehört, welche neuen KonzepteSie in der Verkehrspolitik haben. Ich sage Ihnen klippund klar: Wenn wir nicht auch der Automobilindustrie inDeutschland klare Rahmenbedingungen setzen, dannwird dieser Industriezweig seinen Beitrag zum Klima-schutz und zum Thema „Weg vom Öl“ nicht von selberleisten. Beim Thema Rußfilter haben wir das Versagender Industrie in den letzten Jahren erleben können.
Ich möchte nicht, dass uns beim Thema Verbrauchsober-grenzen für Kraftstoffverbrauch die Japaner, die gesetz-liche Regelungen planen, und einige Bundesstaaten derVereinigten Staaten, die diesen Weg gehen, technolo-gisch den Rang ablaufen, weil die Politik in Deutschlandzu wenig Druck macht. Hierzu hätten Sie sich deutlichäußern müssen.Herr Umweltminister Gabriel, wir als Grüne – FrauMerkel hat das Thema Ökologie gar nicht in den Mundgenommen – werden Sie immer unterstützen,
wenn Sie etwas ökologisch Vernünftiges machen. Abereines ist auch klar: Wenn Sie unter dem Deckmantel derÖkologie hinter bisher Erreichtes zurückfallen, dannwerden wir Sie in diesem Haus grillen wie eine Ökobrat-wurst, Herr Gabriel; darauf können Sie sich verlassen.
– Sie müssen gar nicht aufstöhnen. Die Ökologen gehenmit Ökobratwurst behutsam um; vor allem stechen sienicht hinein. Also keine Sorge.Jetzt komme ich zu einem Punkt, den auch FrauMerkel ins Zentrum gerückt hat, nämlich die Wissens-gesellschaft und Bildung. Ich stelle die These auf, dassSie keine Konzeption entwickelt haben, wie Deutsch-land den Übergang zur Wissensgesellschaft konkret leis-ten soll. Vorgesehen sind viele einzelne Schritte. Aber esist doch klar, dass die Innovationsschwäche Deutsch-lands – beim PISA-Test angefangen bis hin zur For-schung und der Tatsache, dass wir zwar noch bestimmteProdukte entwickeln, aber nicht bis zur Marktfähigkeitrealisieren – damit zu tun hat, dass wir zu wenig für For-schung, Wissen und Ausbildung – und zwar für die ge-samte Ausbildungskette von den Kindern bis zur Hoch-schule – tun.Der Kardinalfehler dieses Koalitionsvertrags und Ih-rer Regierungserklärung liegt darin, dass Sie zu demZeitpunkt, zu dem der Bund den Übergang zur Wissens-gesellschaft auf allen Ebenen der Bildungs- und For-ssLlWdrdSmlDfsnFmsuuIEnpvZdancPdpkdgrtnDbdEpsz
enn sie es aber nicht richten werden – es spricht vielafür, dass 16 verschiedene Bundesländer nicht allesichten können –, dann fehlt die Koordination des Bun-es. Dann fehlen auch die Möglichkeiten des Bundes, imchulbereich einzugreifen und bei der Kinderbetreuungehr zu tun.Zudem haben wir in allen Fragen, die die Hochschu-en angehen, in Zukunft nur noch Bonsai-Kompetenzen.as halten wir vom Bündnis 90/Die Grünen für völligalsch. Wir wollen eine Bundesregierung, die die Wis-ensgesellschaft aktiv gestaltet. An der Stelle haben Sieach unserer Überzeugung völlig versagt.
Über das Elterngeld können wir gerne reden, lieberau Merkel. Reden Sie doch auch einmal mit denen, dieeinen, Sie wollten die Kinder nur verschieben! Ent-cheidend ist nämlich, dass die Betreuung von Kindernnter drei Jahren noch immer so schlecht ist, dass Berufnd Familie nicht miteinander vereinbar sind.
nsofern meine ich, dass Sie den zweiten Schritt – dieinführung des Elterngelds – vor dem ersten Schritt ei-er besseren Ausstattung hinsichtlich der Betreuungs-lätze gehen wollen und damit eine falsche Reihenfolgeorsehen.Wenn wir 2008 feststellen, dass ein gesetzlicherwang zu einem Betreuungsangebot für Kinder unterrei Jahren notwendig ist, dann ist das Elterngeld schonuf dem Weg. Viele werden die neuen Möglichkeiten garicht nutzen können, weil es immer noch an entspre-henden Betreuungsangeboten fehlt. Wir werden denrozess offen und kritisch begleiten, damit es auch iniesem Punkt in Deutschland vernünftig weitergeht.Ich möchte noch einige Anmerkungen zur Außen-olitik machen. Sie haben zu Recht über die Schwierig-eiten Europas gesprochen. Die europäische Verfassung,er Verfassungsprozess, die Integration und die Eini-ung durchlaufen viele Krisen. Das hat mit der Erweite-ung, den Institutionen und dem Vertrauen der Bürger zuun. Aber Sie haben zu meinem Erstaunen einen Punkticht angesprochen, nämlich die soziale Fragestellung.ie Botschaft der Referenden in Frankreich und Hollandesteht für uns darin, dass die Bürgerinnen und Bürgerie Vorstellung und das Gefühl haben, die europäischeinigung und der Erweiterungsprozess sind ein Projektolitischer und wirtschaftlicher Eliten.Wenn das Vertrauen zu Europa wachsen soll, ist dieoziale Vertiefung Europas notwendig. Zu diesem Pro-ess haben Sie aber keine einzige Aussage gemacht. Das
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Fritz KuhnThema wird aber zum Beispiel bei der Frage, wie es mitder Dienstleistungsrichtlinie weitergehen soll, wiederauf die Tagesordnung kommen. Sie können sich daraufverlassen, dass die Grünen das immer wieder ansprechenwerden.
Wenn Sie am Freitag nach Polen fahren, Frau Merkel,und wenn Sie das Weimarer Dreieck stärken und diedeutsch-polnischen Beziehungen verbessern wollen,dann können Sie nach unserer Überzeugung mit demWischiwaschi und dem Hin und Her, wie Sie es in IhrerRegierungserklärung zum Thema Vertriebenenzen-trum an den Tag gelegt haben, nicht weiterkommen.
Wenn Sie in Polen mit polnischen Bürgerinnen undBürgern sprechen, dann werden Sie feststellen, dass derVorschlag, in Berlin ein Vertriebenenzentrum einzurich-ten, wie er aus Ihrer Fraktion von Frau Steinbach vertre-ten wurde, die erste und größte Hürde für ein bessereswechselseitiges Verständnis bedeutet. Diese Hürde müs-sen Sie wegräumen. Machen Sie sich den Gedanken ei-nes europäischen Netzwerkes für ein Vertriebenengeden-ken zur Erinnerung an die Vertreibungen zu Eigen!Machen Sie es sich nicht so einfach, dass Sie in diesemHause einen Kompromiss vertreten, in Polen vielleichtetwas anderes sagen und beim Bund der Vertriebenendann wieder Frau Steinbach hochleben lassen! Sie müs-sen klar und deutlich sprechen. Alles andere hilft dabeinicht weiter.
Für eine klare und deutliche Sprache sind wir, Bünd-nis 90/Die Grünen, auch bei dem von Ihnen neu zu ge-staltenden Verhältnis zu den Amerikanern. Damit Siesich nicht täuschen: Wir sind dafür, dass Sie gute Bezie-hungen zu unseren amerikanischen Freunden herstellen.Aber der neue Stil, den Sie angekündigt haben, darf na-türlich nicht den Inhalt ersetzen. Wenn er einen Sinn ha-ben soll, dann muss er den Inhalt besser transportierenund deutlich machen. Ich finde jedenfalls, dass Sie beiIhrer Reise in die Vereinigten Staaten mit Präsident Bushauch über die Fragen reden müssen, die die deutsche Be-völkerung sehr beunruhigen. Die erste Frage ist: Wiekann es eigentlich sein, dass wir uns in Europa und ins-besondere in Deutschland um den Klimaschutz bemü-hen, während sich die Vereinigten Staaten, einer dergrößten Emittenten klimaschädlicher Gase, noch immersystematisch und beharrlich weigern, den entsprechen-den internationalen Abkommen beizutreten? Hier müs-sen Sie klar und deutlich reden. Sonst hat es keinen Sinn.
Sie müssen nach unserer Überzeugung ebenfalls da-rüber reden, wie der Terrorismus in der Welt am effek-tivsten bekämpft werden kann. Dabei geht es insbeson-dere um die Frage, wie die reichen Länder bei derEntwicklungshilfe das 0,7-Prozent-Ziel erreichen kön-nen. Sie müssen außerdem fragen, ob es Sinn macht, dieRuntWMSmdIgIdkglegTKkzßBkWiiöumfDkduR
Frau Merkel, ich verspreche Ihnen, dass wir,ündnis 90/Die Grünen, eine kritische, aber auch eineonstruktive Oppositionspolitik machen werden.
ir wissen sicherlich nicht alles besser. Herrn Gysi hättech beispielsweise fragen können: Warum läuft es dennn Berlin unter PDS-Beteiligung so toll, wenn so vielkonomischer Sachverstand bei Ihnen vorhanden ist,nd warum haben Sie sich dann in die Büsche schlagenüssen?
Kollege Kuhn, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich bin gleich am Ende, Herr Präsident. Wir werden die Auseinandersetzung mit Ihnen jeden-alls konstruktiv führen.Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Angebot machen:ie Politik in Deutschland wird nur etwas verändernönnen, wenn wir es gemeinsam schaffen, den Einflusser Lobbyisten in Berlin zurückzudrängen. Wir werdenns nicht hinter den Lobbyisten verstecken und nur dieegierung kritisieren.
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Fritz Kuhn– Ich verstehe, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP,beim Wort Lobbyisten aufschreien. Dafür habe ich jedesVerständnis.
Wir werden gemeinsam versuchen, die Interessenkon-flikte offen zu legen. Es geht nicht, dass Lobbyisten be-haupten, sie sprächen für das Gemeinwohl, und damitdie Veränderungsfähigkeit der Politik in Deutschland un-tergraben. Wenn Sie dagegen angehen, dann haben Sieunsere Unterstützung. Ich weiß aber nicht, ob Sie sieüberhaupt wollen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Ministerpräsidenten desLandes Brandenburg, Matthias Platzeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am 18. September dieses Jahres haben dieWählerinnen und Wähler in Deutschland den Parteieneine komplizierte Aufgabe gestellt – keine unlösbare,aber – Volker Kauder wies darauf hin – eine schwierigeauf alle Fälle, eine ungewohnte Aufgabe. Erstmals seitlangem konnte in der Bundesrepublik keine Regierungnach dem Koalitionsmuster gebildet werden, an das sichunser Land in den vergangenen Jahrzehnten gewöhnthatte. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb waren in derLage, eine kleine Regierungskoalition zu bilden.In dieser neuen Situation waren in den ersten Tagennach den Wahlen viele Spekulationen über möglicheDreiparteienkoalitionen zu hören. Kommentatoren ent-warfen an journalistischen Reißbrettern kühne Visionen.Von Ampelbündnis und Jamaikakoalition war die Rede.Einige politische Suchbewegungen in solche Richtungengab es dann ja auch. Es stellte sich aber bald heraus, dasskeine dieser Überlegungen das zustande bringen würde,was unser Land in seiner gegenwärtigen schwierigenLage von allem am dringendsten benötigt: eine jederzeithandlungsfähige, verantwortliche, mit steter und sichererMehrheit ausgestattete Bundesregierung. Diese Bundes-regierung haben wir jetzt. Sie ist seit voriger Woche imAmt. Herzlichen Glückwunsch auch von mir an die Bun-deskanzlerin, an die ganze Regierung! Alles Gute aufdem Weg! Meine Unterstützung haben Sie.
Es war die Einsicht in die Untauglichkeit aller übri-gen Optionen, die SPD und CDU/CSU dazu veranlasste,Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalitionaufzunehmen. Diese Verhandlungen verliefen verständ-licherweise nicht unkompliziert. Noch wenige Wochenzuvor hatten die Gesprächspartner im Bundestagswahl-kampf im heftigen politischen Wettstreit gelegen. JetztfglpluatdEmDdulridrtKwlbvDGeeWhiaksdMddurRtzvsElbt
afür kann die große Koalition eine gute Schule sein.elingt ihr das, dann wird sich diese Regierung sogar alsin wichtiger und als ein positiver Beitrag auch für einerneuerte politische Kultur in Deutschland erweisen.Diese Hoffnung ist alles andere als ein weltfremderunsch; vielmehr glaube ich, sie benennt eine knall-arte Notwendigkeit. Seit Jahrzehnten schon wissen wirm Grunde, dass im internationalen Vergleich kaum einnderes Land so viele institutionalisierte Mitwir-ungsinstanzen besitzt wie Deutschland. Als Bundes-taat kennen wir selbstverständlich selbstbewusste Län-erregierungen, wir kennen einander entgegengesetzteehrheiten im Bundestag und Bundesrat, wir kennenie komplizierte Politikverflechtung, die sich geradearaus ergibt, und wir kennen ein starkes, unabhängigesnd ebenfalls selbstbewusstes Bundesverfassungsge-icht. Für alle diese Verflechtungen und institutionellenegelungen lassen sich gute Gründe nennen. Oft vertre-en diese so genannten Vetospieler im politischen Pro-ess berechtigte Interessen. Sie sind demokratisch underfassungsrechtlich legitimiert.Zugleich muss uns aber klar sein: Andere Staaten tunich hier deutlich leichter. Die Vielzahl der möglicheninsprüche im politischen Prozess erschwert in Deutsch-and schnelle und oft auch schlüssige Lösungen. Wir ha-en in den vergangenen Jahren immer wieder ganz prak-isch erlebt, dass sich die Summe der Instanzen zu einer
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Politikverflechtungsfalle auswächst, zu einer Falle, diedie Lösungen und Entscheidungen erschwert und verzö-gert – bis hin zur völligen Blockade.
Uns allen muss klar sein: Leidtragende dieser Blo-ckade sind immer die Menschen in unserem Land. Leid-tragende sind im Übrigen aber auch unsere europäischenNachbarn und Partner, die zu Recht erwarten dürfen,dass Deutschland als größte europäische Volkswirtschaftseiner Verantwortung für Wohlstand und Wachstum inEuropa gerecht wird, und das möglichst zeitnah.
Die jetzt am Beginn ihrer Arbeit stehende große Koa-lition bietet eine hervorragende Möglichkeit, diese Ver-flechtungsfalle deutlich zu lockern. Die großen deut-schen Volksparteien sind entschlossen, das Prinzip derGegnerschaft zugunsten des Prinzips der Kooperationzurückzustellen. Genau deshalb ist die Chance günstig,dass die neue Bundesregierung bestimmte Themen be-wältigen wird, die aus meiner Sicht überhaupt nur in die-ser Konstellation bewältigt werden können.
Ich möchte beispielhaft vier große Aufgaben nennen,denen sich diese Koalition deshalb mit Ernst und allemEngagement widmen wird. Erstens und vor allem ande-ren die Aufgabe, alles zu tun, damit in Deutschland mehrArbeitsplätze geschaffen werden, damit wieder mehrMenschen Arbeit haben. Gute Arbeit hat in der Vergan-genheit den Wohlstand unseres Landes geschaffen. Inguter und qualifizierter Arbeit liegt auch die Zukunft un-seres Landes. Alle unsere Schritte gelten dem Ziel, dafürwieder bessere Voraussetzungen zu schaffen.
Gerade deshalb stellen wir uns, zweitens, der Auf-gabe, den deutschen Föderalismus neu zu justieren.Dies ist seit langem überfällig. Arbeitsfähigkeit und Le-gitimität der bundesstaatlichen Ordnung hängen davonab, ob jederzeit klar ist, wer im Staat für welche Aufgabezuständig ist. Ich glaube übrigens, das ist auch für dieAkzeptanz unserer Demokratie essenziell. Wenn eineMehrzahl der wichtigen Entscheidungen nachts um halbzwei im Vermittlungsausschuss getroffen wird, kann dasfür die Demokratie in unserem Lande nicht gut sein.
Das können wir nur gemeinsam ändern und deshalb wer-den wir es gemeinsam ändern.Übrigens, auf diese Weise wird die große Koalitionzugleich sicherstellen, dass das föderale System inDeutschland weit über die Lebensdauer dieser Koalitionhinaus neue Funktionsfähigkeit erlangt.Drittens. Wir werden uns der Aufgabe annehmen, dasVertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die sozialenSicherungssysteme wiederherzustellen. Wir brauchenfunktionierende soziale Sicherungsnetze, auf die sich dieMklcsghdsigwBSnzddHinntnduddTklskSwWVd1uwnhtrs
Stabile Staatsfinanzen sind auch ein zutiefst sozial-emokratisches Thema, ja, sie müssen geradezu unserhema sein. Wer den handlungsfähigen Staat will, derann und darf ihn nicht auf Pump finanzieren. Mit Ver-aub, Herr Kollege Westerwelle: Wenn ich Ihre Diätvor-chläge dafür höre, wie wir zu einem schlanken Staatommen, beschleicht mich ab und zu das Gefühl, dassie ihn in Wirklichkeit verhungern lassen wollen. Daserden wir nicht zulassen.
ir brauchen einen fitten, einen handlungsfähigen Staat.iele Beispiele auf dieser Welt zeigen uns: Wo der Staatiese Eigenschaften nicht mehr hat, nutzt das vielleicht0 Prozent der Menschen
nd die anderen 90 Prozent leiden darunter. Dazu dürfenir es nicht kommen lassen.
Was wir in den nächsten Jahren anpacken müssen, isticht vergnügungssteuerpflichtig. Ich habe bereits daraufingewiesen und sage es auch hier: Diese große Koali-ion ist kein bunter Adventsteller, von dem sich jeder he-unternehmen kann, was ihm gerade am bestenchmeckt, und das wissen beide Partner. Die neue Bun-
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desregierung ist eine Regierung der gemeinsamen Ver-antwortung in schwieriger Zeit. Sie soll die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass es am Ende wieder mehrMenschen in Deutschland besser geht.
Jubelstürme wird unsere Regierung selbst dann nichtund vielleicht gerade dann nicht auslösen, wenn sie be-sonders gut, besonders gründlich, besonders effektiv ar-beitet; denn Deutschland steckt nun einmal in einerschwierigen Umbruchphase. Wir haben Probleme undvieles muss gleichzeitig angepackt werden. Aber unserLand hat die Kraft, diese Probleme zu lösen.Dabei kann die neue Bundesregierung an die Arbeitanknüpfen, die Gerhard Schröder und die rot-grüneBundesregierung in den Jahren seit 1998 begonnen ha-ben.
Ich habe es als noble Geste empfunden, dass Frau Bun-deskanzlerin Merkel in ihrer Rede noch einmal aus-drücklich die Verdienste des Bundeskanzlers Schröderfür unser Land gewürdigt hat. Frau Bundeskanzlerin, Siehaben völlig Recht: Gerhard Schröder und seine Regie-rung haben sich in den vergangenen Jahren mit ihrerPolitik der Erneuerung wirklich um unser Land verdientgemacht.
Sie haben Marksteine gesetzt
– ich verstehe, dass das ein bisschen problematisch ist –,
an die die neue Bundesregierung anknüpfen kann und andie sie auch anknüpfen sollte. Die wichtigste Aufgabeder Regierung wird sein, dem Land und seinen Men-schen wieder Selbstvertrauen und neue Zuversicht zuvermitteln.Diese Koalition nimmt die Sorgen und Hoffnungender Menschen sehr ernst. Deshalb bin ich froh darüber,dass wir zwischen CDU, CSU und SPD eine Verstän-digung darüber erreicht haben, dass das europäischeSozialmodell in unserem Land für die Bedingungen des21. Jahrhunderts erneuert werden soll. Wir tun uns inDeutschland nicht leicht damit, das Neue und die Verän-derung auch als Chance zu begreifen. Da ist der Erneue-rungsdruck der Globalisierung. Da ist die Demographie.Da ist die Tatsache, dass erfolgreiches Wirtschaften im21. Jahrhundert immer mehr auf Wissen und Qualifika-tion angewiesen sein wird. Ja, das alles ist schwierig;überhaupt keine Frage. Das alles wirkt manchmal auchbedrohlich; das ist ebenfalls richtig.In den Talkshows und in den öffentlichen Debatten inunserem Land hat sich in den vergangenen Jahren derEindruck durchgesetzt, wir hätten hier nur noch die WahlzhttrEiuhWdrdseztgEesnsntgERhDPdoanduDemnsVlks
s kommt heutzutage darauf an, beides intelligent mit-inander zu verbinden. Da liegt die Zukunft auch für un-er Land.
In diesem Hohen Hause sitzen auf der einen Seite ei-ige, die glauben, sich ganz auf das Festklammern anämtlichen bestehenden Instrumenten des überkomme-en Sozialstaats verlegen zu müssen.Herr Kollege Gysi, Sie haben vorhin über die Produk-ivitätszuwächse bei Daimler-Chrysler gesprochen undesagt, dass wir damit nicht richtig umgegangen seien.s mag sein, dass nicht alles richtig war; aber nach Ihrerede glaube ich, dass, wenn Sie mehr zu sagen gehabtätten, Daimler-Chrysler heute gar nicht mehr ineutschland wäre. Dann hätten wir auch nichts von denroduktivitätszuwächsen. Das sollten wir uns einmalurch den Kopf gehen lassen.
Auf der anderen Seite in diesem Hause sitzen Abge-rdnete, die sich jede Form von Sozialstaat bestenfallsls ein Luxussahnehäubchen vorstellen können, ein Sah-ehäubchen, das man sich nur dann leisten kann, wennie Wirtschaft bereits kräftig brummt.Ich halte beide Positionen für falsch, meine Damennd Herren.
eutschland wird in den kommenden Jahrzehnten dannrfolgreich sein, wenn wir wirtschaftliche Dynamik undoderne Sozialstaatlichkeit als Ziele begreifen, die ei-ander positiv bedingen und beflügeln können. Wirt-chaftliche Dynamik wird heute durch ein zeitgemäßeserständnis sozialer Gerechtigkeit erst ermöglicht, näm-ich durch Investitionen in die Menschen und ihre Fähig-eiten. Umgekehrt brauchen wir einen modernen Sozial-taat, der wiederum zu mehr wirtschaftlicher Dynamik,
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Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen bei-trägt.Die nun gebildete große Koalition kann viel dafürleisten, ein neues Verständnis für ein produktives Ver-hältnis zwischen Dynamik und Gerechtigkeit in unseremLande zu schaffen. Wir Sozialdemokraten werden inner-halb und außerhalb der Koalition für diesen notwendigenPerspektivwechsel werben. Denn genau in diesem Sinneerwarten die Menschen in Deutschland von der neuenRegierung die Erneuerung unseres Sozialstaates. Derzwischen den Parteien vereinbarte Koalitionsvertragsieht genau dies vor. Ich nenne beispielhaft vier Punkte:Wir haben beschlossen, dass die Ausgaben für For-schung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent unse-res Bruttosozialproduktes erhöht werden.
Das brauchen wir dringend; denn ohne Forschung undInnovation werden wir auf dieser Welt keine Chance ha-ben.Wir haben beschlossen, ab 2007 das Elterngeld ein-zuführen. Das ermöglicht vielen Frauen und Männerneine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf underleichtert es den Menschen, sich für Kinder zu entschei-den. Bei unzähligen jungen Menschen ist ganz klar derKinderwunsch vorhanden. In Deutschland sind jedochder Mut, diesen Wunsch in die Wirklichkeit umzusetzen,und die Zuversicht noch zu wenig ausgeprägt. Das El-terngeld ist eine Maßnahme, die dazu beiträgt, den Mutin unserem Lande zu erhöhen. Denn ein Land ohne Kin-der ist ein Land ohne Zukunft, meine Damen und Her-ren; da können wir nicht mehr zuschauen.
Deshalb haben wir auch beschlossen, das begonnene4-Milliarden-Euro-Ganztagsschulprogramm fortzu-setzen. Auch das brauchen wir sehr dringend, weil esmehr Chancengleichheit in der Bildung schafft.Außerdem haben wir beschlossen, die Tagesbetreu-ung für die Kleinen systematisch auszubauen. Auch dasist wichtig für unser Land, weil über Zukunft undLebenschancen nicht erst ab dem sechsten oder dem20. Lebensjahr entschieden wird, sondern bereits in derElementarstufe. Das haben wir zu lange vernachlässigt.Da haben wir Potenziale nicht genutzt. Wir müssen sieaber nutzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es heißt oft, große Koalitionen würden am Ende nurdie kleinen Parteien am Rande stärken. Es kann aberauch genau umgekehrt kommen. Entscheidend dafür ist,dass sich auf die Bürgerinnen und Bürger der Eindrucküberträgt: Beide Partner wollen wirklich, dass Deutsch-land in den nächsten vier Jahren spürbar besser dasteht.Frau Bundeskanzlerin Merkel hat das neue Regie-rungsbündnis als eine „Koalition der neuen Möglichkei-ten“ bezeichnet. Mir gefällt diese Formulierung gut. SiebgrRiiGßLaawedWnlBgldmswSdimsmdhcStwCLDC
ir tun es nur viel zu oft. Ich sage auch hier und heuteoch einmal: Deutschland ist ein wunderbares Land. Dasasse ich mir nicht ausreden. Seine Bürgerinnen undürger sind zu großen Leistungen fähig. Es ist unsereemeinsame Aufgabe, ihnen dafür neue Wege und Mög-ichkeiten zu eröffnen. Genau das wollen wir tun; genauas werden wir tun, und zwar ernsthaft, beharrlich undit Augenmaß. Gewinner werden die Menschen in un-erem Lande sein.Die Bundeskanzlerin hat heute gesagt: „Mehr Freiheitagen“. Ich kann da komplett mitgehen. Als ich diesenatz hörte, sagte mir mein Bauch allerdings, dass wirem noch etwas hinzufügen sollten – auch das haben wirn Deutschland nötig –, nämlich: „Mehr Miteinander undehr Gemeinsamkeit wagen“.
Gesellschaften, in denen es mehr Miteinander gibt,ind stärker, stabiler und zukunftsfähiger. Etwas alleinachen oder allein sein, das kann mal schön sein. Aufie Dauer macht es aber unglücklich und schwach. Des-alb sage ich: hinschauen und nicht wegschauen, zupa-ken und nicht zugucken, ein bisschen mehr weg vompaß am Tag und hin zur Freude am Leben. Dafür soll-en wir arbeiten und dafür werden wir arbeiten. Dannerden wir auch erfolgreich sein.Alles Gute!
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Ramsauer, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin!iebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Die Koalition aus den drei ParteienDU, CSU und SPD legt heute ihr Programm für diese
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Dr. Peter RamsauerWahlperiode vor. Es ist der Startschuss für einen politi-schen Neubeginn. Die Wähler haben es so gewollt; dieWähler haben es so entschieden. Sie würden heute wohlähnlich oder fast genauso entscheiden, wie die Umfra-gen zeigen. Gut ist, dass die alte Regierung ausgeschie-den ist und die neue Regierung ihre Arbeit aufnimmt.Wir werden in den Debatten dieser Woche die darge-legten Grundsätze und Ziele sehr genau prüfen und dis-kutieren. Mein Urteil ist klar: Diese große Koalition inDeutschland hat eine Chance verdient und sie ist einegroße Chance für unser Land.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Dr. Merkel, ste-hen für einen Neubeginn. Ich gratuliere Ihnen ganz herz-lich im Namen meiner Partei, der CSU, und insbeson-dere im Namen der CSU-Landesgruppe im DeutschenBundestag zu Ihrer Wahl. – Ich sehe, dass Sie gerade zu-sammen mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister inden hinteren Reihen Platz genommen haben. Wer auf derRegierungsbank sitzt, kann sich auch diese Großzügig-keit leisten. – Ich gratuliere Ihnen auch zu Ihrer Regie-rungserklärung. Sie haben uns damit gezeigt, dass derüberfällige Politikwechsel eingeleitet ist.
Ich gratuliere Ihnen auch dazu, dass Sie – das habeich heute Agenturmeldungen entnommen –, laut Umfra-gen einen immensen Vertrauensvorschuss bei der Be-völkerung haben. Das ist ungewöhnlich; denn der Politikwird eher mit einem Misstrauensvorschuss begegnet.Die Tatsache, dass Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, ei-nen gewaltigen Vertrauensvorschuss haben, ist eine rie-sige Chance für die neue Bundesregierung.
Diese Regierung ist – das finde ich besonders wich-tig – auch eine Regierung aus der Mitte der Gesellschaftheraus. Sie spaltet und polarisiert nicht, sondern sie führtzusammen. Konservative und liberale, ökologische undsoziale Ansätze dürfen nicht gegeneinander ausgespieltwerden. Sie werden es auch nicht in dieser Regierung;sie werden vielmehr für eine gute Politik miteinanderfruchtbar gemacht.Das ist auch ein Stück Handschrift der CSU. DieseHandschrift prägt auch den Koalitionsvertrag. Ich bin,ehrlich gesagt, ein bisschen stolz darauf, dass der CSU-Parteitag – in Klammern gesagt: unter meiner Tagungs-leitung –
diesen Koalitionsvertrag einstimmig – das möchte ichbetonen – gebilligt hat.
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ir werden aber jetzt gemeinsam etwas daraus machen.ir werden versuchen, mit Leistung zu überzeugen.ur auf diesem Weg kann das Vertrauen der Bevölke-ung wiedergewonnen werden.Vertrauen schaffen, das ist auch die Richtschnur fürie Außen- und Europapolitik dieser Regierung.eutschland ist – man kann dies nicht oft genug beto-en – ein verlässlicher Partner und Verbündeter. Geradeie kleinen und mittleren Länder in der Europäischennion setzen auf einen Partner Deutschland, der ihre In-eressen ernst nimmt.Ich erinnere mich sehr gut und sehr gern an meinersten Parlamentsjahre, als Helmut Kohl uns jungen,euen Abgeordneten vor allen Dingen in Bezug auf dieuropapolitik immer eines eingeschärft hat: Nehmt dieleinen und die ganz kleinen Länder ernst; denn das istin wichtiger Erfolgsgrundsatz für eine gedeihliche undachhaltige Europapolitik!
ie europäische Einigung und die transatlantischeartnerschaft sind gleichermaßen wichtige Pfeilereutscher Staatsräson. Eine ausgewogene Außenpolitik,ie auf diesen beiden Pfeilern stabil aufbaut, ist ein ech-er Gewinn für unser Land.Die erste Regierungserklärung der ersten Bundes-anzlerin unseres Landes hat deutlich gemacht: Deutsch-and bekommt eine kraftvolle Regierung. Ich sage ganzlar: Meine Partei und die CSU-Landesgruppe innerhalber CDU/CSU-Fraktion wollen diesen Erfolg mit ganzerraft.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihrer Regie-ungserklärung ein Zeichen der Zuversicht gesetzt. Esibt eine Reihe hervorragender, guter Zeichen, die schonn dieser Debatte sichtbar geworden sind. Ein gutes Zei-hen ist: Die Sanierung des Haushalts steht an oberstertelle. Wir alle wissen heute: Die Lage der Staatsfinan-en ist dramatisch. Die Strukturprobleme der Wirtschaftnd die Misere auf dem Arbeitsmarkt belasten den Haus-alt. Die Steuereinnahmen reichen in diesem Jahr nichtinmal aus, um Sozialleistungen, Zinsen und Gehälter zuahlen. Auf den Punkt gebracht: Ein Teil der Steigerunger sozialen Ausgaben wurde mit einem Rückgang derffentlichen Investitionen bezahlt. Dies ist eine außer-ewöhnlich gefährliche Entwicklung, ein dramatischesehren von unserer Substanz. Der Anteil der Investitio-en am Bundeshaushalt liegt jetzt bei unter 9 Prozent.5 Prozent des Haushalts muss der Bund 2006 allein fürinsen aufwenden.
