Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Zusatzpunkte sind in
der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes zu dem
Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und
anderer Gesetze
Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697, 14/6965
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg-Otto Spiller
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozial-
politik Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegend
reformieren
Drucksache 14/6951
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Basel II Fairen Wettbewerb sichern Neufassung der
Basler Eigenkapitalvereinbarung und Überarbeitung
der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute und
Wertpapierfirmen
Drucksache 14/6953
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Planungs- und Finanzsicherheit für Verkehrsprojekt
Deutsche Einheit 8.1 ICE-Strecke NürnbergErfurt
schaffen
Drucksache 14/6947
Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Ge-
setze
Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697,
14/6965
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg-Otto Spiller
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? Das ist nicht
der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses auf Drucksache 14/6965? Wer stimmt dagegen?
Stimmenthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir setzen die am Dienstag, den 11. September 2001,
unterbrochenen Haushaltsberatungen Tagesordnungs-
punkte 2 a und 2 b fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung des Bundeshaushaltsplan für das Haus-
haltsjahr 2002
Drucksache 14/6800
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
Drucksache 14/6801
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Haushaltsberatungen heute achtdreiviertel Stunden und
18365
189. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Beginn: 9.00 Uhr
morgen sechs Stunden vorgesehen. Dagegen erhebt sich
kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramts, Einzelplan 04. Das Wort hat der Bundes-
kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard
Schröder.
Ich bitte um Entschuldigung. Mir ist dies so mitgeteilt
worden. Dies beruht auf einer Fehlinformation, die mir
von links gegeben worden ist.
Sie ist mir von meinem Nachbarn zur Linken gegeben
worden und der hat sie von hinten erhalten.
Ich erteile also das Wort dem Vorsitzenden der
CDU/CSU-Fraktion.
Lieber Kollege Glos, nachdem die Verwirrungen nun-
mehr vorbei sind, erteile ich Ihnen mit Vergnügen das
Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kol-
legen! Spätestens seitdem gestern von hier der russische
Präsident Putin gesprochen hat, muss jedem von uns be-
wusst sein, dass sich die Welt dramatisch verändert hat.
Das hat sich allerdings nicht bis zum Oberbuchhalter der
Bundesregierung Herrn Eichel herumgesprochen;
denn er legt einen Haushalt vor, der nicht nur von gestern,
sondern von vorgestern ist.
Es ist eine Zumutung Herr Wagner, Sie als Obmann
der SPD im Haushaltsausschuss sollten es sich überhaupt
nicht gefallen lassen , dass Ihnen die Regierung eine Be-
ratungsvorlage gibt, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie be-
raten wird, längst überholt ist. Sie ist nicht erst seit dem
11. September überholt. Der Haushaltsentwurf war be-
reits durch die wirtschaftliche Entwicklung, die wir im
Sommer deutlich gespürt haben, überholt.
Bei den Einnahmeansätzen geht man noch von einem
Wirtschaftswachstum von 2 Prozent in diesem Jahr und
von 2,25 Prozent im nächsten Jahr aus. Wir werden in die-
sem Jahr bestenfalls 1 Prozent Wachstum bekommen. Wir
müssen Angst haben, im nächsten Jahr in eine Rezession
abzugleiten. Die Arbeitslosenzahl war schon im August
um 9 000 höher als im August des Vorjahres. Der Arbeits-
markt muss nach den Attentaten auf die freie Welt nun
auch mit weltwirtschaftlichen Verwerfungen fertig wer-
den. Sie werden also bedeutend weniger Steuern einneh-
men das ist die Konsequenz und Sie werden bedeutend
mehr Geld für die Arbeitslosigkeit brauchen, als veran-
schlagt worden ist.
Rudi Dornbusch, der renommierte amerikanische
Wirtschaftswissenschaftler, steht nicht im Ruf eines
Schwarzsehers. Gerade deshalb nehme ich seine Warnung
von vorgestern ernst:
Es deutet alles darauf hin, dass sich Amerika und der
Rest der Welt gegenseitig in eine Rezession ziehen.
Ich gehöre zu denen, die ungeheuer viel Vertrauen in
die USA haben, sowohl politisch als auch wirtschaftlich.
Das stimmt mich eigentlich zuversichtlich: Die starke
US-Wirtschaft wird nicht dauerhaft unter diesem schreck-
lichen Terroranschlag zu leiden haben und außer Tritt ge-
bracht werden. Die US-Wirtschaft hat einen ungeheuer
großen Binnenmarkt. Das ist in Krisensituationen immer
ein Stück Überlebensversicherung.
Bei uns in Deutschland sieht es allerdings anders aus.
Die deutsche Industrie erwirtschaftet 34 Prozent ihrer
Umsätze im Auslandsgeschäft. Der Anteil der Exporte am
deutschen Bruttosozialprodukt beträgt 25 Prozent. Keine
andere große Industrienation verzeichnet höhere Werte.
Das heißt auch: Nirgendwo in der Welt sind die Arbeits-
plätze so sehr vom Export und vom freien Welthandel ab-
hängig wie bei uns in Deutschland.
Deswegen muss ich die Frage stellen: Herr Bundes-
kanzler, wo bleibt der deutsche Anstoß für eine gemein-
same europäische Politik gegen diese drohende Rezes-
sion?
Wo ist der deutsche Anstoß, um die Instrumente der G 7
rasch gegen die Krise in Einsatz zu bringen?
Die Europäische Zentralbank hat in enger Abstim-
mung mit der Federal Reserve, wie ich meine, richtig ge-
handelt. Die europäische Währung hat sich in dieser Krise
bewährt. Der Euro war nie die kränkelnde Frühgeburt, als
die Sie ihn bezeichnet haben. Aber seitdem Kohl und
Waigel nicht mehr in der Verantwortung stehen, hat es
keine entscheidenden Impulse in Europa mehr gegeben.
Der Terrorangriff in den USA galt der gesamten zivili-
sierten Welt. Die Terroristen wollten zugleich die welt-
weiten Wirtschaftsbeziehungen nachhaltig schädigen.
Bisher ist dieses teuflische Kalkül nicht aufgegangen. Wir
Deutschen als die stärkste Wirtschaftskraft in Europa
müssen dafür sorgen, dass es nicht gelingt. Die Auseinan-
dersetzung mit dem Terrorismus können die freien Ge-
sellschaften nur dann mit Erfolg bestehen, wenn sie wirt-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Präsident Wolfgang Thierse
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schaftlich stark bleiben. Dessen müssen wir uns in
Deutschland immer bewusst bleiben.
Wie wollen Sie für mehr Vertrauen in die wichtigste
Volkswirtschaft Europas sorgen? Glauben Sie, dass Sie
politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem
unrichtigen Haushalt, mit einem offensichtlich geschön-
ten Zahlenwerk, begegnen können?
Ihr Amtseid, Herr Bundeskanzler, hat gelautet, dass Sie
Schaden vom deutschen Volk wenden und seinen Nutzen
mehren. Das heißt in dieser Zeit: handeln, auch wirt-
schaftlich, damit die Schreckensszenarien, die manche
malen, nicht eintreffen.
Herr Bundeskanzler, jetzt rächt sich eine Politik, die in
allererster Linie ein Gefälligkeitserweis an die großen
Kartelle war. Die Gewerkschaften,
die großen Banken, die großen Versicherungsgesellschaf-
ten, die großen Industriebetriebe haben am Anfang Ihrer
Politik Beifall gezollt.
Aber wer die breiten Mittelschichten unseres Volkes ver-
nachlässigt, wer den Mittelstand benachteiligt, der kann
nicht dauerhaft Erfolg haben.
Weder das nachlassende weltweite Wachstum noch die
Attentate vom 11. September können erklären, warum
Deutschland unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundes-
kanzler, bei Konjunktur und Arbeitsmarkt Schlusslicht
in Europa ist. Die neue Lage erklärt nicht, warum bei uns
der Abbau der Arbeitslosigkeit in guten Zeiten nicht vo-
rankommt und in schlechten Zeiten die Arbeitslosigkeit
schneller steigt als anderswo. Es wird Ihnen in den kom-
menden Monaten nicht gelingen ich bitte Sie jetzt
schon, entsprechende Versuche zu unterlassen , die Fehl-
leistungen Ihrer Regierung unter den Teppich des Terro-
rismus zu kehren.
Wenn die Regierung damit anfinge, gäbe es auch auf die-
sem Gebiet Nachahmer ich sage nicht Nachahmungstä-
ter : Viele große Firmen, die ebenfalls nicht richtig ge-
wirtschaftet haben, nähmen dann genau dieselbe
Begründung zum Anlass, Entlassungen vorzunehmen.
Dieser elende Anschlag gibt doch keinerlei Begründung
für wirtschaftliche Fehlhandlungen in der Vergangenheit
her.
Herr Kollege, verstehen kann man Ihre Zwischenrufe
nicht; aber im Protokoll stehen immer die unverschämtes-
ten Zurufe.
Sie haben wieder dazu angesetzt, nicht? Ich leite Ihnen
entsprechende Protokolle zu.
In unserem Land sind viele Probleme hausgemacht.
Die ungerechte Steuerpolitik hat die Steuerbelastung der
Bürger nicht gesenkt, der Mittelstand ist benachteiligt, die
Ökosteuer greift den Bürgern tief in die Tasche das Geld
fehlt jetzt natürlich beim Konsum , die Preisstabilität
wurde vernachlässigt, die überfällige Reform der gesetz-
lichen Krankenversicherung verschoben, richtige Ansätze
wurden rückgängig gemacht. Das alles führt dazu, dass
bei uns die Lohnzusatzkosten auf Rekordniveau steigen
werden und dass das lohnintensive deutsche Handwerk
so hat uns Präsident Philipp gestern gesagt allein in
diesem Jahr um 200 000 Arbeitsplätze fürchten muss.
Herr Bundeskanzler, in jeder Krise liegt auch eine
Chance. Aber die Chance wird nur dann offenkundig,
wenn man sofort und beherzt handelt. Eine ruhige Hand
ist sicherlich gut, aber wirtschaftspolitisch haben Sie eine
gelähmte Hand gehabt; das ist schlecht.
Es ist geradezu lächerlich, dass es bei einem Haus-
haltsvolumen von fast 500 Milliarden DM nicht möglich
ist, die dringenden Maßnahmen für mehr Sicherheit an-
ders als durch eine Art neue Kriegssteuer zu finanzieren.
Das ist keine Erinnerung an Bismarck, sondern eine Erin-
nerung an Kaiser Wilhelm, der seinerzeit seine Flotte mit
einer Banderolensteuer finanzierte. Seinerzeit betrafen
die Banderolen den Sekt, heute betreffen sie die Zigaret-
ten.
Man muss im Haushalt nachhaltig umschichten und
neue Prioritäten setzen. Wir sind auch bereit ich habe
das schon einmal gesagt , den unangenehmen Teil der
notwendigen Maßnahmen mitzutragen. Man weiß natür-
lich, dass Sparen nicht immer angenehm ist. Aber das ist
eine große Chance, vieles Liebgewordene über Bord zu
werfen und sich auf die neue Zeit einzustellen.
Herr Bundeskanzler, mit flotten Sprüchen lösen Sie
keine Probleme. Sie haben gesagt, es gebe kein Recht auf
Faulheit. An den deutschen Stammtischen haben Sie dafür
viel Beifall bekommen und es ist ja auch richtig, an die
Stammtische zu denken; das ist nichts Schlechtes.
Allerdings muss anschließend auch gehandelt werden.
Solange man durch Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
zum Teil mehr oder fast genauso viel Geld wie durch Ar-
beitsaufnahme haben kann, ist die Anreizwirkung nicht
allzu groß. Ich frage Sie: Was haben Sie nach diesem
Spruch, der gut ankam, gesetzgeberisch getan, um sol-
chen Dingen den Boden zu entziehen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Michael Glos
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Herr Bundeskanzler, wir sehen mit Sorge, dass die
neue Dimension des Terrors neue Prioritäten verlangt.
Der Schock der dramatischen Ereignisse in New York und
Washington lässt uns dringende Fragen stellen, die Sie
heute beantworten müssen; später haben Sie ja Gelegen-
heit dazu. Lautstarke, markige Sprüche allein, wie sie vor
allen Dingen Herr Schily gemacht hat, reichen nicht aus.
Dazu steht übrigens heute etwas Falsches in einer Zei-
tung. Dort heißt es, ich sei über den Inhalt seiner Äuße-
rungen erschrocken. Ich bin überhaupt nicht über den In-
halt erschrocken er bringt lediglich zu wenig , ich war
nur über den Tonfall Ihrer Äußerungen der letzten Woche
erschrocken, Herr Minister Schily. Wir wissen, Be-
schwörungen lösen überhaupt keine Probleme. Wenn ich
Probleme lösen will, dann muss ich die Gesetze ändern,
damit das alles rechtsstaatlich korrigiert werden kann. Sie
haben auf diesem Gebiet noch viel zu wenig getan.
Ich stelle Ihnen die Fragen Sie können sie beantwor-
ten : Wo bleiben die Mittel für modernste Polizeiaus-
rüstung? Wo bleiben die notwendigen Befugnisse, um
Terror und Gewalt effektiv entgegenzutreten? Haben Ihre
grünen Partner immer noch Angst vor dem Staat, den sie
inzwischen selbst regieren? Das wäre meiner Ansicht
nach der einzige Grund, vor dem Staat Angst zu haben.
Alle Polizeibehörden müssen auf die Daten des
Ausländerzentralregisters zurückgreifen können. Im
Visumverfahren muss die Sicherheit Deutschlands in den
Vordergrund gestellt werden. Daten über Personen, deren
Einreise nicht erwünscht ist, müssen in einer Warndatei
konsequent erfasst und von den Sicherheitsbehörden und
Botschaften genutzt werden können. Warum hat Rot-
Grün unseren Gesetzentwurf zum Ausländerzentralre-
gister das frage ich Sie direkt unter Ihrer Verantwor-
tung 1999 abgelehnt?
Das ist eine Tatsache; damals waren Sie Innenminister.
Der Terrorismus kann nur unschädlich gemacht wer-
den, wenn seine Strukturen aufgespürt werden. Aussage-
willigen Aussteigern muss angeboten werden können, als
Kronzeugen straffrei zu bleiben, wenn eine solche Terror-
gruppe zugeschlagen hat.
Diese so genannte Kronzeugenregelung haben Sie 1999
gegen unseren Widerstand abgeschafft. Das ist ein Fak-
tum.
Der Einsatz verdeckter Ermittler braucht eine ver-
lässliche Rechtsgrundlage, damit sie das Milieu erfolg-
reich auskundschaften können. Dazu haben wir vor der
Sommerpause einen Gesetzentwurf eingebracht. Wo
bleibt Ihre Zustimmung, Herr Bundeskanzler, die Zustim-
mung auch der Parlamentsmehrheit?
Diese Regierung hat bisher für das Sicherheitsbedürf-
nis der Menschen nur Ankündigungen und Sprüche übrig
gehabt. Ein tragisches Schicksal ließ den Kanzler tönen
das ist ein weiteres Beispiel , Kinderschänder müssten
für immer weggeschlossen werden. Genau zur gleichen
Zeit lag ein Antrag Bayerns zur Ausweitung der Siche-
rungsverwahrung im Bundesrat vor. Er wurde anschlie-
ßend von Ihnen abgeschmettert. Das ist die Diskrepanz
zwischen Worten und Handeln. Damit werden Sie auf die
Dauer nicht mehr durchkommen.
Täuschen Sie sich nicht: Sie haben bereits in hohem
Maße Glaubwürdigkeit verspielt. Das Wahlergebnis in
Hamburg ist ein Menetekel.
Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so amüsieren. Ich
bin schon der Meinung, dass wir auch in diesem Haus da-
rüber reden müssen. 20 Prozent der Hamburger sind nicht
plötzlich rechtsradikal, wie das manche darstellen. Sie
wissen selbst, dass das absurd ist. Die Wähler in Hamburg
wollten einen Wechsel, vor allem einen Wechsel zu mehr
Sicherheit. Das war die Ursache des Wahlergebnisses in
Hamburg.
Herr Innenminister, selbst wenn Sie handeln wollten,
was ich bei Ihnen nicht anzweifle, müssen Sie sich doch
fragen, ob Sie dafür eine parlamentarische Mehrheit
haben.
Ist mit Rot-Grün alles das möglich, was für unser Land
erforderlich ist?
Wir haben Ihnen hinsichtlich der wichtigen Entschei-
dungen, die unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit
anbelangen, unsere Zustimmung gegeben und angeboten.
Das hat Ihnen einen umfänglichen Klärungsprozess in
den eigenen Reihen erspart. Aber auf die Dauer kann
natürlich eine Regierung in unserem System nur regieren
und glaubwürdig sein, wenn sie selbst die Mehrheit im-
mer wieder aufbringen kann.
Endlich will die Regierung den Vorschlag aufgreifen,
die Unterstützung internationaler Terrorgruppen in
Deutschland unter Strafe zu stellen. Was ist die Reaktion?
Sofort nennt der grüne Parteirat von NRW, des größten
grünen Landesverbandes, wenn ich es richtig sehe, dies
eine Ausweitung von Verdachtsstrafrecht, die verhindert
werden müsse. Jeder Änderung des Strafrechts wird pau-
schal eine Absage erteilt. Unbelehrbar lehnt die Vorsit-
zende der Grünen, Claudia Roth, die so genannte Regel-
anfrage nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bei
der Einbürgerung von Ausländern weiter ab. Was kann
dagegen sprechen, wenn andere Behörden die wichtigen
Informationen des Verfassungsschutzes auch regelmäßig
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
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für sich selbst und damit für unsere innere Sicherheit
nutzen?
Herr Schlauch, Sie werden anschließend sprechen. Sa-
gen Sie doch auch einmal etwas zu Ihrem Zitat in der
Leipziger Volkszeitung vom 24. September:
In der Frage der inneren Sicherheit lassen wir nichts
abräumen von dem Konzept der liberalen Gesell-
schaft.
Sie werden anschließend wieder versuchen, das Knistern
im eigenen Gebälk mit Lautstärke zu überdecken.
Aber das wird nicht reichen.
Ich meine, Herr Bundeskanzler, angesichts der ernsten
Lage ist ein solches Misstrauen, das gegen unseren de-
mokratischen Rechtsstaat spricht, eine ernste Gefahr für
die Sicherheit der Bürger.
Herr Bundeskanzler, Sie haben vor einer Woche er-
klärt, mit dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministers
hätten wir ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht auf den
Weg gebracht. Ich meine, dass diese Einschätzung falsch
ist. Deutschland muss Zuwanderung begrenzen und
steuern; Ihre Politik aber würde so ist dieser Gesetzent-
wurf angelegt die ungesteuerte Zuwanderung auswei-
ten.
Herr Bundeskanzler, das sind die Partner, die auch bei
wichtigen Sicherheitsinformationen mit am Tisch sitzen.
Ich finde das unerträglich. Die PDS-Kommunisten sollten
doch endlich einmal die gleiche Wende mitmachen, wie
wir sie gestern hier an diesem Pult erlebt haben.
Ich lasse mich jedenfalls auch nicht durch unflätige Zwi-
schenrufe aus dem Konzept bringen.
Richtig ist, dass in dem Schily-Entwurf Fragen der Si-
cherheit zu wenig berücksichtigt werden. Für uns gehört
aber zur Frage der Zuwanderungsbegrenzung und -steue-
rung vor allen Dingen auch dazu, Extremisten aus unse-
rem Land fernzuhalten.
Bei allem Verständnis für die Lage von Betrieben, die
in Mangelberufen händeringend qualifizierte Mitarbeiter
suchen für die im Schily-Entwurf vorgesehene Aufhe-
bung des Anwerbestopps gibt es keine Rechtfertigung.
Bei bald 4 Millionen Arbeitslosen und 2 Millionen So-
zialhilfeempfängern muss Zuwanderung in unsere Sozial-
systeme unterbunden werden können.
Das heißt, auch die Betriebe und Unternehmen in
Deutschland müssen den inländischen Arbeitsmarkt wie-
der stärker ausschöpfen. Dafür müssen die gesetzlichen
Voraussetzungen geschaffen werden. Ich nenne nur das
Stichwort Kombilohn.
Schnellschüsse taugen überhaupt nichts; das zeigt die
Greencard, Herr Bundeskanzler. Die Erwartungen sind
nicht erfüllt worden. Erstens sind die Leute nicht gekom-
men es waren keine 20 000 und zweitens werden von
den 9 000, die gekommen sind, die Ersten schon wieder
flott nach Hause geschickt.
Für die Wirtschaft in Deutschland ist eine flexibler Ar-
beitsmarkt nach meiner Meinung wichtiger als die Auswei-
tung der Zuwanderung. Wir müssen ein langfristiges deut-
sches Interesse in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.
Vor einer Woche haben wir in diesem Haus einver-
nehmlich erklärt: Deutschland steht im Kampf gegen den
Terror fest an der Seite Amerikas. Für uns gilt dies auch
heute noch.
Deswegen meine ich, Herr Bundeskanzler, dass wir mehr
für die Sicherheit ausgeben müssen. 1,5 Milliarden DM
für die Bundeswehr sind viel zu wenig. Hier muss dau-
erhaft mehr getan werden. Wir müssen vor allen Dingen
einen Beitrag leisten, der der Bedeutung unseres Landes
adäquat ist.
Wir insgesamt und insbesondere Ihre Koalition müssen
auch zweifelsfrei zu dem stehen, was Sie erklärt haben.
Deswegen ist es erschreckend, dass die Grünen in Rhein-
land-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen die Beteiligung
der Bundeswehr an Anti-Terror-Einsätzen, die natürlich
militärisch sind, ablehnen.
Aus dem vielstimmigen Chor grüner Ratschläge zu
Amerika will ich nur Frau Kollegin Vollmer herausgrei-
fen, die in der Zeit sagt:
...die Amerikaner müssen sich Zeit nehmen, darüber
nachzudenken, was ihnen zugestoßen ist und warum.
Das ist schon eine wie ich meine sehr bedenkliche
Aussage. Vielleicht sind Sie deswegen nicht in die USA
gefahren, Herr Bundeskanzler; ich habe das bedauert.
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Michael Glos
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Die Bilder, auf denen Sie dort zu sehen gewesen wären,
können durch die von dem Besuch Ihres Außenministers
nicht ersetzt werden.
Das ist so.
Vielleicht sind Sie deswegen nicht dorthin gefahren, weil
Sie damit zu tun haben, hier Ihre Reihen zusammenzu-
halten.
Sie können sich ja auch gar nicht so rasch entschuldi-
gen, wie Amerika aus Ihren eigenen Reihen beleidigt
wird.
Die Berliner Kultursenatorin Goehler äußert im Berliner
Haus der Kulturen der Welt sogar, ihr hätten die Türme
des Turbo-Kapitalismus nie so recht behagt; sie seien für
sie Phallus-Symbole gewesen. Da klingt doch klamm-
heimliche Freude an. Ich weiß, Sie finden das lustig, Frau
Müller; deswegen lachen Sie.
Wo bleiben hier die Konsequenzen? Das sind doch Ihre
Partner. Frau Goehler ist doch in Herrn Wowereits Senat.
Warum wird diese Dame nicht sofort entlassen? Ich finde
das beschämend und entsetzlich.
Wir sind in dieser schwierigen Lage sehr froh, dass wir
wissen, dass wir in Amerika einen besonnenen Präsiden-
ten haben, der sich als ein Führer der freien Welt darstellt
und der ein ungeheuer staatsmännisches Format beweist.
Herr Bundeskanzler, Sie können sich trotz Ihrer innenpo-
litischen Mängelliste darauf verlassen, dass wir das Wort
von der uneingeschränkten Solidarität ernst nehmen und
Ihre Politik in dieser Hinsicht stützen werden. Ich meine,
dass wir auch als Opposition Verantwortung tragen, die
wir auch in schwieriger Zeit wahrnehmen wollen. Es wäre
für Deutschland entwürdigend, wenn Sie jetzt wieder mit
dem Hut in der Hand Stimmen sammeln müssten, so wie
es beim ersten Mandat für Mazedonien war. Wir werden
ich will der Beratung der Fraktion nicht vorgreifen
auch in dieser NATO-Frage an Ihrer Seite stehen. Herr
Bundeskanzler, tun Sie alles, um Schaden von unserem
Land abzuwenden!
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Tauss,
Zwischenrufe der Art widerliche Hetze gehören nicht
ins Parlament. Ich ermahne Sie, solche Zwischenrufe zu
unterlassen.
Ich erteile nun das Wort dem Bundeskanzler der Bun-
desrepublik Deutschland, Gerhard Schröder.
Damen und Herren! Herr Glos, in einem Punkt bin ich Ih-
nen dankbar: Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie auch
in dieser Haushaltsdebatte noch einmal deutlich gemacht
haben, dass Sie mit uns das haben wir in diesem Hohen
Hause miteinander hinbekommen in der Außenpolitik
an der Seite Amerikas und dies uneingeschränkt ste-
hen. Das will ich hier ausdrücklich sagen; denn mir liegt
sehr daran, dass diese Gemeinsamkeit fortgesetzt werden
kann. Das gilt auch dann, wenn ich mit dem übrigen Teil
Ihrer Ausführungen nicht einverstanden bin, wie Sie sich
vorstellen können.
Ich bin damit nicht einverstanden, weil das eine Mischung
aus falschen Informationen und aus Übertreibungen ge-
wesen ist.
Aber eines ist klar: Nach den Terroranschlägen in
den USA sind Menschen bei uns in großer Sorge. Sie sind
übrigens nicht nur in großer Sorge über das, was wir in-
nere oder äußere Sicherheit nennen, sondern eben auch in
Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung unseres Lan-
des. Ich denke, das Wichtigste, was wir in diesem Hohen
Hause tun müssen, ist, diese Sorgen ernst zu nehmen. Ich
rede übrigens ganz bewusst von Sorge, nicht von Angst;
denn aus Sorge kann Zuversicht, kann neue Kraft ent-
wickelt werden. Angst würde nur lähmen. Zu Angst gibt
es wirklich keinen Grund, meine Damen und Herren.
Es gibt in Deutschland deshalb keinen Grund zur
Angst, weil sowohl die politischen als auch die kulturel-
len und ökonomischen Eliten unseres Landes in Gemein-
samkeit deutlich gemacht haben, dass der Terrorismus
weder unsere inneren Ordnungen in der freien Welt be-
siegen kann noch die freie Weltwirtschaft dauerhaft wird
infrage stellen können. Wenn wir klarmachen, dass sich
die Verantwortlichen in den unterschiedlichsten Ebenen
in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, bei den Gewerk-
schaften, aber eben auch in der Politik bei all ihrer Viel-
falt jedenfalls in diesem Ziel einig sind, ist das die sinn-
vollste Basis für die weitere wirtschaftliche Entwicklung,
die wir schaffen können.
Wir wissen ja: Der Terrorismus hat nicht nur die Zer-
schlagung der politischen Ordnungen in der Welt zum
Ziel, sondern natürlich auch die der Weltwirtschaft. Der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Michael Glos
18370
Anschlag auf das World Trade Center in New York zeigt
das sehr deutlich: Es war genauso ein Anschlag auf die in-
ternationalen Wirtschafts- und Finanzkooperationen wie
ein Anschlag auf die Zivilisation schlechthin.
Noch etwas ist wichtig: Die Terroristen wollten damit
ein allgemeines Klima von Angst und Unsicherheit ver-
breiten, ein Klima, das natürlich negative Auswirkungen
auf die Weltwirtschaft haben sollte und, wenn wir es ver-
stärken, weil wir nicht aufpassen und nicht gegenhalten,
auch haben wird. Deswegen finde ich es so wichtig, dass
zum Beispiel von allen, die auf der Internationalen Auto-
mobil-Ausstellung, auf der auch ich war, vertreten waren,
gesagt wurde: Wir brauchen jetzt ein Klima der Gemein-
samkeit, aus dem Optimismus auch und gerade für unse-
ren so wichtigen Wirtschaftszweig entstehen kann.
Ich glaube, wir sollten von daher klar sagen, dass wir
alle zusammen verhindern werden, dass der internationale
Terrorismus in irgendeiner Form Macht über die wirt-
schaftliche Entwicklung in der Welt und damit auch in
Deutschland gewinnt.
Genauso wenig wie die Terroristen uns in einen Kampf der
Kulturen treiben dürfen das wäre nämlich unsinnig ,
dürfen sie uns in ein Klima der wirtschaftlichen Ver-
unsicherung und Angst hineintreiben; auch das ist näm-
lich eines ihrer Ziele.
Was wir brauchen, meine Damen und Herren wir ha-
ben es gestern erlebt , ist eine internationale Koalition
gegen den Terrorismus. Wir sind dabei ein ganz gutes
Stück weitergekommen; nicht zuletzt deshalb, weil das
sage ich mit wirklich großem Respekt, auch darin stim-
men wir überein die Vereinigten Staaten auf den fürch-
terlichen Anschlag in einem Maße besonnen reagiert ha-
ben, das viele kritische Diskutanten, die anderes erwartet
hatten, vielleicht gelegentlich zum Nachdenken bringen
sollte.
Diese internationale Koalition gegen den Terrorismus,
die jetzt gebildet werden muss, darf sich nicht nur auf die
politischen und militärischen Aspekte beziehen. Klar ist,
dass dieser Kampf auch mit ökonomischen Mitteln ge-
führt werden muss. Das heißt, diejenigen Staaten, die Ter-
rorismus stützen und unterstützen, dürfen nicht auf mate-
rielle Hilfe rechnen können. Das heißt, diejenigen
Staaten, die Terrorismus stützen und unterstützen, müs-
sen, solange sie das tun, negative Erfahrungen mit den
Möglichkeiten unserer zivilisierten Welt machen. Umge-
kehrt gilt dann auch: Diejenigen, die sich in eine Koali-
tion gegen den internationalen Terrorismus einreihen,
müssen auch Anreize für sich und ihre eigene wirtschaft-
liche Entwicklung sehen. Hier liegt übrigens auch einer
der Gründe, warum wir bei der Verteilung jener 3 Milliar-
den DM, die wir für die Bekämpfung des Terrorismus im
Inneren und im Äußeren aufwenden, auch an die Bildung
von Fonds gedacht haben, durch die erreicht werden soll,
dass Abwendung vom Terrorismus belohnt und Zuwen-
dung bestraft werden können. Das ist Teil des Konzeptes,
wie wir es uns vorstellen.
Dazu gehört natürlich ich nehme an, der Finanzminis-
ter wird dazu noch etwas sagen eine wirklich entschie-
dene Bekämpfung der Finanzierung des internationalen
Terrorismus.
Ich verstehe ja, dass sehr viele Menschen das Bankge-
heimnis gleichsam für die Magna Charta der inneren Si-
cherheit halten, aber das ist nicht so.
Ich rede hier nicht einer undifferenzierten Lösung das
Wort. Wer aber die Geldwäsche bekämpfen und damit die
Finanzierungsquellen des internationalen Terroris-
mus austrocknen will das wollen wir ausdrücklich , der
muss einmal mit den Betroffenen darüber reden, wie man
denn an diese Finanzierungsquellen herankommt, wie
man underground banking und Ähnliches verhindert.
Die Erfüllung dieser Aufgabe wird von uns erwartet.
Wir werden sie auch sehr entschieden anpacken. Darauf
können Sie sich verlassen.
Die Terroristen werden wirtschaftlich auch deshalb
nicht gewinnen, weil die Grundlagen für Wachstum und
Wohlstand in unserem Land, in Europa und in der Welt
intakt sind. Die Produktionsanlagen und die Infrastruktur
sind intakt. Natürlich kann man das alles verbessern; wir
arbeiten auch daran. Aber wir haben überhaupt keinen
Anlass, jetzt in Pessimismus zu verfallen, weil die Basis
unserer wirtschaftlichen Stärke intakt ist und weil das
größte Kapital, über das wir verfügen, die Qualifikation,
die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Men-
schen in unserem Land sind. Auch sie müssen wir opti-
mistisch stimmen und dürfen das nicht herunterreden.
Auch die internationale Zusammenarbeit der Finanz-
organisationen Herr Glos hat in einem Punkt darauf
hingewiesen hat funktioniert. Ich habe mich genau wie
Sie gefreut, dass die Fed und die EZB zusammengearbei-
tet haben und dass damit einer der wichtigsten makro-
ökonomischen Akteure, nämlich die Europäische Zentral-
bank, seine Verantwortung für das Wachstum in dieser
Situation erkannt und daraus positive Schlüsse gezogen
hat. Ich kann nur raten, diesen Kurs fortzusetzen, eine
enge Abstimmung zu suchen und entsprechende Ent-
scheidungen zu treffen.
Ich bin ganz sicher, dass auch die Art und Weise, wie
wir gemeinsam in diesem Hohen Hause auf die Anschläge
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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in den USA reagiert haben, nämlich Entschlossenheit bei
der Erfüllung unserer Beistandsverpflichtungen zu zei-
gen, auf Dauer positiv auf die Stimmung im Land wirken
und positive Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung
haben wird. Ich glaube, all das zeigt, dass Sorgen ver-
ständlich sind die machen wir uns auch , dass es aber
völlig unberechtigt ist, so zu tun, als gäbe es nicht auch
und gerade jetzt Anlass zu Optimismus und Zuversicht,
und zwar sowohl im Hinblick auf die Bereitschaft zur in-
ternationalen Zusammenarbeit als auch im Hinblick auf
die Entwicklung neuer Kräfte im Inneren.
Ich sage es noch einmal: Die wichtigsten makroöko-
nomischen Akteure sind jetzt gefordert. Neben der No-
tenbank damit haben Sie Recht ist das der Staat, gar
keine Frage. Aber wie sieht die Aufgabe in der jetzigen Si-
tuation aus? Die Aufgabe in der jetzigen Situation kann
doch nicht darin bestehen, den Konsolidierungskurs der
Bundesregierung aufzugeben. Ernsthaft kann man so et-
was nicht fordern.
Unabhängig von der Tatsache, dass er international ver-
einbart ist, wäre es auch ökonomisch falsch, den Konso-
lidierungskurs aufzugeben. Wir hören ja die Ratschläge
der Verbände und der Länder. Den Konsolidierungskurs
aufzugeben ist falsch, auch wenn jetzt die Forderung ge-
stellt wird: Dann zieht doch die Steuererhöhungen
Entschuldigung , die nächste Stufe der Steuerreform
vor. Ich komme gleich auf die Steuererhöhungen zu spre-
chen. Damit habe ich gar kein Problem.
Nein, weil wir das erklären können. Wir haben gute
Gründe für die Steuererhöhungen. Die werde ich Ihnen
auch gleich darlegen.
Wenn wir der Forderung der Verbände und der Länder,
die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen, nach-
kommen würden, dann müssten wir 14 Milliarden DM ge-
genfinanzieren. Mir hat noch niemand, auch Sie nicht, er-
klärt, wie das durch Umschichtungen möglich sein soll,
obwohl dieser Begriff immer wieder verwendet wird. Ich
sage: Das geht auch gar nicht. Das ist doch klar.
Das Vorziehen der nächsten Stufe der Einkommen-
steuerreform das würde auch die Körperschaftsteuer be-
treffen hieße, das dann entstehende Defizit von 14 Mil-
liarden DM entweder durch höhere Steuern oder durch
Schuldenmachen zu finanzieren.
Eines will ich Ihnen sagen: Was meinen Sie wohl, was
uns die Länderregierungen da kenne ich mich aus , die
jetzt fordern: Zieht das doch vor, wir bekommen das
schon hin, entgegnen würden, wenn wir es täten?
Die Länderregierungen würden uns ganz kühl sagen: Ja,
wir haben natürlich immer gefordert, dass ihr das vor-
zieht; aber bezahlen soll es der Bund allein,
auch wenn das nicht der verfassungsrechtlich garantierten
Aufteilung der Steuern entspricht. Da können Sie ganz si-
cher sein. Der erste Ruf kommt übrigens ganz sicher aus
Bayern.
Was Sie fordern, geht aus vielerlei Gründen nicht. Wir
wollen und müssen den Konsolidierungskurs fortsetzen.
Er ist die Basis für eine vernünftige Zinspolitik der Euro-
päischen Zentralbank. Das muss man genauso klar sehen.
Der von Ihnen vorgeschlagene Weg fällt also aus.
Der Konsolidierungskurs wird also fortgesetzt. Das be-
deutet zugleich, dass die Planbarkeit der Steuerreform, so
wie sie Hans Eichel ins Gesetzblatt gebracht hat, gesichert
bleibt.
Das Zweite, was von uns gefordert wird manchmal,
zunehmend leiser , sind bestimmte Konjunkturpro-
gramme.
Auch die muss man bezahlen: entweder durch eine Er-
höhung der Nettoneuverschuldung das wollen wir ge-
meinsam nicht
sage ich ja: wollen wir gemeinsam nicht oder durch
andere Maßnahmen. Solche Strohfeuerprogramme ma-
chen keinen Sinn.
Lauthals! Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender
aus Ihren Reihen ich glaube, er heißt Rauen forderte
alle naselang:
Nehmt das doch nicht so genau mit der Verschuldung!
Macht doch lieber ein Programm X oder ein Programm Y.
Das hören wir doch ständig; wir tun das aber nicht.
Sie können richtig stellen, dass Sie das nicht wollen.
Dann sind wir einig. Darüber wäre ich froh.
Alle Forderungen nach einer Aufgabe des Konsoli-
dierungskurses werden also von der Opposition nicht
weiter erhoben. Das soll mir gerade recht sein. Das wäre
ein Stück Gemeinsamkeit in der Wirtschaftspolitik, das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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dann aber wenn ich bitten darf beibehalten werden
muss.
Wenn Sie sich unsere Vorstellungen von der Steuerre-
form genau anschauen, dann erkennen Sie ein sehr ausge-
wogenes Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfrage-
seite,
also zwischen der Unternehmensseite die Unterneh-
mensteuern sind reduziert worden und der Nachfrage-
seite, die dadurch profitiert, dass die Masseneinkommen
steigen, wodurch die Binnenkonjunktur angekurbelt wer-
den soll.
Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir,
nach allem, was wir wissen, im September eine Infla-
tionsrate von noch 2,1 Prozent haben werden, zeigt, dass
wir die ernsthafte Chance haben, auch auf dem Binnen-
markt eine Verbesserung zu erzielen. Ich weiß sehr wohl,
dass unser Vorgehen kurzfristig Schwierigkeiten bereitet;
aber es geht mir um die mittel- und langfristigen Wirkun-
gen, die in unserer Steuerreformpolitik angelegt sind.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, über den es zu Recht
Streit gibt. Wir haben gesagt: Wir legen ein Programm
nach innen wie nach außen zur besseren Bekämpfung des
internationalen Terrorismus in einer Größenordnung von
3 Milliarden DM auf. Dieses Programm muss natürlich
finanziert werden. Ich nehme an, dass der Oppositions-
führer gleich die konkrete Finanzierung kritisieren wird.
Das ist gar keine Frage.
Wir finanzieren dieses Programm durch die Erhöhung der
Tabaksteuer und durch die Erhöhung der Versicherung-
steuer beides außerordentlich maßvoll. Beide Schritte
sind Erhöhungen von, wenn man so will, Verbrauchsteu-
ern, was keine direkten Auswirkungen auf Produktion und
vermutlich Verbrauch haben wird. Aber darüber wird
noch zu streiten sein.
Ich kann Ihnen das nicht sagen. Nach Hans Eichels
Rechnungen sind es 3 Milliarden DM. Herr Repnik, wenn
Sie Recht haben, dann werden wir das ist doch klar
eine Debatte über die sinnvolle Verwendung der zusätzli-
chen Einnahmen führen.
Es wird sich dann die Frage stellen, ob man die zusätzli-
chen Einnahmen für bestimmte Aufgaben verwendet oder
ob man sie zum Abbau der Verschuldung einsetzt. Bisher
gehe ich aber davon aus, dass Hans Eichel richtig gerech-
net hat. Herr Glos hat ihn eben Oberbuchhalter der Na-
tion genannt. Sie müssen zugeben: Die Oberbuchhalter
rechnen wenigstens richtig.
Wir werden das also auf diese Weise finanzieren. Das
ist kritisiert worden. Ich glaube aber, dass hier keiner sagt,
man hätte es besser über die Erhöhung der Neuver-
schuldung finanzieren sollen. Das kann man nicht ma-
chen. Es gehört sich nicht, eine aktuelle Aufgabe, die wir
jetzt leisten müssen, durch Verschiebung der Lasten auf
unsere Kinder und deren Kinder zu finanzieren.
Bezüglich der Umschichtung erwarte ich Vorschläge.
Wir haben so gehandelt, wie sich das gehört, wenn man
redlich miteinander auch mit der Öffentlichkeit um-
gehen will. Wir haben klargemacht: Für diese zusätzli-
chen Aufgaben gibt es in einem Haushalt, der sparsamst
angelegt ist auch das wird von Ihnen gelegentlich kriti-
siert , keine andere Finanzierungsmöglichkeit als die, die
wir jetzt ergreifen. Wir haben das den Menschen in
Deutschland gesagt und wir stehen dazu. Weil es eine
überragende aktuelle Aufgabe ist, erfolgt die Finan-
zierung auf diese Weise. Das kann jeder vor dem Hinter-
grund seiner eigenen Überzeugungen bewerten. Wir glau-
ben, dass es eine notwendige Aufgabe ist, die damit
angepackt werden kann und die nicht über eine Verschul-
dung, sondern auf redliche Art finanziert werden sollte.
Ich kann daran nichts Negatives erkennen.
Ich will noch einen Aspekt, der auch diskutiert werden
wird, besonders hervorheben: Wie geht es im nächsten
Jahr weiter? Das beziehe ich jetzt auf diejenigen, die
ebenfalls makroökonomische Daten setzen. Über kurz
oder lang wird es eine Diskussion über die Frage geben,
wie sich Löhne und Gehälter in den nächsten Tarifrun-
den entwickeln.
Die Gewerkschaften auf der einen Seite und die Arbeit-
geber auf der anderen Seite sind Institutionen, die wichtige
makroökonomische Daten setzen. Um allen Diskussionen
zuvorzukommen, will ich sagen: Wer sich einmal anschaut,
wie es im Jahre 2000 ablief, als wir im Vorfeld wilde Spe-
kulationen darüber hatten, wie sich die beiden Seiten ver-
halten würden, und als wir im Nachgang alle miteinander
anerkennen mussten, dass sie sich gesamtwirtschaftlich
außerordentlich vernünftig verhalten haben, der kann doch
aus all dem Positiven, das wir mit der Tarifautonomie in der
Vergangenheit erlebt haben, nur den Schluss ziehen, dass
jene gesamtwirtschaftliche Vernunft, die natürlich gerade
in der Krise nötig ist Sie haben die außenwirtschaftlichen
Risiken zu Recht genannt , auch die Optionen und die
Handlungen der Tarifparteien im nächsten Jahr beeinflus-
sen wird. Ich jedenfalls vertraue den Tarifparteien.
Ich hatte bisher keinen Grund zur Enttäuschung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Zusammengefasst: Wir haben eine gefährliche Situa-
tion das kann niemand ernsthaft bestreiten , die uns
Sorge macht, die uns aber nicht in Angst versetzen sollte
uns hier sowieso nicht, aber auch nicht die anderen Ak-
teure in der Volkswirtschaft: die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer sowie die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher. Wir können die Sorgen verstehen; Angst ist aber
überflüssig. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Daten-
kranz unserer Volkswirtschaft so positiv ist, dass wir nach
kurzfristiger Eintrübung sicher damit rechnen können, im
nächsten Jahr ordentliche Wachstumsraten zu erzielen.
Alle Zeichen ungeachtet der Eintrübung, die wir gegen-
wärtig feststellen deuten darauf hin.
Unsere Aufgabe, der wir uns stellen sollten, ist schlicht
und einfach, die positiven Aspekte dieser Entwicklung zu
unterstützen. Wir sollten klar machen ganz im Sinne
dessen, was Sie gesagt haben , dass in jeder Krise auch
eine Chance liegt. Diese Chance sollten wir ergreifen, in-
dem wir wir wollen nicht die Entwicklung schönreden;
das wäre genauso verkehrt nicht ein Gefühl von Sorge
und Angst verstärken, das subjektiv verständlich ist, für
das es aber in diesem Ausmaß objektiv keinen Grund gibt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch internatio-
nale Zusammenarbeit auf politischem und auf ökonomi-
schem Gebiet dieser Krise Herr werden. Ich bin auch davon
überzeugt, dass die internationale Staatengemeinschaft und
die zivilisierte Welt nach dieser Krise enger zusammenge-
wachsen sind und enger zusammenarbeiten als in der Zeit
davor. Dazu einen Beitrag zu leisten sehe ich als Deutsch-
lands Aufgabe und als Aufgabe des gesamten Hauses an.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
kanzler, Sie haben hier in der letzten Woche eine Regie-
rungserklärung abgegeben und auch heute in dieser De-
batte das Wort ergriffen. Ich habe Ihnen in der letzten
Woche geantwortet, dass es aus unserer Sicht eine wür-
dige Regierungserklärung gewesen ist. Dass Sie aller-
dings morgens im Deutschen Bundestag eine Regie-
rungserklärung abgegeben haben und die Abgeordneten
später auf dem Nachhauseweg aus den Nachrichten er-
fahren haben, dass Sie anschließend, also am Nachmittag,
im Kabinett beschlossen haben, die Steuern zu erhöhen,
das war absolut unwürdig, Herr Bundeskanzler.
Ich muss den Abgeordneten der Sozialdemokraten sagen:
Das hat nichts mehr mit Parteien zu tun. Das ist eine Frage
des Respekts gegenüber dem Deutschen Bundestag. Hat
Herr Müntefering Sie so eingeschüchtert, dass Sie so et-
was durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Sie können sich in der Außen- und Sicherheitspolitik
auf die Opposition verlassen. Das wissen auch Sie; denn
wir haben es Ihnen in der letzten Woche verschiedentlich
gesagt. Die Opposition weiß, dass sie hier Verantwortung
wahrzunehmen hat. Wir werden zuverlässig und staatspo-
litisch verantwortungsvoll handeln.
Herr Bundeskanzler, Ihr Problem in der Außen- und Si-
cherheitspolitik ist doch nicht die Opposition. Ihr Problem
ist in Wahrheit Ihr grüner Koalitionspartner, Ihre eigene
Regierung.
Sie haben im Sommer dieses Jahres in der Mazedonien-
frage keine eigene Mehrheit gehabt. Deswegen haben Sie
in Brüssel über dieses Mandat ungewöhnlich schlecht
verhandeln können. In der Abstimmung im Deutschen
Bundestag hatten Sie keine eigene Mehrheit. Die Koali-
tion brachte in der Frage der Mandatierung der deutschen
Soldaten in Mazedonien nicht einmal eine eigene Mehr-
heit zustande. Sie waren auf die Unterstützung aus den
Reihen der Oppositionsfraktion angewiesen. Das ist we-
niger innenpolitisch ein Problem. Das ist vielmehr außen-
politisch ein Problem, weil Sie als unser Vertreter im Aus-
land dann auch nicht so frei und so souverän verhandeln
können, wie Sie verhandeln müssten, wenn es um ent-
sprechende außenpolitische Aufträge geht.
Jetzt erleben wir wieder genau dasselbe. Herr Bundes-
kanzler, Sie sprechen von der uneingeschränkten Solida-
rität zum Bündnis. Der Bundesverteidigungsminister er-
klärte heute völlig zu Recht, dass er damit rechne, dass
dieser Bündnisfall jetzt auch tatsächlich festgestellt wird.
Das ist alles richtig. Nur, Sie richten Ihre diesbezüglichen
Ausführungen in Richtung Opposition. Eigentlich müss-
ten Sie jedes Mal, wenn Sie solche Ausführungen
machen, Ihren Blick von der Opposition weg hin zu Ihren
eigenen Leute richten. Die sind nämlich das große Pro-
blem!
Sie rufen dazwischen: Uns kennt er ja. Das ist ja das
Problem: Weil er euch kennt, hat er diese Schwierig-
keiten.
Das große Problem, das wir in der Außenpolitik haben,
ist, dass ein Landesverband der Grünen nach dem ande-
ren im wahrsten Sinne des Wortes von der Fahne geht.
Eines geht nicht: dass Sie vor lauter Überzeugungsar-
beit in der eigenen Koalition Ihre Hausaufgaben nicht
mehr machen. Ich sage Ihnen: Deutschland hat eine Re-
gierung verdient, die eine vernünftige Außenpolitik und
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Bundeskanzler Gerhard Schröder
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eine vernünftige Innenpolitik macht. Davon kann in kei-
ner Weise die Rede sein.
Die Ausstattung der Bundeswehr ist immer noch kärg-
lich. Dann haben wir jetzt erlebt, wie Sie einen neuen Fi-
nanzierungsvorschlag gemacht haben; auf den Umgang
mit und auf das Verfahren gegenüber dem Parlament habe
ich bereits Bezug genommen. Dabei geht es um 3 Milli-
arden DM bei einem Haushalt von fast 500 Milliar-
den DM. Der Finanzminister und der deutsche Bundes-
kanzler sagen, nicht einmal 3 Milliarden DM könnten sie
in einem Haushalt von fast 500 Milliarden DM durch Um-
schichtungen erwirtschaften. Das ist eine Bankrotter-
klärung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Es ist in Wahrheit ökonomisch nicht überzeugend, was
Sie gemacht haben. Finanzpolitisch ist es doch auch nicht
überzeugend. Sie erzählen, Sie müssten jetzt die Tabak-
steuer und die Versicherungsteuer erhöhen, damit ein Pa-
ket für innere Sicherheit beschlossen werden könne. Das
ist übrigens ein Popanz und ein Vorwand. Gesetzesände-
rungen kosten kein Geld. Wenn Sie das Vereinsprivileg
für extremistische religiöse Organisationen aufheben,
kostet das den Steuerzahler keinen Pfennig. In Wahrheit
haben Sie einen Vorwand für Steuererhöhungen gesucht.
Ich sage Ihnen: Das war der Beginn einer Steuererhö-
hungsspirale, aber das Gegenteil wäre in Deutschland
nötig.
Das ist doch eine völlig konzeptionslose Finanzpolitik.
Die Rente bezahlen wir angeblich an der Tankstelle, über
die Ökosteuer. Die innere Sicherheit sollen wir jetzt durch
das Rauchen bezahlen. Rauchen für die Sicherheit,
Rasen für die Rente das ist keine Finanzpolitik, das ist
gaga. Das hat keine Konzeption, das ist doch nicht über-
zeugend!
Als ob irgendeine dieser Steuereinnahmen an irgendeiner
Stelle zweckgebunden wäre! Auch wenn Sie in der
Außenpolitik die Rückendeckung der Opposition haben:
In der Innenpolitik werden wir Ihnen diese Auseinander-
setzung nicht ersparen, weil das Nachdenken darüber in
diesem Hause nicht aufgehört hat.
Was ist denn von all Ihren Äußerungen übrig geblie-
ben, Herr Innenminister? Am Vormittag haben Sie, gera-
dezu zur Begeisterung der Opposition und zum Erschau-
dern Ihres grünen Koalitionspartners, eine Rede gehalten,
die bemerkenswert war. Übrigens, Herr Glos, auch die In-
tonierung war in meinen Augen völlig unproblematisch.
Wenn man in einer solchen Situation wie eine Maschine
redet, hat man eher Probleme. Sie haben hier gesagt, was
Sie alles machen wollen, alles machen werden, was pas-
sieren müsste, und haben von Fingerabdrücken gespro-
chen. Nichts von dem haben Sie am Nachmittag be-
schlossen. Warum haben Sie es nicht beschlossen? Weil
Sie für das ganze Paket der inneren Sicherheit in Wahrheit
keine Einigkeit mit Ihrem grünen Koalitionspartner hin-
bekommen. Das hat Deutschland nicht verdient!
Es ist doch jedes Mal dasselbe: Bei der Zuwanderung
möchten Sie und wir wollen auch. Dann machen Sie doch
endlich! Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen.
Bei der inneren Sicherheit möchten Sie und wir wollen
auch. Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen. Bei
der Außenpolitik möchten Sie und wir wollen endlich
auch. Machen Sie! Sie machen nicht, weil die Grünen Ih-
nen jedes Mal Knüppel zwischen die Beine werfen.
Genau das ist die Lage.
Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir völlig klar.
Aber das werden Sie noch häufiger hören.
Weil Sie den Zwischenruf Hamburg, innere Sicher-
heit gemacht haben:
Sie werden den Freien Demokraten kaum vorwerfen kön-
nen, dass sie bei der inneren Sicherheit in Koalitionsver-
handlungen das vorsehen, was Herr Schily hier vorgelegt
hat.
Das mag Ihnen vielleicht unangenehm sein.
Und noch etwas: Wer in Berlin, in Mecklenburg-Vor-
pommern und in Sachsen-Anhalt mit der PDS regiert, der
erzählt mir in Koalitionsfragen ganz gewiss nicht, was die
moralischen Maßstäbe in Deutschland sind. Das verges-
sen Sie einmal ganz schnell!
Dann lese ich eine Agenturmeldung über Herrn
Müntefering. Herr Müntefering sagt, die CDU höre, wenn
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Dr. Guido Westerwelle
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sie jetzt in Hamburg verhandle, auf, eine große liberale
Volkspartei zu sein, und die FDP höre damit auf, eine
liberale Partei zu sein.
Der Mann, der Abgeordnete seiner eigenen Partei so un-
ter Druck setzt, dass er eine Strafanzeige aus diesen Rei-
hen bekommt, erzählt mir doch nicht, was liberal in
Deutschland ist! Das haken Sie einmal ab!
Es fehlt Ihnen in dieser Regierung in der Innen-, Wirt-
schafts- und Finanzpolitik an Gestaltungskraft. Das ist das
große Problem. Da Sie die ganze Zeit das Wort Makro-
ökonomie so bemüht haben ich war tief beeindruckt,
Herr Bundeskanzler , möchte ich das noch einmal auf
den Punkt bringen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Makroökonomie
sprechen, dann müssten Sie feststellen, dass sich die
japanische Wirtschaft in Wahrheit schon längst in einer
Rezession befindet. Sie müssten ferner feststellen, dass
sich die amerikanische Wirtschaft in der Gefahr befindet,
in eine Rezession zu kommen. Schließlich müssten Sie
feststellen, dass Deutschland die Wirtschaftslokomotive
in Europa und Europa die Wirtschaftslokomotive in der
Welt werden müsste. Das erreichen Sie nicht, indem Sie
die Konjunktur durch Steuererhöhungen abwürgen.
Durch Steuersenkungen könnten Sie dies erreichen.
Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen uns
als Opposition und Ihnen als Regierung.
Die Regierung sagt: Deutschland kann sich Steuersen-
kungen nicht leisten. Die Opposition sagt: Wir können es
uns nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzichten. Nur
durch Steuersenkungen springt die Konjunktur an und es
könnten endlich neue Arbeitsplätze in Deutschland ge-
schaffen werden. Es kann nämlich nur derjenige Steuern
zahlen, der Arbeit hat.
Zur Erreichung dieses Ziels müssten wir die Steuer-
senkungsakzente durchsetzen; zumindest müsste die
nächste Stufe der Ökosteuer ausgesetzt werden. Sie hätten
auf die Steuererhöhungen verzichten müssen.
Sie reden das ist der pawlowsche Reflex des Finanz-
ministers von einem Finanzbedarf in Höhe von 3 Milli-
arden DM und erhöhen die Steuern. Die Auseinanderset-
zungen im Golf haben etwa 17 Milliarden DM gekostet.
Um wie viele Punkte wollen Sie die Mehrwertsteuer ei-
gentlich erhöhen, wenn wir in die Situation kommen? Sie
werden die Steuern immer weiter erhöhen. Das ist Gift für
die Wirtschaft. Sie vergessen immer, dass die Versiche-
rungsteuer Gift für den Mittelstand ist. Herr Bundeskanz-
ler, Sie orientieren sich immer noch an Holzmann und
nicht am Mittelstand. Das ist ein Problem.
Hier muss Klartext geredet werden.
Sie müssen in der Lage sein, neben einer Steuersen-
kungspolitik ein Sofortprogramm für mehr Wirt-
schaftswachstum und Beschäftigung aufzulegen. Das
fordern wir von Ihnen. Das hat mit Konjunkturprogram-
men überhaupt nichts zu tun. Diesen Unterschied wollen
Sie ja bewusst verwischen, Herr Wirtschaftsminister.
Es geht darum, dass in Deutschland die Strukturen ver-
ändert werden müssen.
Dazu zählen die Steuerstruktur, die Frage der Steuerver-
einfachung und die Entbürokratisierung. Allein der Mit-
telstand leidet unter Bürokratiekosten in Höhe von
60 Milliarden DM jährlich. Dazu zählt auch, dass Sie das
Arbeits- und Tarifrecht endlich flexibilisieren. Auch das
muss ausgesprochen werden.
Es mag sein, dass Ihnen das nicht gefällt,
weil 85 Prozent der SPD-Abgeordneten Mitglied in einer
Gewerkschaft sind. Das ist akzeptabel und nachvollzieh-
bar.
Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte in
der Zeit auf die Frage, ob der Flächentarifvertrag am
Ende sei: Leider nein. Es wäre zum Abbau der hohen Ar-
beitslosigkeit aber wünschenswert, dass der flächen-
deckende Lohntarif an sein Ende gebracht würde. Das
sagt nicht die Opposition, das sagt Helmut Schmidt. Vor
dem werden Sie hoffentlich Respekt haben, meine sehr
geehrten Damen und Herren.
Herr Bundeskanzler, gerade Volkswagen hat ja gezeigt,
dass wir in den Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern
und Unternehmensführungen zu mehr Betriebsnähe kom-
men müssen. Das ist notwendig. Wir wissen, dass es
natürlich auch dazu kommen wird. Es ist nur eine Frage
der Zeit.
Die Bundesregierung antwortet auf die Frage nach der
Lage der Konjunktur in Europa das müssen wir Ihnen
vorhalten mit seltsam gewundenen Erklärungen. Tatsa-
che ist, dass es auch früher Zeiten schlechten Wirtschafts-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Guido Westerwelle
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wachstums gab. Da waren wir aber wenigstens, relativ ge-
sehen, an der Spitze in Europa. Der Unterschied jetzt ist,
dass wir beim Wirtschaftswachstum seit zwei, drei Jahren
im Vergleich aller Euroländer das Schlusslicht bilden. Das
hat nichts mit globaler Weltwirtschaft zu tun.
Das hat etwas damit zu tun, dass wir offensichtlich durch
nationale Wirtschaftspolitik mit den Veränderungen der
Weltwirtschaft schlechter zurechtkommen als alle ande-
ren Euroländer.
Das muss von Ihnen aufgegriffen werden. Sie können
nicht mit ruhiger Hand regieren. Hier ist eine handelnde,
eine zupackende Hand gefragt. Die Strukturen müssen
verändert werden. Das ist dann auch die Stunde, in der die
Opposition das bei Ihnen einklagen darf. Darauf kommt
es jetzt an.
Sie sprechen in einem Interview ich habe es dabei
davon, dass es kein Wunder sei, dass das Wirtschafts-
wachstum in Deutschland schlechter sei als in den ande-
ren europäischen Ländern, wir seien ja schließlich auch
anders als andere europäische Länder eine gesättigte
Volkswirtschaft.
Das ist wirklich bemerkenswert. Sie sind den ganzen
Sommer über durch Ostdeutschland gereist. Sie sind in
Regionen mit einer Arbeitslosenquote von 20, 30 und
mehr Prozent gewesen und sprechen von einer gesättigten
Volkswirtschaft zur Entschuldigung Ihrer verfehlten Wirt-
schaftspolitik. Herr Bundeskanzler, das geht daneben und
es wird Ihnen nicht gelingen, uns von Ihrer Politik zu
überzeugen.
Nein, Herr Bundeskanzler, Sie können sich in der
Außen- und Sicherheitspolitik, Sie können sich in der
Friedenspolitik darauf verlassen, dass die Opposition
weiß, was Staatsräson ist. Das müssen Sie eher Ihrem grü-
nen Koalitionspartner erklären.
Aber Sie müssen davon ausgehen, dass wir, wenn Sie be-
züglich der inneren Sicherheit nur Maßnahmen ankündi-
gen, aber nicht handeln, dies auch erwähnen,
dass wir auch erwähnen, dass Sie in der Wirtschaftspoli-
tik den falschen Weg gehen. Dass Sie in der Bildungspo-
litik nicht zu Potte kommen und in Wahrheit die Zukunfts-
chancen der jungen Generation immer schlechter werden
lassen, werden wir auch erwähnen. Das Nachdenken ist
jetzt nicht beendet. Ganz im Gegenteil: Wir wissen, dass
wir in der Außen- und Sicherheitspolitik Verantwortung
wahrnehmen. In der Innenpolitik werden Sie die scharfen
Worte der Opposition nicht vermissen. Das versprechen
wir Ihnen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Rezzo Schlauch vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, letzte Woche haben Sie hier den Staatsmann
dargestellt. Heute hat es offensichtlich zu nicht mehr ge-
reicht als zu dem kleinkarierten Redner, der die nationa-
len Dimensionen aus dem Papierkorb recycelt.
Zwischen diesen beiden Rollen liegt eine erhebliche Dis-
krepanz.
Ich glaube, dass wir nicht so weiterdiskutieren können
wie vor dem 11. September.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein Zitat des Schrift-
stellers Durs Grünbein vortragen. Er hat geschrieben, dass
die Druckwelle nach den Terroranschlägen so stark
war,
dass sie jeden einzelnen Körper in Europa getroffen
hat. Zum ersten Mal hat ein Drehbuch die wichtigen
Schauplätze der Welt kurzgeschlossen. Es ist der
Moment der Sichtbarwerdung einer globalen Regie.
Diese globale Regie der Terroristen hat zur Überra-
schung vieler und sicher zur größten Überraschung der
Terroristen selbst durch die Bildung einer bisher nie da
gewesenen weltweiten Antiterrorkoalition zu einer globa-
len Antwort geführt. Das ist ein Riesenschritt nach vorne,
hin zu einer zivileren Welt. In diese Richtung sollten wir
in der Staatengemeinschaft weitergehen.
Herr Westerwelle, da haben Ihre Ideen vom Rückzug
des Staates aus der Gesellschaft und auch aus der Ökono-
mie, da haben Ihre Ideen vom minimal state heutzutage
überhaupt keine Konjunktur. Das sollten Sie mit auf den
Weg nehmen.
Wir versuchen uns heute beim Haushalt 2002 darüber
zu verständigen, welche Veränderungen dies sind, und vor
allem, in welche Richtung und von welchen Grundsätzen
her wir diese Veränderungen politisch begleiten wollen.
Damit können wir heute nur beginnen, wir müssen aber
beginnen.
Veränderung bedeutet auch, sich selbst und sein Han-
deln im Lichte dieser Veränderung kritisch zu überprüfen
und neu zu überdenken. Ein zentraler Fokus unserer Poli-
tik muss dabei das berechtigte Interesse der Bevölkerung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Guido Westerwelle
18377
sein, in einem Land zu leben, das die Sicherheit der Men-
schen gewährleisten kann.
Um die Sicherheitsvorkehrungen der neuen Lage an-
zupassen, haben wir erste Schritte unternommen, Herr
Westerwelle. Vielleicht ist Ihnen dies entgangen. Die Ver-
breitung von Hass und Gewalt unter dem Deckmantel des
Religionsprivilegs ist kein schutzwürdiges Gut.
Deshalb wird dieses Privileg fallen. Es ist ebenso richtig,
dafür zu sorgen, dass die Polizei und auch die Nachrich-
tendienste ihren Aufgaben besser, effizienter nachkom-
men können und dass die Sicherheit auf den Flughäfen er-
höht wird. Aber statt des von Ihnen, meine Damen und
Herren Kollegen von der Opposition, lange hochgehalte-
nen Bank- und Steuergeheimnisses müssen wir effiziente
Kontroll-, Überwachungs- und Beschlagnahmungsinstru-
mente für internationale und nationale Finanztransfers
ermöglichen, um die finanziellen Lebensadern des Terro-
rismus auszutrocknen.
Dass damit auch sonstige illegale Finanztransfers auf den
Schirm der Fahnder geholt werden können, ist von uns
ausdrücklich gewünscht.
Es gibt aber auch falsche Freunde der Freiheit: Wer wie
der Herr Scholz von der CDU generell den Einsatz der
Bundeswehr im Innern des Landes fordert, dem geht es
nicht um Sicherheit, sondern derjenige will, dass diese
Republik ein anderes Gesicht bekommt. Er will aus einer
offenen eine autoritäre Gesellschaft machen. Wir, Herr
Glos, wollen diese offene Gesellschaft und ihre Werte ver-
teidigen.
Bei allen Maßnahmen zur Verbesserung der inneren
Sicherheit werden wir Grünen Herr Glos, das ist die
Antwort auf Ihre Frage die Messlatte des liberalen
Rechtsstaats anlegen. Angesichts der wenigen Differen-
zen, Herr Innenminister, bin ich mir sicher, dass uns die-
ses Rechtsstaatsprinzip eint, und zwar nicht nur in seiner
formalen, sondern auch in seiner materiellen Substanz. So
jedenfalls kenne ich Sie aus alten Zeiten.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger
Volmer, hat angesichts der Anschläge in New York und
Washington und ihrer Folgen zu Recht davon gesprochen,
dass wir an einer sicherheitspolitischen Stunde Null an-
gekommen sind. Wir sind in diesem Lichte aufgefordert,
die Strukturreform der Bundeswehr noch einmal genau
unter die Lupe zu nehmen. Es lohnt sich, die Ergebnisse
der Weizsäcker-Kommission noch einmal zu studieren.
Die Bundeswehr steht das wissen wir spätestens seit der
gestrigen Rede von Putin im Bundestag nicht mehr vor
der Aufgabe, das Land gegen anstürmende Panzerdivisio-
nen aus dem Osten zu verteidigen, die durch das Fulda-
Gap brechen. Vielleicht muss die Strukturreform radika-
ler ausfallen und schneller umgesetzt werden. Eines aber
darf und wird mit unserer Stimme nicht geschehen: Wir
werden kein neues Geld in alte Strukturen stecken.
Ich vermute, dass es auch bei unseren Partnern, bei-
spielsweise den USA bezüglich der Raketenabwehrkon-
zepte, ein Überdenken der überkommenen Sicherheits-
konzepte geben wird, nachdem die schreckliche Ver-
wundbarkeit unserer Gesellschaften so offen zutage ge-
treten ist. Eine Lehre hieraus muss sein: Sicherheitspoli-
tik kann nur multilaterale Politik sein.
Der Finanzminister hat Herr Westerwelle, Sie haben
es selbst gesagt durch geringfügige Steuererhöhungen
auf Zigaretten und Versicherungen 3 Milliarden DM mo-
bilisiert.
Damit werden die Maßnahmen zur Verbesserung der in-
neren und äußeren Sicherheit finanziert. Gleichzeitig
führen wir den Konsolidierungskurs fort. Für unsere
Volkswirtschaft ist dies der richtige Kurs. Er ist für die Er-
weiterung der zukünftigen Gestaltungsräume und die
Handlungsfähigkeit der Politik, gerade auch auf interna-
tionaler Ebene, von grundsätzlicher Bedeutung. Was
nötig ist, wird finanziert, aber das wirtschaftliche und fi-
nanzpolitische Rückgrat unserer Reformpolitik wird die-
ser notwendigen Reaktion nicht geopfert. Das ist verant-
wortliche Politik unter außergewöhnlichen Umständen.
Herr Westerwelle, das ist der wohltuende Unterschied
zu Ihnen: Sie polemisieren gegen eine vergleichsweise
geringfügige Steuererhöhung, wohl wissend, dass Sie
1991 den Scheck für den Golfkrieg in Höhe von 17 Mil-
liarden DM genau mit den gleichen Steuererhöhungen
plus einer schlagartigen Erhöhung der Mineralölsteuer
um 22 Pfennig finanziert haben.
Darüber hinaus hört man aus der Opposition, dass die
nächsten Stufen der Steuerreform mit 45 Milliarden DM
Belastung auf der Sollseite vorgezogen werden sollen.
Das ist der Weg zurück in den Schuldenturm. Der ist mit
uns nicht zu machen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Rezzo Schlauch
18378
Ein sehr ernstes Problem bleibt aus unserer Sicht; das
wissen wir. Das Problem wird durch eine große Unsi-
cherheit darüber, wie sich die weltkonjunkturelle Lage
unter dem Eindruck der Ereignisse in diesen Wochen ent-
wickelt, noch ernster. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch.
Für uns Grüne heißt das: Wir müssen etwas für die Re-
form des Arbeitsmarktes tun und wir werden etwas tun.
Die grüne Fraktion hat schon vor der Sommerpause Eck-
punkte verabschiedet Herr Kollege Struck, ich glaube,
jetzt geht es an unsere gemeinsame Adresse , in denen
aufgezeigt wird, dass wir mehr Brücken in den ersten Ar-
beitsmarkt bauen müssen. Es geht darum, Menschen weg
von Transferleistungen in richtige Beschäftigungsverhält-
nisse zu bringen. Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ist eine
Frage der Gerechtigkeit. Es geht nicht nur um die Höhe
und Ausstattung von Transferleistungen.
Deshalb begrüßen wir das Job-Aqtiv-Gesetz. Darüber
hinaus wollen wir aber über ein Einstiegsgeld diskutieren,
das heißt, dass Transferleistungsempfänger bis zu 50 Pro-
zent des eigenen Verdienstes ohne Anrechnung behalten
dürfen. Das wollen wir auch umsetzen.
Die Überwindung der Teilzeitmauer durch staatlichen
Zuschuss zu den Lohnnebenkosten bei Geringverdienern
ist eine weitere Idee, die wir ernsthaft prüfen wollen. Die
Instrumente müssen breit angelegt sein, beworben und er-
klärt werden. Ich bin sicher, wenn wir das tun, können wir
noch mehr Menschen was wir alle wollen in Arbeit
bringen.
Wir haben bisher, Herr Westerwelle, noch viel zu oft
auch in Haushaltsberatungen und auch wenn dies ein na-
tionaler Haushalt ist mit der nationalen Brille auf der
Nase, und zwar mit einem zu engen Blick aus den Zeiten
relativ geschlossener Nationalwirtschaften und -gesell-
schaften, über Politik diskutiert. Diese Zeiten sind darüber
sind wir uns doch hoffentlich einig vorbei. Sowenig uns
heute die Sehnsucht nach ruhigeren und überschaubareren
Zeiten hilft, die notwendigen sicherheitspolitischen Ent-
scheidungen zu treffen, sowenig können wir uns in ande-
ren Politikfeldern von dieser Sehnsucht leiten lassen. Der
Blick nach innen, Abschottung, der Gang zurück oder der
Gang alleine sind heute keine möglichen politischen Stra-
tegien mehr; schon gar nicht ein wie auch immer ausse-
hender deutscher Sonderweg.
Das gilt auch Herr Kollege Westerwelle in diesem
Punkt sind Sie irgendwie auf dem völlig falschen Damp-
fer für die Einwanderungsdebatte.
Es ist richtig: Wir halten an unserem Vorhaben fest, auch
wenn es jetzt Stimmen gibt die kommen woanders her ,
die aus der Unsicherheit der Bevölkerung wieder einmal
politische Münze schlagen wollen. Wir werden es nicht
zulassen, dass angesichts der Katastrophe aus parteipoli-
tischen Gründen zu einer gesellschaftlichen Vogel-
Strauß-Politik zurückgekehrt wird, nach dem Motto,
Deutschland sei kein Einwanderungsland und solle auch
keines werden. Eine solche Vorstellung gleicht einer Rea-
litätsverweigerung, die in der Vergangenheit nicht zuletzt
aufgrund des langjährigen Engagements der Grünen auf
diesem Politikfeld überwunden werden konnte.
Wir werden uns in der Koalition über den vorliegenden
Gesetzentwurf verständigen; da bin ich sicher. Wir müs-
sen uns nur über eines im Klaren sein: Wir brauchen die
Einwanderung. Wenn das aber so ist das ist unser An-
satz , dann darf es nicht sein, dass der politische Preis
für diejenigen, die wir brauchen, von denjenigen bezahlt
wird, die uns brauchen. Diese Aussage stammt vom
Kollegen Hirsch und ihr ist nichts hinzuzufügen.
Nach den Ereignissen in New York und Washington ist
es endgültig zu einem Imperativ der Politik geworden:
Wir müssen unsere Vorstellungen von sozialer Sicherheit
und gesellschaftlicher Gerechtigkeit unter den Bedingun-
gen der Globalisierung neu buchstabieren. Der Entwick-
lungshilfeetat und alle jene Bereiche, die heute zu einer
auswärtigen Politik gehören, sind in vieler Hinsicht noch
nicht so ausgestattet, wie wir es uns wünschen. Deshalb
werden sich beide Fraktionen in den Beratungen be-
mühen, schon im Haushalt 2002 die Etats aufzustocken
und mehr zu tun.
Der Kampf gegen den globalen Terrorismus ist jen-
seits der notwendigen Repression zuallererst ein Ringen
um politische Lösungen und damit um eine kooperative
Weltordnung in allen relevanten politischen Bereichen.
Das ist die bitter notwendige Voraussetzung für Frieden
und Wohlstand auch bei uns zu Hause, hier in Europa. Wir
alle wollen, dass sich solche Angriffe auf das Leben Tau-
sender unschuldiger Menschen nicht wiederholen; nicht
in den USA, nicht in Europa. Aber wer das erreichen will,
der muss auch politisch dazu beitragen, dass Terror nir-
gendwo stattfindet: nicht in New York, nicht hier, aber
auch nicht in Ruanda, in Sierra Leone, in Afghanistan
oder in Israel.
Wir haben erlebt, wie das Primat der Politik auf ganz
fürchterliche Weise wieder in das Bewusstsein der Men-
schen, auch in unser eigenes Bewusstsein, zurückgekehrt
ist. Das muss eine Handlungsanleitung sein. Wir leben
heute in der einen Welt, ob es uns gefällt oder nicht. In die-
ser einen Welt müssen wir zu einer Neubewertung der in-
ternationalen Interessenspolitik kommen. Hier haben
früher die Dritte-Welt-, heute die Eine-Welt-Aktivisten
wertvollste Pionierarbeit geleistet. Es wird hohe Zeit, dass
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Rezzo Schlauch
18379
wir die Erfahrungen nehmen und sie zur Lösung der stra-
tegischen Überlebensfragen für die ganze Welt einsetzen.
Hilfe für die ärmeren Länder beim Zugang zum und bei
der Integration in den Weltmarkt, fairer Handel, klassi-
sche Projekthilfe, weitere Entschuldungsinitiativen, Hilfe
zum technologischen Anschluss an die führenden
Industrienationen oder beim Aufbau von Zivilgesell-
schaften in Krisengebieten: Das sind die dringenden Auf-
gaben von heute.
In diesem Kontext ist der Stabilitätspakt, aber auch das
Handeln der NATO in Mazedonien, ein gelungenes Bei-
spiel dafür, wie sich unsere Politik entwickelt. Der Stabi-
litätspakt ist maßgeblich von der Bundesregierung mit auf
den Weg gebracht worden. Von hier aus müssen wir wei-
tergehen; auf dem Balkan, aber nicht nur dort.
Durch Spekulation laufen die Finanzmärkte immer
wieder Gefahr, das Funktionieren ganzer Volkswirtschaf-
ten zu untergraben, wie die Finanzkrisen in Mexiko, in
Südostasien oder in Russland gezeigt haben. Das hat ganz
unmittelbare Folgen auch für uns in Europa. Die Finanz-
märkte müssen durch ein internationales Insolvenzrecht
kontrollierbar werden. Die Frage der Entschuldung der
ärmsten Länder muss weiter auf der Agenda bleiben.
Dabei sollten wir uns auch nicht scheuen, Lösungs-
ansätze zu diskutieren, die im Moment dem realpoliti-
schen Auge noch nicht reif genug erscheinen mögen.
Dazu gehört auch die Tobin-Steuer, die ernsthaft erörtert
werden muss.
Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS, ich
empfehle Ihnen, unser Wahlprogramm durchzulesen. Da
werden Sie das finden. Das ist überhaupt keine Überra-
schung.
Wenn wir die internationalen Finanzströme des Terro-
rismus trockenlegen wollen und müssen, können wir dann
nicht auch Steuerschlupflöcher stopfen, durch die sich
Teilnehmer und insbesondere Spekulanten der Weltwirt-
schaft ihrer Verantwortung entziehen? Ich glaube, diese
Frage muss wirklich ernsthaft gestellt werden.
Dies alles sind Schritte zu einer gerechteren Weltwirt-
schaftsordnung und zur Hilfe für Länder, die historisch ei-
nen hohen Preis gerade für unseren Wohlstand bezahlt ha-
ben und immer noch bezahlen.
Meine Damen und Herren, wir werden diese Woche
den Haushalt weiter beraten, die einzelnen Politikfelder
durchgehen und über die richtigen Konzepte streiten.
Aber wir wissen auch: Mit der Entscheidung zu Mazedo-
nien, aber viel mehr noch mit den weiteren Auseinander-
setzungen um die Folgen des Anschlages vom 11. Sep-
tember kommen große Aufgaben auf Regierung und
Parlament zu. Wir sollten diese Aufgaben im Geiste einer
Politik angehen, wie ich sie zu skizzieren versucht habe.
An dieser Stelle möchte ich dem Außenminister für
seine Bemühungen um einen Waffenstillstand in Nahost
ausdrücklich danken.
Heute treffen sich Peres und Arafat, denen wir von hier
aus ein erfolgreiches Gespräch wünschen.
Dies ist ein Beispiel dafür, wie aus grüner Sicht Grundli-
nien einer Politik aussehen müssen, die Deutschland im
Zeitalter der Globalisierung und neuer Bedrohungen ent-
wickeln kann und muss und nach außen vertreten sollte.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Gregor Gysi, PDS-Fraktion, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Herr Schlauch, Sie haben uns empfoh-
len, einmal Ihr Wahlprogramm zu lesen. Ich empfehle der
grünen Fraktion, gelegentlich einmal wieder ihr eigenes
Wahlprogramm zu lesen. Dann werden Sie feststellen,
wie wenig davon in der Regierungspolitik umgesetzt ist.
Unseres können Sie auch lesen; das trägt immer zur
Läuterung und Bildung bei.
Man kann in diesem Jahr die Haushaltsdebatte nicht so
führen wie früher; das liegt einfach an den Ereignissen
vom 11. September. Mehr oder weniger wirkte sich das
auf alle Reden des heutigen Tages aus, vielleicht bei Herrn
Westerwelle etwas weniger als bei den anderen. Die Er-
schütterung bei unserer Bevölkerung und weltweit hat
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Rezzo Schlauch
18380
zum Ausdruck gebracht, dass Terror auf unserem Erdball
in keiner Form akzeptiert werden kann.
Es war auch ganz wichtig, dass dieses Haus einmütig ge-
gen den Terror Stellung genommen und auch einmütig
Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika und
dem amerikanischen Volk bekundet hat.
Die Ergreifung der Täter ist ein ganz wichtiger Um-
stand bei der Bekämpfung des Terrorismus. Niemand, der
so etwas veranlasst oder unterstützt oder sich in sonstiger
Form an einer solchen Tat beteiligt, darf damit durch-
kommen. Die Hintermänner sind das muss man sich
einmal klar machen selbst reich und bringen junge Män-
ner dazu, ihr eigenes Leben wegzuwerfen. Sie radikali-
sieren diese jungen Männer und machen sie extremistisch,
wodurch Tausende Unschuldige zu Schaden kommen.
Dazu kann ich nur sagen: Das darf ihnen nicht durchge-
hen; sie müssen wissen, dass die gerechte Strafe sie trifft.
Das setzt natürlich einen Nachweis, Ortung und Aus-
lieferungsanträge und im Falle der Ablehnung auch Ak-
tionen voraus, um die Täter zu ergreifen. Diesbezüglich
sind wir auch bereit, über alle Varianten zu diskutieren.