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Dr. Peter RamsauerDiese bedrückende Eröffnungsbilanz zwingt uns allezu einer konsequenten Konsolidierung. Das ist die Ver-pflichtung der heute Verantwortlichen gegenüber kom-menden Generationen.
Nur eine entschlossene Konsolidierung eröffnet Spiel-räume für Zukunftsinvestitionen, egal ob das Infrastruk-turinvestitionen im Bereich Verkehr oder an andererStelle oder Investitionen in Bildung sind. Bildungs-investitionen sind rentierliche Investitionen in die Zu-kunft. Das sage ich auch als Kaufmann, obwohl in kauf-männischer Hinsicht nur das als Zukunftsinvestitionzählt, was sich in kaufmännischen Rechnungslegungenwiederfindet; volkswirtschaftlich sieht das anders aus.Investitionen in die Bildung sind wichtige Zukunfts-investitionen.
Im Koalitionsvertrag wird dafür der richtige Kurs abge-steckt. Wir setzen dies gemeinsam um. Wir tragen auchgemeinsam Verantwortung dafür.Ein weiteres gutes Zeichen ist, dass angesichts derMehrheiten in Bundestag und Bundesrat die Signalenicht auf Konfrontation, sondern – Gott sei Dank – aufKooperation gestellt sind. Die neue Regierung und dieFraktionen der großen Koalition setzen auf eine guteZusammenarbeit mit den Ländern. Deutschland wie-der nach vorne zu bringen, das müssen sich Bund undLänder gemeinsam auf die Fahnen schreiben. Die Län-der und Regionen, wir alle miteinander können nur ge-winnen, wenn die makroökonomischen Weichen hier inBerlin, aber auch in Brüssel wieder richtig gestellt wer-den.
– Darauf komme ich jetzt zu sprechen, lieber Herr Kuhn.Es ist auch ein gutes Zeichen, dass zwei Minister-präsidenten, Edmund Stoiber und Matthias Platzeck, imKoalitionsausschuss die Interessen der Länder einbrin-gen. – Damit ist Ihre Frage beantwortet.
Gerade wir Bayern wissen, dass wir ohne die Bereit-schaft zur Verantwortung für Deutschland nichts für un-sere Heimat bewegen können. Deshalb ist es erfreulich,dass die große Koalition die Föderalismusreform schonein ganzes Stück vorangebracht hat. Deutschlandbraucht starke Länder, wir wollen starke Länder. Vielfaltbelebt. Wettbewerb ist ein Anreiz, nach besseren Lösun-gen zu suchen. Das Bessere ist der Feind des Guten. DerWettbewerb der Länder untereinander ist ein Segen fürunsere föderale Ordnung und für unser Land.
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as verdient Dank und Respekt. Drei Punkte sind fest-uhalten: Länder und Landtage werden gestärkt, Ent-cheidungen werden schneller fallen und – das ist ganzichtig – politische Verantwortungen – die Frage, werür was geradesteht – werden endlich viel deutlicher.
Ein weiteres gutes Zeichen ist, dass die Familien alsichtigste Form des Zusammenlebens gestärkt werden.s wird keine Relativierung der Familie geben. Kinder-rziehung ist eine außergewöhnlich anspruchsvolle Auf-abe, die hohen Respekt verdient. Eltern, die erziehen,aben Anspruch auf die Solidarität der gesamten Gesell-chaft.
Zu dieser Solidarität gehört, Müttern, aber auch Vä-ern – als Vater von vier Kindern weiß ich, wovon ichpreche – Wahlfreiheit bei ihrer Lebensgestaltung zu er-ffnen. Diese Wahlfreiheit wird bisher doppelt einge-chränkt erlebt: Den einen fehlt es an Unterstützung, umeruf und Familie verbinden zu können, und die anderenrleben, wie wenig öffentliche Anerkennung die Auf-abe erfährt, Kinder zu erziehen. Beides gilt es zu än-ern.
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes ergänzen:eide familiären Leitbilder verdienen gleichermaßenespekt, das Leitbild der berufstätigen Frau und Mutterenauso wie das Leitbild der jungen Frau, die, exzellentusgebildet, sich ganz bewusst dafür entscheidet, mehrder weniger viele Jahre zu Hause zu bleiben und sicher Kindererziehung oder der Pflege älterer Menschen in
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Dr. Peter Ramsauerder Familie zu widmen. Ich wehre mich dagegen, dassoft diese Leitbilder sehr einseitig gesehen werden.
Wir dürfen das andere Leitbild, das Leitbild der Frau, diewegen der Kindererziehung zu Hause bleibt, nicht in dieSchmuddelecke der Gesellschaft stellen. Beide Leitbil-der sind in unserer Gesellschaft gleichwertig.Der Ausbau der Angebote der Kinderbetreuungschafft bessere Chancen dafür, Familie und Beruf zu ver-binden. Mit dem Elterngeld ist gewährleistet, dass dieFörderung junger Familien besser auf ihre persönlicheSituation abgestimmt werden kann. Mehrgenerationen-häuser – ein Modewort –
machen die Solidarität der Generationen konkret lebbarund erlebbar. – Sie lachen. Ich kann Ihnen aber sagen,warum ich das Wort „Modewort“ gebraucht habe – es istnicht alles schlecht, was Mode ist; sonst wäre es viel-leicht nicht Mode –: Damit wird etwas ganz Selbstver-ständliches aufgegriffen. Vor zwei, drei Generationenwar es nämlich ganz natürlich, dass drei Generationen ineinem Haus, unter einem Dach, zusammen gewohnt ha-ben. Die sozialen Probleme und Konflikte und die mate-rielle Not in jener Zeit waren vielleicht aus anderenGründen größer als heute, aber nicht wegen der damali-gen Familienstruktur. Eine Mehrgenerationenfamilie istAusdruck von gelebter Solidarität und auch von Subsi-diarität.
Darauf legen wir viel Wert.Auch wenn wir noch so viele soziale Dienste aus öf-fentlichen Mitteln finanzieren: Sie können nicht so vielNestwärme und Geborgenheit bieten wie gewachseneFamilien.
Es ist doch absurd: Wir geben heute in Deutschland nachwie vor eine Rekordsumme für soziale Zwecke aus undtrotzdem war in unserem Land noch nie so viel von so-zialer Kälte und Ellenbogengesellschaft die Rede. Bei-des passt nicht zusammen. Darum ist es gut, wenn wirdie Generationen in den Mehrgenerationenhäusern wie-der zusammenbringen.
Das neue Kabinett ist ein starkes Team. PolitischeSchwergewichte machen die Schwerpunkte der Regie-rungsarbeit deutlich: Sanieren, also auch reparieren,reformieren und investieren, also aussäen für die Zu-kunft. Dieser Dreiklang bestimmt die Politik der neuenRegierung. Deutschland braucht bessere Standortbedin-gungen für Betriebe und Arbeitsplätze. Der Kern unsererEntscheidung für die große Koalition und auch der Maß-stab für ihren Erfolg ist: Deutschland muss investitions-freundlicher werden, damit wieder neue Arbeitsplätzein unserem Land entstehen. Auch wenn wir bei denSteuern und Abgaben das eine oder andere tun müssen,wsEshDikbWwBpuScnW8mwGtWTkmgmsse2mamkm
Die Politik der neuen Regierung wird zu Investitionenn Deutschland ermutigen und damit die Wachstums-räfte in unserem Land entfesseln.Unser Land soll und darf nicht von der Substanz le-en. Es sollen Werte geschaffen werden. Auf diesemeg wird mehr Beschäftigung dauerhaft gesichert. Soerden neue Chancen eröffnet.
undesminister Michael Glos bürgt für eine Wirtschafts-olitik, die den Mittelstand
nd eigentümergeführte Familienunternehmen stärkt.ie sind die Stütze des Standortes Deutschland. Sie ma-hen keine Negativschlagzeilen, weder mit Stellenabbauoch mit überzogenen Managergehältern. 50 Prozent derertschöpfung, 70 Prozent der Arbeitsplätze und0 Prozent der Lehrstellen entfallen auf Unternehmenit weniger als 500 Mitarbeitern. Auch hier weiß ich,ovon ich rede. Der Mittelstand ist das Rückgrat deresellschaft. Hier liegt das Potenzial für mehr Wachs-um und Beschäftigung.
ir haben im ersten Halbjahr Debatten zu diesemhema geführt.Ich bekenne mich ausdrücklich zu meiner Nebentätig-eit bzw. beruflichen Tätigkeit als Unternehmer. Es freutich, dass es außer der Politik noch Unternehmertumibt. Dieses pflege ich neben meiner Tätigkeit im Parla-ent und damit sichere und schaffe ich Arbeitsplätze.
Die Stundung oder der schrittweise Erlass der Erb-chaftsteuer ist wichtig für die Fortführung mittelständi-cher Betriebe. Auch die degressive Abschreibung gibtinen starken Investitionsanreiz für die Jahre 2006 und007. Jeder weiß, dass wir gerade im Hinblick auf dieittelständische Wirtschaft bürokratiebedingte Kostenbbauen müssen. Wir fassen uns an die eigene Nase: Wirüssen das in unserer Gesetzgebung beherzigen. Unseronkretes parlamentarisches und Regierungshandelnuss sich danach richten.
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Dr. Peter RamsauerIch danke Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sienochmals betont haben, dass eine Eins-zu-eins-Umset-zung europäischer Normen ein wichtiger Maßstab fürunser Regierungshandeln ist. Dem steht aber entgegen,dass – wohl noch als Überbleibsel aus der Trittin-Zeit– uns momentan der Entwurf einer Verpackungsver-ordnung vorliegt, in dessen Begründung – vorletzte Wo-che habe ich das gelesen – steht: Mit dieser Regelunggehen wir über die Vorgaben der Europäischen Union hi-naus. – Wenn wir jetzt hierbei schon darüber hinausge-hen würden, obwohl wir sagen, dass wir nur eins zu einsumsetzen wollen, dann wäre das die erste Verfehlung.Darum sage ich: Wir fassen uns hier an die eigene Nase.Ein weiteres Beispiel aus der rot-grünen Regierungs-zeit.
– Ich differenziere ganz genau.
Ab 1. Januar dürfen alle Betriebe, auch Klein- undKleinstunternehmen, die Übermittlung ihrer Sozialversi-cherungsdaten an die Krankenkasse nur noch elektro-nisch per Internet vornehmen. Ich sage Ihnen: Das isteine völlig verrückte Vorgabe. Denn es gibt vieleKleinstunternehmen entweder ohne Angestellte oder nurmit ein, zwei oder drei Mitarbeitern, die wegen ihres Be-triebsumfangs überhaupt keine entsprechenden elektro-nischen Einrichtungen haben.
– So ist das. Das ist die Praxis.
Dazu verlangen – jetzt kommt es – die Krankenkas-sen ein- bis zweitägige Schulungskurse für dieseKleinstunternehmen, als ob ein Kleinstunternehmernichts anderes zu tun hätte, als tagelang bei der Kranken-kasse in Schulungskursen zu sitzen, damit er mit denneuen Vorschriften zur Übermittlung seiner Sozialversi-cherungsdaten zurechtkommt. Auch das ist ein Fehler.Ich verstehe jeden Kleinstbetrieb, der sich dieser Rege-lung widersetzt.
Hinsichtlich der Bürokratie sollte man auch bei deneigenen Strukturen ansetzen. Ich frage mich manchmal:Muss es sein, dass wir 72 Bundesämter haben und sichauf gleichen Gebieten bis zu drei Bundesämter tummeln,die noch dazu gegeneinander arbeiten, wie mir von Prä-sidenten solcher Ämter bestätigt wurde? Es gibt Hun-derte von Landesämtern. Das alles passt nicht in eineLandschaft, in der wir eher zu viel als zu wenig Bürokra-tie haben.
Ich begrüße sehr, was Sie, Frau Bundeskanzlerin, zueiner nachhaltigen Politik und zu den erneuerbarenEnergien gesagt haben. Ich meine Ihr Bekenntnis zurgrundsätzlichen Beibehaltung des Erneuerbare-Ener-gggisJGddbmbabrgpEdNdzcdFisnnwv
enauso wie mein Vorgänger im Amt des Landesgrup-envorsitzenden der CSU.
gal ob Regierung oder Opposition, wir alle stehen iner Verantwortung. Hier kann sich niemand drücken.
ur im Wettstreit der Argumente kann Politik gedeihen.Meine Damen und Herren, die neue Regierung undie Fraktionen der großen Koalition haben sich ehrgei-ige Ziele gesteckt. Deutschland braucht eine erfolgrei-he Regierung. Dafür werden meine Fraktion und in ihrie CSU-Landesgruppe mit ganzer Kraft arbeiten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD-
raktion.
Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hatn ihren Eingangsbemerkungen darauf hingewiesen, dassich einige Ideen der Regierungsbildung nach dem Inter-et richten sollen. Eine der Kategorien moderner Inter-etdebatten lautet Open Source: dass Programme ge-issermaßen für jeden verfügbar werden, unabhängigon der Quelle.
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Olaf ScholzWenn wir das jetzige Regierungsprogramm betrach-ten, dann können wir Sozialdemokraten sagen: Darinsind viele unserer Programmquellen enthalten und wirsind einverstanden, dass in dieser Frage keine Urheber-rechtsansprüche geltend gemacht werden.
Wenn über die Regierungsbildung diskutiert wird,geht es auch um die Frage, wie es zu dieser Koalition ge-kommen ist. Wer sich die Debatten der letzten Wochenoder auch die heutige anschaut, wird festgestellt haben:Ernsthafte Kritik daran, dass es nun zu einer großenKoalition gekommen ist, wird eigentlich von nieman-dem geäußert,
auch nicht – das ist interessant – von den Parteien derOpposition.Die Grünen und ihre Wählerinnen und Wähler habeneingesehen, dass es für Rot-Grün nicht mehr gereicht hatund dass eine andere Konstellation mit drei Parteiennicht funktioniert. Die FDP hat gesagt, sie wolle für be-stimmte Konstellationen nicht zur Verfügung stehen.Deshalb kann Sie nur einverstanden damit sein, dass esjetzt zu einer großen Koalition gekommen ist. Für diePDS/Linkspartei gilt Ähnliches. Sie wollte ohnehin mitniemandem regieren und niemand mit ihr. Insofern kannauch sie nicht kritisieren, dass es jetzt zur Bildung dieserRegierung gekommen ist.
Was mich etwas wundert, ist, dass das allgemeineEinverständnis über die Bildung dieser Koalition dazuführt, dass im Rahmen dieser Debatte über die Regie-rungserklärung nirgendwo ein richtiger Gegenentwurfgezeichnet worden ist.
In den Beiträgen der Oppositionsredner – es gibt ja dreiOppositionsparteien ganz unterschiedlicher Richtung –konnte man an keiner Stelle hören, wie eine andere Linieaussehen sollte als die, die die Bundeskanzlerin in ihrerRegierungserklärung vorgetragen hat, und als die, die imKoalitionsvertrag vereinbart wurde.
Meine Damen und Herren, dafür kann es viele Gründegeben. Einer der Gründe kann natürlich sein, dass wir esso falsch nicht gemacht haben. Ich plädiere für dieseAntwort.
Wenn nach fast 40 Jahren erneut eine große Koalitiongebildet wird, dann muss sie natürlich auch solche Auf-gaben lösen, die nur im Rahmen einer großen Koalitionlösbar sind. Ich denke, das ist ein Maßstab, den sich einesmnunltLomnadmiswgshdKmnItAdsdeFGDfdbwimstdmFulitd
Das zweite große Thema, das gerade in einer solcheronstellation vorwärts bewegt werden kann und bei deman zu Recht die Vermutung hat, anders ginge es wohlicht, ist eine Weiterentwicklung des Beamtenrechts.ch bin sehr wohl der Meinung, dass das Berufsbeamten-um in Deutschland eine Zukunft hat und dass es dieufgabe auch dieses Hauses ist, dafür zu sorgen, dassas Beamtenrecht und das Berufsbeamtentum – die zu-ammengehören – für die Zukunft weiterentwickelt wer-en.Drei Punkte in diesem Koalitionsvertrag spielen dabeiine große Rolle: Erstens sagen wir auch im Rahmen deröderalismusreform: Es ist möglich, die hergebrachtenrundsätze des Berufsbeamtentums weiterzuentwickeln.as werden wir machen und das ist die Voraussetzungür alle Reformen.Zweitens wollen wir zulassen, dass ein großer Teiles Beamtenrechts, insbesondere was Besoldungsfragenetrifft, entweder in den Ländern oder im Bund geregeltird – immer genau da, wo es darauf ankommt; auch dasst etwas, was Modernisierung, was Weiterentwicklungöglich macht. Denn die bisherige Situation, dassich16 Bundesländer und ein Bundesstaat einigen muss-en, hat meistens dazu geführt, dass der eine auf den an-eren verwiesen hat bei der Frage, warum er nichts ge-acht hat. Das ist jetzt beendet und auch das ist einortschritt – ein Fortschritt, den die sich Bürgerinnennd Bürger lange gewünscht haben.
Drittens gehört zur Reform des Beamtenrechts natür-ich auch das eine oder andere, was wir jetzt unmittelbarn Angriff nehmen, indem wir bei den Besoldungsstruk-uren des Bundes Anpassungen vornehmen, die sich anenen der Länder ausrichten.
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Olaf ScholzDas dritte große Thema, an dem sich eine solche Koa-lition beweisen muss, ist, dass wir es schaffen, das Ver-trauen in die sozialen Sicherungssysteme zurückzuero-bern.
Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Ich sagedas auch mit einem Bekenntnis verbunden: Ich glaube,dass unsere traditionellen Institutionen Rentenversiche-rung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung zuRecht eine so lange Tradition haben – das gilt für die ers-ten beiden – und dass es sich lohnt, dass sie auch in Zu-kunft weiter zu den wichtigsten Garanten von Sozial-staatlichkeit in Deutschland gehören. Das müssen wirjetzt und in dieser Koalition endgültig zustande bringen.
Wer als junger Mann oder junge Frau einen Vertrag ab-schließt mit der Rentenversicherung, mit der Kranken-versicherung und auch mit der Pflegeversicherung, lässtsich auf einen Vertrag ein, der viele Jahrzehnte funktio-nieren muss: für den Einzahler wie für den Leistungs-empfänger. Dieser Vertrag läuft länger als manche Ehe,auf alle Fälle viel länger, als Regierungen in Deutsch-land zu halten pflegen. Und der eine oder andere Regie-rungswechsel ist im Laufe der Jahrzehnte durchaus mög-lich. Insofern muss es unsere Aufgabe sein, dafür zusorgen, dass sich die Menschen nicht vor einem Regie-rungswechsel fürchten, wenn es um die Grundbedingun-gen von Renten- und Krankenversicherung geht. Das isteine Aufgabe, die sich wirklich lohnt.
Wir sind bei der Rentenversicherung schon viel weiter,als die öffentliche Diskussion wahrgenommen hat: Vonden Reformvorstellungen der Rürup-Kommission für dieRegierung ist fast alles umgesetzt, und was noch fehlt,das traut sich die Koalition jetzt im Koalitionsvertrag.Das finde ich richtig, weil das die Grundlage für Zu-trauen und Vertrauen ist.
In der Frage der Krankenversicherung sind unterder letzten Regierung Fortschritte gemacht worden.Manches von dem, was wir uns in Bezug auf mehr Wett-bewerb und mehr Kosteneffizienz vorgestellt haben,steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wir haben uns vorge-nommen, die Frage, wie wir das Gesundheitssystem fi-nanzieren, gemeinsam im nächsten Jahr zu beantworten.Ich betone: in einem Jahr. Angesichts der Tatsache, dassein großer Streit vorausgegangen ist, der nicht vomZaune gebrochen worden ist, sondern seine Ursache inden gewaltigen Problemen hinsichtlich Finanzierungund Zukunftsfähigkeit des bisherigen Systems hat, ist eseine ehrgeizige, aber lösbare Aufgabe, in einem Jahreine Lösung zu suchen.Ich will zusammenfassen: Wenn es die große Koali-tion schafft, in einem Jahr eine Lösung für die Finanzie-rungsprobleme der Krankenversicherung zu finden, diebeide Parteien über die Koalition hinaus auch in dennszfzMawPstdtwswawiAgdig–nsMaglrwwadhVsdosw
Ich habe mir den Entschließungsantrag der FDP unden Entschließungsantrag von PDS/Linkspartei angese-en. Ich musste feststellen, dass darin eigentlich keinorschlag zur Lösung eines der genannten Problemeteht.
Ich bin außerdem sehr daran interessiert, herauszufin-en, was Sie meinen. Ich jedenfalls habe große Zweifel,b es wirklich in Ordnung ist – wie das die FDP vor-chlägt –, bei den sozialen Sicherungssystemen bei dem,as hineinkommen muss, und dem, was herausgenom-
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Olaf Scholzmen werden muss, mehr zuzulangen und mehr zu spa-ren,
ohne den Menschen zu sagen – das ist eine möglicheÜbersetzung der rhetorisch groß vorgetragenen Redevon Herrn Westerwelle –, dass wir die Renten sofort undordentlich kürzen, damit die Staatsfinanzen in Ordnungsind.
Ich finde, ohne diesen ehrlichen Zusatz ist die ganzeRede nur noch hohl. Davor sollte man sich als Politikerin Acht nehmen. Jetzt tritt eine Regierung ins Amt, diemit ihrer Mehrheit viele reale Taten zustande bringenwird. Daher kommt man mit hohlen Sprüchen nicht sehrweit. Ich rate zu mehr Ehrlichkeit.
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ichhabe an den verschiedenen Beifallsbekundungen heutefestgestellt, dass es gelegentlich Einigkeit zwischen FDPund PDS/Linkspartei gibt
– das werden Sie auch bleiben –,
während an bestimmten Stellen auch zwischen Grünenund den beiden Koalitionsfraktionen Gemeinsamkeitenbestanden. Das hat etwas damit zu tun, dass sich die Vor-stellung, was gerecht ist und was Gerechtigkeit in dieserGesellschaft ausmacht, bei den Regierungsparteien undbei unserem bisherigen Koalitionspartner auf diese Weltbezieht. Gerecht kann nur sein, was auch möglich ist.
Was ist das „einig Uneinige“ zwischen der FDP undden Grünen? Die FDP will, dass das mögliche Maß anGerechtigkeit nicht verwirklicht wird, weil man auchdarunter bleiben kann.
Die PDS/Linkspartei möchte das Unmögliche und hältdas für gerecht.Beides ist falsch. Ich glaube, wir sind auf dem richti-gen Weg.
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Meine Damen und Herren, ich finde immer noch,ass sich diese Erwartungen nicht ganz selbstverständ-ich an uns richten. Deshalb hat es mich gestern in Nework auch ganz besonders berührt, dass sich insbeson-ere auch die Vertreter der jüdischen Organisationen
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeiermit in diesem Sinne hohen Erwartungen an unsere Au-ßenpolitik und an die Übernahme von Verantwortung anuns gerichtet haben.Die Haltung unserer Freunde und Partner, mit denenich sprechen konnte, zeigt eines ganz klar: Deutschlandist es gelungen, in den letzten 15 Jahren seinen Platz inder Welt neu zu bestimmen. Diese Neubestimmungwurde mit einer Ausnahme im Parlament von allen Par-teien mitgetragen und hat unser außenpolitisches Credonie preisgegeben, nämlich ein verlässlicher Partner inden Vereinten Nationen zu sein, multilateral aus Über-zeugung und in Achtung des Völkerrechts und der Men-schenrechte.
Wir alle haben lernen müssen, dass mit dem Ende desOst-West-Konfliktes alte Selbstverständlichkeiten nichtmehr ohne weiteres gelten. Das war nicht selten unbe-quem, eröffnet aber, um eine Formulierung aus der Re-gierungserklärung aufzugreifen, neue Möglichkeiten.Diese Möglichkeiten, diese Chancen der Globalisie-rung sollten wir angesichts einer – die Talkshows sindvorhin genannt worden – zu Krisen- und Untergangsfan-tasien neigenden Öffentlichkeit mindestens ebenso deut-lich herausstellen wie die vielen Gefahren, die wir natür-lich weder ignorieren noch kurzfristig beseitigenkönnen. Aber wir müssen daran – vielleicht in der Zu-kunft mit noch mehr Ehrgeiz – arbeiten. Aber bitte:Chancen und Risiken – das ist die Botschaft – sind Teiljener Zukunft, die wir gemeinsam gestalten wollen.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem bekanntenund einflussreichen amerikanischen Wissenschaftler undPolitikberater Jeremy Rifkin, den wir im vergangenenJahr zu einer Diskussion hier hatten. Ein Satz ist mir inErinnerung geblieben:Warum seht ihr nicht, dass Europa für viele Men-schen in der Welt ein Ort der Hoffnung und der Zu-versicht für eine bessere Weltordnung ist?
Er hat uns, den Deutschen, und uns, den Europäern,bei der Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft etwasmehr Pioniergeist und Fortschrittsoptimismus ge-wünscht. Das dürften Tugenden sein, die mit demSelbstverständnis und der Programmatik beider Regie-rungsparteien und, wie ich hoffe, sogar darüber hinausvereinbar sind.Auf vielen Feldern, zum Beispiel der Zukunft dereuropäischen Außen- und Sicherheitspolitik – dieeuropäische Sicherheitsstrategie ist in der Regierungs-erklärung genannt worden – sowie des künftigen Ver-hältnisses zwischen Europa, den Vereinigten Staaten undRussland, auf diesen Baustellen sind wir noch weit da-von entfernt, zu Antworten zu kommen, die den tektoni-schen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte gerechtwsFdisakWuFsmdmdFzFtivstrmdzsgpcdvt–bwvtwPdsW
Wenn ich das für die Zukunft sage, dann sage ichuch, dass dieses Land mit Stolz auf das zurücksehenann, was wir in den letzten Jahren seit der deutscheniedervereinigung geleistet haben. Deutsche Soldatennd Polizisten sind heute an vielen Orten der Welt imriedenseinsatz. Ich sage vor diesem Hause: Der Deut-che Bundestag hat mit seiner übergroßen Mehrheit im-er dann, wenn es verantwortbar war, und insbesondereann, wenn es darauf ankam, Ja zur Übernahme vonehr Verantwortung für Frieden und Demokratie gesagt.Vielleicht ist es vor diesem Hintergrund kein Zufall,ass die erste Kabinettsvorlage, die ich in meiner neuenunktion im Hause des Auswärtigen Amtes zu unter-eichnen hatte, eine war, die mit diesen internationalenriedenseinsätzen zu tun hatte, nämlich die deutsche Be-eiligung an der Grenzschutzmission in Rafah, die, wiech finde, ein sichtbarer Beitrag Europas zur Schaffungon Stabilität in der schwierigen Nachbarschaft zwi-chen Israel und Palästina ist.
Wir haben gemeinsam den Kampf gegen den interna-ionalen Terrorismus aufgenommen und sowohl im Be-eich der Innen- und Justizpolitik als auch, wie icheine, in der Außenpolitik das Notwendige getan, ohneie Prinzipien von Toleranz und Rechtsstaatlichkeit auf-ugeben. Zudem – das darf ich trotz aller Auseinander-etzungen in der Vergangenheit feststellen – stehen wiremeinsam zu der Entscheidung, keine deutschen Trup-en in den Irak zu entsenden.
Ich sage das auch deshalb, weil ich nach den Gesprä-hen mit der amerikanischen Außenministerin gesternen vertieften Eindruck gewonnen habe, dass dies auchon den amerikanischen Freunden und Partnern akzep-iert wird, und zwar nicht nur deshalb, weil unser Beitrag der militärische Beitrag in Afghanistan und der zivileeim Wiederaufbau im Irak – gesehen und anerkanntird, sondern auch deshalb, weil die Vereinigten Staatenon Amerika zu Recht auf ein starkes und selbstbewuss-es Deutschland setzen. Ich betone ausdrücklich: Wirollen gute und, wo nötig, auch kritisch-konstruktiveartner sein, und zwar aus Dank für die Hilfe, die wir iner Vergangenheit erfahren haben, und aus der gemein-amen Verantwortung für eine gerechte und friedlicheeltordnung,
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Bundesminister Dr. Frank-Walter SteinmeierPrinzipien also, die wir auch im Kampf gegen den Terro-rismus zu beachten haben. Das war, wie Sie aus den Me-dien wissen, auch Gegenstand der Gespräche am gestri-gen Tage.Sicherlich ist noch in beunruhigender Weise unklar,was von Medienberichten über Gefangenentransporteund geheime Gefängnisse zu halten ist. Wir brauchenAufklärung. Darin sind wir uns mit den europäischenPartnern einig. Ich habe aber nach den Gesprächen inWashington den Eindruck, dass das verstanden wordenist, und ich hoffe, dass die Antwort auf die europäischenFragen zeitnah erfolgt und Klarheit schafft.
Im Übrigen – das ist nicht unwesentlich – war ich mirmit den amerikanischen Gesprächspartnern darin einig,dass wir an den Differenzen der Vergangenheit, die esdurchaus gab, gearbeitet haben, und zwar auf beiden Sei-ten des Atlantiks erfolgreich und mit Zukunftsperspekti-ven. Wir haben eine Vielzahl gemeinsamer Interessen.Wir wollen jetzt nach vorne blicken und sehen, waswir zur Stabilisierung der Situation etwa in Afghanistan,auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten, bei denöstlichen Nachbarn der Europäischen Union oder inZentralasien beitragen können. Klar war auch: Unsereguten Beziehungen zu Russland werden nicht etwa arg-wöhnisch beäugt, sondern ausdrücklich begrüßt, weil einRussland, das sich nach Westen orientiert, in unseremgemeinsamen Interesse liegt
und weil Russland ein unverzichtbarer Partner für Frie-den und Stabilität in Europa und den Nachbarregionenist.Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-rung schon einen umfassenden Überblick über die anste-henden außen- und europapolitischen Fragen gegeben.Ich will mich deshalb in der knappen zur Verfügung ste-henden Zeit auf zwei Punkte beschränken. Der erstePunkt ist der Iran. Aus meiner Sicht ist eine Lösung imStreit um den iranischen Nuklearehrgeiz am drängends-ten. Kein anderes Thema hat in meinen Gesprächen inden vergangenen Tagen einen so breiten Raum einge-nommen. Wir teilen die Besorgnisse des überwiegendenTeils der internationalen Staatengemeinschaft. Wir brau-chen absolute Sicherheit und objektive Garantien, dassbei der zivilen Nutzung von Kernkraft keine militärischnutzbaren Waffentechnologien vorbereitet werden.
Gleichzeitig – das ist meine feste Überzeugung –bleibt aus unserer Sicht die Verhandlungslösung derbeste Weg.
Deshalb hat die IAEO mit unserer Unterstützung Tehe-ran nochmals aufgefordert, alle Verpflichtungen aus demNtPdVVcdsgjSdtsubaeidmdfVerwczrÄAwIIa–Ikekernndhts
ch habe zu diesem gesamten Vorgang kürzlich in einernderen öffentlichen Rede gesagt: Ich bedauere es sehrgenauer gesagt: es ist fast eine Tragödie –, dass derran sein großes Potenzial, ein Stabilitätsanker in einerrisengeschüttelten Region des Mittleren Ostens zu sein,ntweder nicht erkennt oder sogar bewusst verspielt.
Der zweite Punkt, der unsere besondere Aufmerksam-eit erfordert – wem sage ich das! –, ist die Lösung deruropäischen Finanzfragen. Wir hoffen und setzen da-auf, dass von der britischen Ratspräsidentschaft in derächsten Woche Vorschläge vorgelegt werden. Aus mei-er Sicht und aus der vieler europäischer Kollegen, mitenen zu sprechen ich in den letzten Tagen Gelegenheitatte, ist eine Einigung auf dem bevorstehenden Gipfel-reffen unabdingbar, jedenfalls dann, wenn wir sicher-tellen wollen, dass die neuen Mitgliedstaaten der EU
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeiernicht nur eine formale Mitgliedschaft erworben haben,sondern auch die Möglichkeit erhalten, tatsächlich in dieEuropäische Union hineinzuwachsen.