Nur sind Militärschläge oder Krieg mit Sicherheit die
falsche Antwort. Nun gibt es doch viele Truppenvorberei-
tungen, die zumindest die Befürchtung groß werden las-
sen, dass es dazu kommen könnte. Militärschläge und
Krieg aber bedeuten weitere unschuldige Opfer, eine Spi-
rale von Gewalt und Gegengewalt. Aus dieser Spirale
müssen wir uns herausbewegen, wenn wir zivile Lösun-
gen auch und gerade im Kampf gegen Terrorismus finden
wollen.
Uneingeschränkte Solidarität klingt gut. Aber wenn
sich das Wort uneingeschränkt eben auch auf Militär-
fragen bezieht, Herr Bundeskanzler, dann macht es uns
Sorgen; das will ich hier zumindest deutlich formulieren.
Ich wiederhole: Krieg und Militärschläge können nicht
die Antwort sein.
Übrigens wäre es gut, wenn die USA ihre eigene Hal-
tung zum Internationalen Gerichtshof einmal überdäch-
ten, denn ein solcher Gerichtshof wäre auch für die Ver-
urteilung solcher Täter geeignet und zuständig.
Dasselbe gilt für die Weigerung der USA, die Antiterror-
konvention der UNO zu unterschreiben, wozu es meines
Erachtens höchste Zeit ist.
Richtig ist allerdings hier entwickelt sich einiges ,
dass man eine internationale Koalition gegen den Ter-
rorismus braucht. Aber das heißt auch, dass wir die be-
deutende Rede, die Präsident Putin gestern hier gehalten
hat, ernst nehmen müssen.
Es war eben ein falscher Weg, eine unilaterale Welt zu
installieren, in der nur noch eine Weltmacht das Sagen hat.
Putin hat es gestern ganz deutlich gesagt: Wir sind bei
allen wichtigen Entscheidungen nicht gefragt worden und
hinterher sollten wir zustimmen.
Eine Antwort muss mehr Demokratie in den interna-
tionalen Beziehungen sein, muss auch die Stärkung der
UNO und der OSZE und nicht deren Schwächung sein.
Deshalb war es eben falsch, die UNO zum Beispiel beim
Jugoslawienkrieg und auch bei den Entscheidungen hin-
sichtlich Mazedoniens auszuschalten. Wir müssen diese
internationalen Organisationen wieder stärken, die Arro-
ganz muss aus der Außenpolitik heraus. Wir müssen mit
den Staaten zusammenarbeiten. Das gilt für alle west-
lichen Länder.
Wir brauchen das ist hier mehrfach erwähnt worden
wirklich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Die
Welt rückt zusammen, aber es gibt zwischen den Gesell-
schaften Entwicklungsunterschiede von 300 bis 500 Jah-
ren. Das verträgt diese Erde nicht, das verträgt diese
Menschheit nicht. Deshalb müssen wir völlig neu über
Entwicklungshilfe nachdenken und sie im Vergleich zu
früheren Jahren auch strukturell verändern.
Frieden muss attraktiv sein. Wir stehen vor der trauri-
gen Tatsache, dass es Menschen gibt, für die Frieden nicht
attraktiv ist. Das entzieht sich fast unserer Fantasie. Des-
halb sage ich, weltweite soziale Wohlfahrt ist ganz wich-
tig. Menschen müssen auch etwas zu verlieren haben.
Wenn sie nicht einmal an ihrem eigenen Leben hängen,
funktioniert keine unserer Sicherheitslogiken. Darauf
müssen wir uns einstellen, damit müssen wir uns aus-
einander setzen und hier zu anderen Lösungen kommen.
Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Bundeskanzler, wenn
Sie sagen, gegen die internationalen Finanzströme des
Terrorismus müsse vorgegangen werden. Es ist heute so
absurd, dass jemand, der eine so schreckliche Tat plant,
auch noch vorher weiß, wie sich die Aktienkurse ent-
wickeln werden, und damit ein Riesenkapital machen
kann. Das muss man sich einmal ernsthaft überlegen. Nur
erinnere ich auch daran, dass meine Fraktion und ich hier
seit zehn Jahren gefordert haben, dass wir diese interna-
tionale Finanzspekulation regulieren müssen. Alle Neoli-
beralen behaupteten immer, es sei ganz wichtig, dass man
sie nicht reguliert. Ich glaube, das hat sich jetzt als in je-
der Hinsicht falsch erwiesen.
Im Übrigen erklärte auch die deutsche Bundesregierung,
als die UN untersagte, dass Finanzströme an die UCK ge-
hen, dass sie nicht in der Lage sei, sie zu kontrollieren. Es
ist vielleicht doch wichtig, solche Dinge zu kontrollieren.
Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Es gibt
Ängste, Befürchtungen und Sorgen der Menschen. Man
muss jeden Vorschlag sehr genau prüfen. Das werden
auch wir machen und dabei gar nicht irgendwelche
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Gregor Gysi
18381
ideologischen Schemata zugrunde legen. Aber eines sage
ich auch: Wenn jetzt, wie ich höre, vornehmlich auf Mi-
litär und Geheimdienste gesetzt wird, heißt das, nicht zu
begreifen, was eigentlich geschehen ist. Die Vereinigten
Staaten von Amerika haben die bestgerüstete Armee. Sie
haben die finanziell, personell und materiell bestausge-
statteten Geheimdienste der Welt. Das hat den Terroran-
schlag nicht verhindert; vielleicht haben sie ihn dadurch
sogar eher auf sich gezogen. Müssen wir nicht aus einer
bestimmten Art des Sicherheitsdenkens von heute heraus-
finden und neu darüber nachdenken, wie man auch zu ei-
ner persönlichen Sicherheit für die Bürgerinnen und Bür-
ger kommt? Wer allein auf solche Maßnahmen setzt das
beweisen doch die USA, das beweist dieser entsetzliche
Terrorakt , kann sich dagegen nicht wirksam schützen.
Wir brauchen andere Lösungsansätze und nicht alte Hüte,
die übrigens zum Teil schon ausdiskutiert waren.
Deshalb ist mir die Herangehensweise des Herrn Schill
äußerst suspekt:
weil er ausschließlich auf Repression setzt und sich über-
haupt keine Gedanken darüber macht, wie man die zu-
grunde liegende Motivation übrigens auch die zu Kri-
minalität im Inneren deutlich abbauen kann. Dabei geht
es dann auch um ökonomische und soziale Fragen.
Wenn Sie sagen, Herr Westerwelle, die SPD hätte we-
gen der Koalition mit der PDS kein Recht, Ihnen die ge-
plante Koalition mit Schill vorzuwerfen, dann erwarte ich
als Minimum von Ihnen als Liberalen, dass Sie sagen:
Wenn wir das machen, dann haben wir auch nie wieder ein
Recht, der SPD eine Koalition mit der PDS vorzuwerfen.
Das wäre das Mindeste, was Sie dann hinzufügen müssten.
Die Vergleiche stimmen aber aus keiner Sicht, denn Sie
können der PDS viel vorwerfen, aber ganz bestimmt
nicht, dass wir uns in den letzten zehn oder elf Jahren in
diesem Deutschen Bundestag nicht auch für Rechts-
staatlichkeit und diesbezüglich für Liberalität eingesetzt
hätten.
Noch ein Wort zur Logik: Die CDU hat die Wahlen in
Hamburg verloren. Sie verhelfen dem Wahlverlierer das
bezeichnen Sie auch noch als Übersetzung von Wahl-
ergebnissen zur Regierungsmacht. Das heißt, für Re-
gierungsmacht tun Sie wirklich fast alles. Das ist tatsäch-
lich keine besonders liberale Vorstellung.
Eigentlich, Herr Bundeskanzler, wollte ich gern über
ein paar andere Dinge reden. Sie haben heute in Ihrer Re-
gierungserklärung die Arbeitslosigkeit überhaupt nicht
erwähnt. Ich glaube schon, dass die Arbeitslosigkeit nach
wie vor ein großes inneres Problem ist. Welches sind die
Wege, dagegen anzugehen? Ich habe von Ihnen dazu
nichts gehört, auch in den letzten Jahren nicht. Im Wahl-
kampf haben Sie 1998 gesagt, Sie wollten auf unter 3 Mil-
lionen Arbeitslose kommen, dann haben Sie gesagt, Sie
wollten auf unter 3,5 Millionen kommen, und Sie haben
erklärt, Sie wollten sich daran messen lassen. Das Ein-
zige, was sich seitdem geändert hat, ist: Sie wollen sich
daran nicht mehr messen lassen,
denn wir haben nach wie vor fast 4 Millionen Arbeitslose,
und es sieht auch nicht nach Besserung aus. Vielleicht
müsste man doch einmal über die Arbeitszeit nachdenken.
Herr Struck hat es im Sommer getan und wurde gleich
wieder zurückgepfiffen.
Fakt ist, dass wir im letzten Jahr 1,85 Milliarden Über-
stunden hatten; rein rechnerisch entspricht das 1,13 Mil-
lionen Vollzeitarbeitsplätzen. Wir werden um die Diskus-
sion von Arbeitszeit nicht herumkommen, auch nicht um
die Diskussion einer Strukturreform bei den Lohnneben-
kosten und auch nicht um die Diskussion von Kaufkraft,
denn der Binnenmarkt ist zu schwach.
Ich hätte gerne auch etwas zu Ihrer Steuerreform ge-
sagt, die in Wirklichkeit Aktiengesellschaften befördert
und kleine und mittelständische Unternehmen eher belas-
tet hat.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie haben die Ver-
käufe von Unternehmen und Anteilen erleichtert, indem
Sie sie steuerfrei gestellt haben. Sie sehen doch schon
jetzt, was passiert: Überall dort, wo verkauft wird, ge-
schieht das mit dem Ziel, das Unternehmen danach mög-
lichst zu schließen, möglichst keine Sozialpläne aufzu-
stellen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu
entlassen und dies alles auch noch kostenlos, weil Sie
die Steuer dafür abgeschafft haben. Ich glaube, dass dies
der falsche Weg war.
Gerne hätte ich mit Ihnen auch über die ökologische
Steuerreform diskutiert, an der ja der Gedanke richtig ist,
den Energieverbrauch sozusagen anders in Anspruch zu
nehmen als in der Vergangenheit.
Nur, sozial hat sie nicht funktioniert, weil sie eben die
wirklichen Verbraucher der Energie eher schützt; sie hat
auch ökologisch keine Auswirkungen, ist ungerecht usw.
Sie haben völlig Recht, wenn Sie jetzt zur Erhöhung der
Tabaksteuer und der Versicherungsteuer sagen, nichts an-
deres haben die damaligen Herrschaften beim Golfkrieg
gemacht. Das ist wahr. Dieser Schritt wird aber nicht da-
durch zu einer richtigen Antwort, dass Sie ihn jetzt tun.
Das möchte ich ebenfalls deutlich sagen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Gregor Gysi
18382
Herr Kollege Gysi,
Ihre Redezeit ist überschritten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundestagspräsident!
Sie könnten sehr gut auch andere Wege gehen wie zum
Beispiel den des Verzichts auf die Absenkung des Spit-
zensteuersatzes bei der Einkommensteuer. Man kann
auch an die Vermögensteuer denken, an die Spekulations-
steuer und vieles andere. Nein, es müssen die Tabaksteuer
und die Versicherungsteuer sein. Die Versicherungsteuer
trifft viele Verbraucherinnen und Verbraucher;
sie trifft außerdem viele kleine und mittelständische Un-
ternehmen.
Bei der Tabaksteuer habe ich nur eine Bitte: Hören Sie
dann bitte mit Ihrer Doppelmoral auf! Einerseits diskutiert
die Gesundheitsministerin immer darüber, dass Raucher
die Kosten ihrer Erkrankungen selber bezahlen sollen, und
andererseits kassiert der Staat bei jeder Zigarette, die ge-
raucht wird, gnadenlos mit. Diese Art von Doppelmoral
können wir Ihnen dann auch nicht durchgehen lassen.
Ein letzter Satz.
Herr Bundeskanzler, Sie haben heute auch nicht über die
innere Einheit gesprochen.
Wir sind weder wirtschaftlich noch sozial noch von der
Chancengleichheit her an dem Punkt, an dem man sagen
könnte: Wir kommen zur inneren Einheit. Legen Sie end-
lich einen Fahrplan vor, wie wir die innere Einheit in
Deutschland gestalten wollen, einschließlich der Chan-
cengleichheit, der Angleichung von Löhnen und Gehäl-
tern und damit einer ökonomischen und sozialen Einheit
in Deutschland!
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Struck von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu den Opposi-
tionsrednern Stellung nehmen.
Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Westerwelle. Nach
Ihrer Rede habe ich wirklich Herrn Gerhardt vermisst; er
hätte wenigstens sachlich und vernünftig auf die Fragen
geantwortet und nicht eine solche polemische Rede ge-
halten.
Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Westerwelle:
Wer sich hier wie Sie hinstellt der Kollege Merz wird das
wahrscheinlich ebenfalls noch tun und sagt, 3 Milli-
arden DM für die innere Sicherheit seien zu wenig das
ist das Erste, was Sie sagen; dann sollten Sie bitte aber
auch sagen, wie viel es denn gefälligst mehr sein sollten ,
und zweitens erklärt, die Finanzierung dieser 3 Milliar-
den DM sei falsch, und von Umschichtung spricht, der
sollte dann aber bitte auch konkret werden, lieber Herr
Kollege.
Wo wollen Sie denn umschichten, wenn Sie 3 Milli-
arden DM aufbringen wollen? Dann sagen Sie uns doch
bitte, ob Sie die Ausgaben für Bildung und Forschung kür-
zen wollen oder ob Sie den Verkehrshaushalt kürzen wol-
len oder in anderen Bereichen. Machen Sie nicht solche
Sprüche; das bringt nämlich gar nichts.
Diese Sprüche erinnern mich an eines.
Ich habe im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl
vom FDP-Vorsitzenden den Satz gehört: Mithilfe der FDP
wird Herr Schill nie Senator. Halten Sie sich an diesen
Satz, Herr Westerwelle!
Erinnern Sie sich an die guten liberalen Traditionen. Ein
Karl-Hermann Flach würde sich im Grabe umdrehen,
wenn er das mitmachen müsste, was Sie in Hamburg vor-
haben.
Sie sollten sich schämen, wenn Sie mit einem solchen
Mann, einem Rechtspopulisten, in einen Senat, in eine
Regierung gehen. Das hat das Land Hamburg nicht ver-
dient!
Herr Kollege Glos, der aus dringenden terminlichen
Gründen leider nicht mehr anwesend sein kann
Entschuldigung, ich nehme alles zurück. Herr Kollege
Glos, Sie haben die Greencard kritisiert. Ich darf Ihnen
vortragen, dass nach den Mitteilungen, die man mir ge-
rade eben noch gegeben hat laut Sachverständigen etwa
ein Drittel der 9 500 Greencards in Deutschland von der
bayerischen Wirtschaft beantragt worden ist. Vielleicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18383
unterhalten Sie sich einmal mit Ihren bayerischen Kolle-
gen, bevor Sie einen solchen Unsinn erzählen.
Ich verstehe, dass die Opposition in einer schwierigen
Lage ist. Sie ist in einer äußerst schwierigen Lage.
Das Ansehen des Bundeskanzlers der Bundesrepublik
Deutschland ist so hoch wie nie. Es ist zu Recht so hoch
wie nie.
Ich will dem Herrn Bundeskanzler aber auch der ge-
samten Bundesregierung noch einmal versichern, dass
er sich bei den Maßnahmen, über die wir in der letzten
Woche diskutiert haben dabei hatten wir erfreulicher-
weise keine Differenzen in diesem Hause , der Unter-
stützung der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch der Bun-
destagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, wie Herr
Kollege Schlauch eben ausgeführt hat, sicher sein kann.
Es gefällt keinem Fraktionsvorsitzenden, wenn seine
Fraktion nicht geschlossen abstimmt Art. 38 des Grund-
gesetzes natürlich ausgenommen. Das gefällt niemandem.
Es hat allerdings auch niemand hier Grund dazu Sie von
der CDU/CSU nicht und Sie von der FDP auch nicht ,
uns vorzuwerfen, dass wir bei der Mazedonien-Abstim-
mung nicht alle an Deck gehabt haben.
Bei Ihnen haben 61 Abgeordnete nicht mitgemacht, Herr
Merz, und bei Ihnen von der FDP ein Drittel.
Da greife ich gern ein Zitat des Kollegen Friedhelm Ost
auf, der mir aus dem Herzen sprach, als er, was die CDU-
Führung bei der Mazedonien-Abstimmung angeht, Fol-
gendes gesagt hat. Ich muss aus dem Kopf zitieren. Viel-
leicht kann sich Herr Friedhelm Ost ja melden.
Herr Kollege Ost, ich zitiere aus dem Kopf, Sie können es
danach ja noch klarstellen:
Gegen die Verrenkungen der CDU-Führung in der
Mazedonien-Frage wirken Zirkusartisten geradezu un-
gelenk. So lautete das Zitat, und so war es auch richtig.
Die Opposition hat die Aufgabe, die Regierung zu kri-
tisieren. Das tut sie. Sie hat aber auch die Aufgabe, Al-
ternativen zu der Regierungspolitik aufzuzeigen.
Nun frage ich Sie nach den Alternativen. Wenn Sie sagen,
die Steuererhöhungen seien falsch, dann sagen Sie uns
hier bitte, wie Sie das Paket zur Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus anders finanzieren wollen. Machen
Sie das bitte, Herr Merz, wenn Sie nach mir hier reden.
Sie kritisieren unsere Steuerpolitik und Sie schließen sich
den Forderungen nach einem Vorziehen der Steuerreform
auf das Jahr 2002, die von Verbänden nicht von Unter-
nehmen kommen, an.
Diese Steuerreform vorzuziehen würde 40 bis 50 Milli-
arden DM kosten. Wenn Sie also sagen: Zieht das vor,
dann sagen Sie den Menschen in unserem Land bitte,
wie diese 40 bis 50 Milliarden DM aufgebracht werden
sollen.
Wenn Sie den Vorschlag machen, diese Mittel über eine
Neuverschuldung aufzubringen, dann kann ich Ihnen sa-
gen: Das entspricht Ihrer Tradition. Diese Tradition ist
aber falsch. Wir machen nicht mehr Schulden in unserem
Land nicht mit uns.
Seit 1998 ist die Arbeitslosenzahl um 466 000 gesun-
ken und die Zahl der Beschäftigten von 37,6 Millionen
auf 38,7 Millionen gestiegen. Das ist ein Erfolg unserer
Beschäftigungspolitik und der Politik von Walter Riester.
Das wollen wir hier einmal feststellen.
Wir haben 1999 ein Programm zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen aufgelegt, das JUMP-
Programm. Dieses Programm ist von Ihnen heftig kriti-
siert worden.
Herr Kollege Schäuble hatte sich zu einer Bemerkung
hingerissen, die Gott sei Dank aus der Welt ist. Ich möchte
Ihnen dazu sagen: Durch dieses JUMP-Programm haben
seit 1999 mehr als 300 000 Jugendliche einen Arbeits-
oder Ausbildungsplatz erhalten. Auf eine solche Bilanz
sind wir stolz.
Wir haben das Erziehungsgeld erhöht. Wir haben das
Wohngeld erhöht. Wir haben die Rechte der Mieter ver-
stärkt. Wir haben das Kindergeld für das erste und zweite
Kind um 80 DM erhöht, von 220 DM auf 300 DM ab
1. Januar 2002. Sie haben stattdessen ein Familiengeld
vorgeschlagen, 1 200 DM pro Familie. Das würde 60 Mil-
liarden DM kosten. Auf die Frage nach der Finanzierung
haben sie ähnlich wie der Finanzexperte Westerwelle
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Peter Struck
18384
argumentiert. Ihnen nehme ich das übel, weil Sie etwas
von Finanzen verstehen.
Vielleicht jetzt auch nicht mehr. Man kann doch nicht
sagen so war Ihre Argumentation , bei einem Haushalt
von 400 oder 500 Milliarden DM sei es kein Problem,
60 Milliarden DM aufzutreiben. Wie soll das denn gehen?
Sagen Sie hier, wie Sie ein Familiengeld von 1 200 DM
pro Familie finanzieren wollen. Sie können es nicht fi-
nanzieren.
Wir haben in diesem Hause heftig über die Rente ge-
stritten. Auch bei diesem Gesetz haben Sie wie bei der
Steuerreform am Anfang gesagt, das werde niemals durch
den Bundesrat gehen. Das war Ihre zweite schmähliche
Niederlage, dass es durch den Bundesrat gegangen ist. Ich
will ja gar nicht auf die Vergangenheit verweisen
und in Ihren Wunden wühlen. Das liegt mir ja völlig fern.
Die Rente, die wir beschlossen haben, beinhaltet eine För-
derung der privaten Altersvorsorge; so haben es die Be-
amten genannt, die die Gesetze formuliert haben. Andere
haben bessere Begriffe dafür erfunden, die ich über-
nehme: Die Riester-Rente ist eine Förderrente und eine
gute Rente, wie die Nachfrage nach dieser Rente zeigt.
Wir machen uns auch Sorgen um die Zahl der Arbeits-
losen. Jeder weiß das.
Ich verweise aber auch darauf das will ich Ihnen auch
noch einmal sagen : Die Lage in Deutschland ist besser
als die Stimmung. Den Gesprächspartnern, die, wie ich
Agenturmeldungen entnommen habe, gestern mit der
CDU/CSU-Fraktion über die wirtschaftliche Situation ge-
redet haben und die auch meine Gesprächspartner sind,
nehme ich übel, dass sie im privaten Gespräch im Büro
bestätigen, dass die Lage besser ist als die Stimmung,
dann aber draußen in Pressekonferenzen mit Ihnen die
Stimmung so darstellen, dass sie gar nicht schlechter sein
könnte. Das gehört sich nicht. Das werde ich den
Gesprächspartnern auch noch einmal persönlich sagen.
Wir werden in dieser Woche auch das so genannte Job-
Aqtiv-Gesetz auf den Weg bringen. Ich bin auf Ihre Al-
ternativvorschläge gespannt. Dieses Gesetz wird dazu
führen, dass wir mehr Beschäftigung bekommen.
Es wird dazu führen, dass es klarere und konkretere Pläne
für die Arbeitslosen gibt. Der Bundesarbeitsminister hat
unsere volle Unterstützung dabei. Auch das wird dazu bei-
tragen, dass die Entwicklung in den nächsten Monaten
positiver verlaufen wird.
Ich sage Ihnen, weil das Ihr Thema ist: Diese Koalition
hat schwierige Aufgaben, jetzt eher im außenpolitischen
Bereich, zu bewältigen: Aber Ihre Hoffnung
dann ist es ja gut , dass an dieser Frage die Koalition
zerbrechen würde, will ich Ihnen gleich nehmen. Diese
Koalition wird den Wählerauftrag bis zur nächsten Bun-
destagswahl im Jahre 2002 gut erfüllen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
Herren! Wir haben gestern von dem Rednerpult aus, an
dem ich jetzt stehe, eine beeindruckende und große Rede
des russischen Staatspräsidenten gehört.
Er hat sich mit großem Nachdruck zu Demokratie und
Marktwirtschaft in seinem eigenen Land bekannt. Er hat,
wie es in der jüngeren Geschichte noch kein anderer
Staatsführer dieses großen Landes vor ihm getan hat,
deutlich gemacht, dass sein Land an der politischen Ge-
staltung und der politischen Ordnung unseres Kontinents
teilnehmen will. Er hat uns auch gesagt, dass er einen Bei-
trag von Deutschland dazu erwartet.
Betrachtet man all das, was uns in den vergangenen
Tagen und Wochen beschäftigt hat und worüber wir dis-
kutiert haben die Entwicklung in Russland, die Kon-
flikte auf dem Balkan und die unvorstellbar grausamen
Terrorakte in New York und Washington, die wir an den
Bildschirmen miterlebt haben , dann wird in diesen Ta-
gen, glaube ich, für uns alle eines deutlich: Selten ist in
den letzten Jahren die große Verantwortung, die unserem
Land europäisch und international zukommt, so deutlich
geworden wie gerade in diesem Herbst 2001. Ich möchte
deshalb zu Beginn der Aussprache über den Etat des
Kanzlers klar und unmissverständlich sagen: Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt sich auch in der Op-
position dieser Verantwortung.
Auch wir wollen und müssen den Menschen in
Deutschland verdeutlichen, dass unser Land nicht abseits
stehen darf, wenn es darum geht, eine Politik des Aus-
gleichs, des friedlichen Miteinanders der Völker, aber
auch der Menschen in Deutschland zu ermöglichen. Es
geht um den Bauplan für das 21. Jahrhundert. Wenn
Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Haltung, die Sie in zwei
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Peter Struck
18385
Regierungserklärungen und in vielen anderen öffentli-
chen Erklärungen zum Ausdruck gebracht haben, fest
bleiben, zu dem stehen, was Sie zur Außen- und Sicher-
heitspolitik gesagt haben, und bereit sind, eine
Neuformulierung der Politik umfassender Sicherheit jetzt
auf den Weg zu bringen, dann werden Sie auch dafür un-
sere Unterstützung bekommen.
Ich will Ihnen allerdings in der gleichen Klarheit und
Deutlichkeit sagen: Es geht nicht, dass die globalen
Ereignisse, die uns beschäftigen, uns beschweren und
weiterhin beschweren werden, als Alibi für Nichtstun in
der Innenpolitik genutzt werden, sozusagen als Begrün-
dung für das Versagen Ihrer Regierung in der Arbeits-
markt- und Wirtschaftspolitik herhalten müssen. Das geht
nicht, Herr Bundeskanzler!
Sie haben hier eine sehr pathetische Rede gehalten, die
wohl mehr an die Zuschauer als an die Innenpolitiker in
Deutschland gerichtet war. Entscheidend ist, dass wir jetzt
gerade in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in
Deutschland das Notwendige und das Richtige tun. Da
werden wir Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen!
Nicht die Opposition, sondern Sie selber, Herr Bundes-
kanzler, waren es, der für die Schlagzeilen in den Zeitun-
gen gesorgt hat, die Ihre Reise durch die neuen Bundes-
länder im Sommer begleitet haben: Kanzler a. D.,
Kanzler in der Klemme, Rückstand-Kanzler, Politik
der ruhigen Kugel, Kraftlos in den Herbst, Sommer
der Stagnation, Kanzler kassiert seine Versprechen
ein, Slow-hand Schröder, Schröder und der rot-grüne
Mehltau, Kanzler Zitterhand, Politik der schlaffen
Hand, Rot-grüne Trümmerlandschaft.
All das sind Überschriften in deutschen Tageszeitungen,
lange bevor die Terroranschläge vom 11. September die
Weltpolitik neu bestimmt haben.
Herr Bundeskanzler, jetzt ist auch in der Wirt-
schaftspolitik und in der Arbeitsmarktpolitik eine
Grundentscheidung erforderlich. Wollen Sie ständig
die Steuern erhöhen? Wollen Sie die Sozialversiche-
rungsbeiträge weiter steigen lassen? Wollen Sie es zu-
lassen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter
steigt? Oder nehmen Sie jetzt Ihre letzte Chance zum
Wechsel des Kurses in der Wirtschafts- und Arbeits-
marktpolitik in Deutschland wahr? Wenn Sie Ihren
selbst gesetzten Ansprüchen gerecht werden wollen,
dann müssen Sie das jetzt tun.
Damit jetzt keine Legenden über die Steuererhö-
hung entstehen: Sie werden ganz schön bescheiden.
Wenn Sie sich schon nicht mehr zutrauen, 0,6 Prozent
des Bundeshaushaltes für eine jetzt notwendige Politik
neu auszurichten, dann wirft auch das ein bezeichnendes
Licht.
Ich werde Ihnen gleich genau mitteilen, wo die struktu-
rellen Probleme des von Ihnen seit drei Jahren verant-
worteten Haushalts liegen.
Zunächst möchte ich etwas ganz langsam, zum Mit-
rechnen zu den Steuererhöhungen sagen. Sie haben uns
hier eben wissen lassen, Sie rechneten damit das ist Ihre
Grundannahme , dass sich der Konsum in Deutschland
nicht verändert. Wir gehen also unverändert davon aus,
dass in Deutschland 140 Milliarden Zigaretten pro Jahr
geraucht werden. 140 Milliarden Zigaretten mal 2 Cent
diesen Wert hat der Finanzminister als Steuererhöhung
angekündigt ergibt 2,8 Milliarden Euro. 2,8 Milliarden
Euro mal knapp zwei sind etwa 5,6 Milliarden DM. Dazu
kommen 16 Prozent Mehrwertsteuer, was weitere
0,9 Milliarden DM bedeutet. Summa summarum macht
das bei dem von Ihnen unterstellten unveränderten Ver-
braucherverhalten für die Verbraucher in der Bundesre-
publik Deutschland eine Steuererhöhung von insgesamt
nur 6,5 Milliarden DM aus.
So sieht das aus, was Ihr Finanzminister vorschlägt.
Dazu kommt die Versicherungsteuer. Ich muss Ihnen
sagen: Ich finde es schon fast zynisch, dass Sie jetzt vor
dem Hintergrund drastisch steigender Versicherungsprä-
mien wegen der Anschläge in den USA die Chance nut-
zen ich sage das sozusagen in Anführungsstrichen , die
Versicherungsteuer zu erhöhen. Ich wiederhole: Was Sie
da machen, das ist schon fast zynisch.
Herr Bundeskanzler, es ist hin und wieder gut, sich
nicht nur auf die aktuelle Haushaltsdebatte vorzubereiten,
sondern auch das Protokoll der vergangenen nachzulesen.
Ich habe Ihnen am 29. November des letzten Jahres in der
zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes 2001
hier gesagt, dass Ihre Wachstumserwartungen für das
Jahr 2001 völlig illusorisch sind. Daraufhin haben Sie
gesagt all das können Sie im Protokoll nachlesen : Die
Opposition beschimpft die Menschen in Deutschland und
respektiert deren Leistungen nicht; wir werden im
Jahre 2001 ein Wachstum von 2,75 Prozent haben. Dann
haben Sie wörtlich gesagt:
Nach allen uns bekannten Prognosen werden wir
Ende des nächsten Jahres
also Ende 2001
eine Arbeitslosigkeit von 3,5 Millionen vielleicht
wird sie sogar etwas darunter liegen erreichen kön-
nen.
Das haben Sie Ende November 2000 von dieser Stelle aus
gesagt. Ich stelle knapp ein Jahr später fest: Sie haben
keine Chance mehr, im Jahresdurchschnitt 3,5 Millionen
zu erreichen. Zum Jahresende 2001 wird die Arbeitslo-
sigkeit in Deutschland wieder bei über 4 Millionen liegen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Friedrich Merz
18386
Das ist die Wahrheit im Hinblick auf Ihre Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik.
Das hat natürlich auch etwas mit dem Wachstum in
Deutschland zu tun. Kollege Struck, Sie haben Hamburg
angesprochen.
Lassen Sie uns meinetwegen nicht über die Vergangen-
heit, sondern nur über die Gegenwart und über die Zu-
kunft der handelnden politischen Akteure in den unter-
schiedlichen Regierungen reden. Wir erwarten für dieses
Jahr mühsam genug ein Wirtschaftswachstum in
Deutschland von real etwa 1 Prozent. Dieses Wirtschafts-
wachstum wird wesentlich von den süddeutschen Län-
dern, die von der Union regiert werden, getragen:
Baden-Württemberg 2 Prozent, Bayern immerhin 1,2 Pro-
zent,
Hessen 2,1 Prozent und selbst das Saarland, das sich in ei-
ner schwierigen strukturellen Phase befindet, erreicht ein
wirtschaftliches Wachstum von 1,4 Prozent. Wenn Sie,
Herr Bundeskanzler, die süddeutschen Länder nicht hät-
ten, dann wären Sie, was das Wachstum in Deutschland
angeht, ein noch armseligerer Tropf, als Sie es schon
heute sind.
Zum Glück sieht es in ganz Deutschland nicht so aus
wie in den Ländern, in denen Ihre Partei, die SPD, ge-
meinsam mit den Postkommunisten, also mit der PDS, re-
giert wir reden nicht über die Vergangenheit, sondern
nur über die Gegenwart und über die Zukunft , nämlich
in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt: er-
stes Halbjahr 2001 Mecklenburg-Vorpommern minus
2,1 Prozent und Sachsen-Anhalt minus 1,8 Prozent. Diese
beiden Länder stecken knietief in der Rezession. Das hat
etwas mit sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik in die-
sen Ländern zu tun.
Nun mögen Sie ja einwenden, das alles sei nur das Ge-
rede der Opposition und ein Ritual, das dazugehört.
Nehmen wir doch die als Zeugen, die Sie, Herr Bundes-
kanzler, berufen haben, um das große Projekt Ihrer Re-
gierung, nämlich das Bündnis für Arbeit, zu begleiten.
Sie haben in dieses Bündnis für Arbeit eine so genannte
Benchmarking-Gruppe berufen. Diese Gruppe besteht
aus drei namhaften Professoren. Wenn ich es richtig sehe,
steht keiner von ihnen im Verdacht, ein Sprachrohr der
Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag zu sein.
Diese drei Professoren haben in Ihrem Auftrag ein Gut-
achten erstellt, das im Bündnis für Arbeit als Dis-
kussionsgrundlage für die nächsten Wochen und Monate
dienen soll.
Sie haben von diesen Gutachtern verlangt: Erstens.
Eine ungeschminkte Analyse der Lage in Deutschland.
Zweitens. Sie sollten vor unbequemen Wahrheiten nicht
zurückschrecken. Drittens. Sie sollten zum Arbeitsmarkt
und zur Beschäftigung in Deutschland vor allem im in-
ternationalen Vergleich Stellung nehmen. Diese Gut-
achter, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrem Auftrag das
getan, was Sie nicht wir von ihnen verlangt haben.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich auf Druck der Ge-
werkschaften geweigert, dieses vorgelegte Gutachten
zum Gesprächsgegenstand im Bündnis für Arbeit zu ma-
chen.
Deswegen mussten die Gutachter es auf dem freien Markt
publizieren. Sie kommen zu dem folgenden Ergebnis:
Erstens. Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland
sind mit besonders hohen Steuern und Abgaben belastet.
Das geht an Ihre Adresse, Herr Eichel, Thema Senkung
der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge.
Zweitens. Vor allem kleine Firmen und der Mittelstand
stellen aus Angst vor Arbeitsgerichtsverfahren kaum noch
neue Mitarbeiter ein. Drittens. Die öffentlichen Investi-
tionen in Deutschland gehen stärker zurück als in anderen
Ländern. Viertens. Die Auflagen in Deutschland für Zeit-
arbeit und Arbeitnehmerüberlassung sind höher als in an-
deren Ländern.
Die Gutachter ziehen das folgende Fazit: In kaum ei-
nem anderen Land der Welt stehen Aufwand und Ertrag
für den Arbeitsmarkt in einem so schlechten Verhältnis
zueinander wie in Deutschland. Recht haben diese Gut-
achter, Herr Bundeskanzler.
Man kann es auch anders ausdrücken: Bund, Länder,
Gemeinden und Sozialversicherungsträger in Deutschland
geben rund 200 Milliarden DM nicht zur Beseitigung der
Arbeitslosigkeit, sondern für deren Bewirtschaftung aus.
Andere Länder in Europa und außerhalb unseres Kon-
tinents haben mit viel geringerem Aufwand einen viel
höheren Ertrag auf dem Arbeitsmarkt erzielt.
Das Grundproblem dieses Bundeshaushaltes ist da-
mit bin ich an dem Punkt, den ich bereits am Anfang nen-
nen wollte , dass Sie immer weniger für Investitionen
ausgeben, dass Sie immer mehr für den konsumtiven
Ausgabenteil zur Verfügung stellen und dass Sie statt ei-
ner wirklich kraftvollen angebotsorientierten Wirtschafts-
politik eine ständig steigende Subventionierung der Ar-
beitslosigkeit in Deutschland betreiben.
Das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz Herr Bundes-
kanzler, ich weiß nicht, ob Sie dieses Gesetz gelesen ha-
ben; wenn nicht, sollten Sie es tun setzt dem, was Sie in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Friedrich Merz
18387
der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland versuchen, die
Krone auf. Es hat mit Jobs und mit aktiv ich habe nicht
verstanden, warum Sie aktiv mit q schreiben nichts
zu tun.
Dann ist es so. Ich weiß nicht, was dieses Gesetz mit
Jobs und Aktivitäten zu tun hat.
Dieses Gesetz sieht vor, dass jetzt aus den Beiträgen an
die Bundesanstalt für Arbeit und aus den Sozialversiche-
rungsbeiträgen, die die Beschäftigten in Deutschland zah-
len, in Zukunft Infrastrukturprogramme in den Kommu-
nen finanziert werden. Ich frage Sie allen Ernstes, Herr
Bundeskanzler: Warum sorgen Sie mit diesem Gesetz
noch mehr dafür, dass der zweite und der dritte Ar-
beitsmarkt zulasten des ersten Arbeitsmarktes weiter sub-
ventioniert wird, obwohl Sie und Herr Schlauch sagen,
dass wir etwas für den ersten Arbeitsmarkt tun müssen?
Sie werden es mit dieser Politik nicht schaffen.
Deswegen stelle ich fest: Die gesamte Struktur dieses
Bundeshaushaltes stimmt nicht mehr.
Ich sage es Ihnen konkret: Sie wollen im nächsten Jahr
bei 400 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundes
mehr als 140 Milliarden DM allein für die Subven-
tionierung der Rentenversicherung ausgeben.
Wenn Sie die Probleme in der Rentenversicherung nicht
lösen und ihr stattdessen einen immer höheren Steueran-
teil des Bundes zur Verfügung stellen, dann dürfen Sie
sich nicht darüber wundern, dass Ihnen im Haushalt über-
haupt kein Spielraum mehr zur Verfügung steht; anschei-
nend noch nicht einmal für 3 Milliarden DM, die aktuell
für die Sicherheit vorgesehen sind.
Ich möchte Ihnen nun etwas zu unseren Vorschlägen,
die Steuerreform vorzuziehen, sagen: Natürlich löst die-
ser Vorschlag Diskussionen in den Ländern aus; übrigens
auch in den Kommunen, die Sie überhaupt nicht mehr
wahrnehmen. Die Kommunen sind in einer desaströsen fi-
nanzpolitischen Lage.
Das, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, auf dem Gebiet
der Gewerbesteuer unternommen haben, führt dazu, dass
in den Kommunen die Einnahmen so dramatisch wegbre-
chen, dass die Mehrzahl der Kommunen in Deutschland
noch nicht einmal ihre Pflichtaufgaben erfüllen kann.
Aber das liegt außerhalb jeder Betrachtung dieser Bun-
desregierung.
Über die Steuerreform führen wir natürlich auch in
den eigenen Reihen Diskussionen. Sie aber stehen vor
der Situation, durch ein Wegbrechen des Wirtschafts-
wachstums und eine drastisch zunehmende Arbeitslosig-
keit im nächsten Jahr noch mehr Geld in die Hand neh-
men zu müssen. Deswegen wird Ihr Ziel, die
Konsolidierung des Bundeshaushaltes aufrechtzuerhal-
ten, nicht zu erreichen sein. Sie werden es sowieso nicht
einhalten. Ich sage Ihnen, vor welcher Alternative Sie bei
diesem Bundeshaushalt stehen: Entweder Sie machen die
richtige Wirtschaftspolitik oder Sie setzen die falsche
fort. Die richtige jetzt zu machen wäre die bessere Alter-
native.
Ich habe Ihnen gesagt, dass wir bei unserem Vorschlag
bleiben, die für die Jahre 2003 und 2005 beschlossene
Steuerreform vorzuziehen,
sodass in den nächsten Jahren ein wirtschaftliches Wachs-
tum erzielt wird, das diese Steuerreform wenn auch mit
einem gewissen Zeitverzug finanziert.
Sie trauen den Menschen in Deutschland nichts mehr zu.
Das ist das eigentliche Problem Ihrer Regierung.
Was wäre jetzt notwendig? Die Bundesregierung hätte
jetzt Entscheidungen treffen müssen. Sie hätte gegen die
Traditionsbataillone in den eigenen Reihen eine gute und
richtige Wirtschaftspolitik durchsetzen müssen. Herr
Bundeskanzler, Sie hätten angesichts der drohenden Re-
zession jetzt sagen müssen: Die Anschläge von New York
und Washington waren nicht nur ein Angriff auf unsere
Freiheit und auf unsere Sicherheit. Sie gefährden viel-
mehr auch die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und
in Deutschland. Deshalb so hätten Sie fordern und auch
durchsetzen müssen werden jetzt alle Anstrengungen
auf das wirtschaftliche Wachstum und auf den ersten Ar-
beitsmarkt konzentriert. Deshalb so hätten Sie sagen
müssen hat jetzt jeder in Deutschland die Pflicht, das zu
leisten, was er selber leisten kann.
Herr Bundeskanzler, wir hätten uns ein klein wenig
von der großartigen Dynamik und dem Selbstvertrauen,
über das die amerikanische Nation bzw. dieses Volk in ei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Friedrich Merz
18388
ner solch fürchterlich schwierigen Lage verfügt, auch für
unser Land zunutze machen können. Die Menschen in
Deutschland sind leistungsbereit. Sie sind in der Lage, in
der wir uns befinden, bereit, etwas zu tun.
Herr Bundeskanzler, nicht die Opposition und auch nicht
die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber in Deutschland
sind das Problem. Diese Regierung, die den Menschen
nichts zutraut, ist das Problem. Das ist die Wahrheit.
Wir haben eine Regierung, die den Menschen miss-
traut, die sie bürokratisch gängelt, die sie immer mehr re-
guliert und die ihnen ständig neue Betreuung und Bevor-
mundung zumutet.
Wir bräuchten jetzt einen Blick nach vorn. Die rot-grüne
Regierung und ihre schwankende Wirtschaftspolitik das
ist keine Mischung aus einer angebots- und nachfrageori-
entierten Politik ist sich ihrer selbst nicht sicher.
Sie haben in Ihren eigenen Reihen die grundlegenden
wirtschaftspolitischen Fragen bis zum heutigen Tage
nicht geklärt. Sie sind mit Floskeln überdeckt worden.
Jetzt gibt es keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik
mehr, sondern nur noch gute oder schlechte. Meine Da-
men und Herren, Sie machen eine schlechte und eine linke
Wirtschaftspolitik in diesem Land. Das ist die Wahrheit.
Das eigentliche Problem darauf will ich zum Schluss
noch einmal hinweisen ist nicht die Bevölkerung, sind
nicht die Menschen, die Sie hier sehr geschickt mit ein-
zubeziehen und gegen die Opposition in Stellung zu brin-
gen versuchen. Das Problem hat einen Namen. Der Name
ist Gerhard Schröder.
Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient, meine
Damen und Herren!
Ich erteile nun dem
Bundesfinanzminister Hans Eichel das Wort.
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, wie
können Sie von Strukturproblemen des Bundeshaus-
halts reden , und das nach 16 Jahren Ihrer Regierungs-
tätigkeit ,
die nur dazu geführt haben, dass der Block der Zinsen von
ehedem 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den 80er-
Jahren auf 2 Prozent in diesem Jahrzehnt angewachsen
ist? 40 Milliarden DM allein an Zinsen obendrauf, das ist
die Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit, und zwar Jahr für
Jahr.
Wie können Sie von Strukturproblemen im Bundeshaus-
halt reden, da Sie es zu verantworten haben, dass in Ihrer
Regierungszeit die Zukunftsaufgaben dieses Landes mas-
siv vernachlässigt worden sind? Verfassungswidrig hohe
Besteuerung der Familien, das hat Ihnen das Bundesver-
fassungsgericht für 16 Jahre Ihrer Politik ins Stammbuch
geschrieben,
Unterfinanzierung des Bundeshaushalts in Bezug auf die
Familien. Wie können Sie von Strukturproblemen des
Bundeshaushalts reden, obwohl während Ihrer Regie-
rungszeit in den 90er-Jahren die Ausgaben für Bildung und
Forschung jedes Jahr zurückgefahren worden sind, die
Zahl der BAföG-geförderten Studentinnen und Studenten
ja, Herr Merz, das wollen Sie jetzt nicht hören; das merke
ich schon von 650 000 auf 350 000 heruntergegangen
ist? Das war unterlassene Zukunftsvorsorge in den Jahren
Ihrer Regierungstätigkeit, meine Damen und Herren.
Das sind die strukturellen Probleme des Bundeshaushal-
tes, die wir vorgefunden haben. Und dann: kritisieren Sie
doch nicht die Rentenfinanzierung im Bundeshaushalt.
Sie doch nicht! Sie haben doch die Kosten der deutschen
Einheit in die Sozialversicherungssysteme verlagert und
damit die Lohnnebenkosten auf das historisch höchste Ni-
veau getrieben.
Sie haben in den 90er-Jahren die Lohnnebenkosten von
34 auf über 42 Prozent hochgedrückt. Das hat es doch nie
vorher gegeben. Wir sind die erste Regierung, bei der die
Lohnnebenkosten nachhaltig sinken, das erste Mal über-
haupt.
Wir haben ein Problem in der Gesundheitspolitik. Frau
Kollegin Schmidt hat es weiß Gott nicht leicht. Sie haben
bereits im ersten Jahr dieser neuen Regierung die Ge-
sundheitsreform von Frau Kollegin Fischer im Bundesrat
blockiert. Jetzt sehen Sie die Konsequenz daraus. Das ist
die Lage, meine Damen und Herren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Friedrich Merz
18389
Wir können an Ihren Taten messen, was Sie heute in Ihren
Reden sagen; so lange ist Ihre Regierungszeit noch nicht
her.
Wir reden jetzt über den Bundeshaushalt 2002, über
den dritten Konsolidierungshaushalt in Folge.
Ich sage Ihnen eines: Hätten Sie, statt seit 1996 Jahr für
Jahr verfassungswidrige Haushalte aufzustellen, damals
mit der Konsolidierung begonnen, wären wir heute in Eu-
ropa schon ein ganzes Stück weiter.
Das ist der einzige Ärger, den ich als deutscher Finanz-
minister habe, wenn ich meine europäischen Kolleginnen
und Kollegen treffe.
Das ist der dritte Konsolidierungshaushalt in Folge,
ohne das im Einzelnen noch einmal durchbuchstabieren
zu wollen. Es ist klar, dass Konsolidieren im jetzigen
weltwirtschaftlichen Umfeld viel schwieriger wird, als es
im vorigen Jahr gewesen ist. Ich warne Sie allerdings vor
Schwarzmalerei. Wenn ich mir den Haushaltsvollzug die-
ses Jahres ansehe, dann stelle ich fest, dass die Steuerein-
nahmen bis einschließlich August ich habe die Septem-
berzahlen noch nicht sogar etwas günstiger sind, als
nach der Steuerschätzung im Mai zu erwarten war. Das
heißt, ich rate dazu, wie übrigens auch der Bundesverband
der Deutschen Industrie, von Schwarzmalerei und Panik-
mache Abstand zu nehmen. Schwarzmalerei macht kei-
nen Sinn.
Richtig ist, dass wir den Haushalt nur auf dem jeweils
neuesten Stand der Erkenntnis aufstellen dürfen. Recht-
zeitig zur dritten Lesung im November wird die Steuer-
schätzung auf der Basis der dann aktualisierten Daten der
Konjunkturprognose vorliegen. Gegebenenfalls werden
wir daraus dann noch Konsequenzen zu ziehen haben; das
ist keine Frage. Es ist klar, dass es ein hartes Geschäft ist,
den Konsolidierungskurs jetzt durchzuhalten. Beim Ein-
bringen des Haushaltes habe ich deutlich gemacht, wie
hart das in diesem Herbst werden wird; auch das ist keine
Frage. Ich bin davon überzeugt, dass wir es bei der jetzi-
gen Haushaltssituation nicht schaffen, zusätzliches Geld
für die innere Sicherheit durch Umschichtungen bereitzu-
stellen.
Die Vorstellungen der Opposition zeigen noch etwas
ganz anderes. Von Ihnen gibt es nicht einen einzigen Vor-
schlag, wo im Haushalt noch etwas eingespart werden
könnte.
Es gibt nur die Vorschläge, mehr auszugeben und die
Steuern zu senken.
Dabei sind Sie nicht konsequent. Allein das, was Sie zur
ersten Lesung auf den Tisch gelegt haben, würde zu einer
zusätzlichen schuldenfinanzierten Aufblähung des Haus-
haltes im Umfang von 36,5 Milliarden DM führen.
Meine Damen und Herren, dann wären wir genau
wieder da, wo Sie 1996, 1997 gewesen sind. Das Defizit
im Bundeshaushalt würde sich auf annähernd 80 Milliar-
den DM belaufen. Das wäre ein verfassungswidriger
Haushalt. Die Länderhaushalte würden im selben Augen-
blick verfassungswidrig werden.
Stellen Sie sich hier hin und erklären Sie, dass Ihr An-
trag zum Haushalt bedeutet, dass Sie den Bundestag
zunächst bitten müssten, gemäß Art. 115 GG festzustel-
len, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört
sei. Das wäre der Eröffnungszug für Ihren Antrag zum
Haushalt 2002. Dahin würde es uns führen.
Es geht noch lustig weiter. Sie begnügen sich ja nicht
mit den 36,5 Milliarden DM; darin sind leider nur 2 Milli-
arden DM für die Bundeswehr enthalten. Herr Repnik hat
gerade wieder 18,6 Milliarden DM auf der nach oben
offenen Richterskala der Möglichkeiten zur Ausgaben-
steigerung im Laufe von vier Jahren gefordert. Das ist
doch Ihre Position.
Wenn ich mir das Steuerprogramm von Frau Merkel
ansehe, stelle ich fest, dass dadurch ein Steuerausfall in
Höhe von 175 Milliarden DM eintreten würde. Dazu kann
ich wie Herr Faltlhauser allenfalls nur sagen: Ein Gag!
Das ist keines weiteren Kommentars wert.
Hören Sie sich einmal an, was der jetzige sowie der
vorige Bundesbankpräsident zum Vorziehen der Steuer-
reform sagen. Sie sagen, dass es Unsinn sei und es öko-
nomisch nichts bringe. Das weiß auch jeder. Schauen Sie
sich einmal an, was Japan gemacht hat und wo es heute
steht. So geht es doch nicht. Sowohl bei der Bundeswehr
als auch bei den inneren Diensten und in vielen anderen
Bereichen muss noch etwas getan werden. Das hat seinen
Preis. Die Ehrlichkeit gebietet es, das zu sagen.
Es ist wirklich unglaublich, was Sie an Geschichtsver-
drängung betreiben. Während des Golfkrieges haben Sie
vier Steuern erhöht. Herr Westerwelle, Sie waren dabei.
Sie haben den Solidaritätszuschlag eingeführt und die Mi-
neralölsteuer um 25 Pfennig erhöht, was mehr als vier
Stufen der Ökosteuer ausmacht. Wir geben das Geld we-
nigstens über Lohnnebenkosten zurück.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18390
Nein, für den Golfkrieg haben Sie das gemacht.
Sie haben auch die Versicherung- und die Tabaksteuer er-
höht. All das haben Sie 1991 gemacht.
Sie regen sich auf, weil wir die 3 Milliarden DM über die
Tabak- und die Versicherungsteuer solide finanzieren.
Wissen Sie was? Wir sind froh, dass wir uns im interna-
tionalen Bereich einig sind. Durch Ihre großen Reden ma-
chen Sie dies aber in kleinkariertester Weise kaputt, wenn
es um Realisierungen hier im Lande geht. Das ist die
Wirklichkeit.
Eine Solidarität, die durch die notwendigen unpopulären
Beschlüsse nicht im Lande unterfüttert wird, kann nicht
sehr viel über Nennwert gehandelt werden. Das ist die
Wirklichkeit, mit der wir uns bei Ihrer Politik beschäfti-
gen müssen.
Wir werden das tun, was an dieser Stelle getan werden
muss. Ich sage dies ausdrücklich noch einmal für die Bun-
deswehr, die ihren Teil bei der Terroristenbekämpfung
leisten muss und dafür zusätzliche Mittel bekommen wird.
Dies gilt auch für die Nachrichtendienste und den Kata-
strophenschutz sowie den Kampf gegen Geldwäsche.
Ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kampf ge-
gen Geldwäsche finde ich spannend. Ich glaube, Sie ha-
ben kürzlich das werde ich nachprüfen in dieser Sache
an einer anderen Stelle nicht zugestimmt. Das wird eine
spannende Veranstaltung, wie Sie den Leuten klar machen
wollen, dass immer dann, wenn es wirklich darauf an-
kommt, die Instrumente zu schärfen, plötzlich das Bür-
gerrecht auf das Bankgeheimnis allem anderen vorgeht.
Das werden Sie den Leuten klar machen müssen.
Ich sage Ihnen eines: Hier geht es darum, den steuer-
ehrlichen Bürger vor dem Betrüger zu schützen. Das ist
es, was wir lernen müssen, meine Damen und Herren.
Hier lässt sich eine Menge machen. Da werden Sie ziem-
lich umdenken müssen, übrigens auch der Föderalismus
in Deutschland; denn wir machen keine gute Figur, wenn
wir die Financial Intelligence Unit nicht haben, weil die
Bundesländer wegen ihrer Gesetzgebungskompetenz
nicht bereit sind, uns diese einrichten zu lassen. Ich hoffe,
dass das jetzt anders wird.
Sie werden die Gelegenheit haben, uns zuzustimmen,
wenn wir EDV-gestützte Recherchesysteme in den Ban-
ken vorschreiben, wie das im Vierten Finanzmarktförde-
rungsgesetz vorgesehen ist, damit man sehr schnell unty-
pische Vorgänge auf einzelnen Konten erkennen kann.
Die Banken können so etwas heute nicht erkennen das
werfe ich ihnen nicht vor , aber jene Banken, die solche
Systeme schon haben, können aus den Vorgängen Schlüs-
se ziehen und tun dies auch.
Wir werden in der Tat auch etwas dafür tun, dem Ter-
rorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Wir brau-
chen Krisenvorbeugung überall dort, wo zurzeit solche
Krisen entflammen könnten. Man bekommt eine Prämie,
wenn man sich friedlich verhält. Dazu wollen wir unseren
Beitrag leisten; auch dies ist in dem Paket enthalten. Das
ist sicherlich eine ganz richtige Entwicklung.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon
selbst fragen, ob all Ihre großen Reden über die notwen-
dige internationale Solidarität und über die notwendige
Schwerpunktsetzung bei der äußeren und inneren Sicher-
heit völlig ohne jeden eigenen Beitrag zu der Frage blei-
ben können, wie man das bezahlt. Sie müssen sich fragen,
wie glaubwürdig eine solche Politik ist.
Ich möchte mit aller Klarheit sagen: Ein erneutes Aus-
weichen in eine Schuldenpolitik das schlagen Sie zu-
verlässig jedes Mal als Rezept vor kommt für uns nicht
infrage.
Unsere Politik ist erfolgreich anders, als Sie es in
manchen Punkten dargestellt haben. Wir hatten im Jahr
2000 das höchste Wirtschaftswachstum, das es seit 1992
je gegeben hat. Das war doch nicht mehr in Ihrer Regie-
rungszeit, sondern in unserer. Wir haben in zwei Jahren
mehr Arbeitsplätze hinzugewonnen, als in acht Jahren Ih-
rer Regierungstätigkeit seit der Wiedervereinigung ver-
loren gegangen sind, meine Damen und Herren. Dass
diese Entwicklung im Moment so nicht weitergeht, ist
leider wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten.
Aber warum das so ist, weiß außer Ihnen auch jeder. Sie
wissen es in Wahrheit auch, Sie benötigen für den innen-
politischen Hausgebrauch nur eine andere Sprachrege-
lung.
Sie müssen einmal den IWF, die Europäische Zentralbank
oder die Bundesbank fragen. Es gibt zwei Gründe für die
momentane Situation: Einer ist natürlich der Ölpreis.
Außerdem ist der lang anhaltende Boom in den Vereinig-
ten Staaten zu Ende.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18391
Das sind die beiden Probleme, mit denen wir es zu tun ha-
ben und die wir angesichts der Terroranschläge nicht auch
noch verschärfen dürfen, indem wir in Panikmache und
Schwarzmalerei verfallen.
Meine Damen und Herren, jetzt ist in der Tat gefragt,
konsequent die Politik der Konsolidierung des Haus-
halts, der langfristig, nachhaltig angelegten Finanzpolitik
mit nachhaltig angelegten Steuersenkungen, mit den
nächsten Schritten in 2003 und in 2005, umzusetzen. At-
tentismus erzeugt derjenige, der ständig Verunsicherung
über die Rahmenbedingungen schafft. Wer langfristig si-
chere Rahmenbedingungen erzeugt, leistet das Beste, was
er als Staat für die Bürger und für die Unternehmen tun
kann. Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir
an unserer Kosolidierungspolitik nicht rütteln lassen.
Natürlich geht das Ganze weiter. So etwas wie unsere
Rentenreform mit der zusätzlichen privaten Eigenvor-
sorge, kapitalgedeckt und vom Staat unterstützt, haben
Sie in Ihrer Zeit doch gar nicht zuwege gebracht. Wir ha-
ben die Rentenreform richtig zuwege gebracht; Walter
Riester war es.
Meine Damen und Herren, anders, als Sie es dargestellt
haben, geht es bei Job Aqtiv nur darum, dass das Geld so
eingesetzt werden kann, dass es Mehrwert schafft. Das ist
der ganze Sinn der Regelung, den Sie überhaupt nicht be-
griffen haben, als Sie sie zitiert haben, Herr Kollege Merz.
Hierbei geht es um das Zusammenführen von Arbeits-
losen- und Sozialhilfe, wie Walter Riester das für den An-
fang der nächsten Wahlperiode angekündigt hat.
Wenn Sie sich anschauen, was wir allein in diesem
Herbst bei der Strukturreform des deutschen Finanz-
marktes zu tun haben die Vorlagen bekommen Sie
bald , dann werden Sie erkennen, wie wir als Deutsche
damit unseren Standort stärken und in den gemeinsamen
europäischen Finanzmarkt offensiv hineingehen.
Auch haben wir den Solidarpakt II abgeschlossen,
den wir in diesem Sommer mit einer Perspektive bis 2020
vereinbart haben. Sie hätten sich das groß auf Ihre Fahnen
geschrieben, wenn Sie dies zustande gebracht hätten.
Ein anderes Beispiel ist die Reform der Finanzver-
waltung.
Die Reform der Bundeswehr ist eine Riesenaufgabe,
die der Kollege Scharping zu schultern hat. Sie haben mit
diesem Etat gewirtschaftet, als ob Sie nie mit der Bun-
deswehr darüber geredet hätten, wie man mit Geld effizi-
ent umgeht. So kann man das nicht machen.
Der Kampf um mehr Reformen in diesem Lande geht
weiter. Aber er geht verlässlich auch im internationalen Rah-
men weiter; denn nur derjenige, der seine Politik in den eu-
ropäischen Zusammenhang und in den Weltzusammenhang
einordnet, wird eine Chance haben. Genau das tun wir.
Wenn Ihre Reden im Rat der Finanzminister der Euro-
päischen Union gehört würden, dann würden Sie das
sage ich Ihnen nur Kopfschütteln ernten. Selbst bei
Ihren konservativen Kollegen ich greife als willkür-
liches Beispiel den Kollegen Rato aus Spanien heraus
wäre die Reaktion auf Ihre Vorschläge nur Kopfschütteln.
Wer so wie Sie alles in Grund und Boden redet, was im
Zusammenhang mit dem europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt steht, der wird auf europäischer Ebene so
lange nicht ernst genommen, wie er diese Politik auch nur
vorschlägt. Das ist die Wirklichkeit.
Am vergangenen Wochenende haben die Staats- und
Regierungschefs sowie die Finanzminister zusammenge-
sessen. Genau das, was Sie wollen, tun wir: Wir koor-
dinieren unsere Politik in Europa. Weil wir den Konso-
lidierungspfad konsequent einhalten, gibt es für die
Europäische Zentralbank ihrerseits die Möglichkeit, die
Zinsen zu senken. Ein Abweichen vom Konsolidierungs-
pfad hätte unweigerlich zur Folge, dass die Geldpolitik
nicht mehr ihren Beitrag für das Wirtschaftswachstum leis-
ten könnte, weil die Stabilität nicht gewährleistet wäre.
Zu den G-7-Staaten: Gerade gestern haben wir alle in
einer Telefonschaltkonferenz über diese Fragen geredet.
Genau das, was ich hier vortrage, ist die Position aller Fi-
nanzminister der G-7-Staaten. Sie wollen keine hekti-
schen Reaktionen, sondern sie wollen Ruhe und Vertrauen
einkehren lassen. Im Moment sind die Probleme, die wir
haben, nicht ökonomischer Natur; die politische Verunsi-
cherung ist vielmehr das Problem.
Ich sage ausdrücklich: Die besonnene Reaktion der
Vereinigten Staaten ist ein wesentliches Element, um
mehr Sicherheit und Vertrauen bei den Menschen zu ge-
währleisten und auf diese Weise eine Basis für eine bes-
sere wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen; denn nie-
mand wird investieren, wenn er Angst hat. Der
Bundeskanzler hat vorhin das Notwendige dazu gesagt.
Deswegen ist die erste Voraussetzung für Stabilität, rich-
tig auf den Terrorismus zu reagieren und ihn innen wie
außen konsequent zu bekämpfen. Aber das muss man so
machen, dass es zu einer großen Koalition der Staaten und
der Menschen kommt, die sich gemeinsam gegen den Ter-
rorismus wehren. Das ist die richtige Antwort im Inneren
wie nach außen.
Auf dieser Basis müssen wir unseren Kurs halten. Die
Haushaltskonsolidierung, die ein Thema aller Staaten,
nicht nur der Europas, sondern der Industriestaaten ist,
muss weiter vorangetrieben werden. Langfristig müssen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18392
wir eine nachhaltige Finanzpolitik betreiben und dafür
sorgen, dass in unseren Haushalten die Zukunftsaufgaben
wieder ein größeres Feld bekommen, als sie das zu Ihrer
Zeit hatten. Das ist es, was in diesem Haushalt steckt. Das
ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht einfach,
aber auch kein Grund, in Pessimismus zu verfallen. Vor
allem ist es kein Grund, wieder in Schuldenmacherei zu
verfallen, sondern ein Grund, diesen Kurs konsequent
fortzusetzen, weil wir nur dann in Zukunft einen hand-
lungsfähigeren Staat und eine junge Generation haben
werden, die von mancherlei Druck, von Steuern und Ab-
gaben, die Sie hinterlassen haben, befreit sind.
Zu einer Zwischen-
bemerkung nach Abschluss der Debatte erteile ich dem
Kollegen Austermann das Wort.
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Es ist bemerkenswert,
dass der Finanzminister zum zweiten Mal in dieser De-
batte das Wort ergreift. Offensichtlich ist Gefahr im Ver-
zug. In den Schlagzeilen sind Begriffe wie steuerpoliti-
scher Blindflug, Eichel irrt, falsches Signal,
Offenbarungseid, Bankrotterklärung usw. zu lesen.
Man muss feststellen: Es ist gut, dass er heute hier ist. Da-
her ist anzunehmen, dass er nicht wieder heimlich die
Steuern erhöht, während das Parlament debattiert.
Herr Bundesfinanzminister, ich möchte Ihnen eine kon-
krete Frage stellen: Trifft es zu, dass Sie im vertrauten Kreise
darüber nachdenken, die Mehrwertsteuer zu erhöhen?
Sie haben vorhin angedeutet, man werde im Herbst Ent-
scheidungen treffen, nachdem man festgestellt habe, ob
die Erwartungen hinsichtlich der Steuereinnahmen erfüllt
werden oder nicht. Gehört eine solche Maßnahmen zu den
Optionen, die Sie haben? Nachdem Sie gerade erst die
Steuern erhöht haben, und zwar wesentlich deutlicher als
Sie versprochen haben, und nicht durch Umschichten
Mittel erwirtschaftet haben, liegt der Verdacht nahe, dass
eine solche Erhöhung tatsächlich vorgenommen werden
soll.
Herr Finanzminister, Sie haben gesagt, Sie hätten den
Pfad der Konsolidierung nicht verlassen. Ich möchte Ih-
nen vorhalten, dass 2002 bei deutlich niedrigeren Zinsen
als 1998 die Zinsausgaben bis 2005 um 10 Milliarden DM
steigen werden. Ich möchte Ihnen vorhalten, dass die Ge-
samtverschuldung nicht abnimmt, sondern gegenüber
dem Jahre 2002 von 715 Milliarden Euro auf 748 Milliar-
den Euro, plus Sonderrechnungen, steigt. Das ergibt sich
aus Ihrem Finanzplan.
Sie sind also weit von einem Konsolidierungskurs ent-
fernt, Sie befinden sich eher auf einer schiefen Ebene, und
diese Situation war schon eingetreten, bevor die brutalen
Terroranschläge verübt wurden.
Ich glaube, Herr Finanzminister, Sie sind der Letzte,
der die Situation der Bundeswehr beklagen kann. Be-
trachtet man, dass Sie im nächsten Jahr trotz der zusätzli-
chen Leistungen weniger Geld für die Bundeswehr zur
Verfügung stellen als 1998 und dass außerdem im Jahre
1998 das Wachstum mit fast drei Prozent im Gegensatz
zu heute ein wirkliches Wachstum war, dann ist ziem-
lich klar, dass Ihre Politik verfehlt ist.
Das Problem ist, dass Sie der Letzte sind, der merkt,
was Not tut. Sie sagen, Ihre Politik sei Kurshalten. Ich
nenne sie Borniertheit, denn sie ist nicht geeignet, wirt-
schaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung zu errei-
chen. Im Jahre 1998 hatten wir eine Zunahme der Be-
schäftigung und auch in anderen Bereichen waren die
Daten positiv.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Nach Ihrer Lesart
würde es heißen: Es geht in Deutschland aufwärts. Ja, die
Inflationsrate steigt, die Steuerbelastung steigt, die Ar-
beitslosenzahl steigt, die Verschuldung steigt, die Kassen-
beiträge steigen. Es geht so aufwärts, wie Herr Eichel das
möchte. Wir brauchen aber eine andere Politik mit einem
anderen Programm, das mehr Wachstum und Beschäfti-
gung bringt. Das ist mit Ihnen nicht zu machen. Deswe-
gen sage ich: Überlegen Sie, ob es nicht jetzt Not tut, um-
zusteuern.
Ich erteile Herrn
Finanzminister Eichel das Wort zu einer Antwort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Das war offensicht-
lich die Rede, für die Herr Austermann von seiner Frak-
tion keine Redezeit bekommen hat.
Ich weise nur auf eines hin es lohnt wirklich nicht,
mehr dazu zu sagen, Herr Austermann : Sie haben völlig
Recht, dass die Verschuldung noch ansteigt. Das ist rich-
tig; das habe ich auch immer gesagt. Wir haben erst im
Jahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt. Der Unter-
schied zu der früheren Regierung von CDU/CSU und
FDP ist der, dass die Kurve der Neuverschuldung nicht
mehr aufwärts, sondern abwärts geht. Das ist der zentrale
Unterschied.
Diese Situation wollen Sie ändern; denn würde dem
Antrag, den Sie gestellt haben, gefolgt, bedeutete das,
dass wir einen ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2006
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18393
glatt vergessen könnten. Darüber hinaus würden Sie bis
zu diesem Zeitpunkt zusätzliche Schulden von mindes-
tens 100 Milliarden DM machen. Mit anderen Worten:
Mit Ihrer Politik kommen Sie nie zu einem ausgegliche-
nen Haushalt.
Das unterscheidet uns von Ihnen.
Weitere Wortmeldun-
gen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes lie-
gen nicht vor.
Wir kommen nun zu den Geschäftsbereichen des Aus-
wärtigen Amtes, Einzelplan 05, des Bundesministeri-
ums der Verteidigung, Einzelplan 14, und des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Einzelplan 23.
Ich rufe außerdem den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuaus-
Drucksache 14/6881
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich erteile Herrn Außenminister Joseph Fischer das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die furcht-
baren Verbrechen, der terroristische Angriff auf die Ver-
einigten Staaten von Amerika, auf die Bürgerinnen und
Bürger der USA und auf die Regierung der USA, stellen
eine Zäsur für die internationale Politik, aber auch so ha-
ben wir alle und Millionen unserer Mitbürgerinnen und
Mitbürger, fern vom Ort des furchtbaren Geschehens an
den Fernsehschirmen, es empfunden einen tiefen Ein-
schnitt in unseren Alltag dar.
Ich möchte heute hier vor allen Dingen über die inter-
nationalen Konsequenzen und auch über die Konsequen-
zen für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland
sprechen. Denn wenn wir heute über den außenpoliti-
schen Etat reden, dann können wir diese völlig neue Ori-
entierung, die uns durch einen verbrecherischen Terroris-
mus aufgezwungen wurde, nicht ignorieren.
Ich hatte die Gelegenheit, in den USA selbst Gespräche
zu führen. Ich möchte dem Hohen Haus den Eindruck ver-
mitteln, wie tief die Menschen in den USA, auch die Ent-
scheidungsträger, durch diesen furchtbaren Terroran-
schlag getroffen sind und wie wichtig und notwendig die
internationale nicht nur politische, sondern auch emo-
tionale Solidarität mit den Opfern wie auch mit dem
gesamten Land, das von diesem furchtbaren Schlag ge-
troffen wurde, ist.
Meine Damen und Herren, Bündnisse sind nicht nur
für Schönwetterzeiten gedacht. Wenn wir ehrlich sind,
müssen wir zugeben: Keiner von uns, wirklich keiner
hätte gedacht, dass die USA es sein würden, die als Erste
Art. 5 des NATO-Vertrages in Anspruch nehmen. Wir alle
sind in den vergangenen Jahrzehnten davon ausgegangen,
dass es ein europäischer Staat, ja dass es mit hoher Wahr-
scheinlichkeit sogar die Bundesrepublik Deutschland sein
würde.
Nun wurden die USA auf furchtbare Art und Weise an-
gegriffen. Das ist zugleich ein Angriff auf die offene Ge-
sellschaft. Wenn zivile Flugzeuge, die alle von uns be-
nutzen, durch einen todesverachtenden und mörderischen
Terrorismus in Lenkwaffen umgewandelt werden, wenn
diese in Kamikazeangriffen in Hochhäuser gejagt werden,
um diese zum Einsturz zu bringen, dann ist dies ein An-
griff auf die offene Gesellschaft, dann ist dies auch ein
Angriff auf uns alle. Wir werden uns dieser Herausforde-
rung stellen müssen.
Insofern geht es hier nicht nur um eine abstrakte Bünd-
nissolidarität. Ich bin der festen Überzeugung: Über kurz
oder lang werden auch wir direkt damit konfrontiert wer-
den. Dieses Verbrechen wurde von den Tätern ganz of-
fensichtlich zum Teil in Deutschland und anderen europä-
ischen Staaten geplant. Dieser Terrorismus ist inter-
national. Auch für uns wird sich nicht nur die Frage stel-
len, wie wir uns gegen ihn sichern, sondern vor allen Din-
gen auch, was wir tun müssen, um uns dieser Herausfor-
derung nicht nur zu stellen, sondern sie auch wirklich zu
bestehen, indem wir diesem Terrorismus keine Chance
zur Weiterentwicklung einräumen.
Das Recht auf Selbstverteidigung ist für mich eine
Selbstverständlichkeit, wie es auch in dem Beschluss des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen heißt. Wir wer-
den hier in Zukunft vor schwierigen Entscheidungen ste-
hen. Die Resolution des Bundestages war das habe ich
auf meiner Reise in den USA persönlich erlebt sehr hilf-
reich. Denn in der US-Öffentlichkeit wird jetzt natürlich
sehr genau hingeschaut, wie die Bündnispartner sich
tatsächlich verhalten.
Wir werden schwierige Entscheidungen zu treffen ha-
ben. Dazu müssen Information und Konsultation bei den
Planungen gegeben sein. Dann werden wir unsere eigene
Entscheidungskompetenz über das, was wir für ver-
antwortbar und notwendig halten, wahrzunehmen haben.
Auch das hat die Entschließung des Bundestages klar ge-
macht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18394
Meine Damen und Herren, es wäre falsch, zu ver-
schweigen, dass diese Entwicklung bei vielen Menschen
große Sorgen und Ängste auslöst, und zwar quer zu den
politischen Lagern. Das ist nicht eine Frage eines grün-
alternativen, pazifistischen oder linken Lagers. Bis weit
hinein in die Wählerschaft der Union, ja in konservativste
Kreise herrscht Angst vor dieser neuen Herausforderung
sagen wir es doch direkt: auch Kriegsangst , Angst vor
einer nicht kontrollierbaren Konfrontation.
Auf diese Ängste müssen wir eingehen. Eine Demo-
kratie lebt von der Zustimmung der Menschen. So wich-
tig die Solidarität der Verantwortlichen hier ist die Bun-
desregierung und auch der Bundestag haben ihre Position
zweifelsfrei klar gemacht , genauso wichtig wird es sein,
dass wir die Menschen mitnehmen und sie überzeugen.
Wir haben die neue Herausforderung in der Tat entspre-
chend darzustellen und zu erklären. Wir müssen auf die
Ängste dort reagieren, wo sie begründet sind, und sie auf-
zulösen versuchen, wo sie nicht begründet sind.
Ich möchte nochmals deutlich machen, worum es die-
sem Terrorismus geht. Haben wir denn eine Alternative,
indem wir nicht, auch nicht mit militärischen Mitteln, auf
ihn reagieren? Würde der Verzicht auf eine Reaktion diese
Terroristen von ihrem nächsten Anschlag abhalten, wäre
dies ja eine rationale Position. Ich behaupte aber: Wenn
Sie sich mit den Erkenntnissen der Dienste und Sicher-
heitsbehörden sowie mit dem beschäftigen, was öffentlich
vorliegt, dann kommen Sie nicht um die Feststellung
herum, dass das Ziel dieser Terroristen schlicht und ein-
fach darin besteht, durch diese Terroranschläge einen
Krieg der Kulturen zu entfesseln, den islamisch-arabi-
schen Raum umzustürzen und in Brand zu setzen sowie
Israel zu zerstören. Duckten wir uns weg, führte dies nicht
zu einem Ende des Terrors; vielmehr beflügelte eine sol-
che Botschaft eher den Terror.
Die erforderlichen Reaktionen wünscht sich die Bun-
desregierung nicht; aber das ist die bittere Wahrheit, die
wir den Menschen bei uns sagen müssen. Deswegen wer-
den wir nicht umhinkommen, diese Herausforderung an-
zunehmen. Die offene Gesellschaft, die Demokratie,
muss sich gegenüber dem menschenverachtenden Terro-
rismus durchsetzen; anderenfalls brauchen wir über eine
Weltordnung, wie wir sie uns für das 21. Jahrhundert vor-
stellen, allen Ernstes nicht zu sprechen.
Es ist offensichtlich, dass auf diesem Gebiet jetzt auch
politische Gestaltungsaufgaben auf uns zukommen. Wenn
man über Selbstkritik redet, dann vielleicht in folgender
Weise das meine ich gar nicht parteipolitisch : Wir hät-
ten eigentlich durch die Entwicklung auf dem Balkan und
das Wiederentstehen des Nationalismus gewarnt sein
müssen. Wir hätten nach dem Ende des Kalten Krieges im
Laufe der 90er-Jahre begreifen müssen, dass eine ökono-
mische Globalisierung allein nicht zureichend ist, wenn
die politischen Konflikte in der Welt zunehmen, wenn
Ungerechtigkeiten nicht angegangen werden und wenn es
keine multilaterale Anstrengung der Weltgemeinschaft
nicht einer oder zweier Mächte gibt,
eine Ordnung zu schaffen, die auf Menschenrechte, De-
mokratie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gründet und
die in den heißen Konflikten dieser Welt einen Interes-
senausgleich herbeizuführen versucht. Wenn wir das nicht
aufnehmen, wird der Kampf gegen die terroristische He-
rausforderung nicht zu gewinnen sein.
Meine Damen und Herren, darauf kommt es ganz ent-
scheidend an. Das bezeichne ich als die richtige Kritik an
der Globalisierung. Es gibt aber auch eine falsche Kritik.
Wenn die Ereignisse zu einer weiteren Abschottung
führen, wenn die offene Weltwirtschaft und auch die of-
fene Kommunikation im Endeffekt dazu führen, dass wir
uns vielleicht aus den Notwendigkeiten der inneren Si-
cherheit heraus wieder abschotten, wenn sich Angst-
denken breit macht, wenn wir uns zwar dagegen wehren,
Menschen, die anders aussehen und aus einem anderen
Kulturkreis kommen, als Feinde zu sehen, aber unter dem
Druck des Terrorismus mehr und mehr so fühlen das
wird sein Ziel sein , dann, so fürchte ich, werden wir in
eine Entwicklung geraten, in der nicht mehr die Offenheit,
der Dialog, auch nicht mehr die wirtschaftlichen und so-
zialen Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft und auch
einer offenen Weltwirtschaft überwiegen werden, und
dann wird die Abschottung zu Ängsten, diese wiederum
zu Ideologien und diese zu Konfrontationen führen. Das
wäre der erste große Sieg der Terroristen.
Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir
jetzt die Kürze der Zeit lässt eine längere Ausführung
nicht zu die politischen Gestaltungsmöglichkeiten nut-
zen. Das bedeutet aber auch, dass wir im Rahmen der An-
titerrorkoalition die Menschenrechte nicht vergessen
dürfen.
Hier wird nun von mancher Regierung, deren demokrati-
sche Legitimation ich formuliere das jetzt sehr zurück-
haltend nach unseren Maßstäben nicht gegeben ist, ver-
sucht, mit der politischen Opposition reinen Tisch zu
machen. Aber auch hier besteht die Aufgabe und Not-
wendigkeit der Differenzierung. In diesem Zusammen-
hang betone ich erneut: Die Kritik an den Ereignissen in
Tschetschenien, die wir formuliert haben, beinhaltet
keine Kritik an der Legitimation ich behaupte sogar: an
der Pflicht der Russischen Föderation, ihre territoriale
Integrität zu erhalten. Russland hat nicht nur das Recht
auf, sondern auch die Pflicht zur Selbstverteidigung ge-
genüber Terrorismus. Das habe ich nie infrage gestellt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Joseph Fischer
18395
Man muss aber sehr wohl die Frage stellen, ob dies Men-
schenrechtsverletzungen in dem Ausmaß legitimiert, wie
sie etwa unabhängige Menschenrechtsorganisationen dar-
gestellt haben.
Diese Kraft der Differenzierung dürfen wir nicht aufge-
ben.
Gäben wir sie auf, bedeutete das ebenfalls, dass der Ter-
rorismus mit seiner Ideologie einen Sieg davongetragen
hätte.
Die offene Gesellschaft muss sich jetzt erweisen. Das
gilt auch für unser humanitäres Engagement. Wir haben
die Afghanistan-Unterstützungsgruppe, der wir vorsitzen,
für morgen erneut einberufen, denn wir sehen in diesem
Land eine humanitäre Katastrophe. Allerdings existiert
diese humanitäre Katastrophe, die sich jetzt verschärft,
seit Jahren. Ich frage jetzt hier, ob wir bisher wirklich an-
gemessen auf die Tatsache reagiert haben, dass seit 1992
in Algerien 100 000 Menschen ihr Leben verloren, oder
ob unsere Reaktion nur dadurch bedingt war, dass die
Massaker dort und nicht in Europa stattfanden. Ich hoffe,
dass wir alle gemeinsam für die Zukunft daraus lernen,
dass wir mit dieser terroristischen Herausforderung nur
fertig werden, wenn wir eine neue Ära des Engagements
für diese eine Welt einleiten. Anderenfalls werden wir
meines Erachtens in unseren Bemühungen scheitern.