Gerade die neuen Mitgliedstaaten brauchen einen Fi-nanzrahmen, damit Mittel aus der Strukturpolitik fließenkönnen. Ohne eine Verständigung über die finanzielleVorausschau hängt das große Erweiterungsprojekt von2004 – das liegt auf der Hand – zumindest mit einemBein in der Luft. Wir kennen die britischen Vorschlägenoch nicht. Sie werden, wie ich eben angedeutet habe,auf jeden Fall kommen. Aber ich habe die Ernsthaftig-keit aller an diesem Prozess Beteiligten festgestellt, dasProjekt der finanziellen Vorausschau noch vor Weih-nachten zu einem guten Ende zu bringen. Die Bedingun-gen dafür sind für uns klar: Der von der LuxemburgerPräsidentschaft vorgeschlagene Ausgaberahmen darfund kann jedenfalls aus unserer Sicht nicht überschrittenwerden.Ein abschließender Satz zum Geiseldrama, aber viel-leicht aus einer etwas anderen Perspektive. Natürlichsehe ich – das habe ich gegenüber der Öffentlichkeitzum Ausdruck gebracht – das Schicksal der deutschenGeisel und ihres Fahrers im Irak mit großer Sorge. Siewissen, dass alle unsere Anstrengungen darauf gerichtetsind, das Leben der Geiseln zu schützen und die Freilas-sung zu erreichen. In diesem Zusammenhang bestandgestern bei den Gesprächen in den USA die Möglichkeit,den amerikanischen Partner zu bitten, mit regionalemWissen und Kenntnis der Personalstrukturen behilflichzu sein. Das ist zugesagt worden. Die Deutsche Bot-schaft, das BKA und das Auswärtige Amt mit seinemKrisenstab sind im Augenblick intensiv bei der Arbeit.Ich habe das Thema vor allen Dingen aber angespro-chen, um einen anderen Aspekt zu betonen. Ich glaube,dass sich gerade in Momenten wie diesen zeigt, wiewichtig es ist, dass unser Land auf Menschen bauenkann, die im Ausland – oft unter schweren Bedingungen –ihren Dienst versehen.
Ich glaube – Frau Merkel, ich habe es nicht endgültignachprüfen können –, wir haben mit unserer Koalitions-vereinbarung insofern eine Premiere geschafft, als dieseKoalitionsvereinbarung zum ersten Mal allen dankt, dieim Ausland für Deutschland unterwegs sind: den Diplo-maten und den Soldaten sowieso, aber auch denjenigen,die als Entwicklungshelfer, Polizisten, Mitarbeiter vonNichtregierungsorganisationen oder politischen Stiftun-gen im Ausland unterwegs sind.
Wir tragen für alle diese Personengruppen eine beson-dere Verantwortung. Diese Personen müssen wissen,dass sie sich stets auf unser Verständnis, unsere Unter-stützung und unsere Wertschätzung verlassen können.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.DtAszAtaKwdibwbfEzvRnwzEgpBfiknLdigAnMmBdSmwwd
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion,
r. Wolfgang Gerhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ver-rete hier eine Fraktion, der die Konsensbildung in derußenpolitik, seit die Bundesrepublik Deutschland be-teht, sehr wohl bewusst ist. Wir sind eigentlich die ein-ige Fraktion, die zu den Kernfragen der deutschenußenpolitik gestanden hat, während sich manche Frak-ionen zuerst mit der Westpolitik aussöhnen mussten undndere wiederum mit der Ostpolitik. Wir haben eineontinuitätslinie, die unbestritten ist. Deshalb wissenir auch, Herr Minister Steinmeier, wie wertvoll es ist,ass man in der Außenpolitik möglichst Konsens sucht,n den großen Linien gemeinsam verfährt und die De-atte darauf beschränkt, wo eine unterschiedliche Be-ertung vorliegt.Das transatlantische Bündnis war uns auch zu Zeitenekannt, als die frühere Regierung im Begriff war, diesesür nicht mehr so bedeutungsvoll zu halten. Dass wir inuropa mit den kleinen und mittleren Staaten kommuni-ieren müssen, haben Sie zu Recht dargestellt. Dass diesernachlässigt wurde, haben wir als Manko der früherenegierung empfunden. Das muss man uns eigentlichicht vortragen. Dass die Europäische Union größer ge-orden ist, hätte auch schon die alte Regierung dazuwingen müssen, mit mehr Staaten zu kommunizieren.s ist ja genau das, was der frühere Bundeskanzler ei-entlich nicht gemacht hat und Sie jetzt in der Reisedi-lomatie nachholen.
Ich will angesichts der klaren Grundlinien und deredeutung der deutsch-französischen Freundschafteststellen, dass diese Zusammenarbeit für uns wichtigst und dass auch mit unserer Regierungsbeteiligungeine andere Reise stattgefunden hätte als zuerst dieach Paris, dann nach Brüssel und anschließend nachondon. Ich begrüße es auch außerordentlich, Frau Bun-eskanzlerin, dass Sie dann nach Warschau fahren. Dasst alles unbestritten. Aber im Kern muss man ja überle-en, was am Ende herauskommen soll, um europäischenliegen weiter zu bewegen. Die beiden großen Konti-entalstaaten Deutschland und Frankreich, die einst derotor der Europäischen Union waren, sind das nichtehr. Sie haben Beschäftigungsprobleme, sie habenudgetprobleme. Sie haben nicht die Wirtschaftskraft,ie die Eurozone eigentlich nach oben bringen könnte.ie schwächeln eher. Sie sind kein dynamisches Tandemehr. Wenn sie wieder eine Führungsfunktion ausübenollen, dann müssen sie zuallererst genau das erledigen,as zu erledigen wäre – nach unserer Auffassung wurdeas in der Regierungserklärung nicht ausreichend be-
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Dr. Wolfgang Gerhardtschrieben –: die Haushalte konsolidieren, für wirtschaft-liches Wachstum sorgen, Beschäftigungsimpulse geben.
Ich wiederhole: Diese Aufgabe muss zuallererst erfülltwerden. Daran fehlt es.Ein Zweites muss geschehen – in den letzten Jahrenist dieser Versuch etwas missglückt –: Wenn sie beidewieder ein Stück weit Führung in Europa wahrnehmenwollen, müssen sie sich eines gewissen Kommandotonsgegenüber anderen eher enthalten. Sie müssen alle alsgleichberechtigte Mitglieder der Europäischen Unionansehen; sie dürfen keine Unterschiede machen. Diedeutsche Bundesregierung darf nie mehr in die missver-ständliche Lage geraten, dass sie vor dem Hintergrundeiner strategischen Partnerschaft mit Russland in vie-len Gesprächen in Moskau Sachverhalte behandelt, dieanderen Ländern, die zwischen Russland und Deutsch-land liegen, so nicht gefallen.
Auch diese Länder sind unsere Partner, deren Interessenwir klar sehen müssen.Es ist schon bemerkenswert – ich bin wohl kaum fal-schen Wahrnehmungen unterlegen –: Die Anzahl deutsch-russischer Treffen, insbesondere unter der vergangenenBundesregierung, steht in einem krassen Missverhältnisder Kontakte zu den Staaten, die zur EuropäischenUnion neu hinzugekommen sind. Diese Staaten hattenschon immer den Eindruck – das muss man wahrnehmenund spüren –, dass da manches verhandelt wird, was ih-nen nicht gefallen könnte.Deshalb bestreiten wir nicht die außergewöhnlichepolitische Bedeutung einer strategischen Partnerschaftmit Russland. Wir bestreiten auch nicht den Wert derdeutsch-französischen Beziehungen. Wir möchten nur,dass die strategische Partnerschaft mit Russland mehrbeinhaltet, als in diesem Land einen Energielieferantenzu sehen. Wir möchten vielmehr betonen, dass wir einmassives Interesse an der Transformation dieses Landeszu einem stabilen Rechtsstaat und zu einer stabilen De-mokratie haben.
Das muss zum Dialog gehören.In diesem Zusammenhang – strategische Partner-schaft mit diesem großen Land – sollten wir uns auchdarüber klar werden, wie wir die Diktaturen mitten inEuropa behandeln wollen. In einem Dialog mit demrussischen Präsidenten können wir über Belarus, überMoldawien und über Transnistrien nicht einfach hinweg-gehen. Ich bin für diese strategische Partnerschaft undich bin für den Interessenabgleich; aber ich bin auch fürdie Erörterung der anliegenden Themen. SonntäglicheAnsprachen können nicht verdecken, dass wir eine stra-tegische Partnerschaft mit Russland brauchen, dass die-ses Land groß ist, acht Zeitzonen der Erde umfasst undein wichtiger Energielieferant für Deutschland ist. Russ-land ist für mich aber mehr als ein Energielieferant.RbedcePshRrSaFlnBnTfrdtsseurtWtgbbsnfmsnrddvdbBwSlw
Wir haben es im Grunde genommen mit einem Ste-kenbleiben in Bezug auf das zu tun, was wir in den Ver-inten Nationen erreichen wollen. Wir haben für unsereläne Partner gefunden: Brasilien, Indien, Japan. Wirollten noch mehr suchen. Aber wir sollten diese Bemü-ungen nicht mehr so monothematisch wie die frühereegierung darauf verengen, einen Sitz im Sicherheits-at anzustreben. Die Bundestagsfraktion der FDP wirdie, Herr Minister, in jedem Bereich unterstützen, deruf eine Stärkung der Vereinten Nationen abzielt. Unsereraktion bekennt sich zum Multilateralismus. Wir wol-en eine enge Bindung an das Völkerrecht. Wir neigenicht zu unilateralen Aktionen, wie Sie alle wissen.Aber wir wollen der neuen Regierung schon sagen:eschreiten Sie nicht mehr den alten, verengten Weg, ei-en Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat anzustreben!reten Sie ein für eine Reform der Vereinten Nationen,ür eine stärkere Durchsetzungsfähigkeit bei Menschen-echten, bei präventiven Konfliktlösungen und bei allem, was dazugehört! Suchen Sie sich dafür auf interna-ionaler Ebene Verbündete und halten Sie nicht nur Aus-chau nach einer Lobby, die Sie in der Forderung unter-tützt, dass Deutschland einen Sitz im Sicherheitsratrhält! Jetzt besteht die Chance, die Politik gegenübernd in den Vereinten Nationen ein Stück weit neu auszu-ichten.
In Bezug auf die Iranfrage haben Sie das massive In-eresse an einer Verhandlungslösung zu Recht bekundet.ir stimmen Ihnen zu, auch was die strategische Bedeu-ung, die Sie diesem Land zugeschrieben haben, angeht.Das Land könnte ein Stabilitätspfeiler in dieser Re-ion vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer sein, dieis heute mit Katastrophen schwanger geht. Es hat einelühende Kultur. Es ist reich an Traditionen und Ge-chichte. Für Iran muss nur eines klar sein – darauf kön-en wir nicht verzichten –: Iran hat jedes Recht auf einriedliches Nuklearprogramm, aber die Öffentlichkeituss davon überzeugt sein, dass es friedlich ist; hier be-teht völlige Übereinstimmung. Davon weichen wiricht ab. Das muss der Staatsführung dort, der Bevölke-ung, der gesamten Gesellschaft klar sein. Wir wollen,ass das Land eine Rolle spielt. Aber wir wollen auch,ass es sich so verhält, dass seine Nachbarn keine Angstor ihm haben müssen. Das ist ein Mindesterfordernises internationalen Umgangs gerade in einer Region, dieisher so wenig an Kooperation zustande bringt.So schön das Gruppenbild zum Jubiläumsjahr desarcelona-Prozesses war – Herr Minister, Sie wissenie ich: Eine größere Teilnahme aus den arabischentaaten, genau aus den Staaten, für die wir den Barce-ona-Prozess doch eigentlich organisiert haben, wäreünschenswert gewesen. Die Tatsache, dass die
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Dr. Wolfgang Gerhardtwichtigsten Staatschefs, die man dabei haben müsste,aus unterschiedlichen Gründen abgesagt haben, kannhier nicht einfach so stillschweigend übergangen wer-den. Der Barcelona-Prozess – er wird weitergeführt wer-den müssen – ist von uns eigentlich eingeleitet worden,um einem Teil der arabisch-muslimischen Welt plus Is-rael – dort ist man zum ersten Mal in Kommunikationmit den Nachbarn in einem breiten Gürtel um sichherum – zu signalisieren, dass wir ein massives Interessean einem Transformationsprozess haben, dass wir ihnstützen wollen, auch finanziell, dass wir uns anstrengenwollen, damit er zustande kommt. Aber diese großartigeKultur der arabischen Welt produziert für uns bis heutenoch nicht einmal ein Minimum an Kooperation. Derwirtschaftliche Austausch in dieser Kette nordafrikani-scher Länder wird eher behindert als begünstigt.Ich spreche das hier deshalb an, weil man natürlichauch sagen könnte: Wir begrüßen, dass der Barcelona-Prozess nun zehn Jahre besteht und damit ein Jubiläumbegeht, und hoffen auf eine gute Fortsetzung. Aber dannmuss man schon tiefer eindringen, um zu sagen, wo esbisher hapert, wie wir die Probleme überwinden wollenund was jetzt zu tun ist. Wir müssen der arabischen Weltsagen, dass wir ihr nicht helfen können, wenn sie nichtein Minimum an Kooperationsfähigkeit untereinanderzustande bringt. Die gesamten Modelle, die wir für denGreater Middle East bisher diskutiert haben, sind nichtin einem Punkt aufgrund eigener Kommunikationsfähig-keit dort zustande gekommen. Ich sage das deshalb, weildort das Wetter des Wohlstands gemacht wird, weil wirdie Konflikte dieser Region in den deutschen Innenstäd-ten haben, wenn wir sie nicht im Vorgriff mit der arabi-schen Welt lösen. Da kann von uns auch ein Stück An-spruch an die arabische Welt formuliert werden, selbstnach Konfliktlösungsmechanismen zu suchen, vor allemim Barcelona-Prozess.
Damit wir uns nicht so sehr auf Europa konzentrieren,will ich noch eine Bemerkung zu Asien machen, im Üb-rigen auch mit dem Hinweis darauf, dass ein Stück Kor-rektur deutscher Asienpolitik ganz hilfreich wäre. InAsien konkurrieren eigentlich alle Nationen in einemWettbewerb ihrer Volkswirtschaften mit jeweiligen In-vestitionen dort. Das reicht nicht aus. Es finden die euro-päisch-asiatischen Treffen statt, aber es gibt dahinterkeine kommunikativen Strukturen, die in Asien selbstneben China auch die Länder in den Blick nehmen, fürdie das ebenfalls notwendig ist.Indien wird meines Erachtens in der deutschen Au-ßenpolitik viel zu wenig erwähnt, obwohl es eine ge-wachsene Demokratie ist, eine junge, energische, tat-kräftige Bevölkerung hat. Wir sprechen kaum übermittelgroße asiatische Länder, die keine Einparteienherr-schaft haben, die sich stärker auf demokratische Struktu-ren hin entwickeln, wie wir sie eigentlich gern hätten.Wir konzentrieren uns auf China, ohne das Thema Men-schenrechte außerhalb internationaler Workshops ernst-haft mit China zu besprechen.IivPuipggAttdnmSHtiSsdwaGeDuvIisrAlbadWrazs
m Grunde genommen besteht schon die Notwendigkeit,m Dialog, den wir mit China führen, auch solche Sach-erhalte zu besprechen. Ich erwähne das deshalb, weilolitik nicht nur etwas mit dem Managen des Status quond großen Kräftekonstellationen zu tun hat. Politik hatm Ursprung auch etwas damit zu tun, Transformations-rozesse einzuleiten, sie zu begleiten und Veränderun-en herbeizuführen. Das geht nicht immer ohne Reibun-en und auch nicht ohne unangenehme Begegnungen.ber wir müssen sie angehen, gerade weil, Herr Minis-er, sich auf Deutschland neben fast überhöhten Erwar-ungen an uns auch die Hoffnungen vieler konzentrieren,ass wir Menschenrechte vertreten und denen helfen, dieicht wie wir in Freiheit leben können. Dies muss Wert-aßstab auch in der deutschen Außenpolitik bleiben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Dr. Andreas
chockenhoff von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verur-eilt die Entführung von Frau Osthoff und ihrem Fahrerm Irak aufs Schärfste. Ihnen gilt unsere besondereorge. Wir hoffen und wünschen, dass beide möglichstchnell wohlbehalten freikommen. Wir sind überzeugt,ass die Bundesregierung dafür alles ihr Mögliche tunird. Aber wir sagen auch mit aller Entschiedenheit: Beillen nur denkbaren Bemühungen um die Befreiung dereiseln dürfen und werden politische Bedingungen nichtrfüllt werden.
eutschland muss auch weiterhin den Aufbau des Iraknterstützen; denn diese Aufbauunterstützung ist ein un-erzichtbarer Beitrag im Kampf gegen den Terror imrak und zum Gelingen der Demokratisierung nicht nurm Irak, sondern zugleich zu einer Stabilisierung im ge-amten arabischen Raum.Meine Damen und Herren, die Koalitionsvereinba-ung spricht zu Recht von Kontinuität in der deutschenußenpolitik. Es ist die Kontinuität, die über eine sehrange Zeit durch die Grundlagen deutscher Außenpolitikestimmt wurde. Das heißt, europäische Einigung undtlantische Partnerschaft sind keine Gegensätze, sondernie beiden wichtigsten Pfeiler unserer Außenpolitik.enn es darüber in der letzten Zeit Irritationen bei unse-en Partnern gegeben hat, dann wird durch die in der Ko-litionsvereinbarung festgeschriebenen wichtigen Ak-entverschiebungen Folgendes klargestellt:Erstens. Die Europäische Union ist Garant für politi-che Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in Deutschland
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Dr. Andreas Schockenhoffund Europa. Aus diesem Grund werden wir alles Mögli-che tun, um die derzeitige Krise in der EuropäischenUnion zu überwinden. Die Menschen müssen wiederdas Gefühl bekommen, dass die EU die dringenden Auf-gaben wie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Terrorbe-kämpfung und Umweltschutz zu lösen in der Lage ist,und sie müssen wieder eine Antwort auf die Frage erhal-ten, wohin sich die EU weiterentwickeln soll und woihre Grenzen liegen. Für die Lösung dieser Krise der EUund für ihre Weiterentwicklung bleibt der deutsch-fran-zösische Motor unverzichtbar. Aber er wird dann amwirksamsten sein, wenn wir unsere Partnerstaaten wie-der frühzeitig einbeziehen und ihren Interessen gerechtwerden.
Wenn bei unseren Partnern in der Vergangenheit einGefühl der Bevormundung entstanden sein sollte, dannist die Botschaft der neuen Regierung unter AngelaMerkel klar – deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dassder Außenminister eine seiner ersten Reisen in die Nie-derlande unternommen hat –: Wir werden auch mit denmittleren und kleinen EU-Partnerländern wieder eng zu-sammenarbeiten und, wenn es möglich ist, gemeinsameInitiativen entwickeln.
Herr Außenminister, es war auch ein richtiges Signal,dass Sie anschließend in Italien waren.
Zweitens. Ebenso unverzichtbar ist ein enges und ver-trauensvolles transatlantisches Verhältnis. Nur ge-meinsam können wir den neuen Sicherheitsbedrohungenwirksam begegnen und unsere Ziele in der Außen-, Han-dels- und Umweltpolitik erreichen. Natürlich wird esschon wie in der Vergangenheit unterschiedliche Auffas-sungen geben. Ich nenne nur die Stichworte Guanta-namo oder Strafgerichtshof. Aber sie werden im partner-schaftlichen Dialog und im Geiste der Freundschaftgeregelt werden. Denn ein transatlantisches Zerwürfniskönnen wir uns nicht leisten.Wir können es uns schon deshalb nicht leisten, weildas Gewicht der Wertepartner Europa und Amerika, ins-besondere was die wirtschaftliche Leistung betrifft, imVerhältnis zu den emporstrebenden Staaten und Regio-nen der Welt immer kleiner wird. Deshalb ist es gut, dassin der Koalitionsvereinbarung klar zum Ausdruck ge-bracht wird: Europa versteht sich nicht als Gegenge-wicht, sondern als Partner der Vereinigten Staaten.
Viele Aufgaben liegen hier vor uns, ob in den Han-delsbeziehungen, in unserem Beitrag zur Lösung desNahostkonflikts und zur Demokratisierung der Länderdes größeren Mittleren Ostens oder in der Klimapolitik.Ein weiteres Beispiel ist das Stichwort Asienstrategie– Herr Gerhardt, Sie haben es gerade angesprochen –,das ebenfalls in unserer Koalitionsvereinbarung enthal-ten ist.spümahugEmmKnsdVllfwsmewRrfhEdtgrphwtlsmZWGvTnskKvwI
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Ein zweites Beispiel. Die Tschetschenin SainapGaschajewa ist vor wenigen Tagen mit dem Lew-Kopelew-Preis ausgezeichnet worden. Der WDR-Inten-dant Fritz Pleitgen hat in seiner Laudatio gesagt:Frau Gaschajewa trotzt Kriegsgefahren und staatli-chen Einschüchterungen, um die Welt auf die Lei-den der Menschen in ihrer Heimat Tschetschenienaufmerksam zu machen.Ich finde, der Mut von Frau Gaschajewa und vieleranderer Frauen und Männer in Russland verpflichtet uns,die Probleme in Tschetschenien offen anzusprechen undimmer wieder im Dialog mit Russland auf eine politi-sche Lösung des Tschetschenienkonflikts zu drängen.
Ein drittes Beispiel: So richtig das Pipelineprojektdurch die Ostsee ist, so wichtig ist es, Projekte von sogravierender außen- und sicherheitspolitischer Bedeu-tung nicht über die Köpfe unserer ostmitteleuropäischenNachbarn hinweg zu betreiben.
Das hat die neue Regierung ausdrücklich zugesagt unddas ist gerade für die Vertrauensbildung im deutsch-pol-nischen Verhältnis wichtig.
Ein wichtiger Schwerpunkt der deutschen Außenpoli-tik bleiben die Bemühungen der Länder des größerenMittleren Ostens um Demokratisierung und Moderni-sierung. Diesen Prozess wollen wir auch weiterhin un-terstützen. Dabei bleibt entscheidend, wie glaubwürdigwir uns für die Lösung des Nahostkonfliktes einsetzen.Gerade wegen der schwierigen Situation in Palästina undin Israel und auch als Zeichen gegen den Terror, wie erkürzlich Amman auf schreckliche Weise getroffen hat,müssen sich Amerikaner und Europäer verstärkt für dieFortsetzung des Friedensprozesses engagieren. Wirwerden zwischen unserer Welt und der islamischen Weltkeinen Frieden finden, wenn dieser Konflikt nicht fair,gerecht und dauerhaft geregelt wird. Dazu müssen alleStaaten der Region beitragen, auch der Iran. Wer wieder iranische Präsident Ahmadinedschad dazu auffor-dert, Israel auszuradieren, verstärkt den Verdacht, seinAtomprogramm diene einem anderen als dem vorgeblichfriedlichen Zweck.Ich sage für die CDU/CSU: Der Iran hat das Rechtauf eine friedliche Nutzung der Kernenergie. Er hat aberkein Recht auf Nuklearwaffen.
Die CDU/CSU begrüßt deshalb ausdrücklich, dass dieBundesregierung in dieser Frage die bisherige Linie wei-terverfolgen wird.azPsEEdEwDrdiwggdKAmsbhsdndwbwrrMwKDzdEwEkdpGsAEdjh
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chwarz, Rot und Grün tragen Mitschuld durch Dul-ung. Es stehen Vorwürfe im Raum, dass in geheimenefängnissen in Europa gefoltert wird.Herr Minister Steinmeier meint: Mal abwarten, wasie USA der EU erzählen. – Das nun genügt nicht.
as war ein armseliger Auftritt bei Frau Rice. Wir wol-en wissen, was die Bundesregierung weiß, und sagen,as sie wissen und, vor allem, nach geltendem Recht tunüsste. Wo, bitte, ist die Souveränität, wo die Äquidis-anz zu den USA?
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Monika KnocheWas ist der Anteil, fragen wir, deutscher Truppen in Af-ghanistan am Aufbringen und Verbringen von Gefange-nen? Im Raum steht die Möglichkeit, dass Deutschlandselbst sich Verbrechen schuldig macht. Es herrscht Auf-klärungs- und Handlungsbedarf. Hier hat der prokla-mierte Völkerrechts- und Menschenrechtsvorrang zugreifen.Wegen des fortgesetzten Völkerrechtsbruchs in Af-ghanistan haben die Menschen Angst vor Terror-anschlägen, zahlen mit dem Verlust von Bürgerrechtenund Einschnitten in den Datenschutz. Dieser Krieg ge-gen den Terror ist mit steigenden Rüstungsausgaben undder Androhung des Einsatzes der Bundeswehr im Innernverbunden. Sie deklarieren Rüstungsausgaben zu Inves-titionen um; die sozialen Investitionen bezeichnen Sieals Lasten. Wer hat sich die Sicherheitspolitik so vorge-stellt?
Im Übrigen hat der Bundestag nie definiert, was Ter-ror ist. Ich meine, erstens ist Terror als Tötung Unbetei-ligter zur Erreichung politischer Ziele zu beschreibenund zu ächten, zweitens ist zwischen Befreiungsbewe-gungen und ethnisch-rassistischer Unterdrückung undWillkür zu unterscheiden und drittens ist Krieg gegenDrogen vom Krieg gegen Terror zu trennen und sich ankeinem von beiden zu beteiligen.
Meine Herren und Damen, zum deutschen Sitz imUN-Sicherheitsrat. Hier sollte die Bundesregierungdem Rat aus den eigenen Reihen folgen und das An-spruchsniveau realistisch ausgestalten, statt rot-grünerSelbstüberschätzung nachzueifern. Was wir unterstützenwürden, ist ein Votum für eine Weiterentwicklung desVölkerrechts und der UNO. Im Ergebnis brächte das un-seren Vorstellungen nach dem vergessenen KontinentAfrika eine eigene und eine eigenständige Stimme. Die-ser Teil der Welt darf nicht erst dann ins Blickfeld rü-cken, wenn der Migrationsdruck vor den verschlossenenToren Europas dazu zwingt.
Im Westen fällt, neben den USA, mein Blick aufLateinamerika, das ein Recht darauf hat, eine Gleich-stellung mit den Vetostaaten zu erlangen. Die Entwick-lungen zum Beispiel in Venezuela halte ich für äußerstbeeindruckend und interessant.
Im Nahen Osten macht die Drohkulisse gegen den Iranbesorgt. Wir lehnen atomare Energie und erst recht ato-mare Bewaffnung ab. Aber dennoch kann dem Iran dielegitime Atomnutzung nicht abgesprochen werden.
Was wir brauchen, ist eine konsequente Initiative für ei-nen atomwaffenfreien Raum im Nahen und MittlerenOsten.
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as, was da betrieben wird, ist nichts anderes, als sichusgerechnet an Menschen schadlos zu halten, die sichn besonderer Weise dafür eingesetzt haben, die Lebens-erhältnisse der Menschen im Irak zu verbessern. Die-es Vorgehen zeigt: Es zielt gerade nicht nur auf den Ein-elnen, nicht nur auf die Erpressung dieser Gesellschaft,ondern es zielt auch gerade darauf, jeden Ansatz dererbesserung der Lebenssituation der Menschen im Iraknzugreifen. Das ist der Grund, warum wir nachdrück-ich gegen diese Form des Terrorismus sind und warumir nachdrücklich sagen: Wir wollen die Lage der Men-chen im Irak verbessern und dazu gehören selbstver-tändlich vernünftige Beziehungen zur gewählten Regie-ung im Irak.
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Jürgen Trittin
Es zeigt auch, dass es bei diesen Terroristen nicht umdie Frage geht, wie sich die eine oder andere Regierungim Falle des Irakkonfliktes verhalten hat, sondern ihrVerhalten zielt ganz genau auf die offene Gesellschaft,auf Gesellschaften, in denen unterschiedliche Lebens-weisen miteinander existieren können. Das ist die He-rausforderung, der wir uns zu stellen haben.Wir waren 2002 nicht gegen eine Beteiligung an die-sem Krieg, weil wir geglaubt haben, dadurch könntenwir unsere Bürgerinnen und Bürger vor solchen terroris-tischen Anschlägen besser oder vollständig bewahren.Es wäre naiv, das zu glauben. Wir waren vielmehr dage-gen, weil wir der Auffassung waren und sind, dass dieseForm des Vorgehens diese Region weiter destabilisierthat
und diese Destabilisierung die terroristische Gefahr nichtvermindert, sondern erhöht hat.
Ich sage das in aller Ruhe. Dies ist heute faktischKonsens in Deutschland. Wenn Sie sich die Koalitions-vereinbarung anschauen, dann sehen Sie, dass genaudiese Haltung von Joschka Fischer und GerhardSchröder auch von der jetzigen Koalition geteilt wird.Aber in einem Punkt will ich auch – und das geht indie andere Richtung – zustimmen: Wenn wir uns mit derrealen Situation von heute auseinander setzen wollen,dann müssen wir festhalten, dass die Überwindung derglobalen Herausforderungen des Terrorismus, einer an-haltenden Armut und Unterentwicklung, bestimmterKrankheiten und des Klimawandels nur auf globalerEbene zu erreichen ist.Deswegen war es richtig, lieber Frank-WalterSteinmeier, dass Sie den Weg in die USA gemacht ha-ben. Denn diese Herausforderungen werden sich nur mitden USA und mit den Amerikanern bewältigen lassen.Das sage ich als jemand, der nach einer sieben Jahredauernden Auseinandersetzung um den Klimawandelbestimmte Fortschritte ohne die Amerikaner erreicht hat.Aber ich sage Ihnen auch: Wenn Sie das Problem voll-ständig lösen wollen, dann geht das immer nur mit dereinzig verbliebenen Großmacht auf diesem Globus.Das gilt aber auch umgekehrt: Diese Macht alleinwird die Herausforderungen von Armut, Unterentwick-lung, Terrorismus und Klimawandel nicht im Alleingangbewältigen können. Auch sie wird das nicht ausschließ-lich im Rahmen bilateraler Vereinbarungen leisten kön-nen. Das heißt für die deutsche Außenpolitik: Wir tungut daran, den multilateralen Ansatz unserer Außen-politik zu stärken.Dazu gehört eine Reform der multilateralen Institutio-nen, also der Vereinten Nationen. Es ist richtig, ihre Fä-hhV–gdShsasiwzrdwKGmeRnaeicgzdMnöhslrMPsLWHWwSg
Wenn ich sage, dass wir diese Herausforderungen be-ältigen müssen, dann ist das an bestimmte Vorausset-ungen geknüpft. Die erste Voraussetzung ist: Diese He-ausforderungen sind nur auf der Basis der Herrschaftes Rechts und der Achtung der Menschenrechte zu be-ältigen. Glaubwürdigkeit ist die wichtigste Waffe imampf gegen Unterentwicklung und Terrorismus.eheime Gefängnisse oder folterähnliche Verhör-ethoden als „innovativ“ schönzureden ist damit unver-inbar.
Ich finde es richtig und begrüßenswert, dass Frauice Ihnen, Herr Steinmeier, gesagt hat, sie wolle zeit-ah und umfassend für Aufklärung sorgen. Aber ich willuch einmal sagen, was ich unter „zeitnah“ verstehe: Ichrwarte, dass dies im Rahmen ihres Besuchs in Europan der nächsten Woche geschieht.
An dieser Stelle will ich noch eine Bemerkung ma-hen – denn gerade in Richtung der Grünen wird gele-entlich so getan, als seien sie für die Menschenrechteuständig, dass aber die richtige Außenpolitik eigentlichie harte Handels- und Außenwirtschaftspolitik sei –:enschenrechtspolitik ist ein Wert an sich und darficht zurückstehen. Für diejenigen, die vornehmlich inkonomischen Kategorien denken, will ich allerdingsinzufügen: Langfristige Stabilität, auch in ökonomi-cher Hinsicht, werden Sie nur erreichen, wenn Sie auchangfristig in Regionen tätig sind, in denen Menschen-echte und Gerechtigkeit gewahrt sind. Die Achtung derenschenrechte ist also auch ein ökonomischer Faktor.
Die zweite Voraussetzung für die Bewältigung dieserrobleme ist: Wir müssen die Globalisierung gerecht ge-talten. Das heißt, wir brauchen ökologische und sozialeeitplanken. Hier wird diese Regierung in der nächstenoche in Hongkong eine große Verantwortung haben.err Glos – er ist federführend –, die Kolleginieczorek-Zeul und Herr Seehofer werden die Verant-ortung haben, ein multilaterales Handelsregime iminne einer Entwicklungsrunde ein Stück voranzubrin-en.
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Jürgen TrittinWir wissen, Europa hat Vorleistungen gebracht beimUmbau der Agrarpolitik – einer Agrarpolitik, für die dieKollegin Künast von Ihrer Seite oft kritisiert worden ist.Aber damit ist es nicht genug. Wir werden uns in derFrage der Exportsubventionen bewegen müssen – übri-gens nicht nur wir: auch jene Staaten, die ihre Export-subventionen elegant als „Nahrungsmittelhilfe“ dekla-rieren bzw. verstecken –, wenn wir Entwicklungsländernwirklich eine Chance geben wollen, zu handeln, anstattbehandelt und mit Entwicklungshilfe abgespeist zu wer-den.
Liebe Frau Merkel, seien Sie gewiss: Zur gerechten Glo-balisierung gehört es auch, dass Sie die Zusagen, die Sieheute hier und im Koalitionsvertrag hinsichtlich einerAnhebung der Entwicklungshilfe gemacht haben, tat-sächlich einhalten. Sie können gewiss sein, dass wir sehrgenau darauf schauen werden.
Die globale Entwicklung wird nicht vorankommenohne eine Verbesserung der Umweltstandards. Auchhier wird, ähnlich wie bei den Menschenrechten, oft ein-gewendet: Öko ist etwas für jene, die es wirtschaftlichgeschafft haben. Aber wenn Sie verfolgen, was momen-tan über China und den Fluss bei Harbin berichtet wird,bekommen Sie einen Eindruck davon, was der chinesi-sche Umweltminister meinte, als er sagte: Bis zu8 Prozent unseres Bruttosozialprodukts werden durchdie enormen Umweltschäden, mit denen wir es zu tunhaben, aufgezehrt. Eine die natürlichen Ressourcen zer-störende Wirtschaftsweise wird mehr und mehr zu einerWachstumsbremse. Deswegen wird es keine Überwin-dung der Armut geben, wenn wir nicht Strategien dafürentwickeln, wie wir weg vom Öl kommen, wie wir sau-berer produzieren, wie wir rohstoffeffizienter produzie-ren. Dies ist etwas, bei dem die BundesrepublikDeutschland tatsächlich etwas anzubieten hat zur Ver-besserung der Lage der Menschen in der Welt.
Ein Wort zur Außenwirtschaftspolitik: Wir haben na-türlich die Verantwortung, sicherzustellen, dass es imIran nicht zu einer Schließung des Brennstoffkreislaufskommt. Aber das geht nicht mit den Mitteln, die TonyBlair uns gestern zu erklären versuchte, als er sagte, dasGeheimnis der Überwindung der Energieprobleme die-ses Kontinents liege in der Nutzung der Atomenergie. –Das kommt mir sehr bekannt vor; so 30, 40 Jahre ist dasher. Gerade am Beispiel Iran können wir sehen, dass die-ser Weg mit erheblichen Risiken, mit erheblichen Pro-blemen und mit erheblichen Anstrengungen verbundenist. Das kann nicht der Weg sein, Armut und Klimawan-del auf diesem Globus entgegenzuwirken.
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ch verspreche Ihnen: Eine Widersprüchlichkeit in die-em Punkt werden wir Ihnen bei allen Bemühungen umonsens in der Außenpolitik nicht durchgehen lassen.Vielen Dank.
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Jürgen Trittin
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin HeidemarieWieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieneue Bundesregierung hat sich in Kontinuität zu ihrerVorgängerin deutlich den weiteren Ausbau der Entwick-lungspolitik auf die Fahnen geschrieben, da dies zur ge-wachsenen internationalen Rolle Deutschlands und da-mit zu unserer neuen Verantwortung gehört.Wir verstehen Entwicklungspolitik heute als Partner-schaft, als gegenseitige Verantwortlichkeit und als Ver-antwortung. Partnerschaft bedeutet Zusammenarbeit.Das gilt für multilaterale Institutionen, für Geberländeruntereinander und bei den Beziehungen zu den Entwick-lungsländern. Partnerschaft gilt sowohl für die Entwick-lungspolitik insgesamt. Staaten und internationale Orga-nisationen kooperieren zunehmend und erfolgreich mitNichtregierungsorganisationen, mit Gewerkschaften, mitUnternehmen, mit der Zivilgesellschaft insgesamt undmit den Kirchen.Das gemeinsame und zielgerichtete Engagement vie-ler Akteure macht Partnerschaften und deren Instru-mente effektiv, effizient, nachhaltig und erfolgreich.Diese Eigenschaften brauchen wir, um die großen inter-nationalen Entwicklungsziele unserer Welt, die Millen-niumsentwicklungsziele, insbesondere bei der Bekämp-fung der globalen Armut tatsächlich erreichen zukönnen. Nur gemeinsam werden wir auf dem Weg biszum Jahr 2015, in dem diese Ziele endgültig erreichtsein sollen, Erfolge haben.
Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft sind deshalb auf-einander angewiesen und müssen in diese Richtung ar-beiten.
Wir als Bundesregierung nehmen unsere Verantwor-tung wahr. Bundeskanzlerin Merkel hat heute Morgenklar gemacht, wie diese Verantwortung politisch undfinanziell aussieht. Um die globale Armut zu bekämp-fen, haben wir den Zuwachs unserer Mittel für die öf-fentliche Entwicklungszusammenarbeit festgeschriebenund im Rahmen eines Stufenplans der EuropäischenUnion vereinbart. Im nächsten Jahr, im Jahr 2006, wer-den wir 0,33 Prozent des Bruttonationalprodukts für dieEntwicklungszusammenarbeit erreichen und wir werdendie Stufen, die die Bundeskanzlerin heute Morgen ge-nannt hat, erreichen und umsetzen. Dazu tragen dieErhöhung der Haushaltsmittel, die Entschuldung derEntwicklungsländer und auch innovative Finanzierungs-instrumente bei.
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Nur gemeinsam und in einer fairen Partnerschaft miten Entwicklungsländern werden wir Aids bekämpfennd besiegen, die Wende weg vom Öl und hin zu erneu-rbaren Energien sowie einer effizienten Energienutzungchaffen und unsere natürlichen Lebensgrundlagen er-alten; Jürgen Trittin hat es angesprochen. Nur dannerden wir die Korruption erfolgreich bekämpfen unden Auf- und Ausbau von Good Governance vorantrei-en können.Partnerschaft heißt auch, den Partnerländern zu hel-en, den Weg aus der Abhängigkeit von der Hilfe dereber zu finden, fest auf eigenen Füßen zu stehen undie Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu berücksich-igen.An dieser Stelle möchte ich beispielhaft auf eine Situa-ion aufmerksam machen, die wir mit anderen Partnernestalten müssen, wenn die nächsten großen Konflikteicht vorprogrammiert sein sollen: Manche großen Staa-en, unter anderem China, betrachten Afrika rein unterem Gesichtspunkt der Ressourcen- bzw. der Ölsiche-ung. Sie vernachlässigen dabei andere Aspekte, wie dieörderung verantwortlicher Regierungsführung und dieekämpfung von Korruption, oder konterkarieren sie so-ar.Die afrikanischen Staaten haben die Ölförderung inen letzten zehn Jahren um 36 Prozent gesteigert. Mitieser Wachstumsrate liegen sie weit über dem Durch-chnitt der traditionellen Ölförderländer. Öl führt zumrößten Investitionsschub in der Geschichte des Konti-ents. In den kommenden zehn Jahren werden über0 Milliarden US-Dollar nach Afrika fließen. Deshalbüssen die betreffenden Staaten und die internationaleemeinschaft dafür Sorge tragen, dass die Investitionenen Menschen nützen und ihnen Perspektiven sowie Ar-eitsmöglichkeiten geben und dass die gewonnenen Mit-el nicht für Ökonomien genutzt werden, die nur derachtsicherung von wenigen, der Eliten oder der ent-prechenden Regierungen, dienen.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulWir alle sind in der Verantwortung: die afrikanischenRegierungen, die investierenden Unternehmen und auchdie Regierungen der Industrieländer.Unsere Politik wird deutlich machen: Afrika ist mehrals ein Rohstoff- oder Öllieferant. Es ist unser Nachbar-kontinent, an dessen Zukunft wir um der Menschen wil-len ein echtes Interesse haben. Menschenrechte undwirtschaftlicher Erfolg gehören zusammen. Die Men-schen in Afrika – zumal die jungen Leute – haben einRecht darauf, dass der Nutzen des Öls den MenschenAfrikas zugute kommt und für ihre Zukunft investiertwird.
Damit Afrika profitiert, unterstützen wir die „PublishWhat You Pay“-Initiative. Dabei geht es darum, dass in-vestierende Unternehmen ihre Zahlungen an Entwick-lungsländer offen legen sollen. Damit Afrika profitiert,unterstützen wir Initiativen, deren Ziel die transparenteOffenlegung der Rohstoffexporteinnahmen der betroffe-nen Entwicklungsländer ist. Damit Afrika profitiert, un-terstützen wir verantwortliche Regierungsführung,starke staatliche Institutionen, die imstande sind, diesenProzess zu steuern.
Partnerschaft heißt aber auch, dass wir in unserer Po-litik die Belange und Bedürfnisse unserer Partnerländerernst nehmen. Das gilt zumal – da bin ich meinen Vor-rednern dankbar – für die Handels- und Agrarpolitik.Hier finden entscheidende Weichenstellungen statt, indenen wir uns klar positionieren. Wenige Tage vor der inHongkong beginnenden Welthandelskonferenz, die ei-gentlich die so genannte Doha-Entwicklungsrunde ab-schließen sollte, appelliere ich deshalb – ich glaube, daskann ich für alle Kolleginnen und Kollegen in diesemHause sagen – an die Industrieländer, endlich substan-zielle Ergebnisse bei der Öffnung der Märkte für dieProdukte der Entwicklungsländer zuzusagen
und tatsächlich einen nahen Zeitpunkt für den Abbauvon Agrarexportsubventionen festzulegen. Das ist eineder wichtigsten Perspektiven.Uns ist klar, dass dabei differenzierte Marktöffnungs-mechanismen für Entwicklungs- und Schwellenländernotwendig sind. Aber es ist auch klar: Durch Handelsli-beralisierung könnten die Entwicklungsländer einen Ein-kommenszuwachs von rund 350 Milliarden US-Dollarerreichen. Das ist vier- bis fünfmal so viel wie für Offi-cial Development Assistance, die offizielle Entwick-lungszusammenarbeit, zur Verfügung gestellt wird. Wirsehen also: Wenn wir zu gerechteren Strukturen beitra-gen, leisten wir auch einen Beitrag zu einer gerechterenWelthandelsordnung, zur Bekämpfung von Armut undzum Abbau von Abhängigkeiten.
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Es ist unsere Aufgabe, mit unseren östlichen Nach-arn das zu erreichen, was wir mit unseren westlichenachbarn nach langer Zeit erreicht haben. Wir als Politiküssen Vorgaben machen. Aber zusammenwachsenüssen die Gesellschaften und die Zivilgesellschaften.as hat im Westen lange gedauert, aber wenn ich an un-er Verhältnis zu den Holländern, den Belgiern, den Lu-emburgern, den Franzosen und den anderen Nachbarnenke, ist dies am Ende erfolgreich gewesen. Dieserufgabe müssen wir uns auch Richtung Osten stellen.ie Politik der bisherigen Bundesregierung war auf die-em Gebiet leider nicht sehr hilfreich.Sie werden bei den Freien Demokraten auch dannnterstützung finden, wenn Sie das Thema einer euro-äischen Verfassung vorwärts treiben wollen. Ichlaube, wir sind als Deutsche dabei auch in der Pflicht.ir haben im Bundestag die Verfassung mit einer brei-
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Markus Löningten Mehrheit verabschiedet. Wir stehen zu dieser Verfas-sung, weil sie zu mehr Transparenz führt, Demokratieund Mitwirkungsrechte der Bürger stärkt und eine grö-ßere Beteiligung dieses Parlaments mit sich bringt.Ich hoffe, dass die Bundesregierung an dieser Stelleinitiativ wird, und zwar nicht erst während der deutschenRatspräsidentschaft, und dass man merkt: Es gibt einLand, das sich zu dieser Verfassung bekennt. Wir beken-nen uns zu dieser Verfassung und wollen sie vorantrei-ben. Wir lassen uns die Europäische Union von denSkeptikern und denjenigen, die versuchen, quer zu schie-ßen – diese gibt es überall –, nicht kaputtmachen. Es istwichtig, dass wir auch an dieser Stelle ein politischesZeichen setzen.
Sie haben von einem fairen und gleichberechtigtenUmgang mit den europäischen Partnern auf gleicher Au-genhöhe gesprochen. In diesem Zusammenhang möchteich ein Thema aufgreifen, das ich im Widerspruch zudiesem eigentlich richtigen Anspruch sehe. Sie habenvon einem unfairen Steuerwettbewerb gesprochen, denSie abschaffen wollen. Das verstehe ich nicht. Ich findees nicht in Ordnung, wenn wir als reiches Land versu-chen, kleinen Ländern, die uns gegenüber in vielerleiHinsicht – in der Infrastruktur, dem Bildungssystem undbeim Entwicklungsstand der Wirtschaft – benachteiligtsind und den Wettbewerbsvorteil uns gegenüber nutzen,indem sie sich durch ihr schlankes Staatswesen in derLage sehen, ein transparentes und einfaches Steuersys-tem mit niedrigen Steuersätzen zu schaffen, und die überdiesen Mechanismus sehr erfolgreich Investitionen an-ziehen und ihre Wirtschaft entwickeln, diesen Wettbe-werbsvorteil zu nehmen. Ich fordere Sie auf, dies nichtzu tun, sondern auch hier einen fairen Umgang gerademit den kleineren Partnern in der EU zu gewährleisten.
Frau Wieczorek-Zeul hat kurz das Thema WTO ange-sprochen und dabei an die Industrieländer appelliert.Warum, Frau Wieczorek-Zeul, formulieren Sie solcheAppelle? Sie sind doch Mitglied dieser Bundesregie-rung. Statt zu appellieren sollten Sie insbesondere mitunseren französischen Freunden reden.
Weisen Sie unsere französischen Freunde darauf hin,dass es nicht angeht, dass der protektionistischste Staatvon allen uns bei der WTO die Tour vermasselt! Es gehtnicht an, dass ein Land bremst und 24 andere Länderdarunter zu leiden haben. Wir sind als Deutsche durchden Handel wohlhabend geworden. Wir haben immervon einem freien Welthandel profitiert. Der freie Welt-handel bildet, wie Sie richtig festgestellt haben, ein gro-ßes Potenzial. Ich würde mir mehr an politischer Initia-tive als einen Appell an die Industrieländer wünschen.Frau Wieczorek-Zeul, werden Sie an dieser Stelle tätig!Vielen Dank.
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Wir wollen daher neue Initiativen ergreifen, um ge-einsam mit unseren Partnern in Europa zum Beispielem steigenden Migrationsdruck vor allem aus Nord-frika durch entwicklungspolitische Maßnahmen zu be-egnen. Zur Erhaltung der biologischen Vielfalt fürommende Generationen wollen wir neue Akzente set-en, um die Entwicklungsländer bei der Bewahrung deratürlichen Lebensgrundlagen und ihrer nachhaltigenutzung zu unterstützen. Auch die nachhaltige Energie-utzung und der Klimaschutz sind strategisch wichtigenliegen, die wir im Koalitionsvertrag explizit niederge-chrieben haben.Bei der Erreichung der Millenniumsziele ist unsereentrale Erkenntnis, dass nachhaltige Entwicklung nurort stattfindet, wo gute Regierungsführung dierundlage für die Entfaltung der Kreativität der Men-chen legt. Die deutsche Entwicklungspolitik hat dieschon vor 15 Jahren erkannt und mit der Verabschiedunger fünf Kriterien zu guter Regierungsführung einerendwende eingeleitet. Neuere Untersuchungen, zumeispiel der Bertelsmann Transformation Index, zeigen,ass insbesondere in der pragmatischen Programmie-ung unserer Zusammenarbeit im Hinblick auf gute Re-ierungsführung noch Handlungsbedarf besteht. Wirollen daher die Stärkung der guten Regierungsführungnd der Selbsthilfekräfte zu dem zentralen Bestim-ungselement unserer künftigen Entwicklungszusam-enarbeit machen.
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Dr. Christian RuckDas heißt, Art und Umfang unserer Zusammenarbeitmüssen in einem klaren Zusammenhang mit der Regie-rungsführung der Partner stehen. Wir haben daher ver-einbart, dass den Partnern nur bei guter Regierungsfüh-rung ein hohes Maß an Selbstbestimmung über dieMittel eingeräumt wird und dass Budgethilfe oder ähnli-che Instrumente nur bei guter Regierungsführung zumEinsatz kommen. Außerdem soll sichergestellt werden,dass Entschuldungsmaßnahmen konsequent auf die Mil-lenniumsziele ausgerichtet werden und deren Wirksam-keit effizient kontrolliert wird.Für nachhaltige Entwicklung ist gute Regierungsfüh-rung eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Vo-raussetzung. Deshalb haben wir des Weiteren vereinbart,uns dafür einzusetzen, dass die Umgestaltung der Welt-handelsordnung stärker unter dem Gesichtspunkt der Ar-mutsminderung erfolgt. Hier ist es sehr wichtig, genauhinzuschauen, mit welchen Zielvorgaben und Instrumen-ten welche Wirkungen erzielt werden. Natürlich gibteine weitere Liberalisierung durch die Handelsrundeauch vielen Entwicklungsländern einen neuen Schub.Aber ein solcher Schub ist erstens nicht für alle Entwick-lungsländer und zweitens nicht für alle Bevölkerungs-schichten in Entwicklungs- oder Schwellenländern, wiebeispielsweise in Brasilien oder China, zu erreichen. Ichglaube, hier müssen wir uns noch erheblich anstrengen.Ich habe sehr viel Verständnis beispielsweise für dieHaltung der indischen Regierung, die bei einer weiterenLiberalisierung Angst hat, was mit den 600 Millionensubsistenzwirtschaftenden Bauern auf dem Subkontinentgeschieht. Ich glaube, dass die Formel „Liberalisierungist gleich Entwicklung für breite Bevölkerungsschich-ten“ zu kurz greift und dass wir uns hier stärker mit ar-mutmindernden Effekten der WTO beschäftigen müs-sen. Das ist uns allen ein großes Anliegen.
Die Entwicklungen im Kongo, im Sudan oder in Af-ghanistan haben uns allerdings gezeigt, dass wir unsnicht nur auf gute Regierungsführung konzentrieren dür-fen, wenn wir dazu beitragen wollen, Frieden und Wohl-stand bei uns und in Europa zu sichern. Wir wollen daherneue Konzeptionen für die Zusammenarbeit mit Ländernmit schlechter Regierungsführung erarbeiten, um denGrundstein für eine friedliche Transformation solcherLänder zu legen. In diesem Zusammenhang haben wir inunserem Koalitionsvertrag die wachsende Bedeutungder Zusammenarbeit nicht nur mit den Kirchen und derWirtschaft, sondern vor allem auch mit den politischenStiftungen betont.
Im Übrigen habe ich mich sehr gefreut und bin dank-bar dafür, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel heutedie klaren Worte, die in unserem Koalitionsvertrag überden Stufenplan zum Aufwuchs der Entwicklungsmittelstehen, wiederholt hat. Seine Umsetzung erfordert einegewaltige Kraftanstrengung. Wenn wir uns das aber festvornehmen, dann werden wir es umsetzen können.wdsesdluAAdGzOsseEAßtknlidr3dahdEtesiwsddnsaRiwdaglGa
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Diese klare Arbeitsteilung muss auch die deutscheStruktur bei der Umsetzung der Entwicklungszusam-menarbeit betreffen. Wir werden an einem besserenSchnittstellenmanagement arbeiten. Wir brauchen eineklarere Arbeitsteilung auch im eigenen Land.Mit dieser Agenda werden wir die Wirksamkeit derdeutschen bilateralen und multilateralen Beiträge stei-gern und das Profil der deutschen Entwicklungspolitikauf hohem Niveau aufrechterhalten. Erfolgreiche Ent-wicklungspolitik ist wichtiger denn je. Die Union, liebeFrau Ministerin, wird in der Tat ein verlässlicher ent-wicklungspolitischer Partner der Bundesregierung sein.Auch wir fordern die Oppositionsparteien auf, mit unskonstruktiv in dem Geist zusammenzuarbeiten, der Ent-wicklungspolitiker schon immer mehr verbunden als ge-trennt hat.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Wolfgang
Gehrcke von der Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Zeit, die die Bundeskanzlerin der Außenpolitik inihrer Regierungserklärung eingeräumt hat, war sehrknapp bemessen. Ich will das gar nicht bemängeln. Viel-leicht war es zum Vorteil der Außenpolitik, dass sie sichdazu nicht umfangreicher geäußert hat. Das möchte ichan zwei Beispielen deutlich machen.Die Frau Bundeskanzlerin sprach davon – da hat siedie Zustimmung aller Fraktionen in diesem Hause ein-schließlich der Fraktion der Linken –, dass es von beson-derer Bedeutung ist, das Existenzrecht des Staates Israelin gesicherten Grenzen, in guter Nachbarschaft, alsoohne Furcht vor den Nachbarn, durchzusetzen. Das ist soweit in Ordnung. Ich glaube, das muss man unterstrei-chen.Sie hat aber nicht den Gedanken ausgeführt, dass diePalästinenser das gleiche Recht
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as eine ist nur möglich, wenn man versucht, das anderebenfalls zu bewerkstelligen.
Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, dass manicht nur das eine kontinuierlich fortführt, sondern auchersucht, das andere, nämlich die Interessen der palästi-ensischen Bürgerinnen und Bürger, deutlich zu machennd kraftvoll mit zu vertreten. Wir können Probleme, dien der deutschen Politik, in unserer Geschichte wurzeln,icht auf dem Rücken der Palästinenser austragen.
as hat weder etwas mit Moral noch mit einer perspekti-ischen Politik zu tun.In Bezug auf die CIA-Geheimflüge und die Folter-entren war die Auskunft: Die USA wollen zeitnah ant-orten. Das hat der Herr Außenminister wiederholt.ber „zeitnah“ kann man sehr unterschiedlicher Auffas-ung sein. Ich sage Ihnen: Es müsste doch sehr einfachein, eine Antwort zu geben; entweder stimmt es oder estimmt nicht.
iese Antwort müssen sowohl die US-Regierung alsuch die deutsche Regierung heute geben können. Wasst denn das für eine Logik, wenn man sagt, das müsseecherchiert werden? Zu klären ist doch nur eines: ob derIA hinter dem Rücken der amerikanischen Regierungo etwas fabriziert hat. Ich glaube das nicht einmal ineinen schlimmsten Fantasien.
Auch ich traue dem CIA alles zu, Gregor. – Aber ichehe schon einen Zusammenhang zwischen der Politikieser Regierung und den Handlungen des CIA. Deswe-en muss die Frage „Stimmt es oder stimmt es nicht?“eantwortet werden.Ich kann auch nicht verstehen, dass die deutsche Bun-esregierung, die mittlerweile etliche Antiterrorgesetzeerabschiedet hat und die davon ausgeht, dass durch deninsatz von Bundeswehr und Polizei in diesem Lande al-es zu kontrollieren und zu hinterfragen ist, nicht in derage ist, einfache Auskünfte darüber zu geben, ob Flug-euge der USA oder anderer Nationen mit nicht definier-en Zielen den Luftraum der Bundesrepublik Deutsch-and genutzt haben oder nicht. Solche Antworten zueben wäre einfach. Man müsste sich aber dazu beken-en, ob man davon gewusst hat und ob man es geduldetat – ein solches Verhalten wäre strafbar und rechtswid-ig – oder ob man davon nicht gewusst hat; dann wäreie Souveränität dieses Landes in hohem Maße verletzt.
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Wolfgang GehrckeDas ist eine einfache Logik. Da geht es nicht einmal umParteipolitik, sondern nur um Logik. Und ein bisschenLogik kann man auch der Bundesregierung abverlangen.In einem stimme ich dem Außenminister, HerrnSteinmeier, völlig zu: Es gibt bei vier Fraktionen in die-sem Haus einen Konsens in außenpolitischen Grundfra-gen – ich bedauere das –; en détail hat es ja immer Diffe-renzen gegeben. Eine Fraktion schließt sich diesemKonsens nicht an; das ist meine Fraktion. Dazu stehe ichauch. Eine Grundlage der Außenpolitik der Bundesre-gierung war immer – das empfand ich als das Katastro-phalste –, dass Krieg im 21. Jahrhundert wieder denkbarund möglich geworden ist.Dieser Logik haben wir immer eine andere Logik ent-gegengesetzt, nämlich dass Krieg kein Mittel der Politiksein kann und darf.
Da liegt ein Graben zwischen uns. Ich habe überhauptkein Problem damit, zu sagen, dass über diesen Grabenkeine Brücke und nicht einmal ein Steg führt. Das isteine klare Differenz, über die keine Verständigung mög-lich ist. Das sollte man hier dann auch aussprechen. – In-sofern akzeptiere ich diese Beurteilung.Der Herr Außenminister hat sehr sachlich davon ge-sprochen, dass die Verhandlungen mit dem Iran hoffent-lich ein Ergebnis erbringen, und hat dann gesagt: Wennein solches Ergebnis nicht erzielt wird, besteht die Ge-fahr, dass die Angelegenheit vor den Sicherheitsrat derVereinten Nationen kommt. – Das beinhaltet die Gefahr– das sollte man dabei völlig klar sagen –, dass auch imFalle Iran zu einer kriegerischen Lösung des Konfliktsgegriffen werden kann. Das ist schlichtweg eine Kata-strophe.
So etwas hier in der Deutlichkeit auszusprechen müssteeine neue Form der deutschen Außenpolitik werden. Esgeht nicht an, die Leute mit dem harmlosen Satz, daskomme dann vor den Weltsicherheitsrat, über die Bri-sanz der Lage zu täuschen.Sie haben sich dazu nicht geäußert, Herr Außenminis-ter. Sind Sie dafür oder dagegen? Auch hierzu erwarteich eine Klarstellung. Eine deutsche Bundesregierungmuss verbindlich und völlig klar sagen: Wir sind gegenjegliche Form eines kriegerischen Konflikts mit demIran. Das hält die Welt nicht aus.Schönen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Angelica Schwall-
Düren von der SPD-Fraktion.
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Europapolitik ist Friedenspolitik nach innen und au-en. Wir haben heute schon einiges zur europäischen Si-herheitsstrategie und zur ESVP gehört. Die Steigerunges gemeinsamen Wohlstands durch die EU für alle Mit-liedstaaten ist ein wichtiger Pfeiler der Friedenspolitikach innen und doch nicht mehr selbstverständlich. Dasrleben wir seit einigen Jahren schmerzlich.Dass darüber hinaus viele Bürger und Bürgerinnen inen Stürmen der Globalisierung die EU nicht mehr alsoziale Schutzmacht, sondern eher als trojanisches Pferdes Neoliberalismus erleben, ist offensichtlich. Zuneh-ende Skepsis gegenüber den europäischen Institutio-en macht sich in vielen unserer Gesellschaften breit.Das ist auch ein Grund für die Krise der EU, einerise, die uns motiviert, mit unseren Partnern die offe-en Fragen anzugehen, die seit der Erweiterung um zehntaaten im Jahr 2004 noch dringlicher geworden sindnd auf die wir in den kommenden Jahren antwortenüssen: In welchem Europa wollen wir leben? Wo sindie Grenzen der EU? Wie viel politische Integrationrauchen wir? Wie kann eine Gemeinsame Außen- undicherheitspolitik aussehen? Damit kann diese Kriseuch die Chance sein, das europäische Projekt an dennforderungen unserer Zeit auszurichten, wie der Koali-ionsvertrag es ausdrückt.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, überall bei mei-en Gesprächen in Europa höre ich, welch hohe Erwar-ungen für die Lösung der europäischen Zukunftsfragenerade an Deutschland gerichtet werden. Diesen Erwar-ungen müssen wir uns stellen und wir müssen ihnen ge-echt werden. Wir wollen während der deutschen Rats-räsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 Impulse geben,amit das, was wir mit dem Verfassungsprozess verbin-en, erfolgreich vorangebracht wird.
ur wenn wir es schaffen, zu einem Europa der Bürgernd Bürgerinnen zu kommen, können wir der Skepsisegenüber der EU begegnen und die Menschen für einolidarisches Europa begeistern. Deshalb muss auch derundestag noch mehr als in der Vergangenheit der Orturopapolitischer Debatten sein.
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Dr. Angelica Schwall-Düren
Wir als Parlament wollen die uns zustehenden Rechtevoll nutzen. So können wir uns schon im Entstehungs-prozess von europäischer Gesetzgebung beteiligen undunsere Interessen einbringen. Über die Debatten im Bun-destag sollen die Bürger und Bürgerinnen erfahren, wel-che Veränderungen wir gemeinsam in Europa beginnenund welchen konkreten Nutzen die Menschen von diesenMaßnahmen haben.Diese Koalition wird europapolitische Debatten aberauch außerhalb des Parlaments und von Regierungskon-ferenzen führen. Es kommt darauf an, den Dialog mitNichtregierungsorganisationen, in Bürgerforen, Verei-nen, Schulen und Hochschulen zu führen. Es gilt, ge-meinsam mit den Bürgern eine europäische Vision zuentwickeln, die wieder Begeisterung weckt und bei de-ren Verwirklichung viele mittun wollen.
Dieses Europa der Bürger wird es nur geben, wenn esein Europa mit sozialer Dimension ist. Das europäischeGesellschaftsmodell muss fortentwickelt, nicht abgebautwerden. Deshalb kommt es sehr darauf an, dass wir dienotwendigen Reformen so gestalten, dass sie den Men-schen Sicherheit in der Veränderung geben. Europapoli-tik muss die Menschen ermutigen und darf sie nichtängstigen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Kommissions-entwurf der Dienstleistungsrichtlinie eignet sich unterdiesem Gesichtspunkt nicht zur Regelung der Fragen derDaseinsvorsorge. Wir wissen, dass eine weitere faktischeÖffnung der Dienstleistungsmärkte mehr wirtschaftli-che Dynamik und damit mehr Arbeitsplätze mit sichbringen kann. Auf diesen Arbeitsplätzen müssen dieMenschen aber auch einen Lohn verdienen, mit dem siesich und ihre Familien ernähren können.