Lassen Sie mich deswegen noch ganz kurz, fast im
Telegrammstil sagen, wie wichtig es sein wird, dass sich
der Nahostkonflikt nicht weiter entwickeln kann und dass
wir auf dem Balkan keine Eskalation zulassen. Hätten wir
auf dem Balkan nicht eingegriffen, wäre die Lage der ver-
triebenen albanischen Muslime in Albanien, in Mazedo-
nien und anderswo weit schlechter. Schauen Sie sich die
Erfahrungen in Bosnien an und die Kontakte, die es da-
mals zum islamistischen Radikalismus gab. Daran erken-
nen Sie, wie wichtig es war, dass Europa keinen Krieg der
Religionen zugelassen hat, sondern dass sich das christ-
liche Europa für europäische Muslime, ihre Menschen-
rechte und elementaren Interessen eingesetzt hat. Ange-
sichts dessen kann ich nur sagen: Der Balkan macht
ebenfalls klar, dass wir uns verstärkt einmischen müssen,
und zwar nicht, um eine Kriegspolitik zu betreiben. Las-
sen wir doch endlich diesen Quatsch von gestern! Wenn
wir uns hier nicht mit allem, was wir haben, von der mi-
litärischen Seite bis zur humanitären, über Wirtschaft, Po-
litik und Kultur, einmischen, dann kann das unabsehbare
Folgen zeitigen.
Nein, nein, das sage ich auch zu Ihnen.
Es tut mir wirklich Leid. Wenn ich mich an manche Ma-
zedoniendebatte erinnere
wir werden in dieser Woche vermutlich noch einmal
eine solche zu führen haben , dann richtet sich mein Ap-
pell nicht nur an eine Seite des Hauses, verehrter Herr
Kollege.
Ein letzter Satz: Ich bedaure es sehr, dass Europa hin-
sichtlich der politischen Integration noch nicht weiter
vorangekommen ist. Gerade in dieser Krise mussten wir
es wieder erleben. Wir dürfen aber nicht beim Bedauern
stehen bleiben. Ich war immer der Meinung, dass wir in
diesem Jahrzehnt die politische Union, das international
handlungsfähige Europa brauchen, bedingt durch die Er-
weiterung der Europäischen Union, bedingt durch die
ökonomischen Konsequenzen des Euro und bedingt
durch internationale Krisen, die von außen auf uns ein-
wirken. Ich ging allerdings nicht davon aus, dass es zu ei-
ner solchen Zäsur kommen würde. Umso wichtiger wird
es sein, dass wir Europäer jetzt noch sehr viel schneller
politisch erwachsen werden.
Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Rühe für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Serie barbarischer Ter-
rorangriffe in den USA stellt uns vor eine grundlegend
neue Lage. Darin stimmen wir alle überein. Was bislang
unter dem Stichwort asymmetrische Bedrohung ab-
strakte Theorie war, ist in diesen Tagen grauenvolle Rea-
lität geworden. Bislang waren vor allem Kriege zwischen
Staaten und bewaffnete Konflikte innerhalb eines Landes
denkbar. Jetzt kommen nicht staatliche internationale Ak-
teure mit unübersehbaren Zerstörungspotenzialen hinzu,
und die Verwundbarkeit unserer hoch technisierten,
äußerst mobilen, auch digital vernetzten Gesellschaften
stellt uns vor völlig neue Herausforderungen.
Was sich am 11. September in den Vereinigten Staaten
von Amerika ereignet hat, kann sich morgen in einem an-
deren Land, in anderer Form auch bei uns wiederho-
len, und es sind so schrecklich diese Vorstellung ist; ich
will das nicht ausbuchstabieren, aber wir müssen es wis-
sen noch Steigerungen des Terrors denkbar. Deshalb
liegt die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in unser aller Interesse.
Der Angriff vom 11. September war ein Angriff auf uns
alle. Deshalb müssen wir uns auch gemeinsam wehren.
Das hat der Verteidigungsminister am Wochenende zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Joseph Fischer
18396
Recht gesagt. Ich hoffe, dies ist die Einstellung der ganzen
Regierung: ein Angriff auf uns alle wir müssen uns auch
gemeinsam wehren! Es geht eben nicht nur um die Soli-
darität unter Bündnispartnern, sondern die Beteiligung
Deutschlands am Kampf gegen den internationalen Terro-
rismus ist ein überragendes Eigeninteresse unseres Lan-
des. Das muss eine politische Führung im Gespräch mit
der Bevölkerung deutlich machen, damit wir die Stärke
aufbringen, die wir in dieser Situation brauchen.
Was letztlich zählt, Herr Bundesaußenminister ge-
rade auch langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völ-
ker ist das, was real geschieht. Wir können das ja an uns
selbst feststellen. Manche erinnern sich noch daran, was
Ende der 50er-Jahre die Unterstützung der Vereinigten
Staaten von Amerika für das neue Deutschland an Chan-
cen für uns alle bedeutete, und wir sehen, wie sehr das
heute noch lebendig ist. Es gibt solche Situationen und
wir erleben jetzt eine solche Situation , von denen man
sich noch in Jahrzehnten daran erinnern wird, wie wir uns
verhalten haben. Was letztlich zählt gerade eben auch
langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völker , ist
das, was real geschieht.
Deswegen ist es die Aufgabe der nächsten Tage und
Wochen, die eindrucksvollen deutschen Solidaritätsbe-
kundungen auch in konkretes Handeln umzusetzen. Jetzt
ist es an den europäischen Demokratien und gerade auch
an Deutschland, zu zeigen, ob sie so wehrhaft sind, wie sie
zu sein glauben und wie sie immer sagen.
Klar ist jedenfalls, dass sich das, was uns im Golfkrieg
unter den damaligen Umständen, als wir als Bundesrepu-
blik Deutschland in dieser Auseinandersetzung einen
finanziellen Beitrag geleistet haben dazu gab es keine
Alternative , den Vorwurf der Scheckbuchdiplomatie
eingebracht hat, nicht wiederholen darf. Das wäre auch
nicht vereinbar mit der erklärten Politik der Bundesregie-
rung einer uneingeschränkten Solidarität mit den Ver-
einigten Staaten von Amerika. Das müssen wir alle wis-
sen, und das ist angesichts mancher Diskussionen eine
Warnung an die Regierung.
Die Entwicklung der letzten beiden Wochen das ist
ebenfalls deutlich geworden, nicht zuletzt gestern in der
Rede des Präsidenten Putin gibt aber auch Anlass zur
Zuversicht. Wir sehen, wie die Vereinigten Staaten auf die
neue globale Bedrohung mit einer globalen Politik rea-
gieren. Weltweit entsteht eine Koalition, die entschlossen
ist, den Kampf gegen den Terrorismus aufzunehmen. Sie
geht weit über die NATO hinaus und schließt Russland,
China, Indien sowie die gemäßigten islamischen Länder
ein.
Die Denkmuster des Kalten Krieges haben ausgedient;
das ist richtig. Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine
gemeinsame Aufgabe der gesamten zivilisierten Welt ge-
worden. Der Bundeskanzler hat von der uneingeschränk-
ten Solidarität mit den Amerikanern gesprochen. Aller-
dings darf sich unsere Solidarität nicht auf eine punktuelle
Krisensolidarität beschränken.
Die großen Herausforderungen, vor denen wir heute ste-
hen, machen uns Europäern mehr denn je deutlich, dass
die Gemeinsamkeiten, die wir mit den Amerikanern ha-
ben, bei weitem wichtiger sind als die Differenzen. Auch
dies ist ein Punkt, in dem die Koalition in der Vergangen-
heit gelegentlich gesündigt hat.
Was wir im Übrigen brauchen, ist eine transatlantische
strategische Solidarität nicht nur in der Krise, sondern
eine strategische Solidarität bei der Gestaltung und Si-
cherung unserer gemeinsamen Zukunft. Das ist die Poli-
tik, die wir von der Bundesregierung verlangen.
Was heißt das? Amerika wird als Antwort auf die globa-
len Gefahren des Terrorismus noch mehr als bisher Auf-
gaben außerhalb Europas wahrnehmen; es wird neue Pri-
oritäten setzen, nicht zuletzt den Schutz des eigenen
Territoriums, und die Amerikaner werden von uns Euro-
päern zu Recht erwarten, dass wir sie in Europa entlasten
und gemeinsam internationale Verantwortung überneh-
men. Wer jetzt nicht bereit ist, dafür die notwendigen
Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen oder sie schnellstens
zu schaffen, der verhält sich nicht nur unsolidarisch, son-
dern was noch wichtiger ist er schadet auch seinen ei-
genen Interessen. Viel zu lange haben wir Europäer uns in
unseren eigenen Angelegenheiten auf die USA verlassen
zu stark. Jetzt reicht es nicht mehr, nur von der Über-
nahme größerer Verantwortung zu reden, jetzt müssen wir
dies auch durch unser Handeln beweisen.
Das betrifft Herr Bundesaußenminister, da bin ich
ganz anderer Meinung als Sie auch Mazedonien. Wir
Europäer werden unserer Verantwortung für die Friedens-
sicherung in dieser Region nur dann gerecht, wenn wir
sicherstellen, dass die durch die EU- und NATO-Vermitt-
lung erreichten politischen Vereinbarungen dauerhaft ver-
wirklicht werden. Die eher symbolische Waffen-
entgegennahmeaktion hat keine echte Verbesserung der
Sicherheitslage in Mazedonien gebracht.
Das haben wir so auch vorausgesagt.
Die NATO wird heute ihren Auftrag als erfüllt erklären,
ohne dass erkennbar ist, dass die politischen Vereinbarun-
gen tatsächlich im mazedonischen Parlament angenom-
men sind. Sie selbst haben die Gefahr eines sicherheits-
politischen Vakuums und einer ethnischen Teilung
eingeräumt und fordern eine militärische Absicherung der
Implementierungsanstrengungen.
Um zu vermeiden, dass der Bürgerkrieg wieder
aufflammt, müssen Sie jetzt kurzfristig nachbessern und
eine neue Mission vorsehen, obwohl von Anfang an
klar war, dass Essential Harvest nicht zur notwenigen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Rühe
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Stabilisierung und zur Vertrauensbildung in der Bevölke-
rung Mazedoniens beitragen wird.
Es ist genau das eingetreten, wovor wir gewarnt haben
ich zitiere aus meiner Rede von Ende August; lesen Sie
die Protokolle nach :
Ein neuer Einsatz wird notwendig werden. Er wird
härter und länger. Unsere Soldaten werden in größe-
rer Zahl und längerfristig in Mazedonien gebunden
sein.
Wir haben Ihnen damals in der Debatte gesagt: Das wird
eintreten. Das war eine richtige Beschreibung der Si-
tuation.
Die neue Mazedonien-Mission muss deshalb wirksamer
zur Friedenssicherung beitragen. Es zeigt sich im Übrigen
auch wenn das neue Engagement auf die Bundeswehr
zukommt , wie richtig es war, dass wir eine stärkere
finanzielle Absicherung der Bundeswehr gefordert ha-
ben.
Größere Verantwortung wahrzunehmen heißt, den euro-
päischen Einigungsprozess konsequent voranzutreiben. Ich
glaube, es ist vielleicht der wichtigste Beitrag Europas zur
Stabilisierung der Weltpolitik, dass wir in diesem Bereich
europäische Einigungspolitik und Öffnung nach Osten
energisch vorangehen. Zur Übernahme größerer Verant-
wortung und zur Aufgabenteilung mit Amerika muss auch
gehören, dass wir zügig die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik verwirklichen und die dafür notwen-
digen militärischen Fähigkeiten schaffen. Bei strategi-
schem Transport, Aufklärung und Kommunikation sind wir
sehr stark auf amerikanische Fähigkeiten angewiesen. Seit
dem 11. September ist dies ein noch knapperes Gut. Wenn
sich Europa diese Fähigkeiten nicht bald in ausreichendem
Maße beschafft, wird es schon bald die unangenehme Er-
fahrung machen, dass diese Ausrüstung gerade anderswo
im Einsatz ist, wenn es sie vielleicht selber braucht.
Die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr ver-
hindert schon heute, dass Deutschland alle seine Bünd-
nisverpflichtungen erfüllen kann,
und macht alle Pläne über eine stärkere europäische Rolle
zu bloßem Gerede. Es besteht die Gefahr und das ist für
Deutschland beschämend , dass die mit dem EU-Gipfel
in Köln eingeleitete europäische Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik wegen unzureichender Beiträge ausge-
rechnet an Deutschland scheitern könnte. Der Generalin-
spekteur der Bundeswehr hat in den letzten Tagen erneut
vor mangelnder Einsatzfähigkeit gewarnt. Ich glaube, in
dieser Situation ist es international und national ein Skan-
dal, dass hier nur einmal für ein Jahr eine beschränkte
Summe zur Verfügung gestellt wird. Wir bleiben dabei:
Die dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr muss
beseitigt werden. Wir brauchen eine längerfristige Per-
spektive zur Überwindung der dringendsten Engpässe,
damit Deutschland seiner außen- und sicherheitspoliti-
schen Verantwortung gerecht werden kann.
Es kommt darauf an, nach diesen schrecklichen Atten-
taten neue Prioritäten für die innere und die äußere
Sicherheit zu setzen und die finanziellen Ressourcen neu
zu ordnen. Zur uneingeschränkten Solidarität gehört aus
unserer Sicht eben auch, dass es jetzt endlich zu der not-
wendigen finanziellen Kehrtwende kommt.
Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsi-
dent hat einen langen Feldzug aller, die an Fortschritt, Plu-
ralismus, Toleranz und Freiheit glauben, angekündigt.
Wir Deutschen wollen diesen schwierigen, aber un-
ausweichlichen Weg mit unseren amerikanischen Freun-
den mitgehen: im Rahmen der NATO, aber auch im Rah-
men der transatlantischen Partnerschaft der EU mit den
USA. Wir wollen diesen Weg unter Inanspruchnahme
aller zur Verfügung stehenden Mittel politisch, wirt-
schaftlich und militärisch mitgehen. Außenpolitisch müs-
sen wir uns an der Bildung der weltweiten Koalition ge-
gen den Terrorismus beteiligen und für ihren dauerhaften
Zusammenhalt sorgen. Wenn wir die weltweite Gefahr
von Terrorismus und Extremismus aber dauerhaft bändi-
gen wollen ich denke, darin sind wir uns einig , müs-
sen wir unsere sicherheitspolitischen Überlegungen durch
ein umfassendes und langfristiges außen- und entwick-
lungspolitisches Konzept ergänzen.
Manche haben sich in der Diskussion, die stattgefun-
den hat, vergaloppiert, als sie versuchten, direkte Gründe
oder gar Entschuldigungen für den internationalen Terro-
rismus zu finden. Es ist gar keine Frage, dass es einen
Nährboden für Terrorismus überall dort auf der Welt
gibt, wo Armut, Perspektivlosigkeit und Frustration herr-
schen und es an Bildung mangelt. Das ist aber etwas an-
deres; denn es geht nicht darum, Entschuldigungen und
direkte Motive zu finden, sondern es geht darum, zu über-
legen, wo es einen Nährboden gibt, der den Terroristen die
Chance bietet, junge Menschen zu finden, die im interna-
tionalen Terrorismus eine Lebensperspektive sehen und
sich auf diese Weise für ihn einsetzen. Wir müssen des-
wegen versuchen, auch dieses in unsere Strategie einzu-
beziehen.
Wir unterstützen das, was die Bundesregierung im Na-
hen und Mittleren Osten unternimmt. Aber wenn man die
Bilder von dort sieht, fragt man sich, wie ein Friede zu-
stande kommen soll, wenn wenige Kilometer von Israel
entfernt junge Menschen zu Hass und zur Unversöhnlich-
keit erzogen werden und ihnen als Vorbilder Selbstmord-
attentäter vorgehalten werden. Wir müssen mit aller
Klarheit den Terrorismus mit all den politischen, ökono-
mischen und militärischen Möglichkeiten, die wir haben,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Rühe
18398
bekämpfen, aber wir müssen auch alles tun, um den Nähr-
boden auszutrocknen. Dazu gehört ein außen- und
entwicklungspolitisches Konzept. Dazu gehört auch, dass
wir mit aller Deutlichkeit klar machen: Wir tolerieren
nicht, dass irgendwo eine junge Generation zu Hass und
Intoleranz erzogen wird.
Vielen Dank.
Ich erteile für die
SPD-Fraktion das Wort der Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Rühe, ich bedauere, dass Sie
erst im allerletzten Teil Ihrer Rede zu den wirklichen Pro-
blemen vorgedrungen sind, die wir zu lösen haben. Ich
denke, wir sollten uns noch viel mehr über genau diese
Aspekte unterhalten.
Ist denn nach dem 11. September nichts mehr, wie es
vorher war? Müssen wir in der Außen- und Sicherheits-
politik total umdenken? Nach dem ersten Schock, der sich
jetzt langsam gelegt hat, gilt es, mit sehr großer Ge-
nauigkeit zu analysieren, wo neue Konzepte und Strate-
gien entwickelt werden müssen. Viele Strukturen sind
schon vorhanden, vieles ist angedacht worden. Es geht
jetzt darum, wirklich konsequent die Strategie, die wir
endlich als richtige erkannt haben, in Handeln umzuset-
zen. Dazu sind Entschlossenheit und Besonnenheit not-
wendig.
Terrorangriffe kamen ja bisher in unseren sicherheits-
politischen Konzepten nur am Rande vor, obwohl der Ter-
ror in der Welt allgegenwärtig ist. Wir haben schmerzlich
begreifen müssen, dass dies kein regionales Phänomen,
sondern ein globales Problem ist. Lassen Sie mich aber
ausdrücklich sagen, dass die Krise ausgelöst durch die
Mörderangriffe auf New York und Washington, die mit
Recht als Angriff gegen unsere Zivilisation, gegen unsere
Demokratie, gegen Menschenrechte und Freiheit emp-
funden werden von den USA und der internationalen
Staatenwelt bisher hervorragend und mit Besonnenheit
gemeistert worden ist.
Die Solidarität und das Mitgefühl, die den USA ent-
gegengebracht wurden, haben bewusst gemacht, dass
solche Krisen nur durch internationales Engagement und
durch langfristig angelegtes multilaterales Handeln
gelöst werden können. Die Bundesregierung, die EU, die
NATO und die Vereinten Nationen haben sehr schnell die
notwendigen Entscheidungen getroffen, um ihre Ent-
schlossenheit bei der Bekämpfung des Terrorismus un-
missverständlich klar zu machen. Dies war notwendig
und unumgänglich. Aber es hat keinerlei übereilte und
möglicherweise zu einer Eskalation beitragenden Reak-
tionen gegeben, wie mancher am Anfang befürchtet ha-
ben mag.
Herausforderungen wie die Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus sind nur durch internationale Ko-
operation zu bestehen.
Kofi Annan plädiert dafür, die UNO zu einem Forum für
den Aufbau einer universellen Koalition gegen den Terro-
rismus zu machen, sodass den langfristig angelegten Re-
aktionen auf den Terrorismus globale Legitimität verlie-
hen wird. Er fordert des Weiteren ich denke, das müssen
wir uns auch auf die Fahnen schreiben , endlich die Kon-
ventionen zur Auslieferung und Verfolgung von Straftä-
tern sowie zur Bekämpfung der Geldwäsche zu ratifizie-
ren.
Er fordert, die Ursachen und den Nährboden des Terrors
zu bekämpfen: Konflikte, Armut, Unwissenheit und
Krankheit.
Javier Solana plädiert für eine Verstärkung der Zusam-
menarbeit in allen Bereichen der Politik, der Wirtschaft
und der Sicherheit. Das muss auch geschehen. Aber dies
alles ist nicht neu. Darüber ist schon nachgedacht worden.
Es gibt bereits erste Ansätze. Nur, es gibt Versäumnisse
bei der Umsetzung. Daraus müssen wir die Lehren ziehen.
Die eigentliche Aufgabe, vor der auch wir stehen, be-
ginnt jetzt. Die internationale, weltweite Koalition, die
sich gegen den Terror gebildet hat, muss gemeinsame
Strategien entwickeln, um dem Terror den Boden zu ent-
ziehen. Diese Koalition darf nicht auseinander brechen;
denn sonst werden die unterschiedlichen Interessenlagen,
die zweifelsohne vorhanden sind, eine stringente Kon-
zeption verhindern. Es gilt die Chance zu nutzen, China
und Russland in die Strategien zur Bekämpfung des Ter-
rorismus einzubinden. Die Rede von Staatspräsident Putin
hat dafür Ansätze geliefert. Das ist auch eine Chance für
weltweite Stabilität.
Es gilt, Indien und Pakistan, die Schlüsselpartner in der
Region sind, in der man die Kernzelle des Terrorismus ge-
ortet hat, einzubeziehen. Bin Laden wird nur in der Ko-
operation mit Pakistan unschädlich zu machen sein, was
für Pakistan ein hohes Risiko und für uns eine besondere
Verantwortung bedeutet. Wir kämpfen nicht gegen Af-
ghanistan, sondern gegen die Strukturen des Terrors.
Wir brauchen auch eine Strategie für Afghanistan, wenn
die Konflikte dieser Region gelöst werden sollen.
Darüber hinaus müssen wir den Dialog mit den islami-
schen Staaten suchen und intensivieren, auch mit jenen,
die bisher als Schurkenstaaten galten: Iran, Libyen und
Syrien. Ich erinnere daran, dass der so genannte kritische
Dialog, den die Bundesregierung mit dem Iran zu führen
begonnen hat, sehr häufig unter Beschuss genommen
worden ist. Das gilt auch für die Unterstützung des Dia-
loges mit Nordkorea.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Rühe
18399
Der Nahostkonflikt ist bereits erwähnt worden. Er ist
nicht der einzige Konflikt, der im Mittelmeerraum gelöst
werden muss. Deshalb wird der Barcelona-Prozess in Zu-
kunft von größerer Bedeutung sein. Ich möchte die FDP da-
rauf hinweisen, dass ihre Idee einer Konferenz für Sicher-
heit und Zusammenarbeit im Nahen Osten gar nicht neu ist.
Erstens ist der Barcelona-Prozess ein ausreichender Rah-
men, um so etwas zu organisieren. Zweitens Herr van
Essen, vielleicht erinnern Sie sich daran; denn Sie waren
schon damals Mitglied des Bundestages hat die SPD be-
reits in den 90er-Jahren das war damals meine Kollegin
Katrin Fuchs genau diese Idee vertreten.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir diese Idee ver-
folgen sollten. Ich habe lediglich angemerkt, dass sie
nicht neu ist. Es ist alles schon einmal da gewesen.
Dialog statt Konfrontation wird künftig weltweit die
außenpolitische Handlungsmaxime lauten müssen. Nur
so wird es gelingen, regionale Stabilitätsstrukturen aufzu-
bauen. Das internationale Netzwerk des Terrors und sein
Nachschub werden nur so zerstört werden können; denn
es wird nicht ausreichend sein, die Finanzströme zu stop-
pen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Satz
von Johannes Rau anlässlich der Demonstration am Bran-
denburger Tor erinnern: Der beste Schutz gegen Terror,
Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ord-
nung.
Das bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für die
Entwicklungspolitik und für die Weltwirtschaftspolitik im
sozialen und im ökologischen Bereich. Wir wissen, dass
militärische Mittel allein nicht tauglich sind, diese Krisen
zu bewältigen.
Eine ganze Menge Strukturen existieren, die eine sol-
che Politik unterstützen können. Die Bundesrepublik hat
für das Zustandekommen entsprechender Konzepte aus-
schlaggebende Impulse gegeben. In den 90er-Jahren ha-
ben SPD und Grüne diese Konzepte entwickelt. Sie wur-
den damals verlacht. Heute hat die Bundesregierung
bewiesen, dass Krisenprävention und Konfliktrege-
lung in einem abgestimmten Konzept, umgesetzt in der
Europäischen Union, ein ganz wichtiger Bestandteil zur
Lösung bestehender und zukünftiger Konflikte sein kön-
nen.
Wir haben nicht nur einen Mister GASP mit einer Te-
lefonnummer sowie einen Militärausschuss und einen
Militärstab, sondern auch ein umfangreiches Konzept für
den Bereich des zivilen Krisenmanagements. Kosovo und
Mazedonien sind ein Beweis dafür, dass diese Konzepte,
auch wenn es mühsam ist, durchaus wirksam sein können.
Wir werden uns gerade in Mazedonien in stärkerem Maße
auf diese Konzepte stützen müssen. Wir haben einen Aus-
schuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements einge-
richtet. Außerdem wurden weitere Vorkehrungen getrof-
fen. Nicht nur innerhalb der EU, sondern auch innerhalb
der OSZE und der UNO sind entsprechende Strukturen
aufgebaut worden bzw. sind im Aufbau.
Mir tut wirklich in der Seele Leid, dass in diesem Zu-
sammenhang das Programm der Europäischen Union zur
Verhütung gewaltsamer Konflikte, das auf dem Götebor-
ger Gipfel beschlossen wurde und das auch ein Modell-
projekt für internationale Politik darstellen könnte, über-
haupt nicht wahrgenommen worden ist. Es ist wirklich ein
Modellprojekt zur Bekämpfung von Konfliktursachen
und es bietet Instrumente zur Konfliktüberwindung. Die-
ses Projekt ist ein wesentlicher Fortschritt und ein Ver-
dienst der Europäischen Union, das in der internationalen
Politik umgesetzt werden muss.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin sofort fertig. Ich möchte nur
noch einen Satz sagen.
Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Instrumente, die
sich in der Vergangenheit ausdrücklich bewährt haben,
zum Beispiel der ganze Komplex von Abrüstung und Rüs-
tungskontrolle.
Das wird mehr als ein
Satz.
Wir sollten bewährte Instrumente, die
Stabilität schaffen, Proliferation verhindern und Ver-
trauen bilden können, nicht auf den Misthaufen werfen,
sondern dahin gehend überprüfen, wie sie gestärkt werden
können, damit sie in dem neuen Kontext tatsächlich noch
wirksamer als bisher werden.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es ist richtig: Die schrecklichen Ereignisse
vom 11. September haben auch die Koordinaten der
Außenpolitik gründlich verschoben. Auch in diesem Fall
gilt: In der Krise liegt eine Chance, nämlich die Chance
für neue internationale Allianzen, für neue Koalitionen,
für neue Kooperationen. Die eindrucksvolle Rede, die der
Präsident der Russischen Föderation, Putin, gestern hier
gehalten hat, war ein deutlicher Ausdruck dieser neuen
Möglichkeiten.
Leider ich muss das hier loswerden findet man ge-
rade hierzulande auch neue Allianzen verantwortungslo-
ser Schwätzer, Besserwisser und Moralapostel.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Uta Zapf
18400
Wer den Artikel von Reinhard Mohr im Tagesspiegel
vor wenigen Tagen gelesen hat, der konnte entsprechende
Kostproben zur Kenntnis nehmen. Ich will auf die unsäg-
lichen Auswüchse, die es gegeben hat, nicht ausführlich
eingehen. Die Berliner Kultursenatorin hat gesagt, die
New Yorker Türme seien als phallische Symbole ohnehin
immer schon verdächtig gewesen. Ich will auch nicht wei-
ter auf den unsäglichen Karlheinz Stockhausen eingehen,
der das, was da passiert ist, das größte Kunstwerk aller
Zeiten genannt hat. Diese Äußerungen lassen nur auf den
Geisteszustand dieser Leute schließen.
Ich will an eine Aussage von Durs Grünbein erinnern,
den Herr Schlauch heute Vormittag hier zustimmend er-
wähnt hat. Durs Grünbein hat nämlich davon gesprochen,
dass nach der numerischen Logik von Großmächten aus
den 5 000 Opfern von New York demnächst 50 000 Kriegs-
tote auf der anderen Seite werden würden. Das muss man
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was geschieht
denn hier? Hier werden Ursache und Wirkung völlig ver-
wechselt.
Es ist ja richtig, dass man nach Erklärungen sucht. Aber
man darf doch diese Erklärungen nicht heranziehen, um
das, was da geschehen ist, zu entschuldigen.
Genau dies ist doch hier geschehen.
Das Elend in der Welt ist sicher ein Nährboden für Ter-
rorismus. Aber die Anschläge von New York und Wa-
shington waren nicht Notwehr gegen Elend, sondern
grandiose Mammutkriminalität schlimmster Sorte.
An dieser Stelle kann man nicht sagen: Ich bekämpfe die-
sen Terrorismus, indem ich heilsbringend durch die Welt
laufe und ein bisschen mehr Entwicklungshilfe betreibe.
Hier ist zunächst einmal entschlossene Notwehr der
zivilisierten Gesellschaften ringsum auf der Welt gefragt.
Wenn ich sage entschlossen, dann meine ich entschlossen
auch mit gewaltsamen Mitteln.
Wir haben dankenswerterweise in einer wohl nicht vo-
raussehbaren Koalition in diesem Hause beschlossen, dass
wir solidarisch mit den Vereinigten Staaten sind und dass
wir gegen den Terrorismus vorgehen wollen und müssen
notfalls auch mit militärischen Mitteln. Aber was wird ge-
schehen? Wir haben es am letzten Wochenende schon er-
lebt: Auf den Kongressen der Grünen wurden Beschlüsse
gefasst, die besagen: Das, was im Deutschen Bundestag
gesagt wurde, trägt die grüne Basis nicht mit.
Es wird Folgendes passieren: Das erste zivile Opfer bei
der Notwehr der Staatengemeinschaft zum Beispiel in
Kabul wird in dieser Optik die zigtausend Toten von
New York leider aufwiegen. Ich sehe schon die weißen
Leintücher aus den Fenstern hängen und den tief verwur-
zelten Antiamerikanismus aufkommen, wenn die erste
Hilfeleistung von uns gefordert wird.
Wir befinden uns keineswegs im Krieg. Bisher ist noch
nicht ein einziges deutsches Flugzeug von den Amerika-
nern als Hilfe erbeten worden. Wenn das der Fall sein
wird, müssen wir so entschlossen sein, wie wir es letzte
Woche gewesen sind. Dann müssen wir der Freundschaft,
der Dankbarkeit und der Solidarität mit den Vereinigten
Staaten, die wir alle vor dem Brandenburger Tor so ein-
drucksvoll zum Ausdruck gebracht haben, auch Taten fol-
gen lassen. Da darf es kein Wackeln geben.
Zu der Frage aus den Reihen der CDU/CSU bei der
Rede von Herrn Fischer Reden Sie auch mit uns? muss
ich sagen: Das war doch ein grüner Parteitag.
Herr Fischer, Sie haben beschwörend auf Ihre grüne Kli-
entel eingeredet. Ich bin ja froh, dass Sie das tun. Sie spie-
len ja hier eine durchaus gute Rolle. Ich bin aber gespannt,
wie Ihre Basis reagieren wird, wenn es wirklich dazu
kommt, dass Ihre Ankündigungen umgesetzt werden, und
wenn Sie an Ihren Worten gemessen werden.
Der Haushalt gibt einen Vorgeschmack darauf. Hier
werden die Mittel zur Unterstützung von internationalen
Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Frie-
denserhaltung und Konfliktbewältigung im nächsten Jahr
um fast ein Drittel auf 23 Millionen DM gekürzt. Wie geht
denn das zusammen mit dem, was Sie uns gerade hier ver-
kündet haben?
Zugleich bewilligen Sie 20 Millionen DM für die Schaf-
fung eines nationalen zivilen Friedensdienstes. Das ist die
berühmte Geschichte, die Frau Zapf gerade noch einmal
angesprochen hat,
diese berüchtigte grüne deutsche Heilsarmee, die Frieden
spendend durch den Busch ziehen soll. Am grünen Wesen
soll die Welt genesen.
Das ist Ihre Logik, meine Damen und Herren.
Frau Zapf, Sie haben doch unseren Vorschlag für eine
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im
Nahen Osten abgelehnt. Wir haben einen entsprechenden
Antrag vor wenigen Monaten auf den Tisch gelegt. Wir
haben gesagt, dass die Krise im Nahen Osten einer Be-
wältigung nur dann näher gebracht werden kann, wenn
man einen umfassenderen Ansatz wählt. Was haben Sie
aber gemacht? Sie haben diesen Antrag niedergestimmt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Ulrich Irmer
18401
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zapf?
Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Das ist der Sinn von Zwi-
schenfragen, liebe Frau Kollegin.
Das ist auch ganz gut so, weil man
dann erkennt, welche merkwürdigen Gedankengänge in
dem Kopf eines von mir ansonsten sehr geschätzten Kol-
legen vor sich gehen.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Es
schadet mir nicht, dass Sie das sagen.
Ich habe es befürchtet.
Herr Kollege, ich hoffe, Sie haben bei dem zugehört,
was ich soeben vom Rednerpult aus gesagt habe. Sie ha-
ben hoffentlich bemerkt, dass ich Ihre Idee, also die der
FDP, einer solchen Konferenz für Zusammenarbeit und
Sicherheit durchaus unterstützt habe. Ich habe nur gesagt,
dass diese Idee nicht neu ist. Herr Kollege, ich hoffe, Sie
haben das zur Kenntnis genommen.
Als Zweites möchte ich Sie fragen, ob Sie sich wirk-
lich einmal genau angeschaut haben, welchen Anteil an
der Krisenprävention solche Friedensdienste haben und
welche wichtigen Leistungen sie vollbringen. Wenn Sie
das getan hätten, würden Sie vielleicht nicht mehr so höh-
nisch über diese Strukturen sprechen.
Verehrte Frau Kollegin Zapf, zu
Ihrer zweiten Frage: Ich will gar nicht bestreiten, dass die
Friedenskämpfer, die Sie losschicken, vielleicht auch Se-
gensreiches bewirken können. Aber ich frage Sie: Warum
kürzen Sie dann im Haushalt die Mittel für die deutschen
Beiträge für die internationalen Bemühungen in diesem
Zusammenhang und warum kürzen Sie die Mittel für die
Beiträge für den UNHCR und andere internationale
Organisationen, die seit vielen Jahren eine bewährte Ar-
beit leisten?
Verehrte Frau Kollegin Zapf, zu Ihrer ersten Frage: Es
ist ja wunderschön, wenn Sie hier sagen, das sei nichts
Neues, und Sie diese Idee deshalb ein wenig in Zweifel
ziehen. Wir haben dieses Thema doch bereits vor ein paar
Monaten auf den Tisch des Hauses gelegt. Ich erinnere
mich genau: Es war im Dezember letzten Jahres, als wir
hier im Plenum darüber eine Debatte geführt haben. Im
Auswärtigen Ausschuss hat uns der Minister entgegenge-
halten, es gebe ja schon den Prozess von Barcelona. Die-
ser ist, wie wir alle wissen, gescheitert. Er hat gesagt, das
alles sei viel zu visionär und nicht vergleichbar mit der
KSZE von damals.
Frau Kollegin Zapf, Sie müssen wieder aufstehen; denn
ich antworte noch auf Ihre Frage. Ich sage das jetzt nicht,
weil ich unbedingt möchte, dass Sie Freiübungen machen,
sondern deswegen, damit die Beantwortung Ihrer Frage
nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Genau, ich wollte
nämlich die Uhr wieder in Gang setzen, damit wir voran-
kommen. Aber Sie haben das Wort, Herr Kollege, bitte
sehr.
Danke schön. Frau Zapf hat mir
zwei Fragen gestellt und deshalb bemühe ich mich, diese
beiden Fragen zu beantworten.
Frau Kollegin Zapf, im Ausschuss ist uns entgegenge-
halten worden, die Situation im Nahen Osten sei ganz an-
ders. Das alles ist richtig. Aber deshalb kann man doch
trotzdem einen Versuch unternehmen.
Was haben aber Sie getan? Damals haben Sie nicht ge-
sagt, die Idee sei nicht neu, sie existiere schon längst. Sie
haben sie vielmehr abgelehnt; Sie haben im Auswärtigen
Ausschuss und im Plenum dagegen gestimmt.
Wir erlauben uns jetzt, diesen Vorschlag erneut auf den
Tisch zu legen. Dann werden wir sehen, was passiert, ob
also diese Idee von Ihren Kollegen und von den Grünen
auch so gut gefunden wird, wie wir sie finden. Sie liegt
auf dem Tisch. Sie haben noch einmal Gelegenheit, darü-
ber abzustimmen.
Wir machen einen weiteren Vorschlag: Das, was jetzt
gefordert wird, eine internationale Terrorismusbekämp-
fung, muss auf internationaler Ebene solide, belastbar und
völkerrechtlich abgesichert unterfüttert werden. Wir
appellieren deshalb an die Staatengemeinschaft, auf der
nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen sie
hat ja bereits begonnen eine Antiterrorismuskon-
vention auf den Weg zu bringen. Es gibt bereits sektorale
und regionale Einzelansätze. Das ist wunderbar. Wir ha-
ben sie hier zum Teil noch nicht ratifiziert. In den letzten
Tagen ist angekündigt worden, dass dies geschehen soll.
Frau Justizministerin, vielleicht kümmern Sie sich einmal
darum!
Wir meinen, dass es auf der Ebene der Vereinten Na-
tionen einen umfassenderen und globaleren Ansatz für die
Terrorismusbekämpfung geben sollte. Wir haben einen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118402
Vorschlag, der viele Details enthält, formuliert und Ihnen
auf den Tisch gelegt. Springen Sie über Ihren Schatten!
Stimmen Sie dem zu! Wir sind bereit, im Ausschuss über
die Einzelheiten zu sprechen. Wir appellieren an Sie:
Wenn Sie es mit dem, was Sie hier gesagt haben, ernst
meinen, dann sollten Sie einmal über Ihren Schatten
springen und einem konstruktiven Vorschlag der FDP-
Opposition zustimmen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Für die PDS erteile
ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich war, nachdem ich mir hier
einiges habe anhören müssen, fast versucht, mit dem Satz
zu beginnen: Jetzt einmal wieder ernsthaft.
Ich glaube, wir müssen uns sehr gründlich und völlig
offen den Fragen stellen, die heute von der Bevölkerung
tausendfach an uns alle gerichtet werden. Es sind aus mei-
ner Sicht im Wesentlichen drei Fragen, die wir beant-
worten müssen. Die erste Frage lautet: Sind solche Ter-
roranschläge auch in unserem Lande denkbar? Davor
haben Menschen einfach Angst. Die zweite Frage lautet:
Wird es einen Krieg geben, wird sich Deutschland an die-
sem Krieg beteiligen und werden in diesem Krieg wieder
Unschuldige leiden müssen? Die dritte Frage lautet: Be-
findet sich die Weltwirtschaft in einer Krise, die auch uns
bedrohen kann?
Mit allen drei Fragen verbinden sich bei vielen Men-
schen existenzielle Ängste. Ängste kann man nicht da-
durch beseitigen, dass man sagt, wir reden nicht über
Ängste, oder behauptet, man könne Menschen Ängste
auch einreden. Man kann Menschen Ängste weder ein-
noch ausreden. Man kann nur eine Politik machen, mit der
die Ursachen von Ängsten überwunden werden. Das ist
die Aufgabe, die wir haben.
Dazu gehört auch, dass in dieser komplizierten Situa-
tion nicht wieder als Erstes die Wahrheit stirbt, dass kor-
rekt informiert wird, dass die Rechte der Öffentlichkeit
und die Rechte des Parlamentes nicht eingeschränkt wer-
den. Das war das Entwürdigende bei der Mazedonien-
Debatte und sofort sind auch die Vorbehaltsrechte des
Deutschen Bundestages zur Disposition gestellt worden.
Es ist nicht die Zeit dafür. Der Bundestag muss seine
außenpolitischen Rechte auch gegen diese Regierung
durchsetzen. Deswegen sind wir ja nach Karlsruhe ge-
gangen.
Aus meiner Sicht sind diese drei Fragen mit Ehrlich-
keit und Aufrichtigkeit zu beantworten. Wir müssen deut-
lich sagen: Ja, es gibt keinen Schutz vor dieser Form des
Terrorismus wie wir sie grausig erlebt haben , wenn
nicht die Politik mittelfristig und langfristig geändert
wird. Auch kurzfristig muss gehandelt werden.
Die Ehrlichkeit gebietet es auch, Herr Außenminister,
zu sagen: Wenn er nicht abgewendet wird, kann es zu ei-
nem Krieg kommen, in dem Unschuldige sterben und an
dem unser Land beteiligt ist. Das ist nicht Anschüren, das
ist die Wahrheit.
Die dritte Frage hat sich von selbst beantwortet. Wir
befinden uns in einer Wirtschaftskrise.
Aus meiner Sicht ist es nicht die Aufgabe der Politik,
dies alles hinzunehmen. Aufgabe der Politik ist es, das ab-
zuwenden, was abgewendet werden kann, und das mit der
Bevölkerung unseres Landes zusammen. Erinnern Sie
sich doch noch einmal an Willy Brandt, an seinen großen,
programmatischen Ausspruch: Frieden ist nicht alles,
aber alles ist nichts ohne Frieden. Gilt das heute nicht
mehr oder muss das nicht gerade heute durchgesetzt wer-
den?
Alle Fraktionen des Bundestages sprachen von der
Tiefe der Veränderungen nach den Verbrechen in New
York und Washington, sprachen von der Zäsur. Ich
glaube, es ist richtig, noch einmal daran zu erinnern der
Außenminister hat das auch getan , wie fassungslos wir
alle waren angesichts eines Verbrechens, das unschuldige
Menschen zu lebenden Bomben gemacht hat mit dem
Ziel, bewusst den Tod von Tausenden herbeizuführen. Es
kann keinen Zweifel daran geben: Dieser globale Terror
ist menschenverachtend, fanatisch, grenzen- wie staaten-
los.
Selbstverständlich muss er bekämpft, verfolgt und
überwunden werden. Aber weil wir anders sind als die
Terroristen, weil wir nicht wollen, dass das eintritt, was
sie eigentlich bezwecken, dass kriegerische Auseinander-
setzungen geführt werden, mit denen sie rechnen, muss
unsere Antwort auf den Terror im Einklang mit dem Völ-
kerrecht stehen. Sie muss verhältnismäßig sein, sie muss
die Folgen bedenken und darf nicht den Tod von wie-
derum Unschuldigen herbeiführen.
Das ist ein kategorischer Imperativ. Krieg ist aus meiner
Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion von allen Ant-
worten die falscheste.
Das Mitgefühl der PDS mit den Menschen in den USA,
unsere Solidarität war und ist tief und aufrichtig. Ich ver-
lange und erwarte, dass diese Haltung nicht in Frage ge-
stellt, sondern akzeptiert wird. Wir lassen kein Aber in
dieser Frage zu, auch wenn uns häufig in der Öffentlich-
keit von verschiedenen Menschen gesagt wird: Solidarität
ja, aber denkt an Vietnam! Unrecht kann nicht gegen Un-
recht aufgerechnet werden. Unrecht bleibt Unrecht.
Es gibt keinen anderen Weg, als dies so zu formulieren,
wenn man aus der Spirale der Gewalt herauswill. Deswe-
gen ist es für mich auch eine Lehre aus dem Kalten Krieg,
die wir heute zu bedenken haben: dass die Auffassung,
dass der Feind meines Feindes mein Freund, mein Ver-
bündeter sein muss, für keine Seite mehr gültig sein kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Ulrich Irmer
18403
Wir wissen doch, aus welchen Quellen Waffen und Aus-
rüstung bezogen wurden und woher die Planungen der
Terrorgruppen stammten. Das kann heute nicht mehr gül-
tig sein.
Ich glaube auch, dass wir etwas Grundlegendes erken-
nen müssen: Leid, Kummer und Sorgen hatten wir ge-
meinsam. Bei der Frage, was wir tun sollen, werden die
Wege leider auseinander gehen.
Ich will der Regierung entgegenhalten: Auf neue Fra-
gen hat sie bislang nur alte Antworten gegeben. Das, was
der Außenminister hier ausgeführt hat, muss man mit der
Realität der Regierungspolitik konfrontieren. Es gibt nur
zwei Möglichkeiten: Entweder ändert sich die Politik der
Regierung das würde ich außerordentlich begrüßen
oder gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit
wird die Sprache angeschlagen, die gerade angesagt ist
diese führt auch zu vielen Problemen in den eigenen
Reihen , und es ändert sich nichts. Das wäre eine Kata-
strophe. Die Antwort der PDS besteht nicht im Nichtstun
oder gar im Wegducken. Unsere Antwort besteht darin,
Vorschläge zu entwickeln, zu überlegen und darüber zu
debattieren, wie der Terror an seinen Wurzeln bekämpft
werden kann, wie ihm der Boden entzogen und eine neue
Art von Sicherheit geschaffen werden kann.
Herr Außenminister, ich finde es schon symbolträchtig
dazu hätte ich gerne ein Argument von Ihnen gehört ,
dass in Ihrem Etat wesentlich mehr Geld Milliarden
für Militär und Repression veranschlagt wird. 1,5 Milliar-
den DM der 3 Milliarden DM sollen in den Militärhaus-
halt fließen. Gleichzeitig senken Sie die Ausgaben für
Entwicklung. Ihr Gerede ist hohl.
Es ist doch symbolträchtig, das Sie nicht als Erstes den
Entwicklungsetat so heraufgesetzt haben, dass die Men-
schen, die darunter leiden, dass sie sich nicht entwickeln
können, erkennen, dass wir nach dem Anschlag eine
Wende unserer Politik praktizieren und nicht nur darüber
reden.
Ihre Regierung hat bislang eine Politik betrieben, die
darin bestand, weniger für Entwicklung und Diplomatie
und mehr für das Militär auszugeben. Ich hoffe, dass sich
das ändert. Wir möchten es nämlich genau umgekehrt:
mehr für Entwicklung, mehr für Diplomatie und weniger
für das Militär.
Wir alle haben durch den Anschlag erkannt das muss
doch einmal begriffen werden , wie verwundbar wir
sind. Furchtbare weitere Möglichkeiten sind denkbar:
Chemiewerke, Atomkraftwerke, Eisenbahnknotenpunkte,
B- und C-Waffen. Dagegen gibt es keinen vollständigen
Schutz. Als Erstes wurde aber mehr Geld für die Rüstung
und für das Militär bewilligt. Zu glauben, dass man selbst
unverwundbar ist, ist das Falscheste, was man in dieser
Situation tun kann. Es muss heißen: mehr Geld für zivile
Projekte, Wissenschaft, Kultur und Medien sowie für For-
schungsprojekte. Das wäre ein Fortschritt. Ich glaube,
auch die NATO hat sich mit ihrem neuen strategischen
Konzept blamiert. Dieses und der darauf basierende Um-
bau der Bundeswehr haben sich als grundlegend falsch er-
wiesen.
Ich möchte noch etwas zum Kollegen Rühe sagen
manchmal muss man dem Kollegen Rühe auch etwas
Gerechtigkeit widerfahren lassen :
Sie haben Recht, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist,
wenn die Bundesregierung die Bundeswehr so einsetzt,
wie sie es tut. Da ich den Einsatz der Bundeswehr so aber
nicht will, sondern für eine andere Richtung eintrete, sage
ich: Aus meiner Sicht ist sie überfinanziert. Die Bundes-
regierung laviert sich durch beide Positionen durch. Ich
will in der Tat nicht mehr Geld für die Bundeswehr, son-
dern weniger. Ich will Abrüstung und eine andere
Sicherheitskonzeption. Die Regierung tut so, als ob bei-
des möglich ist. Beides ist aber eben nicht möglich, wie
wir in der Praxis erleben.
Unter Rot-Grün hat das Militärische an Bedeutung ge-
wonnen. Rot-Grün hat bei ihrem Regierungsantritt ein
Auslandsmandat übernommen. Vier weitere Auslands-
mandate sind in den letzten drei Jahren hinzugekommen.
Morgen soll ein fünftes erteilt werden und in der nächsten
Woche kommt ein sechstes hinzu. Das ist alles beweis-
und aufzählbar. In welche Richtung geht Ihre Außenpoli-
tik?
Es ist garantiert keine militärische; das wissen Sie.
Kollege Fischer, wenn Sie es mit Ihrer Rede hier ernst
meinen, dann ziehen Sie die Konsequenz und leiten einen
Richtungswechsel in der Regierung ein: Tun Sie mehr für
die Entwicklung, mehr für die Kultivierung der Bezie-
hungen zueinander, zeigen Sie mehr Verständnis für die
Probleme der Menschen in anderen Teilen der Welt!
Schließen Sie kategorisch die Teilnahme an kriegerischen
Auseinandersetzungen aus und verweigern Sie katego-
risch Rache und Vergeltung als Antwort auf den Terror!
Das ist das, was der Terror will.
Wenn die Regierung sich korrigiert und einen anderen
Weg geht, sind wir für Unterstützung offen. Wenn sie bei
diesem Weg bleibt, sind die Geister in der Frage, was zu
tun ist, auseinander gegangen und sie müssen dann auch
auseinander gehen.
Wir kommen zur
zweiten Runde. Ich gebe die Reihenfolge der Redner
bekannt, weil es ein bisschen hin und her gegangen ist:
Jetzt kommt Herr Kollege Austermann, dann Kollege
Moosbauer und dann Herr Kollege Koppelin.
Ich wage den zarten Hinweis, dass Zeitunglesen im
Plenum nicht ganz angebracht ist. Eigentlich sollten wir
uns gegenseitig zuhören.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Wolfgang Gehrcke
18404
In diesem Sinne erteile ich dem Kollegen Dietrich
Austermann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Da ich eben zugehört
habe, möchte ich das, was mein Vorredner gesagt hat,
zurückweisen. Er hat den Eindruck vermittelt, dass es ei-
nem höheren ethischen Anspruch entspräche, wenn man
weniger Geld für Rüstung, für Verteidigung und Ähnli-
ches ausgibt. Meine Grundüberzeugung ist, dass jeder
Staat die oberste Verpflichtung hat, seine Bürger nach in-
nen und nach außen zu schützen, dass dies eine ethische
Dimension ist und dass dies auch für Verteidigung gilt, die
im Bündnis geleistet wird. Dies möchte ich ganz klar zu
der abgegriffenen Position sagen, die Ewiggestrige hier
vertreten.
Ich möchte das Thema aufnehmen, das mit den inter-
nationalen Einsätzen begonnen hat, und darauf hinwei-
sen, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich viermal,
wenn nicht sogar fünfmal, über unsere Teilnahme an in-
ternationalen Einsätzen entscheiden werden. Es ist ein
Novum in dieser Dimension.
Ich halte es für richtig und wichtig, in diesem Zusam-
menhang deutlich darauf hinzuweisen, wer diejenigen
sind, die diesen Einsatz tatsächlich tragen müssen: die
Soldaten und zivilen Mitarbeiter, denen wir gar nicht oft
genug für die Einsatzbereitschaft und für das, was sie auf
dem Balkan und anderswo leisten, danken können. Dies
will ich hiermit tun.
Ich sage das mit besonderer Freude gegenüber den Ver-
tretern der Bundeswehr, die auf der Tribüne sitzen.
Deswegen ist es umso problematischer und bedeutsa-
mer für die betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter,
für unser ganzes Land, dass unsere Bundeswehr nach An-
sicht vieler Sachverständigen innerhalb und außerhalb der
Bundeswehr nach drei Jahren rot-grüner Verteidigungs-
politik vor allem ausstattungsmäßig immer weniger in der
Lage ist, diese Einsätze optimal durchzuführen. In keinem
Etat wird mehr gespart als bei der Bundeswehr. Die Bun-
deswehr wurde mit einer Reform überzogen, die nicht
mehr passt. Und was das Schlimmste ist: An vielen Stell-
schrauben wird gleichzeitig gedreht. All das passt nicht
zueinander.
Es fehlt bei den Finanzen an allen Ecken und Enden
und es muss die Frage erlaubt sein, ob angesichts dieser
Situation Entscheidungen über internationale Einsätze
mit so heißer Nadel gestrickt werden können, wie es der
Fall ist. Ich glaube wohl, dass es der Respekt vor dem Par-
lament erfordert, dass nicht vormittags die NATO-Ent-
scheidung kommt, mittags die Kabinettsentscheidung,
abends die Fraktionsentscheidung und am nächsten Tag
die des Bundestages. Ich glaube kaum, dass man in dieser
Eile es geschieht ja nicht zum ersten Mal wirklich ge-
wissenhafte Entscheidungen treffen kann mit Verant-
wortung für viele Menschen, die persönlich und direkt
davon betroffen sind.
Ich weiß nicht, ob man bei dieser Frage wirklich sagen
kann, dass uns der Termindruck daran hindert, das zu tun,
ob man angesichts der Dimension des robusteren Ein-
satzes für Mazedonien, der jetzt bevorsteht hier haben
sich unsere gemeinsamen Befürchtungen bestätigt ,
nicht einen anderen Weg beschreiten müsste, statt den
Eindruck zu vermitteln, dass das Parlament von der Re-
gierung bzw. von der NATO ein bisschen unter Druck ge-
setzt wird.
Ich möchte zur Finanzierung der zusätzlichen Maß-
nahmen der Bundeswehr gar nichts sagen; ich habe dies
vorhin in meiner Kurzintervention getan. Ich möchte aber
etwas zu der Art und Weise sagen, wie die Bundeswehr
zurzeit behandelt wird, wie sie eingesetzt werden kann.
Die Weizsäcker-Kommission hat bereits vor einiger
Zeit in ihren Analysen und Vorschlägen auf die Änderung
der Bedrohungslage hingewiesen und eine sofortige Um-
strukturierung und eine bessere Befähigung der Bundes-
wehr gefordert. Wenn man sich dies vor Augen führt, dann
muss man die Frage stellen, ob das, was als Reform der
Bundeswehr auf dem Markt ist und als eine Maßnahme
Standortschließungen vorsieht, nicht dringend einer Über-
prüfung bedarf. Deswegen fordern wir den Minister auf,
diese Maßnahmen zurückzustellen und sich vorrangig auf
das zu konzentrieren, was unmittelbar notwendig ist.
Der Verteidigungsetat ist seit langer Zeit unterfinan-
ziert.
Herr Bartels, ich darf Ihnen mitteilen, dass wir 1998
etwa 3 Milliarden DM mehr im Verteidigungsetat zur Ver-
fügung hatten als in diesem Jahr. Auch die 1,5 Milliar-
den DM, die jetzt zur Verfügung gestellt werden sollen,
werden diese Problematik nicht ändern. In diesem Jahr
fehlen im Etat 2 bis 3 Milliarden DM. Jeder stellt fest, dass
die Mittel bei der Materialerhaltung, den Überkippern aus
dem Vorjahr und den Mitteln, die für die Beschaffung
vorgesehen sind, hinten und vorne nicht reichen. Mit
44,9 Milliarden DM, ohne die Mittel für internationale
Einsätze, hat der Haushalt seit vielen Jahren ein histori-
sches Tief. Im nächsten Jahr soll er noch einmal um
660 Millionen DM gesenkt werden. Der Investitions-
anteil wird mit 22,2 Prozent ebenfalls ein historisches
Tief erreichen.
Man könnte nun die Frage stellen, ob diese zusätzli-
chen 1,5 Milliarden DM nicht das Problem lösen. Dazu
habe ich eine Frage, die vielleicht der Verteidigungs-
minister nachher beantworten kann. Ist denn vom Vertei-
digungsministerium bisher eine Anmeldung für das, was
mit den 1,5 Milliarden DM geschehen soll, erfolgt?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
18405
Ich höre, nein. Ist denn durch den Finanzminister si-
chergestellt, dass diese 1,5 Milliarden DM nicht nur ein-
malig im nächsten Jahr, sondern tatsächlich für eine dau-
erhafte strukturelle Verbesserung des Verteidigungsetats
eingesetzt werden? Aufgrund der Reaktion von Herrn
Eichel nehme ich an, dass auch hier die Antwort Nein ist.
Jetzt muss man die ironische Frage stellen: Wenn dieses
zusätzliche Geld nur für das nächste Jahr zur Verfügung
gestellt wird, senkt er dann am 1. Januar 2003 die Tabak-
steuer wieder, weil er dieses Geld nicht mehr braucht, da
es nur für diesen einmaligen Fall war?
Ich möchte etwas zu den Personalien sagen. Die Süd-
deutsche Zeitung hat gestern angesichts der Tatsache,
dass der Generalinspekteur gehen muss, weil er seit vie-
len Monaten die Wahrheit sagt, den Verteidigungsminis-
ter einen Minister für Verschleiß genannt.
Verteidigungsminister Scharping kann sich nun
schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage
glücklich preisen, dass angesichts der Weltlage man-
ches zur Nebensache verkommt. Nach der heftigen
Debatte um seine Fluglust und andere Leidenschaf-
ten betrifft dies nun den Fortgang seines General-
inspekteurs zur NATO nach Brüssel.
Dem kann man nichts mehr hinzufügen, außer der Fest-
stellung, dass es offensichtlich so ist: Wer die Wahrheit
sagt, muss gehen.
Das deutet darauf hin, dass an der Spitze der Hardthöhe
nach wie vor gewisse Wahrnehmungsprobleme bestehen;
sonst würde der Minister nicht kurz nach der geplanten
Erweiterung der internationalen Einsätze für Mazedonien
erklären, er hoffe, dass dieses Mal nicht so viele Probleme
mit der Opposition wie beim letzten Mal entstehen wür-
den. Offensichtlich hat er die Opposition in den eigenen
Reihen gemeint. Erst auf unseren Druck hin wurden die
Mittel für den Mazedonieneinsatz erhöht. Jetzt ist deutlich
geworden, dass unsere Warnungen berechtigt waren.
Ich möchte etwas zu der Frage sagen, welche Notwen-
digkeiten wir sehen. Wir sagen: Die 1,5 Milliarden DM
sind besser als nichts, aber nur die Hälfte dessen, was ge-
braucht wird, um der Bedrohung durch den Terrorismus
entgegentreten zu können. Wir brauchen mehr Mittel für
den strategischen Transport, für Führungsfähigkeit und
für Aufklärung. Alle drei Dinge müssen ebenso wie der
Schutz der Soldaten und die Absicherung der Anlagen der
Streitkräfte verbessert werden.
Zum Sofortbedarf gehört aber auch, dass endlich die
Mittel zur Verfügung gestellt werden, die gebraucht wer-
den, um die Truppe in die Lage zu versetzen, Einsätze zu
fliegen. Wenn heute ein Luftwaffenpilot nur noch
150 Flugstunden absolviert, aber 180 Flugstunden vorge-
sehen sind, dann zeigt dies, in welcher Situation sich die
Bundeswehr nach drei Jahren befindet.
Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung zum Thema
GEBB und zur Einnahmesituation machen. In den Vorla-
gen, die ich gestern bekommen habe sie beinhalten eine
Korrektur des Verteidigungsetats für das nächste Jahr und
veränderte Beratungen , gibt es eine so genannte Plus-
Minus-Liste. In dieser steht, dass der Verteidigungsminis-
ter offensichtlich vorhat, die Kasernen an eine bundes-
wehreigene Gesellschaft zu verkaufen, um sie dann
wieder zurückzumieten. Aus den Verkaufserlösen möchte
er Beschaffungen tätigen. Ich sage ganz deutlich, was das
ist: Das ist eine verfassungswidrige Kreditaufnahme, die
am Haushalt vorbeigeht. Das ist unzulässig. Dies wird un-
seren erheblichen Widerstand finden, wenn wir darüber
beraten werden.
Schließen Sie sofort diese unsägliche GEBB! Sparen
Sie damit Mittel ein! Der Finanzminister hat um Vor-
schläge gebeten, wo man sparen kann. Hier lassen sich je-
des Jahr 30 Millionen DM für die Untätigkeit sparen, die
dort demonstriert wird.
So kann man den Verteidigungsetat meines Erachtens
nicht umsetzen.
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin,
ich möchte schließen: Ein Umbau der Bundeswehr zur Er-
füllung der zukünftigen, immer umfangreicheren interna-
tionalen Aufgaben wird mit den Entscheidungsabläufen
der letzten drei Jahre und der zu geringen Finanzausstat-
tung nicht möglich sein. Mehr Mittel, aber auch die Haus-
haltsberatungen sind notwendiger denn je; denn ohne
mehr Geld und wichtige Korrekturen können wir dem
Verteidigungsetat auch diesmal nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
Auch wenn es eine
spannende Debatte ist, möchte ich darauf hinweisen, dass
die Redezeiten, die Sie vor sich sehen, einzuhalten sind.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Moosbauer,
SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Im Anschluss an die Rede von Herrn
Austermann möchte ich zunächst sagen, dass ich zum
Einzelplan 05 spreche und nicht zum Verteidigungshaus-
halt.
Ich habe den Eindruck, dass Außenpolitik von der Oppo-
sition immer nur als Teilbereich der Verteidigungspolitik
gesehen wird.
Herr Irmer, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Sie
seien sehr besorgt über einzelne Stimmen, die nun laut wer-
den, und haben dies als Konzert, das teilweise surreale Züge
annimmt, kritisiert. Ich darf Sie daran erinnern, dass einer
dieser in diesem Zusammenhang zitiere ich Sie Scharla-
tane, die ein unverantwortliches Geschrei anstimmen, mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dietrich Austermann
18406
Ihrer Hilfe auf den Posten des Innensenators von Hamburg
gehievt wird. Auch das dürfen Sie nicht vergessen.
Sie wissen, dass im Zusammenhang mit den Vorkomm-
nissen vom 11. September auch eine unverantwortliche
innenpolitische Debatte geführt wird.
Ich erlaube mir das Gleiche, was auch Sie sich erlauben.
Wahrscheinlich haben Sie in dem Bewusstsein, dass
die außenpolitische Bilanz dieser Bundesregierung kaum
zu kritisieren ist, auf Nebenschauplätze abgelenkt. Ich
meine mit der Bilanz nicht nur das beeindruckende und
von allen Seiten des Hauses in den letzten Tagen zu Recht
mit Respekt bedachte Vorgehen in der aktuellen Krise. Ich
denke vor allem auch an die beharrlichen Bemühungen
unseres Kanzlers und unseres Außenministers, um dem
politischen Prozess in Südosteuropa und dem Nahen
Osten immer wieder neue Impulse zu geben.
Wenn wir in diesen Tagen über Außenpolitik sprechen,
sprechen wir natürlich immer auch über die momentane
Krise, die an die auswärtige Politik sowie an internationale
Strukturen insgesamt eine neue Herausforderung stellt. Die
Spuren der furchtbaren Anschläge von New York und Wa-
shington reichen nach allem, was wir bislang wissen
auch und vor allem in den Nahen und Mittleren Osten, und
zwar personell, finanziell, logistisch und politisch.
Viele Menschen sagen, dass der Kernkonflikt im Na-
hen Osten, also der Konflikt zwischen Israel und den
Palästinensern, eine der Ursachen für den mörderischen
Anschlag auf die Vereinigten Staaten war. Im Umkehr-
schluss denken viele Menschen, dass das Problem des in-
ternationalen Terrorismus und des politisch missbrauch-
ten religiösen Fundamentalismus durch eine gerechte
Lösung des israelisch-arabischen Konflikts gelöst werden
kann. Ich halte das für eine etwas kurzsichtige Analyse der
Ursachen der neuen Form des Terrorismus, mit der wir
uns konfrontiert sehen.
In der Behauptung steckt aber auch ein wahrer Kern:
Eine Friedenslösung für den mittlerweile über ein halbes
Jahrhundert andauernden Konflikt ist nicht nur ein Wert
an sich, sondern trägt auch zur Entflechtung von interna-
tionalen Konfliktstrukturen bei.
Die Suche nach einer Friedensregelung muss Teil einer
Strategie gegen weltumspannenden Terrorismus und seine
Ursachen sein.
Aus diesem Grunde danke ich Ihnen, Herr Bundes-
außenminister, dass gerade Sie für ein starkes deutsches
Engagement im Nahen Osten stehen.
Wer sich mit dieser Region beschäftigt, weiß, dass die
deutsche Politik zusammen mit unseren europäischen
Partnern zu einer konstruktiven Kraft im Nahen Osten
geworden ist, und das nicht, wie früher vielfach befürch-
tet, in Konkurrenz zu unseren amerikanischen Freunden,
sondern gerade ergänzend dazu.
An dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Außenminister,
nicht nur für Ihren konstruktiven Beitrag danken, sondern
Sie auch dazu auffordern, hier nicht nachzulassen.
Jeder Beitrag, der Israelis und Palästinensern jetzt hilft,
miteinander ins Gespräch zu kommen, ist ein vermittelnder
Beitrag, ob wir das nun so nennen oder nicht. Wichtig ist
weniger, wie wir unsere Rolle definieren, sondern viel-
mehr, wie sie von unseren Partnern gesehen wird. Eine sol-
che vermittelnde Rolle birgt viel Verantwortung in sich und
diese Regierung hat diese Verantwortung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche für
uns alle, wenn ich sage, dass ich froh bin, dass heute das
seit langem notwendige Treffen zwischen Schimon Peres
und Yassir Arafat endlich stattgefunden hat.
Vielleicht bewahrheitet sich hier die in den letzten Tagen
viel bemühte Formel, dass in jeder Krise auch eine
Chance steckt.
Ich bin dankbar, dass im vorliegenden Haushalt zum
Beispiel die Beiträge an das Hilfswerk der Vereinten Na-
tionen für die Palästinenser in hohem Umfang berück-
sichtigt werden. Auch dadurch das wissen wir; das ist
vielfach gesagt worden wird der Nährboden für Radi-
kalismus ausgetrocknet. Von daher ist dieser präventive
Ansatz wichtig. Ich hoffe, dass es uns im Laufe dieses par-
lamentarischen Verfahrens gelingt, diese Hilfe sogar noch
aufzustocken. Wenn wir jetzt darüber reden, Terrorismus
zu bekämpfen, dürfen wir nicht vergessen, den Ursachen
für zukünftigen Terrorismus präventiv zu begegnen.
Lassen Sie mich noch kurz einen für mich wichtigen
Punkt ansprechen: die Vereinten Nationen. Der An-
schlag vom 11. September wird auch für die Arbeit der
Vereinten Nationen eine Zäsur sein. Eine vom überwie-
genden Teil der Staatengemeinschaft getragene Strategie
gegen den Terrorismus muss auch in der Arbeit der Ver-
einten Nationen ihren Niederschlag finden. Der Sicher-
heitsrat hat einen Tag nach den Anschlägen in den USA zu
Recht festgestellt, dass derartige Terrorakte eine Gefähr-
dung des Weltfriedens darstellen. Wir sollten alles unter-
nehmen, um im Kampf gegen diese Gefährdung das Sys-
tem der Vereinten Nationen zu stärken.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Christoph Moosbauer
18407
In diesem Zusammenhang danke ich den amerikani-
schen Kongressabgeordneten dafür, dass sie jetzt den
Weg für ausstehende Zahlungen der USA an die Verein-
ten Nationen frei gemacht haben. Das ist gerade jetzt ein
wichtiges Zeichen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren konnte
man zumindest auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik mit-
unter eine Bewegung weg vom System der Vereinten
Nationen beobachten. Von daher begrüße ich auch im
Hinblick auf die neuen Aufgaben, die auf die Weltge-
meinschaft zukommen, jeden Versuch, die Vereinten Na-
tionen zu stärken. Das erfolgreiche Bemühen der Bun-
desregierung um die Nachfolgemission von Essential
Harvest in Mazedonien ist eine solche Unterstützung
und damit auch eine Stärkung des UN-Systems.
Wie schon während des Kosovo-Krieges ist es die deut-
sche Regierung, die auf eine breite Legitimation durch die
internationale Staatengemeinschaft gesetzt hat.
Meine Damen und Herren, an diesen beiden Punkten
Nahost und Vereinte Nationen sehen wir exemplarisch
die Grundelemente der Außenpolitik dieser Bundesregie-
rung: Realitätssinn und Engagement, Verantwortungsbe-
wusstsein und Augenmaß. Wir sind gut beraten, diese Po-
litik zu unterstützen.
Ich erteile das Wort
dem Verteidigungsminister, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Lichte
der Tragödie von Washington und New York wird zu
Recht die Frage gestellt, was die internationale
Staatengemeinschaft zu tun in der Lage ist, um ihre ge-
meinsamen Interessen zu vertreten, und welchen Beitrag
die Europäer und mit ihnen die Bundesrepublik Deutsch-
land dazu leisten können. Ein Teil ich sage ausdrücklich:
ein Teil dieser Antwort wird militärisch sein. Das wirft
die Frage nach den Fähigkeiten der Bundeswehr auf: de-
nen, die sie hat, und denen, die mit der Erneuerung der
Bundeswehr entwickelt, ausgebaut, zum Teil neu erwor-
ben werden sollen.
Die Antwort der internationalen Staatengemeinschaft,
der zivilisierten Welt soll eine gemeinsame und umfas-
sende sein. In dem für manche möglicherweise überra-
schenden Verhalten der Amerikaner, sich in der NATO, in
den Vereinten Nationen und weltweit um eine gemein-
same Antwort zu bemühen, steckt eine enorme Chance.
Die Gemeinsamkeit der Antwort hat mit ihrem umfas-
senden Charakter ebenso zu tun wie der umfassende Cha-
rakter mit der gemeinsamen Antwort. Das ist unauflöslich
miteinander verbunden. Weil das so ist, sollten wir uns in
Deutschland der Bundestag erliegt dieser Versuchung ja
etwas weniger als manche Berichterstatter von der Gefahr
frei halten, diese Antwort auf ihren militärischen Anteil zu
verkürzen oder diesem Anteil eine Dominanz zuzuweisen,
die er mit Blick auf Politik weder hat noch beansprucht. Ich
halte es für außerordentlich wichtig, dass wir dies immer in
Rechnung stellen; denn es wäre eine völlige Überforderung
auch des Militärischen, zu glauben, dass die Maßnahmen
am Ende einer langfristigen Entwicklung, die in diesem
Falle noch durch eine sich auf fürchterliche Weise terroris-
tisch austobende Gewalt beschleunigt wird, greifen könn-
ten und dass diese dann militärischer Natur seien. Das muss
viel früher beginnen. Krisenprävention ist kein Wider-
spruch zur Krisenreaktion, wie auch umgekehrt Krisenre-
aktion nie zum Ersatz oder zum Gegenteil notwendiger
Prävention gemacht werden darf.
In der Debatte besteht eine doppelte Gefahr: Eine Hal-
tung besagt, es werde ausreichen, wenn wir in fast sozial-
arbeiterischer Weise präventiv vorgingen. Das reicht aber
nicht; denn diese Haltung übersieht, dass Menschen, Or-
ganisationen, Finanzstrukturen und vieles andere leider so
ausgerichtet sind, dass sie sich gewalttätig und terroris-
tisch zur Geltung bringen. Dem ist mit einem so präven-
tiv gedachten Ansatz nicht mehr beizukommen.
Umgekehrt müssen aber die Maßnahmen der Reaktion
auch so angelegt sein, dass andere Maßnahmen, die im
umfassenden, eher präventiven Sinne erforderlich sind
und bleiben der Dialog zwischen Kulturen und Religio-
nen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Bewahrung von Lebensgrundlagen, Förderung von
Rechtsstaatlichkeit , durch die Art der Reaktion nicht
diskreditiert und in Zweifel gezogen werden können.
Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen
mache ich zunächst deutlich, dass die Erneuerung der
Bundeswehr von Grund auf, das Gesetz über die Neuaus-
richtung der Bundeswehr und der Haushalt in diesem
Konzept einen untrennbaren Zusammenhang bilden. Es
darf nicht übersehen werden, dass die Erneuerung der
Bundeswehr von Grund auf der veränderten sicherheits-
politischen Lage unseres Landes und den sich daraus er-
gebenden Anforderungen an gemeinsame dieses Wort
unterstreiche ich ausdrücklich Sicherheit Rechnung
trägt.
Dies ist deswegen so wichtig, weil eine gewisse Gefahr
besteht ich bemerke dies auch an der einen oder ande-
ren Bemerkung in diesem Hause , dass einiges aus dem
Blick gerät, was nicht aus dem Blick geraten sollte. Un-
verändert sind die geistigen Grundlagen der Bundes-
wehr: innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in
Uniform. Unverändert ist und bleibt auch der Verfas-
sungsauftrag der Streitkräfte: Landesverteidigung und
Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit im Bündnis.
Allerdings bedeutet Landesverteidigung unter den verän-
derten sicherheitspolitischen Umständen den Erwerb oder
die Entwicklung von Fähigkeiten, die auch in der Krisen-
prävention wie in der Krisenreaktion eingesetzt werden
können; dies rufe ich ausdrücklich ins Gedächtnis zurück.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Christoph Moosbauer
18408
Dies war der Grund dafür, dass innerhalb der NATO im
April 1999 einige Festlegungen getroffen worden sind,
aus denen sich ableiten lässt, was mit der Neuausrichtung
der Bundeswehr verbunden ist. Das schließt die Antwort
oder die Fähigkeit zur Antwort auf neue Herausforderun-
gen, Gefahren und Bedrohungen ein; der Terrorismus ist
ausdrücklich erwähnt.
Diejenigen, die jetzt sagen, wir bräuchten gewisser-
maßen eine Reform der Reform, laufen ein enormes Ri-
siko: das Risiko des Sonderwegs und der Verabschiedung
aus den gemeinsam getroffenen Festlegungen, die bis in
die Fähigkeitenkataloge der NATO und übrigens auch der
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik reichen. Das
ist ein Risiko, das Deutschland nicht eingehen darf und
auch nicht eingehen wird.
Vor diesem Hintergrund sagen dann einige: Mag sein,
dass die Reform insgesamt richtig angelegt ist, aber man-
ches muss schneller getan werden. Dem stimmt die
Bundesregierung nicht zuletzt der Verteidigungsminis-
ter ausdrücklich zu: Es muss einiges schneller getan
werden, als ursprünglich beabsichtigt.
Ohne jetzt auf alle Einzelheiten einzugehen, will ich
doch sagen, dass mit jenen 1,5 Milliarden DM, über die
hier auch gesprochen worden ist, die Fähigkeit zum
Schutz des eigenen Landes, der Bündnispartner und der
eigenen Soldaten schneller als ursprünglich gedacht ver-
bessert werden muss, dass die Fähigkeit zur Aufklärung
und Führung Letzteres insbesondere über längere Dis-
tanzen und Zeiträume schneller verbessert werden muss
als gedacht, dass bestimmte Kapazitäten in der Ausbil-
dung erhöht werden müssen das betrifft besonders die
Flugstunden und dass im Übrigen auch Verbesserungen
im personellen Bereich schneller erfolgen müssen als ge-
dacht, ob sie nun Wehrübungsplätze oder einen schnelle-
ren Aufwuchs in bestimmten Bereichen betreffen, in de-
nen es in der Bundeswehr Engpässe gibt, etwa bei
Spezialisten im IT-Bereich, im Fernmeldebereich und an-
derenorts.
Daraus ergibt sich auch das sage ich mit Blick auf
manche Bemerkung hier in diesem Hause , dass das
keine Sache für ein Jahr ist. Dazu sind langfristig ange-
legte Bemühungen erforderlich, die nicht in eine einma-
lige, auf ein Jahr konzentrierte finanzielle Anstrengung
münden können und münden werden. Das ist völlig klar.
Es geht also nicht darum, die konzeptionellen Grund-
lagen der Erneuerung der Bundeswehr neu zu diskutie-
ren. Wer dies tut, verabschiedet sich nicht nur aus ge-
meinsamen Festlegungen im Bündnis und in der
Europäischen Union und geht das beschriebene Risiko
ein; er ruiniert auch einen sehr dynamisch fortschreiten-
den Prozess und damit das Vertrauen innerhalb der Streit-
kräfte selbst. Ich sage das in aller Deutlichkeit: Man kann
sich im politischen Raum und im parteipolitischen Streit
vieles denken, aber eines darf nicht geschehen:
Das Vertrauen in die Fähigkeiten, in die Klarheit der Auf-
tragserfüllung und in deren Gewährleistung darf in den
eigenen Streitkräften im Interesse der Sicherheit unseres
Landes und des Beitrages zu weltweiter Stabilität nicht
ruiniert werden.
Ich hatte bereits gesagt, dass der militärische Teil einer
Antwort auf die Herausforderungen des Terrorismus not-
wendig ist, aber nicht mit der ganzen Antwort verwech-
selt werden darf. Ich kann das hier schon allein aus
Zeitgründen, die nicht mit meiner Redezeit, sondern mit
der Sitzung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel
zu tun haben, nicht im Einzelnen ausführen, aber ich will
doch noch zwei Hinweise geben, die das deutlicher ma-
chen.
Erstens. In der gegenwärtigen Debatte spielen Regio-
nen auf der Erde eine Rolle, die wir nicht ausschließlich
als Heimat oder Schutzräume von Terroristen wahrneh-
men sollten. In dieser wenige hundert Kilometer breiten
Ellipse rund um das Kaspische Meer, in den mittelasiati-
schen Staaten, befinden sich für die weltwirtschaftliche
Stabilität entscheidende natürliche Ressourcen. Leider
verbindet sich das in diesen Staaten mit einer hochkom-
plizierten und auch explosiven Mischung, die bestimmt
wird von dem Besitz von oder dem Streben nach Massen-
vernichtungswaffen, von religiösem Fanatismus, ethni-
schem Hass und manch anderem.
Vor diesem Hintergrund wird ganz offenkundig, dass
mit Blick auf die Staaten dieser Region eine militärische
Antwort an die Adresse Afghanistans das ist meine Pro-
gnose wohl notwendig sein wird. Aber wir dürfen dabei
nicht stehen bleiben. Wir dürfen zu keinem einzigen Zeit-
punkt aus den Augen verlieren, dass die langfristige
Eingliederung dieser Staaten in die zivilisierte Welt in un-
serem eigenen sicherheitspolitischen wie wirtschaftspoli-
tischen Interesse liegt.
Zweitens. Der Herr Bundesaußenminister hat in seinen
Bemerkungen auf Nordafrika aufmerksam gemacht. Da-
bei geht es nicht nur um das Schrecknis der 100 000 in den
letzten Jahren in Algerien Umgebrachten; es geht auch um
die Tatsache, dass sich die Bevölkerung in Nordafrika in
überschaubar kurzer Zeit verdreifachen wird und heute
schon absehbar ist, dass jede unterlassene Investition in
die Bewahrung von Lebensgrundlagen, in die Stärkung
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und in die För-
derung des Verständnisses von Kulturen und Religionen
in Zukunft als moralische Verantwortung und übrigens
auch als Migrationsdruck auf uns lasten wird.
Wenn das soeben beendete Treffen zwischen Arafat und
Peres wie man hört in der nächsten Woche fortgesetzt
wird, dann ist das mit Blick auf den Zusammenhang, den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Rudolf Scharping
18409
wir hier diskutieren, ein ausgesprochen wichtiges Signal
und es bestätigt die Bemühungen der Bundesregierung
namentlich des Kanzlers und des Außenministers , eine
Eskalation des Nahostkonflikts zu vermeiden wegen
der Menschen, die dort leben, wegen unserer eigenen Ver-
antwortung, aber auch, weil wir wissen, dass eine Eskala-
tion des Nahostkonflikts zum Ferment in den arabischen
Gesellschaften werden könnte, zum Katalysator, der die
zurzeit relativ isolierten terroristischen Bestrebungen in
den arabischen Gesellschaften in einen falschen Zusam-
menhang stellen, eine falsche Solidarität bewirken
könnte. Eskaliert der Nahostkonflikt, dann besteht die Ge-
fahr, dass der Terror mit dem verwechselt wird, was man-
che zu signalisieren versuchen, nämlich einem Kampf
zwischen Kulturen oder Religionen. Das hätte gefährliche
Folgen nicht nur in der arabischen Welt.
Was nun Mazedonien angeht, Herr Kollege Rühe, so
ist es doch für eine Einbringungsrede ungewöhnlich, dass
man versucht, auf eine Debatte einzugehen. Wir müssen
doch die in Mazedonien erreichten Erfolge nicht kleinre-
den, um uns gegenseitig zu bestätigen, dass wir noch nicht
am Ende des Weges sind.
Ich entsinne mich der Diskussion sehr gut und will jetzt
gar nicht auf die einzelnen Punkte eingehen, die in ande-
ren Debatten eine Rolle spielen mögen. Heute scheint mir
das eine etwas zu kleine Münze zu sein.
Was haben wir erreicht, und zwar entgegen mancher
skeptischen, vorsichtigen was ja berechtigt ist und, wie
ich finde, hier und da die vorsichtige Skepsis auch über-
treibenden Vermutung, sodass man fragen müsste, ob das
wirklich Vorsicht und Skepsis waren oder nicht etwas an-
deres? Wir haben erreicht, dass der Prozess des Waffenein-
sammelns erfolgreich abgeschlossen worden ist. Es geht
aber nicht nur um den Prozess des Waffeneinsammelns al-
lein; er ist zugleich eine unabdingbare Voraussetzung für
den Wiederaufbau von Vertrauen zwischen Bevölkerungs-
gruppen und für die Vermeidung des Bürgerkriegs.
Im Übrigen argumentieren Sie nicht ganz korrekt ich
drücke mich höflich aus , wenn Sie sagen: Aber der Verfas-
sungsreformprozess ist ja noch gar nicht abgeschlossen.
Erstens stimmt das und zweitens haben wir von Anfang an
die Absicht verfolgt so verliefen alle Planungen : erst das
Waffeneinsammeln, dann der Prozess der abschließenden
dritten Lesung der Verfassungsreform im mazedonischen
Parlament. Das wird hoffentlich auch gelingen. Dann ist ei-
niges im Interesse umfassender Sicherheit zu tun. Ich hoffe,
dass wir heute die Voraussetzungen sind leider noch nicht
ganz erfüllt in der Bundesregierung und dann auch im
Deutschen Bundestag die entsprechenden Entscheidungen
treffen können.
Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch die Notwen-
digkeit der Ableitung der Fähigkeiten der Bundeswehr
der Zukunft und ihrer haushaltsmäßigen Absicherung
deutlich. Ich sage auch mit Blick auf manche skeptische
Bemerkung aus den Reihen der Opposition, dass die fi-
nanzielle Absicherung dieser Reform da bin ich mit
Hans Eichel und anderen völlig einig auch eine Reform
der wirtschaftlichen Prozesse erfordert, nicht in der Form,
wie es der Kollege Austermann unterstellt so blöd wird
keiner sein , sondern so, dass man aus den wirtschaftli-
chen Prozessen jene Mittel gewinnt, die notwendig sind,
um die Finanzierung zusätzlich erforderlicher völlig un-
bestreitbar notwendiger Investitionen bei der Bundes-
wehr gewährleisten zu können.
Das werden wir schaffen. Vor diesem Hintergrund bitte
ich Sie ich kann nicht sagen, um Ihre Zustimmung , die
Beratungen so zu führen, dass im Hinblick auf die Ziel-
orientierung nämlich Sicherheit des eigenen Landes,
seiner Partner und Freunde, weltweite Stabilität der
auch den Fähigkeiten der Bundeswehr angemessene Bei-
trag geleistet werden kann, statt der Versuchung zu erlie-
gen, in einer so herausfordernden Situation das parteipo-
litische Kleinklein zu pflegen. Das ist unangemessen. Wir
können uns intelligent und sachlich streiten. Nicht jede
Bemerkung, die ich von der Opposition gehört habe, ist
nach meinem Urteil diesem Anspruch gerecht geworden.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Paul Breuer von der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest, Herr
Minister Scharping, dass weite Teile der Rede, die Sie ge-
rade hier gehalten haben, nicht an das ganze Haus adres-
siert waren, sondern im Wesentlichen
Beschwörungsformeln für eine Unterstützung durch die
rot-grüne Koalition gewesen sind.
Sie haben auch allen Grund, das zu tun. Sie warnen vor ei-
ner Reform Ihrer Reform. Das sind Forderungen, die nicht
aus der Opposition kommen;
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Rudolf Scharping
18410
das sind Forderungen, die von der rot-grünen Koalition an
Sie gerichtet werden und die zeigen, dass Vertrauen für
Sie und Ihre politischen Bemühungen in dieser rot-grünen
Koalition derzeit nicht besteht.
Der Deutsche Bundestag muss feststellen, dass zum
ersten Mal in der Geschichte der NATO der Bündnisfall
bevorsteht. 50 Jahre nach Gründung der NATO ist das
eine historisch einmalige Situation. Der Deutsche Bun-
destag muss auch feststellen, dass die Bundeswehr und
zwar nach den Worten des Verteidigungsministers zum
Zeitpunkt der Feststellung des Bündnisfalles nicht voll
bündnisfähig ist. Die erste Aufgabe des Deutschen
Bundestages und dieser Bundesregierung muss sein, die
Bündnisfähigkeit der Bundeswehr so schnell und so wirk-
sam wie irgend möglich herzustellen.
Wenn wir uns damit auseinander setzen, wie die Bünd-
nisfähigkeit herzustellen ist, dann kommen wir nicht um-
hin festzustellen, dass in den letzten drei Jahren durch die
Aktivitäten dieser Bundesregierung erhebliche Defizite in
Bezug auf die Bündnisfähigkeit entstanden sind
und entschlossenes Handeln insbesondere in Bezug auf
die Modernisierung und die Ausrüstung der Bundeswehr
ausgeblieben ist.
Wenn in diesen Stunden darüber diskutiert wird, ob Herr
Scharping mehr Geld für die Bundeswehr bekommen soll,
dann muss Ihnen klar werden, dass es an sich skandalös
ist, dass es der Terroranschläge von New York und Wa-
shington bedurfte, Sie darauf hinzuweisen, dass man die
Bundeswehr nicht bündnisunfähig lassen kann.
Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom heuti-
gen Tage Sie können nicht behaupten, dass Christoph
Schwennicke, der diesen Kommentar geschrieben hat,
besonders freundlich mit der Union umgehen würde :
Die Bundeswehr ist nachweislich unterfinanziert, sie
war es vor dem 11. September, sie ist es nach dem
11. September.
Doch erst das Inferno von New York hat die Denk-
blockaden gelöst: ein Armutszeugnis für den sicher-
heitspolitischen Sachverstand in dieser Bundesregie-
rung.
Wenn die Flugzeugbomben in den USA offenkundig
Nachhilfeunterricht der schrecklichsten Art geliefert
haben, sollte die neue Einsicht gleich einen Schritt
weiter reichen. Ein klarer Wehretat tut dringend Not.
Dem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
dem Bündnis 90/Die Grünen, ist nichts hinzuzufügen.
Was die Klarheit des Wehretats angeht, muss ich aller-
dings feststellen, dass diese nach wie vor nicht gegeben
ist. Ich kann den bisherigen Äußerungen in der Öffent-
lichkeit, Herr Kollege Scharping, nur entnehmen, dass
eine Aufstockung des Verteidigungsetats wohl nicht er-
folgen wird. Das stelle ich einmal völlig unabhängig von
der Frage fest, wie dieser Finanzierungsbedarf gedeckt
werden soll. Dazu ist heute Morgen in der Debatte genü-
gend gesagt worden. Diese 1,5 Milliarden DM sollen
nicht dem Verteidigungsetat zugeführt werden, sondern
sollen im Einzelplan 60 verbleiben.
Das lässt zweierlei Schlüsse zu:
Erstens lässt das den Schluss zu, dass eine kontinuier-
liche Finanzausstattung des Verteidigungsetats für Sie
nach wie vor nicht zur politischen Debatte steht.
Das lässt zweitens den Schluss zu, dass sich offenbar
der Finanzminister vorbehält, den Verteidigungsminister
im Hinblick auf seine Bemühungen zu kontrollieren. Das
ist skandalös in dieser Situation.
Im Übrigen lässt das darauf schließen, dass die Auto-
rität und der Einfluss des Verteidigungsministers, der in
der Bundeswehr als völlig verschlissen gilt,
auch innerhalb der rot-grünen Koalition und innerhalb
der Bundesregierung nicht mehr weiter gesenkt werden
können.
Wenn es nämlich in einer solchen Situation, wie wir sie
heute haben, nicht möglich ist, unzweideutig über den
Verteidigungsetat zu reden und ihn zu beschließen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Paul Breuer
18411
beschreibt das letztlich nichts anderes als die Handlungs-
unfähigkeit einer Regierung.
Die 1,5 Milliarden DM, um die es hier geht, lösen nicht
die Probleme des Verteidigungsetats.
Der Verteidigungsetat benötigt, damit wir aus der Unter-
finanzierung herauskommen
sowie eine Rationalisierung und Modernisierung der
Bundeswehr überhaupt vornehmen können das sind
Verlautbarungen aus dem Hause des Verteidigungsmi-
nisters, zum Beispiel vom Generalinspekteur ,
für das kommende Jahr einen Betrag in der Größenord-
nung von 2,5 bis 3 Milliarden DM, im Übrigen mit stei-
gender Tendenz.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Wähler in
unserem Lande sehr genau anschauen werden,
in welcher Art und Weise der Deutsche Bundestag mit die-
sem Haushaltsentwurf, der noch dazu völlig unklar ist, in
den kommenden Wochen umgehen wird. Ich appelliere an
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den
Grünen: Sorgen Sie tatkräftig mit dafür, dass die Bundes-
wehr tatsächlich einen Beitrag im Rahmen der internatio-
nalen Bemühungen und insbesondere der Bündnis-
bemühungen leisten kann, wenn gegen den Terror in der
Welt vorgegangen wird.
Davon sind wir leider derzeit weit entfernt.
Bei der Korrektur der Reform, Herr Minister
Scharping, geht es nicht um eine Reform der Reform. Es
geht darum, festzustellen, dass in einigen Bereichen die
zeitlichen Prioritäten verschoben werden müssen. Wir
müssen alles dafür tun, dass die Bundeswehr schneller
ihre Reaktionsfähigkeit und Einsatzfähigkeit gewinnt,
als dies in Ihrer Reform geplant war. Wir müssen einiges
dafür tun,
dass die Bundeswehr zusätzliche Fähigkeiten zum Anti-
terroreinsatz bekommt. Wenn Sie, Herr Kollege Kahrs, in
Ihren dümmlichen Zwischenrufen
fragen: Wieso wir?, dann sage ich Ihnen darauf: Ich
finde, dass die Opposition dafür genauso viel Verantwor-
tung trägt wie Sie. Nehmen Sie bitte die Signale auf, die
von dieser Opposition kommen. Ich habe den Eindruck,
dass die Opposition dieser Verantwortung zum Teil in
größerer Art und Weise Rechnung trägt als Ihre Koalition.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gedacht, dass
wir angesichts der dramatischen Folgen des Anschlages
am 11. September dieses Jahres vielleicht endlich einmal
alte Schützengräben verlassen und versuchen würden,
den vor uns liegenden Aufgaben gerecht zu werden.
Ich sage das, Herr Kollege Breuer, weil ich davon aus-
gehe, dass sich die außen- und sicherheitspolitischen Pa-
rameter mit den grausamen Terrorangriffen, mit dem
Massenmord an der Zivilbevölkerung in New York und
dem Anschlag in Washington, grundlegend verändert ha-
ben. Ich glaube, dass es Zeit ist, Politik- und Sicher-
heitskriterien in allen Bereichen auf den Prüfstand zu
stellen. Ich bin mir in einem ganz sicher: Allein mit Ihrer
jahrelang erhobenen Forderung nach mehr Geld werden
Sie den aktuellen Problemen in keiner Weise gerecht.
Unsere Regierung hat gehandelt. Wir haben das Geld
für die jetzt notwendigen Maßnahmen zur Verfügung ge-
stellt. Wir werden über das weiter diskutieren, was in al-
len Bereichen noch notwendig ist. Der Vorschlag das ist
ein Griff in die Mottenkiste , man könne jetzt einfach un-
sere Verfassung infrage stellen, um den Einsatz der Bun-
deswehr im Inland zu ermöglichen das wäre eine Ver-
mischung der Gewaltmonopole , stößt bei uns auf strikte
Ablehnung. Das ist keine Antwort auf die Frage nach den
notwendigen Reformen im Bereich der inneren und äuße-
ren Sicherheit.
Herr Kollege Breuer, ich möchte Ihnen angesichts der
beeindruckenden gestrigen Rede von Putin in diesem
Hause noch eines sagen: Herr Putin hat gesagt, der
11. September 2001 habe dazu geführt, dass auch in
Russland die Letzten verstanden hätten, dass der Kalte
Krieg beendet sei. Das scheint auf Sie leider nicht zuzu-
treffen.
Wir müssen jetzt die Diskussion über die sicherheits-
politischen, außenpolitischen, aber auch über die präven-
tiven Maßnahmen führen. Ich gebe zu, dass in meiner
Partei eine heftige Grundsatzdebatte
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Paul Breuer
18412
sie ist notwendig und wird auch in unserer Gesellschaft
geführt darüber entbrannt ist, welche Mittel und Instru-
mente als Antwort auf die unglaublichen Terroranschläge
in den USA adäquat sind. Es geht dabei nicht nur um die
Forderung nach mehr Geld. Vielmehr geht es auch um die
Fragen: Können wir mit begrenzten militärischen Schlä-
gen gegen Terroristenzentralen weitere Anschläge verhin-
dern? Können wir aus der Angst und Sprachlosigkeit he-
raus das zuzugeben ist wohl legitim die Instrumente
der inneren und äußeren Sicherheit überprüfen und
verbessern, ohne unseren Rechtsstaat und unsere Grund-
werte infrage zu stellen? Dieser Aufgabe wollen und wer-
den wir uns stellen.
Wir müssen aber einsehen, dass herkömmliche mi-
litärische Mittel nicht reichen. Wir alle wissen doch das
macht uns auch sprachlos , dass der Terrorismus nicht
mit einem Militäreinsatz besiegt werden kann. Die Dis-
kussion über einen erweiterten Sicherheitsbegriff werden
wir führen. Es geht mir dabei überhaupt nicht um eine Re-
form der Reform. Vielmehr geht es mir bei der Debatte
über den erweiterten Sicherheitsbegriff um die Stärkung
der Entwicklungspolitik, die Bekämpfung der Armut und
die Perfektionierung unserer Instrumente zur Verhinde-
rung der Proliferation von biologischen und chemischen
Waffen. Ich denke, dass nicht nur die Wissenschaftler,
sondern auch wir gut daran tun, das Rad nicht neu zu er-
finden. Wir sollten vielmehr die Sicherheitsanalyse von
Richard von Weizsäcker und anderen noch einmal zurate
ziehen, um Antworten für die Zukunft zu finden.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass wir
auch an die Interessen unserer Soldatinnen und Soldaten
denken müssen. Es ist für die Soldaten sicherlich schwer
auszuhalten, sich in einem laufenden Reformprozess, den
wir beschlossen und eingeleitet haben, immer wieder vor
neue Anforderungen gestellt zu sehen, wenn das Parla-
ment den entsprechenden Auftrag erteilt, und diese wie in
der Vergangenheit immer wieder hervorragend zu meis-
tern. Ich glaube, es ist gerechtfertigt, dass die Soldatinnen
und Soldaten fragen, welchen Risiken sie und ihre Fami-
lien in Zukunft ausgesetzt sein werden, wenn sie ihren Be-
ruf weiter ausüben. Aufgabe des Parlaments und der Re-
gierung ist es, die Risiken für die Soldaten mit allen
Mitteln zu reduzieren und ihnen Sicherheit zu geben, wo
sie erforderlich ist, egal, ob es sich um Amber Fox, das
Folgemandat für Mazedonien, oder um eine militärische
Beteiligung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung han-
delt.
Liebe Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dies ist der Zeitpunkt, in dem der Bundes-
tag eine verantwortliche Debatte über die zukünftigen
Aufträge der Bundeswehr führen und entsprechend ent-
scheiden wird. Genauso verantwortlich werden wir jen-
seits jeder Demagogie oder alter Schützengräben dafür
Sorge tragen, dass wir sagen können: Wir hoffen, dass die
Soldaten auch nach diesen Einsätzen gesund zurückkom-
men. Das ist die Grundlage des gemeinsamen politischen
Handelns.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Vorbemer-
kungen machen.
Die erste Vorbemerkung geht an den Verteidigungsmi-
nister, der leider nicht mehr anwesend sein kann. Ich hätte
von ihm eigentlich keine Rede des Außenministers, son-
dern die des Verteidigungsministers erwartet. Ich hätte er-
wartet, dass er mitteilt, ob die Bundeswehr in dieser Si-
tuation einsatzfähig ist oder nicht. Davon habe ich
überhaupt nichts gehört. Der Verteidigungsminister hat
vielmehr eine zweite außenpolitische Rede gehalten. Da
bereits der Außenminister eine solche Rede gehalten hat,
brauchte ich das nicht.
Die zweite Vorbemerkung richtet sich an die Kollegin
Beer. Mich erstaunt ein bisschen, dass Sie das haben Sie
auch in den letzten Tagen wieder getan dem Verteidi-
gungsminister Vorwürfe machen. Warum wiederholen Sie
nicht in diesem Parlament, was Sie in den Medien gesagt
haben? Sie haben zum Beispiel gesagt, der Verteidi-
gungsminister sei wieder einmal neben der Spur. Führen
Sie die entsprechende Diskussion doch hier! Kollegin
Beer, nach Ihrer Rede sage ich Ihnen Folgendes: Sie sind
in den vergangenen Jahren schon oft genug umgefallen.
Allerdings kann man Ihnen den Vorwurf des Umfallens
nicht mehr machen; denn wenn man umfällt, dann muss
man vorher einmal gestanden haben. Sie dagegen stehen
für gar nichts mehr.
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung zu
Ihren Ausführungen machen. Sie haben hier viele Fragen
gestellt, die das bestreite ich nicht sicherlich berech-
tigt sind. Aber in der Bevölkerung erwartet man von Po-
litikern, dass sie nicht nur Fragen stellen, sondern auch
Antworten geben. Ihr heutiger Beitrag hat überhaupt
keine Antwort auf die Situation der Bundeswehr gege-
ben.
Wir sind uns alle einig wer möchte das bestreiten? :
Deutschland trägt eine große außenpolitische Verantwor-
tung. Wir merken das in diesen Tagen. Hinzu kommt, dass
auch wir Freien Demokraten vor allem das Gewicht der
Europäer innerhalb der NATO stärken wollen. Spiegelt
der Haushalt das wider? Der Haushalt des Verteidigungs-
ministers spiegelt das überhaupt nicht wider. Tatsache ist,
dass sich die deutschen Aufwendungen für Sicherheit
und Verteidigung im Vergleich zu denen der anderen
NATO-Staaten fast auf dem letzten Platz befinden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Angelika Beer
18413
Man kann doch nicht den Anspruch erheben, außenpoli-
tisch in der ersten Reihe zu sitzen, wenn man den Abge-
ordneten einen Etat des Verteidigungsministeriums prä-
sentiert, der im internationalen Vergleich unter ferner
liefen rangiert.
Um es noch einmal deutlich zu sagen wir haben es oft
genug gesagt : Mit einer Verteidigungspolitik nach Kas-
senlage muss Schluss sein. Das merken wir doch in die-
sen Tagen. Die Kollegin Beer hat noch einmal gesagt, wir
schrien immer nur nach mehr Geld. Entschuldigung, auf
einmal müssen Sie die Steuern erhöhen, um mehr Geld zu
bekommen. Irgendwie muss unsere Forderung doch be-
rechtigt gewesen sein. Auch darauf sind Sie nicht einge-
gangen.
Heute erleben wir, dass in Zeiten, in denen die äußere
Sicherheit vielleicht doch nicht so sicher ist, wie es die
Grünen erzählt haben, im Kabinett Steuererhöhungen be-
schlossen worden sind.
Kollegin Beer, Sie müssten uns einmal sagen, ob es rich-
tig ist, die Steuern zu erhöhen, um der Bundeswehr mehr
Geld zukommen zu lassen. Sie haben doch gesagt, wir
schrien immer nach mehr Geld. Jetzt sind Sie es selber, die
für mehr Geld für die Bundeswehr sorgen. Herr Trittin hat
in einem Zeitungsinterview, das ich heute gelesen habe,
gesagt, dass sich die Anhänger von Bündnis 90/Die Grü-
nen in der offiziellen Rhetorik der Bundesregierung nicht
wiederfinden. Genau das ist Ihr Problem und demgemäß
haben Sie hier rumgeeiert, Frau Kollegin.
Denken Sie einmal über Folgendes nach: Sie erhöhen
die Versicherungsteuer. Rot-grüne Logik besteht darin,
dass man die persönliche Sicherheit der Bürger höher be-
steuert, um ein Mehr an äußerer Sicherheit zu finanzieren.
Wie wollen Sie das der Bevölkerung erklären?
Durch Ihre Politik lerne ich, dass Rauchen nicht nur
Krebs, sondern zukünftig auch noch die äußere und die in-
nere Sicherheit fördert. Die Abgeordneten der Koalition
müssen sich einmal überlegen, was sie wirklich be-
schließen. Der Finanzminister hat sich das muss ich an-
erkennend sagen; leider ist kein Vertreter des Finanzmi-
nisteriums anwesend in einem Punkt durchgesetzt, der
auch unserer Linie entspricht: Sämtliche Mehreinnah-
men es werden weit mehr als 3 Milliarden DM sein; da
ist uns etwas vorgegaukelt worden; es werden etwa
6,5 Milliarden DM sein; diese Zahl ist von der CDU ge-
nannt worden gehören in den Einzelplan 60.
Ich möchte einmal genau wissen, wofür dieses Geld ein-
gesetzt wird. Wir wollen, dass dieses Geld für die Bundes-
wehr, für innere und äußere Sicherheit verwandt wird. Es
geht nicht an, dass der Verteidigungsminister Rechnungen,
die er bisher nicht begleichen konnte, mit diesen Einnah-
men bezahlt und dass weitere Löcher im Haushalt des Ver-
teidigungsministeriums gestopft werden. Insofern halte ich
die Entscheidung des Finanzministers für völlig richtig.
Diesen Verteidigungsetat zeichnet eines aus: Schieben,
strecken, streichen, täuschen.
Diese alte Leier kann man wirklich nicht mehr hören.
Sie müssen einmal eine neue Platte auflegen.
Nun hat sich der Verteidigungsminister eine Geldma-
schine angeschafft,
GEBB genannt. Da sollte das Geld förmlich gedruckt
werden. Aber Sie werden die nächste Pleite erleben. Be-
reits jetzt entpuppt sich die Geldmaschine GEBB als
ein Windei. Vor genau einem Jahr erklärte uns der
Verteidigungsminister, dass er mit der Gesellschaft für
Entwicklung, Beschaffung und Betrieb also kurz GEBB
genannt einen wichtigen Beitrag liefern würde, um die
Finanzierung der Bundeswehr zu sichern. Er hat dann
noch darauf hingewiesen, dass wir mit dieser Gesellschaft
völliges Neuland betreten. Ich stelle fest: Das ist kein
Neuland; diese GEBB ist ein einziger Sumpf. Außer
großen Gehältern für die Angehörigen der GEBB, vor al-
lem für die Geschäftsführerin, hat diese Gesellschaft bis-
her nichts zustande gebracht. Die GEBB sollte in diesem
Jahr über 1 Milliarde DM einbringen. Was hat sie bisher
eingebracht?
Keinen einzigen Pfennig! Ich weiß, warum der Bundes-
rechnungshof die GEBB nicht überprüfen darf: Weil man
unglaubliche Angst hat, dass der Rechnungshof in die
Bücher schaut. Er würde nämlich feststellen: dicke Gehäl-
ter, aber nichts dahinter. Nicht ein Pfennig ist eingenom-
men worden.
Sie arbeiten nur nach dem Prinzip Hoffnung.
Ich bin dem Generalinspekteur ausgesprochen dank-
bar. Er hat in letzter Zeit mehrfach die Situation der Bun-
deswehr dargestellt. Wie ich jetzt zur Kenntnis nehmen
muss, will er nach Brüssel gehen. Bei der NATO kann er
über den Zustand der Bundeswehr berichten. Ich be-
fürchte nur, unsere Partner wissen bereits seit langem, wie
ihr Zustand ist.
Ich stelle fest: Der Verteidigungsminister hat nicht auf
den Generalinspekteur gehört. Ich frage mich, wer Recht
hat. Hat der Generalinspekteur oder hat der Verteidi-
gungsminister Recht? Es gibt zwei Darstellungen. Der
Verteidigungsminister hat im Sommer eine Rundreise ge-
macht und gesagt, es sei bei der Bundeswehr alles bestens
und die Motivation sei hoch. Ich höre etwas anderes. Ent-
weder rede ich mit den falschen Soldaten oder es läuft in
der Kommunikation zwischen Generalinspekteur und
Bundesverteidigungsminister etwas falsch.
Aufgrund meiner kurzen Redezeit möchte ich nur noch
eine kurze persönliche Bemerkung in Richtung des Ver-
teidigungsministers machen. Wir haben vor dem furcht-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Jürgen Koppelin
18414
baren Ereignis in Amerika eine Diskussion geführt, die
ich nicht aufwärmen will. Aber ich empfehle dem Bun-
desverteidigungsminister dringend auch wenn er nicht
da ist , in das Soldatengesetz zu schauen.
In § 17 des Soldatengesetzes Verhalten im und außer
Dienst heißt es:
Der Soldat hat Disziplin zu wahren und die dienstli-
che Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auch
außerhalb des Dienstes zu achten. Sein Verhalten
muss dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Ach-
tung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein
Dienst als Soldat erfordert. Außer Dienst hat sich der
Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte so zu
verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder
die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche
Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.
So weit das Soldatengesetz. Das schreiben wir dem
Bundesverteidigungsminister ins Stammbuch. Er sollte
hin und wieder in das Soldatengesetz schauen, auch wenn
er Zivilist und kein Soldat ist. Aber er ist Vorgesetzter der
Soldaten und danach hat er sich zu richten.
Sie können davon ausgehen, dass wir Freien Demo-
kraten unsere Verantwortung gegenüber der Bundeswehr
kennen.
Sie kommen doch aus Hamburg; Sie gehören zu den
Krakeelern. Wenn Sie in Hamburg nicht so eine chaoti-
sche Politik gemacht hätten, dann müssten wir uns heute
nicht mit Herrn Schill herumplagen. Das ist die Situation.
Sie haben den Boden für Herrn Schill bereitet.
Außer schreien können Sie nichts.
Ich komme zum Schluss. Wir werden unserer Verant-
wortung gerecht. Ich freue mich auf die Diskussion über
den Einzelplan 14. Ich weiß, dass alle Kollegen, die sich
mit dem Etat befassen, das Beste für die Bundeswehr
wollen.
Ich möchte an dieser Stelle für die Kolleginnen und
Kollegen der Freien Demokraten sagen: Wir danken unse-
ren Soldaten, die im Ausland tätig sind. Wir wissen, wel-
che Verantwortung sie für uns alle übernommen haben.
Wir begleiten sie in ihrem Dienst. Sie sollen wissen: Wir
werden alles tun, dass ihre Sicherheit gewährleistet ist.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Zumkley.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Erstens hat die terroristische Bedrohung
mit den Ereignissen vom 11. September in Washington
und New York eine neue Dimension erreicht. Zweitens ist
Deutschland zurzeit an internationalen Einsätzen in Bos-
nien-Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien betei-
ligt. Die aktuelle Sicherheitslage zeigt, dass die beschlos-
sene Reform der Bundeswehr noch wichtiger und
dringlicher geworden ist.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Verteidi-
gungsetat 2002 und die von der Bundesregierung ergrif-
fenen Sofortmaßnahmen tragen diesen neuen Erfordernis-
sen der Bundeswehr Rechnung. Der Etat wird für die
Jahre 2002 bis 2006 auf jährlich 46,2 Milliarden DM ver-
stetigt. Zusätzlich wurden im Gesetzentwurf gebilligte
Verstärkungsmöglichkeiten in Höhe von 1,2 Milliar-
den DM festgeschrieben. Die notwendigen Mehrausgaben
für den Mazedonieneinsatz in Höhe von 148 Millio-
nen DM werden in diesem Jahr mit Auswirkung auf das
Jahr 2002 zusätzlich bereitgestellt. Strukturelle und ma-
terielle Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, die bereits in
dem Entwurf eines Bundeswehrneuausrichtungsgesetzes
vorgesehen sind, werden zeitlich vorgezogen. Hierfür ste-
hen jährlich zusätzlich beträchtliche Mittel zur Verfügung.
Damit ist es möglich, die Bundeswehr den neuen sicher-
heitspolitischen Herausforderungen anzupassen und sie zu
reformieren.
Die zweifellos noch vorhandenen und bekannten Fähig-
keitslücken, die in der Vergangenheit entstanden sind, wer-
den wir schrittweise aber so zügig wie möglich
schließen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen kann wei-
terhin in Einklang mit der Modernisierung der Streitkräfte
erfolgen. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren.
Wir sind uns bewusst, dass zur Modernisierung der
Bundeswehr der Plafond allein nicht ausreicht; wir wissen
das. Die beschlossene Umstrukturierung kann nur gelin-
gen, wenn zusätzlich Veräußerungserlöse, Effizienzge-
winne und Einsparungen im zugebilligten Rahmen in
Höhe von 1,2 Milliarden DM erwirtschaftet und ausge-
schöpft werden.
Dies ist unser fester Wille. Davon lassen wir uns nicht ab-
bringen. Es ist ein schwieriger Weg; aber wir werden ihn
meistern.
Die dafür notwendigen Maßnahmen die erforderlichen
Mittel sind bereits im Haushaltsentwurf aufgeführt
müssen und werden tatkräftig umgesetzt werden.
Die Personalausgaben sind im Regierungsentwurf erst-
mals auf 24,5 Milliarden DM plafondiert. Dadurch stehen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Jürgen Koppelin
18415
die Haushaltsmittel zur Verfügung, die zur Umsetzung der
Gesetzesvorhaben, also zur Steigerung der Attraktivität
der Bundeswehr, benötigt werden. Die Ungleichgewichte
in der Personal- und Besoldungsstruktur, die unter ande-
rem während Ihrer Regierungszeit entstanden sind, wer-
den endlich beseitigt.
Die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive wird fort-
gesetzt, die Attraktivität des Dienstes gesteigert und die
Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs verbessert.
Hierzu soll auch das Gesetz zur Neuausrichtung der Bun-
deswehr beitragen, dessen Entwurf wir heute in erster
Lesung beraten und an die Fachausschüsse überweisen
werden.
Die Änderung des Besoldungsgesetzes zum Abbau des
Beförderungsstaus und zur Verbesserung der Besoldungs-
struktur wird noch in diesem Jahr folgen. Ich habe heute
von Ihnen nichts über solche Vorhaben gehört.
Sie haben sich zwar in der großen Weltgeschichte bewegt,
aber für die Soldaten haben Sie in Wahrheit überhaupt
nichts vorgesehen.
Mit dem unvermeidlichen Personalabbau bei den Zi-
vilbeschäftigten kann sozialverträglich und ohne be-
triebsbedingte Kündigungen auf der Basis des mit Verdi
und dem Deutschen Beamtenbund vereinbarten Tarifver-
trages begonnen werden.
Der investive Anteil wird mit circa 9 Milliarden DM
auf dem annähernd gleichem Niveau wie 2001 gehalten.
Er kann aber im Haushaltsvollzug durch zusätzliche Ein-
nahmen und Effizienzgewinne verstärkt werden. Die
Modernisierung des Materials muss auch im kommen-
den Jahr konsequent nach einer festgelegten Prioritäten-
liste angegangen werden. Nur so können wir die Defizite
der Vergangenheit auf der Zeitachse systematisch besei-
tigen.
An der politisch und militärfachlich richtigen Ent-
scheidung zur beschlossenen Bundeswehrreform werden
wir festhalten. Die in der Umsetzung begriffene Reform
wird, wie mir scheint, von der Opposition prinzipiell nicht
mehr kritisiert. Wir streiten uns nur noch um die Finan-
zierung; das ist übrig geblieben. Wir werden miteinander
in den Wettstreit darüber treten, wer Recht hat. Das ist ein
ernstes Thema, das in das Parlament und in den zuständi-
gen Ausschuss gehört.
Wir sind der Auffassung, dass wir trotz der Gesamtfi-
nanzlage des Staates diese wichtigen Aufgaben leisten
werden. Sie glauben es nicht. Darüber werden wir uns
ernsthaft unterhalten, aber nicht mit der Haltung, wie ich
sie manchmal vernehme, und mit dem, was hier auch
schon zu Recht kritisiert worden ist.
Die Entlastung der Teilstreitkräfte durch die Ausglie-
derung der hauptsächlichen logistischen Aufgaben und
die Zentralisierung des Sanitätsdienstes, die Straffung der
Führungsorganisation, die Erhöhung der Zahl der
Einsatzkräfte, die neue Weichenstellung im Hinblick auf
veränderte Aufgaben der Streitkräfte und die Straffung
der Wehrverwaltung dies alles wird zu höherer Effizienz
führen. Die Reform wird von unseren Partnern in der
Europäischen Union und in der NATO voll anerkannt. Wir
sind auf dem richtigen Weg.
Über die Finanzierung streiten wir uns und das ma-
chen wir gern. Sie wollen erheblich mehr Geld. Von kei-
nem der Redner habe ich aber gehört, woher Sie es denn
nehmen wollen. Sagen Sie doch, woher Sie es nehmen
wollen! Wollen Sie umschichten oder wollen Sie mehr
Schulden machen? Sagen Sie es doch, dann können wir
darüber ernsthaft reden.
Wir glauben, dass die Bundeswehr angesichts der si-
cherheitspolitischen Lage und der notwendigen Haus-
haltskonsolidierung ausreichend Mittel zur Verfügung
hat, um die Reform der Sicherheitslage entsprechend um-
zusetzen. Wir brauchen auch in Zukunft einsatzfähige,
auch auf neue Aufgaben gut vorbereitete und ausgebildete
Streitkräfte. Der Übergang von alter zu neuer Bundeswehr
bringt viele Probleme und auch Unzulänglichkeiten im
täglichen Dienstbetrieb mit sich. Das wissen wir doch
alle. Diese schwierige Umbruchphase wird mit dem En-
gagement und hoher Dienstbelastung durch das Personal
der Bundeswehr gemeistert. Zur Umsetzung der Reform
brauchen wir unsere Soldaten und Zivilbeschäftigten. Der
Erfolg wird wesentlich von ihrer Motivation abhängen.
Für diese nicht leichte Aufgabe, meine Damen und Her-
ren, danke ich den Soldaten, Beamten, Angestellten und
Arbeitern der Bundeswehr bereits jetzt.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
befinden uns in der außen- und sicherheitspolitischen De-
batte zum Bundeshaushalt 2002.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Peter Zumkley
18416
Das muss man deswegen sagen, weil das Bundesfi-
nanzministerium nicht vertreten ist. Ich würde doch emp-
fehlen, dass die Bundesregierung
Gut, es ist nur die Haushaltsdebatte. Das wirft ein Licht
darauf, wie ernst man den Bundestag in dieser Frage of-
fensichtlich nimmt. Da stellt sich auch die Frage, wie
ernst sich die Koalitionsparteien nehmen.
Das Hin und Her bei der Frage, woher die 3 Milliar-
den DM, die jetzt die Lösung bringen sollen und die aus
dem Haushalt angeblich nicht mehr zu holen waren, ge-
nommen werden, ob aus Einzelplan 60 oder nicht, ob da-
rüber das Finanzministerium Herr Overhaus oder wer
auch immer entscheidet, deutet nicht gerade auf eine
klare Orientierung hin, sondern so etwas nennt man Eierei.
Zum Thema Bundeswehr und deren Finanzierung
ich möchte heute vor allem zur Außenpolitik sprechen
doch noch eine Anmerkung. Ich höre immer: 16 Jahre
lang war dieses und jenes.
Vergleichen Sie diesen Haushalt einmal mit Haushalten
aus unserer Zeit! Und erinnern Sie sich bitte daran, dass
Sie jetzt den vierten Haushalt unter Ihrer Regie machen.
Sie müssen sich entscheiden, ob Sie regieren oder ob Sie
stänkern wollen.
Ich muss dies so sagen, weil mich die Gesundrederei der
Bundeswehr schon manchmal erschüttert.
Es gibt Kollegen, die sehr genau wissen, wovon sie re-
den und wie sie reden. Vorhin fiel der Halbsatz vielleicht
nicht so gemeint, aber doch so gesagt , der General-
inspekteur könne auch nicht rechnen. Wenn Sie all die,
die nicht rechnen können, aus dem Verteidigungsministe-
rium herausziehen, werden Sie bald auf dem politischen
Zahnfleisch gehen.
Ich kann den Namen der Kollegin aus Ihrer Fraktion
nennen, die den Zwischenruf
Frau Präsidentin, ich wollte eigentlich reden, ich habe
aber ständig jemanden im Ohr, der so laut schreit, dass ich
nicht mehr in der Lage bin, mich selber zu verstehen. Wir
sind hier nicht im Gewerkschaftsrhetorikkurs, sondern im
Deutschen Bundestag.
Wenn Sie mit dem Generalinspekteur so umgehen, wie
Sie es getan haben, dann muss Ihnen das vorgehalten wer-
den.
Der Generalinspekteur hat sehr wohl korrekt auf die Fra-
gen nach den Zahlen geantwortet. Die Antworten haben
Ihnen nur nicht gepasst.
Ich muss lauter reden, damit Ihr Kollege übertönt wird,
Frau Kastner.
Jawohl, den haben wir sehr richtig verstanden. Ihre Auf-
geregtheiten zeigen nur, dass Sie sehr getroffen sind.
Ich empfehle Ihnen, dass Sie die Diskussion über den
Wehrhaushalt Einzelplan 14 ernster nehmen, als das
offensichtlich der Fall ist.
Ich komme zu einem ganz anderen Punkt: Es geht um die
Außen- und Sicherheitspolitik und die Konzeption der
Bundesregierung. Meine Sorge gilt der Tatsache, dass in-
nerhalb der Bundesregierung eine gewisse Positions-
losigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen
besteht. Ich stelle fest, dass die Opposition in der gegen-
wärtigen Situation, in der die Bundesregierung in der Per-
son des Außenministers und des Bundeskanzlers eine klare
Position bezogen hat, bereit ist, zu einer gemeinsamen Ver-
antwortung zu stehen. Das ist selbstverständlich. Das kann
aber nicht heißen, dass wir mit der Debatte darüber auf-
hören. Wir müssen die Strukturfragen der Außen- und Si-
cherheitspolitik schon noch behandeln. Ich meine, dass wir
es mit einer Bundesregierung zu tun haben, die diesen struk-
turellen Fragen einen sehr niedrigen Stellenwert beimisst.
Ich will Ihnen als ein Beispiel die Antirassismuskon-
ferenz der Vereinten Nationen in Durban nennen, die in
den letzten Wochen untergegangen ist. Alle, die diese
Konferenz verfolgt haben, wissen, was sich dort abge-
spielt hat. Der Versuch von palästinensischer Seite, diese
zu einer antisemitischen Konferenz umzugestalten, konn-
te nur mit Mühe verhindert werden. Ein Platzen dieser
Konferenz hätte dem Frieden im Nahen Osten sicherlich
nicht gedient. Man muss allerdings fragen, ob es wirklich
gut war, dass der Vertreter der Bundesregierung nahezu
unbeeindruckt von diesen Problemen , der Bundes-
außenminister wenn ich mich nicht irre, war er der
höchstrangige Vertreter der EU , eine Rede mit Blick auf
die deutsche koloniale Vergangenheit gehalten hat, in der
auch auf den Herero-Aufstand vor 100 Jahren eingegan-
gen wurde. Dies kam einem Schuldeingeständnis sehr
nahe. Damit wurde was ich nicht hoffe im Prinzip eine
Einladung an diejenigen ausgesprochen, die die Welt-
politik mit dem Amtsgericht, dem Gerichtsvollzieher und
der Vorstellung, man könne die Entwicklungen der
Geschichte mit Anwaltsbriefen und Vollstreckungstiteln
bewältigen, verwechseln.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Christian Schmidt
18417
Ich unterstütze ausdrücklich die Position der Bundes-
regierung bezüglich Griechenland. Diese Position ist
richtig, sie muss durchgehalten werden. Wir können sol-
che Missachtungen der Prinzipien internationalen Rechts
die Beschlagnahme des Goethe-Instituts nicht akzep-
tieren. Deshalb appelliere ich, sich nicht vom Gutmen-
schentum hinreißen zu lassen, sondern die Ziele der
Außenpolitik auch mit Blick auf die Auswirkungen auf
deutsche Interessen nüchtern zu formulieren.
Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt und den
ich ganz kurz ansprechen möchte, ist, dass wir Schwie-
rigkeiten haben, in den deutsch-tschechischen Bezie-
hungen ich nenne den deutsch-tschechischen Koordi-
nierungsrat, der nach der beiderseitigen Erklärung der
Regierungen eingerichtet worden ist weiterzukom-
men. Es ist zu wenig, nur historische Stereotypen auszu-
tauschen. Es gibt immer noch Fragen des gegenseitigen
Verstehens, die nicht geklärt sind. Die Frage der Dekrete
von Benes im Hinblick auf die Sudetendeutschen ist
nicht nur ein Problem der Sudetendeutschen. Ich erin-
nere daran, dass beispielsweise die UN-Menschen-
rechtskommission 1998 eine Erklärung zum Recht auf
Heimat und zur Ächtung der Vertreibung verabschiedet
hat, die in der Generalversammlung leider noch nicht
verabschiedet worden ist. Ich gehe davon aus, dass der
Bundesaußenminister in diesem Punkt bei der General-
versammlung die Initiative ergreifen wird. Das sind tief
gehende Fragen, die auch das Selbstverständnis der Eu-
ropäischen Union als Rechtsgemeinschaft berühren.
Deswegen muss dieser Dialog auf eine intensivere und
wie ich hoffe auch konstruktivere Basis als bisher ge-
stellt werden.
Ein Wort zu der Rede, die gestern Präsident Putin ge-
halten hat Kollegin Beer hat sie auch noch einmal an-
gesprochen : Ja, es war eine sehr große Rede. Es war eine
proeuropäische Rede. Wir sollten dies aufgreifen und be-
reit sein, Russland so weit wie möglich in den Integra-
tionsverbund aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass der
NATO-Russland-Rat in seinen Möglichkeiten schon voll
ausgelotet ist. Wir sollten durch Vertrauensbildung auch
den Weg dafür ebnen, dass es bei der Erweiterung der
NATO, die im nächsten Jahr ansteht wenn es nach mir
geht, unter Einschluss der baltischen Staaten , zu einer
kooperativen Lösung kommt und dass daraus kein Kon-
flikt entsteht. Seit gestern sehe ich die Chancen hierfür
wachsen.
Das Wort hat
jetzt Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in
der heutigen Debatte hat man bei jedem Redner und bei
jeder Rednerin gespürt, dass der Schock nach den
schrecklichen terroristischen Anschlägen des 11. Sep-
tember noch immer auf uns lastet.
Ich plädiere dafür, dass unser Verhalten aus zwei
Grundzügen bestehen muss: entschlossenes Entgegentre-
ten gegenüber den terroristischen Gewalttätern, ihre Be-
strafung und Zerschlagung ihrer Strukturen einerseits und
andererseits der Versuch der Prävention. Wir müssen den
Nährboden trockenlegen, in dem Hass und Gewalt wu-
chern.
Ich möchte an die Adresse der Friedensgruppen, die
sich jetzt landauf, landab äußern und denen ich mich
selbstverständlich verbunden fühle, Folgendes sagen:
Auch im Inneren unserer freien Gesellschaften antwor-
ten wir auf die Gewalt des Rechtsextremismus mit einer
Doppelstrategie. Wir gehen mit unnachgiebiger Härte
gegen rassistische Totschläger und ausländerfeindliche
Brandstifter vor und bemühen uns gleichzeitig, den ge-
sellschaftlichen Ursachen entgegenzuarbeiten, also
Prävention zu betreiben. Das heißt, beides ist notwen-
dig.
Bei allem, was die internationale Gemeinschaft und
auch die deutsche Politik tut, muss darauf geachtet wer-
den, dass keine neuen Konflikte und Spaltungen geschaf-
fen werden. Die terroristischen Anschläge waren ein An-
griff auf die Werte von Milliarden Menschen in aller Welt,
seien es Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Juden oder
Christen. Das ist deutlich und das sollten wir in dieser
Diskussion auch immer wieder deutlich machen.
Im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit
findet alltäglich ein Austausch mit unseren Partnern statt.
Vor Ort gibt es einen Dialog der Kulturen, der uns zeigt,
dass uns vieles verbindet: gemeinsame Grundwerte, ge-
meinsame Träume und Visionen. Dieses Verbundensein
wollen wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
zukünftig noch stärker verdeutlichen, übrigens auch
zukünftig noch stärker finanzieren, denn sie hilft, Krisen
zu überwinden und gemeinsam Wege zu finden.
Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern un-
serer Entwicklungszusammenarbeit, den Nichtregierungs-
organisationen, Stiftungen und Kirchen für ihr tägliches
Engagement unter schwierigen Bedingungen danken. Es
ist gut, dass Thomas Künzel hat freikommen können. In
diesem Zusammenhang appelliere ich eindringlich an die
Entführer unseres GTZ-Mitarbeiters Ulrich Künzel und
seines Freundes Reiner Bruchmann in Kolumbien: Lassen
Sie diese Menschen endlich frei!
Mein dringlicher Appell richtet sich auch an die Zu-
ständigen der Taliban: Lassen Sie die inhaftierten deut-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Christian Schmidt
18418
schen, amerikanischen und australischen Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen von Shelter Now frei!
An dieser Stelle möchte ich auch sagen Herr Irmer ist
nicht mehr da : Ich kenne diejenigen, die den zivilen
Friedensdienst leisten. Die 19 Millionen DM für die
Friedensfachkräfte, die Vermittlungsarbeit bei Konflikten
vor Ort leisten, sind gut investiert. Sie ersparen uns näm-
lich anschließend Beträge in Milliardenhöhe.
Die Leute schlecht zu machen halte ich gegenüber den
betroffenen Kolleginnen und Kollegen für unverantwort-
lich.
Humanitäre Verantwortung gilt aber auch für uns. In
diesem Zusammenhang möchte ich ankündigen, dass un-
ser Ministerium für Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge aus
Afghanistan 15 Millionen DM zur Verfügung stellt.
Am 11. September dieses Jahres haben wir auf
schrecklichste Weise erfahren, was es bedeutet, in einer
Welt zu leben. Kein Teil ist ohne den anderen sicher. Wenn
ein Gefühl von Ohnmacht und Zukunftslosigkeit gegen-
über den wirtschaftlich und militärisch starken Nationen
zur Mobilisierbarkeit für Terrorakte beiträgt, dann müssen
wir diesem Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmacht
entgegenarbeiten.
Die realen Machtverhältnisse sind folgendermaßen:
Die G-7-Staaten verfügen über 70 Prozent des Bruttoso-
zialproduktes, sie machen aber nur 10 Prozent der Welt-
bevölkerung aus. Wir müssen dazu beitragen wir tun das
mit unserer Entwicklungszusammenarbeit, müssen dies
aber verstärkt tun , dass die Menschen ihre eigene Ent-
wicklung selber gestalten können und dass sie vor allen
Dingen auch global stärker mitentscheiden und die Welt
mitgestalten können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist
eine gerechte internationale Ordnung.
Dafür arbeiten wir alle in diesem Haus, dafür arbeitet
auch die Bundesregierung.
Die Globalisierung das wissen wir nicht erst seit
Genua darf nicht dem Laisser-faire-Prinzip überlassen
werden. Das würde die schreienden Ungerechtigkeiten,
die wir alle kennen, verschärfen. Es geht um zwei Wege:
Entweder überlassen wir alles der Entwicklung, dann
setzt sich Gewalt fort. Oder wir schlagen den Weg ein, für
den sich die Bundesregierung mit anderen Partnern ent-
schieden hat, nämlich den Weg der sozialen und ökologi-
schen Gestaltung der Globalisierung. Das tun wir bei un-
serer internationalen Zusammenarbeit mit der Weltbank
und dem IWF, mit der Entschuldung und bei der Öffnung
von Märkten.
Wir brauchen jetzt ein breites Reformbündnis der fort-
schrittlichen Regierungen aus Industrie- und Entwick-
lungsländern sowie der Zivilgesellschaften, auch derjeni-
gen, die der Globalisierung kritisch gegenüberstehen, sich
aber für die Gewaltfreiheit entsprechend engagieren.
Wichtig ist, dass wir alle zusammenarbeiten, dass wir er-
leben, dass es nicht nur eine Globalisierung von Märkten,
sondern auch eine Globalisierung von Solidarität und
Werten gibt. Diese Botschaft ist notwendig.
Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über die
Finanzierung globaler öffentlicher Güter. Wir haben es
bei der Aidsbekämpfung ja geschafft, einen entsprechen-
den Fonds einzurichten, an dem wir uns mit 300 Milli-
onen DM beteiligen. Wir müssen aber auch einen Beitrag
dazu leisten so viel Entwicklungszusammenarbeit kön-
nen wir nicht aufbringen, wie notwendig wäre, um das zu
kompensieren, was notwendig ist , dass internationale
Finanzmärkte einen starken ordnungspolitischen Rah-
men bekommen.
Unkontrollierte Kapitalbewegungen ruinieren ganze
Volkswirtschaften von Entwicklungsländern. Dies könn-
ten wir anschließend nicht mehr ausgleichen. Es hat sich
auch in erschreckender Weise gezeigt, dass internationale
Terrorgruppen von den Schwächen dieses unkontrollier-
ten Finanzsystems in schamloser Weise profitieren, um
ihre Verbrechen zu finanzieren. Denen muss das Hand-
werk gelegt werden. Deshalb müssen alle Elemente zur
Bekämpfung der Geldwäsche und zur Stabilisierung der
Finanzsektoren, einschließlich der stärkeren Regelung
von Finanzströmen, in den Entwicklungsländern voran-
gebracht werden.
Ich will an dieser Stelle sagen: In diese Überlegungen
ist auch eine Devisentransaktionssteuer einzubeziehen,
Stichwort Tobin-Tax. Unser Ministerium hat eine Mach-
barkeitsstudie zur Tobin-Tax in Auftrag gegeben; denn in
dieser Situation dürfen wir kein Instrument ungeprüft las-
sen. Wer sagt, dass wir solche Instrumente nicht brauchen,
der täuscht sich.
Die Entwicklungszusammenarbeit ist das einzige Ins-
trument, mit dem wir in den Gesellschaften unserer Part-
nerländer mitgestalten und den Dialog führen können. Da-
bei ist good governance, eine gute, entwicklungsorien-
tierte Regierungsführung, bereits jetzt ein Schwerpunkt
unserer Entwicklungszusammenarbeit. Doch angesichts
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
18419
der jetzigen Erfahrungen wollen wir eine stärkere Fokus-
sierung verwirklichen. Wir wollen besonders die Länder
finanziell unterstützen, die das friedliche Zusammenleben
verschiedener Ethnien und Religionen innerhalb ihrer Ge-
sellschaft und ihrer Region ausdrücklich fördern und sich
besonders in der Terrorismusbekämpfung engagieren.
Die Bundesregierung hat die Ansätze der Veränderung
und Präzisierung ihrer Entwicklungszusammenarbeit als
Teil der Auseinandersetzung mit dem internationalen Ter-
rorismus aufgenommen und stellt dafür mindestens
200 Millionen DM zur Verfügung. Zusammen mit der
Verlängerung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa über
das Jahr 2003 hinaus sind dies wichtige Perspektiven für
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Im letzten Herbst haben die katholischen Bischöfe ein
Friedenswort herausgegeben, das sich Gerechter Friede
nennt. Ich möchte zum Schluss aus diesem Friedenswort
zitieren:
Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthal-
ten wird, was ein menschenwürdiges Leben aus-
macht, kann auf Dauer keinen Bestand haben. Sie
steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen
Krieg gibt.
Tragen wir alle mit dazu bei, der Gewalt entschlossen ent-
gegenzuarbeiten!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In einem Punkt bin ich mit
meiner Vorrednerin einig auch andere Redner, wie
Volker Rühe, haben es gesagt : Eine starke Entwick-
lungspolitik ist für den langfristigen Erfolg des welt-
weiten Kampfes gegen den Terror unverzichtbar. Die
Entwicklungspolitik bekämpft viele Ursachen: die ökono-
mische Perspektivlosigkeit, die krassen sozialen Gegen-
sätze oder die oft unhaltbaren politischen Zustände in vie-
len Entwicklungsländern. All das sind Nährböden für
Frustration, Hass und Gewaltbereitschaft. Bin Laden
und andere Terroristen sind nicht arm, aber die sozialen
Sprengsätze der Welt sind der Scheiterhaufen für die
Lunte, die die Terroristen anzünden wollen.
Wir sehen auch, dass die Probleme der Entwicklungs-
länder wachsen und auf uns zuwachsen. Deshalb ist die
Terrorbekämpfung eine Aufgabe auch für eine moderne
Entwicklungspolitik als Teil einer vorausschauenden Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik. Hinsichtlich dieser
Aufgabe steht die rot-grüne Entwicklungspolitik kurz
vor der Kapitulation. Alle vollmundigen Ankündigun-
gen, die vielen pressewirksamen Auftritte und Initiati-
ven, wie die Armutsinitiative, die Klimainitiative, die
Kaukasusinitiative oder auch die Aidsbekämpfung, sind
angesichts der Realitäten des Haushalts Schall und
Rauch.
Der entwicklungspolitische Haushalt ist in der Tat ein
rot-grüner Steinbruch. Unverdrossen wird er weiter abge-
meiert und steuert jetzt auf ein Zehnjahrestief zu. Die neu-
erliche Kürzung um 5,3 Prozent lässt ihn sogar noch un-
ter die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung diese
war ohnehin schon traurig genug abrutschen. Wir sind
jetzt bei einer ODA-Quote von 0,2 Prozent angelangt;
diese betrug früher immerhin einmal 0,42 Prozent. Das ist
für Sie, Frau Ministerin, die Bundesregierung und
Deutschland ein Armutszeugnis.
Sie haben vorhin einen Betrag von 200 Millionen DM
erwähnt, der jetzt angeblich noch draufgesattelt werden
soll. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Sie uns die-
sen Betrag schon einige Wochen vor dem Anschlag an-
gekündigt haben. Entweder haben Sie damals leere Ver-
sprechungen gemacht oder Sie haben bei der Runde zur
Verteilung der zusätzlichen 3 Milliarden gestern nichts,
aber auch gar nichts herausgeholt.
Ich möchte Ihnen die Folgen dieser Steinbruchpolitik
am Beispiel Pakistans aufzeigen. Pakistan das wissen
wir steht seit Jahren auf der Kippe zum Extremismus.
Sie haben die Leistungen der Entwicklungspolitik von
früher 100 Millionen DM auf 36 Millionen DM herunter-
gefahren. Das Goethe-Institut in Lahore wurde geschlos-
sen und die Stiftungen in Pakistan mussten ihre Ausgaben
drastisch kürzen, weil Sie die Mittelzuweisungen zurück-
gefahren haben. Genauso dramatisch ist die Situation in
Zentralasien. Den gleichen Fehler machen Sie auch beim
Stabilitätspakt für den Balkan.
Ein anderer qualitativer Fehler ist Ihre verfehlte
Schwerpunktsetzung wir haben das schon öfter disku-
tiert , die zum Beispiel Länder wie Indonesien dazu ver-
führt, sich das herauszupicken, was den einzelnen Regie-
rungen gefällt, statt das zu nehmen, was der Bevölkerung
und der Wirtschaft gut tut und für eine wirkliche Auf-
wärtsentwicklung des Landes wirklich dringend notwen-
dig ist. Angesichts dieser gewaltigen Aufgaben ist Ihr
Haushalt bereits jetzt Makulatur. Sie werden mit dieser
Haushaltsvorlage in der Zukunft im Grunde genommen
vollkommen handlungsunfähig sein.
Deswegen fordern wir einen grundlegenden qualitati-
ven und quantitativen Wandel. Wir wollen eine stärkere,
schnellere und flexiblere Unterstützung rechtschaffener,
reformbereiter Staaten, Politiken und Parteien in den
Entwicklungsländern. Wir wollen eine Stärkung der Kir-
chen und der Stiftungen, zum einen für die Basisarbeit,
zum anderen auch für eine bessere Politikberatung. Wir
fordern die Rücknahme der Kürzungen im Bildungs- und
Ausbildungsbereich. Wir fordern eine stärkere Unterstüt-
zung vieler Entwicklungsländer beim Prozess der Globa-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
18420
lisierung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade für die
internationale Wirtschaftspolitik.
Zusammengefasst: Wir fordern nicht nur die Rück-
nahme der Kürzungen des Entwicklungshaushaltes um
5,3 Prozent, sondern ein Anwachsen des Haushalts analog
zum Bundeshaushalt um 1,6 Prozent und die Absicherung
der deutschen Entwicklungspolitik in der mittelfristigen
Finanzplanung.
Gerade nach dem Terroranschlag in den USA kämpfen
wir um die deutsche Entwicklungspolitik. Wir kämpfen
auch um Ihren Haushalt. Wir werden uns auch mit detail-
lierten Vorschlägen und Vorstellungen an der zukünftigen
Beratung des Entwicklungshaushaltes beteiligen.
Ich darf aber auf eines hinweisen: Die jetzige misera-
ble Finanzausstattung des Entwicklungshaushaltes ist
kein gottgewolltes Schicksal. Ich brauche auch keine
Tobin-Steuer, um tief greifende Veränderungen zum Bes-
seren vorzunehmen. Sie haben zum Beispiel die DEG für
ein Linsengericht verscherbelt. Das war Ihr Fehler. Das
war ein großes Versäumnis. Allein mit einem ordentliche-
ren Erlös hätten wir den Entwicklungshaushalt auf dem
Niveau des Vorjahres halten können.
Diese Stunde ist auch die Stunde einer durchdachteren
und stärkeren Entwicklungspolitik, aber nicht mit diesem
Haushalt und nicht mit diesen Strukturen. Wir sind bereit,
konstruktiv an einer Wende zum Besseren mitzuarbeiten.
Aber diese Wende muss von Ihnen eingeleitet werden. Sie
sind in der Verantwortung zumindest bis zu den nächs-
ten Wahlen.
Zu einer Kurz-
intervention erhält jetzt die Abgeordnete Wieczorek-Zeul
das Wort.
Frau Präsiden-
tin! Ich möchte einige falsche Aussagen richtig stellen.
Erstens. Die offizielle Entwicklungszusammenarbeit
der Bundesrepublik Deutschland umfasste im Jahre 1982,
bei Ende der sozialliberalen Koalition und zu Beginn der
Regierung Kohl, 0,48 Prozent des Bruttosozialprodukts.
Als wir 1998 die Regierung übernahmen, lag der Anteil
bei 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts. Er betrug
das ist die letzte offizielle Zahl im Jahr 2000 0,27 Pro-
zent des Bruttosozialprodukts. Die Steigerungen könnten
größer sein; das ist sicher richtig. Aber die Wahrheit ist,
dass Sie den Entwicklungsetat abgewirtschaftet haben,
was sich aus diesen Zahlen ganz eindeutig ergibt. Das
sollten Sie nachträglich wirklich nicht verdrängen.
Zweitens. Ich finde es schade, dass in einer solchen
Diskussion, bei der wir doch auch mit ganz anderen Pro-
blemen zu ringen haben, falsche Behauptungen aufge-
stellt werden. Die Wahrheit ist doch, dass die finanzielle
Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik mit Pakistan
und Indien von meinem Vorgänger eingestellt worden ist,
und zwar nachdem die Atomwaffentests durchgeführt
worden waren. Nach einer Übergangsphase, in der wir in
diesen Fragen Klarheit geschaffen hatten, hat unsere Re-
gierung die Entwicklungszusammenarbeit wiederaufge-
nommen. Das möchte ich an dieser Stelle um der histori-
schen Gerechtigkeit willen deutlich machen.
Ich bitte einfach darum, solche Dinge nicht in die Dis-
kussion zu bringen, weil dies unserer Debatte nicht ange-
messen ist.
Aus gegebenem
Anlass weise ich darauf hin, dass in diesem Saal Handys
nicht erlaubt sind.
Zur Erwiderung erhält Herr Kollege Ruck das Wort.
Frau Ministerin,
dass es um ganz andere Probleme gehe, ist schlichtweg
nicht meine Meinung. Die Entwicklungspolitik ist, wie
gesagt, ein ganz wichtiger Eckpfeiler im Kampf gegen
den Terrorismus. Daher ist es auch sehr wichtig darüber
zu diskutieren, wie Ihr Haushalt in Zukunft ausgestattet
sein wird. Er ist miserabel ausgestattet. Am Ende unserer
Regierungszeit standen für Entwicklungshilfe immerhin
1 Milliarde DM mehr zur Verfügung als heute.
Das ist nicht falsch. Damals waren es 8 Milliarden DM,
heute sind es 7 Milliarden DM. Sie haben 1 Milliarde DM
auf dem Gewissen. Die Quote von 0,42 Prozent hier
steht Aussage gegen Aussage stammt von 1990, also aus
unserer Regierungszeit.
Jetzt sind wir ich bleibe dabei bei einer ODA-Quote
von 0,2 Prozent, wenn Sie Ihren rechnerischen Trick mit
den Ostmitteln herausnehmen.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Köster-Loßack.
Kollegen! Der 11. September hat auch für die Entwick-
lungspolitik einen neuen Rahmen gesetzt. Es wäre aller-
dings falsch, eine direkte Verbindung zwischen den
schrecklichen Angriffen auf New York und Washington
und der Ungerechtigkeit in der Welt herzustellen. Aber
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Christian Ruck
18421
diese Terroranschläge haben uns nachdrücklich vor Au-
gen geführt, dass wir uns viel intensiver als bisher mit den
Ursachen, insbesondere dem fanatischen Hass auf die
Moderne und die offene Gesellschaft, beschäftigen müs-
sen, und zwar nicht nur in Afghanistan.
Die zivilen Mittel, mit denen gehandelt werden kann,
sind bekannt. Erfolgreiche Krisenprävention muss natür-
lich auf den Abbau von Armut und Ungerechtigkeit zie-
len. Dies kann aber nur im Dialog mit den Menschen und
den Regierungen des Südens geschehen. Sie müssen am
Global-Governance-Prozess teilhaben können, damit Ge-
fühle von Ausgeschlossenheit und struktureller Unterle-
genheit, die den Nährboden für Gewalt bereiten können,
erst gar nicht aufkommen.
Mitte letzten Jahres hat die Bundesregierung ein Ge-
samtkonzept Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung
und Friedenskonsolidierung verabschiedet. Diesem Kon-
zept liegt ein erweiterter Sicherheitsbegriff zugrunde. Die
Achtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit,
Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfin-
dung und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen neh-
men in diesem Konzept einen wichtigen Platz ein. Mit ei-
ner stärkeren Orientierung auf dieses Konzept können wir
viel dazu beitragen, die Ursachen jenes internationalen
Terrorismus auszutrocknen, der jetzt nicht nur in und um
Afghanistan und nicht nur gegenüber den USA agiert.
Rot-grüne Entwicklungspolitik ist als globale Struktur-
politik bereits auf dieses Konzept ausgerichtet. Aber wir
brauchen neue Anstrengungen vorrangig in den akuten
Krisenregionen, etwa in Afghanistan und seinen Nach-
barstaaten dort sind heute bereits 7 Millionen Flücht-
linge zurückzuführen ; das gilt nicht minder für Südost-
europa und den Nahen Osten. Gleichzeitig aber müssen
wir die Anstrengungen auch in den übrigen Entwick-
lungsländern den anderen Krisengebieten von heute und
morgen verstärken. Das bedeutet, dass wir die Analysen
derjenigen ernst nehmen müssen, die sich in diesen Län-
dern besonders gut auskennen und dort vor Ort für uns in
der Entwicklungszusammenarbeit, bei den Stiftungen und
in den Kirchen arbeiten.
Nun zu den dafür erforderlichen Mitteln: Es gab im
Jahr 2001 für die Entwicklungszusammenarbeit mehr
Geld. Wir werden dieses Niveau auch 2002 halten. Wir
brauchen einen Etat,
der mehr Möglichkeiten für die Armutsbekämpfung, für
den Ressourcenschutz, für erneuerbare Energien und
dies betone ich für zivile Friedenssicherung bietet. Ich
begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung aus den
zusätzlichen Steuereinnahmen einen wesentlichen Beitrag
für die Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen wird.
Die Verhandlungen in diesem Hause werden noch Verän-
derungen in diesem Bereich und auch hinsichtlich der Pri-
oritäten mit sich bringen.
Ich bin auch froh, dass das Thema Globalisierung
durch die Intervention des Bundeskanzlers bereits vor den
Attacken auf die Vereinigten Staaten ganz oben auf die po-
litische Agenda gesetzt wurde. Globalisierungskritiker
das ist in Genua klar geworden sehen natürlich die in-
ternationalen Finanzmärkte und ihre Wirkung auf die Ent-
wicklungsländer als ein Hauptproblem. Die Kontrolle von
Offshore-Zentren und die Verfolgung von Geldwäsche ha-
ben angesichts der Terroranschläge eine Priorität gewon-
nen, die wir ihnen vorher nicht einräumten. Im Hinblick
auf eine Reform des Finanzsektors in den Entwicklungs-
und Schwellenländern wird die Entwicklungszusammen-
arbeit eine zentrale Rolle spielen.
Auch sollten wir gemeinsam an eine erweiterte Entschul-
dungsinitiative mit positiven Anreizen für die Länder den-
ken, die sich aktiv an der Terrorismusbekämpfung betei-
ligen.
Im Rahmen der Globalisierung ist auch über neue In-
strumente nachgedacht worden, zum Beispiel die Tobin-
Steuer. Ich unterstütze diesen Vorschlag, weil eine Devi-
senumsatzsteuer zur Finanzmarktstabilisierung beitragen
kann und gleichzeitig neue Finanzierungsmöglichkeiten
für internationale Aufgaben erschließt. In diesem Zusam-
menhang begrüße ich es sehr, dass die Ministerin für Ent-
wicklungszusammenarbeit gerade ankündigte, dass es in
Bezug auf dieses Instrument, über das sehr viele merk-
würdige Vorurteile bestehen, eine Studie geben wird.
Im Rahmen der Vorbereitungen auf die Weltkonferenz
für Entwicklungsfinanzierung, die Anfang nächsten
Jahres stattfinden wird, wird auch über eine Kohlenstoff-
steuer auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe diskutiert.
Die Besteuerung von Flugbenzin wäre eine weitere Op-
tion, durch die Umwelt- und Entwicklungsprobleme, aber
auch Sicherheitsprobleme angegangen werden könnten.
Alle diese Optionen haben mit zentralen Herausforde-
rungen der Globalisierung zu tun. Sie zeigen kreative
Wege auf, wie negative Wirkungen auf Finanzsysteme
und Umwelt bekämpft und gleichzeitig Mittel für die Be-
wältigung internationaler Krisen aufgebracht werden
können.
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
mente nicht kurzfristig greifen werden. Deshalb möchte
ich noch einmal auf das in vielen Dokumenten bekräftigte
0,7-Prozent-Ziel zurückkommen, das auch von Herrn
Köhler vom IWF und von Herrn Wolfensohn von der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Angelika Köster-Loßack
18422
Weltbank immer wieder ins Gespräch gebracht wird. Ins-
besondere im Hinblick auf die notwendige Verstärkung
der multilateralen Zusammenarbeit und für all die vor uns
stehenden Aufgaben sollte das noch einmal ins Auge ge-
fasst werden.
Am nötigsten brauchen wir heute
Nein, Frau Kol-
legin, Sie können jetzt keine weiteren Ausführungen ma-
chen. Sie müssen einfach einen Punkt setzen.
Punkt: Die Entwicklungspolitik hat gute Möglichkeiten,
dem Kampf der Kulturen den Dialog der Kulturen
gegenüberzustellen. Dafür muss sie auch finanziell hand-
lungsfähig sein.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Dzembritzki.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die strikte Trennung
zwischen innerer und äußerer Sicherheit gibt es nicht
mehr. Der jetzt auf so erschütternde Art und Weise sicht-
bar gewordene Terrorismus entzieht sich dieser eindeuti-
gen Zuordnung. Wir sind entsetzt über die kriminelle
Energie eines international agierenden Terrorismus; wir
schöpfen aber auch Hoffnung aus der weltweiten Reak-
tion und daraus, dass sich fast alle Staaten der Welt in
ihrem Streben, den Terrorismus zu bekämpfen, zu einer
Gemeinschaft zusammengeschlossen haben. Auch dies ist
eine neue Qualität in der internationalen Zusammen-
arbeit.
Die neue, in Konturen sichtbar gewordene Weltgemein-
schaft braucht eine Zukunft. Dafür braucht sie eine Vor-
stellung von der zukünftigen Ausgestaltung ihrer Bezie-
hungen. Die aktuelle Lage zwingt uns als erste Priorität ein
umfassendes Konzept zur Prävention und Bewältigung
von Krisen auf, das in politischen, wirtschaftlichen, kultu-
rellen und in Sicherheitsfragen zusammengeführt werden
muss. Der Grundstein dafür ist ein internationaler und vor
allem langfristiger Dialog. Dieser Dialog muss so gestaltet
sein, dass nicht nur der Westen auf die anderen Staaten zu-
geht und versucht, seine Vorstellungen zu übertragen; hier
ist im Gegenteil ein Dialog gefordert, der wie Otto Schily
es formuliert hat von einer geistigen Offenheit geprägt
sein muss, der Bereitschaft, die eigenen Maßstäbe zu for-
mulieren, aber genauso die Vorstellungen anderer an-
zuhören und sich mit diesen auseinander zu setzen.
Aus diesem Dialog wird sich Zusammenarbeit ent-
wickeln. Auch hier plädiere ich für eine Zusammenarbeit
auf gleicher Augenhöhe. Wenn wir unsere Maßstäbe von
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Ausgestaltung der
Wirtschaft gern in die Empfängerländer weitergeben
möchten, müssen wir sensibel bleiben für Traditionen und
Identitäten, die in diesen Ländern existieren.
Meine Damen und Herren, die Aufgaben, die uns be-
vorstehen, werden ganz wesentlich mit im Kernarbeitsbe-
reich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Ent-
wicklungspolitik angesiedelt sein. Mittel- und langfristig
werden wir schon aus sicherheitspolitischen Gründen
unsere Anstrengungen, auch unsere finanziellen Anstren-
gungen in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich ver-
stärken müssen. Auch dies, meine Damen und Herren und
lieber Christian Ruck, ist ein Argument für die Konsolidie-
rung der öffentlichen Finanzen. Ich träume davon, was wir
mit den über 80 Milliarden DM machen könnten, die wir
Jahr für Jahr als Zinsen für über 1 500 Milliarden DM
Schulden ausgeben, die ihr uns hinterlassen habt. Das ist
doch mit das Kernproblem, das wir hier zu sehen haben.
Armut, Umweltzerstörung, Hunger und Gewalt sind glo-
bale Probleme. Zwar sind nicht alle gleichermaßen direkt
davon betroffen, doch die Folgen spüren wir alle, seien es
Flüchtlingsbewegung und Migration, sei es internationa-
ler Terror.
Ein gutes Beispiel für erfolgreiche deutsche, europä-
ische und internationale Politik in unserem Bereich ist der
Stabilitätspakt Südosteuropa. Er bietet einen Rahmen,
um die Region politisch, wirtschaftlich und gesellschaft-
lich zu stabilisieren.
Ganz konkret bedeutet das für mich: Jeder Euro, der dort
in ein Projekt gesteckt wird sei es für die Instandsetzung
von Schulen, von Krankenhäusern, von Straßen, von Was-
ser- und Energieversorgung , ist ein Euro, der dem Frie-
den dient.
Bei der Sondersitzung zur Entsendung deutscher Soldaten
nach Mazedonien haben wir auch der Verlängerung des Sta-
bilitätspaktes zugestimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diese wichtige und richtige Entscheidung, Herr Kollege,
muss nun natürlich Konsequenzen haben. Deswegen gehe
ich davon aus, dass in den Haushaltsberatungen auch die
notwendigen Maßnahmen in Form von Verpflichtungser-
mächtigungen und bei der mittelfristigen Finanzplanung
geschehen werden.
Aber es gibt auch andere Gründe, meine Damen und
Herren, die für eine Stärkung der Entwicklungspolitik
sprechen. Bislang haben viele übersehen, dass Entwick-
lungspolitik mit ihrer engen Kooperation mit Nichtregie-
rungsorganisationen, mit UNO, WTO und anderen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Angelika Köster-Loßack
18423
Institutionen und mit ihrer Rolle bei den Weltkonferenzen
einen Baustein im Fundament von globaler Strukturpoli-
tik und global governance darstellt. Hier besteht bereits
ein Dialog, der in anderen Politikbereichen erst noch auf-
gebaut werden muss, und hier liegen auch die Erfolge
dieser Bundesregierung, die sich nämlich gerade der glo-
balen Strukturpolitik mit einer Schwerpunktpolitik ge-
widmet hat.
Lieber Kollege Ruck, ich bin froh, dass es trotz massi-
ver Engpässe gelungen ist, im Haushalt zum Beispiel den
Nichtregierungsorganisationen, den Kirchen und den Stif-
tungen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, als sie im
Jahre 2001 hatten. Auch dies ist eine Realität, die man se-
hen muss.
Wir werden das mit dem Stabilitätspakt diskutieren. Zur
Haushaltsklarheit und -wahrheit gehört erst einmal, dass
ein begrenztes Programm wie der Stabilitätspakt auch
auslaufen muss. Es ist jetzt unsere Aufgabe, ihn wieder
einzusetzen; dann werden wir auch diejenigen Bereiche,
die Sie bei den Stiftungen und anderen Institutionen im-
mer herausrechnen, wieder einzurechnen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar, dass
die Ministerin die Situation der Entwicklungshelfer in
Kolumbien und Afghanistan angesprochen hat. Wir haben
bei der Debatte über den Militäreinsatz ausführlich und zu
Recht über die Risiken für Leib und Leben unserer Sol-
daten gesprochen.
Herr Kollege,
Ihnen bleibt leider keine Zeit mehr.
Frau Präsidentin, ich
komme zum Schluss.
Ich denke, dass wir gerade bei der Diskussion, die wir
heute führen, darauf einzugehen haben, dass die acht in
Afghanistan, in Kolumbien und in Uganda ermordeten
Entwicklungshelfer tagtäglich ein Risiko eingingen, das
im Interesse unserer Politik ist, die dem Frieden, der
Prävention und der internationalen Zusammenarbeit ge-
schuldet ist.
Vielen Dank.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht
vor. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6881 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu den Geschäftsbereichen des Bundes-
ministeriums des Innern, Einzelpläne 06 und 33, sowie
des Bundesministeriums der Justiz, Einzelpläne 07
und 19. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 a
und 4 b auf:
4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung der Pfändungsfreigrenzen
Drucksache 14/6812
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bereinigung offener Fragen des Rechts an Grund-
Drucksachen 14/6204, 14/6466
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 14/6964
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Voßhoff
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Ich eröffne jetzt die Debatte und erteile das Wort
zunächst dem Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Im fahlen
Licht der schrecklichen Terroranschläge in den Vereinig-
ten Staaten von Amerika, die nicht so schnell aus unserem
Gedächtnis verschwinden werden, gewinnt die heutige
Debatte über die innere Sicherheit ein besonderes Ge-
wicht. Dieser Sachverhalt mahnt uns zugleich, bei der
Verteidigung von Demokratie, Freiheit und Menschen-
rechten bei allem notwendigen Streit über das Detail zu-
sammenzustehen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten
von uns, dass wir alles Menschenmögliche tun, um die Si-
cherheit in unserem Lande zu gewährleisten. Sie erwarten
von uns Klarheit und Entschlossenheit; sie erwarten von
uns keinen Wettbewerb in Polemik. Deshalb hoffe ich,
dass wir zu einer sachlichen Debatte kommen. Damit
hier das sage ich an die Adresse der CDU/CSU kein
Missklang wegen meiner zeitweiligen Abwesenheit von
der Regierungsbank während des Vortrags Ihres
Fraktionsvorsitzenden entsteht: Ich bitte dafür um Ent-
schuldigung. Ich muss wie Sie, Herr Marschewski, wis-
sen einige Gespräche mit den Spitzen der Infrastruktur-
bereiche führen. Eines dieser Gespräche war heute
angesetzt. Ich bitte, das hier entgegenzunehmen.
Es kommt der Sicherheit in unserem Lande zugute,
dass wir als Bundesregierung eine konsequente Politik
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Detlef Dzembritzki
18424
zur Festigung und Stärkung der inneren Sicherheit betrie-
ben haben.
Das lässt sich auch an den Haushaltszahlen, Herr Geis,
nachweisen. Wir haben ungeachtet der Tatsache, dass
wir selbstverständlich solidarisch an den Konsolidie-
rungsbemühungen im Gesamthaushalt teilnehmen muss-
ten und wollten, weil wir den Marsch in den Schulden-
staat nicht weiter gehen können auch im Interesse der
Menschen , gleichwohl die Ansätze in den Ressortteilen
der inneren Sicherheit nicht gesenkt, sondern stetig er-
höht. Sehen Sie sich die Ansätze an: Seit Regierungsein-
tritt 1998 bis zum Jahre 2001 das sind die Haushalts-
zeiträume, die hinter uns liegen haben wir eine
Steigerung von rund 10 Prozent. Das sind immerhin
376 Millionen DM mehr, als wir ursprünglich in diesem
Etat hatten.
Ich glaube, das ist wirklich ein deutlicher Nachweis für
das, was wir getan haben.
Wir haben beispielsweise wesentliche Beschaffungs-
programme in Gang gesetzt bzw. fortgeführt. So haben
wir heute hochmoderne Hubschrauber zur Verfügung;
hierfür haben wir 220 Millionen DM eingesetzt. Die Be-
schaffung von Seefahrzeugen für den Bundesgrenzschutz
hatte ein Volumen von 90 Millionen DM. Weitere Be-
schaffungsprogramme sind vorgesehen. Dabei vernach-
lässigen wir übrigens auch nicht die Sicherheit unserer
BGS-Piloten. Durch Einführung eines neuen Antikollisi-
onssystems haben wir dafür gesorgt, dass die Sicherheit
unserer BGS-Piloten und der Hubschrauberbesatzungen
verbessert wurde.
Wir haben in den Haushaltsgesprächen mit dem Bun-
desfinanzminister auch dafür gesorgt ich verschweige
Ihnen nicht, dass das nicht immer ganz einfach war , dass
sich die Besoldungsstruktur im Bundesgrenzschutz
deutlich verbessert hat. Wir haben in den letzten drei Jah-
ren 3 772 Hebungen und 11 870 Beförderungen realisie-
ren können. Ich werde Ihnen gleich sagen, dass wir in dem
Haushaltsjahr, über das wir heute sprechen, weitere Maß-
nahmen dieser Art vorsehen.
Für die Luftsicherheit aktuell ist das, wie Sie wis-
sen, ein besonderes Thema haben wir in dem Zeitraum,
den ich Ihnen genannt habe, 1,2 Milliarden DM ausgege-
ben. Deshalb können wir uns auch rühmen, dass Deutsch-
land im internationalen Maßstab die schärfsten Sicher-
heitsstandards hat; damit erhöhen wir auch die Sicherheit
unserer Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben die Ansätze für das Technische Hilfswerk in
den zurückliegenden drei Jahren verstärkt; wir haben die
Ansätze für die internationale polizeiliche Zusammenar-
beit, beispielsweise bei Europol, verstärkt bzw. Mittel für
die Gründung einer europäischen Polizeiakademie eine
Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft eingesetzt.
Maßnahmen in beiden Bereichen sind natürlich gerade
auch in der gegenwärtigen Situation von herausragender
Bedeutung, weil wir alle wissen, dass Terrorismus und all-
gemeine Kriminalität nicht mehr isoliert national, sondern
nur noch im internationalen Rahmen bekämpft werden
können. Auch angesichts der aktuellen Debatte verweise
ich darauf, dass wir für die Kontrolle der Schengen-
Außengrenzen der Europäischen Union die Mittel ver-
stärkt haben und auch den Kandidatenländern, die später
die Außengrenzen zu schützen haben werden, Mittel zur
Verfügung gestellt haben, damit sie sich darauf vorberei-
ten können.