Wir wollen verhindern, dass das Herkunftslandprinzipzu einer Absenkung von Lohn-, Sozial-, Qualitäts- undUmweltstandards führt.Wenn wir es in der EU mit einer engeren Abstim-mung unserer Politiken gemeinsam schaffen, durch einebehutsame Modernisierung unserer Arbeitsmarkt- undSozialsysteme die Menschen mitzunehmen, wenn wirihnen die notwendige Unterstützung bei einer gutenAus- und Weiterbildung geben, dann werden sie den Muthaben, Verantwortung zu übernehmen und mit Zuver-sicht in die Zukunft zu schauen. Dann werden sie – beiuns und in den Nachbarstaaten – auch den Weg mitge-hen, die europäischen Institutionen über eine Verfassungdemokratischer, transparenter und handlungsfähiger zumachen.
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Aber wir wünschen uns auch weiterhin eine enge Zu-ammenarbeit mit unserem großen östlichen Nachbarnolen – bilateral, im Weimarer Dreieck und in den EU-nstitutionen.Da meine Redezeit zu Ende geht, lassen Sie mich mitinem Zitat des ehemaligen polnischen Außenministersladislaw Bartoszewski enden:Es gibt keinen anderen Weg, einen dauerhaftenFrieden zu schaffen, als durch den Abbau von Ent-wicklungsrückständen und die Reduzierung vonArmutszonen … Europa braucht ein neues Solidari-tätsgefühl, damit seine Einheit nicht am Ende anallzu großen Lasten der Geber und am Frust derNehmer zerbricht.iese Koalition ist bereit, diese Herausforderung anzu-ehmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen von der
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Die europäische Einigung ist eine der größtenrrungenschaften der letzten 50 Jahre. Frieden, Freiheitnd die Idee der Zusammenarbeit der Völker sind heuteuf unserem Kontinent – zusammen mit den Staaten deshemaligen RGW – fest verankert. Aber wie Bundes-anzlerin Angela Merkel deutlich gemacht hat, muss
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Michael Stübgensich die Europäische Union stärker den Herausforderun-gen von heute stellen.Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dasssich die Europäische Union mit den Problemen des21. Jahrhunderts beschäftigt und ihre Legitimation nichtallein aus den durchaus beachtlichen Erfolgen der Ver-gangenheit ableitet. Die Probleme des 21. Jahrhundertssind sehr vielfältig und überaus komplex. Es gibt keineeinfachen Antworten.Die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebenesind vielfach intransparent; die Entscheidungsfindung istüberaus kompliziert. Wie auf nationaler Ebene sind wirauch auf europäischer Ebene mit den Problemen einergeradezu ausufernden Bürokratie konfrontiert. Nicht zu-letzt gilt: Wollen wir uns im Zeitalter der Globalisierungbehaupten, muss Europa auch bei Wachstum und Be-schäftigung deutlich besser werden.Insgesamt haben viele dieser Probleme zu einemschleichenden Vertrauensverlust gegenüber der euro-päischen Einigung bei den Bürgerinnen und Bürgern ge-führt. Seien wir ehrlich: Vielfach werden die Erwartun-gen der Menschen in die europäische Politik nichterfüllt. Die Ablehnung des Verfassungsvertrages inFrankreich und den Niederlanden ist aus meiner Sichtvor allem deshalb erfolgt, weil sich die Bürgerinnen undBürger mit ihren Sorgen und Ängsten nicht ausreichendwahrgenommen fühlten.Nicht die Grundidee einer europäischen Verfassung,nicht der Verfassungsvertrag selbst wurden abgelehnt,sondern es wurde der realen europäischen Politik einDenkzettel verpasst. Deshalb gilt es, die Europapolitikwieder auf das richtige Gleis zu setzen. Die EuropäischeUnion muss den Zukunftsängsten der Bürger begegnenund Lösungswege aufzeigen. Europäische Politik musszu einer Vertrauenssache werden. Dabei sind aus meinerSicht vor allem drei Bereiche von besonderer Bedeu-tung.Erstens. Europapolitik muss für die Bürger wiedernachvollziehbar werden. Es muss das erste Ziel sein,Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Hierzudient der europäische Verfassungsvertrag. Wir solltenuns davor hüten, den Verfassungsvertrag für tot zu erklä-ren. Die unter den europäischen Regierungschefs verein-barte Denkpause in Europa muss auch zum Denken ge-nutzt werden. Wir brauchen einen Plan, wie derVerfassungsprozess zu einem positiven Ergebnis geführtwerden kann.
Zweitens. Die europapolitischen Prioritäten müssenrichtig gesetzt werden. Hierzu gehört aus meiner Sicht,dass sich die Europäische Union im Rahmen der so ge-nannten Lissabon-Strategie in Zukunft weniger mitwohlklingenden Erklärungen beschäftigt. Sie muss sichvielmehr auf die Kernbereiche Bürokratieabbau sowiedie Stärkung von Wachstum und Beschäftigung, dasheißt mehr Arbeitsplätze, konzentrieren. Wir müssen imZeitalter der Globalisierung die Rolle der EuropäischenUnion in der Welt definieren, unsere Interessen offenuuhBzKbnnmZfnnddsgliMzEwzedHDfred–wdsswwnsw
Wenn Sie das wissen, dann hätten Sie diesen hier er-ähnen müssen.Denn der zentrale Punkt, lieber Kollege Gerhardt, ist,afür zu sorgen, dass Kooperationsbeziehungen zwi-chen der Bundesrepublik Deutschland, der Europäi-chen Union und China aufgebaut werden, damit das,orauf es uns gemeinsam ankommt, vorangetriebenird: dass so etwas wie Vorformen – mehr kann es garicht sein – an zivilgesellschaftlichen Strukturen in die-em riesenhaften Land entstehen. Denn dieses Landird, wenn es seinen ungeheuren Beschleunigungskurs
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Gert Weisskirchen
der rein technischen Ökonomisierung vorantreibt, an ir-gendeinem Punkt der weiteren Entwicklung zwangsläu-fig gar nicht anders können, als die politischen Freiheits-rechte letztlich zu erweitern. Wie wollen Sie andersdamit umgehen als mittels eines Rechtsstaatsdialogs,den – noch einmal – Gerhard Schröder und die Vorgän-gerregierung erfunden haben? Genau das ist der richtigeWeg.
Herr Gerhardt, ein Weiteres: Sie hätten ein wenig ver-folgen sollen, dass Jürgen Habermas im Rahmen diesesDialogs durch die verschiedenen Universitäten Chinasgezogen ist und dafür gesorgt hat, dass sich junge Men-schen mit dem Grundgedanken der europäischen Ent-wicklung auseinander setzen. Dies umfasst, dass die Ba-sis dessen geschaffen wird, was wir unter europäischerIdentität verstehen: dass die Menschenrechte unteilbarsind und jedes Individuum Rechte hat.
Dies ist ein Gedanke, den Hannah Arendt glänzend for-muliert hat: Jeder Mensch hat ein Recht auf Menschen-rechte.
Das ist die Substanz, der Baustein des europäischenDenkens.Es kommt darauf an, dass wir jenen Prozess organi-sieren, der dazu führt, dass sich die Demokratie amEnde, so wie wir alle hoffen, globalisieren kann. Das istder beste Schutz vor allen Verwerfungen einer zweck-orientierten, rein utilitaristischen Ökonomieentwicklung.Die Demokratie muss sich aus den gesellschaftlichenStrukturen heraus entfalten und entwickeln.
Das ist es, was wir unter Demokratieförderung verstehenmüssen. Die Vorgängerregierung hat dies gemacht. ImKoalitionsvertrag gibt es dazu eine ganz klare Passage,die das Wort „Kontinuität“ beinhaltet.
In dieser Kontinuität ist diese Regierung verpflichtet,das voranzutreiben, worauf es ankommt, nämlich Demo-kratie zu realisieren und dafür zu sorgen, dass die euro-päische Identität nicht in missionarischer Form vermit-telt, aber von den Menschen in aller Welt soaufgenommen wird, dass Demokratie das zentraleGrundelement ist, mit dem die Menschen ihre Freiheitrealisieren können. Das ist es, wozu wir uns verpflichtethaben. Deswegen wird die große Koalition in diesemPunkt auf jeden Fall ein Erfolg werden.
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Im Einzelfall wird es immer schwierige Abwägungs-ituationen geben; darüber haben wir gesprochen. Esuss auch klar sein, dass wir nicht nur die Sicherheit un-eres Landes und unserer Bürger und Bürgerinnen ver-eidigen, sondern auch die Sicherheit der Gewährleis-ung unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen undemokratischen Verfassung. Das ist kein Gegensatz.
ielmehr bedingt das eine das andere: Es gibt keine Si-herheit ohne Freiheitsrechte und keine Freiheitsrechtehne Sicherheit. Dass dies so ist, muss bei der Abwä-ung immer klar sein.Manchmal haben wir in Deutschland eine gewisseeigung zur Erregungskultur.
ir hat in der vergangenen Woche am Rande unsererrsten Bundestagssitzung der Kollege von Stetten vonem Fall berichtet, dass ein Parkplatzwächter auf einemutobahnparkplatz zu Tode gekommen ist und die Straf-erfolgungsbehörden wegen Mordverdachts ermitteln.b die Daten, die die Einrichtungen zur Erfassung derKW-Maut liefern, geeignet wären, den Täter zu fas-en, weiß kein Mensch. Aber die Strafverfolgungsbehör-en sind gehindert, überhaupt zu prüfen, ob diese Dateninen Hinweis auf den Täter liefern können.
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Bundesminister Dr. Wolfgang SchäubleDeswegen habe ich mit dem Kollegen Tiefensee und mitder Kollegin Zypries darüber gesprochen. Wir hatten üb-rigens auch in den Koalitionsgesprächen, Herr KollegeKörper, schon besprochen, dass wir in einem solchenFall die Voraussetzungen, unter denen dies gesetzlichgeändert werden muss, genau prüfen werden. Es mussgeändert werden. Es kann nicht wahr sein, dass dieserStaat Daten erhebt, die wir nicht nutzen dürfen, um not-falls einen Mord aufzuklären.
Die Voraussetzungen dafür kann man diskutieren. Aberes kann nicht so sein, dass wir in einem solchen Fall– wo der Staat Daten erhebt, um von den LKW-FahrernMautgebühren zu kassieren – gehindert sind, sie zu nut-zen, um einen Mord aufzuklären oder zu verhindern.Lassen Sie uns über die Einzelheiten, über die Voraus-setzungen und über die Abgrenzungen genau reden, aberlassen Sie uns um Himmels willen nicht bei unserenMitbürgerinnen und Mitbürgern den Eindruck erwecken,wir würden uns künstlich blind machen. Ich sage auchgleich: Das muss nicht nur für die Aufklärung schwereroder schwerster Straftaten gelten, sondern das muss– unter zu definierenden Voraussetzungen – auch für dieVerhinderung schwerster Straftaten und damit von Ter-rorismus gelten.
– Ich finde es sehr schön, dass Sie sagen: „Sie lassen dieKatze aus dem Sack“. Ich rede über das Thema in derTat im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den in-ternationalen Terrorismus. Ich möchte, dass wir dasMenschenmögliche tun, um schlimme Anschläge, dieuns wie auch allen anderen drohen, zu verhindern.
– Auch nach den Regeln der Verhältnismäßigkeit. Ichfinde, was in London, was in Madrid und was in NewYork passiert ist, sprengt alle Grenzen der Verhältnismä-ßigkeit. Deswegen möchte ich so etwas gerne im Rah-men unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfassungverhindern. Ich bitte Sie um Ihr Mitwirken und nicht umIhre mich eher weniger überzeugende Art von Blockade.Man muss schon darüber reden können. Das ist einwichtiger Punkt.
– Das sind Abwägungsfragen, aber man darf nicht vonvornherein sagen: Das kommt überhaupt nicht in Frage.Man darf auch nicht denjenigen, der sich die Mühemacht, darüber nachzudenken, wie man Sicherheit opti-mieren kann, ohne Freiheitsrechte zu gefährden, vonvornherein in eine Tabuecke drängen. Ich sage Ihnenvorweg: Das wird Ihnen mit mir nicht gelingen.itMcwhgIAInfnruvhlmRbshnbfwwvntvdHNä
afür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig. Aber,err Kollege Wiefelspütz, wir stimmen überein: Dieorm ist in jedem Fall falsch; deswegen müssen wir siendern. Das ist es, was ich gerne möchte. Deswegen ist
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäubledie Erregung – wo immer sie entstanden ist – auch völligunangebracht.Lassen Sie mich weiter anmerken: Ich glaube, zurVorsorge gehört auch, dass wir im Bereich des Kata-strophen- und Bevölkerungsschutzes unsere Bemü-hungen effektivieren. Wir haben das auch ein Stück weitin der Föderalismuskommission, also in der Diskussionzur Reform des Föderalismus beraten. Ich glaube, das istein wichtiges Thema.Ich will die Gelegenheit nutzen, unzuständigerweisezu sagen: Wir sind eigentlich immer so unterrichtet ge-wesen, dass wir uns, was die Sicherheit der Energiever-sorgung betrifft, keine Sorgen über tagelange Stromun-terbrechungen, die ja unter Umständen für den Zivil-und Bevölkerungsschutz relevant sein können, machenmüssen, wie es etwa in den Vereinigten Staaten vonAmerika der Fall ist. Ich hätte gern, dass wir diese Zu-versicht auch in der Zukunft haben. Die Erfahrungen derletzten Tage waren nicht ganz so gut. Daraus müssen einpaar Konsequenzen gezogen werden.Meine zweite Bemerkung, die ich machen möchte,lautet: Neben der Bedrohung durch den internationalenTerrorismus ist die Bewältigung der Veränderung dermodernen Welt durch Migration eine der großen He-rausforderungen. Das gilt in zweierlei Richtungen. Auchin diesem Bereich haben wir in den letzten Wochen inden anderen europäischen Ländern in die eine oder in dieandere Richtung bedrückende Erfahrungen gemacht. DieSpanier und auch die Franzosen mussten hier Erfahrun-gen machen. Wir in Deutschland kennen die Debatte seitvielen Jahren. Die ist so alt, dass ich sie als Innenminis-ter schon einmal mitgemacht habe.Ich bin ganz überzeugt, dass wir auch da beide Ele-mente bedenken und berücksichtigen müssen. Wir wer-den Zuwanderung nicht, wie es im Zuwanderungsgesetzheißt, steuern und begrenzen können, wenn wir Flucht-ursachen nicht erfolgreicher bekämpfen. Da muss eseine Gesamtverantwortung der Regierung geben. Wirhaben in unserer Koalitionsvereinbarung festgehalten,dass wir alle in diesem Bereich noch mehr tun müssen,insbesondere in Afrika, aber nicht nur.Aber wir werden die notwendige Offenheit und Tole-ranz in unserer Gesellschaft, die ja Voraussetzung dafürist, dass wir Zuwanderung als Bereicherung empfindenkönnen und nicht als Bedrohung empfinden müssen, nuraufrechterhalten, wenn es uns gelingt, die Menschen da-von zu überzeugen, dass wir zur Steuerung und Begren-zung von Zuwanderung in der Lage sind.
Beides gehört zusammen. Dazu gehört auch Integra-tion. Wir sind kein dünn besiedeltes Land, in dem sichParallelgesellschaften bilden können. Wir sind auf Kom-munikation angewiesen und müssen die Entstehung vonParallelgesellschaften vermeiden.Wir haben übrigens im Gegensatz zu Frankreich, wowenigstens fast alle Französisch sprechen, oder im Ge-gensatz zu Großbritannien, wo alle Englisch sprechen, inDeutschland das Problem, dass wir nicht einmal dieselbeSwdmsucküLngeeAbdhhutagbtKwdmdeAwldMrsnmDwSgbsWdwf
an weiß aber auch, dass viele derjenigen, über die wireden, irgendwann einmal illegal hierher gekommenind. Im Zweifel befördert man also das Geschäft derje-igen, die sie illegal hierher verbracht haben – das nenntan organisierte Kriminalität – was man nicht darf.
eswegen bitte ich auch in diesem Sinne darum, dassir miteinander die beste Lösung erreichen, aber uns dieache nicht zu leicht machen.Meine dritte Bemerkung – das ist eine zentrale Auf-abe für uns – ist: Wir müssen unseren staatlichen Auf-au, unsere Verfahrensweisen und die Bürokratie ver-chlanken, nicht nur aufgrund der Wirkung auf dieirtschaft – dieser Bereich ist im Kanzleramt angesie-elt –, sondern auch zur weiteren Optimierung der Ver-altungs- und Verfahrensabläufe.Dazu gehört auch in Zukunft ein leistungsfähiger öf-entlicher Dienst. Deswegen bekenne ich mich dazu,
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäubledass auch der öffentliche Dienst, wie wir es in der Koali-tionsvereinbarung verabredet haben, seinen Beitrag dazuleisten muss. Der Innenminister wird seine Verantwor-tung dafür als Teil der Bundesregierung wahrnehmen,um seinen Beitrag zur notwendigen Sanierung der Haus-halte im Sinne einer nachhaltigen Generationengerech-tigkeit – denn darum geht es – zu leisten. Über die Ein-zelheiten werden wir uns verständigen. Deswegen bitteich Sie auch hier, sowohl die zu frühzeitige bzw. vorzei-tige Erregung als auch die Phantasie, was alles nicht seindarf, ein bisschen zurückzustellen.
Lassen Sie uns dieses Thema in Ruhe und in Verantwor-tung miteinander angehen.Ich bin überzeugt, dass wir die Beamten, Angestelltenund Arbeiter im öffentlichen Dienst von der Notwendig-keit überzeugen werden und dass wir das gemeinsam mitden Beschäftigten – den Beamten, Arbeitern und Ange-stellten – schaffen, wenn wir auf vernünftige Weise vor-gehen. Denn wir alle, auch die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter im öffentlichen Dienst, haben eine Verant-wortung gegenüber dem Souverän dieses Landes. Ichbin ja nicht nur für den öffentlichen Dienst da. Vielmehrhaben wir zusammen mit den dortigen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern eine Verantwortung für die Bürgerin-nen und Bürger dieses Landes.Damit ich nicht nur von Sorgen spreche, sage ich:Auch der Sport gehört zum Ressort des Bundesinnen-ministers; das freut mich. Ich füge hinzu: Mein Ver-ständnis, was den Sport betrifft, reduziert sich, obwohlauch ich fußballbegeistert bin, nicht auf Fußball. In Tu-rin finden die Olympischen Winterspiele statt; auch da-rauf sollten wir uns freuen. Es gibt im Sport eine großeVielfalt, die wir erhalten wollen. Aber natürlich ist dieFußballweltmeisterschaft ein Ereignis, das uns, wasdie Sicherheit betrifft, vor große Herausforderungenstellt. Die Vorbereitungen sind auf einem guten Weg.Wir hoffen, dass wir wunderbare Fußballspiele mit einermöglichst erfolgreichen deutschen Fußballmannschafterleben werden.
– Ich habe meine Meinung ja schon gesagt: dass ich amliebsten hoffe.
– Ich habe meine Redezeit schon überzogen; dafür bitteich um Nachsicht.
Nun möchte ich zu meiner letzten Bemerkung kom-en.ch glaube, das Allerwichtigste aus der Sicht der Bun-esregierung und damit auch aus der Sicht des Bundes-nnenministers ist, dass wir dieses Ereignis, das Milliar-en Menschen in der Welt verfolgen, als Chance nutzen,nser Land als das darzustellen, was es ist: als ein Land,as in der Lage ist, ein solches Ereignis gut zu organisie-en. Bei dieser Gelegenheit können wir Milliarden Men-chen zeigen, dass Deutschland ein schönes Land ist, inem es sich zu leben lohnt und für das es sich zu arbeitenohnt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler von
er FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Herr Minister Schäuble, Ihrem letzten Satz istichts hinzuzufügen; da wird Ihnen jeder zustimmen.Zu Beginn Ihrer Amtszeit wünscht Ihnen die FDP-raktion eine glückliche Hand bei Ihrer Arbeit, mit derie jetzt für unser Land beginnen, und bei der schwieri-en Aufgabe, die Sie zu erfüllen haben.
Es würde zwar der parlamentarischen Tradition ent-prechen, die so genannte 100-Tage-Frist als Schonfristinzuhalten. Aber ich glaube, dann würden wir Sie un-erfordern. Denn Sie sind einer der erfahrensten Politikerieser Regierung und Sie haben sich auch nicht ge-cheut, bereits in Ihrem ersten Redebeitrag als Innen-inister klare Positionen zu beziehen.Deswegen sagen wir als FDP Ihnen ebenso klar: Dieoalitionsvereinbarung ist für uns im Bereich der Innen-nd Rechtspolitik eine große Enttäuschung. Denn sienthält eine bemerkenswert große Anzahl von völlig un-erbindlichen Absichtserklärungen und von lediglich va-en Prüfaufträgen. Aber diese Koalitionsvereinbarungässt an keiner Stelle erkennen, dass Sie bereit sind, dieahlreichen und unnötigen Grundrechtseingriffe deretzten Jahre zurückzunehmen. Das ist unsere Hauptkri-ik an der Koalitionsvereinbarung.
Wir befürchten – Ihre Eingangsworte haben uns darinestätigt –, dass die Politik des „in dubio pro securitate“ im Zweifel für die Sicherheit – fortgesetzt wird. Wirlauben allerdings, dass die für die Politik notwendigebwägung zwischen den Sicherheitsinteressen und dem
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Dr. Max Stadlerfreiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes bereits unterRot-Grün nicht mehr stattgefunden hat.
Dennoch wollen wir zu Beginn Ihrer Amtszeit auch fest-stellen, dass wir einige Ihrer Äußerungen, Herr MinisterSchäuble, sehr positiv registriert haben: Sie haben zuRecht die Integration als eine Hauptaufgabe der Zu-kunft herausgestellt. Die FDP wird Sie dabei unterstüt-zen, wie wir Ihnen auch unser umfangreiches Programmzur Integrationspolitik vom Dezember 2004 als Materialanempfehlen dürfen.Zweitens haben Sie sich zu Recht für den Dialog mitder islamischen Gemeinschaft ausgesprochen. Auch dateilen wir Ihre Meinung und auch die klare Aussage, dieSie getroffen haben: dass dabei die Regeln des Grundge-setzes unverzichtbar sind. Das ist auch unsere Position.Drittens – damit komme ich, glaube ich, zumKernthema dessen, worüber wir die nächsten Jahre ver-mutlich des Öfteren zu diskutieren haben – haben Sie indem „Spiegel“-Interview, das am Montag dieser Wocheveröffentlicht worden ist, sinngemäß erklärt, dass derRechtsstaat sogar beim Kampf gegen Terrorismus nichtjedes Mittel einsetzen darf. Sie haben auf die konkreteFrage, wo denn für Sie die rote Linie verlaufe, was einRechtsstaat darf und was nicht, erklärt:Das Folterverbot muss gelten.Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber trotzdemwichtig und bemerkenswert. Denn damit haben Sie dochselber zum Ausdruck gebracht: Der Rechtsstaat darfvieles – und er muss vieles tun, um die Sicherheit unse-rer Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen –,aber er darf nicht alles. Es sind ihm auch Grenzen ge-setzt, von der Verfassung, und diese Grenzen sind in denGrundrechten definiert, die die Freiheit in unseremStaatswesen verbürgen.
Daher, Herr Minister, ist es nicht nur eine nebensächli-che Debatte, ob man ein gespeichertes Datum einerMautstelle zum Zwecke der Strafverfolgung verwendendarf, sondern so, wie Sie das vorhin erklärt haben, gehtes hier schon um eine sehr grundsätzliche Auseinander-setzung: Kann es sein, dass der Staat, weil er ja sinnvolleZwecke verfolgt wie etwa die Strafverfolgung oder Prä-vention, auf alle Daten zurückgreift? Oder gilt das, wasbisher allgemeine Meinung war zum Datenschutz: näm-lich dass es auch eine Zweckbindung von Daten gibt, aufdie man sich als Bürger verlassen können muss;
dass man die Sicherheit haben muss, dass bestimmte Da-ten eben nicht für andere – und seien es noch so hehre –Zwecke verwendet werden dürfen? Das ist jedenfalls un-sere Meinung.
IbgnHzBpuarhaDfkw–kEMm–gbKZ–skGlBhaSekkid–WadLlsr
Herr Wiefelspütz, gerade Sie zum Beispiel haben sichegen die von Ihnen selbst beschlossene – übrigens aufesonderen Wunsch der CDU/CSU so formulierte –lausel im Mautgesetz gewandt, nach der es eine strikteweckbindung der Daten geben soll.
Doch, das war so: im federführenden Verkehrsaus-chuss. – Wenn man die Aufgabe des Staates so schran-enlos definiert, dann fällt es schwer, überhaupt nochrenzen anzugeben, zum Beispiel wie lange unsere Te-ekommunikationsdaten, die doch deutlich dem privatenereich angehören und die niemand anderen etwas ange-en, gespeichert werden – um nur ein aktuelles Beispielus der EU anzuführen. Mir wird jetzt auch klar, warumie Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt ver-inbart haben. Es geht nicht um eine formale Zuständig-eitsregelung. Wir sehen die Gefahr in der Abkehr vomlassischen Polizeirecht. Das klassische Polizeirecht hatmmer an konkrete Verdachtssachverhalte angeknüpft,ie den Staat zum Einschreiten veranlassen.
Doch, das ist die entscheidende Frage, Herriefelspütz. Ich habe Ihre Koalitionsvereinbarung sehrufmerksam gelesen. Ich bin auf einen Satz gestoßen,er beim ersten Lesen plausibel klingt, bei nochmaligemesen aber nicht. Zuerst habe ich gedacht, ich bin viel-eicht zu skeptisch, ich denke aber, ich bin es nicht. Die-en Satz möchte ich ganz vortragen. Sie schreiben in ih-er Koalitionsvereinbarung etwas zum Verhältnis von
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Dr. Max StadlerFreiheit und Sicherheit – darin haben wir Ihnen eben zu-gestimmt – und schreiben dann auf Seite 116:Beide Werte müssen immer wieder neu – je nachden sich ändernden äußeren Bedingungen – insGleichgewicht zueinander gebracht werden.Das klingt plausibel. Aber was bedeutet die Passage„je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen“denn? Gibt es nicht Grundrechte, die unveräußerlichsind, egal wie sich die Bedingungen ändern?
Herr Minister Schäuble, ist das nicht Ihre Aussage im„Spiegel“-Interview, in dem Sie gesagt haben, es gebeGrenzen für das staatliche Handeln? In dem Zusammen-hang, wo Sie sich klar für das Folterverbot ausgespro-chen haben, sagen Sie auch, dass es eben nicht Grund-rechte gibt, die je nach den äußeren Bedingungen zurDisposition stehen. Darauf müssen wir bestehen.Herr Minister Schäuble, wir vertrauen darauf, dassauch das zutrifft, was Sie ebenfalls in dem „Spiegel“-In-terview gesagt haben, nämlich dass Ihnen niemand zuerklären brauche, wie wichtig Bürgerrechte in einerfreien Gesellschaft sind. So etwas hat man aus dem Bun-desinnenministerium schon lange nicht mehr gehört.Deswegen erwähne ich diesen Satz ausdrücklich.
Der Philosoph Wittgenstein sagt: Das Wort ist die Tat.
Es ist eine Tat, wenn Sie sich so klar zu den Bürgerrech-ten bekennen. Aber Sie werden Verständnis haben, dasswir Sie dennoch an den weiteren Taten messen werden.Wenn es zutrifft, was Sie im „Spiegel“-Interview sagen,dass sich derjenige, der Sie im „Verständnis einer frei-heitlichen Verfassung übertreffen“ wolle, „ziemlich an-strengen“ müsse, wenn das die Sicht der neuen Bundes-regierung ist, dann werden Sie die FDP an Ihrer Seitehaben. Aber auch nur dann.
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Rudolf Körper,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister Schäuble, ich glaube, wir können miteinanderstolz darauf sein, dass wir in unserer Koalitionsvereinba-rung in unserem Bereich die Überschrift wählen konn-ten: „Deutschland – ein freies und sicheres Land“. Ichglaube, diese Aussage sollten wir unterstreichen undsollten ein Stück weit stolz darauf sein.gti–dDrFlFdbduFIundgddrgtgwDfvSsZ–de
Das sage ich deswegen, lieber Herr Stadler, weil ichlaube, dass Sie eine Wahrnehmung von dieser Koali-ionsvereinbarung haben, die schlichtweg nicht stimmigst.
Das hätten Sie ruhig tun können. Ich gehe davon aus,ass Sie keine weiteren Schwachstellen gefunden haben.as wiederum spricht für eine gute Koalitionsvereinba-ung im Bereich Innenpolitik.Sie haben das Thema Sicherheit und Freiheit bzw.reiheit und Sicherheit angesprochen. Wir haben festge-egt, dass das keine Gegensatzpaare sind, sondern dassreiheit Sicherheit und Sicherheit Freiheit bedingt undass genau das die Grenze unseres staatlichen Handelnseschreibt. Das umzusetzen ist unser fester Wille. Ichenke, wir brauchen in diesem Punkt keine Belehrungnd keinen Nachhilfeunterricht, auch wenn der von denreien Demokraten kommt.
ch denke, es ist ganz wesentlich, dass das Gradmessernd Richtschnur innenpolitischen Handelns ist. Sie kön-en sicher sein, dass das exakt umgesetzt wird.Meine Damen und Herren, Minister Schäuble ist aufie Bedrohung eingegangen. Es gibt auch wieder einanz aktuelles Beispiel und wir stellen fest, dass die Be-rohungslage, von der wir eigentlich glaubten, dass sieer Vergangenheit angehört, aktueller denn je ist.Ich denke, die Bedrohungen und Bedrohungsszena-ien, die wir insbesondere seit dem Jahre 2001 erleben,eben einem Anlass, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ern in unseren Sicherheitsbehörden an dieser Stelle einanz herzliches Dankeschön zu sagen. Sie haben ganzesentlich dazu beigetragen, dass wir sagen können:eutschland ist ein freies und sicheres Land.
Ich bin auch ein Stück stolz darauf, dass wir nach denürchterlichen Ereignissen in den Vereinigten Staatenon Amerika im September des Jahres 2001 einicherheitspaket I und ein Sicherheitspaket II verab-chieden konnten. Dies geschah im Übrigen mit großerustimmung des Hauses.
Herr Ströbele, ich kann mich daran erinnern, dass Sieem auch zugestimmt haben. Ich glaube, das war auchine richtige Entscheidung.
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Lieber Herr Stadler, auch bei der Umsetzung in die-sem Bereich hat sich deutlich gezeigt, dass Datenschutznicht als hinderlich angesehen wurde. Vielmehr hat mandiese Gesetzgebung auch an dem Aspekt Datenschutzorientiert. Ich sage hier ganz deutlich: Wer sich unsereKoalitionsvereinbarung ansieht, der wird feststellen,dass der Datenschutz bei uns in guten Händen ist.
Wenn es beispielsweise um die Informationen im Be-reich der Maut geht, finde ich es völlig richtig, die Fragezu stellen, welche Informationen wir gewinnen können,um bestimmte Kapitalverbrechen aufzuklären oder siesogar für eine gewisse Prävention zu nutzen.
Ich sage jedenfalls klipp und klar und sehr deutlich: DieSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden sichan dieser Diskussion konstruktiv beteiligen. Wir wissen,was wir zu beachten und nicht zu beachten haben.
Herr Ströbele, im Übrigen finde ich, dass wir auf das,was wir in der Gesetzgebung gegen den Terrorismus ge-tan haben, heute noch sehr stolz sein können. Wir habenetwas eingeführt, was es in der Gesetzgebung vorhernoch nicht oder nur kaum gab. Wir haben nämlichbefristete Gesetze geschaffen, in denen eine Evaluie-rung vorgesehen ist.