Ich will im Rahmen einer allgemeinen Haushaltsde-
batte, die ja durch die Ereignisse eine neue Dimension ge-
wonnen und sicherlich dadurch auch einen neuen Schwer-
punkt erhalten hat, hier nicht alles aufführen, was wir als
Bilanz in der Innenpolitik unter dem Stichwort innere Si-
cherheit zu nennen hätten; wir dürfen aber, auch wenn
uns das Thema Terrorismus jetzt in besonderem Maße be-
schäftigt, nicht andere Kriminalitätsbereiche vernachläs-
sigen. Das wäre nicht angemessen. Wir müssen uns
selbstverständlich auch mit diesen Kriminalitätsbereichen
auseinander setzen. Deshalb darf ich noch einmal daran
erinnern, dass wir auch politisch zur Bekämpfung der
Kriminalität einiges in Gang gesetzt haben, sowohl be-
züglich des Einsatzes der Mittel und durch Stärkung der
Sicherheitsgremien als auch durch gesetzliche Neurege-
lungen. Wir haben das Waffenrecht mit dem haben Sie
sich ja über Jahrzehnte ohne Ergebnis geplagt jetzt in
das Gesetzgebungsverfahren eingebracht.
Wir haben eine besondere Einrichtung geschaffen, von
der ich glaube, dass sie auch für die Präventionsarbeit von
Bedeutung ist: nämlich die Stiftung Deutsches Forum
für Kriminalprävention. Das gilt vor allen Dingen im
Hinblick darauf, dass wir Erkenntnisse der Wirtschaft und
staatlicher Instanzen zugunsten einer besseren Präventi-
onsarbeit zusammenführen. Mit dem periodischen Si-
cherheitsbericht haben wir etwas geschaffen, was uns ei-
nen besseren Einblick in das Kriminalitätsgeschehen
vermittelt. Dafür haben beide Häuser, nämlich das Minis-
terium meiner Kollegin Däubler-Gmelin und das
Bundesministerium des Innern, viel Lob erfahren. Er ver-
schafft uns einen sehr viel besseren Einblick in das Kri-
minalitätsgeschehen als die bloße Kriminalstatistik.
Ich glaube, wir können mit großem Selbstbewusstsein
darauf verweisen, dass wir die Sicherheitsarchitektur im In-
und Ausland ausgebaut und verstärkt haben. Es gibt inzwi-
schen abgesehen von zwei Bundesländern, mit denen ent-
sprechende Vereinbarungen noch ausstehen Sicherheits-
kooperationen zwischen dem Bundesgrenzschutz und den
Landespolizeien. Diese Sicherheitskooperationen haben
sich bewährt, besonders in Berlin. Wir haben selbst-
verständlich auch auf der internationalen Ebene Sicher-
heitskooperationen zustande gebracht, und zwar im europä-
ischen Rahmen sowohl auf bilateraler als auch auf
multilateraler Ebene. Deutschland spielt eine besonders
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Otto Schily
18425
aktive Rolle in der Europäischen Union im Bereich der In-
nen- und der Justizpolitik.
Diese erfolgreiche Politik werden wir mit dem jetzt
vorgelegten Etatentwurf fortsetzen. Er enthält das kön-
nen Sie nachlesen Steigerungsraten. Ich möchte sie alle
gar nicht im Einzelnen aufführen. Ich möchte nur darauf
hinweisen, dass wir ein besonderes Augenmerk auf die
Sicherheitsinteressen im Informations- und Kommunika-
tionsbereich richten. Wir müssen uns die Tatsache be-
wusst machen, dass gerade die erheblichen technisch-zi-
vilisatorischen Fortschritte, die unsere Gesellschaft
erzielt hat, zu sicherheitsempfindlichen Bereichen geführt
haben. Wir müssen uns besonders um diese Bereiche
kümmern. Deshalb ist es ein Vorteil, dass Deutschland
jetzt ein Bundesamt für die Sicherheit in der Informa-
tionstechnik hat, in dessen Zuständigkeitsbereich alle
rechtswidrigen Angriffe im Bereich der Informations-
technik fallen, also nicht nur terroristische. Welchen
Schaden solche Angriffe anrichten können, kann sich je-
der ausmalen. Deshalb haben wir das Bundesamt für die
Sicherheit in der Informationstechnik eingerichtet, das
ein Sicherheitsdienstleister ganz besonderer Art ist.
Die von uns geschaffenen Einrichtungen haben ihre
Feuerprobe schon hinter sich: Sie haben sich beim Jahr-
tausendwechsel, als man aufgrund des dadurch verur-
sachten Datumswechsels bei den Computern ein Chaos
erwartete, und beim Absturz der Mir einige hatten
schon apokalyptische Szenarien an die Wand gemalt be-
währt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Ein-
richtungen möchte ich ein besonderes Lob und meine An-
erkennung aussprechen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhl?
Bitte schön,
Herr Uhl.
Herr Minister, Sie
haben in Ihrer Rede, die Sie vergangene Woche zum
Thema Terrorismusbekämpfung gehalten haben, einen
Satz gesagt, dem Sie heute keine Ergänzung haben folgen
lassen. Der Satz lautet: Identitätssicherung damit der
Staat seine Kontrollpflichten und Kontrollrechte ausüben
kann ist in einem Rechtsstaat eine Selbstver-
ständlichkeit. Es stellt sich aus aktuellem Anlass die
Frage, ob die Auslandsvertretungen Fingerabdrücke
von denjenigen, die ein Visum für Deutschland beantra-
gen, nehmen und sie anschließend in das automatisierte
Informationssystem AFIS einspeisen sollen. Das Auswär-
tige Amt hat sich bisher geweigert, so etwas zu machen.
Meine Frage: Wie lange werden Sie voraussichtlich
brauchen, bis Sie bei den Kollegen im Auswärtigen Amt
durchgesetzt haben, dass in allen Auslandsvertretungen
die entsprechenden der Identifizierung von Fingerab-
drücken dienenden Geräte, die bereits erprobt sind, in-
stalliert sind? Diese Geräte müssen schließlich noch be-
schafft werden. Nach meinen Erkenntnissen könnte das
über ein Jahr dauern, wenn man den üblichen Weg des
Ausschreibungsverfahrens wählt.
Herr Uhl, für
Ihre Zwischenfrage bin ich Ihnen sehr dankbar, weil ich
jetzt bei der Beantwortung Ihrer Frage das darlegen kann,
was ich aufgrund meiner knappen Redezeit nicht mehr
hätte sagen können.
Selbstverständlich werden wir das auf den Weg brin-
gen, Herr Uhl. Ich halte das für dringend erforderlich. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass wir im Rahmen der deut-
schen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999
entsprechende Vorschläge auf europäischer Ebene einge-
bracht haben. Leider sind sie auf der europäischen Ebene
noch nicht so angekommen, wie ich es mir gewünscht
habe. Angesichts der jüngsten Sonderkonferenz ist diese
Überlegung in der Kommission aber angenommen wor-
den. Wir werden das auch auf der europäischen Ebene vo-
rantreiben.
Ich will nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen ich
sage das an die Adresse der FDP; ich komme darauf
zurück , dass solche Vorschläge auch in der alten Regie-
rung durchaus kontrovers debattiert worden sind, aber
dann nicht verwirklicht worden sind, weil man sich zwi-
schen CDU, CSU und FDP nicht einigen konnte.
Das erinnert mich an manches, was vielleicht auch bei uns
mitunter vorkommt.
Herr Uhl, wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten.
Ich bin dafür, dass wir das rasch umsetzen. Sie können si-
cher sein, dass wir das unter Beachtung aller rechtsstaat-
lichen Prinzipien verwirklichen werden. Ich befinde mich
in dieser Angelegenheit in einem sehr konstruktiven Ge-
spräch mit dem Kollegen Fischer. Er hat mir zugesagt,
dass wir zu guten Ergebnissen kommen werden.
Das wäre nicht schlecht. Vielleicht kann sich jemand er-
muntert fühlen, eine weitere Zwischenfrage zu stellen.
Dann komme ich mit meiner Redezeit besser klar.
Ich möchte nun auf die aktuelle Lage eingehen.
Wunderbar, Herr Marschewski.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marschewski?
Bitte schön.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Otto Schily
18426
Herr Minister, ich habe Ihrer Aufforderung Folge geleis-
tet. Wir wollen noch ein bisschen über Innenpolitik dis-
kutieren. Die Union hat vor geraumer Zeit einen Gesetz-
entwurf Stichwort Ausländerzentralregister bzw.
Warndatei eingebracht. In diesem Gesetzentwurf
wurden diese Dinge, das heißt Kontrollen in Visaverfah-
ren im Ausland, angesprochen. Können Sie mir sagen,
warum die sozialdemokratische Mehrheit in diesem
Hause und natürlich auch die Grünen diesen Gesetzent-
wurf abgelehnt haben?
Ich muss Ih-
nen erst einmal sagen: Auch in der von Ihrer Fraktion ge-
tragenen Regierung war AZR ein Thema. Es stimmt, dass
Sie entsprechende Vorschläge gemacht haben, die disku-
tiert worden sind. Mir liegt eine Notiz vor, die sich auf sol-
che Fragen bezieht:
Allerdings ist bei der Ressortabstimmung mit Wider-
stand des BMJ und des Bundesbeauftragten für den
Datenschutz zu rechnen. Auf die Weigerung der FDP,
die unter Punkt 2.2 beschriebene Ausweitung des
AZR in dieser Legislaturperiode mitzutragen, wird
hingewiesen.
Auch Sie hatten mit einigen Problemen zu kämpfen. Nun
bringen wir die Dinge voran.
Ja, gut. Die Koalitionsmöglichkeiten sind in manchen
Fragen gar nicht so groß.
Damit mich niemand missversteht, Herr Marschewski:
Ich tadele die FDP dafür nicht. Genauso wenig tadele ich
die Grünen dafür, dass sie sich für rechtsstaatliche Be-
lange einsetzen. Das ist zu loben.
Das heißt nicht, dass wir uns immer im Detail einig sind.
Die Grünen müssen damit umgehen können das tun sie
auch , dass ich die Auffassung vertrete, dass man die
rechtsstaatlichen Bedenken entkräften kann. Die Koa-
litionspartner führen in dieser Sache ein sehr konstrukti-
ves Gespräch. Sie werden sehen, dass wir zu guten Er-
gebnissen kommen.
Herr Marschewski, denken Sie nicht, wir hätten ir-
gendetwas beiseite gelegt: Leider liest keiner meinen Ent-
wurf für ein Zuwanderungsgesetz.
Doch, die SPD. Ich bedanke mich bei meiner eigenen
Fraktion.
Die CSU liest den Entwurf nicht. Sie will ihn auch gar
nicht lesen. Seehofer sagt, ich könne in diesen Gesetzent-
wurf hineinschreiben, was ich will, er lehne ihn immer ab.
Diese Haltung eines Oppositionspolitikers sollte man
nicht als Opposition, sondern als Obstruktion diese Be-
zeichnung ist treffender bezeichnen.
Herr Marschewski, wenn Sie meinen Entwurf für ein
Zuwanderungsgesetz lesen würden, dann würden Sie das
alles entdecken.
Schauen Sie doch einmal hinein! Ich lade Sie zu einem
Privatgespräch in mein Ministerium ein. Ich werde Ihnen
sämtliche Fundstellen zeigen. Wir haben alle diese Dinge
aufgenommen. Ich mache Sie nur auf Folgendes auf-
merksam: Die Identitätssicherung bei der Visumantrag-
stellung ist in § 49 Abs. 3 Nr. 5 des Entwurfes des Auf-
enthaltsgesetzes enthalten. Ich schlage Ihnen vor, das
einmal nachzulesen.
Wir haben diesen Punkt jetzt ausreichend erörtert. Ich
bedanke mich ausdrücklich dafür, Herr Marschewski,
dass Sie mir diese Frage gestellt haben.
Noch eine weitere Zwischenfrage? Bitte schön.
Herr Minister,
ich muss im Interesse des ganzen Hauses auch an die fol-
genden Redebeiträge denken.
Frau Präsi-
dentin, ich glaube, es lag im Interesse des ganzen Hauses,
einmal zu erfahren, was in dem Gesetz enthalten ist.
Ich finde, das ist Demokratie. Es ist gut, dass wir diesen
demokratischen Dialog im Parlament führen. Herr
Marschewski ist darin einer der Geübtesten. Deshalb: Bitte
schön, Herr Marschewski.
Dann einigen
wir uns darauf, dass ich noch eine Zwischenfrage zulas-
se. Bitte.
Herr Minister, ich habe Sie danach gefragt, warum die
SPD damals Nein gesagt hat. Sie kennen die SPD; Sie
kennen die Grünen. Sie kennen noch nicht die FDP und
Sie kennen auch noch nicht die CDU/CSU. Man weiß
aber nicht, was noch wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18427
Ich habe Sie danach gefragt, was die Kollegen der SPD
damals gesagt haben.
Ein weiterer Punkt. Ich weiß, Herr Minister, dass das,
was Sie damals abgelehnt haben, jetzt bezüglich der
Warndatei Inhalt Ihres Entwurfes zum Zuwanderungs-
gesetz ist. Meine Frage lautet: Wann werden Sie diesen
Referentenentwurf im Kabinett mit den Grünen zusam-
men verabschieden und endlich das realisieren, was Sie
andauernd hier ankündigen? Wir stehen dabei an Ihrer
Seite das wissen Sie.
Frau Präsi-
dentin, ich muss erst einmal darauf hinweisen, dass meine
Redezeit gerade um eine Minute gekürzt wurde. Vorhin
hatte ich noch 8:42 Minuten und jetzt aber nur noch 7:42
Minuten Redezeit. So geht das nicht. Ich bitte, die Regu-
larien einzuhalten.
Herr Marschewski, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf mit
unserem Gesetzentwurf vergleichen, dann werden Sie
natürlich bestimmte Unterschiede entdecken. Unter-
schiede müssen schon sein. Wir können nicht immer
100 Prozent CDU/CSU machen. Das geht nicht. Wir
müssen schon unsere eigenen Vorschläge machen können.
Sie erwarten das auch nicht.
Vielen Dank, Herr Marschewski, bis demnächst.
Nach diesen humorvollen Bemerkungen möchte ich
auf die Bedrohungslage zu sprechen kommen, die nicht zu
Scherzen Anlass gibt. Ich möchte darauf hinweisen, dass
wir, gerade was die terroristische Bedrohung angeht,
nicht erst am 11. September angefangen haben, uns mit
diesem Problem zu befassen. Seit meiner Amtsübernahme
habe ich das als wichtiges Problem angesehen.
Ich will übrigens daran erinnern diese Tatsache
verdient der Erwähnung , dass der frühere Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, Herr
Dr. Frisch, dieses Thema besonders sorgfältig und mit be-
sonderem Ernst angesprochen hat. Mir ist gut in Erinne-
rung, dass er das auch in Gesprächen mit mir getan hat.
Sie müssen nicht etwa denken, dass mir dieses Thema neu
ist. Das erkennt man an meinen öffentlichen Äußerungen,
an den Interviews, die ich gegeben habe, und an den Ver-
fassungsschutzberichten, die ich vorgelegt habe. Ich muss
zugeben: Die öffentlichen Äußerungen, die ich dazu ge-
macht habe, haben nicht den Widerhall gefunden, den
man heute vielleicht finden kann. Dafür kann ich nieman-
den tadeln; denn niemand hat sich vorstellen können, dass
es eine solche verbrecherische Energie geben kann, wie
wir sie in New York und Washington erlebt haben.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ich
teile die Ansicht, die meine Kollegin Frau Wieczorek-
Zeul geäußert hat, was den Nährboden, die Armut und die
Aufgaben angeht, die uns in diesem Zusammenhang
erwarten. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, die-
sen Terrorkrieg mit dem sozialen Ungleichgewicht in der
Welt zu erklären. Das wäre eine völlig verkürzte Sicht-
weise.
Ich sage noch einmal: Es geht um den sehr entschlos-
senen Einsatz repressiver Mittel. Das machen wir schon
jetzt durch eine Reihe von Sofortmaßnahmen, die ich we-
gen der Kürze der Zeit jetzt nicht im Einzelnen darstellen
kann. Bei einigen Maßnahmen ist es vielleicht gar nicht
notwendig, das zu tun. Darüber habe ich auch im Innen-
ausschuss berichtet; ich brauche das hier nicht zu wieder-
holen.
Wir werden in diesem Bereich einiges neu organisieren
müssen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Ich glaube,
es ist notwendig, Luft-Marshals einzusetzen. Früher gab
es ja seitens der Lufthansa bzw. vieler Piloten zahlreiche
Vorbehalte. Diese Vorbehalte musste man ernst nehmen.
Heute sind auch sie der Meinung, dass wir Luft-Marshals
brauchen. Aber dafür benötigt man natürlich gut ausge-
bildete Personen. Man kann nicht irgendjemanden einset-
zen. Deswegen bin ich dafür, eine eigene Einheit zu schaf-
fen. Das werde ich in Gang bringen.
Wir müssen all diese Maßnahmen auf internationaler
Ebene koordinieren. Das, so finde ich, ist notwendig.
Ich bin dem Bundesfinanzminister besonders dankbar
dafür, dass er für die notwendigen Erhöhungen des Perso-
nal- und Sachmitteleinsatzes bei den Sicherheitsinstitu-
tionen ein entsprechendes Haushaltsvolumen zur Verfü-
gung stellt. Ich möchte mich bei ihm für die gute
Zusammenarbeit bedanken. Das sage ich, um das zu wi-
derlegen, was aus einigen Zeitungsberichten, in denen
stand, es sei ein Streit entstanden, gefolgert werden kann.
Natürlich geht es zunächst einmal darum, einige Dinge zu
klären. Leider ist es ja so, dass irgendwelche Zuträger aus
Fraktionssitzungen Fraktionssitzungen sind eigentlich
nicht öffentlich berichten.
Bei Ihnen kommt das ja nie vor, wie ich weiß. Sie haben
da eine geschlossene Gesellschaft. Darum kann man Sie
beneiden. Aber bei uns passiert das nun einmal. Dadurch
wird natürlich wie bei dem Spiel Stille Post einiges
verzerrt.
Also, ich stelle fest: Ich habe das allerbeste Einverneh-
men mit dem Bundesfinanzminister und bedanke mich
ausdrücklich dafür, dass er an dieser Stelle ein entspre-
chendes Finanzvolumen zur Verfügung gestellt hat.
Wir werden diese zusätzlichen Mittel sehr zielbewusst
einsetzen. Ich habe es übrigens meinem Hause ausdrück-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Erwin Marschewski
18428
lich untersagt, zu sagen, man habe im Zuge der Haus-
haltskonsolidierung den einen oder anderen Titel etwas
einschränken bzw. Umschichtungen vornehmen müssen,
nun könne man das Geld gut gebrauchen. Ich habe gesagt:
Wir bleiben fair, so wie wir das bisher waren. Dort, wo
Verstärkungen notwendig sind, werden wir diese Mittel
einsetzen. Das gilt für das Bundeskriminalamt, für den
Bundesgrenzschutz und für das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz.
Gerade Aufklärung ist das A und O bei der Bekämp-
fung des Terrorismus. Dabei muss man wissen: Es reicht
nicht aus, einfach zu sagen, man müsse 500 Personen
mehr einstellen. Diese müssen wir nämlich erst einmal zur
Verfügung haben und sie sollten die entsprechende Qua-
lifizierung aufweisen.
Auch auf dem Gebiet der Vorfeldarbeit ist der Verfas-
sungsschutz, der bisher gute Arbeit geleistet hat, gefor-
dert. Er muss sich in den interreligiösen und interkultu-
rellen Dialog einarbeiten. Auch der Verfassungsschutz
muss sich ein bisschen von seinem alten Image befreien,
das tut er auch zunehmend. Zudem sollten manche ihr
Vorurteil abbauen, dass er ein Schlapphutverein ist, der an
vielen Orten mit dem Horchrohr oder Ähnlichem herum-
läuft. Nach meinem Verständnis wird der Verfassungs-
schutz eine moderne Aufklärungstruppe, die einem fort-
schrittlichen Verfassungsverständnis entspricht. Dafür
werde ich sorgen.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich werden
sich diese Maßnahmen auch auf den Zivilschutz er-
strecken. In diesem Zusammenhang will ich darauf hin-
weisen, dass wir mit der Neuorganisation des Zivil-
schutzes nicht erst am 11. September 2001 begonnen
haben. Wir haben zum Beispiel die Maßnahme getroffen,
an einer Zentralstelle, an einer Koordinationsstelle, alle
gesammelten Informationen zusammenzuführen. Aller-
dings werden wir einige von uns getroffene Entscheidun-
gen revidieren müssen. Wir werden also im Mitteleinsatz
sehr viel weiter gehen müssen, als wir das früher konnten.
Dafür haben wir jetzt die entsprechenden Voraussetzun-
gen.
Das gilt auch im Hinblick auf die Länder. Wir werden
die Mittel für die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien
der Länder erhöhen.
Es wird auch notwendig sein, zu einigen gesetzlichen
Veränderungen zu kommen. Herr Marschewski, Herr
Bosbach, es ist nicht so, dass es bei dem ersten Kabi-
nettsbeschluss er sah die Einfügung des § 129 b in das
Strafgesetzbuch und die Streichung des Religionsprivi-
legs im Vereinsrecht vor bleiben wird. Das ist nur eine
erste Stufe. Es wird eine zweite Stufe mit einem um-
fangreichen Ansatz in verschiedenen Bereichen folgen
müssen.
Wir haben in diesem Zusammenhang auch in dem ge-
planten Zuwanderungsgesetz einiges vorgesehen. Viel-
leicht müssen wir diese Aspekte gesondert behandeln. Sie
wissen, wir haben vorgesehen, dass das Zuwanderungs-
gesetz am 1. Januar 2003 in Kraft tritt. Die Länder müs-
sen das dann im Vollzug umsetzen. Vielleicht müssen wir
etwas herauslösen, weil die Sicherheitssituation dies not-
wendig macht.
Ich werde mich auch beim Zuwanderungsgesetz, so-
weit es wirtschaftlichen Interessen dient, von der Einhal-
tung humanitärer Prinzipien nicht abbringen lassen.
Auch dieses Zuwanderungsgesetz werden wir konse-
quent in das Gesetzgebungsverfahren hineinbringen. Ich
muss noch einmal fragen, Herr Bosbach und Herr
Marschewski: Ich höre von Ihnen jeden Tag etwas anderes.
Von Ihnen nicht, da bilden Sie vielleicht eine rühmliche
Ausnahme. Herr Goppel sagt: Wir wollen es in dieser
Legislaturperiode machen. Am nächsten Tag sagt Herr
Glos etwas anderes. Herr Beckstein lobt einmal den Ent-
wurf, dann wird er von Herrn Stoiber ermahnt, ihn doch
nicht so gut zu finden. Dann sagt Herr Ministerpräsident
Müller wieder, es sei alles hervorragend.
Dann kommt Ihr Fraktionsvorsitzender Merz und sagt:
Wir müssen das machen.
Ich bin ja gesprächsbereit, wenn Sie meinen, es gebe
noch Diskussionsbedarf. Ich muss mit vielen reden. Ich
muss mit den Grünen, mit der SPD und mit anderen
Organisationen reden. Ich rede natürlich auch gerne mit
Ihnen. Aber ich muss den Willen erkennen, etwas be-
werkstelligen zu wollen. Das, finde ich, brauchen wir. Ge-
rade als Antwort auf Terrorismus brauchen wir ein Zei-
chen, dass wir ein weltoffenes Land sind, das die Zeichen
der Zeit erkannt hat,
nicht etwa das Zeichen, jetzt eine Abschottungspolitik zu
betreiben.
Sie haben doch früher den Anspruch erhoben, eine Par-
tei zu sein, die eine gewisse Wirtschaftskompetenz hat.
Also rufen Sie doch einmal Herrn Hundt an oder Herrn
Rogowski und wie sie alle in den Verbänden heißen. Dort
werden Sie erfahren, dass Sie das machen sollen.
Ich glaube, hier sind wir auf einem guten Weg. Setzen
wir uns also zusammen für ein wichtiges Vorhaben, das
für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung ist.
Herr Glos hat die Greencard getadelt. Ich muss Ihnen
dazu nur sagen, dass damit bereits 9 000 IT-Techniker zu
uns gekommen sind. Sie haben 27 000 neue Arbeitsplätze
für die hier lebenden Arbeitsuchenden zustande gebracht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Otto Schily
18429
Von diesen IT-Technikern sind die meisten nach Bayern
gegangen, an zweiter und dritter Stelle liegen Baden-
Württemberg und Hessen. Wollen Sie nun diesen Ländern
schaden? Im Moment werden sie ja noch von Ihnen re-
giert.
Meine Damen und Herren, wir müssen rasch, ent-
schlossen, zielbewusst, aber auch überlegt handeln. Dazu
fordere ich Sie auf und dazu bin ich bereit.
Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminis-
ter Schily, ich möchte gerne mit Ihrem letzten Gedanken
anfangen. Das ist wohl wahr: Ein Drittel der so genannten
Greencard-Inhaber sind nach Bayern gegangen, ganz
vernünftige Leute. Aber Bayern wendet nicht die Rechts-
vorschriften an, die dieses Kabinett beschlossen und durch
den Bundesrat hat bestätigen lassen. Bayern erlaubt den
Zuzug und die Arbeitsaufnahme in Bayern auf einer ganz
anderen Rechtsgrundlage.
Der zweite Punkt: Es ist richtig, dass in Ihrem Gesetz-
entwurf auch einige Maßnahmen enthalten sind, die der
Gefahrenabwehr dienen. Wenn Sie sagen, das könne
man herauslösen oder vorziehen, sollten wir darüber
nachdenken, ob das unter dem Gesichtspunkt der Gefah-
renabwehr notwendig und vielleicht sogar dringend ist.
Aber eines geht nicht an: ein Problem lösen und mit Ihrem
Gesetzentwurf fünf neue schaffen. Genau das werden wir
nicht machen.
Wir alle stehen darauf ist vorhin zu Recht hingewie-
sen worden unter dem Eindruck der fürchterlichen An-
schläge.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? Bitte.
Die Uhr für die Re-
dezeit läuft jetzt auch bei mir weiter, aber ich beklage
mich nicht darüber.
Herr Bosbach, ich habe mir ein-
mal erzählen lassen aber da war Herr Stoiber noch nicht
Ministerpräsident , dass die Bayerische Staatsregierung
eine Untersuchung zu der Frage in Auftrag gegeben hat,
ob man aus der Bundesrepublik auch austreten könne. Ich
bin jetzt aber doch etwas verwundert darüber, dass Sie die
Auffassung vertreten, dass in Bayern ein anderes Recht
gilt als im übrigen Bundesgebiet. Das müssen Sie mir ein-
mal erklären.
Das kann ich Ihnen
genau erklären!
Inwiefern wird das Bundesrecht
nicht angewandt? Worin liegt der Unterschied?
Wie Sie wissen, kenne ich Herrn Beckstein ganz gut.
Er hat die Bluecard erfunden, weil ihn aufgrund der
Greencard der Hafer ein wenig gestochen hat. Wenn in
Deutschland die Greencard eingeführt wird, muss Bayern
die Bluecard haben. Blau-weiß ist ja auch eine schöne
Farbe.
Worin liegt denn der entscheidende Unterschied zwischen
der Blue- und der Greencard? Ich glaube, dass mögli-
cherweise die Familienzusammenführung etwas erleich-
tert wurde. Sonst haben Sie in diesem Punkt immer eine
gewisse Skepsis. Vielleicht können Sie uns das einmal er-
klären.
Seien Sie mir nicht
böse, aber ich hatte geglaubt, Ihnen das nicht erklären zu
müssen.
Ich tue das aber gern.
Die beiden verabschiedeten Rechtsverordnungen ba-
sieren auf der Überlegung, dass der Betroffene entweder
einen Hochschulabschluss oder ein Jahreseinkommen in
Höhe von 100 000 DM nachweisen muss.
Bayern wendet § 8 der Arbeitsaufnahmeausnahmeverord-
nung an, einer Verordnung also, die es bereits gab, und hat
dann durch die Landesarbeitsverwaltung definieren las-
sen, dass per se ein öffentliches Interesse das war
geltendes Recht, es musste nicht erst neu geschaffen wer-
den an diesem Personenkreis, über den wir gerade ge-
sprochen haben, besteht. Dabei wurden zwei wesentliche
Ausnahmen geregelt: Es gibt keine Befristung auf fünf
Jahre und kein Aufenthaltsrecht mehr, wenn der Betref-
fende auf Dauer auf staatliche Leistungen angewiesen ist.
Das ist der Unterschied der bayerischen Lösung zu der
Lösung, die das Bundeskabinett beschlossen hat.
Dass diese Lösung für die Betroffenen attraktiver ist,
mögen Sie daran erkennen, dass ein Drittel und damit
überproportional mehr als in die übrigen Bundesländer
nach Bayern gegangen ist. Offensichtlich ist der Aufent-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Otto Schily
18430
halt in Bayern und sind die dortigen Beschäftigungsmög-
lichkeiten für diesen Personenkreis attraktiver als im übri-
gen Bundesgebiet. Das spricht für und nicht gegen Bay-
ern.
So ist das.
Natürlich haben wir heute eine völlig andere sicher-
heitspolitische Lage als noch vor dem Fall der Mauer und
des Eisernen Vorhangs. Die Bedrohungen für Frieden
und Sicherheit sind andere, aber nicht minder gefährli-
che als noch vor 15 oder 20 Jahren. Deswegen dürfen wir
zu keinem Zeitpunkt unsere Anstrengungen vernachlässi-
gen, den Frieden und die innere Sicherheit in unserem
Lande mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen.
CDU und CSU haben in den letzten Jahren und Jahr-
zehnten bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hin-
gewiesen, dass wir im Innern und nach außen wachsam
bleiben müssen, dass es weder die innere noch die äußere
Sicherheit zum Nulltarif gibt und dass Versäumnisse auf
diesen Gebieten unverantwortlich sind.
Jetzt auf einmal, erst nach den Anschlägen in den USA,
entdeckt auch die Bundesregierung die Bedeutung des
Themas Sicherheit.
Plötzlich werden sogar von Mitgliedern der Bundesregie-
rung Reden gehalten, die zwar in vielen Punkten richtig
sind, aber besser vor dem 11. September gehalten worden
wären. Noch wichtiger wäre es, wenn den starken Worten
jetzt auch starke Taten folgen würden.
Kaum sind die ersten konkreten Maßnahmen für mehr
Sicherheit beschlossen worden, melden sich sofort die
ersten Bedenkenträger, die schon wieder den Rechtsstaat
in Gefahr sehen. Die gleichen Bedenkenträger haben in
der Vergangenheit den Rechtsstaat schon x-mal in Gefahr
gesehen, ohne dass sich ihre düsteren Prophezeiungen
auch nur ein einziges Mal bewahrheitet hätten. Nicht die
Durchsetzung des Rechts bringt den Rechtsstaat in Ge-
fahr, sondern Unaufmerksamkeit und mangelnde Ent-
schlossenheit beim Kampf gegen Kriminalität und Terror
jeder Art.
Manche wollen es nicht begreifen: Freiheit und Si-
cherheit sind keine Gegensätze, es sind zwei Seiten ein
und derselben Medaille.
Es ist die wichtigste Aufgabe des Staates, die Sicherheit
der Bürger zu gewährleisten. Wir wollen keinen allmäch-
tigen Staat, der seine Bürger rund um die Uhr über-
bewacht. Wir wollen aber einen starken Staat, einen Staat,
der seine Bürger, sich selbst und seine Institutionen zu
schützen weiß. Deswegen müssen wir nicht nur mehr in
Sicherheit investieren Bundeswehr, Grenzschutz, Nach-
richtendienste, Polizeien, Zivilschutz , sondern wir müs-
sen auch das Recht fortentwickeln, um die Bürger wirk-
samer vor Verbrechen schützen zu können.
Insbesondere dürfen wir keine Erosion des Rechtsbe-
wusstseins zulassen, die dazu führt, dass die Bürger den
Glauben an eine wirksame Verbrechensbekämpfung
durch den Staat verlieren. Das Markenzeichen für die In-
nenpolitik der letzten Jahre war die zu große Diskrepanz
zwischen dem, was der Innenminister öffentlich gesagt
hat, und dem, was er getan bzw. nicht getan hat.
Das erste Beispiel betrifft das Demonstrationsrecht:
14. September 2000, Rathaus Hamburg, 50-jähriges Ju-
biläum der Gewerkschaft der Polizei. Es spricht der Bun-
deskanzler. Er könne es im In- und Ausland niemandem
mehr vermitteln, dass wir es zulassen, dass Neonazis zur
Erinnerung an Hitlers Machtergreifung mit schwarz-weiß-
roten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschieren.
Diese Bilder gingen um die Welt, sie würden das Ansehen
Deutschlands beschädigen. So ginge es nicht weiter, hier
müsse dringend etwas geschehen. Donnernder Applaus.
Das sind starke Worte. Was hat aber die Bundesregie-
rung in den letzten 12 Monaten getan,
um das geltende Demonstrationsrecht so zu ändern, dass
derartige Aufmärsche zukünftig unter erleichterten Be-
dingungen verboten werden können? Erkennbar nichts.
Wir haben vor geraumer Zeit hierzu einen Gesetzentwurf
eingebracht. Rot-Grün lehnt ihn ab. Sie müssen dann aber
auch die Verantwortung für die Folgen tragen, und zwar
ganz alleine. Wenn diese widerlichen Demonstrationen
weiterhin geduldet werden, sollten Sie wenigstens auf öf-
fentliche Empörung verzichten, wenn sie stattfinden.
Das nächste Beispiel ist die Kronzeugenregelung.
Rot-Grün hat die alte Regelung auslaufen lassen, ohne
eine neue zu beschließen.
Das war ein schwerer Fehler. Nach einer seriösen Um-
frage haben sich 90 Prozent aller Praktiker für die Wie-
dereinführung einer Kronzeugenregelung ausgesprochen
und gesagt, sie sei beim Kampf gegen die organisierte
Kriminalität ein unverzichtbares Mittel, nicht nur, um
schon begangene Straftaten aufzuklären und Straftäter zu
überführen, sondern auch und vor allen Dingen, um neue
Taten zu verhindern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Wolfgang Bosbach
18431
Vor wenigen Tagen hat auch der Bund Deutscher Kri-
minalbeamter die Wiedereinführung der Kronzeugenre-
gelung und ein Aussteigerprogramm für islamistische Ex-
tremisten vorgeschlagen. Aber was macht die Regierung?
Nichts. Zwar verkündete sie Anfang des Jahres, dass an
einer neuen Regelung gearbeitet werde immerhin ,
dann aber lässt der Kronjurist der Koalition, der Kollege
Beck, verlauten, dass die Kronzeugenregelung ein
schmutziger Deal mit Mördern und anderen Schwerver-
brechern und daher eines Rechtsstaates unwürdig sei.
Das war es dann, jedenfalls bis heute, obwohl Sie eigent-
lich wissen müssten, dass es im Betäubungsmittelgesetz
immer noch eine Kronzeugenregelung gibt, die Sie aus
gutem Grund auch nicht abschaffen wollen.
Es mag vernünftig sein, Herr Minister, ein Lagebild
organisierte Kriminalität erstellen zu lassen, um aus-
führlich über die organisierte Kriminalität in unserem
Lande zu informieren. Viel wichtiger wären jedoch kon-
krete Maßnahmen für einen entschlossenen Kampf gegen
die organisierte Kriminalität. Sie lässt sich nicht mit Sta-
tistiken bekämpfen, sondern nur durch hoch motivierte
Ermittler, die sowohl das technische als auch das rechtli-
che Instrumentarium besitzen, um handeln zu können.
Wir haben schon vor dem 11. September einen entspre-
chenden Gesetzentwurf vorgelegt und werden bald wis-
sen, ob die Regierung die organisierte Kriminalität nur
mit Worten oder auch mit Taten bekämpfen will.
Beim Kampf gegen den Rechtsextremismus haben
wir auch von dieser Stelle aus die Kultur des Wegsehens
beklagt und Hinsehen, Zivilcourage gefordert. Dann muss
aber erst recht der Staat hinsehen und eingreifen, wenn
Gefahr im Verzug ist. Wenn der Staat von seinen Bürgern
Zivilcourage verlangt, dann muss er selber erst einmal
Staatscourage zeigen.
Niemand von uns will einen Schnüffelstaat, niemand
will Unbescholtene verfolgen. Aber der Staat darf sich
auch nicht künstlich dumm stellen. Er muss zur Verhin-
derung und Aufklärung von Straftaten alle Erkenntnis-
quellen nutzen und die zuständigen Stellen informieren,
damit sie Gefahren erkennen und abwehren können.
Was spricht eigentlich dagegen, vor der Entscheidung
über einen Einbürgerungsantrag eines Ausländers beim
Verfassungsschutz anzufragen, ob Erkenntnisse vorlie-
gen, dass sich der Bewerber extremistisch oder gewaltbe-
reit verhalten hat?
Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, sondern
es hat etwas damit zu tun, dass wir unserem Land, den
Bürgern, die hier leben, schaden, wenn wir Ausländer ein-
bürgern, von denen wir wissen oder wissen könnten, dass
sie sich extremistisch verhalten und gewalttätig zu Werke
gehen. Das ist der Grund. Das hat nichts mit einem Gene-
ralverdacht zu tun.
Die unbescholtenen Bürger haben von einer solchen An-
frage nichts zu befürchten. Wieso sollten wir einem Aus-
länder die deutsche Staatsbürgerschaft verleihen, wenn
wir wissen, dass er für unser Land ein Sicherheitsrisiko
darstellt?
Ich zitiere aus der Urteilsbegründung des zuständigen
Senats des OLG Düsseldorf zu dem Urteil gegen den is-
lamistischen Extremisten Kaplan:
Nahezu mit Verblüffung musste der Senat zur Kennt-
nis nehmen, dass eine Vielzahl von Zeugen aus den
Reihen des Kaplan-Verbandes, und davon nicht we-
nige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit,
mit einer kaum zu glaubenden Unverblümtheit oder
besser Unverfrorenheit erklärten, dass für sie auch
hier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, ja
nicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das is-
lamische Recht, die Scharia, maßgeblich sei. Die
Mitglieder und Anhänger des Kaplan-Verbandes
ließen erst gar keinen Zweifel daran, dass ihnen un-
sere demokratische Gesellschaftsordnung, ja die
Werteordnung des Grundgesetzes insgesamt völlig
gleichgültig ist, ja, dass sie diese sogar ablehnen.
Umso mehr muss diese Haltung verwundern oder gar
Befremden hervorrufen, wenn viele der Zeugen auf
Befragung ausdrücklich einräumten, dass sie gerade
wegen der Möglichkeit, ihre Religion frei und ohne
Behinderung ausüben zu können, also wegen der ih-
nen aufgrund unserer Verfassung gewährten Rechte
und Freiheiten, nach Deutschland gekommen sind.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege Bosbach, ist Ihnen
bekannt, dass wir in das neue Staatsangehörigkeitsrecht
eine Bestimmung aufgenommen haben, die den Zugang
zur deutschen Staatsbürgerschaft dann ausschließt, wenn
solche Sachverhalte vorliegen, wie Sie sie gerade aus der
Urteilsbegründung zitiert haben? Sie können dies selbst-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Wolfgang Bosbach
18432
verständlich auch mit einer Regelanfrage klären. Die
Länder können das tun, praktizieren es aber unterschied-
lich.
Doch.
Herr Kollege Bosbach, ich darf eine zweite Frage
gleich anfügen: Wissen Sie, dass die Sachverhalte, die
hier zur Debatte stehen, unter der Geltung des alten
Rechts zustande gekommen sind, das Sie zu verantworten
haben?
Herr Kollege
Schily, Sie haben sich richtig ausgedrückt: Die Länder
können es tun, aber viele Länder tun es aus ideologischen
Gründen nicht. Warum tun sie es nicht? Weil sie keine
Ausländer unter Generalverdacht stellen wollen. Diese
Argumentation ist deswegen albern, weil nur über dieje-
nigen Erkenntnisse vorliegen können, die sich extre-
mistisch oder gewaltbereit gezeigt haben. Diese sollten
wir nicht einbürgern. Das ist der ganze Vorgang.
Wir sollten jetzt in der
Debatte fortfahren, Herr Schily. Es tut mir Leid, aber jetzt
hat Herr Bosbach das Wort und soll seine Rede zu Ende
bringen.
Es hat keinen
Zweck, wenn allein Bayern nicht nur nach einer Länder-
liste verfährt, sondern Regelanfragen macht. Wenn die
Betroffenen einen verfestigten Aufenthaltsstatus haben
und ihren Wohnsitz frei wählen können, dann gehen sie
einfach in ein anderes Bundesland, in dem keine Regel-
anfragen gemacht werden, und lassen sich dort einbür-
gern. Das ist der Punkt, um den es geht.
Wir können es nicht länger dulden, dass unter dem
Deckmantel der Humanität und der Religionsfreiheit Ex-
tremisten ihr Unwesen treiben. Ich bin sehr dafür, dass wir
differenziert argumentieren. Der allergrößte Teil der Aus-
länder lebt rechtstreu und friedlich in unserem Land. Aber
es darf nicht so sein, dass jede kritische Auseinanderset-
zung mit kriminellen und extremistischen Ausländern,
ganz gleich, ob sie aus religiösen oder aus politischen Mo-
tiven handeln, sofort als ausländerfeindlich gegeißelt
wird. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Tun wir
das nicht, dann wird sich die Bevölkerung jenen zuwen-
den, die mit scheinbar einfachen Rezepten rasche Lösun-
gen versprechen.
Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Der Landtag von Nord-
rhein-Westfalen wollte auf Initiative der CDU einen frak-
tionsübergreifenden Antrag mit dem Titel Integrationsof-
fensive Nordrhein-Westfalen verabschieden.
Dabei waren die Grünen nicht einmal bereit, folgende
Passage zu akzeptieren:
In dem Bewusstsein, dass Kriminalität keine Frage
der Staatsangehörigkeit ist, betrachten wir mit großer
Sorge die vergleichsweise hohe Straffälligkeit junger
Zuwanderer.
Sie wollen noch nicht einmal die Lebenswirklichkeit zur
Kenntnis nehmen, weil nicht sein kann, was nicht sein
darf.
Diese Wirklichkeitsverweigerung ist auch eine Belastung
für die notwendige Debatte über eine Neuregelung des
Zuwanderungs- und Integrationsrechtes.
Herr Minister, Sie haben gesagt, die Grenze der Be-
lastbarkeit der Bundesrepublik Deutschland durch Zu-
wanderung ist überschritten, also: Deutschland trägt eine
Belastung durch Zuwanderung, die es nicht tragen kann.
In diesem Punkt haben Sie Recht. Wir haben keinen Man-
gel an Zuwanderung, sondern einen erkennbaren Mangel
an Integration und ein nicht ausgewogenes Verhältnis von
Zuwanderung aus humanitären Gründen einerseits und
aus eigenem, wohlverstandenem nationalen Interesse an-
dererseits. Ihr Gesetzentwurf löst keine Probleme, son-
dern schafft neue. Das ist der Grund, warum wir ihm un-
ter keinem Gesichtspunkt zustimmen können.
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Beck für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde,
man hat dem Debattenbeitrag von Herrn Bosbach ange-
merkt, dass ihm die entschlossene und besonnene Vor-
gehensweise der Bundesregierung in der gegenwärtigen Si-
cherheitslage wenig Platz für Alternativen und Kritik lässt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Otto Schily
18433
Es ist bedauerlich, dass die gegenwärtige Diskussion
die umfangreiche Leistungsbilanz der Bundesregierung
und dieser Koalition in der Innen- und Rechtspolitik in
den Hintergrund treten läßt. Ich will einige wichtige
Punkte nennen: Schadenersatzreform, Modernisierung
des Schuldrechts, Mietrechtsreform, Justizreform, Insol-
venzordnung und eingetragene Partnerschaft.
Wir haben eine Menge auf den Weg gebracht, eine Menge
erreicht und werden als Koalition auch die vor uns lie-
genden Aufgaben die Bewahrung der inneren Sicher-
heit unter Wahrung von Freiheit und Rechtsstaat-
lichkeit meistern.
Seit dem 11. September haben wir eine neue Lage. Wir
müssen alle Instrumente prüfen, auf Schwachstellen ab-
klopfen und gegebenenfalls der Sicherheitslage anpassen.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen machen als Rechts-
staatspartei die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mit-
tel zum Zentrum unserer Entscheidungen. Maßnahmen,
die jetzt geprüft und ergriffen werden sollen, müssen ge-
eignet, erforderlich und praktikabel sein.
Wir müssen auch bei jeder einzelnen Maßnahme da-
nach fragen, welchen Preis an Rechtsstaatlichkeit und
Freiheit sie fordert und welchen Gewinn an Sicherheit sie
bringt. Danach müssen wir nach einer politischen Abwä-
gung der genannten Kriterien eine Entscheidung fällen.
Wir werden hierbei weiterhin Entschlossenheit und Be-
sonnenheit an den Tag legen. Herr Bosbach, ich finde es
richtig, dass Sie gesagt haben, Rechtsstaatlichkeit, Bür-
gerrechte und Freiheit sind kein Gegensatz zur Sicherheit.
Sie sollten dann aber auch nicht den Eindruck erwecken,
nur der mache eine vernünftige Sicherheitspolitik, der
Rechtsstaatlichkeit und Freiheit infrage stellt.
Hamburg hat gezeigt, dass es keinen Sinn hat, vor
offensichtlichen Problemen im Bereich der inneren Sicher-
heit die Augen zu verschließen. Ich glaube, alle demo-
kratischen Parteien müssen sich da ein bisschen selbstkri-
tisch an die Nase fassen. Wir dürfen aber nicht den Fehler
machen ich spreche besonders die Partei an, die einmal, so
wie wir, für den Rechtsstaatsliberalismus gekämpft hat ,
uns zum Steigbügelhalter für diejenigen zu machen, die be-
stehende Defizite populistisch ausnutzen.
Ich möchte Sie ausdrücklich warnen Herr Kollege
Stadler, sagen Sie es Ihrem Parteivorsitzenden : Herr
Westerwelle sollte nicht der von Papen des 21. Jahrhun-
derts werden.
Hüten Sie sich davor, Rechtspopulisten, die gegen
Rechtsstaatlichkeit, gegen Ausländer und gegen Flücht-
linge hetzen und damit Stimmung in der Bevölkerung ma-
chen, zur Macht zu verhelfen. Ich meine, alle demokra-
tischen Parteien haben die Aufgabe, in Hamburg eine
Ohne-Schill-Koalition zu schmieden.
Zum Thema innere Sicherheit zurück: Wer meint, Ter-
roristen aus der Gruppe Bin Laden könnte man mit sozia-
len Integrationsprogrammen oder mit Armutsbekämp-
fung aus der Welt schaffen, der irrt, er ist naiv. Wir
brauchen innen- und außenpolitisch gezielte Aufklärung
und geeignete Maßnahmen der Repression.
Wer aber meint, den Zulauf zu solchen Organisationen
allein mit repressiven Mitteln bekämpfen zu können, ist
genauso naiv. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bun-
desregierung im Rahmen ihres Sicherheitspaketes in
diesen Bereich gehört es auch die Erhöhung des Etats
der Entwicklungshilfe und der zivilen Konfliktlösung mit
vorgesehen hat.
Auch innenpolitisch müssen wir entsprechend vorge-
hen. Wir müssen den interreligiösen und den interkultu-
rellen Dialog pflegen. Auch müssen wir darüber nach-
denken, wie wir und zwar nicht nur repressiv damit
umgehen, dass wir eine große Zahl von radikalen Islamis-
ten in unserem Land haben. Hier ist keine Hau-drauf-Stra-
tegie gefragt. Vielmehr sollten wir uns die Doppelstrate-
gie der Niederländer genauer anschauen, die versuchen,
diesem Problem mit Repression gegen die Scharfmacher
und Hardliner sowie mit Integration und Dialogange-
boten an ihre Anhänger näher zu treten. Hier sind große
Besonnenheit und Differenzierung gefragt.
Wer jetzt in der Debatte um die innere Sicherheit nur
seine Schubladen leert und schaut, welche alten Vor-
schläge es gibt, die noch nicht realisiert wurden, der hat
den Ernst der Lage nicht begriffen. Vorschläge wie die
Gründung einer Nationalgarde, der Einsatz der Bundes-
wehr im Inneren oder andere Maßnahmen, die der Bevöl-
kerung einen nationalen Notstand suggerieren, sollten wir
in den Schubladen lassen und uns auf die neue Situation
und die neue Debattenlage einstellen.
Auch dürfen wir nicht unbesehen einfach die Etats er-
höhen. Deshalb finde ich den Ansatz der Bundesregie-
rung, die entsprechenden Mittel im Einzelplan 60 zu be-
lassen und einzeln zu prüfen, welche Maßnahmen
erforderlich und effizient sind, sehr richtig. Das zeigt,
dass wir an dieses Thema sehr seriös herangehen. Ich be-
grüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung die not-
wendigen Maßnahmen im Bereich der Schaffung der
Flugsicherheit beim Personal und bei der Überprü-
fung der Gepäckstücke ergriffen hat. Auch hinsichtlich
der Frage der Sky-Marshals müssen wir eine intensive
Fachdebatte darüber führen, wer einen solchen Vor-
schlag umsetzen könnte. Ich meine, hier ist eine hohe
Anforderung an das Personal zu stellen, weil mit einer
bewaffneten Person immer auch eine Waffe an Bord des
Flugzeugs geht. Deshalb wäre die Umsetzung dieses
Vorhabens wahrscheinlich am besten beim Bundes-
grenzschutz und nicht bei privaten Sicherheitsfirmen
aufgehoben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Beck
18434
Meine Damen und Herren, die Maßnahmen beim Ver-
einsrecht, das Religionsprivileg zu streichen und zu ver-
hindern, dass Geld aus Deutschland heraus an terroristi-
sche Vereinigungen fließt, sind richtig und notwendig.
Hier müssen wir auch das Thema Geldwäsche anspre-
chen. Ich glaube, dass wir es hierzulande beim Bankge-
heimnis mit dem Datenschutz zuweilen tatsächlich über-
treiben. Wir müssen dafür sorgen, dass problematische
Geldbewegungen transparent werden. Von Bankange-
stellten höre ich zum Beispiel, dass auf so manche merk-
würdigen Konten in Köln regelmäßig viel Geld überwie-
sen wird. Diese Vorgänge müssen transparent sein. Da
müssen wir entsprechend eingreifen.
Die Bundesregierung hat auch eine Maßnahme ergrif-
fen, um terroristische Vereinigungen im Ausland zukünf-
tig strafrechtlich verfolgen zu können. Ich sage ausdrück-
lich: Wenn wir der Strukturen von Bin Laden habhaft
werden können, dann wäre es auch richtig, sie strafrecht-
lich zu verfolgen. Aber auch hier müssen wir besonnen
sein und genau abwägen, welche Formulierung tatsäch-
lich zum Ziel führt. Ich finde es sehr gut, dass der Innen-
minister diese Woche im Spiegel gesagt hat, es dürfe
nicht sein, dass sich ein Graf Schenk von Stauffenberg
wegen des versuchten Tyrannenmordes an Hitler auch un-
ter die Strafbarkeit einer solchen Bestimmung begeben
hätte. Darüber werden wir in den Fachausschüssen im De-
tail diskutieren müssen.
Herr Kollege Bosbach, Sie haben die Kronzeugen-
regelung angesprochen. Man muss der Bevölkerung ein-
mal erklären, was die alte Kronzeugenregelung eigentlich
beinhaltete. In der Tat handelte es sich um einen schmut-
zigen Deal des Rechtsstaates mit Schwerverbrechern.
Wenn jemand ausgesagt hat und ihm geglaubt wurde,
konnte zum Beispiel ein Mörder unabhängig davon, ob
seine Aussage richtig oder falsch war nach einer Ge-
fängnisstrafe von drei Jahren wieder in die Freiheit ent-
lassen werden.
Ich muss sagen: Da regt sich mein rechtsstaatliches Ge-
wissen. Dies kann man den Opfern meines Erachtens
nicht zumuten.
Hier brauchen wir eine seriöse Regelung für das Nachtat-
verhalten, und zwar ohne die rechtsstaatlichen Mängel der
alten Regelung. Auch dürfen wir im Rechtsstaat
Falschaussagen nicht belohnen.
Wir als Bündnis 90/Die Grünen werden die Bundesre-
gierung bei der Schaffung von Sicherheit immer unter-
stützen. Wir werden uns aber auch herausnehmen das ist
manchmal anstrengend, macht das Geschäft aber auch le-
bendig , immer nachzufragen, was die jeweils zu tref-
fenden Entscheidungen für Rechtsstaatlichkeit, Freiheit
und Bürgerrechte bedeuten. Das, was erforderlich ist,
werden wir mittragen, und, meine Damen und Herren von
der Union, Ihre Maßnahmen, die regelmäßig über das Ziel
hinausschießen, werden wir ablehnen.
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Dieser Tage ist viel von ei-
ner Neuorientierung der deutschen Innenpolitik nach der
Maxime Sicherheit vor Freiheit die Rede. Aber Herr
Minister Schily hat wie ich finde: zu Recht gesagt, die
Terrorismusbekämpfung ich könnte ergänzen: die Kri-
minalitätsbekämpfung habe nicht erst nach dem
11. September dieses Jahres begonnen. Tatsächlich ist die
innere Sicherheit schon immer eine elementare Staatsauf-
gabe, eine zentrale Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaa-
tes gewesen.
Als Liberaler sage ich sehr bewusst: Während es in ande-
ren Bereichen, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik,
richtig ist, den staatlichen Einfluss zurückzudrängen,
bleibt die innere Sicherheit eine nicht privatisierbare
Kernaufgabe des Staates.
Meine Damen und Herren, der Staat muss daher den
Sicherheitsbehörden das notwendige gesetzliche Instru-
mentarium an die Hand geben. Aber dies allein nützt
nichts, wenn die Personal- und Sachausstattung für die
Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften fehlt. In diesem
Punkt sowie bei den Problemen der internationalen Zu-
sammenarbeit müssen wir ansetzen; auf diese Punkte
müsste sich die Debatte nach Ansicht der FDP konzen-
trieren. Die FDP sagt zu denjenigen Maßnahmen im Be-
reich der Gesetzgebung und des Gesetzesvollzugs Ja, die
notwendig und geeignet sind, die innere Sicherheit zu ver-
bessern. Das ist der Maßstab.
Eine nüchterne Analyse ergibt freilich, dass die Haupt-
defizite im Gesetzesvollzug liegen. Wenn Tausende von
DNA-Analysen nicht bearbeitet werden können, wenn
richterliche Beschlüsse über Telefonüberwachungen
nicht ausgeführt werden können, wenn Polizeipersonal zu
sachfremden Aufgaben anstelle der eigentlichen polizei-
lichen Tätigkeit herangezogen wird, ist dies nicht zu ak-
zeptieren.
In den öffentlichen Haushalten müssen Prioritäten zu-
gunsten der personellen und sächlichen Ausstattung der
Sicherheitsbehörden gesetzt werden. Dies betrifft natür-
lich vor allem die Bundesländer, aber in gewissem Aus-
maße auch den Bund.
Zum Stichwort internationale Zusammenarbeit: Es
war sehr aufschlussreich, dass auf dem ersten Europäischen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Beck
18435
Juristentag, der vor kurzem in Nürnberg stattgefunden hat,
heftig beklagt wurde, dass Rechtshilfeersuchen auch im
europäischen Ausland bis zu ihrer Erledigung heute im-
mer noch durchschnittlich ein Jahr dauern. Daran sieht
man, wo der Hebel angesetzt werden muss.
Meine Damen und Herren, soweit der Bundestag ge-
fordert ist, stellt sich allerdings schon die Frage nach der
Handlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition. Man
tritt niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass gerade
in der Innenpolitik zwischen den Vorstellungen von Rot
und Grün tiefe Gräben liegen. Ein Blick in das Bundes-
tagswahlprogramm der Grünen, das 1998 in Magdeburg
verabschiedet wurde, zeigt
ich lese es alljährlich mindestens zur Haushaltsdebatte,
Frau Kollegin Beck , dass die Grünen von ihren Wahl-
versprechungen zur Innenpolitik in dieser Koalition fast
nichts umgesetzt haben.
Manchmal muss man allerdings sagen, zum Glück.
Wahrscheinlich sind sie selber froh, dass nur wenige die-
ses Programm noch nachlesen, wie ich es getan habe.
Damals haben die Grünen zum Beispiel die Abschaffung
der Geheimdienste gefordert, während Volker Beck eben
die Verbesserung der Mittelausstattung für die Geheim-
dienste propagierte.
Meine Damen und Herren, die Distanz zwischen den
Koalitionspartnern wird aktuell im Streit um die Zu-
wanderungsregelungen sichtbar. Eigentlich sollte das
Kabinett gerade heute das Zuwanderungsgesetz be-
schließen. Aus Sicht der FDP ist es bedauerlich, dass
sich die Koalition nicht auf einen Entwurf einigen kann.
Ich sage aber auch den Kolleginnen und Kollegen von
der CDU und der CSU, dass sie hier in ihrer Argumen-
tation redlich bleiben müssen. Wenn Herr Bosbach
vorhin ausgeführt hat, bei uns gebe es keinen Bedarf an
Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, dann frage ich
mich, warum der Freistaat Bayern Krankenschwestern
in Kroatien und Pflegekräfte in der Slowakei anwirbt.
Das passt nicht zusammen.
Meine Damen und Herren, noch ein Punkt, der die Not-
wendigkeit von Gesetzgebung deutlich macht: Festzustellen
ist, dass die wesentliche Gesetzgebung Kollege
Marschewski, Sie waren daran maßgeblich beteiligt in den
letzten beiden Legislaturperioden während der CDU/CSU-
FDP-Koalition stattgefunden hat. Es gab etwa 50 Gesetze,
zum Beispiel das Gesetz gegen die organisierte Krimi-
nalität, das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das BKA-
Gesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz.
Daher ist ein Übermaß an neuer Gesetzgebung keinesfalls
erforderlich.
Es wundert mich deswegen nicht, dass die Beschlüsse
des Kabinetts vom letzten Mittwoch relativ wenig an
neuer Gesetzgebung vorsehen
und dass Herr Minister Schily in seiner Argumentation zu
Recht auf die Praxisdefizite abgestellt hat. Das, was vor-
geschlagen wurde, wird die FDP im Gesetzgebungs-
verfahren mit zustimmender Grundtendenz begleiten.
Manches ist von vornherein nicht akzeptabel, etwa der
Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Das ist aber vom Ka-
binett auch nicht beschlossen worden.
Anderen Maßnahmen wie der verstärkten Überprüfung
des Flughafenpersonals kann man sofort zustimmen.
Manche der diskutierten Maßnahmen sind in Wahrheit
geltendes Recht; das ist vorhin erwähnt worden. So ist
jetzt vor einer Einbürgerung die Regelanfrage beim Ver-
fassungsschutz möglich. Ich halte sie auch für durchaus
notwendig und akzeptabel.
Meine Damen und Herren, der Bundestag wird rasche
Entscheidungen treffen müssen. Das erwartet die Bevöl-
kerung. Gleichwohl muss das Gesetzgebungsverfahren,
das uns auf dem Gebiet der inneren Sicherheit bevorsteht,
sorgfältig durchgeführt werden. Eine rationale Sicher-
heitspolitik erfordert konkrete Defizitanalysen. Ich kann
etwa mit einer Bemerkung, der Datenschutz müsse allge-
mein zurückgefahren werden so hört man manchmal in
der öffentlichen Diskussion , nichts anfangen.
Vielmehr muss konkret dargestellt werden, wo es Defizite
gibt.
Dann können wir als Gesetzgeber darauf reagieren.
Ich empfehle dringend die Auswertung des neuen Si-
cherheitsberichts der Bundesregierung. Es war eine alte
Forderung der FDP, einen solchen Sicherheitsbericht zu
erstellen. Er wird uns als Gesetzgeber helfen, auch in Zei-
ten wie diesen rationale Maßnahmen zu treffen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Max Stadler
18436
Über eines sind wir uns hoffentlich alle einig: Der
Rechtsstaat kann nur mit rechtsstaatlichen Mitteln vertei-
digt werden. Dem wird die FDP ihre Zustimmung nicht
versagen.
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich spreche für die linke Opposition,
für die PDS. Ich möchte eingangs mit einem Irrtum auf-
räumen, der immer wieder gern verbreitet wird, nämlich
mit der Behauptung, Linke seien für das Soziale und die
Rechte für mehr Sicherheit zuständig. Das Soziale ist
natürlich immer ein Thema der Linken, aber selbstver-
ständlich gilt dies, grundsätzlich und auch praktisch,
ebenso für die öffentliche Sicherheit. Die Differenzen lie-
gen ohnehin nicht in den Überschriften zur öffentlichen
Sicherheit, sondern in der Beantwortung folgender Frage:
Was schafft wirklich mehr Sicherheit für die Bürgerinnen
und Bürger und was täuscht Sicherheit nur vor?
Ich zeige Ihnen diesen Unterschied gern an einer For-
derung, die aktuell gestellt wird und die wir zu Beginn der
heutigen Debatte auch schon gehört haben. Allgemein
gilt: Wer nicht einer Straftat verdächtigt werden kann,
sollte als unbescholten gelten. Das ist rechtsstaatliches
Prinzip. Eine Abkehr davon würde heißen, jede und jeder
ist verdächtig und wahrscheinlich bescholten. Das wollen
wir doch wohl alle nicht.
Deshalb möchte ich im programmatischen Polit-
deutsch zitieren:
Die Einführung von verdachts- und ereignisunab-
hängigen Personenkontrollen sowie die ständige po-
lizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen
Raums sind unverhältnismäßige Notmaßnahmen.
Sie schränken die Bürgerrechte ein, sie sind nahezu
nutzlos und kosten viel Geld.
Das, Herr Kollege Stadler, war ein Zitat aus dem aktuel-
len Wahlprogramm der Berliner FDP und was noch bes-
ser ist es ist ein völlig stimmiger Gedanke. Ich frage
mich nur, wie Herr Westerwelle und insbesondere Herr
Rexrodt dies ihren Koalitionspartnern in Hamburg bei-
bringen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen
noch ein zweites Beispiel nennen, um die Differenz klar
zu machen. Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da haben
wir in berechtigter Sorge und mit Empörung darüber dis-
kutiert, wie wir gemeinsam eine wachsende Gefahr für
Demokratie und Menschenrechte zurückdrängen können.
Ich spreche vom Rechtsextremismus und vom Rassis-
mus und ich erinnere an die Formel vom Aufstand der An-
ständigen bzw. der Zuständigen.
Nun suche ich im Haushalt und lese in der Frankfur-
ter Rundschau vom 24. September, Rot-Grün wolle im
kommenden Jahr 40 Millionen DM weniger für Maßnah-
men gegen den Rechtsextremismus aufbringen als in die-
sem Jahr. Das ist auch aus der Sicht der öffentlichen Si-
cherheit fatal und für mich einfach unbegreiflich.
Aus ganz aktuellem Anlass: Wir alle hier, von CSU bis
PDS, haben dem amerikanischen Volk unsere Solidarität
bekundet. Zugleich feiern rechtsextreme Parteien wie die
NPD den barbarischen Terroranschlag in New York und
Washington als Sieg über den weltlichen Judenkult und
seinen Mammonismus. Deshalb appelliere ich an Sie,
Herr Minister aber auch an Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen : Korrigieren wir schleunigst gemeinsam diese
Fehlplanung im Haushaltsentwurf!
Fragen der öffentlichen Sicherheit haben derzeit zu
Recht einerseits Konjunktur; andererseits waren sie in
Hamburg wahlentscheidend. In Berlin rangieren sie in
dieser Woche laut Umfragen auf Platz zwei der Sorgen der
Bürgerinnen und Bürger. Wer dies nicht ernst nimmt, der
politisiert am Lebensgefühl der Bürgerinnen und Bürger
vorbei. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst und setzen
uns nicht erst seit heute dafür ein, dass Polizistinnen und
Polizisten vor Ort im Wohngebiet, auf Plätzen, in Parks
so arbeiten können, wie sie sollen und wie sie es im Übri-
gen auch tun wollen. Dazu gehört aber auch eine entspre-
chende Ausstattung und dazu gehört natürlich auch eine
Anerkennung der Arbeitsleistung in Ost und West auf
gleichem Niveau.
Kein vernünftiger Mensch wird auch etwas dagegen
haben, wenn über mehr Flugsicherheit nachgedacht wird
wir jedenfalls nicht ; aber in diesem Zusammenhang
lohnt es sich schon, über die Kontrolle von Passagieren
und natürlich auch von Flugpersonal sowie über die Su-
che nach technischen Möglichkeiten, um die Flugsicher-
heit zu verbessern, hinaus auch noch über etwas anderes
nachzudenken. Ich denke, prekäre Arbeitsverhältnisse
und Leiharbeit schaffen eben keine Stammbelegschaften
in einem so hoch sensiblen Bereich, in die man Vertrauen
haben kann. Auch darüber sollte man reden und nicht nur
darüber, wie die Menschen überprüft werden, die diese
verantwortungsvolle Arbeit ausführen.
Auch die Streichung des Religionsprivilegs im Ver-
einsrecht ist ein Vorschlag, den wir ernsthaft prüfen. Wenn
es hilft, Religion und die Ausübung eines Verfassungs-
rechtes von Gewalt predigenden Extremisten zu trennen,
dann kann das gut sein.
Die anderen Maßnahmen, die in der Debatte sind, wie
die gegen kriminelle Geldwäsche, sind ohnehin überfällig
und gehören längst auf die Tagesordnung und dies in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Max Stadler
18437
allen Parteien; ich schaue hier auch zu den Kollegen der
CDU/CSU. Aber ich sage Ihnen auch: Wer auf die Ängste
parteipolitisch draufsattelt, wer zusätzlich Ängste schürt,
um untaugliche Ladenhüter vermeintlicher Innenpolitik
zu preisen, der spielt mit dem Lebensgefühl der Bürge-
rinnen und Bürger. Das ist verantwortungslos.
Damit komme ich zu einem Eindruck der letzten Tage
oder besser Abende , den man gewinnt, wenn man in
Wahlkampfzeiten in dieser Stadt unterwegs ist. Ich erlebe,
wie Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht deutscher
Herkunft noch mehr verunsichert sind als wir alle ohne-
hin schon. Wer dieser Tage abends durch Berlin-Kreuz-
berg oder auch durch Köln geht, der sieht, dass er eben
fast nichts sieht, jedenfalls nicht das pulsierende Leben,
das wir an den Abenden vor dem 11. September auf der
Straße ebenso wie im Café hatten. Ich kann das durchaus
nachvollziehen, denn wenn man abends den Fernsehap-
parat einschaltet, wird man penetrant mit Bildern belehrt,
woher denn das Böse kommen soll.
Wer, wie ich gestern gemeinsam mit dem Kollegen
Rexrodt, in eine Talkshow gerät, bekommt spätestens
nach der zweiten Frage den kriminellen Ausländer oder
Asylsuchenden präsentiert. Mit einer offenen Gesell-
schaft, mit innerer Sicherheit und mit vielfältigem Leben
hat das nichts zu tun.
Deshalb mein letzter Satz ich wiederhole mich : Für
mehr öffentliche Sicherheit bekommen Sie von uns ein
klares Ja. Zu Populismus auf Kosten von Bürgerrechten
werden wir ganz klar auch weiterhin Nein sagen.
Das Wort hat der Kol-
lege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Änderungen nach dem 11. Septem-
ber sind hier oft besprochen worden. Ich finde, die Innen-
politik und ihre Erfolge haben es nicht verdient, dass sie
hier ausgeblendet werden. Ich verstehe die Union: Sie
sind voller Neid, dass Sie keinen solchen Innenminister
wie wir aufweisen können. Sie haben dazu auch mein
herzliches Beileid.
Wer jahrelang einem Experten der organisierten Krimina-
lität nachgelaufen ist, wie Sie das getan haben, der hat
jetzt natürlich Schmerzen.
Dass Sie die Kronzeugenregelung verlangen, hängt
vielleicht damit zusammen, dass Sie sie für den Kanther-
Prozess haben wollen; das kann ja möglich sein.
Es tut mir furchtbar Leid: Es ist doch zu erkennen, dass
Sie objektiv an unserer Politik nichts auszusetzen haben.
Daher müssen Sie sich jetzt künstlich an diesem Innen-
minister reiben. In Wahrheit hätten Sie einen stolzen Tanz
aufgeführt, wenn Sie jemals so einen Innenminister ge-
habt hätten. So schaut doch die Realität aus.
Hören Sie also auf, hier und da kleinlich herum-
zumäkeln. Vielmehr sollten Sie akzeptieren, dass auf
Bundesebene Hamburg hin oder her die Fragen der in-
neren Sicherheit von der rot-grünen Koalition mit diesem
Innenminister und mit dieser Justizministerin ordentlich
behandelt werden.
Ich lege Wert darauf, dass Sie einmal den Sicherheits-
bericht lesen und zur Kenntnis nehmen, wie sich das all-
gemeine Sicherheitsgefühl verbessert hat. Da kann man
nicht herummäkeln. Da muss man nur lesen, zur Kenntnis
nehmen und seine alten Vorurteile überwinden.
Ich lege auch Wert darauf, dass wir zur Kenntnis neh-
men, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus er-
folgreich war, seitdem wir ihn aufgenommen haben,
und dazu hat nicht nur der Antrag auf Verbot der NPD
beigetragen dass die Zahl der rechtsextremistischen
Straftaten zurückgegangen ist. Man muss auch zur Kennt-
nis nehmen, dass der Innenminister auch mithilfe des
BGS in der Bahn, aber auch in der Region dazu beige-
tragen hat, das Sicherheitsgefühl der Menschen wieder zu
verstärken. Auch das sollten wir bitte zur Kenntnis neh-
men.
Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht auch zur
Kenntnis nimmt, dass die NPD Flugblätter verteilt, in de-
nen sie die Anschläge in New York und Washington be-
grüßt und bejubelt. Ich hoffe, dass hier dann auch deutlich
wird, wes Geistes Kind sie sind; die Rechtsextremisten
bei uns sind nämlich den islamischen Fundamentalisten
im Geiste verwandt.
Das ist ja fast eine Ideologie wie früher bei den Nazis. Die
eine ist auf die Rasse aufgebaut, die andere auf die Reli-
gion. Menschenverachtend sind sie alle. Auch das müssen
wir im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus wieder zur Kenntnis nehmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Petra Pau
18438
Wir streiten auch um Integration. Darüber streiten wir
auch mit Herrn Koch,
der plötzlich wieder beginnt, mit der Ideologie der natio-
nalen Identität eine Ideologie der Ausgrenzung zu ver-
breiten. Wie will der, der wieder auf Geburtsrechte aus ist,
all die Menschen anderen Glaubens und anderer Her-
kunft, die hier dauerhaft heimisch geworden sind und hei-
misch werden wollen, integrieren? Es ist eben nicht mög-
lich, dass man in nationaler Identität schwelgt; das
bedeutete in Deutschland nämlich immer die Ausgren-
zung anderer. Wir brauchen die Inklusion, den Einschluss,
und eine offene Gesellschaft, die sich zu säkularisierten
Werten bekennt, die alle gemeinsam tragen können. Das
ist der eigentliche Auftrag.
Deshalb ist es Gift, was Herr Koch hier verbreitet.
Die große kulturelle Aufgabe der Integration kann
nicht durch einen romantischen Rückgriff auf die Natio-
nalität bewältigt werden, gerade auch nicht vor dem Hin-
tergrund der deutschen Geschichte. Vielmehr müssen wir
sie miteinander mit einem anderen Ansatz angehen.
Ich möchte gerade auch unserem Kollegen Jochen Welt
sehr herzlich danken, der im Bereich der Integration wirk-
lich Großartiges leistet und auf eine gute Entwicklung
verweisen kann. Wir werden ihn dabei unterstützen, in-
dem wir insgesamt mehr Geld für die Sprachförderung
zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, schauen wir auf die euro-
päische Entwicklung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger,
der in Brüssel kaum gesehen ward, ist Otto Schily ein eu-
ropäischer Innenminister mit sehr guten Beziehungen und
großem Einfluss in ganz Europa.
Man muss auch das sehen und nicht nur den Tampere-Pro-
zess mit der Herstellung eines Raums der Freiheit, der Si-
cherheit und des Rechts. Um diesen zu erreichen, muss
noch viel durchgesetzt werden. So denke ich an Genua.
Die Situation dort ist mir so vorgekommen, als ob sich das
Bewusstsein der Italiener vom Demonstrationsrecht auf
dem Stand befindet, wie der von Edmund Stoiber bei den
Wackersdorf-Demonstrationen war. Das zeigt ungefähr
den Stand der Entwicklungen bezüglich des Demonstra-
tionsrechts. Es wird wohl auch auf der internationalen
Ebene deutlich gemacht werden müssen, dass dort nicht
alles korrekt gelaufen ist, sosehr auch die Täter verurteilt
werden müssen und wir nicht wollen, dass irgendwelche
Hooligans verhindern, dass man sich auf internationaler
Ebene trifft. Ein kultivierter Umgang mit dem Demons-
trationsrecht derer, die mit Recht Sorgen anmelden, ist
aber eine Errungenschaft, die in den letzten 20 Jahren in
Deutschland von uns meistens gegen Sie durchgesetzt
werden musste. Diese könnte durchaus auch zu einem Be-
standteil des europäischen Rechts und des europäischen
Bewusstseins werden.
Man muss sehen, dass die Verhaftungen dort nach ech-
ter Schill-Mentalität durchgeführt worden sind. Auch dort
hat man ja lange gebraucht, bis man die Demonstranten
wieder freigelassen hat. Wenn Sie mit einem Herrn Schill,
der wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung noch
immer angeklagt ist, koalieren wollen, dann wünsche ich
Ihnen alles Gute.
Die innenpolitischen Erfolge des vergangenen Jahres,
vom Datenschutz bis zum G-10-Gesetz, lassen sich sehen.
Ich denke auch an die Fortschritte beim E-Government,
die Fortschritte bei der inneren Sicherheit und die Fort-
schritte beim BGS. Da kommen ausgerechnet Leute von
Ihnen und beklagen den Abbau beim BGS, obwohl wir
dem BGS in Wahrheit eine solide Basis gegeben, die
kanthersche Reform bezüglich des Stellenabbaus nicht im
geplanten Tempo fortgesetzt und Stellenanhebungen ver-
wirklicht haben, von denen Sie früher nur geträumt haben.
Auch das sollte man bitte schön zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte jetzt auch den Sport nicht vergessen.
Auch in der jetzigen Zeit. Wenn der New Yorker Bür-
germeister sagen kann: Leute, geht zurück in die Stadien
und in die Stadt und lebt euer Leben!, dann gilt das auch
für uns.
Diese Koalition hat im Bereich der Sportförderung
Erhebliches geleistet.
Ich denke nur an die Drogen- und Dopingbekämpfung im
Sport. Ich erinnere an den Stadionausbau und an den Zu-
schlag für die Weltmeisterschaft.
Damit kommen wir zu der Notwendigkeit, auch die
entsprechende Sicherheit zu gewährleisten. Stellen wir
uns vor, meine Damen und Herren, wir führen sportliche
Großveranstaltungen durch und können keine friedliche
Umgebung gewährleisten. Deshalb ist es jetzt unsere Auf-
gabe, die akute Gefahr zu bekämpfen, aber auch daran
mitzuwirken, dass in Europa und in der Welt wieder ein
Klima entsteht, das Fröhlichkeit und das Gefühl sicherer
Freiheit auch bei Großveranstaltungen aufkommen lässt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Ludwig Stiegler
18439
Das werden wir erreichen: Eine Gesellschaft, in der man
nicht Angst vor zu viel Sicherheit hat, sondern in der man
seine sichere Freiheit genießt, ist unsere Zielsetzung.
Wir wollen keine alten Ladenhüter herausholen wie der
Herr Bosbach, der vom AZR-Gesetz redet. Da schreien
Sie: Hurra, Mama, ich habe es schon immer gewusst und
euch immer gesagt.
Doch, Sie haben Ihr AZR gerühmt! Dann schaue ich mir
das noch einmal zur Repetition an und stelle fest: Das be-
zieht sich auf ganz andere Themen. Das hatte mit unserem
heutigen Thema überhaupt nichts zu tun. Die alten Hunde
werden nur deshalb wieder hervorgeholt, um zu zeigen,
dass man schon immer alles besser gewusst hat. Gar nichts
haben Sie besser gewusst; denn Sie alle haben noch im
Sommer dieses Jahres die Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage zum Islam und zum Islamismus be-
grüßt. Herr Polenz hat hier eine zustimmende Rede gehal-
ten, in der er deutlich gemacht hat, dass die Bundesregie-
rung die Daten richtig erhoben und dargestellt habe und
dass die Gefahren richtig eingeschätzt worden seien. Dann
können Sie doch heute nicht so tun, als ob Sie schon immer
alles besser gewusst hätten. In Wahrheit sind Sie wie wir
und die ganze Welt von der Brutalität des Angriffs am
11. September überrascht worden. Wir müssen jetzt die an-
stehenden Probleme lösen, ohne Vorwürfe zu erheben.
Rot-Grün wird entsprechende Regelungen auf den
Weg bringen. Innerhalb der Koalition wird auf ordent-
liche Art und Weise miteinander geredet.
Wir werden ein Zuwanderungsgesetz vorlegen, mit dem
wir Sie daran hindern werden, feige auszubüxen, und Sie
zwingen werden, deutlich zu machen, wie Sie zu den
Dingen wirklich stehen. Bei allen Sicherheitsfragen sind
wir uns der Scylla einer zu starken Sicherheit und der
Charybdis einer zu geringen Sicherheit, die zur Bedro-
hung der Freiheit wird, immer bewusst.
Sie alle reden immer von der offenen Gesellschaft. Sie
übernehmen also einen Begriff von Karl Popper, den die-
ser in seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre
Feinde, dessen Texte er 1944 abgeschlossen hat, erstmals
verwendet hat. Ich habe noch einmal nachgelesen, was er
geschrieben hat:
Wir müssen das Kreuz auf uns nehmen und die Auf-
gabe schultern, dass wir die Vernunft, die wir haben,
nicht nur für die Organisation unserer Sicherheit, son-
dern auch für die Organisation der Freiheit verwenden.
Ich glaube, wer von der offenen Gesellschaft spricht, der
sollte den ganzen Popper nehmen und nicht nur einen Teil.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Zeitlmann.
geehrten Damen und Herren! Kollege Stiegler, Sie haben
heute offensichtlich den Deutschen Bundestag mit einem
Bierzelt in der Oberpfalz verwechselt.
Auf das Niveau, auf dem Sie gesprochen haben, mag ich
mich nicht begeben.
Sie sollten irgendwann einmal Frieden mit einem Staat
schließen, den Sie über viele Jahre hinweg vielleicht we-
gen irgendwelcher internationaler Ideen, die Sie immer
wieder verfolgt haben, nicht schließen konnten. Es hilft
alles nichts: Der 11. September hat für einen Zeitenwech-
sel gesorgt, den wir noch bewältigen müssen. Deswegen
glaube ich, dass das, was Sie, Herr Stiegler, hier abgelie-
fert haben, nicht würdig war.
Die Süddeutsche Zeitung hat geschrieben, dass Ihre
Presseerklärungen zu Ihrem eigenen Schutz nicht mehr
veröffentlicht werden. Vielleicht gibt Ihnen das zu denken.