Es ist jetzt eine unserer Aufgaben, diesen Prozess derEvaluierung in Gang zu setzen und gemeinsam darüberzu entscheiden, was sich bewährt hat und was sich nichtbewährt hat.
Ich bin jedenfalls der Auffassung, dass das eine gute Ge-schichte ist. Ich glaube, wir werden hier gute Entschei-dungen treffen.Lieber Herr Stadler, an einer Stelle habe ich Sie über-haupt nicht verstanden. Ich bin schon der Auffassung,dass wir, wenn wir die Sicherheitsarchitektur in unseremLande überprüfen, die Fähigkeit erhalten müssen, ent-scheiden zu können, ob beispielsweise jede Aufteilungvon Zuständigkeiten und Befugnissen zwischen demBund und den Ländern heute noch aufgaben- und he-rausforderungsgerecht ist. Die Erfahrungen, die man mitdem internationalen Terrorismus gemacht hat, bringeneinen zu dem Ergebnis, dass es unabdingbar ist, demBngmKGNfddeDLggnLlD1PdSuTgdSznbmDvAdmcdsgBwbFmd
as hängt damit zusammen, dass wir nun einmal7 Unterschriften brauchen, weil es ein Bund-Länder-rojekt ist. Ich sage auch ganz deutlich: Der Langsamstearf an dieser Stelle nicht das Tempo bestimmen. Herrchäuble, hier haben wir eine große Aufgabe zu lösen.Ich will noch etwas anderes kurz ansprechen. Es gehtm das, was in unseren Koalitionsgesprächen zumhema Innenpolitik eine große Rolle gespielt und einenewissen Zeitraum in Anspruch genommen hat, nämlichie Frage des Verhältnisses der inneren zur äußerenicherheit. Dazu bleibt aus meiner Sicht ein Punkt fest-uhalten: Die Aufgaben der Polizei beim Schutz der in-eren Sicherheit und die Aufgaben der Bundeswehreim Schutz der äußeren Sicherheit dürfen nicht ver-ischt und vermengt werden.
as dem Bundesverfassungsgericht vorliegende Luft-erkehrssicherheitsgesetz dient der Präzisierung dieserufgaben und Zuständigkeiten. Wir werden im Lichteer Karlsruher Entscheidung wieder darauf zurückkom-en.Das Thema Migration und Integration ist angespro-hen worden. Lieber Herr Stadler, ich bin sehr froh undankbar, dass wir uns in der Koalitionsvereinbarung die-em Thema zugewendet haben; denn wir wissen: Inte-ration ist kein Selbstläufer, sondern wir müssen unsereneitrag dazu leisten, dass Integration funktioniert, damitir – das sage ich ganz deutlich – nicht solche Zuständeekommen, wie sie zurzeit in unserem Nachbarlandrankreich zu beobachten sind. Deswegen möchte ichich herzlich dafür bedanken, dass wir hier einen ein-eutigen Schwerpunkt gesetzt haben.
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Fritz Rudolf KörperIch will noch etwas ansprechen: Deutschland ist nichtnur frei und sicher, sondern Deutschland muss auch einweltoffenes Land bleiben. Davon profitieren wir letzt-endlich alle. Dass wir ein weltoffenes Land bleiben wol-len, wollen wir auch im Jahre 2006 bei der Ausrichtungder Fußballweltmeisterschaft beweisen, wo die ganzeWelt auf uns schaut. Wir brauchen heute nur zu beschlie-ßen, dass wir Weltmeister werden. Ich glaube, da be-kommen wir ein einstimmiges Ergebnis.
Die Vorbereitungen laufen gut. Es besteht die Hoffnung,dass diese Fußballweltmeisterschaft ein friedlichesGroßereignis wird, bei dem der Fußballsport im Vorder-grund steht. Das wäre auch gut so.Ich bin sicher, dass das Thema Fußballweltmeister-schaft im Jahre 2006 für den gesamten Sport und die ge-samte Sportszene als eine Initialzündung wirkt. Sport istgut für die Menschen. Sport ist gut für unser Land. Des-wegen bin ich froh, dass wir uns dieser Aufgabe wid-men. Ich hoffe, dass wir während der Haushaltsberatun-gen in die Lage versetzt werden, die guten Strukturen imBereich des Sports zu erhalten; denn das ist für den Er-folg des Sports in Deutschland sehr wichtig.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Pau von der
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn wir über Innenpolitik, innere Sicherheit, Krimina-litätsbekämpfung und Polizeibefugnisse reden, dannreden wir zugleich auch immer über Demokratie undBürgerrechte. Das ist jedenfalls der Generalansatz derLinksfraktion. Beide Seiten bilden zuweilen ein Span-nungspaar. Wir haben es in den vergangenen Jahren amBeispiel der „Otto-Pakete“ erlebt, wie Bürgerrechte ei-ner vermeintlichen Sicherheit geopfert wurden. Diegroße Koalition will offenbar diesen falschen Kurs wei-terführen. Ich kündige Ihnen heute schon an, dass Sie da-mit auf den Widerstand der Linksfraktion stoßen wer-den.
Bevor ich zum Koalitionsvertrag komme, möchte ichüber zwei Hängepartien sprechen, die das Ausmaß derBürgerrechtsverletzungen hierzulande illustrieren. Ichmeine die Spitzelaktion des BND gegen Journalisten undein renommiertes Friedensforschungsinstitut. Die BND-Spitze hat das selbst eingeräumt und einen Fehler ge-nannt. Das ist aber kein Fehler, sondern ein klarer Ver-stoß gegen die Pressefreiheit und damit gegen dasGrundgesetz.esgptknSdvirnDzCudIswIrIgbTIdgmDdCa
as hat allerdings in der großen Koalition offenbar nichtum Umdenken geführt. Ich nenne nur den neuestenoup, das bundesdeutsche Mautsystem zum Fahndungs-nd damit zum Überwachungssystem auszubauen. Auchas lehnt die Linksfraktion ab.
Das gilt auch für den Einsatz der Bundeswehr imnnern. CDU und CSU wollen ihn ausdrücklich undind bereit, dafür das Grundgesetz zu ändern. Die SPDar bis vor kurzem strikt dagegen.
m Koalitionsvertrag aber klingt das Nein der SPD be-eits sehr stark nach einem Jein.
Einen großen Schritt zum Einsatz der Bundeswehr imnnern ist Rot-Grün auch schon gegangen, als Sie das soenannte Luftverkehrssicherheitsgesetz beschlossen ha-en. Kritiker haben es völlig zu Recht als „Lizenz zumöten“ bezeichnet.
ch teile diese Einschätzung. Auch dieses Gesetz wirderzeit vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Ich be-rüße das ausdrücklich.Die Linksfraktion will etwas anderes: Wir wollenehr direkte Demokratie auf Bundesebene.
as Thema ist nicht neu, aber es drängt, auch angesichtser zunehmenden Parlamentsverdrossenheit im Lande.Seit der Vereinigung 1990 wurden zwei historischehancen verspielt, Volksabstimmungen ins Grundgesetzufzunehmen. Die erste lag auf der Hand, als es darum
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Petra Pauging, das provisorische Grundgesetz zu einer Verfassungzu erheben, die von der Bevölkerung angenommen wird.Die zweite gab es zuletzt, als es um die EU-Ver-fassung ging. In nahezu jedem EU-Land kann die Be-völkerung direkt mitbestimmen. Spätestens hier wirdoffenbar: In Sachen direkter Demokratie ist die Bundes-republik Deutschland ein EU-Entwicklungsland. Ichmeine, das muss sich endlich ändern.
Es gab in der Koalition ein kurzes Kompetenzgeran-gel, in welchem Ressort die Beauftragte für Migrationund Integration angesiedelt wird. Es ist ein ungemeinwichtiges Amt. Das wissen wir nicht erst seit den gewal-tigen Eruptionen in Frankreich vor wenigen Wochen. Ichbin erleichtert, dass die Wahl auf das Bundeskanzleramtund nicht auf das Innenministerium fiel. Denn die The-men Migration und Integration sind mehr denn je Quer-schnittsaufgaben. Genau dieser Anspruch findet sichaber im Koalitionsvertrag nicht wieder. Dort werdenMenschen mit Migrationshintergrund weiterhin als Stör-faktoren und Kriminelle betrachtet. Diese Sicht mussendlich überwunden werden.
Es bedrückt mich schon, dass die Bundeskanzlerin inihrer heutigen Regierungserklärung nicht eine Antwortauf die drängenden Fragen von Menschen mit Migra-tionshintergrund in diesem Land gegeben hat.Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. WieSie wissen, haben wir als Linke ein kritisches Verhältniszum deutschen Beamtentum.
Aber wir sind dagegen, dass der Staat sein Mütchen aus-gerechnet an den Beamtinnen und Beamten kühlt. Diegroße Koalition ist mit einer Attacke gegen Beamtinnenund Beamte gestartet. Sie sollen länger arbeiten und da-für auf Bezüge verzichten. Zugleich werden ihnen aberalle Ansprüche auf mehr Mitsprache verwehrt. Ich finde,das ist nicht klug und auch nicht gerecht. Die Linksfrak-tion verschließt sich nicht, wenn es um ein modernesBeamtenrecht geht, aber dann immer mit den Betroffe-nen und nicht gegen sie. Übrigens gilt auch hier, wasmein Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi schon heutefrüh an der Erklärung der Bundeskanzlerin kritisiert hat:Sie bieten den Menschen sowie insbesondere den Beam-tinnen und Beamten im Osten der Republik mit IhremKoalitionsvertrag keinerlei Perspektive auf Angleichungder Lebensverhältnisse.
Zum Schluss habe ich noch eine Bitte an Sie, HerrBundesinnenminister. Sie haben laut „FAZ“ 1996 ge-sagt, man müsse endlich weniger Demokratie wagen,und gemeint, die Verfassung verkomme zur Fessel derPolitik.IdBZusFnGBKebD–dzdfstuwgel–rsZV
ch finde, es ist Zeit, das öffentlich und glaubhaft zu wi-errufen. Das wäre übrigens auch ein unverzichtbarereitrag gegen den grassierenden Rechtsextremismus.umindest im Kampf gegen Rassismus, Nationalismusnd Neofaschismus
ollten wir uns als demokratische Parteien über alleraktionsgrenzen hinweg einig werden und aktiv sein.
Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar, Bünd-is 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrundesinnenminister Schäuble, nach dem Lesen desoalitionsvertrages und Ihrer heutigen Rede ist mir nochinmal sehr deutlich geworden: Diese große Koalitionraucht eine starke, kritische Bürgerrechtsopposition.iese Rolle werden wir als Grüne wahrnehmen.
Die Zurufe des Kollegen Wiefelspütz haben sich seiter Zeit der rot-grünen Regierung nicht verändert.
Die große Einigkeit in der Innenpolitik gab es schonuvor. Wir werden aber dafür sorgen, dass die Debatten,ie zwischen Union und SPD offensichtlich nicht ge-ührt werden, im Parlament und in der Öffentlichkeittattfinden; denn ich befürchte, dass eine große Koali-ion – das kennen wir aus der Vergangenheit – Gefahrnd Risiko für die Bürgerrechte bedeutet. Dem werdenir entgegenwirken.
Ich möchte – weil Sie Ausführungen zu diesem Punktemacht haben und es ein gutes Beispiel ist – zur Maut-rfassung Stellung nehmen. Es ist interessant, festzustel-en, dass ein Innenminister, der sich sonst in Interviewsich habe sie alle mit Interesse gelesen – sehr wohl libe-al gibt, in seiner heutigen Rede – ich bewerte nichteine Reden von damals – sagt, für Daten könne es keineweckbindung geben, und gleichzeitig meint, er sei einertreter eines modernen Datenschutzes. Ich glaube,
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Silke Stokar von Neufornmit diesen Aussagen haben Sie sich selber in der gesam-ten Datenschutzfrage völlig diskreditiert.
Lassen Sie uns das doch einmal auf die Gesundheitskarteübertragen. Wie wollen Sie Akzeptanz für staatliche Da-tensammlungen erreichen, wenn Sie gleichzeitig denBürgerinnen und Bürgern signalisieren, dass Sie alsBundesinnenminister der Auffassung sind, alle Daten,die der Staat – ganz gleich zu welchem Zweck – erfasse,stünden künftig den Sicherheitsbehörden des Bundesund der Länder zur Verfügung.Ich glaube, dass die große Koalition – das ergibt sicheinfach aus dem Koalitionsvertrag – die mit einer Online-gesellschaft verbundenen Risiken gar nicht im Blick hat.Es geht nicht nur um die Frage, ob wir heute alle Tele-kommunikationsdaten erfassen, wie lange wir dieseTelekommunikationsdaten speichern und ob wir Bewe-gungsprofile von jedem aufnehmen wollen, der mit ei-nem Handy durch die Gegend läuft. Genau in diesemZusammenhang muss man die Mautdiskussion sehen.Wenn Sie sich bei den Verkehrspolitikern informiert hät-ten – vielleicht haben Sie das auch –, dann wüssten Sie,dass das Mautsystem in der heutigen Form überhauptnicht für die Strafverfolgung geeignet ist.
Nur circa 5 Prozent aller LKWs, die in Deutschland aufden Autobahnen unterwegs sind, werden überhauptdurch die Mautsysteme erfasst. Es werden nicht diedurchfahrenden LKWs erfasst, sondern es werden ledig-lich die erfasst, die die Maut nicht korrekt bezahlen.Wenn Sie aus dem Mauterfassungssystem ein präven-tives Fahndungssystem machen wollen, dann sagen Siees deutlich. Das würde nichts anderes bedeuten, als dassSie es zusätzlich mit dem so genannten Autokennzei-chenscreening aufrüsten würden.
Damit müssten Sie alle vorbeifahrenden PKWs undLKWs erfassen.
Das bedeutet eine Fahndung gegen Unschuldige, eineFahndung gegen jedermann. In anderen Zusammenhän-gen – auch im Zusammenhang mit Landesgesetzen – hatdas Verfassungsgericht mehrfach gesagt, dass eine sol-che Fahndung gegen jedermann verfassungswidrig ist.
Das, was mich genauso erschreckt hat, ist Ihre Aus-sage – ich messe Sie schon an Ihrem eigenen Anspruch,auch Verfassungsminister zu sein –, in Bezug auf denTerrorismus müsse alles Menschenmögliche getan wer-den.
Dies ist eine Aussage, die mich erschreckt; denn das be-deutet, dass mit der Begründung der Bedrohung durchddI–etabtnbwgcmhdkkFtwnntesbIkemmvkdsdsa
ch fand die Äußerung – –
Es ist ein Unterschied, ob Sie das Menschenmöglicherlauben wollen oder ob Sie die Verhältnismäßigkeit be-onen bzw. einräumen, dass die Mittel des Rechtsstaatsuch in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismusegrenzt sind.
Justizkommissar Franco Frattini hat auf der interna-ionalen Sicherheitskonferenz in Berlin gesagt: Wir kön-en unsere Werte nicht aufgeben, um den Terrorismus zuekämpfen. Das ist eine Aussage, die ich unterstütze. Esürde mich freuen, wenn das eine Aussage wäre, die Sieenauso deutlich unterstützen.Ich habe es durchaus begrüßt, dass Sie auf dieser Si-herheitskonferenz gesagt haben, das Folterverbotüsse gelten. Aber angesichts der Debatte, die wir heuteier führen, möchte ich schon, dass Sie konkreter wer-en. Ich wünsche mir von dem Bundesinnenminister einlares Bekenntnis, dass deutsche Sicherheitsbehördeneine Information nutzen oder verwenden, die durcholter erhoben worden ist. Es kann dabei keine Arbeits-eilung dergestalt geben, dass in Drittstaaten gefoltertird, die BKA-Beamten anwesend sind, wenn auchicht im selben Raum, und die so gewonnenen Erkennt-isse zuhause in den westlichen Demokratien ausgewer-et werden. Sie müssen hier konkret werden, wenn ichrnst nehmen soll, dass Sie die Grundsätze der Verfas-ung wirklich einhalten wollen. Das absolute Folterver-ot heißt für mich:
nformationen, die durch Folter erlangt worden sind,önnen in Deutschland nicht verwendet werden. Das istine klare Aussage.
Noch kurz zum Thema Integration. Integration istehr als das Erlernen der Sprache. Wir werden Sie daranessen. Ich weiß aus meiner Heimat, der Region Hanno-er, dass sich dort viel mehr Migranten zu Integrations-ursen anmelden, als Angebote vorhanden sind. Solangeie Situation so ist, können wir hier keine Schuldzuwei-ung in Richtung Migranten vornehmen. Ich erwarte vonieser Bundesregierung, dass sie das Zuwanderungsge-etz mit Leben füllt und Integrations- und Sprachkurseuch wirklich finanziert.Meine Redezeit ist leider zu Ende.
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Silke Stokar von Neuforn
Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerstgratuliere ich Ihnen, lieber Herr Dr. Schäuble, im Namender CDU/CSU-Bundestagsfraktion und – als Vertreterohne Vertretungsmacht – der Koalition zu Ihrem neuenAmt. Ich weiß gar nicht, ob Sie vor Monaten damit ge-rechnet haben, dass Sie einmal Ihr eigener Nachfolgerwerden. Jedenfalls wissen wir die Innenpolitik des Bun-des bei Wolfgang Schäuble in besten Händen. Wir wün-schen Ihnen für die Arbeit viel Erfolg und auch das biss-chen Glück und Fortune, das man haben muss, um einguter Bundesinnenminister zu sein. Sie haben unserevolle Unterstützung.
Wie können Sie sich diese Unterstützung auf Dauersichern?
Sie haben zum Schluss den zutreffenden Hinweis ge-geben, dass Sie auch Sportminister sind. Wenn Sie beidieser Gelegenheit auch die Kartenwünsche der Kolle-ginnen und Kollegen aus allen Fraktionen erfüllten, dannwäre Ihnen unsere Unterstützung auf Dauer sicher.
Eine weitere Bemerkung. Wenn es sonst schon keinertut, dann will wenigstens ich es tun – er ist nicht hier;aber, Herr Kollege Wiefelspütz, Sie hatten doch die bes-ten Beziehungen zu ihm –: Wir sollten uns auch bei die-ser Gelegenheit bei dem Bundesinnenminister a. D. OttoSchily für seine Arbeit in den vergangenen Jahren be-danken.
Er war Bundesinnenminister in einer schwierigen Zeit.Er hat es uns nicht leicht gemacht. Wir haben es ihmnicht leicht gemacht. Insbesondere die CDU/CSU-Bun-destagsfraktion hat manche harte Auseinandersetzungmit ihm geführt. Das ändert aber nichts an unserem Re-spekt vor seiner politischen Lebensleistung und deswe-gen danken wir ihm für seine Arbeit.
Ich möchte folgende drei Punkte ansprechen:mdtursgGzwSaafWgeZDaEWßkeoDsdwdnußsmgddkk
Um auf das Thema Mautgesetz zurückzukommen:iese Debatte nimmt mittlerweile wirklich skurrile Zügen.
s ist doch ein Unterschied, ob sich ein Staat auf deneg macht und sagt, wir sammeln auf Bundesfernstra-en und auf Bundesautobahnen alle Daten, die wir be-ommen können, vielleicht können wir sie eines Tagesinmal gebrauchen,
der ob er sagt, wir haben zu einem legitimen Zweckaten gespeichert.Im Übrigen, Frau Kollegin: Diese Daten werdenelbstverständlich registriert. Das gilt auch in Bezug aufie Daten derjenigen, die bezahlt haben. Diese Datenerden nur nicht gespeichert. Aber zur Beantwortunger Frage, ob jemand die Mautgebühr geprellt hat odericht, muss man ja zunächst jedes Kennzeichen erfassennd die Daten derjenigen, die gezahlt haben, anschlie-end sofort löschen. Man speichert dann die Daten dero genannten Mautpreller. Speicherzweck ist also legiti-erweise, an diejenigen heranzukommen, die die Maut-ebühr geprellt haben.Wir könnten die legitimerweise gespeicherten Datenazu nutzen, schwerste Straftaten aufzuklären. Dazu sagter Staat: Das tue ich nicht. Dazu muss ich sagen: Dasann ich nicht verstehen, egal wie die Debatten im Ver-ehrsausschuss gewesen sind.
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Wolfgang BosbachWir sollten uns über diese Thematik noch einmal inaller Ruhe unterhalten. Ich berufe mich ausdrücklich aufden Vorgänger von Herrn Schaar, auf Herrn Jacob, dergesagt hat: Es wird behauptet, der Datenschutz sei Täter-schutz; wenn man mir eine Vorschrift nennt, die die Auf-klärung von Straftaten behindert, dann bin ich bereit,darüber zu reden.
Eine solche Vorschrift ist die Vorschrift im Mautge-setz. Deswegen sollten wir über diese Vorschriftreden – ohne Zorn und Eifer. Ich bin der festen Überzeu-gung, dass die Bevölkerung dagegen überhaupt nichtshat, weil es nämlich kein Bürgerrecht gibt, als Straftäternicht entdeckt zu werden, und weil es auch kein Bürger-recht gibt, Straftaten unerkannt begehen zu können.
Herr Kollege Ströbele, wie oft warnen Sie davor, dieBundesrepublik Deutschland sei auf dem Weg in denÜberwachungsstaat? In düsteren Farben wird die Zu-kunft der Republik geschildert.
In dem Moment, als Ihr Fahrrad gestohlen worden war,
konnten Sie aber all Ihre Reden beiseite legen; da wärenSie heilfroh gewesen, wenn Sie mithilfe modernsterÜberwachungstechnik des Deutschen Bundestages
Ihr Fahrrad schnell hätten zurückbekommen können.Was Ihnen Ihr Fahrrad, ist uns die Sicherheit von82 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutsch-land.
Zweiter Punkt. Wir wollen mehr für Integration tun.Wir haben keinen Mangel an Zuwanderung, aber wir ha-ben einen Mangel an Integration. Das bedeutet auf dereinen Seite: Wenn wir mehr Integration fordern, dannmüssen wir auch mehr Integration fördern. Auf der an-deren Seite geht der Appell an all jene, die zu uns kom-men, aus welchen Gründen auch immer, sich um Inte-gration zu bemühen; denn ohne Integrationsbereitschaftund ohne Integrationsfähigkeit, insbesondere ohne denfesten Vorsatz, die deutsche Sprache in Wort undSchrift zu erlernen, kann Integration in Staat und Gesell-schaft nicht funktionieren.Nicht alle Nachrichten dieser Tage waren gut. Sie ha-ben das Thema aber dankenswerterweise angesprochen.Hier die neuesten Zahlen: 94 000 Migrantinnen und Mi-granten ohne Rechtsanspruch, so genannte Bestandsaus-l15s2ttgaSesgkfidHsSDnnbWVdDhekoedgdlBahsi1bu4t
Ich füge hinzu: Wir müssen uns insbesondere um dieleinen Kinder bemühen. Wir müssen in den Migranten-amilien dafür werben, dass ihre Kinder möglichst schonn den Kindergarten kommen, sodass sie dort eine För-erung erfahren; denn wenn sie mit einem sprachlichenandicap eingeschult werden, dann begleitet sie diesesprachliche Handicap möglicherweise in ihrer gesamtenchullaufbahn.Dritter Punkt. Wir wollen ein modernes öffentlichesienstrecht, ein modernes Beamtenrecht schaffen –icht gegen die Betroffenen, sondern mit den Betroffe-en. Die Basis ist das, was BMI, Deutscher Beamten-und und Verdi miteinander vereinbart haben.Das aktuelle Thema ist nun das Weihnachtsgeld.ahrscheinlich geht es auch manch anderem so wie mir:ormittags beantworte ich die Briefe empörter Bürger,ie schreiben: Jetzt müsst ihr aber mal den öffentlichenienst ein bisschen zur Sanierung der Staatsfinanzeneranziehen. – Nachmittags beantworte ich die Briefempörter Beamtinnen und Beamten, die sich darüber be-lagen, dass sie erneut zu ungerechtfertigten Sonder-pfern herangezogen werden. Jeder meint natürlich, dassr Recht hat, und irgendwo hat auch jeder Recht. Das istas Fatale an dieser Situation.Es wäre gut, wenn diese Frage Besoldung/Versor-ung – hier geht es auch um die Versorgung derjenigen,ie sich im Ruhestand befinden – nicht den Haushaltspo-itikern allein überlassen würde, sondern – das ist unsereitte, Herr Bundesinnenminister – dass auch der Innen-usschuss des Deutschen Bundestags Gelegenheit er-ielte, sich mit dieser Fachfrage zu beschäftigen.Die Verwaltungsausgaben für den Schwerpunkt Per-onal betragen etwa 15 Milliarden Euro. In der Koalitionst verabredet worden, dass der Sparbeitrag pro JahrMilliarde Euro betragen soll, im Wesentlichen aufge-racht durch eine Reduzierung des Weihnachtsgeldesnd eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf1 Stunden. Wie das ausgestaltet wird, muss noch disku-iert werden. Dass wir bei den Einsparbemühungen um
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Wolfgang Bosbachden öffentlichen Dienst, um die Verwaltungs- und Perso-nalausgaben, keinen Bogen schlagen können, ist richtig.Wie wir das ausgestalten, müssen wir in diesem Hause,wie gesagt, noch diskutieren.Dabei sollten wir allerdings eines bedenken: Wenn esgegen die Beamten geht, gibt es in jeder VersammlungApplaus.
Aber bevor jetzt Schadenfreude ausbricht, füge ichhinzu: Wenn es gegen die Politiker geht, gibt es genausolauten Applaus.
– Oder noch mehr Applaus. – Die Beamtinnen und Be-amten haben deswegen einen Anspruch darauf, dass wirfair mit ihnen umgehen.
Wenn man einmal addiert, was wir diesem Personenkreisin den letzten Jahren zugemutet haben – seit 1998 hat eskeinen realen Anstieg der Löhne mehr gegeben, wir ha-ben das Urlaubsgeld gestrichen, wir haben die Arbeits-zeit zweimal verlängert, wir haben die Beihilfegekürzt –, kann niemand behaupten, dass die Mitarbeiterdes öffentlichen Dienstes keinen Konsolidierungsbeitraggeleistet hätten.
In diesem Sinne – das ist die Schlussbemerkung – ha-ben sie einen fairen Umgang verdient. Der Hinweis, dasssie sich in einem sicheren, unkündbaren Arbeitsverhält-nis befinden, ist richtig; aber damit kann man natürlichnicht alles rechtfertigen. Deswegen müssen wir auf dereinen Seite fair mit den Beamtinnen und Beamten umge-hen, ihnen auf der anderen Seite aber auch deutlich ma-chen, dass wir den öffentlichen Dienst bei den notwendi-gen Einsparungen nicht ausnehmen können.Danke fürs Zuhören.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich räume ein, dass wir Innenpolitiker vermutlich häufi-ger über Fragen der Sicherheit als über Fragen der Frei-heit reden. Das liegt vielleicht ein wenig in der Natur derSache. Ich höre häufig, auch in der heutigen Debatte,Freiheit und Sicherheit gehörten doch zwingend zuein-ander; der eine Wert sei die Kehrseite des jeweils ande-ren. Ich bin da ein ganz klein wenig anderer Auffassung.Ich bin der Auffassung – da spreche ich nur für mich –,dciucFFfiRs–MIZBbkRisszeIFsdbzIidsBAD
Frau Bundeskanzlerin Merkel hat das heute Morgenn einem anderen Zusammenhang hervorgehoben, mehrnter dem Stichwort Wirtschaftsfreiheit und unter ähnli-hen Aspekten.
ür mich sind die beiden zentralen Werte unseres Landesreiheit und Menschenwürde. Eine ganz konkrete Er-ahrung dieser Tage zeigt es: Frau Susanne Osthoff undhr Fahrer, deren Schicksal heute hier in vielen Reden zuecht angesprochen worden ist, leben erst sicher, wennie frei sind. Deswegen ist nach meinem Verständnisbei allem Respekt vor dem Anspruch des Staates,enschen vor Verbrechen zu schützen, worüber wir alsnnenpolitiker natürlich sehr häufig reden – Freiheit imweifel immer noch etwas wichtiger.Es ist völlig richtig, dass es in diesem Rechtsstaatundesrepublik Deutschland keine totale Sicherheit ge-en kann. Leben ist gefährlich und bestimmte Risikenönnen wir nicht ausschließen. Insoweit ist der freieechtsstaat immer ein imperfekter Staat. Das ist, denkech, die Ordnungsvorstellung, die uns alle eint, meineehr verehrten Damen und Herren. Deswegen bitte ichehr darum, dass niemand hier die Arroganz aufbringt,u sagen, Freiheit und Bürgerrechte seien der Anspruchiner einzelnen Fraktion.
ch gehe davon aus, dass wir alle, die wir hier sitzen, derreiheit und der Rechtsstaatlichkeit dienen, jeder aufeine Weise.
Ich verwahre mich dagegen, dass hier Gespenster-ebatten geführt werden. Der Rechtsstaat bekämpft Ver-rechen, auch Terrorismus, ausschließlich in den Gren-en des Rechtsstaates. Wir streiten hier über dienstrumente des Rechtsstaates, aber die rote Linie istn diesem Hause doch noch nie in Zweifel gezogen wor-en. Die rote Linie beginnt nicht erst bei Folter, sondernie beginnt nach meiner festen Überzeugung früher.
Datenschutz ist nichts Überflüssiges. Datenschutz istürgerrecht; Datenschutz ist ein Grundrecht.
ber wir müssen doch das Recht haben, Herrr. Stadler, selbstkritisch zu beurteilen
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Dr. Dieter Wiefelspütz
– Herr Wieland, hören Sie doch einmal zu! –, an welcherStelle Datenschutz unbeabsichtigt dazu führt, dassschwerwiegende Verbrechen nicht aufgeklärt werdenkönnen. Das kann doch niemand wollen.
Ich bekenne mich dazu, dass wir im Deutschen Bundes-tag beim Autobahnmautgesetz Unfug gemacht haben.Das ist meine feste Überzeugung. Wer dies konkret un-tersucht, kann gar nicht zu einem anderen Ergebnis kom-men.Wir wollen doch nicht den Onlinezugriff auf alle Da-ten. Auch der Bundesinnenminister hat dies nicht vorge-tragen. Wenn auf einer Autobahnraststätte ein Tötungs-delikt verübt wird und ein LKW im Spiel war, dann wirdnicht auf alle Mautdaten Deutschlands zugegriffen, son-dern nur für ein paar Stunden auf die Daten der nächstenMautstelle, beispielsweise 600 Meter vor dieser Auto-bahnraststätte. Das soll gegenwärtig nicht möglich sein?Wer das für Datenschutz hält, der allerdings pervertiertDatenschutz zum Täterschutz. Das wollen wir alle dochnicht. So etwas kann doch nicht wahr sein!
Ich bitte alle, bei diesem Thema auf dem Teppich zubleiben. – Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich an dieserStelle leidenschaftlich werde. Denn Unfug darf derDeutsche Bundestag nicht veranstalten.
Ich sage das selbstkritisch, weil wir dieses Gesetz ein-stimmig verabschiedet haben.
– Herr Dr. Gerhardt, ich freue mich auf eine konkret ge-führte Debatte, weil ich Ihnen gerne die Chance einräu-men möchte, die Überprüfung mit uns gemeinsamdurchzuführen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen,dass Sie an dieser Stelle gegen vernünftige Regelungensind.
Herr Kollege Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Frau Kollegin Stokar?
Gerne. Dann kann ich mich abregen.
– Die Fragen sind verabredet gewesen.
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Herr Kollege Wiefelspütz, ich frage Sie ganz kühl
nd nüchtern: Haben Sie die Koalitionsvereinbarung je-
als gelesen?
Ich möchte Sie auf zwei Punkte hinweisen. Der Be-
riff „Bürgerrechte“ kommt in Ihrer Koalitionsvereinba-
ung nicht vor. Datenschutz findet nur in einem Halbsatz
rwähnung, wo es heißt, dass Datenschutz an bestimm-
en Stellen nicht Hindernis sein darf.