Ein paar Punkte machen mich ein bisschen ängstlich,
unter anderem der Umgang vieler Kollegen aus der Frak-
tion der Grünen mit dem, was wir innere Sicherheit nen-
nen. Ich habe ein paar Zeitungsartikel der letzten Wochen
herausgesucht. Der Kollege Schlauch, immerhin Frakti-
onsvorsitzender bzw. Mitfraktionsvorsitzender ich ken-
ne eure Hierarchien nicht so genau , hat in der Stutt-
garter Zeitung vom 17. September erklärt, die
Vorstellung von einer Demokratie ohne Geheimdienste
sei mit dem 11. September überholt. Herzlich willkom-
men zu dieser neuen Einsicht! Dann müsst ihr konse-
quenterweise euren Herrn Ströbele aus dem parlamenta-
rischen Kontrollgremium zurückziehen und einen etwas
staatstragenderen Mann, der nicht für die Beendigung
der Geheimdiensttätigkeit eintritt, in dieses Gremium
berufen.
Herr Schlauch sagt weiter:
Der Bundesnachrichtendienst sollte aber effizienter
arbeiten. 90 Prozent der Aktivitäten begrenzen sich
auf das Auswerten von Publikationen und auf das
Ausschneiden von Zeitungsartikeln. Das müssen wir
ändern.
Wer so redet, der ist, was innere Sicherheit angeht, nicht
ernst zu nehmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Ludwig Stiegler
18440
Der Kollege Beck behauptet im Bonner Express vom
22. September, dass auch der Fingerabdruck auf dem Per-
sonalausweis problematisch sei. Dadurch behandele man
ein ganzes Volk wie Verdächtige.
Einen Nutzen gebe es nicht.
Ein letztes Bonmot: Vor dem 11. September habe ich
folgende Überschrift gelesen, die einen gleich hellhörig
macht. Der Kollege Wiefelspütz hat vor dem Hintergrund
der Krawalle von Autonomen in Genua und in Stockholm
der Zeit ein Interview zu der von Herrn Schily auf den
Weg gebrachten Einführung einer Gewalttäterdatei
beim BKA gegeben. In diesem Interview sagt er:
Es ist völlig klar: Das Grundrecht auf Versamm-
lungsfreiheit und das Grundrecht, Deutschland zu
verlassen, gilt auch für Extremisten. Als wir das
Passgesetz änderten, um die Ausreise von Gewalt-
tätern kurzzeitig zu verhindern, haben wir natürlich
niemanden in seinem Recht, auszureisen, beschrän-
ken wollen.
Sie könnten die Auffassung vertreten: Er hat das vor
dem 11. September gesagt, das sollte man nicht so genau
nehmen; denn es ist jetzt überholt. Wenn dem so ist, dann
erklären Sie, dass diese Datei eingerichtet wird. Anderen-
falls werden Sie keine Glaubwürdigkeit für sich bean-
spruchen können, wenn Sie behaupten, dass Sie im Be-
reich des Extremismus nicht nur gegen eine Seite
vorgehen.
Im vorigen Jahr haben wir fast ausschließlich über
Rechtsradikalismus gesprochen. Wir haben schon damals
gewarnt, indem wir darauf hingewiesen haben, dass,
wenn man die Anzahl der extremistischen Straftäter zu-
grunde legt, mehr extremistische Ausländer als extremis-
tische Inländer Straftaten begehen. Ich behaupte nicht,
dass man die schrecklichen Geschehnisse vorausahnen
konnte. Zumindest jetzt wird es für Sie Zeit, nicht auf ei-
nem Auge blind zu sein, sondern Ihre Aktivitäten in sämt-
liche Richtungen auszuweiten und auch, was die Links-
extremen in Genua und in Stockholm anbelangt, das
Nötige zu tun.
Ich will den Rest meiner Redezeit darauf verwenden,
über das Thema Zuwanderung zu diskutieren.
Sie sind jetzt drei Jahre an der Regierung. In diesen drei
Jahren haben Sie sich auf ein großes Thema, mit dem Sie
viele Schwierigkeiten hatten, konzentriert: Staatsbürger-
recht. Ich erinnere mich noch genau daran, dass der Kol-
lege Wiefelspütz in einer Haushaltsdiskussion im Innen-
ausschuss gesagt hat, es seien keine Gesetzesvorhaben
mehr geplant; denn man habe sich mit der Gesetzesma-
terie Staatsbürgerrecht schon schwer genug getan.
So sah damals Ihre Vorstellung aus. Dann waren Sie
dem öffentlichen Druck ausgesetzt, etwas zu tun, und Sie
sind in Zeitdruck geraten. Darauf haben Sie mit der Beru-
fung einer Kommission reagiert, um Zeit zu gewinnen.
Neun Monate sind vertan worden.
Das kann ich Ihnen gleich sagen: Bei der Besetzung der
Kommission ist man taktisch-politisch vorgegangen und
hat,
zumindest was die Innenpolitik angeht, Outsider berufen.
Man hat einen Oldtimer der CDU und eine Dame beru-
fen.
Es ist Sache der Regierung, wen sie beruft. Aber sie darf
hinterher nicht so tun, als wäre ihre Entscheidung über-
parteilich getroffen worden; denn man ist mit Kalkül vor-
gegangen.
Ich habe bei der Berufung der Kommission gesagt:
Hätte man die Fachleute der Innenministerien damit be-
auftragt, nach neun Wochen Antworten auf die entschei-
denden Fragen der Innenpolitik vorzulegen, dann hätte
man nach neun Wochen ein glattes Ergebnis gehabt. Jetzt
haben Sie einen Kommissionsbericht, an den Sie sich
wie ich finde, aus guten Gründen im Wesentlichen
nicht halten. Es ist nicht richtig, dass Sie jetzt Druck ma-
chen und pausenlos erklären, das müsse aus dem Wahl-
kampf herausgehalten werden. Der Kanzler hat außerdem
erklärt, das dürfe nicht auf dem Rücken von Menschen
ausgetragen werden, die sich nicht wehren könnten.
Da hat er eben nicht Recht. Das ist purer Unsinn.
Von Ihrer Seite kommt immer wieder das Argument,
das Volk müsse in größerem Umfang direkt mitentschei-
den. Alle diejenigen, die das Plebiszit für eine Zukunfts-
vision halten, reden aber gleichzeitig davon, dass man
dieses und jenes Thema nicht im Wahlkampf behandeln
könne, weil es für den Bürger viel zu komplex und viel zu
schwierig zu verstehen sei.
Man muss sich schon entscheiden: entweder oder. Ich
kann sehr wohl der Bevölkerung auch im Wahlkampf ein
Thema erläutern. Damit habe ich kein Problem. Ich habe
nur ein Problem damit zu sagen: Wir müssen dieses oder
jenes Thema außen vor lassen, weil wir die wichtigen
Themen nicht im Wahlkampf behandeln.
In der Frage der Zuwanderung brauchen Sie nach dem
11. September eine lange Phase des Denkens, weil die
Grundstimmung in der Bevölkerung so ist ich sage es
einmal ganz vorsichtig , dass derzeit wichtigere Themen
behandelt werden sollten. Erst werfen Sie für die innere
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Wolfgang Zeitlmann
18441
Sicherheit ganz schnell nach nur einer Sitzung 3 Milliar-
den DM aus
vormittags tagte der Innenausschuss; da war mit keiner
Silbe von 3 Milliarden DM die Rede; das ist ein Umgang
mit dem Parlament, den die Koalition einmal erfahren
müsste und dann verkündet der Innenminister, es wür-
den weitere Vorschläge folgen. Dies ist ja in Ordnung; ich
habe nichts dagegen. Wenn er von Zuwanderung spricht,
dann muss er aber gleichzeitig sagen, dass er dafür viel
Geld in die Hand nehmen muss. Ich wünsche Ihnen, dass
Sie in der Öffentlichkeit neben der Debatte um die innere
Sicherheit auch die Debatte um einige Milliarden DM
führen müssen, die für die Förderung der Integration not-
wendig sind.
Die Welt hat sich seit dem 11. September verändert.
Die Prüfung dessen, was Sie an Ihrem Entwurf im Inte-
resse der Sicherheit verändern müssen der Minister
spricht selber davon, dass er den Entwurf durchchecken
muss , sollte in Ruhe erfolgen.
Es hat keinen Sinn, jetzt in Hektik zu verfallen und dieses
Thema auf Teufel komm raus zu behandeln, nur um es aus
dem Wahlkampf herauszuhalten. Es wäre aber ausgespro-
chen gut, wenn dieses Thema im Wahlkampf verantwor-
tungsvoll diskutiert würde.
Ich komme zum letzten Punkt. Sie haben die Neurege-
lung des Staatsbürgerschaftsrechts nicht gemeinsam mit
der Opposition durchgeführt, sondern haben sie durchge-
paukt.
Aber natürlich. Weil es eine Gegenbewegung aus der
Bevölkerung gab und weil Sie das Thema für eine heiße
Kiste halten, sprechen Sie jetzt pikanterweise davon, Sie
wollten das Zuwanderungsgesetz gemeinsam mit der
Opposition erarbeiten. Ich habe gar nichts dagegen, dass
wir es gemeinsam tun.
Aber dies sollte nicht unter Zeitdruck und auch nicht dann
geschehen, wenn ein so wichtiges Thema wie die innere
Sicherheit die anderen Themen überlagert.
Wir sollten zur Sachlichkeit zurückkehren.
Ich war nicht unsachlich. Sagen Sie einmal, an welcher
Stelle ich unsachlich war.
Die Zuwanderung ist mit Sicherheit ein zu ernstes
Thema, als dass es unter Zeitdruck und unter Vermeidung
einer öffentlichen Debatte während der Wahlkampfzeit
durchgezogen werden sollte. Lasst uns vernünftig darüber
debattieren!
Entschuldigung, ich kann doch zur Besetzung der Kom-
mission eine Meinung haben. Es ist überhaupt keine
Frage, dass die neun Monate vertane Zeit waren.
Die Besetzung war auch falsch, weil sie zu einem Streit
führte. Sie würden auch nicht morgen eine Familienkom-
mission berufen und Herrn Beck und Herrn Wowereit als
Vorsitzende bestellen.
Es hilft Ihnen alles nichts: Wer es mit der Thematik Zu-
wanderung ernst meint, der darf nicht unter Zeitdruck
handeln, sondern muss zur Sache kommen. Das heißt,
dass wir uns damit ernsthaft auseinander setzen müssen.
Angesichts der 4 Millionen Arbeitslosen werden Sie sich
schwer tun, nur zu sagen, was die Wirtschaft will. Die
Wirtschaft auch in meinem Wahlkreis will Zuwanderung,
weil Arbeitsplätze frei sind. Sie müssen uns einmal erklä-
ren, wie Sie die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen mit den
Forderungen der Wirtschaft in Einklang bringen wollen.
Sie wissen das; auch Ihr Gewerkschaftsflügel weiß das.
Nur wenn wir über dieses Thema sachlich reden, dient es
der Sache.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die
Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus-
tiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Zeitlmann, es war sehr interessant, bei dem zu-
zuhören, was Sie zur Frage der Zuwanderung gesagt ha-
ben, und zwar deshalb, weil heute aus Ihrer politischen
Gegend ja auch schon andere Töne angeklungen sind. In
einem möchte ich Ihnen aber zustimmen: Die furchtbaren
Ereignisse des 11. September 2001 waren für jeden von
uns schrecklich und sind keineswegs spurlos an uns vo-
rübergegangen.
Dies sage ich nicht nur deswegen, weil wir um die
Menschen, die an diesem Tag ermordet wurden, trauern
und mit deren Angehörigen mitleiden, oder deswegen,
weil wir zur Solidarität mit Amerika eindeutig Ja sagen,
oder deswegen, weil wir die für die terroristischen An-
schläge Verantwortlichen selbstverständlich bekämpfen
werden und weil wir für die Sicherheit unserer Bevölke-
rung all das tun, was, wie schon ausgeführt wurde, rechts-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Wolfgang Zeitlmann
18442
staatlich notwendig und geeignet ist, und weil wir die Sor-
gen der Menschen ernst nehmen.
Ich sage das vielmehr auch deshalb, weil wir genau wis-
sen, was wir dabei verteidigen. Wir verteidigen ja nicht nur
das Abstraktum einer offenen Gesellschaft, sondern eine
Gesellschaft, die ganz konkret und ohne jeden Zweifel zu-
kunftsfähig sein muss. Das ist sie nur dann, wenn sie je-
dem Einzelnen Chancen gibt, wenn sie dann, wenn gehan-
delt werden muss, rechtsstaatlich klar und begründet
vorgeht und wenn sie klar erkennen lässt, dass Sicherheit
und Rechtsstaatlichkeit keine Gegensätze sind, sondern
dass der Rechtsstaat eine kulturhistorische Leistung ersten
Ranges ist, den wir natürlich an keiner Stelle preisgeben
werden. Ganz im Gegenteil! Wir sollten ihn als kulturhis-
torische Leistung jetzt knüpfe ich an das an, was Sie, lie-
ber Herr Kollege Stadler, gesagt haben in der Koopera-
tion auf der europäischen Ebene sei es nun die EU oder
sei es der Europarat und darüber hinaus nicht nur expor-
tieren, sondern auch stärken. Das werden wir tun.
Gerade weil das so ist, geht es darum, nicht allein die
Auswirkungen dieser furchtbaren Ereignisse des 11. Sep-
tember 2001 auf die jeweiligen Bereiche auch auf den
Bereich der Rechtspolitik zu bedenken. Natürlich wer-
den wir unsere Gesetze auf nationaler Ebene ruhig auf
Lücken überprüfen, auch wenn da stimme ich Ihnen,
Herr Stadler, wiederum zu im Bereich der Gesetzgebung
kaum mehr Lücken zu schließen sind. Es ist vielmehr so,
dass wir in der internationalen Kooperation eine Menge
mehr tun können. Das tun wir auch.
Aber es ist auch so, dass die Rechtspolitik wie nur we-
nige andere Bereiche den Auftrag hat, die Grundsätze un-
serer Verfassung unter den heutigen Umständen durchzu-
setzen, und dass dort, wo neue Entwicklungen eingetreten
sind, wo die Gerechtigkeit eingeschränkt worden ist oder
wo zum Beispiel die Stellung des Schwächeren nicht
mehr den klaren Vorgaben entspricht, neue Regelungen
getroffen werden müssen.
Auch deswegen ist die Diskussion über die Rechtspo-
litik und damit auch die über den Justizhaushalt lassen
Sie mich das sehr deutlich sagen gerade auch heute aus-
gesprochen wichtig. Gerade die Rechtspolitik unserer rot-
grünen Regierung und der sie tragenden Mehrheit betont
ja diese Schwerpunkte. Sie bilden einen Dreiklang aus
drei Ansichten, die ich Ihnen kurz deutlich machen
möchte:
Zum einen muss die Stellung der Schwächeren ge-
stärkt und ihr Schutz gewährleistet werden. Das gilt in
vielen Bereichen, die wir angepackt haben, zum Beispiel
bei dem Programm Erziehung ja Gewalt nein. Die in
diesem Zusammenhang notwendigen gesetzlichen Rege-
lungen hat die größere Oppositionspartei, die CDU/CSU,
ja leider nicht mitgetragen.
Das gilt für Gesetze wie das Gewaltschutzgesetz. Das
gilt auch ganz praktisch beim Opferschutz, im Bereich des
Sanktionensystems oder für den Bereich, zu dem wir
heute eine Expertenanhörung veranstaltet haben, ob das
Adhäsionsverfahren zugunsten der Opfer verbessert wer-
den kann. Das gilt für das Urhebervertragsrecht, das
Schadensersatzänderungsgesetz, aber natürlich auch für
die Angleichung der Pfändungsfreigrenzen, die seit 1992
nicht geändert worden sind.
All das und das sind nur ausgewählte Beispiele ist
in diesem Zusammenhang wichtig. Ich würde mich
freuen, wenn wir die Diskussion über diese rechtspoliti-
schen Themen stärker inhaltlich führen würden.
Der zweite Punkt betrifft die Modernisierung von Jus-
tiz und Recht. Auch und gerade hier musste eine Menge
nachgeholt werden. Auch im Bereich der Rechtspolitik
haben wir bereits jetzt knüpfe ich an das an, was der Kol-
lege Stiegler zum Bereich der Innenpolitik gesagt hat
eine Menge erreicht: ZPO Sie waren dagegen ; Miet-
recht Sie waren dagegen ; Schuldrechtsmodernisierung
Sie waren dagegen.
Lieber Herr Geis, eben nicht mit Recht und Sie wissen
das auch ganz genau.
Selbst Leute, die sich inhaltlich damit auseinander gesetzt
haben, bescheinigen Ihnen doch, dass Sie nicht inhaltlich
argumentieren, sondern nur Interesse daran haben, der
Regierung irgendetwas ans Bein zu binden. Ich finde das
sehr schade,
einfach deswegen, weil wir damit eine Qualität der Aus-
einandersetzung erreichen, die Sie zufrieden stellen mag,
mich nicht.
Ich hätte ganz gerne eine inhaltliche Auseinandersetzung
und Argumente; aber so ist es nun einmal mit Ihnen.
Zu unseren Erfolgen gerade in diesem zweiten Be-
reich, im Bereich der Modernisierung, gehört auch die
Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Möglichkeit des
elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs, die wir
verabschiedet haben und ausbauen.
Dazu lassen Sie mich das hier noch als zweites Stich-
wort erwähnen kommt noch die Modernisierung des
Deutschen Patent- und Markenamtes.
Auch das ist ein solches Beispiel. In den 90er-Jahren stieg
die Zahl der Patent- und Markenanmeldungen. Der Per-
sonalbestand aber wurde von Ihnen um circa 16 Prozent
zurückgefahren. Die Modernisierung in Form einer Aus-
stattung mit elektronischen Arbeitsmitteln oder auch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
18443
durch die Schaffung einer vernünftigen Organisation fand
nicht statt. Obwohl auch wir mit dem Einzelplan 07 die
Haushaltskonsolidierung des Bundesfinanzministers un-
terstützen, weil wir sehr klar sagen: Es ist unzumutbar,
dass wir die Menschen in unserem Lande alle fünf Minu-
ten als Erbe Ihrer Regierungszeit mit dem Gegenwert ei-
nes anständigen schwäbischen Einfamilienhauses als Zin-
sen belasten, haben wir beginnend mit dem Haushalt
1999, dann 2000 und 2001 und jetzt 2002
auf dem Weg zur Modernisierung, dem Ausbau und vor
allem die Verbesserung der Organisation dieses wichtigen
Amtes mit dem Ziel der Dienstleistungen für Erfinde-
rinnen und Erfinder und für die Wirtschaft einen großen
Schritt nach vorn getan.
Mich stört es sehr, dass Sie von der Opposition ich
meine jetzt nicht die FDP, sondern die CDU/CSU auch
hier nichts weiter tun, als falsche polemische Zwischen-
rufe zu machen. Ich finde das schade, weil ich glaube,
dass man in diesen Fragen jedenfalls mit denen, die ein
Engagement in der Sache haben, im Bundestag und in den
Ausschüssen erheblich konstruktiver zusammenarbeiten
können sollte, als dies bei Ihnen der Fall ist.
Den dritten Bereich in unserem Dreiklang aus Schutz
sowie Stärkung der Rechte der Schwächeren und Mo-
dernisierung bildet die Harmonisierung und die Koope-
ration in der EU und darüber hinaus. Auch hier tun wir
eine Menge lassen Sie mich einige Erfolge noch einmal
in Erinnerung rufen: die Schaffung eines Menschen-
rechtsinstituts zur besseren Vernetzung der Menschen-
rechtspolitik über die Grenzen das wurde hier im
Deutschen Bundestag von allen Fraktionen getragen; da
ist die Unterstützung und Begleitung der Europäischen
Grundrechte-Charta, die Unterstützung bei der Schaffung
des Internationalen Strafgerichtshofs, der hoffentlich bald
mit seiner Arbeit beginnen kann, und die Umsetzung der
UN-Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus.
Übrigens können wir, nachdem jetzt die Übersetzungen
vorhanden sind, die Ratifizierung sofort mit vornehmen.
Wir alle wissen, dass dies ein wichtiges Zeichen nach
außen ist. Wir helfen dadurch bei der globalen Bekämp-
fung des Terrorismus mit. Bei uns hier im Innern brauchen
wir keine Gesetze zu verändern, weil diese hier schon in
der Form bestehen, wie wir sie zu Abwehr des Terroris-
mus brauchen.
Dies alles, meine Damen und Herren, haben wir er-
reicht und weiter. Wir kümmern uns verstärkt darum,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsfragen im inter-
nationalen Kontext zum Thema zu machen gerade auch
mit Ländern, bei denen das wegen der internen Voraus-
setzungen gar nicht so leicht ist. Das gilt für den außeror-
dentlich interessanten und wichtigen Rechtsstaatsdialog
mit China und für die hervorragende Arbeit der IRZ-
Stiftung. Deren finanzielle Sicherung haben wir jetzt ins-
gesamt in den Haushalt übernommen. Ich bin mir ganz
sicher, dass wir sie auch heute noch, so wie früher,
gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg unter-
stützen. Das ist gut.
Ich erinnere auch an die ganz praktische Hilfe des Bun-
desministeriums der Justiz, die wichtig ist, bei der Be-
wältigung von Sorgerechtsproblemen, weil sich immer
mehr Menschen über die heute faktisch nicht mehr exis-
tierenden Grenzen kennen lernen, Familien gründen,
dann Probleme haben, wenn es zu Scheidungen gekom-
men ist. Wenn dann der eine Partner in Spanien oder in
Frankreich und der andere in Schweden oder in der Bun-
desrepublik wohnt, tauchen gelegentlich Probleme auf, zu
deren Lösung auch wir beitragen müssen. Das tun wir in
einem modellhaften Verfahren auch mit dem französi-
schen Justizministerium.
Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was
ich am Anfang gesagt habe. Bei der Bekämpfung des
Terrorismus machen wir, was nötig ist. Wir machen das,
was wir tun müssen, mit Entschlossenheit, Klarheit und
Besonnenheit und mit Sinn für Rechtsstaatlichkeit. Das ist
klar: Innere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit
sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Unsere
Gesellschaft braucht alle. Wir sind dazu berufen, dafür zu
sorgen, so gut wir das können.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Wenn wir un-
ser Augenmerk auf unsere Gemeinschaft und die Chan-
cen, die jeder in dieser Gemeinschaft haben muss, richten,
dann ist mir um unsere zukunftsfähige Gesellschaft nicht
bange. Ich lade Sie alle ein, auch im Bereich der Rechts-
politik mit uns auch über solche Fragen zu diskutieren.
Ich freue mich dann ebenso auf eine durchaus streitige
Auseinandersetzung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, auch
wir freuen uns auf eine streitige Auseinandersetzung. Sie
müssen diesen Streit dann aber auch aushalten können.
Manchmal haben wir den Eindruck, dass Ihnen das nicht
so leicht möglich ist.
Da mögen wir manches gemeinsam haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
18444
Na also, da bist du ja froh.
Die Rechtspolitik ist natürlich nicht nur beim Kampf
um die innere Sicherheit und beim Kampf gegen den
Terrorismus, sondern auch für die Regelungen des ganz
normalen Alltags wichtig. In der Vergangenheit gab es
hier viele Diskussionspunkte.
Wir halten in der Tat die ZPO-Regelungen für verun-
glückt und stehen mit dieser Meinung nicht ganz allein.
Viele Fachverbände sind in dieser Beurteilung mit uns einig.
Wir wollen aber natürlich auch helfen, das Gute daran
durchzusetzen. Dies betrifft zum Beispiel die Möglich-
keit, dass ein Anwalt von seinem Schreibtisch in München
aus per Videoschaltung in Hamburg einen Prozess führen
kann, wenn die Technik stimmt. Daran mangelt es. Das ist
kein Versagen der Bundesregierung. Viele Länder haben
aber immer noch nicht begriffen, dass die Justizbehörden
auch Dienstleistungsunternehmen sind und dass sie ent-
sprechend ausgestattet sein müssen.
Es geht um vernünftige Organisationsstrukturen und
Serviceeinheiten in den Land- und Amtsgerichten. Arbeits-
plätze müssen mit Computertechnik ausgestattet sein, da-
mit solche Videoschaltungen und die Möglichkeiten der
Technik überhaupt ausgenutzt werden können. Das gilt
auch für die Automatisierung des Grundbuchs und der Han-
delsregister.
All diese Möglichkeiten haben wir nach dem Gesetz.
Diese müssen aber auch von Länderseite her umgesetzt
werden. Wir bitten die Bundesregierung, mit dafür Sorge
zu tragen, dass der Standard in den einzelnen Bundeslän-
dern gleich ist und nicht immer nur Bayern allein voran-
schreitet.
Das muss ich sagen, weil es so ist.
Wir haben im Rahmen der ZPO ebenfalls eine wichtige
Neuregelung geschaffen. Es handelt sich um die Mög-
lichkeit der Schlichtung. In der Tat: Nach wie vor sind die
Zugänge der Streitsachen zu den Amts- und Landgerich-
ten hoch. Das Schlichtungsverfahren bietet die Möglich-
keit der Entlastung, wenigstens im amtsgerichtlichen Be-
reich. Es gibt Länder, die das Schlichtungsgesetz längst
verabschiedet haben, und Länder, die dies noch nicht ge-
tan haben. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es auch in
diesen Ländern erfolgt, weil dies ein richtiger Gedanke
ist; denn wir ändern damit auch ein wenig die Rechtskul-
tur oder die Streitkultur. Es ist nunmehr möglich, Rechts-
streitigkeiten von geringerem Umfang gewissermaßen
eigenverantwortlich zu erledigen. Wenn wir damit in
der Bundesrepublik Deutschland Erfolg haben, sollten
wir darüber nachdenken, das Schlichtungsverfahren
vielleicht noch auszuweiten.
Wir haben gegen die Mietrechtsreform gestimmt; das
ist wahr.
Aber ich glaube, dass uns darin viele zugestimmt haben.
Es ist ja nicht so, dass Sie die Mietrechtsreform im ge-
sellschaftlichen Konsens durchgezogen hätten, sondern
nach wie vor ist es Ihnen, Frau Ministerin, nicht gelungen,
durch Ihre Vermittlung ein Formular für einen einheitli-
chen Mietvertrag zustande zu bringen. Das liegt daran,
dass hier zu viele verschiedene Meinungen aufeinander
prallen. Haus und Grund kritisiert nach wie vor das von
Ihnen erlassene Mietrecht sehr heftig
und ist der Meinung, dass es in Karlsruhe auf seine Ver-
fassungsmäßigkeit überprüft werden muss.
Auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Lebens-
partnerschaftsgesetzes ist in Karlsruhe anhängig. Hier
handelt es sich um zwei wichtige Gesetzgebungsvorha-
ben und man sollte seitens der Mehrheit etwas mehr auf
gesellschaftlichen Konsens achten, damit Überprüfungen
durch das Verfassungsgericht erst gar nicht beantragt wer-
den.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schöns-
ten Urteile nützen nichts, auch wenn sie schnell erfolgen,
wenn die Zwangsvollstreckung nicht möglich ist.
Nun wollen Sie die Pfändungsfreigrenzen auf 1 800 DM
erhöhen. Wir halten sie für zu hoch. Es wird vor allen Din-
gen den Mittelstand treffen. Viele mittelständische Unter-
nehmen werden dann ihre Forderungen nicht mehr durch-
setzen können. Auch das sollten wir dabei bedenken.
Natürlich muss man darüber nachdenken, ob man die
Pfändungsfreigrenzen erhöht, aber nicht gleich auf
1 800 DM. Da werden wir nicht mitmachen.
Natürlich spielt auch die innere Sicherheit in der
Rechtspolitik eine ganz entscheidende Rolle. Da haben
Sie in den letzten drei Jahren versagt. Es liegt kein ernst
zu nehmender Gesetzentwurf von Ihnen hierzu vor. Das
muss einmal festgestellt werden.
Wir diskutieren schon sehr lange über das Sanktionen-
system; aber es liegt bis heute nichts auf dem Tisch. Aller-
dings dürfen wir dafür dankbar sein; denn das, was an
Vorschlägen durchgesickert und bekannt geworden ist,
lässt Böses ahnen.
Wir sind gegen den Halbstrafenerlass, weil er ein
falsches Signal setzen würde. Wir sind auch gegen die ge-
nerelle Einführung der gemeinnützigen Arbeit. Natürlich
soll es möglich sein, dass ein Straftäter über gemeinnüt-
zige Arbeit einen Teil seiner Schuld abtragen kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Norbert Geis
18445
Aber das darf nicht dazu führen, dass die Geldstrafe ge-
nerell abgeschafft wird
oder dass Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, wie es der Re-
ferentenentwurf vorsieht, abgeschafft und durch gemein-
nützige Arbeit ersetzt werden.
Auch das halten wir für falsch. Der Täter wird sich da-
rüber freuen. Die Rechtsordnung wird dabei Schaden neh-
men.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
geht es bei der inneren Sicherheit vor allen Dingen um die
Bekämpfung der schweren Kriminalität und des Terroris-
mus. Es ist ein Fehler gewesen, dass die Nachrichten-
dienste vernachlässigt worden sind. Das ist eine Kritik,
die zum Teil auch unsere Regierungszeit betrifft; das ist
wahr.
Aber es sei durchaus vermerkt, dass es Länder gab es
sind Bayern und Baden-Württemberg , die nicht mitge-
zogen haben, die die Dienste und den Verfassungsschutz
beibehalten haben. Wie wichtig dieser Verfassungsschutz
ist, erfahren wir in diesen Tagen. Er muss aufgebessert
werden.
Wenn ich die Bekämpfung der Kriminalität und des
Terrorismus anspreche, denke ich nicht nur an speziell in-
nenpolitische Themen, sondern insbesondere an die
Rechtspolitik. Wir haben noch vor dem Ende der Som-
merpause einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir die
Kronzeugenregelung in abgeänderter Form erneut vor-
sehen, sodass jemand, der sich durch einen Prozess lügt,
danach zur Rechenschaft gezogen werden kann und nicht
das in seiner Sache gefällte Urteil gilt, das aufgrund sei-
ner Kronzeugenstellung milde ausgefallen ist.
In unserem Gesetzentwurf haben wir auch eine bessere
rechtliche Stellung des verdeckten Ermittlers vorgesehen.
Wir halten den verdeckten Ermittler gerade im Bereich
des Terrorismus für äußerst wichtig. Das sagen uns auch
die Fachleute.
Wir meinen, dass zur Gewinnabschöpfung endlich
Vorschläge vorgelegt werden müssen. Wir legen einen
Vorschlag vor. Wir diskutieren gern mit Ihnen über Ver-
besserungen dieses Vorschlages. Aber dies ist ein Thema,
das beim Kampf gegen den Terrorismus eine ganz ent-
scheidende Rolle spielt.
Zudem muss die Telefonüberwachung eine wichtige
Rolle spielen. Wir arbeiten schon sehr lange daran, bei der
Telefonüberwachung auch die Korruption einzubeziehen,
was immer noch nicht passiert ist. Es ist mir schleierhaft,
weshalb Sie dagegen sind. Als wir die Videoüberwachung
eingeführt und die Verfassungsänderung durchgeführt ha-
ben, haben Sie erklärt, dass eine solche Ergänzung der
Telefonüberwachung erfolgen muss. Bis heute haben Sie
nichts getan. Wir machen entsprechende Vorschläge.
Wir meinen aber auch, dass wir die Computerkrimi-
nalität viel ernster nehmen müssen. Auch hier sind An-
sätze für Terroristen vorhanden, die wir uns überhaupt
noch nicht vorstellen können.
Der Computerwurm Nimda, wie er genannt wird, hat in-
nerhalb weniger Stunden 134 000 Computer angegriffen.
Durch ihn ist ein Milliardenschaden entstanden. Dies sind
Ansatzpunkte für geschickte Terroristen, um unser gesell-
schaftliches und wirtschaftliches Leben unter Umständen
zumindest für eine bestimmte Zeit lahm zu legen. Ich
weiß, dass dies ein rechtlich schwieriges Gebiet ist, über
das wir diskutieren müssen. Vielleicht sollten Sie hier mit
uns wenigstens einen Schritt machen. In dem von mir ge-
nannten Gesetzentwurf gegen die schwere Kriminalität
und den Terrorismus, den wir vorgelegt haben und wohl
in zwei Wochen im Parlament diskutieren werden, haben
wir entsprechende Vorschläge gemacht.
Im Rahmen der Kommunikationsüberwachung sollte
den Firmen, die diese Kommunikationsmöglichkeiten zur
Verfügung stellen, auferlegt werden, die Verbindungsda-
ten, also wer wann wo mit wem telefoniert hat, für 90 Tage
zu speichern. Auf diese Weise kommen wir schneller an
Netzwerke der Terroristen heran. Notwendig dabei ist al-
lerdings, dass Sie Ihr Gesetzgebungsvorhaben zum
§ 12 FAG fallen lassen. Der Zugriff zu solchen Daten muss
für die Ermittler schnell möglich sein.
Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den
Terrorismus ist für die Rechtspolitik eine ständige Auf-
gabe. Hier kann man sich nicht ausklinken. Wir haben in
der Vergangenheit viel auf diesem Gebiet getan; aber es
ist nach wie vor eine Aufgabe der Zukunft.
Es bleiben die großen Fragen im Kampf gegen die
Sexualdelikte.
Frau Ministerin, ich möchte Sie zum Schluss bitten, an
Ihrer Auffassung zum Komplex Humangenetik festzu-
halten. Das ist eine Frage, die jetzt zurückgedrängt wor-
den ist, die aber vor dem 11. September 2001 in den Me-
dien sehr intensiv behandelt wurde. Bei der Bioethik und
der Humangenetik geht es um die Frage des Schutzes des
menschlichen Lebens von Anfang an. Das ist eine rechts-
politische Frage ersten Ranges, die uns in den nächsten
Jahren begleiten wird. Hier hoffe ich auf eine gute Dis-
kussion. Die Botschaft unserer Kultur ist das sollten wir
denen sagen, die uns angreifen die Würde des Men-
schen, die Wahrung seiner Freiheit und der unbedingte
Schutz seines Lebens von Anfang an.
Danke schön.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Norbert Geis
18446
Ich erteile dem Kolle-
gen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der öffentliche
Raum ist ein Raum für alle Menschen. Jeder und jede hat
ein Anrecht darauf, sich dort wohl und sicher zu fühlen.
Wenn es um die Sicherheit des öffentlichen Raumes geht,
ist es nicht entscheidend, mehr Kameras zu installieren,
sondern es geht vor allem darum, dass die Menschen das
Gefühl haben, dass sie sich in diesem öffentlichen Raum
sicher bewegen können. Dafür brauchen wir Polizei, die
sichtbar in Erscheinung tritt und, wenn notwendig, für
Ordnung sorgt.
Ich möchte mein Kollege Volker Beck hat dies in der
ersten Runde bereits getan auch für meine Person sagen,
dass wir mit Blick auf Hamburg ein paar selbstkritische
Töne anschlagen müssen. Das gilt wohl für beide Par-
teien, die dort regiert haben. Sie haben den Bereich der in-
neren Sicherheit in Hamburg offensichtlich falsch einge-
schätzt.
Vielleicht kann man das Gefühl für Sicherheit wie
folgt wiedergeben: Eine alte Dame hat genauso das
Recht, sich im öffentlichen Raum sicher zu bewegen und
sich sicher zu fühlen, wie der Nichtdeutsche das Recht
hat, sich in so genannten national befreiten Zonen aufzu-
halten. Beides zusammen macht innere Sicherheit aus
und dafür sollten wir uns in diesem Hause gemeinsam
einsetzen.
Alle haben ein Recht darauf, sich jederzeit an jedem Ort
frei zu bewegen, egal, wie alt sie sind, wie gut sie sich be-
wegen können und wie sie aussehen. Bei dem Thema in-
nere Sicherheit ist ein ideologiefreier Ansatz gefragt und
diese Ideologiefreiheit würde ich mir auch bei Ihnen wün-
schen.
Geschätzter Kollege, Sie haben mit den alten Ladenhü-
tern wie der Kronzeugenregelung angefangen. Ihre Kol-
legen sagen im direkten Gespräch mit uns, dass sich die
alte Regelung nicht bewährt hat. Was sollen also die alten
Ladenhüter? Machen Sie doch kein Recycling von alten
Vorschlägen.
Wir können uns ja gerne einmal zusammensetzen; im
Bundesrat sind wir ja auf Sie angewiesen. Ich glaube aber,
ein Ideenrecycling wird den Anforderungen nicht gerecht,
die seit dem 11. September an uns gestellt werden.
Ich will die Debatte über die Zuwanderung nicht wie-
der eröffnen, weil diese bereits an anderer Stelle geführt
wurde. Sehr gewundert hat mich aber Ihre klare Absage
an einen Konsens; ich glaube, dies wird den Notwendig-
keiten in keiner Weise gerecht. Ich empfehle Ihnen, die
Ideologen in Ihren Reihen an die Kette zu nehmen
und den Pragmatikern ich denke an Herrn Müller aus
dem Saarland; auch Herr Bosbach zählt sicherlich dazu
die Chance zu geben, mit uns gemeinsam über einen ver-
nünftigen Antrag zu verhandeln, der sowohl im Bundes-
tag als auch im Bundesrat eine Mehrheit findet.
Ich will es ist schon einige Wochen her noch etwas
zu Genua sagen: Ich glaube, dass Herr Wiefelspütz mit
seinen Äußerungen in der Zeit Herr Zeitlmann hat es
angesprochen nicht Unrecht hatte. Wir alle verurteilen
die Bilder der Gewalt, die wir in Genua gesehen haben.
Die Gewalt, die dort vom so genannten schwarzen Block
ausging, ist durch nichts zu rechtfertigen.
Auch Polizisten haben ein Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit. Aber gerade in einer solchen Situation gilt für
die Polizisten, die einen sehr schweren Job haben: Ein
Recht auf Rache besteht nicht.
Die Bilder, die wir aus der Turnhalle gesehen haben, wün-
schen wir nicht in Rechtsstaaten zu sehen. Darum muss
gewährleistet sein, dass die Vorkommnisse von Genua
schonungslos aufgeklärt werden. Wir wollen nicht, dass
beispielsweise in italienischen Gerichtsverfahren Akten
aus der Bundesrepublik Deutschland Eingang finden, die
dokumentieren, dass jemand in Deutschland eine Ratssit-
zung gestört hat. Man kann das für falsch halten, muss es
vielleicht auch. Aber solche Auskünfte haben in einem
Gerichtsverfahren nichts verloren. So etwas wäre in
Deutschland nicht möglich und sollte auch woanders
nicht möglich sein.
Wenn Sie mit uns gemeinsam mehr europäische Kom-
petenzen, wenn Sie eine verstärkte Zusammenarbeit der
Polizei wollen wir wollen das auch , dann gehört dazu
auch eine justizielle Kontrolle. Dazu gehört auch die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18447
Überführung von der dritten in die erste Säule. Auch hier
empfehle ich Ihnen: Machen Sie bitte mit.
Auch die Informationsfreiheit gehört für mich in die-
sen Themenbereich. Manche werden fragen: Warum wird
dieses Thema gerade jetzt aufgegriffen? Angesichts der
Anschläge vom 11. September wäre es doch eher ange-
zeigt, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir mehr in-
nere Sicherheit erreichen. Ich finde aber, gerade weil die-
ser Angriff der offenen Gesellschaft galt, ist es wichtig,
dass wir als Signal setzen: Dieser Staat bleibt offen, die-
ser Staat wird kein Obrigkeitsstaat. Wir beschwören nicht
den preußischen Obrigkeitsstaat herauf, sondern wir wol-
len, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger über das,
was dieser Staat macht, aus allgemein zugänglichen Quel-
len Internet, direkte Anfragen informieren können.
Deshalb bin ich froh, dass auch bei der Unionsfraktion auf
diesem Feld ein Umdenken begonnen hat.
Ich werde auf diesen Zwischenruf nicht eingehen, weil
ich glaube, dass er unter Niveau ist, Herr Kollege. Mir
sind die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Türkei bekannt. Ich hoffe, Ihnen
auch. Wenn nicht, kläre ich Sie gerne auf.
Ich höre von einem Gesetzentwurf aus Nordrhein-
Westfalen; ich finde das gut. Wir sollten so schnell wie
möglich noch in dieser Legislaturperiode das Infor-
mationsfreiheitsgesetz auf den Weg bringen. Nur eines
will ich dazu sagen: Ich wünsche mir, dass auch im Ka-
binett die Energie bei der Umsetzung des Informations-
freiheitsgesetzes zunimmt. Ich bin froh, dass das BMI ei-
nen Entwurf vorgelegt hat. Ich bin auch froh, dass
beispielsweise das Umweltministerium Vorschläge
macht, wie man noch darüber hinausgehen kann. Nicht
nachzuvollziehen ist jedoch, dass jedes Ressort aus für
sich selbst vielleicht verständlichen Gründen erklärt,
warum gerade in dem jeweiligen Ressort keine Informa-
tionsfreiheit möglich ist. Hier empfehle ich etwas mehr
Engagement.
Genauso viel Engagement wünsche ich mir bei dem
Thema direkte Demokratie. Herr Zeitlmann, Ihre
Ausführungen haben mich schon sehr gewundert. Wo sitzt
er denn eigentlich gerade? Ich glaube, er ist schon ge-
gangen. Er fand die Debatte wahrscheinlich nach seiner
Rede nicht mehr so spannend. Vielleicht können Sie dem
Kollegen Zeitlmann Folgendes ausrichten: Er sprach da-
von, dass wir ständig Punkte aus dem Bereich der direk-
ten Demokratie herausnehmen würden. Meine Damen
und Herren von der Opposition, Sie haben es doch in der
Hand. Nehmen Sie das Angebot der SPD-Fraktion und
von Bündnis 90/Die Grünen an! Setzen Sie sich mit uns
zusammen an einen Tisch, verhandeln Sie über das Thema
direkte Demokratie mit uns und bringen Sie Ihre Be-
denken ein! Wir werden uns zusammensetzen und einen
Kompromiss finden.
Sie wissen, wir sind im Bundestag wie im Bundesrat
auf Sie angewiesen, weil wir eine Zweidrittelmehrheit
brauchen. Nur, eines geht nicht: sich hier hinzustellen und
zu sagen, die anderen wollten bestimmte Themen ausneh-
men, und dann zu verhindern, dass direkte Demokratie
durchgesetzt wird. 75 Prozent der deutschen Bevölkerung
wollen mehr Demokratie. Die Menschen wollen nicht nur
alle vier Jahre ihr Kreuz machen und dann nach Hause ge-
hen, sondern sie wollen auch zwischen den Wahlen mit-
wirken. Helfen Sie uns, dass dies realisiert wird. Wir wol-
len die direkte Demokratie. Erinnern Sie sich an das
biblische Motto: Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.
Was darüber ist, das ist vom Übel.
In diesem Sinne war das, was Herr Zeitlmann gesagt
hat, vom Übel.
Ich komme zum Schluss meiner Rede. Zum Thema
Sicherheit gehört auch das Waffenrecht. Wir haben ge-
rade gesehen, wie wichtig es ist, dass man die Kontrol-
len an den Flughäfen verschärft. Obwohl wir in
Deutschland schon hohe Standards haben, wollen wir
sie weiter erhöhen. Dazu gehört sicherlich auch das
Thema Waffen in der Gesellschaft. Ich weiß, dass
viele rechtschaffene Bürger, die sich nichts haben zu-
schulden kommen lassen, unter Umständen auch be-
troffen sein könnten. Vielleicht gibt es ja auch hier Kol-
leginnen und Kollegen, die in ihrer Freizeit in
Schützenvereinen oder als Jäger aktiv sind und Waffen
tragen. Aber ich glaube, wenn wir uns die Zahl von
6 000 Waffen, die jedes Jahr in der Bundesrepublik
Deutschland verschwinden,
vor Augen führen, dann ist es wichtig, festzustellen, dass
wir das Waffenrecht verschärfen müssen, Herr Kollege.
Wenn Waffen verschwinden, reduziert das nicht die in-
nere Sicherheit, sondern erhöht sie.
Im folgenden Punkt unterscheidet sich unsere Auffas-
sung von der in den Vereinigten Staaten von Amerika: Wir
glauben nicht, dass mehr Waffen bei den Bürgerinnen und
Bürgern zu mehr innerer Sicherheit beitragen. Vielmehr
wird umgekehrt ein Schuh daraus.
Lassen Sie uns darum gemeinsam überlegen auch hier
ist Ihre Mitwirkung gefragt , wie wir dies umsetzen kön-
nen. Ich bin froh ich muss zum Schluss kommen , dass
wir beispielsweise auch bei Wurfsternen und bei sonsti-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Cem Özdemir
18448
gen so genannten Kleinwaffen entsprechende Verschär-
fungen vorgenommen haben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Rainer Funke, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Justizhaushalt kann als klein, aber
fein bezeichnet werden: klein, weil es sich um relativ ge-
ringe Summen handelt; fein, weil ein ordnungsgemäß
funktionierendes Justizministerium für unsere Rechts-
und Gesellschaftsordnung unerlässlich ist.
Wir danken in diesem Zusammenhang den Mitarbei-
tern des Justizministeriums für ihre engagierte Arbeit im
Interesse unseres Rechtsstaats.
Herr Stiegler, jetzt kommt die Einschränkung. Wir ver-
kennen aber nicht und kritisieren, dass aufgrund der poli-
tischen Vorgaben die parlamentarischen Gremien mit Ge-
setzen befasst werden, die manchmal nicht gründlich
genug vorbereitet worden sind
und vor allem durch die parlamentarischen Gremien ge-
peitscht wurden.
Ich glaube, wir als Parlamentarierinnen und Parlamen-
tarier sollten uns das auf Dauer nicht gefallen lassen.
Ich sehe durchaus ein, dass das eine oder andere Gesetz
einmal schneller beraten werden muss. Aber dies sollte
nicht, wie es in letzter Zeit der Fall ist, die Regel sein.
Nach langem Zögern hat die Bundesregierung ein Ur-
hebervertragsrecht vorgelegt, das ja bereits seit langem
angekündigt war. Wir sind ganz froh darüber, dass der so
genannte Professorenentwurf, der vor gut einem Jahr vor-
gelegt worden ist, nicht Wirklichkeit geworden ist. Aber
auch der jetzige Entwurf kann nicht recht befriedigen. Ich
glaube, dass wir hier noch nacharbeiten müssen. Ich bin
ausgesprochen glücklich darüber, dass in den Diskussio-
nen angekündigt worden ist, dass das Justizministerium
bereit ist, den Dialog mit Urhebern und Verwendern
wieder aufzunehmen. Ich hoffe, dass wir hierüber weiter
im Gespräch bleiben.
Die Internationalisierung unseres Kapitalmarktrech-
tes muss weiterhin voranschreiten, denn es gibt im
Grunde genommen weltweit nur noch einen Kapitalmarkt
und die Vergleichbarkeit beispielsweise der Bilanzen wird
immer notwendiger. Deswegen ist es auch erforderlich,
das Kapitalmarktrecht, das Aktienrecht und auch die Vor-
schriften des HGB immer stärker zu internationalisieren.
Wir unterstützen Sie, Frau Ministerin, bei diesem Vorha-
ben, sind allerdings der Meinung, dass dieses Vorhaben
dann auch im Bundesjustizministerium und nicht im Bun-
desfinanzministerium angesiedelt sein sollte. Es gehört zu
Ihnen, weil es das Aktienrecht betrifft.
Sie haben zu Recht die Bedeutung des Deutschen Pa-
tent- und Markenamtes für die Innovationsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft angesprochen und dabei ein biss-
chen Vergangenheitsbewältigung betrieben. Ich gebe Ih-
nen zu, dass dieses Thema in den 90er-Jahren nicht sehr
glücklich behandelt worden ist. Das lag an den damaligen
finanziellen Verhältnissen; vom Bundesfinanzminister
gab es keine weitere Unterstützung. Wir freuen uns daher,
dass Sie sich für die personelle Verstärkung des Patent-
und Markenamtes eingesetzt haben. Trotzdem ist die Zahl
der unbearbeiteten Fälle gestiegen; hier muss dringend
Abhilfe geschaffen werden. Die FDP sichert Ihnen bei
Ihren Bemühungen um weitere personelle Verstärkung für
dieses Amt Unterstützung zu.
Wir haben im letzten Jahr das Stiftungssteuerrecht
fraglos verbessert, wenn auch vielleicht nicht in dem Um-
fange, wie wir es gerne gehabt hätten. Damals haben Sie
zugesagt, auch das materielle Stiftungsrecht zu verbes-
sern.
Es kommt eben nicht, weil es in einer Bund-Länder-
Kommission liegt, ohne dass dort irgendetwas passierte.
Ich sage Ihnen voraus, dass Sie es in dieser Legislaturpe-
riode nicht mehr schaffen, eine Vorlage einzubringen.
Ich wette grundsätzlich nicht, vor allem nicht mit Sozi-
aldemokraten.
Auch hier bitten wir darum, dass wir eine so wichtige Ma-
terie wie das Stiftungsrecht gründlich beraten können.
Ich möchte nicht, dass ein Gesetzentwurf dazu in den letz-
ten Minuten dieser Legislaturperiode beraten wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Cem Özdemir
18449
Ein wichtiges Thema ist heute noch nicht angeschnit-
ten worden: die Frage der Juristenausbildung. Heute
habe ich aber einer Presseerklärung der SPD entnommen,
dass Sie, nachdem der Gesetzentwurf der FDP nunmehr
seit einem Dreivierteljahr oder einem Jahr vorliegt, in die
Schuhe kommen wollen. Darüber bin ich sehr glücklich.
Die Vereinten Nationen haben früh erkannt, wie
wichtig es ist, den Terrorismus im Bereich der Finan-
zierung zu bekämpfen. So liegt seit dem 10. Januar
2000, also seit etwa eineinhalb Jahren, eine Konvention
zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus
zur Zeichnung aus. Frau Ministerin, Sie haben diese
Konvention bereits angesprochen und erklärt, Sie hät-
ten eineinhalb Jahre benötigt, um eine Übersetzung an-
fertigen zu lassen. Ich verstehe durchaus, dass eine
sorgfältige Übersetzung vonnöten ist. Aber eineinhalb
Jahre sind ein relativ langer Zeitraum. Wir wären glück-
lich, wenn wir diese Konvention alsbald ratifizieren
könnten.
Wir haben heute auch die Pfändungsfreigrenzen zu
besprechen. Hier muss ein ausgewogener Interessenaus-
gleich zwischen Gläubigern, Schuldnern, Anwälten und
dem Mittelstand vorgenommen werden. Ich habe den Ein-
druck, dass dieser Interessenausgleich noch nicht hinrei-
chend berücksichtigt worden ist, aber darüber werden wir
in den Ausschüssen gründlich miteinander beraten und,
wie ich glaube, auch zu einem vernünftigen Ergebnis
kommen.
Die Bundesregierung unterstützt nunmehr den Vor-
schlag des Bundesrates, dass im früheren Ostberlin der
Gebührenabschlag für Rechtsanwälte aufgehoben
wird. In den anderen neuen Bundesländern wird er aber
nicht aufgehoben, obwohl Sie, Frau Ministerin, vor ein-
einhalb Jahren dem Deutschen Anwaltverein zugesagt
hatten, Sie wollten bis zum Frühjahr dieses Jahres eine
Prüfung durchgeführt haben. Das Frühjahr ist vorbeige-
gangen.
Wir wären froh und dankbar, wenn Sie nunmehr Ihre
Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen, nutzten.
Nein, nein, 2001. Ich weiß das ganz genau; es geht nicht
um das Jahr 2002.
Wir müssten die Gebührenordnung für die Rechts-
anwälte unter strukturellem Aspekt wirklich überdenken.
Nein, nein, das ist nicht mein ceterum censeo.
Herr Kollege Stiegler,
ermuntern Sie ihn nicht, noch länger zu reden. Seine Re-
dezeit ist abgelaufen.
Herr Kollege Stiegler, Sie wis-
sen es selbst und haben es auch vor diesem Plenum ge-
sagt, dass eine strukturelle Neuordnung der Bundesge-
bührenordnung für Rechtsanwälte vorgelegt werden
muss.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir sind gespannt,
was die Kollegen Rechtsanwälte da für sich herausholen
wollen.
Jetzt hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler, PDS-Frak-
tion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich beschränke mich wegen
meiner sehr begrenzten Redezeit auf einige wenige Be-
merkungen zu den Vorlagen, deren Behandlung mit der
des Einzelplans Justiz verbunden worden ist. Die uns be-
wegenden Fragen zum Haushalt werde ich dann in die Be-
ratungen im Rechtsausschuss einbringen.
Zunächst zum Grundstücksrechtsbereinigungsge-
setz: Auch meine Fraktion sieht natürlich die Notwendig-
keit einer abschließenden Regelung im Bereich der aus
DDR-Zeiten herrührenden öffentlichen Nutzung von
Privatgrundstücken.
Wir unterschätzen auch nicht die damit verbundenen
Schwierigkeiten. Wir können der Regierungsvorlage trotz
der erreichten Verbesserungen nicht zustimmen.
Die Ankaufslösung im Verkehrsflächenbereinigungs-
gesetz bzw. die Möglichkeit der Bestellung einer be-
schränkten persönlichen Dienstbarkeit ist zwar im Prinzip
richtig; in der Anhörung wurde jedoch sehr deutlich, dass
die Regierung nicht über einigermaßen genaue Angaben
verfügt, wie viele Grundstücke davon betroffen sind und
wie hoch die Kosten des Ankaufs sind. Auch die Länder
und die Kommunen können zum großen Teil noch keine
verlässlichen Zahlen vorlegen, welche finanziellen Belas-
tungen angesichts der meist sehr angespannten Haus-
haltslage bis zum Jahr 2007 tatsächlich auf sie zukommen
werden, zumal neben den Ankaufspreisen weitere nicht
geringe Verwaltungs-, Vermessungs- und Notarkosten
entstehen.
Bekanntlich gehen uns auch die vorgesehenen Präzi-
sierungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes in Be-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Rainer Funke
18450
zug auf die so genannten Überlassungsverträge nicht weit
genug, auch wenn die Änderung des § 12 Abs. 2 durchaus
einen Fortschritt darstellt. Wir gehen jedoch weiter und
schlagen vor, die Überlassungsverträge über Wohngrund-
stücke generell in die Sachenrechtsbereinigung einzube-
ziehen. Dazu liegt Ihnen ein Antrag meiner Fraktion vor.
Die Überlassungsvertragsnehmer mussten die Pflichten
eines Eigentümers übernehmen und sind diesen in aller
Regel auch unter Einsatz umfangreicher eigener Aufwen-
dungen nachgekommen. Deshalb sollten sie auch durch
vollständige Einbeziehung in die Sachenrechtsbereini-
gung wie Eigentümer behandelt werden.
Verfassungsrechtlich halten wir die vorgeschlagene
Änderung auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus
noch für möglich, da sich die bisherige Regelung als nicht
praktikabel erwiesen hat.
Ich begrüße es, dass nun endlich der Regierungsent-
wurf für ein Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfän-
dungsfreigrenzen vorliegt. Meine Fraktion hatte bereits
im September 1999, also vor zwei Jahren, einen diesbe-
züglichen Antrag in den Bundestag eingebracht.
Seit 1992 blieben die Pfändungsfreigrenzen unverändert,
obwohl sich die Lebenshaltungskosten, darunter vor al-
lem die Mieten, drastisch erhöht haben. Viele erwerbs-
tätige Schuldner und ihre Familien leben deshalb zum Teil
bereits unter dem Existenzminimum. Die Heraufsetzung
der Pfändungsfreigrenzen ist also mehr als gerechtfertigt.
Selbstverständlich begrüße ich es, dass die Regierung
den in unserem Antrag enthaltenen Vorschlag aufgegrif-
fen hat, die Pfändungsfreigrenzen aus ihrer Erstarrung,
die über Jahre hinweg bestand, zu befreien und das Prin-
zip der Dynamisierung einzuführen.
Über weitere Punkte können wir gern im Ausschuss re-
den.
Jetzt hat der Kollege
Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion, das Wort.
Was war das? Hört ich
recht? War das der alte Geis?
Mich deucht, sein Mut hat ihn verlassen.
Verehrte Frau Präsidentin, das musste nach dieser sehr
maßvollen Rede des Kollegen Geis sein.
Kommen wir nun zum Justizhaushalt. Der Justizhaushalt
ist vom Umfang her der kleinste Haushalt, aber das Justiz-
ministerium hat, wie es der Kollege Funke bereits gesagt
hat, eine Fülle von Aufgaben. Dieser Fülle von Aufgaben
kommt nunmehr neben den unbestreitbar seit langem
schon guten Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter dieses Ministeriums auch die politische Leitung
nach. Wir haben die Zeiten des Stillstands, des Ausruhens
hinter uns; wir haben auch die Zeiten hinter uns, als Jus-
tizpolitik vom Innenminister, dem Schwarzgeld-Onkel
Kanther, gemacht wurde. Jetzt wird Justizpolitik wieder
dort gemacht, wo sie hingehört.
Wir haben in der Vergangenheit unbestreitbar gute Er-
folge erzielt. Dies war das Mietrecht,
das nämlich doch ganz überwiegend Zustimmung gefun-
den hat.
Dies war die ZPO-Reform, die leider
das sage ich deutlich wegen der Unbeweglichkeit ei-
niger nicht zum Ende geführt werden konnte. Aber da wir
noch acht Jahre lang diese Regierung bilden werden, wer-
den wir auch das noch schaffen.
Weiter haben wir mit der Änderung des Insolvenzver-
fahrens ich zähle hier nur einige Punkte auf endlich
das Verbraucherschuldenrecht, das Verbraucherinsol-
venzverfahren handhabbar gemacht und dafür bekommen
wir allenthalben großen Beifall. Das ist auch gut so.
Wir haben uns in der letzten Zeit gestern haben wir dies
abgeschlossen auch der Modernisierung unseres Bür-
gerlichen Gesetzbuchs angenommen. Die alte Bundes-
regierung hat so getan, als sei das Bürgerliche Gesetzbuch
ein Trockenblumenstrauß, den man irgendwo hinhängen
könne und dort bleibe er unverändert. In der Tat ist es aber
eine Grünpflanze, die immer wieder gepflegt werden will.
Sie haben sich da sehr lange auf welkem Lorbeer ausgeruht
und gemeint, dieser Trockenblumenstrauß halte noch ewig.
Wir hätten eigentlich erwartet, dass Sie sich hier im
parlamentarischen Verfahren mit uns um die beste Lösung
streiten; statt dessen haben Sie als politischer Milizionär
entpuppt, indem Sie sich im Verborgenen hinter die Län-
der geduckt haben, so wie sich Herr Steffel hier beim Ei-
erwerfen hinter Stoiber geduckt hat. Dann behaupten Sie,
wir hätten das durchgepeitscht. Ich habe auch bei der Frau
Ministerin noch keine Peitsche gesehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Evelyn Kenzler
18451
Was sie meisterlich beherrscht, ist ihre Homepage. Viel-
leicht verwechseln Sie das, weil Sie sprachlich nicht so
ganz drauf sind.
Wir bringen heute ein Gesetz über die Pfändungsfrei-
grenzen ein.
Es wurde Zeit, dass hier etwas geschah.
Denn 1992 war die letzte Erhöhung und mittlerweile ha-
ben sich die Lebenshaltungskosten kräftig entwickelt.
Dann bleiben wir doch bitte auch bei der Wahrheit,
Kollege Geis, und sagen wir, wie es tatsächlich ist: dass
es sich nämlich wirklich um maßvolle Erhöhungen han-
delt.
Sehen Sie, Sie können nicht nur nicht rechnen, Sie re-
den hier auch noch falsch Zeugnis.
2 900 DM sind die Pfändungsfreigrenze für einen Fami-
lienvater mit zwei Kindern. Das sind genau 153 DM
mehr, als er vorher als Pfändungsfreigrenze hatte. Wenn
das 50 Prozent sind, dann haben Sie natürlich Recht.
Mit Ihrer wirklich unfairen Pressekampagne zeigen Sie,
dass Ihnen eines gänzlich abgeht, nämlich soziales Ver-
ständnis. Dann werfen Sie auch noch die Restschuldbe-
freiung mit der Pfändung durcheinander. Das sind zwei
völlig verschiedene Dinge!
Es ist nämlich nicht so, dass derjenige, der eine erhöhte
Pfändungsfreigrenze hat, ein Interesse daran hat, nichts
mehr zu tun, ganz im Gegenteil: Diejenigen, die wissen,
dass es sich lohnt, zu arbeiten, bleiben bei der Arbeit und
werfen die Arbeit nicht hin, wie das in der Vergangenheit
oft der Fall war.
Wir werden dieses Gesetz natürlich mit Ihnen beraten.
Wir werden auf alle hören. Ich denke, es ist richtig, dass
wir endlich zeigen, dass in diesem Land auch diejenigen,
die nicht auf Rosen gebettet sind, am wirtschaftlichen Le-
ben teilhaben können und teilhaben müssen.
Wir haben endlich auch in das Gesetz eingefügt das
haben Sie ja völlig übersehen , dass alle zwei Jahre die
Pfändungsfreigrenzen angepasst werden müssen. Dann
gibt es nämlich nicht wieder diese großen Sprünge. Dann
kommt es zu vernünftigen, maßvollen Erhöhungen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Grundstücks-
rechtsbereinigungsgesetz. Auch dabei entziehen Sie sich
der Verantwortung. Sie vertreten Einzelinteressen, Privat-
interessen und lassen das Allgemeinwohl Sie haben
nachher sieben Minuten Zeit, darauf einzugehen, Frau
Voßhoff völlig aus den Augen.
Das ist nicht unsere Art. Wir stellen das Allgemeinwohl
bei diesem Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz in den
Vordergrund.
Hätten Sie damals, 1990, vernünftige Gesetze gemacht,
bräuchten wir uns heute überhaupt nicht mehr über diese
Frage zu unterhalten.
Wir werden, so wie es Herr Funke heute richtig gesagt
hat, nach sehr sorgfältiger Beratung die Sie ja immer
von uns anmahnen, Herr Funke
ein neues Gesetz zur Juristenausbildung vorlegen. Wir
legen großen Wert darauf, dass nach diesem Gesetz nicht
mehr nur die als Richter eingestellt werden, die als Ein-
ser-Subsumtionsmaschinen nur subsumieren: So ist der
Tatbestand, das kommt unten dabei heraus. Wir wollen,
dass die Richterinnen und Richter, die Recht sprechen,
über Lebenserfahrung, Berufserfahrung und vor allen
Dingen über soziale Kompetenz verfügen. Das halten wir
für den richtigen Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie das so ist: Die
Opposition unterbricht einen pausenlos. Ich habe das, was
ich sagen wollte, aber gesagt. Wir haben mit diesem Jus-
tizhaushalt den Weg des Fortschritts, den Weg der Mo-
dernisierung weiter beschritten. Dazu gehört auch, dass
wir ich möchte das wiederholen entsprechende wirt-
schaftlichen Rahmenbedingungen schaffen. Da haben wir
nicht so sehr viel zu bieten; aber wir können das Patent-
und Markenamt da geschieht etwas anführen. Wenn
beim Patent- und Markenamt die Anträge zügig bearbei-
tet werden, wird sich das positiv auf die deutsche Wirt-
schaft auswirken.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Alfred Hartenbach
18452
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss.
Ich möchte mich an dieser
Stelle, verehrte Frau Präsidentin, sehr herzlich bei der Jus-
tizministerin bedanken
für die Art, wie sie uns mitnimmt auf dem Weg, die Justiz
zu modernisieren, für die Art, wie sie sich auch gegen Wi-
derstände durchsetzt. Ich denke, verehrte Frau Justizmi-
nisterin, diesen Weg gehen wir gemeinsam weiter. Wir
werden dann zeigen, dass wir eine vernünftige und gute
Justizpolitik machen.
Vielen Dank, auch für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Nun hat das Wort die
Kollegin Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Hartenbach hat
es schon angesprochen und es ist vorhin auch schon von
der Kollegin Kenzler erwähnt worden: Neben dem
Thema Justizhaushalt und der damit verbundenen politi-
schen Weichenstellung in der Rechtspolitik, zu der es
noch die eine oder andere Anmerkung meinerseits zu ma-
chen gäbe, beschränke ich mich auf den Gesetzentwurf,
der heute abschließend beraten werden soll. Dabei geht
es um die Bereinigung noch offener Fragen des Rechts an
öffentlich genutzten Grundstücken in den neuen Län-
dern.
Mit dem dazu von der Bundesregierung vorgelegten
Entwurf soll eine weitere Klärung noch offener Fragen in
den neuen Ländern herbeigeführt werden. So weit, so gut.
Dieses Ansinnen ist dem Grunde nach auch richtig und
mit Blick auf das am 30. September dieses Jahres auslau-
fende Moratorium für öffentlich genutzte Grundstücke
auch notwendig. Wenn wir dem vorgelegten Entwurf
heute dennoch nicht zustimmen, dann nicht deshalb, weil
wir den Regelungsbedarf verkennen.
Nein, weil genau das eingetreten ist, was wir befürchtet
haben. Durch unnötigen Zeitdruck sind die Qualität und
die Sorgfalt, die eine abschließende Regelung dieser
Frage erfordert hätte, auf der Strecke geblieben.
Meine Damen und Herren, der Zeitdruck, unter dem
das parlamentarische Beratungsverfahren stand, hat auch
nichts mit dem Ablaufen der Frist am 30. September die-
ses Jahres und einer notwendigen Anschlussregelung zu
tun. Wir hätten uns in diesem Hause nur früher damit be-
schäftigen müssen. Die von uns aufgeworfenen Fragen
hätten dann auch sorgfältig beraten und abgearbeitet wer-
den können.
Das parlamentarische Beratungsverfahren Ende Juni
dieses Jahres, also drei Wochen vor der Sommerpause, zu
beginnen und das Gesetz schon in der zweiten Sitzungs-
woche nach der Sommerpause zu beschließen, entspricht
dem Grundsatz rot-grüner Rechtspolitik: Augen zu und
durch.
Die von der CDU/CSU eingeforderte Anhörung, die
wir in der Sommerpause durchgeführt haben, hat gezeigt:
Trotz der guten Vorarbeit auf Bund-Länder-Ebene diese
konzediere ich gerne bestand und besteht immer noch
Änderungsbedarf.
Gerade für abschließende Regelungen offener Grund-
stücksfragen in den neuen Ländern besteht ein hohes Maß
an Verpflichtung, für Rechtsklarheit und Rechtsfrieden
zu sorgen. Jede abschließende Regelung der offenen Fra-
gen auch die heute vorliegende ist eine solche sollte
daher in besonderem Maße von Qualität und Sorgfalt ge-
prägt sein.
Sorgfalt heißt in diesem Fall, im Jahre 11 nach der Wie-
dervereinigung, Regelungsklarheit und Regelungssicher-
heit für die Betroffenen. Ich gestehe zu, dass diese in dem
vorliegenden Entwurf wohl dank der Zuarbeit der Länder
von der einen oder anderen Stelle auch umgesetzt wurden.
Aber, meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition und Frau Justizministerin, was werden Sie dem
Eigentümer sagen, der nach diesem Gesetz künftig ein
Grundstück an die Kommune veräußern muss, der die
Ablösung der Altlast, wenn es sich um eine im Grundbuch
eingetragene handelt, von der er nicht einmal einen
wirtschaftlichen Vorteil gehabt hat ich nenne das Stich-
wort Abgeltungshypothek , in der Summe höher ist als
der von Ihnen in der Entgeltbegrenzung festgelegte Kauf-
preis? Was heißt das unterm Strich? Der Eigentümer
gibt sein Eigentum auf, er verliert es, und er muss dabei
noch draufzahlen. Das hat nichts mit einseitiger
Interessenvertretung zu tun.
Ich halte es für verfassungsrechtlich bedenklich und da-
her für nicht zustimmungsfähig.
Meine Bedenken gerade in dieser Frage sind in den
Beratungsgesprächen auch durch die Antwort des Justiz-
ministeriums, dass solche Fälle bisher noch nicht bekannt
sind, nicht beseitigt worden. Auch die zu diesem Problem
gestern im Rechtsausschuss vorgelegte Änderung löst das
Problem nicht. Ihre Neuregelung in § 7 besagt nämlich
nichts anderes, als dass der Gläubiger zwar auf seine
grundbuchliche Absicherung verzichten muss, nicht aber
auf sein Geld.
Die Bereinigung offener Grundstücksfragen kann im
Jahre 11 nach der Wiedervereinigung mit anderen Erfah-
rungswerten gestaltet werden, als das in den Anfangsjah-
ren der Fall war. Wir könnten heute selbstverständlich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18453
einen viel besseren Überblick über die zu regelnden Pro-
blemfälle haben als damals. Ich sage deshalb könnten,
weil es in diesem Beratungsverfahren leider keine Klar-
heit zum Umfang der betroffenen Fälle gab. Es hieß, es
könnten hunderttausend, aber auch weit mehr sein. Mit
welchen grundbuchlichen Belastungen diese Grund-
stücke noch behaftet sind, ist ebenso unklar.
Neben diesem von mir angeschnittenen Problem gibt
es weiteren Regelungsbedarf für die stillgelegten Depo-
nien. Hier ist zwar im Zuge der Anhörung und der Bera-
tungen eine Änderung des Gesetzentwurfs erfolgt, aber
diese bezieht sich nur auf die genutzten Deponien. Was
aber macht ein Eigentümer, dessen Grundstück zu DDR-
Zeiten von der Kommune als Deponie genutzt wurde,
diese nun stillgelegt wurde, gleichwohl aber, wie es bei
Deponien üblich ist, kontaminiert und damit wertlos ge-
worden ist?
Auch die Ankaufsfrist der Kommunen bis zum
Jahre 2007 ist nach unserer Auffassung für den Ei-
gentümer nur schwer zumutbar, heißt es doch, dass er
unter Umständen noch weitere sechs Jahre auf eine ab-
schließende Regelung warten muss. Wir sehen sehr
wohl auch die Umsetzungsprobleme, wenn die Frist für
alle genannten Fälle einfach nur verkürzt werden
würde. Wir haben in der Anhörung vernommen, wie
schwierig es für viele Kommunen ist. Eine diffe-
renzierte Frist für die im Gesetz genannten Verkehrs-
flächen einerseits und die sonstigen Flächen anderer-
seits wäre aber denkbar gewesen.
Zur Vermeidung weiterer finanzieller Belastungen
für die Kommunen, die neben der Kaufpreiszahlung
auch die gesamten Abwicklungskosten des Kaufvertrags
zu tragen haben, hätten wir uns eine Befreiung der Kom-
munen von der Grunderwerbsteuerpflicht bei diesen Er-
werbsfällen gewünscht.
Meine Herren, meine Damen, zu unserer Ablehnung
des Gesetzentwurfs lasse ich den Vorwurf, der im Rechts-
ausschuss erhoben wurde, wir würden rigide Oppositi-
onspolitik betreiben, nicht gelten. Ich habe im Beratungs-
gespräch nach der Anhörung bereits dezidiert auf die
einzelnen Problemfälle aufmerksam gemacht und unsere
Bedenken dazu geäußert. Ich habe auch unseren kon-
struktiven Beitrag angeboten, hier Lösungswege zu fin-
den und sie mitzutragen.
Wenn Sie von uns konkrete Regelungsvorschläge zu
den aufgeworfenen Problemen erwarten das klang in der
gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses an , erwidere
ich Ihnen: Auch die CDU/CSU kann in der von Ihnen zu
verantwortenden zu kurzen Zeit für die Beratung über
dieses Gesetzgebungsvorhaben nicht das nachholen, was
Sie in drei Jahren Ihrer Regierungszeit nicht geschafft ha-
ben.
Wir helfen Ihnen ja immer gerne auf die Sprünge. Nur, in
einer Woche die Schuldrechtsreform im Ausschuss abzu-
schließen und mal eben so auch über das vorliegende Ge-
setz abschließend zu beraten, das entspricht Ihrer
Hauruckgesetzgebung, aber nicht unserem Verständnis
vom Gesetzgebungsauftrag des Bundestages.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Christian Ströbele für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kollegen! Zum Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz
möchte ich nur sagen, dass es ein gutes Gesetz ist und dass
wir es heute verabschieden sollten.
Zwar ist das eine wichtige Materie. Aber heute gibt es
noch Wichtigeres, worüber diskutiert werden muss. Des-
halb werde ich die wenigen Minuten meiner Redezeit auf
einen anderen Punkt verwenden.
Ein sehr wichtiges Gesetz!
Ich habe für den Deutschen Bundestag kandidiert
und sehe meine Aufgabe in der Politik unter anderem
darin, Gesetze, die unter einer terroristischen Bedro-
hung in den 70er-Jahren vom Deutschen Bundestag er-
lassen worden sind, und Maßnahmen, die damals einge-
leitet und umgesetzt worden sind,
zu überprüfen und eventuell zu korrigieren.
Heute befinde ich mich in einer Situation, in der wie-
der wegen einer terroristischen Bedrohung uns allen, auch
mir und meiner Fraktion, die Entscheidung abverlangt
wird, ob es mehr Repressionen geben soll und die Frei-
heitsrechte stärker eingeschränkt werden sollen. Ich
möchte nicht, dass man in einem Vierteljahrhundert über
den heutigen Deutschen Bundestag und die heutige Ge-
sellschaft sagen wird: Was haben die damals aus Angst
vor einer bestimmten Form des Terrorismus, wie er in
New York und Washington sichtbar geworden ist, bloß
mit dem Rechtsstaat und der freiheitlichen Demokratie
gemacht!
Deshalb ist für mich und meine Fraktion wichtig, dass bei
allen Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen werden und
über die wir diskutieren, bestimmte Leitprinzipien ein-
gehalten werden:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Andrea Voßhoff
18454
Erstens. Wir müssen alle vorgeschlagenen gesetzgebe-
rischen, finanziellen und sonstige Maßnahmen daraufhin
überprüfen, ob sie geeignet gewesen wären, eine solche
Form des Terrorismus, wie er in den USA sichtbar ge-
worden ist, zu verhindern bzw. das Risiko eines solchen
Anschlags zu vermindern.
Das ist nicht immer selbstverständlich gewesen, Herr
Kollege Geis.
Zweitens. Wir müssen uns bei jeder einzelnen Maß-
nahme und bei jedem Gesetzesvorhaben immer fragen: Ist
die Einschränkung der persönlichen Freiheit und der Frei-
heitsrechte der Gesellschaft nicht zu groß im Vergleich zu
dem, was mit der entsprechenden Maßnahme in der Ge-
sellschaft erreicht werden kann?
Anhand dieser Kriterien wollen wir über alles scho-
nungslos, rückhaltlos und vorbehaltlos diskutieren.
Auch ich bin dafür, dass es Maßnahmen geben muss, die in
Zukunft solche terroristischen Anschläge wie die in den
USA verhindern helfen ich glaube, das ist das wichtigste
Ziel und die dazu beitragen, dass die Verantwortlichen die-
ser Anschläge wirksam zur Rechenschaft gezogen werden.
Aber alles, was darüber hinausgeht, müssen wir vermeiden,
weil sich eine parlamentarische, tolerante, freiheitliche
und rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung nicht nur bei
Schönwetterlagen, sondern gerade in einer solchen Aus-
nahmesituation wie der jetzigen bewähren muss.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, gibt es eine
Reihe von Maßnahmen, mit denen wir uns anfreunden
können.
Einige Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben ich
erwähne nur § 12 FAG, die Kronzeugenregelung und den
geplanten § 129 b StGB , gehen uns in der jetzigen Form
zu weit. Das heißt nicht, dass wir darüber nicht weiterhin
diskutieren sollten, um Lösungen zu finden, mit denen wir
alle leben können und die wir alle auch noch in 25 Jahren
ich bin dann schon sehr alt rechtfertigen können. Wir
sollten dann sagen können: Es war richtig und notwendig;
wir haben die freiheitliche, tolerante Demokratie trotz-
dem nicht aufgegeben, sondern wir haben die rechtsstaat-
lichen Regeln gewahrt. Das ist unser Leitprinzip.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldun-
gen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6812 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Grund-
stücksrechtsbereinigungsgesetzes, Drucksachen 14/6204,
14/6466 und 14/6964. Ich verweise darauf, dass es zwei
persönliche Erklärungen zur Abstimmung gibt, zum einen
vom Kollegen Hans-Joachim Hacker1) und zum anderen
vom Kollegen Günter Nooke. Der persönlichen Erklärung
des Kollegen Nooke haben sich mehrere Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion angeschlossen.2)
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6966 ab. Wer stimmt
für den Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und
PDS angenommen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, Einzelplan 10, sowie zum Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Ein-
zelplan 15.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c
auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeug-
Drucksache 14/6891
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Hans-Christian Ströbele
18455
1) Anlage 3
2) Anlage 2
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems
für Krankenhäuser
Drucksache 14/6893
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung
der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflege-
bedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreu-
Drucksache 14/6949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, Renate Künast.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Start der
Agrarwende vor neun Monaten sahen manche auf den
Oppositionsbänken den Untergang der deutschen Land-
wirtschaft herannahen. Doch die Wirklichkeit sieht anders
aus.
Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts schätzen die Land-
wirte in Deutschland ihre wirtschaftliche Lage im Som-
mer dieses Jahres besser als vor einem Jahr ein. Sie halten
ihre Lage im Jahr 2001 also für besser als vor der
BSE-Krise.
Wie kommts? Die Landwirte haben in diesem Jahr
eine hervorragende Getreideernte eingebracht. Auch bei
Raps gab es sehr gute Erträge.
Zunächst einmal beschreibe ich hier die Ernte. Das wird
man als Agrarministerin wohl noch dürfen, oder?
Die Getreideernte ist hervorragend. Die Erzeuger-
preise von Raps liegen 20 Prozent höher als im letzten
Jahr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind die Erträge der
Milchbauern um 9 Prozent gestiegen. Auch in der Schwei-
nemast hat sich die Situation erheblich verbessert. Dort
hat man ordentliche Gewinne erwirtschaftet. Unser einzi-
ges Problem betrifft den Rindfleischmarkt. Er hat sich
dank der konsequenten Maßnahmen der Bundesregie-
rung wieder ein gutes Stück erholt.
Trotzdem gibt es in diesem Bereich im Augenblick
Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten dort haben einen
Namen: mangelndes Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher in die Lebensmittelsicherheit. Deshalb
muss Lebensmittelsicherheit für uns das Thema Nummer
eins sein. Unser Interesse ist es, das Vertrauen der Ver-
braucher zu stärken.
Das Vertrauen der Verbraucher ist sozusagen das Kapital
der deutschen Landwirtschaft. Das ist ihre Zukunft. Des-
halb wollen wir mit einer nachhaltigen Landwirtschaft
aus der alten Sackgasse herausfinden.
Ich denke, dass der Haushalt 2002 im Bereich Er-
nährung und Landwirtschaft ein Dokument der Zukunft-
sorientierung ist. Wir wollen damit sichere und gesunde
Lebensmittel, umweltverträgliche und artgerechte Le-
bensmittelerzeugung sowie neue Perspektiven für die
Landwirte und für den ländlichen Raum erreichen. Des-
halb gibt es an dieser Stelle konkrete Maßnahmen.
Ich weiß, dass manche von Ihnen gehofft haben, die
Agrarwende würde am Geld scheitern. Nun stellen wir
fest, dass die Länder und nicht der Bund zu wenig Geld an
dieser Stelle investieren. Insbesondere die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU werden versuchen, das
Ziel auf andere Weise zu erreichen. Ich hoffe, Sie haben
Erfolg, weil wir alle um die Zukunft der Landwirtschaft
kämpfen. Ich biete Ihnen meine Unterstützung an, wenn
in Ihrem Bundesland die Maßnahmen noch nicht entspre-
chend umgesetzt werden konnten.
Die Fundamente sind gelegt. Der ökologische Land-
bau wird durch höhere Prämien, durch verbesserte För-
derung der Vermarktung und der Verarbeitung der Pro-
dukte stärker gefördert als bisher, damit die Vermarktung
von Ökomilch als Ökomilch am Ende nicht wie in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten zum Beispiel an
fehlenden Abfüllanlagen scheitert, nicht wahr, Herr
Carstensen?