Sehr geschätzte Frau Kollegin Stokar, ich habebenso wenig wie der Amtsvorgänger von Fraur. Merkel die Koalitionsvereinbarung gelesen. Aber ichabe die Koalitionsvereinbarung in Sachen Innenpolitikitgestaltet.
ch war bei allen Sitzungen dabei und weiß, worüber wiresprochen haben. Ich finde den Prüfvorbehalt, Frautokar, ob nicht möglicherweise Datenschutz punktuellnd unbeabsichtigt dieses und jenes verhindert, völlig inrdnung. Wir prüfen das. Wir können das gemeinsamrüfen; Sie werden mit dabei sein. Dann wird man zu ei-em Ergebnis kommen.An einer anderen Stelle steht, dass Datenschutz undatensicherheit weiterentwickelt werden müssen.
as ist doch eine Selbstverständlichkeit. Sie haben dieoalitionsvereinbarung zwar nicht mit erarbeitet. Aberie können sie lesen. Ich zeige Ihnen nachher die betref-ende Stelle. Es ist dort auf ausdrücklichen Wunsch vonrau Ministerin Zypries eine Passage enthalten, dass deratenschutz dazugehört. Zu einem modernen Rechts-taat gehört eine Weiterentwicklung des Datenschutzes.as ist nichts Überflüssiges. Merken Sie sich das bitte,rau Stokar!
Lassen Sie mich jenseits der Fragen der Sicherheitus gegebenem Anlass noch Folgendes sagen. Die ele-entaren rechtsstaatlichen Grenzen gelten ineutschland für alle: für deutsche Behörden, aber auchür Menschen, die sich aufgrund internationaler Verein-arungen in Deutschland bewegen. Ich bin gegen jedert von Vorverurteilung. Aber die Europäische Men-chenrechtskonvention, das Allgemeine Völkerrecht undnsbesondere auch das Grundgesetz gelten an allen Stel-en Deutschlands: am Boden, in der Luft und seewärtsuf deutschem Staatsgebiet. Ich wollte das mal gesagtaben.
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Dr. Dieter WiefelspützDer Bundesinnenminister hat unsere ausdrücklicheUnterstützung, wenn er hervorhebt, dass Integrationeine zentrale Aufgabe dieses Staates ist, keineswegs nurdes Bundes, sondern auch der Länder, der Gemeinden,der Sportvereine, was immer Ihnen dazu einfällt. Dies isteine der ganz großen Aufgaben.Es ist eine elementare Verkürzung, zu glauben, das al-les sei ausschließlich eine Frage der Sprache. Sicherlich,es geht auch um die Sprache. Aber nur derjenige kannsich in diesem Land zu Hause fühlen, der deutschspricht, der eine Chance hat, Bildungsabschlüsse wie je-der andere auch zu machen, der einen Arbeitsplatz bzw.einen Ausbildungsplatz findet, der spürt, dass in dieserGesellschaft seine kulturelle Identität ernst genommenund seine Religion geachtet wird. An manchen Stellen inDeutschland läuft das gut und an manchen Stellen müs-sen wir eine ganze Menge aufholen. Ich finde es sehrwichtig – das eint uns –, dass Fragen der Integrationnicht in erster, zweiter und dritter Linie als Sicherheits-problem gesehen werden, sondern als eine integrale ge-sellschaftliche Aufgabe für dieses Land.Wir werden die Verfassungswirklichkeit, den Geistdieses Landes daran messen müssen, wie wir mit denMenschen umgehen, die zu uns kommen. Letzten Endesgeht es darum, dass die Menschen, die zu uns kommen,gleichberechtigt in diesem Lande zu Hause sein können.
Es ist mir wichtig, dies zum Schluss noch gesagt zu ha-ben.Herzlichen Dank für Ihr Zuhören.
Zu diesem Themenbereich liegen uns keine weiteren
Wortmeldungen vor.
Wir kommen dann zu dem Bereich Recht. Dazu rufe
ich außerdem die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf:
2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundes-
notarordnung
– Drucksache 16/106 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
3 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes
– Drucksache 16/88 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Justiz,
Frau Brigitte Zypries.
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Jederzeit wieder, Herr Bosbach.
Was also haben wir für die nächsten vier Jahre verein-art? Es wird – dies war eben schon Gegenstand der De-atte – um das Strafrecht, das Strafprozessrecht und dierage des grundsätzlichen Ausgleichs zwischen denrundrechtlich garantierten Freiheiten der Menschen undem Anspruch auf Sicherheit gehen. Bürgerrechte dür-en nicht – darin sind wir uns einig – ohne Maß einge-chränkt werden und der Schutz der Bürgerinnen undürger vor Kriminalität sowie die damit verbundeneningriffe in ihre persönlichen Freiheitsrechte müssen ininem angemessenen Verhältnis dazu stehen: So vielreiheit wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig. Die-en Maßstab werden wir auch in Zukunft befolgen. Wiraben es in der vergangenen Legislaturperiode nicht an-ers getan.Wir sind wir uns darin einig, dass wir die Kriminalitätuf allen Ebenen bekämpfen wollen. Deswegen ist esicht richtig, nur vom Terrorismus zu reden. Wir wollenirksame Strafgesetze schaffen und da, wo es erforder-ich ist, Lücken ausfüllen. Ich nenne als Beispiele dastalking oder die Zwangsprostitution.Zur effektiven Strafverfolgung ist es unabdingbar,traftaten möglichst zügig aufzuklären. Dazu brauchenir Hilfsmittel. Wir sind deshalb übereingekommen, dasecht der Telekommunikationsüberwachung zu überar-eiten und eine stimmige Gesamtregelung vorzulegen.as hatten wir uns schon für die letzte Legislaturperiodeorgenommen. Dazu reichte aber nicht die Zeit. Wirerden dies deshalb in dieser Legislaturperiode ange-en.Wir haben uns auch darauf verständigt, eine Kron-eugenregelung einzuführen. Eine solche Regelung, dieätern in besonderen Einzelfällen die Möglichkeit der
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Bundesministerin Brigitte ZypriesStrafmilderung bietet, ist, wie wir alle wissen, nicht ganzunproblematisch und wird kontrovers diskutiert.
In der Praxis heißt es aber, dass es dieser Regelung be-darf. Ich erinnere an die letzte Entscheidung aus Düssel-dorf und die mahnenden Worte des Vorsitzenden Rich-ters. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns nichtleichtfertig über die Bedenken hinwegsetzen werden.
Der Vorschlag, den wir machen wollen, ist ein Kom-promiss zwischen abstrakten Grundsätzen und prakti-schen Notwendigkeiten der Strafverfolgung und ent-spricht den Forderungen der gerichtlichen undstaatsanwaltschaftlichen Praxis, mit der wir schon in derletzten Legislaturperiode den Diskurs gesucht haben.Seien Sie sich sicher, dass wir darauf achten werden,dass der Entwurf nicht zu Verwerfungen im Strafrechtführt.Die Regelungen zur erleichterten DNA-Speicherungund zur akustischen Wohnraumüberwachung haben wiram Ende der letzten Legislaturperiode bereits verab-schiedet. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf ver-ständigt, diese Regeln in der Praxis zunächst einmal zutesten, sie dann ordnungsgemäß zu evaluieren und dannzu sehen, ob es Bedarf gibt, die Regelungen als solchezu ändern.Damit habe ich einen Grundsatz angesprochen, derdie Arbeit der neuen Bundesregierung in der Rechtspoli-tik prägen wird: Wir werden uns nicht scheuen, neue Ge-setze zu schaffen oder bestehende Gesetze zu ändern,aber immer erst nach einer sorgfältigen Analyse; dennkluge Rechtspolitik besteht auch und gerade darin, zu-nächst zwischen den verschiedenen Interessen abzuwä-gen und dann zu entscheiden, ob Gesetze für eine andereGewichtung erforderlich sind.
– Herr Ströbele, waren Sie vielleicht in den letzten sie-ben Jahren beteiligt?Wir werden deshalb auch keinen Paradigmenwechselim Jugendstrafrecht vornehmen. Der Erziehungsge-danke des Jugendstrafrechts wird auch bei der großenKoalition im Mittelpunkt stehen.
Lediglich in einem Punkt wird im KoalitionsvertragHandlungsbedarf festgestellt: Die nachträgliche Siche-rungsverwahrung wird – natürlich in engen Grenzen –auch für die Täter eingeführt, die nach dem Jugendstraf-recht verurteilt wurden, aber zum Zeitpunkt ihrer Entlas-smLSscDrhbsd–vJSWlaSdHrgiDMRasnDwranRMM
ie Hürden für die Anordnung der Sicherungsverwah-ung müssen bei Jugendlichen und Heranwachsendenöher sein, so wie wir es in der letzten Legislaturperiodeereits bei der Sicherungsverwahrung für Heranwach-ende, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wur-en, gemacht haben.
Nein, es sollen keine Jugendlichen in die Sicherungs-erwahrung. Es geht um Erwachsene, die einstmals nachugendstrafrecht verurteilt worden sind.
ie sind ja mit 18 Jahren erwachsen.
ir diskutieren dies dann, wenn der Gesetzentwurf vor-iegt, aber nicht jetzt, Herr Kollege.Ich möchte gerne auf andere Themen eingehen, dieuch mit Rechtspolitik zu tun haben, aber nicht mit demtrafrecht – das überwiegt ja oft –, und zunächst kurz aufen Datenschutz Bezug nehmen. Es ist in der Tat so, wieerr Wiefelspütz vorgetragen hat, dass das Datenschutz-echt – das geschah auch aufgrund meiner Initiative –,rundsätzlich überarbeitet werden soll. Wahrscheinlichst Ihnen, Frau Kollegin, bei aller Leidenschaft für dasatenschutzrecht entgangen, dass es heute doch eineenge an Veränderungen gibt, die von dem geltendenecht gar nicht mehr erfasst werden; man kann das jauch einmal so herum sehen. Der Online-Zugriff bei-pielsweise ist überhaupt nicht mehr geregelt, wenn manur von „Übermittlung“ redet.
ann heißt es nämlich immer: Einer sendet etwas. Des-egen haben wir gesagt: Wir müssen das Datenschutz-echt einmal gründlich angehen und grundsätzlich über-rbeiten. Dabei müssen wir auch – ich bitte, das jetzticht falsch zu verstehen – bestimmte bürokratischeegelungen abschaffen. Beispielsweise gibt es nocheldepflichten für diejenigen, die in der Nähe dieserotte, die es in Berlin in den Kastanien gibt, leben.
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Bundesministerin Brigitte Zypries
Über die Zweckmäßigkeit solcher Bestimmungen kannman sich in der Tat streiten. Deswegen haben wir gesagt:Es macht Sinn, einmal zu schauen, ob es nicht auchwirklich völlig widersinnige Regelungen gibt. Der Koa-litionsvertrag sieht deshalb im Abschnitt V unter Punkt 2dazu eine Regelung vor. Das gehört nicht zum Bereichdes Innern, sondern steht an anderer Stelle. Wer denKoalitionsvertrag ganz liest, findet das aber.
Was die anderen Bereiche und das Leben in einer mo-dernen, sich wandelnden Gesellschaft anbelangt, zu derauch der Datenschutz gehört, würde ich gerne kurz dieMöglichkeit ansprechen, die wir im Unterhaltsrechtschaffen wollen, den Unterhaltsanspruch zu verändern.Das Projekt kennen Sie schon, das ist schon auf demWeg. Die Eigenverantwortung von Ehegatten in undnach der Ehe soll gestärkt werden, ebenso wie klar seinsoll, dass Kinder die ersten sind, die in Mangelfällen un-terhaltsberechtigt sind.Wir haben der Tatsache Rechnung getragen, dass un-sere Gesellschaft toleranter geworden ist und unter-schiedliche Lebensentwürfe akzeptiert sowie auf Min-derheiten Rücksicht nimmt. Dies ist vor allem einVerdienst der Gesellschaft, wird aber selbstverständlichauch durch die Rechtspolitik begleitet. Von dieserRechtspolitik wird manchmal gesagt, sie bestehe aus rei-nen Programmsätzen; sie führt aber tatsächlich zu einemveränderten Verhalten, wie wir gerade in einer rechtstat-sächlichen Untersuchung zu dem Programmsatz „Kinderdürfen nicht geschlagen werden“ festgestellt haben. DasBewusstsein in der Bevölkerung hat sich in der Tat mas-siv verändert.
Unser Ziel ist es also, Gleichbehandlungsrichtlinienzügig umzusetzen. Wir sind uns einig, dass wir dieRichtlinien im Arbeitsrecht eins zu eins umsetzen wer-den. Es gibt aber keine Festlegung im Koalitionsvertrag,dass die Umsetzung der anderen Richtlinien ohne andereMerkmale erfolgen soll. Ich kann Ihnen nur sagen: Ichwerde mich weiterhin dafür einsetzen, dass Menschenbei so genannten Massengeschäften des täglichen Le-bens und beim Abschluss von Versicherungen nicht we-gen Behinderung, Alter, sexueller Orientierung, Religionoder Weltanschauung diskriminiert werden.
Zur Akzeptanz neuer Lebensentwürfe gehört auch,dass wir gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaftengerecht behandeln. Deswegen bleibt auch auf der Tages-ordnung, die Gleichbehandlung von Homosexuellenauch im Steuerrecht oder im Beamtenrecht vorzusehen.Es kann nicht sein, dass wir ihnen dieselben Pflichtenauferlegen wie Verheirateten, ihnen aber bei den entspre-chenden Vergünstigungen nicht dieselben Rechte geben.Das halte ich nicht für richtig.dgsgnvRMGetgDlHblkddzmdIwdtzsvsnSrdawllgdJhufdh
Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Versorgunger Menschen – gerade auch die medizinische Versor-ung im Alter – immer besser. Wir diskutieren deshalbchon seit einer ganzen Zeit das Thema Patientenverfü-ung. Wir haben es auch in den Koalitionsvertrag aufge-ommen. Wir waren uns beim Abschluss des Koalitions-ertrages einig, dass das nichts ist, was vonseiten deregierung kommen sollte, sondern etwas, was aus deritte des Bundestages kommen sollte. Es geht umrundfragen der menschlichen Selbstbestimmung, umthische, moralische und religiöse Überzeugungen. Par-eipolitische Festlegungen sollte es in dem Bereich nichteben.
eshalb wird die Bundesregierung keinen Entwurf vor-egen. Ich verbinde das aber mit der Bitte an das Hoheaus, dass wir möglichst schnell ein Gesetz auf den Wegringen oder auch zwei Gesetze zur Abstimmung stel-en. Ich habe nach all den Briefen und nach all den Dis-ussionen, die ich dazu geführt habe, den Eindruck, dassie Bürgerinnen und Bürger in der Tat erwarten, dass anieser Stelle mehr Rechtsklarheit geschaffen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worteum Wirtschaftsrecht sagen: Sie wissen, dass wir im-er dafür eintreten, Verbraucherinnen und Verbrauchernie für ihre vernünftigen Entscheidungen notwendigennformationen zu geben. Das gilt in allen Bereichen. Wirollen das auch weiterhin machen. Eines Schutzes be-ürfen sie dennoch. Wir wollen beim Versicherungsver-ragsgesetz einen etwas gerechteren Interessenausgleichugunsten der Versicherten vorsehen, indem die Ab-chlussgebühren künftig über einen längeren Zeitraumerteilt werden, sodass man die Chance hat, einen Teileiner zwei Jahresbeiträge zurückzuerhalten, wenn manach zwei Jahren den Versicherungsvertrag kündigt.Wir werden das Urheberrecht novellieren, das wissenie, und ferner werden wir das GmbH-Recht reformie-en. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verstän-igt, nicht nur die Eingangssumme abzusenken, sondernuch eine umfassende Reform vorzunehmen. Natürlichird auch für diesen Bereich gelten, dass wir die Mög-ichkeiten der elektronischen Medien stärker nutzen wol-en, beispielsweise indem wir elektronische Anmeldun-en zum Handelsregister ermöglichen.Ein Thema, das insbesondere die Länder betrifft, istie Modernisierung der Justiz, die so genannte großeustizreform. Die werden wir mit den Ländern ange-en. Wir wollen insbesondere in dem Bereich, in dem esm verständliche, überschaubare und einheitliche Ver-ahrensstrukturen geht, Fortschritte erzielen. Ich meine,as ist ein Thema, bei dem der Bundestag, ohne Sorge zuaben, es könne zu einem Rechtsverlust kommen, ohne)
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Bundesministerin Brigitte Zypriesweiteres mitmachen kann. Dabei wird es unter anderemum das Wohnungseigentum und die freiwillige Gerichts-barkeit gehen, die wir gemeinsam novellieren wollen.Das waren nur einige Vorhaben von den zahlreichen,die im Bundesministerium der Justiz in jeder Legislatur-periode angegangen werden. In den letzten sieben Jahrensind, wie ich heute gelernt habe, 975 Gesetze aus demJustizministerium gekommen. Vielleicht ist auch hier einAnsatz für Reformen darin zu sehen, künftig weniger zumachen. Herr Schäuble, da haben Sie völlig Recht.
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Kolle-ginnen und Kollegen! Ihre letzte Bemerkung, FrauMinisterin, galt dem Bürokratieabbau. Bei solchen Gele-genheiten wird immer die Anzahl der Gesetze genannt,die neu geschaffen wurden. Von daher ist Bürokratie-abbau anscheinend eine unendliche Aufgabe.Es ist ja schön, dass in der Debatte zur Innenpolitikwie auch in der zur Rechtspolitik die Grundrechte undBürgerrechte sehr häufig genannt wurden. Aber dannist es auch notwendig, zu schauen, wer denn in den letz-ten Jahren die Grundrechte geachtet und gestärkt hat.
Das war letztendlich in den meisten Fällen das Bundes-verfassungsgericht, das die Gesetze, die hier von derMehrheit durchgedrückt wurden, zu korrigieren hatte.
– Nein, ich zähle sie Ihnen gleich alle auf. Sie, die SPD,haben übrigens allen einschlägigen Gesetzen zuge-stimmt, auch als noch CDU/CSU und FDP regiert haben.Das wissen wir. Sie sprechen wohl das Gesetz zur akus-tischen Wohnraumüberwachung an.
Ich denke, die Tatsache, dass es eine Fülle von Urtei-len des Bundesverfassungsgerichtes gibt und dass meh-rere Urteile bevorstehen, ist ganz entscheidend, zumBeispiel zum Luftsicherheitsgesetz oder zur Einschrän-kung des Fernmeldegeheimnisses; hierbei geht es um dieDurchsuchung und die Beschlagnahme bei einer Richte-rin. All das zeigt doch, dass zwar über Bürgerrechtegeredet wird, aber wenn konkret in einem Gesetzge-bungsverfahren abzuwägen ist, wie der unantastbareKernbereich der Grundrechte, der durch das Bundesver-fassungsgericht festgeschrieben ist, tatsächlich geschütztwerden kann, wird argumentiert: Wie kann ich am bes-ten Urteile des Bundesverfassungsgerichts umgehen undRegelungen finden? Dabei handelt es sich um Regelun-gen, die dann in ein paar Jahren wieder aufgehoben wer-den. Das muss sich ändern.wsUslhsndddDnmzßhurbesinwpgpniefpvtktlhEfdcIiÜM
Da haben Sie, Frau Ministerin, unsere Unterstützung,enn sich die Politik in dieser Legislaturperiode an die-en Grundsätzen orientiert. Denn es war ja nicht nur einrteil, das Fernwirkung hat. Es betraf zum einen das Ge-etz zur akustischen Wohnraumüberwachung aus deretzten Legislaturperiode, das nicht Ihr Gesetz ist. Esandelt sich zum anderen um das AWG, das Außenwirt-chaftsgesetz. Heute überweisen wir in erster Lesung ei-en Gesetzentwurf zur Verlängerung des Zollfahndungs-ienstgesetzes um weitere zwei Jahre, eines Gesetzes,as verfassungsrechtlich, um es ganz vorsichtig auszu-rücken, extrem bedenklich ist.
eshalb hat es die FDP in der letzten Legislaturperiodeicht mitgetragen. Jetzt wird uns ein Entwurf vorgelegt,it dem Sie ein verfassungswidriges Gesetz für weiterewei Jahre in Kraft lassen wollen. Ich denke, das Äu-erste der Gefühle wäre ein halbes Jahr. Dann müsstenier im Hause die Hausaufgaben gemacht worden sein,m in dieser Angelegenheit einen verfassungskonformenechtlichen Zustand wiederherzustellen.
Wir haben uns auch mit dem Europäischen Haft-efehl zu beschäftigen. Hierzu gibt es einen Referenten-ntwurf aus Ihrem Haus, Frau Ministerin. Es handeltich um ein Gesetz aus der letzten Legislaturperiode, dasn Teilen nicht verfassungskonform war. Wenn an einzel-en Punkten zaghaft und vorsichtig Kritik geäußerturde, dann wurde entgegnet, man wolle ja nur die euro-äische Zusammenarbeit behindern und habe eigentlichar nicht die Qualifikation bzw. Berechtigung, Kritik-unkte anzumerken. Jetzt muss das Gesetz natürlichachgebessert werden.Sie haben diesen Referentenentwurf vorgelegt. Aberch habe vermisst, dass Sie darin nicht einmal mit eineminzigen Wort darauf eingehen, dass der belgische Ver-assungsgerichtshof den Rahmenbeschluss zum Euro-äischen Haftbefehl dem Europäischen Gerichtshoforgelegt hat, weil er nicht mit den europäischen Ver-ragsgrundlagen in Einklang zu bringen ist. Es geht kon-ret um Art. 34 des EU-Vertrages.Ich denke, im Rahmen der Gesetzgebung im Bundes-ag, wo es um die Umsetzung geht, sollte man sich viel-eicht auch einmal damit befassen, welche Bedeutung esat, dass die Rechtsgrundlage dieses Gesetzes beimuropäischen Gerichtshof zur grundsätzlichen Überprü-ung ansteht. Wir als FDP-Fraktion erwarten, dass das inieser Legislaturperiode auch mit Blick auf die zahlrei-hen künftigen Vorhaben im Bereich der europäischennnen- und Justizzusammenarbeit geschieht; denn hierst die Zahl von Rahmenbeschlüssen, Entwürfen undberlegungen sehr groß.Wir wissen – auch Sie haben das immer gesagt, Frauinisterin –, dass Stellungnahmen, die wir im Bundes-
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Sabine Leutheusser-Schnarrenbergertag abgeben, für Sie rechtlich nicht verpflichtend sind.Aber wir alle sollten aus der mündlichen Verhandlungzum Europäischen Haftbefehl vor dem Verfassungsge-richt gelernt haben, in der uns Parlamentariern klar vorAugen geführt wurde, dass Gesetze viel zu unkritischund viel zu schnell durchgewunken werden, die hinter-her keinen Bestand hatten.
Deshalb sage ich für die FDP-Fraktion: Wenn derBundestag – ich hoffe: mit großer Mehrheit – seine Posi-tionen zu den Rahmenbeschlussvorhaben in den Berei-chen der Strafvollstreckung, der Justizverfahren und derstrafrechtlichen Bestimmungen gefunden hat, solltenseine Vorstellungen von Ihnen, Frau Ministerin, alswichtige Aufträge und als Verpflichtungen angesehenwerden. Dann sollte versucht werden, diese Vorgaben imRat der Europäischen Union durchzusetzen.Denn das einzige Recht, das wir Abgeordnete im Be-reich der europäischen Gesetzgebung haben, ist, dass wirein Umsetzungsgesetz in toto ablehnen können. Daswollen wir aber nicht tun; denn das ist ja nicht konstruk-tiv. Aber wenn Sie uns keine andere Möglichkeit lassen,denke ich, darf man diesen Weg – gerade vor dem Hin-tergrund der Mahnungen der Verfassungsrichter beimThema Europäischer Haftbefehl – nicht mehr generellausschließen.Wir sehen, Frau Ministerin, dass es in der Koalitions-vereinbarung eine Ansammlung von Einzelpunkten gibt.Es sind auch manche Vorhaben dabei, die wir unterstüt-zen und bei denen wir Sie konstruktiv begleiten werden,gerade wenn es zum Beispiel um Stalking oder einerechtsstaatliche, eng gefasste Kronzeugenregelung geht,die diesen Namen auch wirklich verdient und nicht nurzu einer Milderung des Strafmaßes führt; wir wissen jaum die rechtsstaatliche Bedenklichkeit dieses Instrumen-tes. Wir werden Sie auch bei anderen Vorhaben unter-stützen, zum Beispiel, wenn es tatsächlich zu einerUnterhaltsrechtsreform sowie zu Änderungen im Fami-lienrecht und insbesondere beim Versorgungsausgleich– das sind aus unserer Sicht notwendige Reformen –kommen sollte.Was Sie aber bei diesen vielen Einzelvorhaben, dieSie aneinander reihen, ohne dass man aus ihnen ein kla-res, grundlegendes und stringentes Konzept für eine zu-kunftsgerichtete Rechtspolitik erkennen könnte,
haben vermissen lassen, ist, dass Sie kein Wort zur Pres-sefreiheit gesagt haben.
Wir halten es angesichts einer Fülle von Fällen – es warnicht nur ein Einzelfall – im Laufe der letzten Jahre fürnotwendig, dass man sich im Bereich der Strafprozess-ordnung und des Strafrechts nach vorsichtigen, ausge-wogenen Korrekturen nicht nur umschaut, sondern auchentsprechende Vorschläge macht. Wir als FDP-Fraktionwerden einen eigenen Vorschlag dazu in die Diskussioneinbringen.dsnDszüWsnddtfegrkCliNW–drrdRtwGdra
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In vie-en Zeitungsberichten über die Koalitionsvereinbarungm Bereich der Rechtspolitik dominierte das Strafrecht.achträgliche Sicherungsverwahrung – Herr Kollegeieland: „nachträgliche“ Sicherungsverwahrung
Sie haben es eben vielleicht phonetisch nicht verstan-en – heißt, dass ein 17-jähriger Jugendlicher, der wäh-end seiner Zeit im Strafvollzug gezeigt hat, dass er the-apieresistent ist, nicht wieder herausgelassen werdenarf, sozusagen als tickende Zeitbombe.
egelungen über Stalking, Zwangsheirat, Zwangsprosti-ution oder die Kronzeugenregelung seien hier als Stich-orte genannt – sicherlich alles wichtige und richtigeesetzesvorhaben. Aber wir sollten doch nicht den Ein-ruck erwecken, als erschöpfe sich die Rechtspolitik da-in.Zu Recht hat uns die Bundeskanzlerin heute Morgenufgefordert:Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen! Lassen Sieuns die Wachstumsbremsen lösen! Lassen Sie unsuns selbst befreien von Bürokratie und altbackenen
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Dr. Jürgen GehbVerordnungen! Viele unserer europäischen Nach-barn zeigen uns …, was möglich ist.Diese Worte und diese Aufforderungen an uns allesind auch für die Rechtspolitik gültig: Auch hier gilt es,auf die Herausforderungen einer veränderten Zeit und ei-ner veränderten Welt möglichst rasch die passenden Ant-worten zu geben. Sicherlich können wir auf unsereRechtsordnung und unsere Rechtspraxis stolz sein
und insgesamt ist unsere Justiz noch immer ein dickesPlus und ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland.Deswegen sollte man auch mit dem Begriff der „großenJustizreform“ und allen damit verbundenen Zusammen-legungen von gewachsenen, traditionellen Fachgerichts-barkeiten vorsichtig umgehen.
Wenn man eine Resettaste drücken könnte, könnte manmanches sich anders entwickeln lassen. Die Frage istaber, ob man alte Rechtstraditionen jetzt mit einemSchlag und in Bausch und Bogen verändern sollte. Damuss man im Detail genau hinschauen.
Dennoch müssen wir immer wieder fragen: WelcheSpielregeln haben im Laufe der Jahrzehnte ein wenig Pa-tina angesetzt? Welche Spielregeln sind vielleicht viel zukompliziert geworden? Und welche neuen Spielregelnbrauchen wir gar, um den Wünschen und Bedürfnissenunserer Bürger wie auch der Wirtschaft gerecht zu wer-den? Denken Sie beispielsweise an die Konkurrenzdurch ausländische Rechtsformen, der wir uns inEuropa und in einer globalisierten Welt unweigerlichstellen müssen! Wir als große Koalition nehmen dieseHerausforderung jetzt an. Wenn inzwischen fast jedefünfte Neugründung einer Kapitalgesellschaft inDeutschland in Form einer britischen Limited erfolgt,dann haben wir darauf eine Antwort zu geben, und zwareine Antwort, die so attraktiv ist, dass sie dem einzelnenExistenzgründer in diesem Land die Flucht in ausländi-sche Rechtsformen überflüssig macht und selbstver-ständlich auch unsere Rechtsordnung im Wettbewerbmit anderen stärkt.
Vor diesem Hintergrund ist die verabredete GmbH-Reform wichtig, richtig und viel bedeutungsvoller, alsmanche dies im ersten Augenblick denken. Es gibthierzu Vorarbeiten aus dem Haus der Justizministerin;einzelne Länder haben Überlegungen angestellt undauch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Herbsteinen Anstoß zur Schaffung einer so genannten Unter-nehmensgründungsgesellschaft gegeben. Das ist, wie ichfinde, ein schöner produktiver Wettbewerb der bestenIdeen.Erlauben Sie mir, einen weiteren Punkt aufzugreifen,der wichtig ist, wenn wir es schaffen wollen, in EuropawfdeIzunemmowZhrKv2NgfznerrMfnndgVdwdkpmttrDns
eine Damen und Herren, wenn das so weitergeht, dür-en wir uns nicht wundern, dass alle Großprojekte mit ei-em Moratorium belegt sind.Ich warne davor, falsche Begehrlichkeiten und Hoff-ungen zu wecken, indem man glaubt, nur durch Dreheneutscher Stellschrauben einen großen Beschleuni-ungseffekt zu erreichen. Es sind die FFH-Richtlinie, dieogelschutzrichtlinie und zuletzt die Århus-Konvention,urch die die Schar der Kläger unendlich ausgeweitetorden ist. Nicht umsonst steht in § 42 Abs. 2 VwGO,ass nur derjenige gegen belastende Verwaltungsaktelagen kann, der selbst betroffen ist. Den „quivis ex po-ulo“ kennen wir nicht. Aber wir haben ihn eingeführtit der Folge, dass sich jahrzehntelangen adminis-rativen Verfahren jahrzehntelange gerichtliche Anfech-ungsverfahren anschließen. Das muss geändert werden.
Das zeigt, wie eng inzwischen unser nationaler Spiel-aum geworden ist.
eshalb müssen wir aufpassen, dass er zukünftig nichtoch enger wird. Ich meine nicht, dass wir hier zurück-chrauben können. Aber entscheidend ist doch, meine
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Dr. Jürgen GehbDamen und Herren, dass wir „in statu nascendi“, also amBeginn aller europäischen Regelungen, rechtzeitigStoppschilder setzen, damit wir als nationale Parlamen-tarier nicht – wie das jetzt häufig der Fall ist – quasi ineiner Ratifizierungsfalle sitzen und weitgehend nur nochVollstreckungsgehilfen europäischer Vorgaben sind.Bildhaft kann ich mich an eine für Siegfried Kaudereher ungewöhnlich resignative Äußerung in der Debattezum Europäischen Haftbefehl erinnern, als er sagte:Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werdenuns nicht sperren. Wir werden diesem Gesetz zurUmsetzung des Rahmenbeschlusses mit Tränen inden Augen und murrend zustimmen, weil wir keineandere Möglichkeit haben.Obwohl der Verfassungsvertrag ruht, müssen wirÜberlegungen anstellen, ob man die Beteiligungsrechtenicht vorab an anderer Stelle – unabhängig von der Rati-fizierung – implementiert, sodass wir bereits am Anfang,wenn die europäischen Richtlinien formuliert werden,unsere nationalen Interessen durchsetzen können. An-sonsten werden unsere Entscheidungen immer mehr prä-judiziert.
Das ist im Übrigen auch für das Selbstwertgefühl allerKolleginnen und Kollegen wichtig, damit sie hinterhernicht sagen müssen: Ich stehe hier, ich kann nicht an-ders.Wenn wir schon beim Thema Wettbewerb innerhalbEuropas sind, will ich kurz einen weiteren Punkt an-schneiden: Die Koalitionspartner haben vereinbart, dassdie EU-Gleichbehandlungsrichtlinien umgesetzt werden.Das ist so, als wenn man vereinbaren würde, dass es niewieder Malaria in Berlin geben soll. Es ist doch klar,dass Richtlinien umgesetzt werden müssen. Das ist gera-dezu trivial. Ich kann mich daran erinnern, dass wir sieeins zu eins umsetzen wollten.Ich habe eben beklagt, dass uns die europäischenRichtlinien zum Teil zu enge Korsettstangen anlegen,und kann daher nicht verstehen, weshalb wir hier unddort noch einmal Anderthalbe draufsetzen. Darübermuss sicherlich noch mal geredet werden.Wie unsere Bundeskanzlerin sehe auch ich überhauptkeinen Grund, warum wir unseren Unternehmen mehrLasten aufbürden sollen als den Unternehmen in anderenLändern aufgebürdet werden, und dass wir von ihnendann auch noch verlangen, dass sie schneller laufen sol-len. In diesen schwierigen Zeiten sollten wir die Prioritä-ten wirklich zum Wohle unseres Landes setzen und unseng an die Vorgaben halten und sie nicht noch ausweiten.Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin for-derte uns alle heute früh auf: Lassen Sie uns verzichtenauf die eingeübten Rituale, auf die reflexhaften Auf-schreie, wenn wir etwas verändern wollen! Es solltewirklich möglich sein, dass wir das hinter uns lassen. –Diese Aufforderung, diese Bitte um ein offenes und fai-res Gespräch möchte ich an alle Kolleginnen und Kolle-gen in diesem Haus, aber auch an alle außerhalb diesesHSslaEaklmkgbviiudhIsdkvHAewSDwh
Auch in der Rechtspolitik hat sich diese Koalition vielorgenommen, weil wir sicher sind, dass vieles möglichst. Frau Ministerin, liebe Brigitte,
ch denke an die fast freundschaftliche Atmosphäre beinseren Koalitionsverhandlungen und möchte mich anieser Stelle für die freundschaftliche Bewirtung rechterzlich bedanken. Damit verbinde ich eine Hoffnung:ch hoffe, dass das Ergebnis für die Rechtspolitik in un-eren Koalitionsverhandlungen nicht ganz so mager wieie Pellkartoffel mit dem Quark ist.Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksam-eit.
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Neskovic
on der Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich deruffassung, dass die Festlegungen im Koalitionsvertragnttäuschen. Insgesamt belegen sie den geringen Stellen-ert, den Sie der Rechtspolitik beimessen. Sie wird alstiefkind und lästige Nebensache bezeichnet.
ie Debatte hier hat deutlich gezeigt: Die Rechtspolitikird vornehmlich auf die Begriffe Sicherheit und Frei-eit reduziert.
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Wolfgang NeskovicSie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Buch-halterischer Fleiß bei der Aufzählung von Gesetzenreicht sicherlich nicht.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind gerade Sie als So-zialdemokraten für sehr viel mehr als für Sicherheit undFreiheit verantwortlich, wenn Sie Ihre Arbeit gut ma-chen wollen.
Lesen Sie bei Rousseau nach, was Sie uns nicht glauben:Zwischen dem Starken und dem Schwachen befreitdas Gesetz, während die Freiheit unterdrückt.
Der Starke braucht weder den Staat noch das Recht.Er hat die Macht. Der Schwache braucht den Staatund das Recht – sie schützen ihn vor dem Starken.
Die friedensstiftende Kraft des Rechts und seine sozial-staatliche Fundierung werden bei Ihnen nicht erkennbar.
– Meine Herren, bleiben Sie doch ruhig. Sie wirken ir-gendwie aufgeregt.
Sie wissen ja, dass ich einmal in Ihrer Partei war, und ichweiß, warum ich ausgetreten bin. Dafür gab es guteGründe. Sie machen nämlich keine sozialstaatliche Poli-tik mehr.
Ich setze noch eines obendrauf: Wenn die Linksparteidie Regierung stellen würde und für die Rechtspolitikverantwortlich wäre, dann könnten die Bürger in diesemLand zumindest auf mehr Gerechtigkeit hoffen.
Voltaire hat einmal gesagt, das Vorurteil sei die Ver-nunft der Narren.
Sie sind dabei, ihm in diesem Punkt Recht zu geben.Eine linke Rechtspolitik tritt für soziale Gerechtigkeitund Freiheitsrechte,ddsttheluustAsstSdsueßsmdIdaizezUsMd
Wir treten für die Unabhängigkeit der Richterinnennd Richter ein
nd schützen sie vor Einflüssen, die dagegen gerichtetind. Das Grundgesetz hat die Rechtsprechung den Rich-ern anvertraut.
ls Demokrat auf dem Richterstuhl sind sie dem Rechts-taat ebenso – auch das vergessen Sie – wie dem Sozial-taat verpflichtet. In diesem Sinne ist der Richter poli-isch und sollte sich dessen bewusst sein. Aus demozialstaatsgebot folgt die Verpflichtung des Richters,en Schwächeren vor der Übermacht des Stärkeren zuchätzen. Zu einem solchen Richterbild bekennen wirns.
Wir werden eine Justizreform, auch wenn sie sichine große nennt, bekämpfen, die den Richter zum blo-en Erledigungsautomaten degradiert. Für eine sozial-taatliche Justizpolitik darf eine große Justizreform nie-als durch die Verlockung von Kostenersparnissen iner Justiz motiviert sein.
m Gegenteil: Wer die Macht des Rechts betonen will,en trifft auch die Verantwortung, für eine starke und un-bhängige Justiz zu sorgen. Die dritte Gewalt – das kannch aus eigener Erfahrung wirklich sagen – arbeitet der-eit schlecht ausgestattet und personell unterbesetzt mitinem durchschnittlichen Haushaltsanteil von 1,5 Pro-ent.
nter Berücksichtigung ihrer eigenen Einnahmen kostetie jeden Bürger des Landes monatlich lediglich 5 Euro.ehr als eine Pizza ist Ihnen die Justiz nicht wert. Selbsta wollen Sie noch sparen.
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Wolfgang NeskovicFür eine sozialstaatliche Justizpolitik kommt ein Ab-bau von Rechtsmitteln, wie er im Wege der großen Jus-tizreform angedacht wird, nicht infrage. Zwischen demStarken und dem Schwachen befreit nämlich nur dasdurchsetzbare Recht. Die Einschränkung von Rechtsmit-teln trifft ganz vorwiegend denjenigen, der dringend aufsie angewiesen ist. Sie trifft vor allen anderen denSchwachen und ist deswegen sozialstaatswidrig.
In fast allen Völkern galten zu fast allen Zeiten dieRechtshüter auch als Hüter der Zeit. Sie hüten das Rechtnicht nur in der Zeit, in der sie richten, vielmehr ist Zeitauch das, was sie für das schwierige Amt brauchen, dasihnen anvertraut ist, nämlich die Trennung zwischenRecht und Unrecht. Der Wahrheit Mutter ist die Zeit undnicht der richterliche Erledigungsautomat.Eine Rechtspolitik, die auf eine Ökonomisierung vonRecht und Rechtsprechung zielt, ist nicht nur verfehlt,weil sie die Stabilisierungsfunktion des Rechts, den so-zialen Kitt, vernachlässigt. Eine solche Rechtspolitik wi-derspricht vor allem den Grundwerten unserer Verfas-sung. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich ladeSie ein: Blättern Sie einmal in dieser Verfassung! Sie istgroßartig.
Sie lebt von der Erkenntnis, dass das moderne Rechtohne den Sozialstaat nicht auskommt. Ich verstehe ja,dass die Sozialdemokraten hier motzen, weil es um denSozialstaat geht und sie ihn vergessen haben. Dies istfalsch.
Die Verfassung hat die Erkenntnis, dass das Recht ohneden Sozialstaat nicht auskommt, gegen jeden Störungs-versuch der Nachgeborenen vor einer Veränderung ge-schützt.Es lohnt sich, für die Auffindung und das richtigeVerständnis des Sozialstaatsprinzips auf die alte Kultur-technik des Lesens und nicht des Zwischenrufes, schongar nicht des unqualifizierten, zurückzugreifen.
Ich darf Ihnen die Vorschriften des Art. 20 und Art. 79Abs. 3 in Erinnerung bringen.
In Art. 79 Abs. 3 sind bestimmte Grundsätze unsererVerfassung für unabänderlich erklärt. Lesen Sie nach!
– Genau, wunderbar, Prüfung bestanden.
– Hören Sie doch einmal ganz ruhig zu. Die Väter undMütter unseres Grundgesetzes haben alle nachfolgen-ddgdzsStAhisMGkzlPdadWGfgsdIaBgarwiSR
Wir müssen uns den Sozialstaat leisten, so lautet deruftrag unseres Grundgesetzes.Wir werden in unserer Rechtspolitik zentral daraufinwirken, dass die Bedeutung des Sozialstaates geraden den Zeiten der Globalisierung nicht entwertet wird,ondern seine prägende Wirkungskraft zum Wohle derenschen in diesem Land entfaltet.Viele Menschen sorgen sich zu Recht um die sozialeerechtigkeit in unserem Land. Ungerechtigkeit istein Naturereignis. Den Spitzensteuersatz zu senken undeitgleich mit Hartz IV Armut und Demütigung gesetz-ich zu verordnen zeigt, dass die herrschende neoliberaleolitik wesentliche Grundwerte unserer Verfassung ausen Augen verloren hat.Ich komme zum Schluss. Das Grundgesetz ist sozialusgerichtet. Es bildet geradezu eine Aufforderung zumemokratischen Sozialismus.
enn Sie sich dieser zentralen Aufforderung unseresrundgesetzes weiter verschließen, werden wir gerneür Sie diese Aufgabe und damit zukünftig auch die Re-ierung übernehmen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Zwi-chenrufe.
Herr Kollege Neskovic, das war Ihre erste Rede in
iesem Haus.
ch gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen weiterhin
lles Gute.
Nun hat der Kollege Jerzy Montag von der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-innen und Kollegen! Wir diskutieren gerade – wennuch unter dem Stichwort Rechtspolitik – die Regie-ungserklärung der Bundeskanzlerin Merkel. Deshalbill ich auch damit anfangen und darauf hinweisen, dassch der Regierungserklärung zwar ganze eineinhalbtunden zugehört habe, aber kein einziges Mal das Wortechtspolitik gefallen ist. Ich habe auch nicht gehört,
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Jerzy Montagdass die Kanzlerin von der Bundesrepublik Deutschlandals einem Rechtsstaat gesprochen hätte. Ich habe nichtsüber die Rechtsstaatlichkeit gehört.
Deswegen finde ich es angemessen und richtig, einigeWorte darüber zu verlieren.Ich habe 2002 anlässlich der Regierungserklärung desBundeskanzlers Gerhard Schröder auch von der Kulturdes Rechts gesprochen. Zur Kultur des Rechts, über diewir am Anfang einer Legislaturperiode reden sollten, ge-hört unbedingt, sich zu vergegenwärtigen, dass es nichtsanderes als die Grundrechte sind, die sowohl die Justizals auch die Regierung als vollziehende Gewalt undnicht zuletzt uns selbst, das Parlament, das die Gesetzegibt, unmittelbar binden. Deswegen gehört es zur Kulturdes Rechts auch dazu, dass die Grund- und Bürgerrechtedes Grundgesetzes und die völkerrechtlich anerkanntenMenschenrechte nicht erschüttert und abgebaut, sonderngefestigt und ausgebaut werden. Das macht die Kulturdes Rechts aus und das muss der Gradmesser jeder undnunmehr der Rechtspolitik der großen Koalition sein.Ein Recht oder gar ein Grundrecht auf Sicherheit
– Herr Kollege Wiefelspütz hat in diesem Zusammen-hang völlig richtig argumentiert – gehört aber nichtdazu. Sicherheit für alle Menschen zu optimieren ist diePflicht des Staates im Rahmen der geltenden Gesetzeund in den Grenzen des Möglichen. Sicherheit ist aberkein gegenläufiges Grundrecht, das die Freiheiten derMenschen mit dem gleichen Recht verdrängt und aushe-belt, mit dem diese für sich Geltung und strikte Beach-tung einfordern.
Nach einigen wenigen Überlegungen grundsätzlicherArt komme ich zum Koalitionsvertrag, über den wirheute diskutieren. Die Präambel des Koalitionsvertragskennt den Begriff Rechtspolitik nicht. Fett hervorgeho-ben haben Sie nur die Sicherheit. Ich zitiere: „Sicher-heit ... zu garantieren, ist Aufgabe unserer staatlichenOrdnung.“Garantieren ist ein starkes Wort. Sie wissen genau,dass das gar nicht möglich ist. Die Freiheitsräume für dieBürgerinnen und Bürger kommen nur im Kleingedruck-ten vor. Dieser in der Präambel angeschlagene Ton derGeringschätzung der Rechtspolitik als Gestalterin undHüterin der Rechtsstaatlichkeit zieht sich durch den ge-samten Koalitionsvertrag. Es gibt gar kein eigenes Kapi-tel zur Rechtspolitik. Sie kommt lediglich unter Nr. 2 desKapitels – wie könnte es anders lauten? – „Sicherheit fürdie Bürger“ vor. Bundesjustizministerin Zypries hat am14. November dieses Jahres die Koalitionsvereinbarungmit folgenden Worten kommentiert: Rechtsstaatlichkeitund Grundrechtsschutz sind der Maßstab, an dem sichdie große Koalition messen lassen muss. – Wie wahr,FvhsZrghvbclsgrLKrvdkirsEvdagpegdAwKfdaJrSis–t
aber selbstverständlich –, indem Sie die Sympa-hiewerbung als Straftatbestand – wir haben ihn vor lan-
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Jerzy Montagger Zeit abgeschafft – wieder einführen wollen. Das istnichts anderes als die Strafbarkeit unliebsamer Mei-nungsäußerungen.
Sie wollen sogar noch – dafür haben Sie Zeit undPlatz im Koalitionsvertrag gefunden – über Graffiti-bekämpfung reden, eine Sache, über die schon alles ge-sagt worden ist und die schon längst geregelt ist. Für diePopulisten, die Stammtischbrüder und die Strategen desnächsten Wahlkampfes wollen Sie wieder einmal das Se-xualstrafrecht verschärfen.
– Selbstverständlich wollen Sie das. – Wir werden unsdie Debatten, die im Rechtsausschuss darüber geführtwerden, genau anschauen. Dann werden wir feststellen,was gilt und was nicht.Ich komme zum Ende. Kurzum: Ihre Ankündigungenin der Rechtspolitik verheißen wenig Gutes. Wir werdenmit eigenen konstruktiven Vorschlägen dagegenhalten.Wir werden die Kultur des Rechts hochhalten sowie dieMenschen- und Grundrechte zur Richtschnur unsererRechtspolitik und zum Maßstab der Kritik an der Regie-rung machen.Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Joachim Stünker von
der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer die Koalitionsvereinbarung, lieber Kollege Montagund Kollege Neskovic, halbwegs vorurteilsfrei gelesenhat, der konnte es bereits wissen, und wer heute der Redeunserer Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zugehörthat, der müsste es jetzt eigentlich auch besser wissen. Ermüsste wissen, dass all das, was heute Abend teilweisegepredigt worden ist, nämlich in einer schwarz-rotenKoalition würden die Bürgerrechte der Zivilgesellschaftzugunsten überzogener Maßnahmen der inneren Sicher-heit oder der Kriminalitätsbekämpfung auf der Streckebleiben, Schall und Rauch ist. Sie beschreiben nicht das,was wir rechtspolitisch tatsächlich vereinbart haben. Ichbitte Sie wirklich, das noch einmal nachzulesen. Ich sageIhnen heute am Anfang dieser Legislaturperiode: Siekönnen uns in diesen vier Jahren beim Wort nehmen. Siekönnen uns dann im Ergebnis an unseren Taten messen.Ich versichere Ihnen: Diese Koalition wird ein Garantder Bürgerrechte in diesem Land sein.bSweFtgtgmddwefuJdnvehDhbmwukbwsAbaPbkdüsBu
Rechtspolitische Kontinuität wird die Tagesordnungestimmen. Ebenso werden wir Garant für die innereicherheit sein. Ich denke, damit machen wir genau das,as auch dem Bedürfnis der Menschen in diesem Landentspricht. Die Menschen wollen beides. Sie wollen ihrereiheitsrechte und sie wollen den Schutz vor Kriminali-ät und vor Terrorismus. Genau diese Rahmenbedingun-en haben wir herzustellen. Das werden wir ganz nüch-ern machen.
Die Frau Ministerin hat das rechtspolitische Pro-ramm skizziert. Ich muss das nicht wiederholen. Ichöchte daher zwei Themenbereiche kurz ansprechen,ie bisher nicht so sehr im Mittelpunkt gestanden haben,ie meiner Fraktion für diese vier Jahre aber auch sehrichtig sind. Wir haben in diesem Koalitionsvertrag ver-inbart, dass wir gemeinsam das Thema „Große Justizre-orm“ in Angriff nehmen werden, gemeinsam mit Bundnd Ländern und unter Einbeziehung der Vorschläge derustizministerkonferenz und des Bundesministeriumser Justiz. Soweit der Koalitionsvertrag. Darin stehtichts von Rechtswegverkürzung oder von Rechtsmittel-erkürzung. Vielleicht sollten Sie, Herr Kollege, der Sieben diese fulminante Rede gehalten haben, einmal zu-ören. – Nein, er ist beschäftigt. –
as alles ist nicht Bestandteil der Vereinbarung, die wirier getroffen haben.
Ich füge des Weiteren mit Nachdruck hinzu: Wir ha-en gesagt, dass wir das gemeinsam, Bund und Länder,achen wollen. Das Ganze hat eine Geschichte. Wirissen seit Jahren, dass wir im europäischen Kontextnd bei den Aufgaben, die zunehmend auf die Justiz zu-ommen, eine Modernisierung bzw. Reform der Justizrauchen. Wenn wir „gemeinsam“ sagen, dann meinenir auch gemeinsam. In der Koalitionsvereinbarungteht ausdrücklich nicht der Satz, dass die Justiz in ihremufgabenzuschnitt auf den so genannten Kernbereicheschränkt werden soll. Das heißt ganz klar – das mussuch heute Abend gesagt werden –: Wir wollen keinerivatisierung der Aufgaben der freiwilligen Gerichts-arkeit. Das heißt, dass Beschlüsse der Justizminister-onferenz aus der jüngsten Vergangenheit – das ist zwei,rei Wochen her –, das Nachlasswesen auf die Notare zubertragen oder im Bereich des Gerichtsvollzieherwe-ens bestimmte Privatisierungen vorzunehmen, nichtestandteile dieses Vertrages sind und auch nicht mitns zu machen sein werden.
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Joachim StünkerGemeinsam heißt in der Tat, dass wir uns diesen Auf-gaben gemeinsam stellen werden.
– Das werden Sie dann sehen, Herr Kollege.
Sie sind neu im Rechtsausschuss.
Wenn Sie das Thema in den letzten sieben Jahren ver-folgt hätten, dann wüssten Sie, was wir schon alles dis-kutiert haben. Ich freue mich auf die Diskussionen mitIhnen.Das, was wir wollen, ist eine moderne Justiz fürRechtsstaatlichkeit und für Bürgernähe.
Deshalb werden wir die hohe Qualität und die Leistungs-stärke der Justiz auch für die Zukunft sicherstellen.
– Ich freue mich, das dann mit Ihnen, Herr Kollege, imRechtsausschuss gemeinsam zu diskutieren. Wir müssenuns aber auch gemeinsam darüber im Klaren sein, dassdieser Gesellschaft die Justiz – da treffe ich mich mitdem, was vorhin hier gesagt worden ist – ein gewisserPreis wert sein muss. Die Justiz hat letzten Endes ihrenPreis. Das heißt, es muss Schluss damit sein, dass dieJustizhaushalte der Länder zum Steinbruch der Finanz-minister werden.
– Dass wir gemeinsam diese Auffassung vertreten, dasist doch schon einmal etwas. Da sind wir auf einem gu-ten Weg, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.Wir haben noch schwierige Diskussionen – ich habein den letzten Jahren einige hinter mich gebracht – überdieses Thema vor uns. Es wäre gut, wenn wir hier imDeutschen Bundestag dabei eine große Gemeinsamkeitfänden. Wir müssen diese Gesetze beraten und verab-schieden. Es handelt sich um Bundesgesetze, die nichteinmal zustimmungspflichtig sind. Ich freue mich da-rauf, dass wir hier am selben Strang ziehen werden.Eine effiziente, schnelle und verlässliche Justiz istfürwahr ein wirtschaftlicher Standortfaktor; das ist rich-tig. Aber das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger indiesem Land in eine schnelle Justizgewährung desStaates für jedermann – ich betone: für jedermann –otdDdfdutTBhATbgd„ksDeKrSidtwvgUeiK
Meine Redezeit ist so gut wie zu Ende. Frau Präsiden-in, lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu einemhema machen, das im Koalitionsvertrag nicht so vieleachtung gefunden hat. Wir haben dort ganz bewusstineingeschrieben:Die Koalitionspartner lehnen deshalb die Übertra-gung des „Bologna-Prozesses“ auf die Juristenaus-bildung ab.
ngesichts der Presseveröffentlichungen in den letztenagen bin ich der Meinung – wir haben die Juristenaus-ildung vor einigen Jahren novelliert –: Dies ist einanz wichtiges Thema, das sich damit beschäftigt, wieie Ausbildung der Juristen in diesem Land – Stichwortdritte Säule“; ich habe davon gesprochen – in der Zu-unft aussehen soll. Das wird bei uns im Rechtsaus-chuss ein wichtiges Thema sein. Auch der Weg, den derAV und andere gegenwärtig beschreiten wollen – ichrinnere an das, was in Bezug auf Reglementierung undontingentierung gemacht werden soll –, kann nichtichtig sein.
An all dem, was bisher diskutiert worden ist, sehenie: Es gibt eine Fülle von Aufgaben. Es lohnt sich, siem Rechtsausschuss gemeinsam anzupacken. Ich hoffe,ass es im Rechtsausschuss auch in Zukunft Koopera-ion und dann gute Ergebnisse geben wird. Eines wollenir alle: Wir wollen einen funktionierenden Rechtsstaat.Schönen Dank.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Götzer
on der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Mit der vorliegenden Koalitionsvereinbarung habennion und SPD auch und gerade in der Rechtspolitikine tragfähige Grundlage für unsere gemeinsame Arbeitn dieser Wahlperiode geschaffen.Nach den durchaus positiven Erfahrungen aus denoalitionsverhandlungen – Frau Ministerin, ich möchte
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Dr. Wolfgang Götzerdas ausgesprochen gute Gesprächsklima ausdrücklichnoch einmal ansprechen – gehe ich davon aus, dass wirmit unserem Koalitionspartner auch bei der Umsetzungder vereinbarten Vorhaben gut zusammenarbeiten wer-den.Wir alle wissen, dass Rechtspolitik in der Öffentlich-keit nicht immer den Stellenwert hat, der ihrer Bedeu-tung entspricht. Das mag auch an der Nüchternheit undSachorientierung liegen, mit der wir Rechtspolitikerunsere Arbeit tun. Andererseits liegt gerade in dieserSachlichkeit ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Ichhoffe, dass einige der Reden, die wir vorhin gehört ha-ben, uns keinen Anlass zu der Befürchtung geben, dasswir im Rechtsausschuss in Zukunft von der Sachlichkeitabweichen.
Die Vereinbarungen zur Rechtspolitik stehen sicher-lich nicht gerade an vorderster Stelle im Koalitionsver-trag.
Dafür wird unser Bereich diesmal gleich am ersten Tagder Haushaltsdebatte behandelt.
Deswegen möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen,dass künftig die Tagesordnungen für die Haushaltsbera-tung die Rechtsdebatte nicht mehr in der Regel als krö-nenden Abschluss kurz vor Mitternacht, sondern aucheinmal zu früheren Tageszeiten vorsehen.
Welche zentrale Bedeutung die Rechtspolitik für dieMenschen und den Staat hat, ergibt sich aus den einzel-nen Abschnitten des Koalitionsvertrags.Die Menschen haben ein Recht auf Freiheit und Si-cherheit.So ist der erste Abschnitt überschrieben. Sicherheit undFreiheit gehören zusammen. Das ist heute schon ange-sprochen worden. Natürlich hat der Kollege WiefelspützRecht, wenn er sagt: Freiheit ist höher einzustufen als Si-cherheit. Aber es gibt keine Freiheit ohne die Sicherheit,die uns der Rechtsstaat gibt. Das heißt für uns, dass wirauch in Zukunft den rechtlichen Rahmen garantierenwerden, um Kriminalität auf allen Ebenen zu bekämp-fen. Dazu gehören wirksame Strafgesetze, eine effektiveund schnelle Strafverfolgung und der konsequente Um-gang mit Straftätern.Beispielhaft möchte ich hier nur die Bekämpfung vonStalking, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratungnennen sowie vor allem, wie schon angesprochen, dienachträgliche Sicherungsverwahrung in besondersschweren Fällen auch bei Straftätern, die nach Jugend-ssguKwdntdndfdWAuMRmwthetatThiSsgtbPgdaps
ie wir beseitigen wollen. Außerdem möchte ich dieeue Kronzeugenregelung erwähnen, die aus der Rich-erschaft wiederholt nachdrücklich gefordert worden ist.Betonen möchte ich auch das Prüfvorhaben bezüglicher Ausweitung der DNA-Analyse; denn der so ge-annte genetische Fingerabdruck ist ein Glücksfall fürie Bekämpfung und die Aufklärung von Verbrechen.
Der zweite Abschnitt trägt den Titel „Rechtspolitikür eine soziale Marktwirtschaft“. Hier kommt die Be-eutung der Rechtsordnung für ein funktionierendesirtschaftssystem in allen seinen Facetten klar zumusdruck: nicht nur zur Förderung der Vertragsfreiheitnd des Eigentums, sondern auch zur Beschränkung vonarktmacht. Besonderes Gewicht kommt hierbei dereform des Gesellschaftsrechts zu, durch die Unterneh-ensgründungen nachhaltig erleichtert und beschleunigterden sollen. Das ist im Übrigen einer von vielen Bei-rägen zur Entbürokratisierung.Zum anderen wollen wir eine Modernisierung des Ur-eberrechts angehen; denn kreative Menschen braucheninen sicheren rechtlichen Schutz für ihr geistiges Eigen-um, was dem Land der Dichter und Denker mehr als gutnsteht.Ein besonderes Augenmerk möchte ich auf den drit-en Abschnitt mit dem Titel „Für Selbstbestimmung undoleranz“ lenken. Es ist vorgesehen, die EU-Gleichbe-andlungsrichtlinien in deutsches Recht umzusetzen –n der Tat, wie der Kollege Gehb angesprochen hat, eineelbstverständlichkeit. Deswegen muss man dazu etwasagen.Nach unserem Rechtssystem sind Diskriminierun-en schon jetzt vielfach sittenwidrig und somit verbo-en. Es gilt also, genau zu prüfen, wo noch Handlungs-edarf besteht. Die Vertragsfreiheit ist ein tragenderfeiler unseres Zivilrechts und darf deshalb nicht aus-ehöhlt werden. Die Folgen für unsere Grundrechte,ie Rechtsprechung und den Rechtsfrieden wären nichtbzusehen.Wir waren uns in der Koalitionsarbeitsgruppe Rechts-olitik einig darüber, dass künftig EU-Richtlinien grund-ätzlich nur noch eins zu eins umgesetzt werden sollen.
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Dr. Wolfgang Götzer
Dies ist von der Frau Bundeskanzlerin in ihrer Regie-rungserklärung heute nochmals unterstrichen worden. Eshat auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, indem es in dem Kapitel „Europa“ wörtlich heißt – ichzitiere –:Entscheidend für die Zustimmung der Menschenwird sein, dass es gelingt, unnötige Bürokratie ab-zubauen und die europäische Gesetzgebung auf dastatsächlich Notwendige zu beschränken.
Das gilt auch für die innerstaatliche Umsetzung vonRichtlinien.Wir sind der Auffassung, dass das auch für die Antidis-kriminierungsrichtlinien gelten soll.
Bleibt noch der vierte Abschnitt mit dem Titel „Einemoderne Justiz für Rechtsstaatlichkeit und Bürgernähe“.Wir wollen die hohe Qualität, die Leistungsstärke unddie gesamtgesellschaftliche Stabilisierungsfunktion derbundesdeutschen Justiz auch mittel- und langfristig ge-währleisten. Das geht aber nur in Abstimmung mit denLändern, die hierzu bereits einige Vorarbeiten geleistethaben, auf denen wir aufzubauen gedenken.Dazu gehört nicht nur eine Vereinheitlichung der Ver-fahrensregeln in den Prozessordnungen, sondern aucheine Modernisierung des Zwangsvollstreckungsver-fahrens. Wer weiß, wie umständlich es ist, einen voll-streckbaren Titel auch tatsächlich zu vollstrecken, undwie lange das alles dauert, weiß auch, wie nötig hier Re-formen sind.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Un-sere Agenda für die kommende Wahlperiode ist umfang-reich. Es ist nicht auszuschließen, dass es zusätzliche ak-tuelle Erfordernisse für weitere, nicht vereinbarteGesetzgebungsvorhaben gibt. Doch auch diese – davonbin ich überzeugt – werden wir in vertrauensvoller Zu-sammenarbeit mit unserem Koalitionspartner sachge-recht lösen. An den Grünen sind in den vergangenenJahren wichtige Gesetze für mehr Sicherheit gescheitert.
Diese Koalitionsvereinbarung ist nicht von Ideologie ge-prägt, sondern von Vernunft und Verantwortungsbe-wusstsein der Koalitionspartner in Bezug auf das, wasnotwendig und machbar ist.Meine Damen und Herren, die Menschen können sichdarauf verlassen, dass auch für die Rechtspolitik gilt:Wir wollen den Erfolg dieser Koalition und diese großeKoalition wird ein Bündnis für die Sicherheit der Bürgersein.rnswdgnsd
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-tokoll vom 27. November 2003 zur Änderungdes Europol-Übereinkommens und zur Ände-rung des Europol-Gesetzes– Drucksache 16/30 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
– Drucksache 16/32 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über kon-junkturstatistische Erhebungen in bestimmten
– Drucksache 16/36 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Arbeit und Sozialesd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 2. März 2005 zwischen der Bundes-republik Deutschland und dem Königreich derNiederlande über die grenzüberschreitendepolizeiliche Zusammenarbeit und die Zusam-menarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten– Drucksache 16/57 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2005 169
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldtüberweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 16/36– das ist der Zusatzpunkt 1 c – soll federführend im Aus-schuss für Wirtschaft und Technologie beraten werden.Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wider-spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENErhöhung der Anzahl von Ausschussmitglie-dern– Drucksache 16/110 –Wir kommen zur Abstimmung über den interfrak-tionellen Antrag auf Drucksache 16/110 zur Erhöhungder Anzahl von Ausschussmitgliedern. Wer stimmt fürdiesen Antrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –Dann ist dieser Antrag einstimmig angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Donnerstag, den 1. Dezember 2005,9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.