Der konventionelle Landbau erhält Anreize, beim
Umwelt- und Tierschutz höhere Standards als gesetzlich
vorgeschrieben umzusetzen. Wir tun auch einiges für die
Entwicklung der ländlichen Räume, zum Beispiel durch
die Aktivitäten im Hinblick auf die Modellregionen.
Ein Teil unserer Aktivitäten bezieht sich auf das Bio-
siegel. Wir beraten dazu heute das Öko-Kennzeichenge-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
18456
setz, das von den beiden Regierungsfraktionen eingebracht
wurde. Ich weiß, es hat an der einen oder anderen Stelle
Kritik gegeben. Aber ich kann Ihnen sagen das wird die
Opposition natürlich mit Neid erfüllen , dass die Beson-
derheit dieses Siegels darin liegt, dass alle mitmachen.
Während Ihrer Regierungszeit hat es ein ÖPZ-Siegel ge-
geben, bei dem nicht einmal 10 Prozent der Ökolandwirte
in Deutschland mitgemacht haben. So groß war Ihre wirt-
schaftliche Kompetenz. Wir gehen es anders an. Bei un-
serem Siegel machen 100 Prozent mit.
Das war nicht einfach. Wir haben uns angestrengt und Er-
folg gehabt. Selbst die Öko-Prüfzeichen GmbH kann sich
darauf umstellen, ohne dass sie Aufgaben abgeben muss.
Sie wird in Zukunft informieren.
Wir haben gemeinsam, angefangen beim Lebensmittel-
einzelhandel bis zum ökologischen Landbau, vereinbart,
dass wir daran arbeiten werden, dass die EG-Ökoverord-
nung überarbeitet wird. Wir arbeiten an einem Memoran-
dum. Wir haben bereits mit der Kommission und mit
anderen Mitgliedstaaten eine Vereinbarung darüber ge-
troffen, dass die Anforderungen zumindest in einigen
Punkten erhöht werden. All diejenigen unter Ihnen, die
rechnen können,
werden leicht erkennen, dass für Umwelt- und Natur-
schutz und damit für die Reduzierung der Folgekosten, für
die der Steuerzahler aufkommen muss, mehr getan ist,
wenn der Anteil der Ökolandwirte verdoppelt wird, als
wenn es weiterhin nur 10 Prozent Ökolandwirte gibt, die
nach höheren als den EG-Standards arbeiten.
Wir wollen also das Niveau der EG-Verordnung er-
höhen. Aber das ist noch nicht alles. Wir werden auch die
Kontrolle verbessern. Wir kennen einen aktuellen Fall aus
Bayern Sie alle haben darüber gelesen , bei dem der
Verdacht geäußert wurde, dass aus Drittländern impor-
tierte Ware gar nicht öko ist. Das zeigt, dass die Länder-
und die Bundeskontrolle an dieser Stelle noch verbessert
werden müssen.
Als Ergänzung haben wir im Haushalt ein Bundes-
programm Ökologischer Landbau verankert, um
Löcher, die Jahrzehnte lang bestehen blieben, zu stopfen
und um Defizite bei der Forschung, bei der Be- und Ver-
arbeitung zu beheben. Wir wissen, dass die Zahl der Öko-
bauern in Deutschland deshalb so klein geblieben ist, weil
die Vermarktung ihrer Produkte in der Vergangenheit
nicht gefördert wurde und sie sträflich allein gelassen
wurden. Das wollen wir ändern.
Da Sie von der CDU/CSU und von der FDP immer Ihre
wirtschaftliche Kompetenz herausstreichen, werden Sie
neidvoll betrachten,
dass wir es geschafft haben, gemeinsam mit der Wirt-
schaft, mit der CMA und auch mit dem Bauernverband
ein Siegel für die konventionelle Landwirtschaft zu er-
arbeiten. Mit dem Einstieg im Bereich Fleisch wollen wir
das magische Sechseck gewissermaßen zusammenbrin-
gen. Wir diskutieren im Augenblick über eine durch-
gehende Dokumentation und über Zusatzkriterien. Wenn
wir es schaffen, dass auch nur die Hälfte der konventio-
nellen Bauern im nächsten Jahr auf dieses Siegel umstellt,
was, wenn der Bauernverband mitmacht, geschehen kann,
dann werden wir allein durch die Nichtverwendung von
Tiermehl und die Nichtverwendung antibiotischer Leis-
tungsförderer einen grandiosen Beitrag dazu leisten, dass
die Tiere artgerecht gehalten werden.
Ich verstehe Ihren Neid!
Wir gehen des Weiteren die Modulation an. Das heißt,
dass von Direktzahlungen für die Produktion auf Agrar-
umweltmaßnahmen umgesteuert wird. Ich weiß, die Län-
der egal, welcher Couleur tun sich schwer, an dieser
Stelle mitzuarbeiten. Ich weiß aber auch, dass sich gerade
bei den jungen Landwirten und bei den Studentinnen und
Studenten eines durchsetzt das haben auch Gespräche,
die ich rund um den Bauerntag in Münster mit jungen
Landwirten geführt habe, gezeigt : Der Markt verändert
sich, und zwar so, dass die Bauern heutzutage genau nach-
rechnen, was die nächste WTO-Runde und die Erweite-
rung der Europäischen Union für sie bringen. Sie achten
darauf, wonach sie sich ausrichten müssen.
Wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie eines genau: Die
Osterweiterung wird dazu führen, dass wir in Deutsch-
land zwar die gleiche Summe an die EU zahlen, aber dass
wir wegen des Wegfalls der Ziel-1-Gebiete immer weni-
ger für die Landwirtschaft in Deutschland entnehmen
können, wenn wir bei dem bestehenden System bleiben.
In zehn bis 15 Jahren werden die Agrarsubventionen auf
null heruntergefahren. Wer also möchte, dass die Bauern
in Deutschland eine Zukunft haben, muss sie rechtzeitig
darauf umstellen und dafür Sorge tragen, dass sie für den
Bereich, in dem sie gesellschaftliche Aufgaben erledigen,
zum Beispiel im Umweltschutz, Geld erhalten.
Wir möchten nicht, dass die Bauern weiter mit Karacho in
eine Sackgasse getrieben werden. Genau das verhindert
der Haushalt 2002.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Renate Künast
18457
Auch im Verbraucherschutz haben wir die Mittel um
60 Prozent erhöht. Wir wollen Verbraucheraufklärung
und Verbraucherinformation. Es geht dabei nicht allein
um Lebensmittel. Wir haben ein Eckpunktepapier für ein
Verbraucherinformationsgesetz in Arbeit. Wir arbeiten an
einem Gesetzentwurf für die Änderung der Produktsi-
cherheit, also gewissermaßen an einem kompletten Per-
spektivenwechsel.
Das wird für den Verbraucherschutz nicht ausreichen.
Wir brauchen neue Institutionen. Frau von Wedel hat dazu
gute Vorgaben gemacht. Wir wollen im Rahmen dieser
Haushaltsberatung das Bundesamt für Verbraucherschutz
finanziell absichern, damit es in Deutschland bei der Le-
bensmittelüberwachung ein einheitlich hohes Niveau
gibt. Ich kann Ihnen eines sagen: Die BSE-Krise des letz-
ten Jahres war nicht die letzte Krise; am Horizont zeigen
sich bereits die nächsten.
Wir wollen in diesem Haushalt Mittel für eine unab-
hängige wissenschaftliche Stelle zur Risikoanalyse be-
reitstellen, damit nichts verheimlicht wird und damit Ana-
lysen und Krisenmanagement im wahrsten Sinne des
Wortes zusammenpassen.
Wir alle aus den Regierungsfraktionen und aus der Op-
position wollen eines: gesundheitlichen Verbraucher-
schutz. Das wird ohne zusätzliche Mittel vom Bund und
von den Ländern nicht möglich sein. Manche Bundeslän-
der sind bereits vorausgegangen. Ich bitte Sie an dieser
Stelle um Ihre Unterstützung. Wir brauchen im Haus-
halt 2002 eine entsprechende Finanz- und Stellenausstat-
tung, damit wir tatsächlich sagen können: Wir bieten der
Bevölkerung höchstmögliche Lebensmittelsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Annette Widmann-
Mauz.
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Minis-
terin Künast, Ihre Rede heute war wieder einmal ein Bei-
spiel dafür, dass Ihre Verbraucherschutzpolitik eine
Politik des schönen Scheins ist. Sie orientieren sich mehr
am Politbarometer als an den Erfordernissen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher.
Sie setzen nur da Prioritäten, wo es Ihnen angesichts der
Wahl im Jahre 2002 parteipolitisch opportun erscheint.
Gerade eben haben Sie wieder ein gutes Beispiel dafür
gegeben, wie grüne Politik mit den Ängsten der Men-
schen arbeitet.
Sie sagen Skandale voraus, die es noch nicht gibt. Falls
Sie hier mehr wissen sollten, dann benennen Sie sie kon-
kret und beschuldigen Sie hier nicht ganze Berufsstände!
Wir brauchen diesen Politaktionismus nicht, sondern
wir brauchen Nachhaltigkeit beim Verbraucherschutz.
Doch was machen Sie mit dem Haushalt 2002? Genau
das Gegenteil. Was unscheinbar daherkommt, hat nämlich
einschlägige Folgen. Um Nachhaltigkeit in der Verbrau-
cherschutzpolitik zu erreichen, brauchen zum Beispiel die
Verbraucherverbände und -organisationen eine angemes-
sene finanzielle Basisausstattung und Planungssicherheit.
Sie jedoch frieren die dringend notwendigen institutio-
nellen Fördermittel ein und stopfen das Geld in Projekte.
Da darf schon einmal darauf hingewiesen werden, dass
bei der Förderung von Projekten die Entscheidung letzt-
lich stets eine politische Entscheidung ist. Frau Künast,
ich frage Sie: Sollen jetzt die Menschen nur noch dort ge-
schützt werden, wo es Ihnen politisch opportun erscheint?
Ich will Ihnen meine Sorgen im Detail erläutern: Die
institutionelle Förderung bleibt in diesem Haushalt nied-
rig. Bei der Stiftung Warentest erreicht die Förderung bei
weitem nicht einmal das Niveau des Jahres 2000.
So können die Kapazitäten nicht mit den steigenden An-
forderungen wachsen. Sie engen mit diesem Haushalt
darüber hinaus den Verbraucherschutz abermals auf die
ökologische Landwirtschaft ein. Und Sie nehmen den
Verbraucherverbänden die Mittel und konzentrieren sie
im Ministerium.
Unabhängigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und thema-
tische Breite des Verbraucherschutzes leiden darunter
ganz erheblich.
Ich will Ihnen, Herr Weisheit, dies an einem konkreten
Beispiel deutlich machen. Nehmen wir das Beispiel der
Verbraucherzentrale Bundesverband, kurz VzBv.
Schon zu unserer Regierungszeit hat das damals noch zu-
ständige Wirtschaftsministerium den Verbraucherzentra-
len den Auftrag gegeben, eine Reform der Strukturen und
der Konzeption der Verbraucherzentralen zu erarbeiten.
Und das war auch gut so. Aber seit Sie die Regierung stel-
len, werden den Verbraucherzentralen mit immer neuen
Kriterien die Daumenschrauben angezogen.
Daraufhin wurde ein neues Konzept erstellt. Im No-
vember letzten Jahres kam es zur Gründung des neuen
Dachverbandes. Doch die Probleme häufen sich. Aktuell
arbeitet die VzBv ohne Stellenplan und ohne Wirt-
schaftsplan. Im Haushalt 2001 steht eine Sperre von
2 Millionen DM.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Renate Künast
18458
Ich fordere Sie auf: Heben Sie diese Sperre auf!
Die Bundesregierung weist auch Forderungen nach ei-
ner finanziellen Grundsicherung der VzBv zurück.
Der Bundeshaushalt 2002 orientiert sich vielmehr an
Projekten. Und das steht im Widerspruch zum Ergebnis
der Strukturreform. Danach sollen die Zuwendungen
nämlich ausschließlich als institutionelle Förderungen aus
Bundesmitteln bereitgestellt werden. Das heißt also,
Nachhaltigkeit und Planungssicherheit für die Verbrau-
cherorganisationen sind mittelfristig nicht gewährleistet.
Schauen wir uns doch die Zahlen im Haushaltsplan ge-
nauer an; die sind geschönt, denn sie stehen unter dem
Vorbehalt des Wirtschaftsplans, der, wie wir im Haushalt
lesen können, in Vorbereitung sei. Was jedoch nicht im
Haushaltsplan steht, ist, dass der Wirtschaftsplan überar-
beitet wurde und bereits vorliegt. Haushaltsplan und Wirt-
schaftsplan stimmen nicht überein.
Ergebnis ist eine drastische Kürzung um 20 Prozent.
Die Kosten für die Sachverständigen wurden reduziert.
Der Titel Prozesskosten für die Klagetätigkeit der VzBv
wurde sogar um fast 50 Prozent gekürzt. Die Ausgaben für
Veranstaltungen, Veröffentlichungen und zum Aufbau ei-
nes bundesweiten Informationssystems wurden gekürzt.
Im Ministerium aber bauen Sie jetzt genau dies auf. Es
werden also nicht die Verbände gefördert, sondern Sie
verlagern die Aufgaben ins Ministerium und machen
Verbraucherschutz mit Beamten.
Und dort, wo Handlungsbedarf besteht, handeln Sie
nur unzureichend. Die Aufarbeitung der BSE-Krise ist
noch immer nicht gelungen. Das Problem der neuen Vari-
ante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen
wird von Ihnen nicht wirklich angegangen. Der Arbeits-
kreis BSE Sie haben es uns schriftlich bestätigt hat
noch nicht ein einziges Mal getagt, seit Sie im Amt sind.
In der Zeit bezeichnen Sie es als Ihre Pflicht ich
zitiere , den Menschen ehrliche Informationen zu ge-
ben, also Klarheit und Wahrheit. Doch mit dem von Ih-
nen, Frau Künast, eingeführten verwässerten Ökozeichen
tun Sie das glatte Gegenteil. Sie führen die Menschen in
die Irre. Sie sagen in der Zeit weiter ich zitiere : Und
wir werden das Sicherheitsniveau laufend erhöhen, gna-
denlos. Auch das wieder starke Worte. Doch wie sehen
die Fakten aus? Sie senken die bisher in Deutschland üb-
lichen anspruchsvolleren Qualitätsstandards auf die um-
strittenen EU-Standards ab. Ihr Verweis, dass Sie sich
jetzt auf EU-Ebene für höhere Standards einsetzen wol-
len, glaubt in unserem Land doch sowieso kein Mensch.
Was haben Sie denn bisher auf EU-Ebene durchgesetzt?
Nichts!
Das Tiermehlverfütterungsverbot läuft aus. Es ist nach
wie vor keine Rede von den Fetten. Es gibt keine einheitli-
che BSE-Testung in Europa. Die Fleischimporte aus Län-
dern, in denen kein Tiermehlverfütterungsverbot besteht,
sind nach wie vor dadurch, dass wir sie nicht kontrollieren
können, möglich. Verbraucherschutz ist aber eine europä-
ische Herausforderung. Verbraucherschutz im Europa ohne
Grenzen erfordert Überzeugungskraft und Durchsetzungs-
fähigkeit im Ministerrat. Beides geht Ihnen ab.
Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet eine
grüne Verbraucherschutzministerin das bisherige Niveau
der Ökozeichen in Deutschland unterbietet und sich auf
einen qualitativ niedrigeren Standard einlässt.
Mit dem Ökozeichen treten Sie zu einem nationalen
Alleingang an, der der regionalen Vermarktung hochwer-
tiger Nahrungsmittel entgegenwirkt und stattdessen Tür
und Tor für Import-Ökoprodukte öffnet. Sie geben sich
mit laxeren EU-Vorschriften zufrieden. Man hat fast den
Eindruck, dass Sie in der Aufweichung des Öko-Qua-
litätsstandards die einzige Möglichkeit sehen, das von Ih-
nen angekündigte Ziel eines Marktanteils der Ökopro-
dukte von 20 Prozent zu erreichen.
Angesichts meiner Redezeit möchte ich auf die Details
ich könnte sie Ihnen erläutern nicht weiter eingehen.
Es ist völlig klar dies hat Ihnen Frau von Wedel auch
ganz klar ans Revers geheftet : Die Verbraucherschutz-
politik im BMVEL kann nicht wirksam und umfassend
stattfinden, weil die Zuständigkeiten zersplittert sind, die
Organisationsstruktur den Aufgaben nicht angepasst ist
und eine Grundsatzabteilung, in der Politikplanung statt-
findet und die Lebensmittelsicherheit koordiniert wird,
erst gar nicht vorhanden ist.
Frau Künast, vernichtender können die Versäumnisse
derjenigen, die die politische Verantwortung für diese Zu-
stände tragen, kaum aufgelistet werden. Ich habe noch gar
nicht gesagt, was Verbraucherschutz im weiteren Sinne
alles bedeutet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Die Stich-
worte kennen Sie; ich muss sie hier am Pult jedes Mal
wieder erwähnen.
Ich komme zu einem weiteren Zitat aus der Zeit.
Dort sagten Sie:
Ich zumindest wüsste genau, was ich zu tun hätte,
wenn ich nicht Ministerin wäre.
Frau Künast, ich frage Sie: Was wissen Sie wirklich, was
Sie uns nicht sagen wollen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Annette Widmann-Mauz
18459
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Jella Teuchner.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Herren und Damen! Frau Widmann-Mauz, ich
weiß nicht, welche Grundlage Sie für Ihren Redebeitrag
gewählt haben.
Ich habe die Ausschussunterlagen gewählt. Wenn ich mir
unter Titel 684 21 bei den Maßnahmen zur Unterrichtung
der Verbraucher außerhalb des Ernährungsbereiches ge-
rade die Verbraucherzentrale Bundesverband anschaue
und sehe, dass die Summe von 8,45 Millionen Euro im
Jahre 2000 auf 10,907 Millionen Euro erhöht wird, dann
kann ich mir nicht erklären, wo Sie das Minus sehen.
Das hat auch nichts mit der Projektförderung zu tun. Sie
müssen schon grundsätzlich darüber diskutieren. So kön-
nen wir keine Basis für eine weitere Diskussion schaffen.
Am Anfang dieses Jahres wurde die Zuständigkeit für
den Verbraucherschutz im neuen Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ge-
bündelt. Dem Verbraucherschutz und der Verbraucher-
politik sollte ein stärkeres Gewicht gegeben werden. Der
Einzelplan 10 hat daher nicht nur drei zusätzliche Titel
bekommen, es stehen auch mehr Mittel für den Verbrau-
cherschutz zur Verfügung: Statt 21,4 Millionen Euro im
Jahr 2001 sind es 32,3 Millionen Euro für 2002. Das ist
ein Anstieg, den die Ministerin schon erwähnt hat.
Die Lebensmittel müssen sicher sein. Dass dies an ers-
ter Stelle auf der landwirtschaftspolitischen Tagesord-
nung stehen muss, haben wir immer wieder gefordert. Wir
müssen für gute und sichere Lebensmittel sorgen, damit
die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder Vertrauen
in die Lebensmittel gewinnen, die Landwirte stabile
Märkte für ihre Produkte vorfinden und sie eine Zukunft
bekommen. Mit den Mitteln, die wir für die Aufklärung
der Verbraucherinnen und Verbraucher im Ernährungsbe-
reich ausgeben wollen, werden wir dies unterstützen.
Allein 7,7 Millionen Euro werden wir für eine Informa-
tionskampagne zu den neuen Qualitätssiegeln bereitstellen.
Wenn das Wahlkampfhilfe ist, frage ich mich, was Sie
in der Vergangenheit gemacht haben. Dann war das noch
größere Wahlkampfhilfe.
Wir werden 460 000 Euro für die regionale Vermark-
tung zur Verfügung stellen. Wir schaffen damit Nachfrage
nach Qualitätsprodukten und sorgen dafür, dass Land-
wirte gute Absatzchancen für ihre Lebensmittel von hoher
Qualität haben.
Die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher
über gesunde Ernährung wird auf gleich bleibendem Ni-
veau fortgesetzt. Auch der Zuschuss für die Deutsche Ge-
sellschaft für Ernährung wird ab 2002 aus dem Einzel-
plan 10 bezahlt.
Verbraucherschutz heißt zum einen, Produkte vom
Markt fern zu halten, die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher gefährden können. Zum anderen heißt es, die Markt-
transparenz zu schaffen, die notwendig ist, damit die
Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Entscheidungen
am Markt auch bewusst treffen können. Die notwendige
Markttransparenz für den gesundheitlichen Verbraucher-
schutz unterstützen wir durch die Projekte der Verbrau-
cheraufklärung im Ernährungsbereich.
Auch den wirtschaftlichen Verbraucherschutz un-
terstützen wir verstärkt. Stehen 2001 14,9 Millionen Euro
für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz zur Verfü-
gung, sind es 2002 16,8 Millionen Euro. Das sind 13 Pro-
zent mehr als 2001. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der
institutionellen Förderung der Verbraucherzentralen und
der Verbraucherverbände.
Die Verbraucherzentralen stehen einem gestiegenen
Beratungsbedarf gegenüber. Der elektronische Handel
wirft genauso wie die private Altersvorsorge neue Fragen
auf, bei denen die Verbraucherinnen und Verbraucher Be-
ratung wünschen. Wie können Verbraucherinnen und Ver-
braucher seriöse Geldanlagen erkennen? Können sie im In-
ternet sicher einkaufen? Daneben bleiben Fragen zum
Energiesparen, zum sinnvollen Versicherungsschutz und
zum Bauen unverändert aktuell. Wir sehen diesen Bera-
tungsbedarf und unterstützen daher den Bundesverband der
Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände verstärkt.
Mit der stabilen Förderung der Stiftung Warentest si-
chern wir den Fortbestand anbieterunabhängiger Infor-
mationen über Produkte und Dienstleistungen. Auch hier
leisten wir einen notwendigen Beitrag zur Markttranspa-
renz und setzen ein Gegengewicht zur Werbung der Her-
steller. Dies sichert die Qualität der Produkte, da diese
Tests vielfach Impulse für Produktverbesserungen sind.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Haushalt 2002 ist
geprägt davon, dass wir das Sparen und den Abbau der
Schulden zielgerichtet anstreben. Dennoch wird das Not-
wendige weiterhin finanziert, dennoch werden politische
Schwerpunkte gesetzt. Verbraucherpolitik hat nicht nur
Eingang in die Bezeichnung des Ministeriums gefunden,
sie findet sich auch in den Zahlen des Haushaltsplanes
wieder. Wir finanzieren eine leistungsfähige Verbraucher-
aufklärung.
Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, dass wir
diese finanzielle Unterstützung der Verbraucherpolitik in
Zukunft fortführen müssen. Im wirtschaftlichen Verbrau-
cherschutz wird der Beratungsbedarf nicht geringer wer-
den. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz müssen wir
sicherstellen, dass mit den neuen Behörden die bisherige
Ressortforschung nicht infrage gestellt wird.
Wir müssen ich bin mir sicher, dass wir dies auch tun
werden auch im nächsten Haushalt das Signal aussen-
den: Wir reden nicht nur vom Verbraucherschutz, sondern
wir stellen dafür auch die notwendigen Mittel bereit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118460
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Annette Widmann-
Mauz das Wort.
Sehr geehrte
Frau Kollegin Teuchner, nachdem Sie mich gefragt ha-
ben, ob ich die gleiche Unterlage habe wie Sie, und den
Eindruck vermitteln wollten, als würde ich mit alten
Haushaltsplänen arbeiten, möchte ich Ihnen für Ihre Ar-
beit und für die gemeinsame Arbeit im Ausschuss zur
Kenntnis geben, dass ich die Drucksache 14/6800 ver-
wende, nämlich den Bundeshaushaltsplan 2002, Einzel-
plan 10. In der Titelgruppe 684 21 sind die Zuschüsse
verzeichnet, die der Bundesverband der Verbraucherzen-
tralen und Verbraucherverbände erhält. Dort sind rund
21 Millionen DM für diese Arbeit eingestellt. Wenn Sie
dann in die Erläuterungen hineinschauen, dann stellen
Sie fest, dass dabei der Wirtschaftsplan eine Rolle spielt.
Wenn wir uns den Wirtschaftsplan ansehen, dann wird
schon deutlich, in welchem Maße den Verbraucher-
zentralen die Daumenschrauben angelegt werden. Es
geht darum, die Einnahmen der Verbraucherzentralen um
400 000 DM zu erhöhen und die Ausgaben um 4,4 Milli-
onen DM zu drücken. Das heißt, aus den 21,4 Milli-
onen DM werden in null Komma nichts nur noch
16,6 Millionen DM. Das müssen Sie den Menschen
draußen schon erklären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie haben
sich seit Ihrem Amtsantritt auf die Förderung des ökolo-
gischen Anbaus konzentriert und fast ausschließlich die-
sem Bereich Geld und Aufmerksamkeit gewidmet. Sie
sind nicht Ökoministerin, sondern Verbraucherminis-
terin.
Natürlich, die Landwirtschaft gehört auch mit dazu.
Das heißt, Ihre Aufmerksamkeit müssen Sie auch auf
viele andere Gebiete richten. Hier sehe ich große Ver-
säumnisse.
Wir haben grundsätzlich eine positive Einstellung zum
ökologischen Landbau. Aber es ist nicht Aufgabe des
Staates, eine Werbekampagne für das Ökosiegel in
Höhe von 15 Millionen DM in den Haushalt einzustellen.
Auf der anderen Seite erklären Sie zum Antrag der FDP,
die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen
und einen Kapitalstock aufzubauen, damit nicht erneut je-
des Jahr über die zuzuweisenden Mittel diskutiert werden
muss, dafür sei kein Geld vorhanden. Dieser Punkt ist ein
eklatantes Versäumnis Ihres Hauses und von Ihnen ganz
persönlich,
weil für uns die Arbeit der Stiftung Warentest eine Säule
der unabhängigen Verbraucherinformation ist. Sie ist
ganz wichtig.
Sie sprechen von Kontrolle und von Lebensmittel-
sicherheit. Hierzu muss ich Ihnen etwas sagen: Ich finde
es mehr als traurig und unverantwortlich, dass Rest-
bestände an Tiermehl aus dem Jahr 2000 über zehn Mo-
nate bei den Produzenten gelagert wurden, weil es
zwischen Bund und Ländern finanziell keine Einigung
gab. Der Raiffeisenverband schätzt diesen Bestand auf
64 000 Tonnen. Das ist eine ganze Menge. Dabei handelt
es sich möglicherweise um kontaminiertes Tiermehl. Hin-
ter das Thema Lebensmittelsicherheit kann ich bei Ihnen
nur ein Fragezeichen setzen.
Auf Bund- und Länderebene fehlen derzeit 2 500 Le-
bensmittelkontrolleure. Es gibt jedes Jahr 200 000 Le-
bensmittelerkrankungen, davon 80 000 Salmonellenin-
fektionen. Sie sprechen von Kontrollen. Wie soll das
kontrolliert werden? Wollen Sie die Kosten für Kontrol-
len von Waren mit dem Ökosiegel künftig den Ländern
aufdrücken? Sollen sie dafür sorgen, dass es zu einer ent-
sprechenden Kontrolle kommt? Wenn ein Lebensmittel-
kontrolleur für 1 400 Betriebe zuständig ist also Gast-
stätten, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte , dann ist
dies schlicht eine Überforderung. Es ist eine Farce, da von
Lebensmittelsicherheit zu sprechen.
Nächster Punkt: Energieberatung. Ich habe eine
große Zahl von Briefen von Verbraucherzentralen und
Verbraucherberatungsstellen erhalten, die um Hilfe bitten,
weil der Etat um 1,3 Millionen DM gekürzt werden soll.
Diese Maßnahmen betreffen insbesondere die Energiebe-
ratung für den ländlichen Raum. Das hat doch etwas mit
Ökologie zu tun.
Das passt doch nicht in Ihr grünes Konzept. Wir müssen
versuchen, den Verbraucherzentralen zu helfen, damit sie
auch in Zukunft Energieberatungen leisten können.
Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen: Ich finde
es beschämend, dass zu anderen Themen, wie Schuld-
rechtsreform oder Eurobargeldeinführung, nichts, aber
auch gar nichts aus Ihrem Ministerium zu hören oder zu
lesen ist. Das heißt: Verbraucherpolitik ist umfassend. Sie
haben sich ob Sie das nun wollen oder nicht auch um
diese Themen zu kümmern.
Die Liste der Versäumnisse ist sehr lang. Wir finden, es
reicht nicht, einfach nur zu sagen: alles Öko, sonst nichts.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18461
Sie werden damit den Ansprüchen der Verbraucher nicht
annähernd gerecht.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn man sich den Entwurf des
Agrarhaushalts für das Jahr 2002 ansieht, wünschte man
den Landwirten, dass jedes Jahr Wahljahr ist. Aber ich
denke, das sollten wir den Wählerinnen und Wählern lie-
ber nicht antun.
Die Aufstockung im Landwirtschaftshaushalt ist aller-
dings nur vorübergehend angelegt. Auch wenn das Ver-
braucherministerium von einem guten Kompromiss
spricht, bleibt die Frage, ob der Agrarhaushalt den Erfor-
dernissen der überschwänglich gepriesenen Agrarwende
auch tatsächlich gerecht wird. Eine Aufstockung des
Agraretats um 1 Prozent im nächsten Jahr ist vielleicht ge-
rade genug, um die Zuschüsse für die Stiftung Warentest
zu gewährleisten und die agrarsoziale Sicherung nicht
weiter sinken zu lassen. Es ist nicht mehr als der berühmte
Tropfen auf den heißen Stein.
Was liegt also im Argen? Ich nenne einige Beispiele:
Erstens. Wettbewerbsnachteile können nicht mit der
Gasölversteuerung oder der Senkung von Steuerfreibeträ-
gen ausgeglichen werden.
Zweitens. Finanzierungsnachteile in gartenbaulichen
Betrieben bleiben nach wie vor bestehen.
Drittens. In der Gemeinschaftsaufgabe sind die bisher
gewährten Ausgleichszulagen in benachteiligten Gebie-
ten zur Einkommensverbesserung in den letzten drei Jah-
ren ebenfalls drastisch gesunken.
Viertens. Gleiches gilt für die Anpassungshilfe für äl-
tere landwirtschaftliche Arbeitnehmer bei einem Arbeits-
platzverlust infolge von Rationalisierung ebenso wie für
die Förderung wasserwirtschaftlicher und kulturbautech-
nischer Maßnahmen.
Fünftens. Die Kofinanzierung der Gemeinschaftsauf-
gabe gestaltet sich insbesondere für die neuen Bundeslän-
der immer schwieriger. Die Finanzhilfen lassen sich im
Zuge des Sparzwangs nicht mehr in der erforderlichen
Höhe aufbringen, und der Bund zieht sich immer mehr aus
der Verantwortung zurück. Frau Ministerin Künast Sie
haben das vorhin auch kritisiert , vielleicht könnten Sie
sagen, woher die Länder das Geld für die Kofinanzierung
nehmen sollen.
Sechstens. Die Mittelkürzung für die BSE-Folgekosten
im Jahre 2001 reflektiert auch künftig auf die gesamte
Landwirtschaft, sodass schließlich alle Landwirte unver-
schuldet betroffen sein werden. Die Landwirtschaft
musste zwischen 1999 und 2002 zum Subventionsabbau
des Bundes im Umfang von 800 Millionen DM mehr als
die Hälfte beitragen. Dies führt im Gesamtwirtschaftsge-
füge zu einer einseitigen und ungerechten Belastung der
Landwirtschaft.
Fazit: Steuerreform, Ökosteuer, Reduzierung der
Gasölbeihilfe und bisherige Kürzungen im Bundesetat
treiben immer mehr Landwirte in den Ruin. Arbeits-
marktpolitische Maßnahmen greifen nicht oder sind als
Projekte auf dem Papier reine Makulatur. So stellt sich die
Frage: Wo ist der sozialpolitische Aspekt für den Erhalt
und den Ausbau von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum?
Wo spiegelt sich der multifunktionale Charakter der
Landwirtschaft in den Haushaltsansätzen wider? Modell-
regionen so schön es auch klingen mag entsprechen
wohl eher dem Charakter von Wettbewerbsprogrammen,
als dass wirklich Hunderte von Problemregionen im länd-
lichen Raum davon profitieren könnten.
Mit anderen Worten: Die Bundesregierung versucht
gewissermaßen mit dem Fahrrad einen Schnellzug zu ver-
folgen, und die Landwirte blicken in eine unsichere Zu-
kunft. Allein in Nordrhein-Westfalen sind in den vergan-
genen acht Jahren täglich im Schnitt fünf Betriebe den
Bach runtergegangen.
Die PDS plädiert daher für die Einstellung eines Titels
für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im ländlichen
Raum zur Schaffung gewerblicher außerlandwirt-
schaftlicher Arbeitsplätze; dies sollte in Verbindung mit
dem Wirtschaftsministerium geschehen.
Weiterhin fordern wir eine Neuauflage der Förderung der
Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und
der Produktionsaufgaberente. Außerdem plädiert die PDS
dafür, die Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete
wieder aufzustocken, um eine flächendeckende Landbe-
wirtschaftung auch in Zukunft zu ermöglichen.
Wir erwarten, dass aus der Gemeinschaftsaufgabe kein
Fördertatbestand gestrichen wird, und zwar weder die
Beihilfen für die Bewässerungswirtschaft oder den Wege-
bau noch die Milchleistungsprüfung oder die Anpas-
sungshilfen für ältere Landwirte. Darüber hinaus sind
Biogasanlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung wieder
mit einem Teilschuldenerlass zu fördern.
Dass der ökologische Landbau gefördert wird, ist posi-
tiv. Das neue Biosiegel ist da und bringt den Verbrauchern
mehr Information und Befähigung zur eigenen Entschei-
dung. Die Aufregung über die niedrigen Standards der
EG-Öko-Verordnung verliert ihr Gewicht, denn die Zei-
chen der anerkannten Aufbauverbände können zusätzlich
zu dem neuen Siegel verwendet werden. Um zu verhin-
dern, dass das neue Siegel zum Scheitern verurteilt ist, ist
unseres Erachtens eine Aufklärungskampagne in der Di-
mension notwendig, wie sie die CMA jetzt wieder für
Fleisch startet.
Meine Damen und Herren, die Agrarwende ich wichtig
und richtig. Landwirte, die sich im Rahmen der gültigen
Fachgesetze auf der Grundlage der guten fachlichen Pra-
xis bewegen, dürfen aber nicht grundsätzlich von der För-
derung ausgeschlossen werden. Förderausschlüsse brin-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Gudrun Kopp
18462
gen Zwist und spalten die Bauernschaft. Entweder besteht
Handlungsbedarf bei den Fachgesetzen oder es sollte zu-
erst der Prüfungs-, Beratungs- und Entscheidungsbedarf
über neue Fördergrundsätze abgeschlossen sein, sodass
über den Haushaltsplan entschieden werden kann. Letzt-
endlich weiß man ja nicht, worüber man abstimmt.
In den kommenden Haushaltsberatungen muss erreicht
werden, dass sich die künftigen Herausforderungen an die
Agrarpolitik auch im Haushalt widerspiegeln. Ich kann
nur hoffen, dass die Koalitionsfraktionen für Veränderun-
gen offen sind.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Gustav Herzog für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetz-
entwurfes zur Einführung und Verwendung eines Kenn-
zeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus in
den Deutschen Bundestag setzt die Koalition ein deutli-
ches Zeichen der Neuorientierung der Agrarpolitik.
Das neue Biosiegel ist entwickelt und muss dem Ver-
braucher nun in einer groß angelegten Informations-
kampagne bekannt gemacht werden. Hierfür werden im
nächsten Jahr 7,7 Millionen Euro im Agrarhaushalt be-
reitgestellt. In den letzten Tagen ist sehr häufig die Frage
gestellt worden, warum wir überhaupt ein neues Biosie-
gel benötigen. Tatsache ist, dass derzeit schon rund
100 verschiedene Biomarkenzeichen bundesweit um die
Verbrauchergunst konkurrieren. Allein neun Anbauver-
bände wie Bioland und Demeter arbeiten nach eige-
nen Qualitätskriterien. In diesem Kennzeichendschungel
die Übersicht zu behalten, kann dem Verbraucher wohl
niemand auf Dauer abverlangen.
Für die Mehrheit der Konsumenten heißt das Resultat
Verunsicherung: Warum soll ich für meine Lebensmittel
eigentlich mehr bezahlen, wenn ich mir nicht sicher sein
kann, was drin ist? Das neue Siegel soll hier Klarheit
schaffen. Der Blick in andere Länder zeigt, dass einheitli-
che staatliche oder verbandsübergreifende Dachwaren-
zeichen für Ökolebensmittel die Konsumsicherheit für
Verbraucher deutlich erhöhen können und somit zu einem
erfolgreichen Absatz der Produkte führen. Als eine Art
Über-Siegel kann es in Deutschland für alle Produkte
des ökologischen Landbaus verwendet werden, die min-
destens nach den Kriterien der EG-Öko-Verordnung her-
gestellt werden.
Das klingt einfach, ist einfach, und gerade in dieser
Einfachheit liegt auch der innovative Ansatz.
Wenn wir für Ökoprodukte tatsächlich den Durchbruch
aus der Nische heraus schaffen wollen,
dann geht es auch nicht an dem Ort vorbei, wo 80 Prozent
unserer Lebensmitteleinkäufe getätigt werden: dem kon-
ventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Nur ein Siegel
mit einfachen Regeln, die sich dem Verbraucher schnell
und glaubhaft erschließen, hat auf diesem Markt eine
Chance.
Das bedeutet: Öko rein in die Supermärkte und möglichst
auch in die Discountermärkte.
Wir sprechen hier nicht über ein kleines Alibi-Ökosor-
timent, vorzugsweise in einem Holzregal präsentiert und
in irgendeiner Ladenecke versteckt. Ziel ist es vielmehr,
ein gleichwertiges Nebeneinander von Ökoprodukten und
konventionellen Erzeugnissen zu schaffen. Öko darf nur
einen Handgriff entfernt von anderen Markenprodukten
in den Regalen stehen.
Der Verbraucher soll die Wahl treffen.
Wenn er sich für das Ökoprodukt entscheidet, dann soll er
auch auf Anhieb erkennen können, dass dort wirklich Öko
drin ist.
Das Biosiegel schafft unverwechselbare Einheitlich-
keit, Klarheit und Orientierung. Und da gebe ich Ihnen
Recht : Es ist kein leichter Schritt in den konventionel-
len Lebensmitteleinzelhandel. Wir haben es hier mit ei-
nem anspruchsvollen und machtvollen Marktpartner zu
tun. In diesem hart umkämpften Markt agiert niemand aus
Gründen des Idealismus, zum Wohl der Menschen und
der Umwelt. Das Motto lautet hier: größer, weiter, zentra-
listischer. Es darf nur derjenige mitmachen, der sich in
diesen Strukturen behaupten kann. Auch diese Gefahr
darf in dieser Debatte nicht verschwiegen werden.
Aber an der Entstehung des neuen Biosiegels wurden
alle Akteure des berühmten magischen Sechsecks betei-
ligt, auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel.
Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Op-
position, ist der eigentliche Sieg der Ministerin in dieser
Angelegenheit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Kersten Naumann
18463
Im Ergebnis konnte man sich auf ein einheitliches Sie-
gel einigen. Bisher war es nicht gelungen, ein übergeord-
netes Ökokennzeichen zu kreieren, das branchenübergrei-
fend auf einen so breiten Konsens, eine so große
Akzeptanz trifft. Vielmehr das füge ich kritisch hinzu
ist bisher jeder Versuch einer Vereinheitlichung an den Ei-
geninteressen von Anbauverbänden und Herstellern ge-
scheitert, die ihre eigenen Qualitätsmaßstäbe als der
Weisheit letzter Schluss ansahen.
Schmeckt das neue Biosiegel nun zu sehr nach Kom-
promiss, weil die Kriterien der EG-Öko-Verordnung in
einigen Bereichen unterhalb der deutschen AGÖL-Richt-
linien liegen? Nein! Hier frage ich mich, wie Sie, Frau
Kollegin Widmann-Mauz, dazu kommen, dass die Orien-
tierung an einem EU-Standard ein nationaler Alleingang
sei. Diese Logik verschließt sich mir.
Eine Orientierung an den Kriterien der EG-Öko-Ver-
ordnung ist keinesfalls nur ein Kompromiss, sondern
dient in einer sehr konsequenten Art und Weise dem Ziel,
die Nachfrage nach Ökoprodukten in einem Maße zu stei-
gern, dass eine kontinuierliche Ausweitung des Ökoland-
baus als gesichert angesehen werden kann und dass eine
Umstellung der Betriebe auf Ökolandbau Perspektiven
für die deutsche Landwirtschaft bietet.
Forschungsergebnisse besagen, dass künftig nicht die
Nachfrage nach Ökolebensmitteln den begrenzenden
Faktor für die Marktentwicklung darstellt. Dieser wird
eher in der Angebotsseite und vor allem darin gesehen,
dass die Angebotsstruktur der Produkte den Verbraucher-
wünschen nicht entspricht. Der Absatz der Produkte über
den traditionellen Lebensmitteleinzelhandel bietet hier
neue Chancen. Wir reden hier in der Tat von neuen Chan-
cen, während die Opposition in der Regel nur Bedenken-
träger war und Ängste verbreitet.
Hierfür ist jedoch eine zusätzliche Professionalisierung
notwendig, die im bisher klein strukturierten Ökomarkt so
nicht erforderlich war. Das wird eine Herausforderung
darstellen.
Eine wichtige Voraussetzung für eine Kooperation mit
dem konventionellen Handel ist aber eine ausreichende
Sortimentsbreite. Dieser breite Einstieg kann derzeit nur
über den Standard der EG-Öko-Verordnung realisiert
werden. Frau Ministerin, ich kann Ihnen die Unterstüt-
zung der SPD-Fraktion versichern,
wenn es darum geht, gemeinsam zu versuchen, die Stan-
dards in Europa nach oben zu bewegen.
Mit dem neuen Biosiegel geben wir dem Verbraucher ein
hilfreiches Instrument an die Hand. Jetzt appellieren wir an
die Mündigkeit des Verbrauchers. Ist das Siegel erst auf dem
Produkt, dann kann die Verbraucherin bzw. der Verbraucher
über den Einkaufskorb Einfluss auf landwirtschaftliche Pro-
duktionsweisen nehmen und damit die Umwelt besser
schützen und die Landwirtschaft besser verdienen lassen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Josef Hollerith für die Frak-
tion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten ist ein
Minister bzw. eine Ministerin nach der Berufung von den
Medien mit so vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet
worden wie Frau Künast nach dem 12. Januar 2001.
Nach rund acht Monaten ihrer Amtszeit stellen wir fest:
Der Lack ist ab, sie ist von den Realitäten des Haushalts
und von den Einstimmigkeitserfordernissen beim europä-
ischen Agrarrat eingeholt worden, die Lücke zwischen
Anspruch und Wirklichkeit wird größer, die Landwirte,
die ohnehin nichts von ihr erwartet haben, sind zuneh-
mend darüber verbittert, dass sie Agrarpolitik nicht nach
den sachlich-pragmatischen Erfordernissen des europä-
ischen Binnenmarktes, sondern ideologisch durch ihre
grün gefärbte Brille gestaltet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Berufs-
stand ist auch darüber verbittert, dass sie einen Keil zwi-
schen die Bauern treibt,
indem sie zwischen den vermeintlich Guten, die ökolo-
gisch wirtschaften, und den vermeintlich Schlechten, die
konventionelle Landwirtschaft betreiben, unterscheidet.
Dies ist falsch, denn wir brauchen beide Richtungen. Der
Verbraucher entscheidet durch seine Kaufentscheidung
jeden Tag darüber, was wie und wo produziert wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Gustav Herzog
18464
Das ist schlicht eine Beleidigung zehntausender bäuer-
licher Betriebe, die über Jahrzehnte nachhaltig und kon-
ventionell gesunde Nahrungsmittel höchster Qualität
produziert haben, was wir daran sehen, dass die Lebens-
erwartung der Menschen, die diese Nahrungsmittel ge-
gessen haben, ansteigt.
Betrachten wir den ersten Haushalt, den Frau Ministe-
rin Künast zu verantworten hat, so stellen wir fest, dass
das Soll im Haushaltsansatz für das Jahr 2002 gerade ein-
mal um 109 Millionen DM auf rund 11,068 Milli-
arden DM ansteigt. Das ist ein völlig unzureichender An-
satz, um die gigantischen Herausforderungen der durch
BSE, MKS und die daraus resultierenden Folgekosten ge-
beutelten Landwirtschaft zu bewältigen.
Ich möchte Sie insbesondere auf zwei Beispiele für die
Widersprüchlichkeit rot-grüner Agrarpolitik hinweisen.
Erstes Beispiel: Sie haben den Verbraucherschutz auf
europäischer Ebene nicht durchgesetzt.
Fettaustauscher, die bei uns in der Tiermast verboten
sind, werden um uns herum in der Mast von Hähnchen,
von Truthähnen, von Gänsen und Enten massenweise ver-
wendet. Genau diese Produkte konkurrieren auf dem
deutschen Markt mit den Produkten unserer Landwirt-
schaft und werden zu Weihnachten von den Verbrauchern
gekauft werden.
Mit Ökosiegel. Das ist Täuschung der deutschen Ver-
braucher.
Ein zweites Beispiel für die Widersprüchlichkeit rot-
grüner Politik: Sie verraten erneuerbare Energien.
Durch Ihre falschen Beschlüsse lasten 400 Milli-
onen DM Ökosteuer auf den erneuerbaren Energien.
Trotzdem hat Ihr Amtskollege im Kabinett in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion die ohnehin geringen Zu-
schüsse von 12,5 Prozent der Investitionskosten bei Bio-
gasanlagen von heute auf morgen abgeschafft. Er hat da-
mit Planungssicherheit beseitigt und gegen die grüne
Programmatik verstoßen, die vorsieht, dass Sie erneuer-
bare Energien fördern wollen.
Wir wollen Ihnen in den weiteren Beratungen dieses
Haushaltes gern die Hand reichen, damit Sie diese falsche
Entscheidung rückgängig machen können.
Der Fördersatz von 12,5 Prozent bedeutet, dass bei je-
der Investition von 100 DM gerade einmal 12,50 DM ge-
fördert werden, aber gleichzeitig 16 DM Mehrwertsteuer
in die staatlichen Kassen fließen. Daran erkennen Sie,
dass zum einen der Fördersatz zu gering ist und sich zum
anderen ein solches Programm aus sich selbst heraus fi-
nanziert. Diese Entscheidung des Wirtschaftsministers
war also auch volkswirtschaftlich höchst unsinnig und wi-
dersprüchlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Schluss-
teil meiner Rede gehe ich auf die besonders dramatische
Situation der Rindermäster ein, die von BSE betroffen
sind. Ich stelle fest: Der bäuerliche Berufsstand ist an BSE
am wenigsten schuld; gleichwohl hat er die Lasten dafür
zu tragen. Vergleicht man den Preis, der vor der BSE-
Krise für Rindfleisch erzielt wurde, mit dem jetzigen
Preis, so erkennt man, dass der Bauer pro Kilogramm
Schlachttier 1 DM verliert. Die Hälfte dieses Verlustes ist
marktbedingt; die andere Hälfte ist durch Kosten bedingt,
die aufgrund der BSE-Gefahr entstehen: durch den BSE-
Test, durch die Herausnahme des Risikomaterials, durch
die höheren Entsorgungskosten für das Konfiskat und für
die Knochen, durch den Wertverlust des fünften Fer-
kels, sprich: der Innereien. Diesen Verlust muss allein
der Landwirt schultern.
Wenn wir heute über innere Sicherheit reden, so ist ein
Analogieschluss zur Lebensmittelsicherheit erlaubt.
Beide Sicherheitsbegriffe betreffen den Menschen. Hin-
sichtlich der inneren Sicherheit betrachten wir es als
selbstverständlich, dass die Mehrkosten etwa durch
Kontrollen vom Steuerzahler getragen werden und die
Fluggesellschaften den Verlust durch den Rückgang der
Fluggastzahlen tragen.
Darum ist es völlig logisch und gerecht, dass die Kos-
ten für die Sicherheit der Nahrungsmittel zum einen von
der Allgemeinheit der Steuerzahler getragen werden, was
die BSE-bedingten Mehrkosten angeht, um die Lebens-
mittelsicherheit zu erhöhen, dass auf der anderen Seite
aber auch um die Analogie zum Flugverkehr aufrecht-
zuerhalten die Bauern die Belastungen des Verbrauchs-
rückgangs schultern müssen. Darum fordern wir ein, dass
der Staat, die Gemeinschaft der Steuerzahler, die innere
Sicherheit genauso behandelt das unterstützen wir
wie die Lebensmittelsicherheit,
die Kontrolle der Nahrungsmittel auf BSE. Mit unseren
Anträgen wollen wir sicherstellen, dass in den Beratungen
den BSE-gebeutelten Bauern durch vernünftige Anträge
ein Stück weit bessere Chancen und bessere Perspektiven
für ihre Existenz gegeben werden.
Wir werden Sie von der Regierung daran messen, inwie-
weit Sie unseren Anträgen folgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzin-
tervention erteile ich jetzt Herrn Kollegen Dr. Gerald
Thalheim das Wort.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Josef Hollerith
18465
Herr Kollege Hollerith,
zum Thema Verbraucherschutz habe ich selten so viel
Heuchelei gehört wie von Ihnen und von Ihren Kollegin-
nen und Kollegen in dieser Debatte.
Sie haben uns eben vorgeworfen, wir hätten uns bei der
Umsetzung europäischer Richtlinien oder bei dem Thema
Milchaustauscher nicht durchgesetzt.
Genau vor einem Jahr, am 1. Oktober 2000, ist das Verbot
des Risikomaterials Gesetz geworden. Vielleicht denken
Sie alle einmal daran zurück, welche Reden hierzu gehal-
ten worden sind dass das viel zu weit gehe, dass das der
Untergang der deutschen Landwirtschaft sei. Für diejeni-
gen, die sich unter Risikomaterial nichts vorstellen kön-
nen, füge ich hinzu: Da geht es um Gehirn, da geht es um
alles, was drum herum ist, das heißt um jene Körperteile
der Rinder, von denen tatsächlich eine Gefahr ausging.
Das bedeutet: Im vergangenen Jahr haben wir zum
Stichwort Verbraucherschutz das Mindeste dessen ge-
macht, was man erwarten konnte.
Herr Kollege Hollerith, Ihre Parteifreundin, die Minis-
terin Stamm, hat diese Heuchelei den Ministerposten
gekostet. Wenn Sie weiter so agitieren, kann es passieren,
dass Ihnen im nächsten Jahr Ähnliches geschieht.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Kollege Hollerith, bitte.
Herr Kollege, Herr
Staatssekretär Thalheim, ich finde es sehr erfreulich, dass
Sie sich von der Regierungsbank auf die Abgeordneten-
bank begeben haben, um Ihre parlamentarischen Mög-
lichkeiten wahrzunehmen.
Ich stelle erstens fest: Von mir haben Sie eine solche
Aussage bezüglich Risikomaterial nicht gehört.
Zweitens stelle ich fest, dass in der damaligen Diskussion
Herr Bundeslandwirtschaftsminister Funke, der heute
nicht mehr im Amt ist, und der Landwirtschaftsminister
von Niedersachsen die gleiche Position vertreten haben.
Ich behaupte nicht, dass das richtig war. Ich stelle nur
fest, weil der Herr Kollege Thalheim diese Frage gestellt
hat, dass ich diese Position hier nicht vertreten habe, und
ich stelle fest, wer sie sonst noch in den Reihen der SPD
vertreten hat. Dieses Spiel lässt sich fortsetzen.
Drittens stelle ich fest, dass die Fettaustauscher in
Deutschland zu Recht verboten sind. Ich stelle weiter fest,
dass sie in allen übrigen europäischen Ländern nach wie
vor verwendet werden, und ich stelle darüber hinaus fest,
dass die Tiere, die mithilfe dieser bei uns verbotenen Fett-
austauscher gemästet werden, reichhaltig nach Deutsch-
land exportiert werden und hier zulasten des Verbrau-
cherschutzes massenweise verzehrt werden,
wie ich hinzufügen möchte: unter Belastung der Wettbe-
werbsbedingungen der deutschen Landwirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Werte
Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hollerith, Ihren Ausführungen soeben möchte ich für das
Publikum hinzufügen, dass Teile Ihrer Fraktion damals
gegen das Verbot der Verfütterung von Tierfetten ge-
stimmt haben. Wenn die Diskussion so heuchlerisch ge-
führt wird, wie es von Ihrer Seite aus hier teilweise ge-
schehen ist und immer noch geschieht, dann brauchen wir
uns nicht zu wundern, dass bisher ein generelles Verfütte-
rungsverbot auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar
gewesen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lemke,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?
Ja.
Frau Kollegin Lemke,
weil Sie das Abstimmungsverhalten einzelner Kollegen
unserer Fraktion bezüglich des Verbotes der Verfütterung
von Tierfetten angesprochen haben: Würden Sie zur
Kenntnis nehmen, dass wir in breiter Mehrheit zuge-
stimmt haben? Ich persönlich habe dagegen gestimmt,
weil damit auch Fette verboten wurden, die für den
menschlichen Verzehr zugelassen waren. Das kann nicht
in den Sinn des Gesetzes passen. Mittlerweile haben Sie
selbst Ihre eigene Verordnung zum Fischmehlverbot wie-
der zurückgenommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118466
Ge-
fragt war nichts, das ist schon okay. Ich kann trotzdem da-
rauf antworten.
Es ging mir nicht darum, darzustellen, dass Ihre Fraktion
geschlossen gegen das Verbot der Verfütterung von Tier-
fetten gestimmt hat. Hätten Sie sorgfältig zugehört, hätten
Sie meine Differenzierung auch bemerkt. Ich habe darauf
abgezielt, dass es, so wie die Diskussion hier geführt wird
und damals geführt worden ist, kein Wunder ist, dass wir
auf europäischer Ebene noch nicht weiter sind.
Wenn sich diese Form der Diskussion bei der Frage, ob
das Fett der geschlachteten Tiere verfüttert werden soll
oder nicht, hindurchzieht und wenn wir nicht zu einer
sachlichen und fairen Diskussion miteinander kommen,
dann werden wir kein umfassendes Verfütterungsverbot
erreichen; denn man kann natürlich immer mit Wirt-
schaftlichkeitsaspekten argumentieren. Es ist selbstver-
ständlich wirtschaftlich sinnvoller, das Tierfett zu verfüt-
tern.
Jetzt bin ich dabei, seine Frage zu beantworten. Hört da-
bei eine Sekunde zu!
Eines möchte ich noch anfügen: Wenn wir beim Thema
BSE auch über die Frage, was die Ministerin bisher an Er-
forschung geleistet oder nicht geleistet hat, diskutieren
wollen, dann muss ich sagen: Da bin ich einmal auf den
bayerischen Beitrag in dieser Frage gespannt. Wir sollten
einmal zu der Frage kommen, was die Ursachen dafür
sind, dass über die Hälfte aller bisherigen BSE-Fälle in
Bayern aufgetreten ist.
Ich komme zurück zur Debatte über den Haushalt für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für das
Jahr 2002. Wir setzen mit diesem Haushalt Zeichen für die
Neuorientierung der Agrarpolitik und der Verbraucher-
schutzpolitik, indem wir eine Umschichtung der Mittel im
Haushalt und auch eine Erhöhung der Mittel für den Be-
reich Verbraucherschutz, für umweltgerechte Landwirt-
schaft, für tierartgerechte Landwirtschaft, aber auch für
Sozialpolitik im ländlichen Raum und für die Sicherung
der Einkommen der Landwirte beschließen.
Ich will zu diesen einzelnen Punkten einige Ausführun-
gen machen und fange mit dem Verbraucherschutz an.
Der Verbraucherschutzetat im Bereich des Agrar- und Ver-
braucherschutzministeriums wird in verschiedenen Punk-
ten aufgestockt. Frau Widmann-Mauz, Sie haben den ei-
nen Titel hier erwähnt und haben berechnet, dass dort
keine Erhöhung erfolgt. Man muss aber den Haushalt,
wenn man ihn lesen will, vollständig lesen und darf sich
nicht nur einzelne Titel herausnehmen. Hätten Sie das ge-
tan, dann hätten Sie festgestellt, dass im Verbraucher-
schutzbereich keine Reduzierung eintritt. Erstens wird so-
wohl im Bereich der institutionellen Förderung von
Verbraucherschutz eine Erhöhung um 2,5 Millionen DM
vorgenommen. Zweitens wird eine Aufstockung der Stel-
len für die Institutionen im Verbraucherschutz vorgenom-
men, und zwar nicht nur im Ministerium, sondern auch
bei den Verbänden. Wir stellen zusätzlich zusätzlich!
Mittel für die Projekte zur Verfügung, nachdem die insti-
tutionelle Förderung aufgestockt worden ist.
Die Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, sind
nicht richtig. Ich denke, dass wir das in der Diskussion im
Ausschuss noch klarstellen können, wenn wir uns über
den gesamten Haushalt und nicht über Detailinformatio-
nen aus einem einzelnen Haushaltstitel unterhalten.
Ich glaube, dass klar ist, dass mit diesem Haushalt eine
Stärkung des Verbraucherschutzes erfolgen musste und
auch erfolgt. Ich wäre für konstruktive Vorschläge seitens
der Opposition in diesem Bereich wesentlich dankbarer
als für eine Kritik, die sich lediglich darauf beschränkt,
dass in einzelnen Punkten dieses oder jenes nicht so pas-
siert ist, wie Sie das gerne vorgeschlagen hätten, ohne
eine Gegenfinanzierung dafür vorlegen zu können.
Zum Bereich der umwelt- und tierartgerechten
Landwirtschaft. Wir haben das nicht auf den Ökoland-
bau beschränkt. Ich bitte Sie noch einmal ich habe das
von dieser Stelle aus schon des Öfteren getan , aufzu-
hören, eine ideologische Diskussion Konventionell ge-
gen ökologisch zu führen.
Hören Sie einmal zu. Haben Sie, Frau Kopp, die einfa-
che Tatsache zur Kenntnis genommen, dass wir ein Ak-
tionsprogramm zur Stärkung des ökologischen Landbaus
auflegen, wie es in dieser Woche Herr Deß, ich will auf
Bayern eingehen der Bayerische Bauernverband gefor-
dert hat? Er hat vorgeschlagen, die Haushaltsmittel in den
Bereichen Forschung, Stärkung der Umstellungsberatung
etc. aufzustocken. Ich finde, dass es richtig ist, was der
Bayerische Bauernverband vorgeschlagen hat. Wenn die
FDP das aber zum Anlass nimmt, hier von Ökodiktat zu
sprechen, dann muss ich Ihnen erstens sagen, dass Sie keine
Ahnung von Diktat haben. Zweitens ist es vollkommen un-
angemessen, auf eine sinnvolle Forderung, die inzwischen
von weiten Kreisen der konservativen Bauernschaft erho-
ben wird, mit solchen Schlagworten zu reagieren.
Wir werden den ökologischen Landbau unterstützen.
Das Ökosiegel, das die Ministerin vorgestellt hat den
entsprechenden Gesetzentwurf beraten wir heute mit,
wird zu einer deutlichen Ausweitung des ökologischen
Landbaus führen, und es wird vor allem für die Verbrau-
cher mehr Transparenz beim Kauf von Produkten aus
ökologischem Landbau schaffen. Wir haben uns natürlich
bei der Frage, wie das Siegel ausgestaltet werden soll, ge-
stritten. Es gab dazu verschiedene Auffassungen. Wir
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18467
haben aber einen vernünftigen Vorschlag unterbreitet, und
wir werden auch das, was auf europäischer Ebene bisher
nicht ausreichend geregelt ist, in Zukunft vernünftig re-
geln. Dabei können Sie uns ja unterstützen, wenn Sie es
mit Ihren Forderungen ernst meinen.
Das Wichtigste ist aber, dass wir ein Ökosiegel vorge-
legt haben, das man in den Regalen finden wird und das
nicht in Schreibtischschubladen vergammelt, wie das bis-
her der Fall war.
Wir werden darüber hinaus im Bereich der tierart- und
umweltgerechten Landwirtschaft die Haushaltsmittel ver-
stärken. Ich bedaure zutiefst, dass es aufgrund des Wider-
standes von Bundesländern, aber auch aus dem Bauern-
verband heraus nicht gelungen ist, die Modulation, die für
den Agraretat in bestimmten Bereichen der Landwirt-
schaft mehr Haushaltsmittel bedeutet hätte, bereits im
Jahre 2002 beginnen zu lassen, sodass sie jetzt erst im
Jahre 2003 beginnen wird.
Wir werden das trotzdem tun.
Wir werden damit Akzente für die Stärkung von Umwelt-
aspekten in der Landwirtschaft setzen.
Betrachten wir das, was in den USA im Hinblick auf
Green-Box-Maßnahmen bei der WTO und im Hinblick
darauf, dass auch die Vereinigten Staaten jetzt davon aus-
gehen, dass die Förderung dieses Bereichs gestärkt wer-
den muss, an vorsichtigen Akzentuierungen in der De-
batte zu vernehmen ist, so bin ich sehr zuversichtlich, dass
wir auf europäischer und internationaler Ebene ein gutes
Stück vorankommen werden.
Bezüglich der Sicherung des Einkommens der Land-
wirte möchte ich noch einen Bereich ansprechen. Das sind
die erneuerbaren Energien. Wir werden im Gegensatz zum
Regierungsentwurf eine Aufstockung der Mittel für die
erneuerbaren Energien vornehmen. Ich glaube, dass wir
wenigstens in diesem Punkt gemeinsam voranschreiten
können, weil das, was Rot-Grün mit dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz und dem Marktanreizprogramm vorge-
legt hat, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die
Einkommen der Landwirte gut ist.
Wir werden für die Landwirtschaft neue Einkommens-
möglichkeiten eröffnen. Wir werden den Sozialetat der
Landwirtschaft weiter stärken, und wir werden außerdem
die Neuorientierung der Agrarpolitik, die bezüglich der
tierart- und umweltgerechten und der ökologischen Land-
wirtschaft dringend notwendig ist, einleiten.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Marita Sehn für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Eigentlich müsste der heutige Tag
ein Glückstag für die Landwirtschaft sein. Schließlich
wird der Agrarhaushalt um 150 Millionen DM aufge-
stockt. Doch bei genauerem Hinsehen bestehen berech-
tigte Zweifel, ob die Gelder in ihrer Gesamtheit sinnvoll
verwendet werden.
Es stimmt bedenklich, dass die Bundesregierung, Frau
Lemke, noch immer keine Einzelheiten zu den Inhalten
des Bundesprogramms Ökolandbau nennt, oder sollte
ich sagen: nennen kann.
Vielleicht wissen Sie selber noch nicht genau, was Sie
wie fördern wollen. 68 Millionen DM in 2002 und 68 Mil-
lionen DM in 2003 sind ein bisschen viel Geld für eine
Katze im Sack, auch wenn auf diesem Sack Ökoland-
bau steht.
Das Bundesprogramm Ökolandbau bleibt genauso
im Dunkeln wie die gesamte Agrarwende, die das habe
ich eben gehört angeblich schon da ist. Aber ich habe sie
leider noch nicht gesehen. Ich erinnere mich noch gut an
den Anfang dieses Jahres, als uns das Ende der Landwirt-
schaftspolitik alten Typs, die so genannte Agrarwende,
und ein magisches Sechseck angekündigt wurden. Das
einzige Sechseck, das Sie bislang zustande gebracht ha-
ben, ist ein Aufkleber für Ökolebensmittel und der ist al-
les andere als magisch.
Mithilfe der Modulation wollten Sie eine komplette
Neuorientierung der Agrarpolitik erreichen. 6 Prozent der
Direktbeihilfen sollten in Fördermittel für den ländlichen
Raum umgewandelt werden. Bereits 2002 wollten Sie mit
der Modulation beginnen.
Nun bezieht sie sich auf 2 Prozent der Direktbeihilfen
und kommt erst 2003. Obendrein gibt es einen Freibetrag
von 20 000 DM. Damit wird den einen geschadet, ohne
dass jemandem geholfen wird. Die Modulation, liebe
Heidi Wright, ist auf keinen Fall ein geeigneter Weg, die
deutsche Landwirtschaft auf die EU-Osterweiterung und
die bevorstehende Welthandelsrunde vorzubereiten.
Landwirtschaft und Gartenbau brauchen vergleichbare
Wettbewerbsbedingungen in Europa. Davon sind wir
meilenweit entfernt. Warum dürfen zum Beispiel deut-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Steffi Lemke
18468
sche Bauern nicht die gleichen Pflanzenschutzmittel wie
ihre europäischen Kollegen einsetzen?
Die Bundesregierung sagt: Aus Gründen des vorsorgen-
den Verbraucherschutzes. Aber worin besteht der vor-
sorgende Verbraucherschutz, wenn entsprechend behan-
delte Nahrungsmittel problemlos auf den deutschen
Markt gelangen können? Frau Künast ist auf dem besten
Wege zu einer Exportgehilfin für europäische Konkur-
renzprodukte zu werden.
Sie wendet sich damit gegen unsere Bauern, gegen die
ländliche Bevölkerung und letztendlich auch gegen die
Verbraucher. Denn in unsere Kühe kommen vielleicht nur
Getreide, Wasser und Gras. Aber was ist mit den Kühen in
anderen Ländern? Vielleicht sollte man die Bundesregie-
rung öfter daran erinnern: Wer Ja zu Europa sagt, der muss
auch Ja zu einer gemeinsamen Agrarpolitik sagen und kann
nicht bei jeder Gelegenheit sein eigenes Süppchen kochen.
Die FDP lehnt die massive Förderung des ökologi-
schen Landbaus am Markt vorbei ab. Wenn mehr Ökole-
bensmittel produziert als nachgefragt werden, dann wer-
den zunächst einmal die Preise sinken. Die Leidtragenden
werden die ökologisch wirtschaftenden Betriebe sein.
Deshalb ist es wichtig, dass sich Angebot und Nachfrage
in gleichem Maße entwickeln können. Warum soll man
dem Markt nicht das überlassen, was er viel schneller, bil-
liger und besser als die Politik kann, nämlich Angebot und
Nachfrage in Einklang zu bringen?
Auch der jetzt vorliegende Agrarhaushalt ist zu 70 Pro-
zent ein Sozialhaushalt. Er beschäftigt sich vorrangig mit
der sozialverträglichen Abwicklung der Landwirtschaft.
Dagegen hilft auch keine Agrarwende. Im Gegenteil:
Wenn jetzt 180 Millionen DM an zusätzlichen Sozialkos-
ten auf den Agrarhaushalt zukommen, dann spricht dies
eine deutliche Sprache.
Den Landwirten fehlen eine ökonomische Perspektive
und jegliches Vertrauen in die Politik.
Aber wie können unsere Landwirte auch Vertrauen in eine
Ministerin haben, die sie wie Frau Künast in einem Inter-
view mit der Zeitung Die Zeit der Wasserverseuchung
durch Gülle bezichtigt? Mit Verlaub: Blödsinn bleibt
Blödsinn, auch wenn er von einer Ministerin stammt.
Die Menschen in unserem Land sehen die Agrarwende
längst als das an, was sie ist: ein Märchen mit dem Titel
Der Künast neue Kleider. Auch ein Biosiegel reicht
nicht aus, um die Blöße der Ministerin zu verdecken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Matthias Weisheit für die Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Ge-
schätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsent-
wurf des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft weist für das kommende
Jahr eine Steigerung von 109 Millionen DM auf. Das ist
angesichts der Haushalte der vergangenen Jahre durchaus
ein positives Signal;
denn die Übertragung der Kosten für den Agrardiesel, die
dieses Jahr mit 375 Millionen DM noch im Einzelplan 10
aufgeführt sind, hätte eigentlich zu einer Senkung der
Ausgaben für die Landwirtschaft führen müssen. Tatsäch-
lich wurde der Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe um
130 Millionen DM auf 1,845 Milliarden DM erhöht.
Die Erhöhung des Mittelansatzes für Modell- und De-
monstrationsvorhaben von 7 Millionen DM auf 31 Milli-
onen DM und das neue Bundesprogramm Ökolandbau,
für das 68 Millionen DM veranschlagt sind, versetzen uns
in die Lage, neue, positive Entwicklungen in der deut-
schen Landwirtschaft einzuleiten.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann
ich in diesem Zusammenhang durchaus Zufriedenheit
zum Ausdruck bringen; denn das Ziel der Konsolidierung
des von Ihnen, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, zerrütteten Staatshaushaltes bleibt oberste Prio-
rität. Mehrausgaben können sich daher nur in einem be-
scheidenen Rahmen bewegen.
Das werden Sie immer wieder hören müssen.
Wir müssen in den Haushalt jedes Jahr 80 Milliarden DM
für die Tilgung von Zinsen einstellen. Ich sähe es furcht-
bar gern, wenn ein Teil dieses Betrags für den Agrarhaus-
halt zur Verfügung stünde; das wäre wunderbar. Wir
könnten dann alle Ihre Wünsche erfüllen.
Mit den zusätzlichen Mitteln werden wir, wie die Bun-
desministerin ausgeführt hat, längst überfällige neue Pri-
oritäten setzen. Multifunktionale Landwirtschaft und
ländliche Entwicklung sind Schlagwörter, die wir durch
Modellvorhaben in 15 Regionen mit Leben erfüllen wol-
len.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Weisheit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hollerith?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Marita Sehn
18469
Nein, heute nicht. Wir sind
ohnehin schon weit über die Zeit.
Was die verbraucherorientierte nachhaltige Produktion
und die Vermarktung hochwertiger und gesunder Nah-
rungsmittel bzw. den Aufbau regionaler Verarbeitungs-
und Vermarktungsstrukturen angeht, lohnt sich ein Blick
über die Grenzen auf die Staaten, die demnächst der EU
beitreten werden, also einige mittel- und osteuropäische
Staaten. Diese Staaten sind uns auf dem Gebiet um eini-
ges voraus.
Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die
Angebote von Bildung, Weiterbildung und Beratung steht
im Mittelpunkt dieser Projekte. Der spannende und zu-
kunftsweisende Ansatz dieser Modellprojekte ist, dass sie
nicht, wie Sie gerne glauben machen würden, von Regie-
rungsseite übergestülpt werden, sondern dass sich die Re-
gionen für eine Teilnahme bewerben können und selbst
Vorstellungen entwickeln müssen, wie sie diese Zielset-
zungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort, die wirklich
überall anders sind, anpassen wollen.
Es geht zum Beispiel darum, zu klären, wie außer den
Bauern die Handwerker, die Gastronomie, die bestehen-
den oder zu gründenden verarbeitenden Betriebe, Verwal-
tung und Handel, Volkshochschulen, allgemeinbildende
Schulen, Landwirtschaftsberatung und Verbraucherbera-
tung zusammenwirken können und wollen, um ein sol-
ches Projekt auf den Weg zu bringen. Ich weiß durchaus,
wovon ich rede. In meinem Wahlkreis gibt es ein ähnli-
ches Modellprojekt, das über das Land Baden-Württem-
berg angestoßen wurde. Nach einigen Jahren ist es eine
Erfolgsstory geworden.
Ach, Peter Harry.
Auch ich weiß, dass es nicht einfach ist, die vielen un-
terschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen.
Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass über diesen Titel
das erforderliche Regionalmanagement, das diese Pro-
jekte leitet und zusammenführt, finanziert werden soll.
Erst danach folgen zusätzliche Aktivitäten, die nicht aus
irgendwelchen anderen Töpfen der EU, der Länder, des
Bundes oder der Kommunen bezuschusst werden können.
Ich halte die zeitliche Begrenzung dieser Förderung für
richtig. Es darf keine Dauersubvention werden. Ich
könnte mir durchaus vorstellen, dass die vorgesehenen
zwei Jahre nicht ganz ausreichen werden.
Die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe
Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes werden um über 100 Millionen DM angehoben.
Für viele Bundesländer ist die GA ein wesentliches In-
strument zur Gestaltung und Kofinanzierung der zweiten
Säule der gemeinsamen Agrarpolitik, der Politik für den
ländlichen Raum. Mit den zusätzlichen Mitteln lassen
sich die zwischen Bund und Ländern verabredeten neuen
Zielsetzungen realisieren. Niemand soll hier die Illusion
verbreiten, die Gemeinschaftsaufgabe werde nur vom
Bund bestimmt. In Wirklichkeit machen das Bund und
Länder gemeinsam.
Ich denke insbesondere an die Verarbeitungs- und Ver-
marktungsförderung. Mittelfristig müssen wir dazu kom-
men, dass Bauern nicht ausschließlich Rohstofflieferan-
ten sind, sondern dass sie durch Beteiligung an der
Verarbeitung und an der Vermarktung am Mehrwert teil-
haben, der daraus entsteht.
Die Möglichkeiten für Erzeugergemeinschaften werden
wir durch eine Novellierung des Marktstrukturgesetzes ver-
bessern. Auch die Neuausrichtung der Ausgleichszulage für
die benachteiligten Gebiete und die Investitionsförderung
für eine besonders artgerechte und flächengebundene Tier-
haltung gehören zu den wichtigen neuen Impulsen in der
Gemeinschaftsaufgabe.
Der Agrarteil des Haushaltsentwurfs ist zukunftsorien-
tiert und gleichzeitig dem Ziel der Haushaltskonsolidie-
rung verpflichtet. In den parlamentarischen Beratungen
werden wir noch die eine oder andere Korrektur vorneh-
men. Dabei denke ich auch an die 10 Millionen DM, die
als Liquiditätshilfe an den Unterglasbau vorgesehen wa-
ren, aber von der EU nicht genehmigt wurden. Vielleicht
können sie auf andere Weise zur Stärkung der Wettbe-
werbsfähigkeit des Gartenbaus eingesetzt werden; denn
die Situation des Unterglasbaus ist nach wie vor prekär.
Das Gutachten der Frau von Wedel schlägt eine Reihe
grundlegender organisatorischer Veränderungen vor,
durch die ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuverlässig-
keit für Lebensmittel erreicht werden soll. An dieser Stelle
muss ich noch auf zwei Beiträge von vorhin eingehen. Es
ist doch in der Tat so, dass die Lebensmittelkontrolle bis-
her in der Hoheit und im Aufgabenbereich der Länder
liegt. Hätten die Länder Herr Hollerith, insbesondere
das Land Bayern
bei der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle in der
Vergangenheit nicht sträflich versagt, dann hätten wir die
ganzen Probleme mit BSE wahrscheinlich gar nicht ge-
habt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118470
Aber keine Futtermittelkontrollen! Dafür gab es nur eine
halbe Planstelle.
Wir wollen ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuver-
lässigkeit für Lebensmittel erreichen. In diesem Zusam-
menhang wird es im Haushalt noch Änderungen geben
müssen; denn neue Bundeseinrichtungen lassen sich ohne
zusätzliches Personal nicht aufbauen.
Ich bin mir sicher, dass es im Zusammenwirken zwi-
schen Ministerien, Haushaltsausschuss und Fachaus-
schuss im Laufe der Beratungen in diesem Herbst zu ei-
ner einvernehmlichen Lösung kommt. Ich will aber auch
ankündigen: Wir werden alle noch so verlockenden An-
träge der Opposition ablehnen, die auf eine Ausweitung
des Haushaltsvolumens abzielen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner zum
Einzelplan 10 ist der Kollege Peter Bleser aus der Frak-
tion der CDU/CSU.
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem
wirren Strauß agrarpolitischer Vorstellungen der Ministe-
rin und dem inhaltsschweren Satz, das Kapital der
Landwirtschaft sei ihre Zukunft, möchte ich etwas Struk-
tur in die Debatte bringen
und zunächst einmal unsere agrarpolitischen Ziele de-
finieren, damit Sie wissen, was wir an Ihrer Stelle tun
würden.
Wir würden die Bevölkerung mit sicheren, gesunden
und hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen. Dies wol-
len wir unter ganz konkreten Bedingungen erreichen: Ers-
tens. Eine an den Verbraucherwünschen orientierte
Nahrungsmittelerzeugung muss dem vorbeugenden und
vorsorgenden Verbraucherschutz verpflichtet sein.
Zweitens. Unsere hohen Standards beim Tierschutz müs-
sen eingehalten werden. Drittens. Der Schutz unserer
Umwelt und die Erhaltung unserer Kulturlandschaft dür-
fen nicht dem Wettbewerb geopfert werden.
Um diese Ziele erreichen und eine flächendeckende
Landwirtschaft erhalten zu können, müssen unsere Land-
wirte in die Lage versetzt werden, aus ihren Unternehmens-
erträgen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
Genau an diesem Punkt hat die Regierung schwere Fehler
begangen. Frau Ministerin, seit die SPD und die Grünen
die Regierung übernommen haben, haben die Landwirte
viele Sonderbelastungen tragen müssen. Ich will bei-
spielhaft die entsprechenden Stichworte nennen: Agenda
2000, Ökosteuer, Kürzung der Zuschüsse für die Berufs-
genossenschaft
und eine enorme Verteuerung des Agrardiesels. Das ist
eine Wettbewerbsbenachteiligung gegenüber allen ande-
ren europäischen Nachbarstaaten. Darüber hinaus haben
Sie in den letzten Jahren die Landwirtschaft mit einer
Bürokratie überzogen, die kaum noch zu bewältigen ist.
Mit der BSE-Krise im November vergangenen Jahres
wurde die mangelnde Krisenfestigkeit dieser Regierung
erneut deutlich. Geradezu in zynischer Weise haben Sie,
Frau Ministerin, und der Bundeskanzler wissentlich und
zu Unrecht die bäuerlichen Familien mit dem Wort von
den Agrarfabriken als Verursacher der Krise gebrand-
markt.
Sie haben sich mit Frau Höhn einen regelrechten Wettbe-
werb geliefert, wie man aus der Verunsicherung von Ver-
brauchern politisches Kapital schlagen kann. Frau Minis-
terin, ich werfe Ihnen Folgendes vor: Sie haben Ihre
Umfragewerte mit einer unseriösen Verängstigung der
Verbraucher und auf den Knochen der Bauern nach oben
getrieben.
Ihre Umfragewerte sind Gott sei Dank wieder im Sink-
flug; die Folgen Ihrer Politik sind aber nach wie vor für
viele ländliche Bereiche und für die Bauern existenz-
gefährdend.
Einvernehmlich haben wir den deutschen Bauern
höhere Auflagen bei der Verbesserung der Nahrungs-
mittelsicherheit aufgelastet: Jedes Rind, das älter als
24 Monate ist, muss einem BSE-Test unterzogen werden.
Tiermehl darf nicht mehr verfüttert werden. Wir haben
diese Maßnahmen mitgetragen und mitbeschlossen. Des-
halb kann ich hier sicher in Ihrer aller Namen fest-
stellen: Das sicherste Rindfleisch auf der Welt ist deut-
sches Rindfleisch.
Ich kann die Verbraucher nur bitten, dieses gute Fleisch
weiterhin zu genießen.
Sie aber, Frau Ministerin, haben es nicht geschafft, an
importierte Lebensmittel die gleiche Messlatte anzulegen.
Denn weiterhin wird Fleisch nach Deutschland aus den
Ländern importiert, in denen keine BSE-Tests durchge-
führt und unsere Auflagen im Rahmen der Fütterung nicht
beachtet werden müssen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Matthias Weisheit
18471
Die Bundesregierung hat wie keine andere Regierung
in der Europäischen Union unsere Bauern bei der Besei-
tigung der BSE-Folgen im Stich gelassen. Die Heraus-
kaufaktion von Rindern ist verspätet und schleppend
angelaufen und dann mussten die Bauern auch noch mo-
natelang auf ihr Geld warten. Dies ist eine Unverschämt-
heit in Anbetracht der Notlage, in der sich die Betriebe be-
finden.
Jetzt möchte ich eine Forderung stellen: Frau Ministe-
rin, der Weideabtrieb steht an. Der Rindfleischmarkt ist
am Boden. Obwohl die Verbraucher für Rindfleisch mehr
zahlen müssen als früher, sind die Bauern in arge
Existenznöte geraten. Ich fordere Sie auf, ein Hilfspro-
gramm aufzulegen, damit wenigstens die derzeitige
Marktübersättigung überwunden werden kann.
Frau Ministerin, das Einzige, was Sie bisher vorzuzei-
gen haben, ist die Schaffung eines Ökosiegels. Dieses
neue Siegel wollen Sie deshalb einführen, weil Sie Ihre
Versprechungen, nämlich einen 20prozentigen Marktan-
teil von Ökoprodukten, mit der Absenkung von Qualitäts-
kriterien erreichen wollen. Dabei opfern Sie kaltschnäu-
zig die mit hohen Investitionen auf dem Markt bereits
etablierten deutschen Ökosiegel wie Bioland, Demeter
und viele andere.
Fragen Sie doch einmal die Vertreter dieser Güte-
zeichen!
Die auf europäischen Kriterien basierenden wachswei-
chen Vorgaben dieses Ökosiegels öffnen der Verbraucher-
täuschung Tür und Tor.
Finanzieren wollen Sie dieses Ökosiegel im Rahmen der
Modulation, bei der Sie konventionell wirtschaftenden
Landwirten das Geld aus der Tasche ziehen. Das lehnen
wir ganz entschieden ab.
Wie inkonsequent die Bundesregierung mit ihrem öko-
logischen Anspruch umgeht, zeigt die Rücknahme der
Förderung von Biogasanlagen. Ein Pilotprojekt auf dem
Flugplatz Hahn, der in meinem Wahlkreis liegt, zeigt,
dass die Nutzung von Biomasse auch in Kombination
mit kommunaler Abwasserentsorgung und Kraft-Wärme-
Kopplung sowohl in ökologischer als auch in ökonomi-
scher Hinsicht viele neue Perspektiven bietet.
Deshalb ist es ein Skandal, dass die Bundesregierung
die Förderung von Biomassefeuerungsanlagen zurückge-
fahren hat. Ich freue mich, wenn jetzt bei Ihnen die Ein-
sicht wächst, diese Rücknahme wieder zurückzunehmen.
Aber diesen Umweg hätten wir uns alle sparen können.
Genauso verwerflich ist, dass Sie den dort gewonnenen
Strom noch mit der Ökosteuer belasten. Auch dies ist
nicht in Ordnung und dient keinem ökologischen Ziel. Die
Einschränkung, dass die räumliche Bindung zwischen
Stromerzeuger und Stromverbraucher sehr eng sein muss,
hemmt die weitere Entwicklung.
Frau Ministerin, Sie machen sich bei einem weiteren
Punkt unglaubwürdig: beim Tierschutz. Sie wollen die
Käfighaltung von Legehennen verbieten. Der Aufschrei
der Wissenschaft, dass die Bodenhaltung keineswegs
tiergerechter sei, stört Sie genauso wenig wie die Verla-
gerung der Produktion ins Ausland.
Eine neue, die Tierhygiene und den Tierschutz beachtende
Kleinvolierehaltung lehnen Sie stur ab. Um eine euro-
päische Lösung kümmern Sie sich erst gar nicht.
Was Glaubwürdigkeit im Tierschutz angeht, so ist
eines sehr deutlich, Frau Künast: Während wir über viele
Jahre die Zahl der Tierversuche zurückgeführt haben, ist
sie nach dem neuesten Tierschutzbericht, den Sie vorge-
legt haben, im Jahre 1999 um 100 000 angestiegen das
zur Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung in Sachen
Tierschutz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bleser,
Sie müssten bitte zum Schluss kommen.
Ich bin schon am Schluss,
Frau Präsidentin.
Verehrte Frau Ministerin, Sie sind nun seit wenigen
Monaten im Amt und stehen vor einem Scherbenhaufen
Ihrer Politik. Nicht BSE und MKS sind das Hauptproblem
der deutschen Landwirte. Das Hauptproblem sind Sie und
Ihre Regierung.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldun-
gen zum Einzelplan 10 liegen nicht vor.
Auch wenn die Rednerliste für den Einzelplan 15 noch
nicht ausgedruckt ist, eröffne ich bereits jetzt die Aus-
sprache dazu und erteile das Wort der Bundesgesund-
heitsministerin Ulla Schmidt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Peter Bleser
18472
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
gerade daran gedacht, dass das alles gut zusammenpasst;
denn gesunde Ernährung ist auch gut für die Gesundheit.
Menschen, die sich dank der Politik der Landwirtschafts-
ministerin gesund ernähren, bleiben länger fit, und wer
länger fit bleibt, bleibt länger gesund.
Ich bin zuständig für die Gesundheitspolitik. Wenn Sie
dafür zuständig wären, wüssten Sie, dass ein gesundes Le-
ben oder eine gesunde Ernährung und die Verantwortung
für die eigene Gesundheit etwas mit Gesundheitspolitik
zu tun haben.
Meine Damen und Herren, die aktuellen Auseinander-
setzungen über Einsparungen im Arzneimittelbereich zei-
gen erneut, dass es in der Gesundheitspolitik immer auch
um Geld geht. Insgesamt steuert das Bundesgesund-
heitsministerium ein Ausgabenvolumen von rund
520 Milliarden DM. Bei diesen Zahlen ist es kein Wun-
der, dass es immer wieder zu großen Verwerfungen und
Streitereien kommt, dass immer wieder um alles hart ge-
rungen wird.
Demgegenüber ist der Haushalt des Bundesgesund-
heitsministeriums, den wir heute einbringen, mit knapp
1,4 Milliarden Euro eine geradezu verschwindend kleine
Größe. Grund dafür ist, dass das Finanzvolumen, das im
Bereich Gesundheit bewegt wird, in den Haushalten der
Kassen und zum Teil auch in den Haushalten der Länder
vorkommt. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, dass mit diesen Geldern verantwortlich umge-
gangen wird.
Auch die aktuellen Gesetzesvorhaben, die wir heute
mit beraten, sind Weichenstellungen für die Zukunft. Sie
sollen dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung an
den Bedürfnissen der Menschen orientiert wird und dass
die Ausgaben zwei Forderungen gerecht werden: Aus-
gaben sollen qualitätsgesichert und wirtschaftlich erfol-
gen.
Angesichts der Debatten der letzten Wochen ist es viel-
leicht notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass
wir in Deutschland ein leistungsfähiges Gesundheitswe-
sen haben, um das uns viele Länder beneiden. Wir haben
eine flächendeckende Behandlung durch Ärzte und
Zahnärzte, eine flächendeckende Behandlung durch
Krankenhäuser. Bei uns gibt es keine Wartelisten für Ope-
rationen.
Dieser Anspruch ist unabhängig vom Alter, vom Ge-
schlecht, vom Familienstand und vom Einkommen. Und
das ist gut so, Herr Kollege Thomae!
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; in meiner Stadt ist
die Versorgung so.
Weil das so ist, halten wir an der solidarischen Kran-
kenversicherung fest. Eine Aufteilung ihres Angebots in
Grund- und Wahlleistungen kann nicht die Sicherheit, wie
wir sie heute haben, bieten.
Ich will nicht verschweigen, dass wir vor großen He-
rausforderungen, auch in der Gesundheitspolitik stehen.
Ich nenne hier nur einmal die Herausforderungen durch
den medizinischen Fortschritt, Herausforderungen auf-
grund der demographischen Entwicklung und aufgrund
der wachsenden Zahl multimorbider Menschen und chro-
nischer Erkrankungen. Deshalb ist eine Weiterentwick-
lung des Systems notwendig, eine Weiterentwicklung hin
zu mehr Patientenorientierung, mehr Versorgungsqua-
lität, vor allem für chronisch kranke Menschen, und mehr
Wirtschaftlichkeit.
Ich darf heute sagen: Knapp drei Jahre nach dem Regie-
rungswechsel haben wir vieles erreicht.
Die Stärkung der hausärztlichen Versorgung, mehr Qua-
lität und Transparenz, eine bessere Verzahnung der Leis-
tungsbereiche
sowie die Förderung der Prävention und Selbsthilfe be-
deuten nichts anderes als mehr Orientierung an den Pati-
enten und deren Bedürfnissen.
Trotz Leistungsverbesserungen da sollten Sie mal gut
zuhören , trotz einer Entlastung der Patientinnen und Pa-
tienten bei den Zuzahlungen
und trotz einer rapide voranschreitenden Entschuldung
der Kassen in den neuen Bundesländern, die Sie ja stop-
pen wollten,
konnten wir, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU und der FDP, die Beiträge stabil halten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18473
Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz liegt im-
mer noch bei 13,6 Prozent.
Das war genau der Beitragssatz, den uns der Kollege
Seehofer übergeben hat,
nachdem unter seiner Ägide der Beitragssatz in sieben
Jahren um durchschnittlich 0,2 Prozent jährlich angestie-
gen war.
Unser Gesundheitswesen
Es ist nicht pleite, da brauchen Sie gar keine Angst zu
haben. Ich habe da auch keine Sorgen. Wenn man aktuelle
Schwierigkeiten hat, muss man darauf reagieren.
Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen.
Wir brauchen vor allen Dingen eines: Wir müssen das Ge-
sundheitswesen mehr als bisher an medizinischen Be-
dürfnissen ausrichten.
Dazu gehört richtigerweise, dass wir uns mit einer umfas-
senden Umgestaltung der Entgeltsysteme auseinander
setzen müssen.
Für den niedergelassenen ärztlichen und zahnärztlichen
Bereich werden die Vergütungssysteme grundlegend re-
formiert. Daran arbeiten zurzeit die Selbstverwaltungsgre-
mien. Im Krankenhaus wird mit dem heute eingebrachten
Gesetz zur Einführung der Fallpauschalen ebenfalls ein
leistungsorientiertes Preissystem eingeführt und damit die
bislang umfassendste Reform im Krankenhausbereich ein-
geleitet. Die konkrete Umsetzung erfolgt mit dem Fall-
pauschalengesetz. Da wir uns in der Zielsetzung einig
sind, gehe ich davon aus, dass wir uns auch bei der Frage
der konkreten Umsetzung, so wie wir sie im Gesetzent-
wurf vorgesehen haben, einig werden.
Ich glaube, dass der große Fortschritt darin besteht,
dass wir mit dem Fallpauschalensystem wirklich eine
starre, fiskalisch orientierte Budgetierung im Kranken-
haus überwinden und dass ein modernes, prozessoffenes
Vergütungssystem auf den Weg gebracht wird. Das Geld
muss der medizinischen Leistung folgen. Es muss klar er-
kennbar sein, wohin die Ressourcen fließen und für wel-
che Leistungen sie gebraucht werden.
Diese Transparenz schaffen wir mit dem Fallpauschalen-
system. Dies ist eine wirklich große Reform, die auch
langfristig Wirtschaftlichkeitsreserven im größten Ausga-
benbereich der Krankenversicherungen erschließen und
die Qualität verbessern wird.
Wer Ja sagt zur Leistungsorientierung und dazu, dass
die Krankenhäuser mehr Freiräume erhalten sollen, der
muss auch zu den Instrumenten Ja sagen, die wir brau-
chen, um sicherzustellen, dass nur das medizinisch Not-
wendige dies aber in jedem Fall erbracht wird und dass
Leistungen in der Qualität abgesichert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
deshalb müssen die Kontrollmechanismen und die Prüf-
möglichkeiten der Krankenkassen und der Medizini-
schen Dienste angepasst werden. Ich sage dies auch an
die Kritiker gerichtet, die oft aus den Krankenhäusern
kommen: Wer mehr Freiheit will und das wollen ja
alle ,
der muss sich der fachlichen Überprüfung stellen, Herr
Kollege Lohmann. Ich glaube, wir sind uns einig, dass
dies notwendig ist.
Der Gesetzentwurf wird dem, was zurzeit diskutiert
wird, gerecht: Es herrscht die Befürchtung, dass die Kran-
kenhäuser durch die Verzögerung der Softwareeinführung
in Bedrängnis kommen. Wir sehen eine behutsame und
abgestufte Einführung der Fallpauschalen vor,
sodass alle Beteiligten Krankenhäuser und Krankenkas-
sen eine faire Chance zur Anpassung haben und man
wirklich sagen kann, dass dies ein lernendes System ist.
Die Krankenhäuser können ab 1. Januar 2003 starten,
aber wir verlängern die budgetneutrale Phase um ein Jahr,
sodass spätestens zum 1. Januar 2004 alle Krankenhäuser
in diesen Prozess eintreten und wir dann Zeit haben, zwei
Jahre lang zu beobachten, wo es Schwierigkeiten gibt und
wie sie überwunden werden können.
Deshalb trifft der Gesetzentwurf auch noch keine Fest-
legungen für die Zeit ab 2007. Es versteht sich von selbst,
dass wir bei einem lernenden System erst im Jahre 2006
aufgrund der Erfahrungen der Zeit davor festlegen kön-
nen, wie es nach 2007 weitergehen soll.
Sonst würden wir Dinge vorwegnehmen, die man im
Grunde genommen heute nicht entscheiden kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
18474
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schritt für Schritt,
das ist auch die Maxime für die Verbesserungen der
Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutsch-
land. Ein Baustein ist die bessere Versorgung demenz-
kranker Menschen durch das Pflege-Leistungsergän-
zungsgesetz.
Ich habe ein Baustein gesagt, Kollege Lohmann, weil
ich mir darüber im Klaren bin,
dass dies vor dem Hintergrund der begrenzten finanziel-
len Mittel der Pflegeversicherung nur ein erster Schritt
sein kann. Es müssen weitere Schritte folgen, aber ich
halte es für einen wichtigen Schritt.
Wir machen mit diesem Gesetzentwurf vor allem den-
jenigen ein Angebot, die zu Hause rund um die Uhr de-
menzkranke Angehörige pflegen und sehr viel Kraft in
diese Aufgabe stecken. Ich weiß, dass sehr viel mehr Geld
nötig wäre.
Aber 900 DM im Jahr für den, der einen demenzkranken
Menschen betreut, machen immerhin 500 Millionen DM
in der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Wir müssen ja
auch sehen, es ist ein Baustein, ein erster Schritt.
Die Mittel sind zweckgebunden für die Tages- und
Nachtpflege, die Kurzzeitpflege und andere niedrig-
schwellige Betreuungsangebote. Wir sind in Gesprächen
mit den Landesarbeitsämtern bzw. mit dem Bundesar-
beitsministerium, um zu erreichen, dass durch ergänzende
Maßnahmen die Vorraussetzungen dafür geschaffen wer-
den, dass mit diesem Geld Betreuung finanziert werden
kann. Es sind vor allen Dingen Frauen, die die Kranken
pflegen, und unser Ziel ist es, dass man für sie ein Stück
Entlastung erreicht.
Darüber hinaus sollen Modellvorhaben zur Entwick-
lung neuer Versorgungskonzepte und -strukturen auf den
Weg gebracht und gefördert werden. Wir wollen mit die-
sem Gesetzentwurf ein Netz von abgestuften, bedarfsori-
entierten und gemeindenahen Hilfen anbieten. Ich sage es
noch einmal: Wir werden dies ausbauen müssen, auch im
Zuge der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, weil
hier ein großer Bedarf besteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen Schritt für
Schritt die Reform des Gesundheitswesens an:
Solidarität mit den Kranken, Wettbewerb um die beste
Versorgung, optimale Leistungen, auch bei Beratung,
Vorsorge und Prävention. Die weitere Eindämmung der
Kosten und die Stabilisierung der Beiträge sind und blei-
ben unser Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir dieses
Ziel am Ende auch erreichen werden.
Diesem Ziel diente auch das vorgestern mit den Spit-
zenverbänden der Kassen, der Selbstverwaltung der Kas-
sen und dem DGB vereinbarte Maßnahmenpaket zur Ein-
dämmung der Kosten im Arzneimittelsektor. Wenn man
sich einmal die großen Leistungsbereiche in der gesetzli-
chen Krankenversicherung ansieht, ist neben dem Bereich
der Krankenhäuser und dem Bereich der ambulanten Ver-
sorgung der Arzneimittelbereich derjenige, der die größten
Zuwächse zu verzeichnen hat. Es hat im ersten Halbjahr
2001 etwas stattgefunden, was wirklich zu einer Wende
führt, wenn wir nicht dagegenhalten, nämlich dass für die
Arzneimittel im Bereich von Apotheken und anderen mehr
Geld ausgegeben wird als für die gesamte Vergütung im
ambulanten Bereich. Da kann etwas nicht stimmen, meine
Damen und Herren. Da kann man sich Gedanken machen,
wie wir in diesem Bereich zu Einsparungen kommen.
Das, was wir vorschlagen und auch in den nächsten
Wochen hier diskutieren werden, führt zusammen mit der
Absenkung der Festbeträge und der Initiative der Selbst-
verwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der
Krankenkassen, im Hinblick auf die Steuerung der Arz-
neimittelausgaben Schritt für Schritt zur Sicherung unse-
res solidarischen Systems. Das führt dazu, dass wir die
Beiträge auch langfristig stabil halten können.
Mit diesem Schritt das geht noch einmal an Sie ha-
ben wir einen Weg gefunden, bei steigenden Kosten nicht
Ihre Politik fortzusetzen, die immer darin bestanden hat,
dass Sie bei Kostenexplosionen die Zuzahlungen für die
Kranken erhöht
und zusätzlich Leistungen eingeschränkt haben. Würde
man diese Politik fortsetzen, untergräbt man die Akzep-
tanz der solidarischen Versicherung, weil die Menschen
nicht bereit sind, das hinzunehmen.
Wir haben einen besseren Weg gefunden. Ich hoffe auf
Ihre Unterstützung, damit wir die gesetzliche Kranken-
versicherung gemeinsam stabilisieren.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
18475
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Horst Seehofer für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Wo-
che hat Der Spiegel eine Umfrage veröffentlicht. Da-
nach sind 68 Prozent der Deutschen mit der aktuellen
Gesundheitspolitik unzufrieden.
Das war keine Umfrage über meine Amtszeit. Aber ich
darf Ihnen sagen, Frau Göring-Eckardt: Das ist der
schlechteste Wert, der jemals bei einer Befragung zur Ge-
sundheitspolitik herausgekommen ist. Kein anderer Poli-
tikbereich wird von der Bevölkerung schlechter bewertet
als die Gesundheitspolitik dieser Regierung.
Diese miserable Bewertung hat einen Namen und ei-
nen Grund: Ulla Schmidt mit einer chaotischen Gesund-
heitspolitik, bei der niemand mehr weiß, wohin die Reise
geht.
Frau Schmidt, Sie nennen immer wieder den Beitrags-
satz von 13,6 Prozent, den Sie übernommen haben. Ich
will mich gar nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass
in den 90er-Jahren die Gesundheitspolitik größtenteils ge-
meinsam von SPD, CDU/CSU und FDP gemacht wurde.
Aber ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Die
13,6 Prozent Beitragssatz, die Sie 1998 übernommen ha-
ben, können Sie nur halten, erstens, indem Sie Millionen
Menschen in Deutschland, die einer geringfügigen Be-
schäftigung nachgehen, mit einer Sozialversicherungs-
pflicht belegt haben und somit bei kleinen Verdienstver-
hältnissen abkassieren; zweitens, indem Sie durch Ihre
Budgetierung dazu beitragen, dass Millionen kranke
Menschen in Deutschland die notwendige Versorgung
nicht mehr bekommen;
drittens, indem Sie ein riesiges Defizit vor sich herschie-
ben.
Es ist eine einfache Politik: Der Beitragssatz wird sta-
bil gehalten, indem ich nicht die Krankenversicherungs-
beiträge belaste, sondern die Menschen mit einer gering-
fügigen Beschäftigung, mit 630-DM-Jobs, zu einem
Beitrag zwinge, indem ich über die Budgetierung Leis-
tungen ausgrenze und außerdem ein riesiges Defizit an-
häufe. Das ist keine politische Kunst. Deshalb kam es zu
dieser schlechten Bewertung.
Jetzt möchte ich Ihnen sagen, wie ich zu meinem Ur-
teil gekommen bin, Ihre Gesundheitspolitik sei chaotisch.
Ich möchte meine Kritik nur an einem Punkt festmachen,
weil er symptomatisch für alle anderen Bereiche ist. Man
könnte beispielsweise auch über den Medikamentenpass
reden, aber ich bleibe bei dem Punkt, den Sie in den
nächsten Monaten offensichtlich in den Mittelpunkt Ihrer
Gesundheitspolitik stellen werden, nämlich die Medika-
mentenversorgung in Deutschland.
Sie haben am 6. März dieses Jahres vor der Bundes-
pressekonferenz Folgendes gesagt:
Es gibt bisher keinen Hinweis auf den Anstieg der
Arzneimittelausgaben seit Anfang 2001. Eher das
Gegenteil ist zu erwarten wegen der Verhandlungen
mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.
So Ulla Schmidt im März dieses Jahres! Dann kam der
September. Im September mussten wir registrieren: Die
Arzneimittelausgaben waren um 11 Prozent gestiegen.
Siehe da: Nach der Verlautbarung des Ministeriums Sie
haben das vor der Presse wiederholt begründen Sie den
Arzneimittelanstieg, den Sie noch im März verneint ha-
ben, als Sie das Gegenteil angekündigt haben, wie folgt:
Der nunmehr im 1. Halbjahr 2001 registrierte An-
stieg der Ausgaben in Höhe von 11 Prozent hängt
auch zusammen mit einem erheblichen Zuwachs der
Arzneimittelausgaben für die Verordnung von Arz-
neimitteln zur Behandlung von schwerwiegenden
und lebensbedrohlichen Erkrankungen. So sind ins-
besondere die Ausgaben für die Krebsmedikation
und die Aids-Therapie deutlich angestiegen. In die-
sen Therapiebereichen hat es in letzter Zeit wichtige
Innovationen gegeben. Weiterhin ist zu beachten,
dass die zur Verfügung stehenden Rationalisierungs-
potenziale, zum Beispiel bei den umstrittenen Arz-
neimitteln, zunehmend an Grenzen stoßen.
Das war die Begründung, die im September dieses Jah-
res gegeben wurde.
Vorgestern sagt die gleiche Ministerin: Stopp, weder
die erste Prognose, es gebe keinen Anstieg, noch die Be-
gründung für den Anstieg er betreffe nur schwere Er-
krankungen stimmt. Jetzt sagen Sie, die Pharmaindus-
trie habe sehr gut verdient und deswegen müssten wir sie
nun zur Verantwortung ziehen.
Innerhalb von wenigen Monaten wird eine dreifache Pro-
gnose und Begründung zum gleichen Sachverhalt abge-
geben.
Frau Ministerin, Ihr Wort ist ein Muster ohne Wert. Sie be-
treiben eine chaotische Gesundheitspolitik.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118476
Ich kann Sie nur dringend davor warnen es wird eine
gewaltige Auseinandersetzung geben , Ihren Vorschlag
weiter zu verfolgen, dem Arzt die Therapiefreiheit zu
nehmen, indem Sie ihn dazu verpflichten, nur eine Wirk-
stoffgruppe zu verschreiben, und der Apotheker dann das
billigste Arzneimittel aus der verordneten Wirkstoff-
gruppe abgeben muss.
Sie können nicht auf der einen Seite in schönen Schal-
meienklängen sagen, im Mittelpunkt steht der Patient, wir
legen höchsten Wert auf die Qualität, der Patient in
Deutschland soll das Beste bekommen, was für ihn zur
Verfügung steht,
während Sie auf der anderen ein Gesetzgebungsverfahren
mit dem Ziel einleiten, für die Menschen nur das billigste
Medikament zur Verfügung zu stellen.
Eine solche Politik halten wir für absolut falsch und wir
werden sie mit massiven Mitteln bekämpfen. Der erste
Grundsatz muss sein: Die Verantwortung für die Medika-
mententherapie gehört in die Hand des Arztes und darf
ihm nicht genommen werden.
Stellen Sie sich einmal vor, was diese Maßnahme in der
Praxis bei Lipobay bedeutet hätte. Ich garantiere Ihnen:
Bei Lipobay wären Sie die Erste gewesen, die gefragt
hätte, wer diesen Unsinn gemacht hat, und gefordert hätte,
das Medikament zurückzurufen. Wenn Sie Ihren Vor-
schlag der Arzt verordnet eine Wirkstoffgruppe und das
Arzneimittel wählt der Apotheker aus bereits umgesetzt
hätten, hätte das im Zusammenhang mit dem Arzneimit-
telskandal um Lipobay bedeutet ich nenne nur zwei Me-
dikamente : Es gibt das Medikament mit dem Namen Li-
previl. In der kleinsten Packung 50 Tabletten kostet es
112,04 DM. 50 Tabletten Lipobay zur gleichen Wirk-
stoffgruppe der Statine gehörend kosten nur 98,45 DM,
also rund 14 DM oder 10 Prozent weniger.
Hätten Sie Ihren Gesetzentwurf bereits umgesetzt ge-
habt, hätte das dazu geführt, dass unabhängig von der Be-
findlichkeit des Patienten, von seinem Blutbild und seinen
sonstigen Erkrankungen der Apotheker das billigere Arz-
neimittel abgegeben hätte.
Dann wäre aus dem Problem Lipobay eine Katastrophe in
Deutschland geworden.
Ich kann mir vorstellen, dass dagegengehalten wird,
der Arzt sei zu einem solchen Vorgehen nicht verpflichtet.
In welchem Land leben Sie eigentlich? Wenn Sie als Ge-
setzgeber den Arzt verpflichten, nur noch den Wirkstoff
festzuschreiben es sei denn, er wünscht ausdrücklich ein
anderes Medikament , dann müssen Sie doch wissen:
Entzieht sich der Arzt diesem gesetzlichen Auftrag und
weicht damit im Umfang der Verordnungen vom Durch-
schnitt seiner Kollegen ab, dann werden anschließend die
Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen
den Arzt, der sich sinnvoll verhält, einer Wirtschaftlich-
keitsprüfung unterziehen.
Dem werden sich die Ärzte entziehen. Deshalb kann
ich Sie nur dringend davor warnen, die Therapiefreiheit
des Arztes so massiv einzuschränken und die Verantwor-
tung für die Medikamententherapie in andere Hände zu
legen. In der Medikamententherapie wird es ein undurch-
schaubares Durcheinander geben und der nächste Arznei-
mittelskandal ist vorprogrammiert.
Frau Schmidt, wir werden Sie dann ganz persönlich
dafür verantwortlich machen;
denn Sie wissen so gut wie ich, dass es nicht alleine auf
die Wirkstoffgruppe ankommt. Für die Befindlichkeit
sind andere Umstände, zum Beispiel die Galenik verant-
wortlich. Auch in unserer Zeit mussten wir erleben, welch
gewaltige Auswirkungen bei kranken Menschen entste-
hen, die in ihrer Medikamententherapie umgestellt wer-
den. Die Betroffenen haben häufig nur gesehen, dass sie
anstelle einer weißen eine blaue Tablette bekommen. Da-
hinter stand die Bioverträglichkeit.
Diesen Umstand können Sie nicht außer Acht lassen, in-
dem Sie nur auf Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen abstel-
len.
Deshalb sage ich Ihnen: Die Arzneimittelsicherheit und
die Verantwortung für die Verordnung müssen beim Arzt
bleiben. Das kann nicht geteilt werden.
Nun zu der Sicht der Apotheker ich übrigens würde
als Apotheker genauso handeln : Wenn nach wirtschaft-
lichen Gesichtspunkten auszuwählen ist, dann werden die
Zielfahnder der Pharmaunternehmen den Apotheker in ihr
Zielkreuz nehmen. Sie werden natürlich Rabatte anbieten.
Ich sage gar nicht, dass dies unanständig ist. Das ist ein
ganz normaler Prozess. Wenn Sie im Gesundheitsbereich
alleine auf die Betriebswirtschaft und auf das Geld ab-
stellen, dann werden Rabatte angeboten. Dann wird das
Medikament natürlich dort gekauft, wo die höchsten Ra-
batte gewährt werden. Das ist eine ganz normale Verhal-
tensweise.
Durch diese Maßnahme tragen Sie letzen Endes dazu
bei, dass der Patient bei der Medikamententherapie in der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Seehofer
18477
Zukunft nicht mit solchen Medikamenten behandelt wird,
die gut und nötig sind, sondern mit solchen, die so billig
wie möglich sind. In eine solche Situation wollen wir in
Deutschland nicht kommen.
Wir wollen in Deutschland nicht zu der Lösung kommen,
dass die Masse der Bevölkerung mit den billigsten Medi-
kamenten abgespeist wird und diejenigen, die privat zah-
len können, erste Sahne bekommen. Das haben wir vor
zehn Jahren gerade beseitigt.
Sie ökonomisieren die Medizin total. Die Medikamen-
tentherapie wird von A bis Z ökonomisiert. Das Patien-
teninteresse spielt keine Rolle mehr.
Dazu setzen Sie noch einen drauf: Sie bürokratisieren.
Ohnehin haben Sie jetzt schon wieder die unsinnige Posi-
tivliste eingeführt.
Man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Ein Arznei-
mittel wird von einer staatlichen Behörde zugelassen.
Dann kommt Ihre Wissenschaftlergruppe mit der Positiv-
liste ins Spiel. Nun kommt noch das Sahnehäubchen an
Unsinn obendrauf:
Jetzt wird der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkas-
sen noch eine dritte Prüfung durchführen, ob mit dem
Medikament wirklich ein medizinischer Fortschritt ver-
bunden ist.
Jetzt kann es Ihnen passieren, dass ein Medikament,
das vom Staat zugelassen ist, in der Positivliste erscheint
und plötzlich vom Bundesausschuss Ärzte und Kran-
kenkassen für nicht verordnungsfähig erklärt wird. Sie
müssen mir einmal sagen, wie wir der Bevölkerung
draußen eine solche dreifache Zulassung mit jeweils un-
terschiedlichen Ergebnissen erklären sollen. Das ist
Bürokratie total.
Frau Schmidt, ich möchte Sie nur darauf hinweisen:
Sie können jede Richtgröße für die Wirtschaftlichkeit-
sprüfung der Ärzte vergessen, wenn Sie den Arzt bei der
Therapiehoheit nicht mehr in die Verantwortung nehmen.
Erst haben Sie die Budgetierung aufgehoben, ohne Richt-
größen einzuführen. Jetzt wollen Sie Richtgrößen mit ent-
sprechenden Gesetzen einführen und während Sie sie ein-
führen, schaffen Sie ihre Wirksamkeit dadurch wieder ab,
dass Sie dem Arzt die Verantwortung aus der Hand neh-
men. Das ist ein Schwachsinn ohnegleichen.
Frau Ministerin, eine letzte Bemerkung! Sie lächeln ja
gerne. Ich darf Ihnen sagen: Der Bevölkerung ist das La-
chen durch Ihre Gesundheitspolitik vergangen.
Ich muss auch sagen, dass wir Sie sehr nachsichtig und am
Anfang auch mit einem Stück Hoffnung begleitet haben.
Auch nach den Lipobay-Vorfällen im August haben wir
Sie noch mit Nachsicht behandelt, obwohl Ihr Staatsse-
kretär in der Öffentlichkeit eine hemmungslose Kampa-
gne gegen den Hersteller durchgeführt hat.
Wegen der Vorkommnisse in Amerika haben wir dies
nicht zu einem politischen Thema gemacht,
aber das sage ich Ihnen man hätte daraus sehr wohl ein
politisches Thema machen können.
Sie haben uns enttäuscht. Sie haben viele Menschen,
die Hoffnungen in Sie gesetzt haben, mit jedem Auftritt
auch heute wieder enttäuscht. Sie sind weit hinter un-
seren Erwartungen zurückgeblieben. Das hätte ich nicht
für möglich gehalten.
Sie sind jetzt insgesamt drei Jahre in der Verantwor-
tung. Sie können Ihre drei Jahre Gesundheitspolitik nicht
mehr mit den letzten 30 Jahren deutscher Gesundheitspo-
litik begründen. Auch Sie persönlich sind bereits lange
Zeit im Amt.
Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie weiter diesen falschen
Weg der staatlichen Intervention und der ständigen Re-
glementierungsspirale gehen, dann werden wir Sie per-
sönlich für das, was in der Praxis geschieht, mehr und
mehr zur Verantwortung ziehen.
Verzichten Sie auch auf Ihr Argument bezüglich der
Zuzahlung und der kleinen Leute. Meine Damen und
Herren, ich stehe zu der Erhöhung der Zuzahlung um
5 DM, weil die Bevölkerung in der Praxis erlebt hat, dass
eine Erhöhung der Zuzahlung, von der 20 Millionen Men-
schen, die ein geringes Einkommen haben, befreit sind,
sozialer ist als eine hundertprozentige Leistungsausgren-
zung, wie Sie sie bei der Behandlung von chronischen Er-
krankungen durchgeführt haben.
Sprechen Sie mit Marianne Koch, die die Schmerzkran-
ken und die Parkinsonkranken Deutschlands vertritt und
die vor kurzem mit diesen Kranken vor die Öffentlich-
keit trat. Sie steht bestimmt nicht in dem Verdacht, ein
Anwalt der Union zu sein. Sie hat der Öffentlichkeit mit-
geteilt, dass von den 600 000 Schmerzpatienten in
Deutschland nicht einmal 5 Prozent aufgrund der Arz-
neimittelbudgets und der Arzneimittelregresse eine adä-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Seehofer
18478
quate Arzneimittelversorgung erhalten und dass nicht
einmal die Hälfte der Parkinsonpatienten wegen Ihrer
Budgets die notwendigen Leistungen von ihren Ärzten
erhält. Frau Schmidt, das ist die wahre Wirkung Ihrer
Politik und der Budgets. So etwas bewirken nicht 5 DM
mehr Zuzahlung.
Deshalb rufe ich Sie auf: Korrigieren Sie Ihren Kurs! An-
sonsten werden Sie mit uns in den nächsten Monaten noch
viel Freude haben. Sie werden auch noch schlechtere Um-
frageergebnisse erhalten, als sie heute schon in den
68 Prozent Unzufriedenheit mit Ihrer Politik zum Aus-
druck kommen.
Ich erteile
das Wort der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
gen! Herr Seehofer, wir müssen uns darüber unterhalten,
ob bei dem Beispiel, das Sie zum Schluss genannt haben,
die Ursachen, die Sie in der Budgetierung ausgemacht zu
haben glauben, wirklich in den Gesetzen oder nicht viel-
mehr in der Umsetzung der Gesetze begründet liegen. Da-
rauf werde ich später noch einmal zurückkommen.
Die Frau Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass sich unsere Bilanz in der Gesundheitspolitik sehen
lassen kann. Ich nenne deshalb hier nur die Stichworte,
die mir besonders wichtig sind: das Thema Hausärzte
stärken, das Thema Qualität und das Thema Selbsthilfe.
Diese Themen haben wir mit der Gesundheitsreform 2000
auf den Weg gebracht, dies werden wir weiter ausgestal-
ten. Trotzdem daran gibt es keinen Zweifel, nicht in die-
sem Haus, nicht in der Regierung und auch nicht darüber
hinaus gibt es weiteren Reformbedarf.
Wir alle wissen, dass es Wirtschaftlichkeitsreserven
gibt. Weil uns die Krankenkassenbeiträge eben nicht egal
sind und weil es uns nicht egal ist, mit welchen Lohnne-
benkosten wir konfrontiert sind, sind wir mit der Absicht
angetreten, die Wirtschaftlichkeitsreserven im System zu
mobilisieren. Sie haben uns lange aufgefordert, eine neue
Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen. Aber immer
dann, wenn über einen weiteren Schritt diskutiert wird,
sagen Sie, dieser Schritt dürfe es auf keinen Fall sein. So
haben Sie es auch heute wieder in Bezug auf die Arznei-
mittelverordnung getan. Herr Seehofer, was Sie heute zu
der Therapiehoheit der Ärzteschaft gesagt haben, ist eine
Art von Angstmacherei und Verunsicherung, die über-
haupt nicht nötig ist.
Den Vorschlag, Medikamente, die kostengünstiger
sind, dort zu verordnen, wo dies sinnvoll ist, halte ich für
völlig berechtigt. Das hat nichts damit zu tun, dass den
Ärzten die Therapiehoheit genommen werden soll, wohl
aber damit, dass wir auf die Einsparmöglichkeiten achten.
Genau das haben Sie immer wieder von uns verlangt.
Natürlich kann man nicht sagen, es komme allein auf den
Wirkstoff an. Aber es ist eben auch nicht richtig, dass ein
Medikament nur deshalb besser ist, weil es teurer ist. In-
soweit sind wir hier auf einem richtigen Weg.
In der Ausschusssitzung von vor zwei Wochen haben
wir sehr viel über die Finanzierung im Gesundheitssystem
geredet. Ich war über das, was dazu vonseiten der Union
gesagt worden ist, sehr erschrocken. Die Union hat klar
und deutlich in den Raum gestellt, es komme nun darauf
an, dass der Bundeshaushalt für das Gesundheitssystem
in die Pflicht genommen werde. Dies ist wirklich entlar-
vend.
All das, was Sie hier und an anderer Stelle über Schul-
denabbau und Einsparungen sagen, passt damit ebenso
wenig zusammen wie Ihre Kritik an den jüngsten Steuer-
erhöhungen.
Sie wissen, Herr Lohmann, dass auch ich die Auffas-
sung vertrete, hinsichtlich der versicherungsfremden
Leistungen müsse etwas geändert werden.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass man mehr Geld in
das System geben darf, damit die Versorgung besser wird.
Sie wissen ganz genau, dass es nicht so ist. Ich bin froh,
dass die von uns begonnene Politik der Verbesserung der
Versorgung, der Qualität und der Patientenorientierung
nicht damit einhergeht, dass wir auf der anderen Seite
Strukturveränderungen als unnötig abtun, und einfach nur
mehr Geld in das System pumpen.
Das können wir uns im Übrigen auch deswegen nicht
leisten, weil wir alle wissen das hat uns der Sachverstän-
digenrat zu Recht noch einmal ins Stammbuch geschrieben
, dass es in Deutschland auch Unterversorgung gibt.
Diese Unterversorgung ist das entscheidende Thema, das
wir angehen müssen. Wir werden sie nicht angehen, in-
dem wir einfach mehr Geld in das System stecken; viel-
mehr müssen wir sehr genau hinschauen, an welchen
Punkten Veränderungen notwendig sind.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten
deutlich gesagt, dass es bei den Asthmaerkrankungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Seehofer
18479
überhaupt nicht darauf ankommt, mehr Geld oder teurere
Medikamente zur Verfügung zu stellen, sondern auf Pati-
entenschulungen. Das ist nicht Aufgabe der Politik, son-
dern klassische Aufgabe der Selbstverwaltung, die von ihr
nicht angenommen wird. Das trifft auch auf die Proble-
matik der Krebserkrankungen zu. Nicht umsonst sind bei-
spielsweise die Heilungschancen bei einigen Krebsarten
in den USA doppelt so hoch wie in Deutschland. Dieser
Tatsache müssen wir uns stellen.
Das hat eben nichts mit den Medikamenten zu tun,
sondern damit, dass es eine andere Art von Diagnose und
Therapie in Krebszentren gibt.
Wir sollten darüber nachdenken, wie wir sehr schnell
solche Kompetenzbündelungen erreichen können. Es
liegt nicht an der Zahl der Arztbesuche, es liegt nicht an
den Medikamenten, sondern an der Kompetenz-
bündelung. Ich bin sehr dafür, dass wir solche Fragen wie
die in Deutschland existierende Unterversorgung auf die
Tagesordnung setzen, statt einfach mehr Geld für das be-
stehende System zu verlangen, wobei wir durchaus die
vorhandenen Strukturen beibehalten sollten.
Sie haben erneut die Budgetierung kritisiert. Sie kriti-
sieren seit der Gesundheitsreform 2000, damit werde eine
Ausgabenbegrenzung vorgenommen. Sie haben aber
selbst ich erspare Ihnen das auch heute nicht; Hans
Eichel hat es heute Morgen schon einmal gesagt die Fle-
xibilität innerhalb der Budgetierung durch Ihre Blockade
im Bundesrat verhindert.
Natürlich haben Sie damit einen ernsthaften Schritt in
Richtung auf weitere Möglichkeiten der Strukturverände-
rung verhindert.
An dieser Stelle gehe ich auf etwas ein, was mir wirk-
lich Sorge bereitet. Über diese Frage müssen wir in der
nächsten Zeit gemeinsam diskutieren, denn sie hat nichts
mit parteipolitischen Auseinandersetzungen zu tun. Wie
Sie wissen, kann ich das nicht aus eigener Erfahrung sa-
gen, weil ich damals nicht im Bundestag war, aber ich
meine, dass auch die Gesundheitspolitik von Horst
Seehofer unter der durch die Selbstverwaltung nicht oder
viel zu langsam erfolgenden Umsetzung der beschlosse-
nen Gesetze litt. Ich halte es für unbedingt erforderlich,
dies auf die Tagesordnung zu setzen hierzu wird sich der
Sachverständigenrat im nächsten Jahr äußern , damit es
uns gelingt, zu Veränderungen zu kommen, die dann auch
wirksam werden, weil die Selbstverwaltung tatsächlich in
die Pflicht genommen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss eine Anmerkung zu ei-
nem Papier machen, das Sie im Zusammenhang mit der
Arbeitsmarktpolitik vorgelegt haben und in dem sich auch
wenige Zeilen zum Thema Gesundheitspolitik finden.
Daran kann man sehr gut erkennen, worin sich Ihre Ge-
sundheitspolitik von der von Rot-Grün unterscheidet.
Sie haben darin von Transparenz, Wettbewerb und Wirt-
schaftlichkeit gesprochen. Das sind sehr wichtige Stich-
worte. Sie wissen, dass ich viele der damit verbundenen
Gedanken teile. Sie haben aber nicht von der Bedeutung
der Solidarität gesprochen.
Sie haben nicht davon gesprochen, was sinnvolle Eigen-
verantwortung und Selbstbestimmung bedeuten.
Dieses Aufgeben der Solidarität, die man aus diesem Pa-
pier erkennen kann, unterscheidet uns. Die FDP redet
überhaupt nur von Wettbewerb.
Bei Ihnen kommt gar nichts anderes mehr vor; Ihnen geht
es nur um Ökonomie.
Sie können sich darauf verlassen, dass die Gesund-
heitspolitik von Rot-Grün mit einem vernünftigen
Gleichgewicht von Effizienz und Wettbewerb auf der ei-
nen Seite und von Patientenorientierung und Solidarität
auf der anderen Seite fortgesetzt wird und dass wir dafür
dessen bin ich mir ganz sicher, Herr Seehofer auch die
Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger bekommen
werden.
Ich erteile
das Wort nunmehr dem Kollegen Dr. Dieter Thomae für
die Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass
Horst Seehofer es schon vorweg gesagt hat: Diese Politik
ist ein Chaos. Jeden Tag erfahren wir irgendetwas Neues,
was diese Bundesregierung oder diese Koalition unbe-
dingt durchsetzen will.
Der eine spricht davon, die Hausärzte zu stärken, der An-
dere fordert den Medikamentenpass, obligatorisch. Und
jeder, der ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass dies aus
datenschutzrechtlichen Gründen einfach nicht machbar
ist.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Katrin Göring-Eckardt
18480
Ich würde mir wünschen, dass man einmal nachdenkt, be-
vor man solche Schlagwörter in die Debatte wirft und die
deutsche Bevölkerung verunsichert.
Jetzt geht es ja weiter, Schlag auf Schlag. Nachdem
man viele Leistungen und finanzielle Mittel dem gesetz-
lichen System im Krankenversicherungsbereich entzogen
hat, muss man mit aller Macht verhindern, dass die Bei-
tragssätze steigen. Jetzt geht es los, jetzt hat man wieder
die Arzneimittel entdeckt und beginnt erneut, träumeri-
sche Ideen zu verbreiten. Man glaubt, man könne die The-
rapiefreiheit einfach so in andere Hände legen.
Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Was Sie betreiben, ist
organisierte Verantwortungslosigkeit in diesem Bereich.
Es ist so! Es ist unverantwortlich, welches Spiel Sie jetzt
mit Arzneimitteln betreiben. Wenn Sie sagen, Sie wollten
auf der einen Seite aut idem in diesen Bereich verla-
gern, Sie wollten die Rabatte reduzieren
meine Damen und Herren, wir wollen die Rabatte sprei-
zen , dann wissen Sie, dass das für die allgemeine Ver-
sorgung in der Bundesrepublik gerade im Flächenbereich
erhebliche Nachteile hat. Da gibt es überhaupt keine Dis-
kussion.
Dann soll jetzt auch noch der Bundesausschuss ent-
scheiden. Meine Damen und Herren, wir setzen Experten
ins Arzneimittelinstitut, die über viele Jahre hinweg über-
prüfen, ob Arzneimittel keine Nebenwirkungen haben
und keine Probleme bereiten. Und jetzt soll ein Bundes-
ausschuss man muss sich einmal die Zusammensetzung
ansehen auch noch entscheiden, welche Arzneimittel
genutzt werden können. Es ist unglaublich, welchen
Schwachsinn Sie in die Diskussion werfen.
Ich begreife Sie einfach nicht und verstehe nicht, wie ver-
antwortliche Politiker aus Ihren Reihen,
die diese Probleme seit vielen Jahren kennen, so etwas
mitmachen können.
Es gibt ja noch weitere Probleme. Von der Ministerin
wird davon gesprochen, die Versorgung in der Bundesre-
publik Deutschland im ambulanten Bereich und im sta-
tionären Bereich sei ideal. Gehen Sie einmal in die
neuen Bundesländer! Ich nenne Ihnen nur Brandenburg.
Da gibt es Allgemeinpraxen, die seit über einem Jahr
leer stehen und für die sich kein Nachfolger findet. Das
Problem wird sein: Wir werden in einem Jahr oder in
zwei Jahren nennenswerte Arztprobleme in dieser Repu-
blik haben. Dafür gibt es heute schon massive Kennzei-
chen in der Form, dass an den Kliniken zu wenig junge
Ärzte sind. Was tun Sie? Nichts tun Sie! Sie zerstören
ganz bewusst die freiheitlichen Strukturen in unserem
System.
In Brandenburg können wir Ihnen Praxen zeigen, die
nicht besetzt werden. Was machen Sie da? Nichts! Das ist
für Sie selbstverständlich. Das liegt auch an dem Hono-
rierungssystem, das Sie in den letzten Jahren etabliert ha-
ben.
Wir sind für DRGs, aber ich sage Ihnen auch: Ich ma-
che mir Sorgen, wie im Laufe Ihrer Politik die DRGs ver-
ändert werden. Sie bekommen unsere Zustimmung nur
dann, wenn Sie die DRGs so organisieren, dass daraus ein
echtes Preissystem wird, dass die Budgetierung fällt.
Sonst können wir das nicht machen.
Ganz wichtig ist auch, dass die Hochschulmedizin bei
den DRGs nicht vor die Hunde geht. Auch dies ist ein
wichtiger Bereich, der beachtet werden muss. Hier habe
ich noch viele Bedenken und Vorbehalte, aber ich denke,
wir werden in den Beratungen noch weiter über dieses
Thema sprechen.
Lassen Sie mich bitte noch einen Punkt außer der Ärz-
teproblematik ansprechen, der mir sehr am Herzen liegt.
Das ist die Pflegeproblematik. Wir haben heute schon
Kliniken und Altenheime, die teilweise oder ganz ge-
schlossen werden müssen, weil wir keine Pflegekräfte
mehr haben. Frau Ministerin, ich denke, Sie haben auch
die Aufgabe, mit den Verbänden und Organisationen eine
Imagekampagne in diesem Bereich zu starten. Sonst wer-
den wir dramatische Entwicklungen erleben.
Ich fordere Sie auf, endlich Ihre Funktion und Ihre Auf-
gaben in diesem Bereich wahrzunehmen.
Ich bin pessimistisch, dass Sie unser Gesundheitssys-
tem wirklich weiter organisieren können. Sie haben bis-
her voll versagt.
Nun spricht
für die Fraktion der PDS die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Für uns ist es keine Überraschung, dass auch
dieser Haushalt im Zeichen der Spar- und Konsolidie-
rungspolitik steht. Massiv davon betroffen sind die ge-
setzliche Krankenversicherung und das Gesundheitswe-
sen. Um die Neuverschuldung des Bundes abzubauen,
bedient sich leider auch diese Regierung kräftig aus den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Dieter Thomae
18481
Beitragseinnahmen der Krankenkassen. Und niemand hat
den Mut, das zu korrigieren.
Festgehalten werden muss auch, dass es mit Aus-
nahme der Arzneimittelkosten nicht die Ausgabenent-
wicklung ist, die für die aktuellen Finanzprobleme der
GKV verantwortlich ist. Beim Arzneimittelbudget hat die
Ministerin den Fehler gemacht, Restriktionen aufzuhe-
ben, ohne ein sinnvolleres Steuerinstrument zu etablieren.
Jetzt bemüht sie sich um eine Begrenzung der Medika-
mentenkosten. Das halten wir für richtig, auch wenn man
sich über die einzelnen Vorschläge durchaus streiten kann.
Nur, Frau Ministerin, das allein wird den politischen
Druck nicht abbauen, unter dem Sie wegen der drohenden
Beitragserhöhungen stehen.
So zeigen die jüngsten gesundheitspolitischen Ausei-
nandersetzungen, dass die Privatisierer von Gesundheits-
kosten wieder auf breiter Front gegen die solidarische
Krankenversicherung angetreten sind. Aus der Erfolglo-
sigkeit der bisherigen Kostendämpfungsgesetze wird jetzt
abgeleitet, dass das ganze System radikal umgebaut wer-
den muss. Am lautesten kommt dieser Ruf aus dem Ar-
beitgeberlager, begleitet von der rechten Seite dieses Hau-
ses. Dem Umbau soll vor allem eine Marktradikalität
zugrunde liegen. Genau das halten wir für grundfalsch,
weil damit die soziale Funktion des Gesundheitswesens
völlig verloren geht.
Verlangt wird von den Rufern, dass es möglichst sofort
zu einer neuen großen Gesundheitsreform kommt. Ein
solches Vorhaben, soll es Sinn machen, muss natürlich tief
in die Strukturen und Anreizsysteme des Gesundheitswe-
sens eingreifen. Das aber bedarf selbstverständlich sorg-
fältiger Vorbereitung. Doch darum geht es anscheinend
nicht. Ziel ist vielmehr, einen möglichst schnellen und
deutlichen Schub bei der Privatisierung des Krankheitsri-
sikos zu erreichen. Das ist die nackte Wahrheit, die hinter
den ständigen Rufen nach mehr Eigenverantwortung,
nach Grund- und Wahlleistungen und mehr Wettbewerb
im Gesundheitswesen stecken.
Natürlich, der Wettbewerb um bestmögliche medizi-
nische Qualität und höhere Effektivität im Gesundheits-
wesen ist sinnvoll. Allerdings wird gefordert, jeder Kasse
das Recht zu geben, mit ausgewählten Krankenhäusern
und Ärzten einzeln Verträge abzuschließen. Das heißt, ei-
nen ökonomischen Wettbewerb auch auf die Leistungser-
bringer auszudehnen. Wer Einkaufsmodelle favorisiert,
sollte aber offen sagen, was er damit bezweckt und was
die Folgen sind. Erstens. Der für die Versicherten prinzi-
piell mögliche Zugang zu allen Versorgungseinrichtungen
würde aufgegeben. Zweitens. Die Krankenhäuser und
Ärzte würden in einen Preisunterbietungswettbewerb ge-
zwungen, der zu wachsenden Abstrichen in der medizini-
schen Qualität führen muss. Drittens. Die Kassen werden
früher oder später bestrebt sein, Einfluss auf die unmittel-
bare Behandlung ihrer Versicherten zu nehmen.
Regel- und Wahlleistungen meine Damen und Her-
ren von der rechten Seite, da können Sie reden, was Sie
wollen bedeuten die Abkehr vom Prinzip einer sozialen
Krankenversicherung, das jedem Mitglied im Bedarfsfall
alle notwendigen Leistungen zur Verfügung stellt. Die of-
fene Zweiklassenmedizin lässt grüßen. Um das zu ver-
hindern, halten wir es für umso wichtiger, dass die Sozi-
aldemokraten in all diesen Fragen wieder mit einer Zunge
sprechen.
Nicht einzelne Politikerinnen und Politiker wie Sie
heute wieder, Frau Minister, was uns freut , sondern Ihre
Partei selber muss den Menschen, und zwar noch vor den
Bundeswahlen, sagen: Dieser Weg, den ich eben vorge-
zeichnet habe, wird es mit der SPD nicht geben.
Nun zur neuen Krankenhausvergütung: Sie, Frau
Minister, sagen, das sei eine gute Sache. Ich wünsche
mir das von Herzen, nur leider scheint das nicht so zu
werden. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wer Fallpau-
schalen einführt und damit zu einer prospektiven Finan-
zierungsform übergeht, verlagert das finanzielle Risiko
von der Versicherung allein auf die Leistungserbringer.
Das hat nach allen internationalen Erfahrungen auch
gravierende Folgen für das medizinische Handeln der
Ärzte und Schwestern. Außerhalb der Krankenhäuser
entsteht neuer Behandlungs- und Pflegebedarf. Das alles
bleibt in der Diskussion bisher weitgehend unberück-
sichtigt.
In den Beratungen zum Gesetzentwurf werden wir uns
deshalb dafür einsetzen, dass die Versorgungsqualität für
Patienten und Pflegebedürftige sowie angemessene Ar-
beits- und Tarifbedingungen in den Krankenhäusern nicht
unter die Räder kommen.
Der heute auch vorgelegte Gesetzentwurf zur Leis-
tungsverbesserung für bestimmte Pflegebedürftige geht
ohne Frage in die richtige Richtung. Aber auch er bleibt
sowohl im Leistungsumfang als auch in der konkreten
Ausgestaltung Stückwerk. Auch hier werden wir die Ein-
zelheiten in den Ausschüssen beraten. Ich hoffe, dass wir
aus dem Stückwerk für die zu Pflegenden ein gutes Ge-
setz machen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dr. Martin Pfaff für die Fraktion der
SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Jeder, aber auch jeder seriöse Ge-
sundheitspolitiker und vor allem die Fachleute wissen:
Wenn Ausgabendruck besteht, gibt es letztlich nur vier
Wege, um ihm zu begegnen. Man kann erstens die Bei-
tragssätze steigen lassen. Das wollen wir aber weder den
Erwerbstätigen noch den Arbeitgebern zumuten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Ruth Fuchs
18482
Die zweite Möglichkeit wäre, die Zuzahlungen steigen zu
lassen. Das ist die Faust aufs Auge. Wir haben sie am An-
fang der Wahlperiode gesenkt; das kann keine Lösung sein.
Die dritte Möglichkeit ist die Leistungsausgrenzung. Da-
rüber hinaus könnte man noch ein wenig Camouflage be-
treiben und die Bürgerinnen und Bürger zu täuschen versu-
chen, indem man von Wahl- und von Regelleistungen
spricht. Aber auch das ist im Endeffekt eine Auslagerung
von Leistungen. Nur diejenigen können diese Wahlleistun-
gen bezahlen, die mehr DM oder Euro in der Tasche haben.
Und es gibt viertens den Weg der Einsparungen.
Herr Seehofer, Sie haben mit Stolz auf die Beitrags-
sätze am Ende der letzten Legislaturperiode hingewiesen.
Auch Ihre Kollegen haben öfter auf den Überschuss des
Jahres 1998 aufmerksam gemacht. Ich sage Ihnen: Wer
Ausgaben durch Zuzahlungen und Leistungsausgrenzun-
gen auf die Alten und Kranken verlagert, wer den Weg der
Privatisierung geht, der bekommt wie Sie 1998 zu Recht
die politische Quittung für einen solchen Weg.
Sie haben selbst zugestanden, dass dies ein Grund war,
weshalb Sie die Wahl verloren haben. Das war ein viel
deutlicheres Zeichen des Missbehagens der Bevölkerung
über die Gesundheitspolitik als die Umfrage, die Sie heute
zitiert haben.
Sie haben der Gesundheitsministerin Schmidt bei-
spielsweise vorgeworfen, dass sie jetzt eine Preisabsen-
kung um 5 Prozent vorsieht.
So habe ich Sie zumindest verstanden. Dann ist es eben
in Ihrer Gruppe gefallen. Ich frage Sie, Herr Seehofer, ha-
ben Sie in Ihrer Amtszeit eine Absenkung um 5 Prozent
durchgesetzt, ja oder nein?
Dann ist es ja gut. Dann sind Sie in dieser Geschichte
auf unserer Seite. Das möchte ich festhalten. Ich hoffe,
dass Sie es auch in Zukunft nicht sagen können.
Das, was Sie, Herr Seehofer, zur Therapiefreiheit ge-
sagt haben, hat mich enttäuscht. Ich hätte von Ihnen schon
ein höheres Niveau erwartet.
Wir wissen, dass das, was der Arzt verschreibt, gemäß
medizinischer Indikation und nach sonst gar nichts zu er-
folgen hat. Ich frage Sie: Wo ist die Therapiefreiheit ein-
geschränkt, wenn ein Arzt ein Arzneimittel einer be-
stimmten generischen Art verschreibt, weil es angebracht
ist, und der Apotheker es werden übrigens heute schon
bei 25 Prozent der Rezepte Kreuzchen gemacht , anhand
dieser Verschreibung ein günstigeres Arzneimittel wählt?
Das kann ich wirklich nicht erkennen. Ich kann das beim
besten Willen nicht erkennen.
Wenn Sie die Argumente wiederholen, ist das eine be-
wusste Täuschung der deutschen Öffentlichkeit.
Ich komme jetzt auf den Kassenrabatt zu sprechen, da
muss ich Dieter Thomae erwähnen, der sagte: Sie zer-
stören die freiheitlichen Strukturen in unserem System.
Ich frage: Sind Monopol- oder Oligopolpreise, sind oli-
gopolistische Strukturen wie im Pharma- und Apotheker-
bereich, die durch gesetzgeberisches Handeln bestimmt
werden, Ausdruck der Freiheit in unserem System?
Ich meine nicht. In keinem anderen Bereich unserer
Volkswirtschaft würden Sie solche Preisstrukturen dulden
die wenigen Ausnahmen wie die Landwirte und Ähn-
liche will ich nicht angehen , Sie würden vielmehr die
Einsparungen fordern, die diese Bundesregierung vor-
nimmt. Sie hat nämlich festgestellt, dass Einsparungen
möglich sind; und wenn es Einsparungsmöglichkeiten
gibt, dann müssen sie auch genutzt werden.
Sie haben der Ministerin gesagt das hat mich beson-
ders überrascht , Sie seien die ganze Zeit sehr nachsich-
tig gewesen. Herr Seehofer, wir waren am Anfang Ihrer
Amtszeit mit Ihnen nicht nur nachsichtig, sondern haben
Sie auch tatkräftig unterstützt. Das müssen Sie zugeste-
hen. Das sage ich nicht nur, um Punkte bei Ihnen zu sam-
meln. Wir haben Ihre Konzepte ich nenne nur die Lahn-
stein-Reform nach bestem Wissen verbessert. Wir haben
die Entscheidungen zusammen getroffen. Jetzt der Minis-
terin zu sagen, man sei angesichts dessen, was sie getan
hat, noch nachsichtig mit ihr gewesen, finde ich nicht
richtig. Wenn ich die Haltung Ihrer Partei in der Frage des
Risikostrukturausgleichs sehe, dann frage ich: Wo bleibt
Ihre Glaubwürdigkeit, wenn Sie behaupten, dass Sie an
den Fehlentwicklungen, die wir gemeinsam zu verant-
worten haben 90 Prozent der Abgeordneten dieses Par-
laments haben das von Ihnen jetzt kritisierte Gesetz ver-
abschiedet; wir haben es also gemeinsam beschlossen ,
keine Schuld hätten? Mit welchem moralischen Anspruch
können Sie der Bundesministerin jetzt solche Vorhaltun-
gen machen?
Sie haben wieder auf das Budget hingewiesen. Das
scheint für Sie die Zauberformel zu sein, mit der man alle
Argumente der anderen Seite entkräften kann. Ich frage
Sie: Steht in Norbert Blüms Gesundheitsreformgesetz et-
was von Beitragssatzstabilität? Wird mit dem Gesund-
heitsstrukturgesetz Beitragsstabilität angestrebt, ja oder
nein? Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja! Wie soll Bei-
tragssatzstabilität gewährleistet werden? Sie kann nur ge-
währleistet werden, wenn die Ausgaben im Gesundheits-
wesen nicht stärker steigen als die Löhne, auf deren
Grundlage die Beiträge zur Krankenkasse bemessen wer-
den. Das Gebot der Beitragssatzstabilität führt zu nichts an-
derem als zur Begrenzung der Ausgaben entsprechend der
Höhe der Einnahmen. Das haben Sie damals, als Sie an der
Regierung waren, auch so dargestellt. Jetzt sind Sie in der
Opposition und nun scheint das alles nicht mehr zu gelten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Martin Pfaff
18483
Ich sage dazu: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahrlich
nicht mit Steinen werfen.
Noch ein anderer Punkt: Wenn Sie Einsparungen nicht
realisieren, wie wir das tun wollen, und die Beiträge an-
geblich auch nicht steigen lassen wollen das wollen wir
alle nicht , dann sollten Sie, lieber Herr Seehofer, den
Frauen und Männern in diesem Land sagen: Wir von der
CDU/CSU und FDP wollen, dass eure Zuzahlungen und
eure Beiträge steigen, und zwar wegen Kapazitäten, die
über den Bedarf hinausgehen. Aber dazu fehlt Ihnen si-
cherlich der politische Mut; denn Sie wissen, dass Sie
dann im nächsten Jahr die gleiche Quittung wie 1998 be-
kommen werden.
Wir wissen, dass Beitragssatzdruck im System be-
steht. Wir wissen, dass dies die Konsequenz aus mehreren
Faktoren bzw. Verschiebebahnhöfen ist, die Sie und auch
wir das sage ich ganz offen zu verantworten haben. Sie
haben nach Schätzung der Krankenkassen ein Defizit von
66 Milliarden DM das entspricht, hochgerechnet auf
dieses Jahr, in etwa einem halben Beitragssatzpunkt zu
verantworten. Auch die jetzige Bundesregierung musste
das kann doch wirklich keinen Gesundheitspolitiker be-
glücken Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen ergrei-
fen; denn Sie haben uns das haben Sie vorhin nicht er-
wähnt einen hohen Beitragssatz und einen Schuldenberg
im fiskalischen Haushalt in Höhe von 1,5 Billionen DM
hinterlassen. Glaubt denn irgendeine oder irgendeiner in
diesem Hohen Hause, dass zum Beispiel die Reform der
Rente und anderes geschehen wäre, wenn wir keine Spar-
maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung hätten ergrei-
fen müssen? Das kann doch niemand ernsthaft glauben.
Das ändert natürlich nichts daran, dass es sich um Ver-
schiebebahnhöfe gehandelt hat. Aber sie müssen auch im
Lichte ihrer Hinterlassenschaft gesehen werden. Daran
muss man gar nicht lange herumdeuteln.
Sie haben aber jetzt eine Chance, der staunenden Öf-
fentlichkeit zu zeigen, wie konstruktiv Sie in der Opposi-
tion sein können, indem Sie nichts anderes tun als das,
was wir während Ihrer Amtszeit, lieber Herr Seehofer, ge-
tan haben: Wir haben Sie bei Ihrem Gesetz, mit dem Sie
die Finanzen der GKV-Ost stärken wollten, unterstützt.
Wir haben Sie unterstützt, als die CSU in Bayern und die
CDU in Baden-Württemberg Sie im Regen hat stehen las-
sen. Obwohl wir in der Opposition und die Fronten da-
mals verhärtet waren, haben wir gesagt: Es ist gut und
richtig, dass wir etwas für die Menschen in den neuen
Ländern tun; wir werden Herrn Seehofer trotz allem un-
terstützen! Wir haben es auch getan. Wo bleibt Ihr Bei-
spiel heute, wenn es um die RSA-Reformen geht?
Das ist doch nichts, was wir erfunden haben. Wir haben
das gemeinsam zu verantworten. Wo bleibt Ihr Verant-
wortungsgefühl in diesem Bereich?
Ihr Versuch, irgendetwas gegen die Regierungskoali-
tion zu finden, ist legitim. Es ist irgendwie nachzuvollzie-
hen, dass Sie immer wieder auf die Ladenhüter zurück-
kommen, wenn Ihnen gute Argumente fehlen. Ich will
daher gnädig sein und nicht zu hart mit Ihnen ins Gericht
gehen. Aber glauben Sie doch nicht, dass irgendjemand in
deutschen Landen annehmen wird, dass die Folgen für die
Beitragssatzentwicklung, die wir jetzt spüren, systembe-
dingt, also eine zwingende Konsequenz aus Fehlelemen-
ten unseres Systems, sind. Diese Entwicklung ist die
Folge einer fehlerhaften Politik. Teilweise haben wir sie
von Ihnen als Erblast übernommen, teilweise haben wir
diese fehlerhafte Politik fortgesetzt.
Wir werden uns nicht beirren lassen. Wir bleiben bei
den Grundprinzipien einer sozialen Krankenversiche-
rung. Auch in Zukunft wird jeder Mann, jede Frau und je-
des Kind Leistungen nach dem Bedarf nur danach, nicht
nach dem Umfang der Geldbörse erhalten.
Auch in Zukunft wird es so sein, dass diejenigen mit brei-
teren Schultern eine schwerere Last zu tragen haben.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hans Georg
Faust.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren hat
Frau Ministerin Fischer mit dem Gesetz zur Reform der
gesetzlichen Krankenversicherung das Wort Reform
streiche ich versucht, die in der Bundesrepublik ge-
wachsene Krankenhauslandschaft gewissermaßen einzu-
dampfen. Vieles ist damals Sie erinnern sich: monis-
tische Krankenhausfinanzierung, Krankenhausplanung in
Krankenkassenhand im Bundesrat gescheitert. Übrig
geblieben ist die Einführung eines neuen Entgeltsystems
für die stationären Leistungen der Krankenhäuser ab dem
1. Januar 2003. Allen Kennern der Materie ist die Brisanz
dieser Grundsatzentscheidung bewusst. Zunehmend wird
auch den Beteiligten klar, dass die Einführung der DRGs
in Deutschland einer Revolution im Krankenhaussektor
gleichkommt, von der alle im und um das Krankenhaus
betroffen sein werden.
Die Geschichte kennt blutige und auch friedliche
Revolutionen. Die Steuerung ist immer schwierig und das
Ende immer ungewiss. Was die komplette Umstellung des
Entgeltsystems angeht, wissen wir zwar im Jahr 2003,
spätestens 2004, welche Krankenhäuser in dem dann viel-
leicht fertigen System gute, schlechte oder gar keine Über-
lebenschancen haben; die harten Folgen werden aber
gleich danach, in den folgenden Konvergenzjahren, ein-
setzen.
Sie, Frau Ministerin Schmidt, transplantieren jetzt ein
wettbewerbsorientiertes, scharfes Preissystem in ein von
Budgets und sektoralen Abgrenzungen geprägtes, in den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Martin Pfaff
18484
letzten Jahren zunehmend reguliertes und von Ankündi-
gungen gestütztes Gesundheitssystem. Diese Operation
das garantiere ich werden viele kleine Krankenhäuser
in der Fläche dann mit Sicherheit nicht überleben, wenn
die Einführung der Fallpauschalen nicht in einen Gesamt-
reformansatz eingebunden ist.
Ich bin immer ein netter Mensch, auch jetzt.
Drei wesentliche Rahmenbedingungen stimmen nicht,
Frau Ministerin:
Erstens. Der Zeitplan ist vollkommen durcheinander
geraten. Die aus Prestigegründen beibehaltene, mittler-
weile nur teilweise vollzogene Einführung eines aus-
tralischen Systems schon 2003 führt zu überflüssigen
Bindungen von Kapazitäten in vielen Bereichen, insbe-
sondere das wissen Sie genau im Softwarebereich. Ein
Jahr budgetneutrale Anpassung für alle Häuser im
Jahr 2004 und auch die Konvergenzphase sind zu kurz.
Von einer Konvergenzphase für die Krankenkassen, die
sich bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen eben-
falls anpassen müssen, und von dem dann auftretenden
Mischmasch zwischen Konvergenzphase der Kranken-
häuser und Konvergenzphase der Krankenkassen spricht
überhaupt niemand.
Zweitens. Die Einbettung in das Gesamtsystem ist
nicht vorbereitet. Ein erklärtes Ziel der Fallpauschalen ist,
die Verweildauer in den Krankenhäusern zu verkürzen.
Wenn das geschieht, dann verdichten sich die Kran-
kenhausleistungen und der Anreiz ist groß, durch Abbau
von Kosten das ist ja teilweise gewünscht Qualität zu
sparen. Die Patienten werden durch ein neues Entgelt-
system nicht gesünder. Wer schon eine personalbelas-
tende Leistungsverdichtung in Kauf nimmt, muss wenigs-
tens erklären, wie die vor- und nachgeschalteten Bereiche,
der Reha-Sektor und insbesondere die niedergelassene
Ärzteschaft, die dann nicht mehr im Krankenhaus er-
brachten Leistungen abdecken sollen. Der Hinweis auf
das Budgetablösungsgesetz hilft da wenig; denn Richt-
größen mit Regressdrohungen wird es auch in Zukunft ge-
ben. Das prophezeie ich Ihnen.
Drittens. Die Krankenhausplanung stimmt mit der
neuen Krankenhauslandschaft nicht überein. Wie Sie,
Frau Ministerin, die sich dann an Entgelten orientierende
Krankenhausentwicklung mit der von den Ländern zu
verantwortenden Kapazitätsplanung abgleichen wollen,
bleibt mir ein Rätsel. Ökonomische Wirklichkeit und
Sicherstellungsvorstellungen der Länder werden weit
auseinander klaffen. Auch der von Ihnen zugesagte Kitt
der Zuschlagsvereinbarung wird diese Spalten nicht fül-
len können.
Alles in allem: eine evolutionäre Weiterentwicklung
des Fallpauschalensystems ja. Das kann auch mit dem
Ziel einer weitgehenden Abdeckung von Diagnosen und
Prozeduren geschehen, aber bitte in einem angemessenen
Zeitrahmen, unter Berücksichtigung des gesetzlichen
Auftrags der Länder und vor allem, Frau Ministerin, ein-
gebettet in eine Gesamtreform des Gesundheitswesens.
Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.
Klinische Experimente, die die Krankenhauslandschaft
weitgehend unkontrolliert zerschlagen und die wohnort-
nahe Versorgung gefährden, sind mit uns nicht zu machen.
Ich erteile
nunmehr dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Frak-
tion der SPD das Wort.
Herr Präsi-
dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon auf-
fallend: Wenn in Deutschland über DRGs geredet wird,
will niemand mehr zurück. Es ist auffallend, dass niemand
mehr eine Bezahlung nach belegten Betten haben will.
Die Menschen wollen, dass auch in Deutschland nach
Leistung bezahlt wird. Es ist auffallend: Wenn über DRGs
diskutiert wird, werden keine wirklichen Alternativen zu
dem aufgezeigt, was wir jetzt einleiten werden.
Es ist aber auch klar das dürfen wir dabei nicht ver-
kennen , dass mit der Einführung der DRGs ganz ent-
scheidende Weichenstellungen stattfinden. Die Ministerin
hat heute deutlich gesagt: Was den Krankenhaussektor an-
geht, steht die umfassendste Reform im Gesundheitswe-
sen vor uns. Es geht daher bei vielen Betroffenen eine Art
Angst um. Wenn wir aber unsere Werte von einer ganz-
heitlichen Krankenbehandlung sichern und befördern,
überwinden wir die Ängste auch bei denjenigen, die vor
den Entscheidungen stehen.
Unser Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser steht erstens
für eine umfassende Patientenorientierung, zweitens für
eine umfassende Mitarbeiterorientierung, drittens für eine
umfassende Qualitätssicherung und viertens für eine um-
fassende Effizienzverbesserung.
Erstens. Für umfassende Patientenorientierung
steht: Der Patient rückt jetzt in den Mittelpunkt. Die
Struktur und die Betriebsabläufe orientieren sich absolut
an den Bedürfnissen der Patienten; denn Krankenhäuser
arbeiten in Zukunft nur dann wirtschaftlich, wenn sie die
Betriebsabläufe patientenorientiert einführen. Dann ist
der Patient gleichzeitig der Gewinner.
Zweitens. Für umfassende Mitarbeiterorientierung
steht: Der gerechte Preis für die Leistung rückt in den Mit-
telpunkt. Die Leistung der Mitarbeiter wird transparent.
Diese Transparenz schafft mehr Gerechtigkeit bei der Ver-
teilung von Ressourcen in Krankenhäusern. Schauen wir
einmal nach Hamburg und woandershin: Selbst Verant-
wortungsträger, die diesem Vorgehen kritisch gegenüber
standen, sind davon überzeugt, dass mit DRGs mehr Ge-
rechtigkeit innerhalb der Krankenhäuser eingeführt wird.
Damit aber das Geld der Leistung folgen kann, müssen
wir eine gerechte Vergütungsform schaffen. Das neue
Entgeltsystem gleicht die individuelle Leistung am Pati-
enten ab. Es differenziert nach Diagnosen, nach Schwere-
grad, nach Alter und Begleiterkrankung und sorgt für eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Hans Georg Faust
18485
gerechte Bezahlung. Auch die individuelle Belastung der
Beschäftigten durch den Versorgungsauftrag eines Kran-
kenhauses wird durch Zu- und Abschläge gerecht ausge-
glichen. Krankenhäuser, die ausbilden, werden nicht mehr
bestraft. Durch einen von allen Krankenhäusern gespeis-
ten Ausgleichsfonds werden diejenigen Krankenhäuser
Geld erhalten, die zukünftig ausbilden.
Drittens. Für umfassende Qualitätssicherung steht:
Die Qualität der Versorgung des Patienten rückt in den
Mittelpunkt. Zur Sicherstellung der Versorgungsqualität
wird der Medizinische Dienst der Krankenkassen erwei-
terte Rechte bekommen. Damit wird gewährleistet, dass
Patienten nicht vorzeitig entlassen werden, dass im Kran-
kenhaus kein Drehtüreffekt entsteht und dass nicht falsch
abgerechnet wird. Dazu schaffen wir eine Qualitätssiche-
rung mit Biss. Denn nur mit finanziellen Sanktionen kann
man eine Wirkung erreichen. Wenn ein Krankenhaus vor-
sätzlich zu hohe Rechnungen gestellt hat, ist anstelle des
Differenzbetrages der doppelte Differenzbetrag zurückzu-
zahlen.
Viertens. Für umfassende Effizienz steht: Die Wirt-
schaftlichkeit rückt in den Mittelpunkt. Das Gesetz
zwingt Krankenhäuser zu einer besseren Prozess- und Pa-
tientenorientierung. Unnötig lange Liegezeiten werden
vermieden. Es wird nicht mehr so sein, dass am Freitag
die Einweisung in ein Krankenhaus erfolgt und am Mon-
tag die Behandlung beginnt. Diese Dinge werden der Ver-
gangenheit angehören.
Die Krankenhäuser, die schon heute gut arbeiten, werden
gewinnen. Die Krankenhäuser, die eher schlampig ge-
führt sind, werden sich wandeln müssen. Mit einer ver-
besserten Effizienz darauf sind wir dringend angewie-
sen werden wir in Deutschland vom letzten Platz, was
Verweildauer und Bettenzahl angeht, zumindest wieder
auf einen mittleren Platz innerhalb der OECD-Staaten
vorrücken.
Was wir mit Patienten- und Mitarbeiterorientierung,
mit Qualitätssicherung und Effizienz erreichen wollen, ist
deutlich geworden. Wir haben uns auf dem Weg dahin für
ein lernendes System entschieden.
Die eine Seite des lernenden Systems ist: Die Kranken-
häuser lernen, mit dem neuen Vergütungssystem umzuge-
hen. Keinem Krankenhaus wird die Neuregelung überge-
stülpt. Der Wandel geht vielmehr Schritt für Schritt vor
sich.
Die Umstellung erfolgt in drei Phasen. Voll eingeführt
und voll angewendet wird das neue Vergütungssystem ab
dem 1. Januar 2007. Ich weiß nicht, wie bei einer Ein-
führungszeit von fünf Jahren ein Zeitplan durcheinander
geraten kann. Wir werden vielfach gefragt:
Seid ihr verrückt? Warum braucht ihr denn fünf Jahre, um
ein Vergütungssystem einzuführen? Das muss doch auch
in kürzerer Zeit erreicht werden können.
Gehen wir einmal zusammen in Ihre Heimat, Herr
Thomae. Dann können wir das feststellen. Ich werde Ih-
nen im Anschluss gerne sagen, welche Krankenhäuser
diese Frage gestellt haben. Viele wollen dieses neue Ver-
gütungssystem nämlich lieber morgen als übermorgen.
Die zweite Seite des lernenden Systems ist: Auch die
Politik lernt mit dem neuen System. Die daraus gewonne-
nen Erfahrungen finden vor 2007 Eingang in ein Folge-
gesetz.
Lassen Sie mich beim Leitbild des lernenden Systems
bleiben, wenn ich zur Pflege und zu unserem Pflegeleis-
tungs-Ergänzungsgesetz überleite. Gelernt haben wir,
dass die Pflege um die Betreuung für demenzkranke Men-
schen ergänzt werden muss. Gelernt haben wir, dass es für
die Dementen nicht die Lösung gibt. Gelernt haben wir,
dass wir eine Palette von Angeboten, ein Angebot unter-
schiedlicher Bausteine, brauchen.
Wir brauchen Bausteine, die sich kombinieren lassen, so-
dass sie der individuellen Situation der Erkrankten und ih-
rer Angehörigen gerecht werden.
Bekanntlich durchläuft die Demenz drei Phasen. Jede
Phase führt sowohl bei den Betroffenen als auch bei den
Angehörigen zu anderen Bedürfnissen, zu anderen Erfor-
dernissen. Anneliese Heyde, die in Baden-Württemberg
eine Betreuungsgruppe für Demente leitet, hat es so for-
muliert:
Mein Mann war zehn Jahre demenzkrank. Ich habe
ihn in den ersten Jahren durch die Krankheit beglei-
tet. Die folgenden Jahre waren von Versorgung be-
stimmt.
Das ist also die zweite Phase: Es ging darum, da zu sein.
Die letzten drei Jahre waren von Pflege rund um die
Uhr geprägt.
Das sind diese drei Phasen. Vor allem für die ersten
zwei Phasen schaffen wir niedrigschwellige Angebote,
die die betroffenen Familien entlasten. Somit ist es der
Bezugsperson für die Dauer von zwei oder drei Stunden
möglich, einen Arzttermin wahrzunehmen, zum Friseur
zu gehen oder auch, wenn es notwendig ist, den Nacht-
schlaf nachzuholen, den sie nicht hatte.
Oft erleichtern gerade diese niedrigschwelligen Angebote
den pflegenden Angehörigen den für sie schweren Schritt,
erstmals Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Schmidbauer
18486
Aber mit Betreuungsgruppen wird auch den Pflege-
bedürftigen nachhaltig geholfen. Den Pflegebedürftigen
wird in der Entlastungsphase der Angehörigen eine Be-
treuung geboten, die ihnen helfen soll, vorhandene Fähig-
keiten zu erhalten oder verloren gegangene Fähigkeiten
wieder zu gewinnen. Damit wird für Demenzkranke und
pflegende Angehörige ein Netz von abgestuften, be-
dürfnisorientierten, gemeindenahen Hilfen und Versor-
gungsangeboten geschaffen. Dazu braucht man Men-
schen, die in die Familie gehen. Wir müssen also viel
mehr Menschen finden, die dazu bereit sind.
Aber auch die Angehörigen verdienen unser Augen-
merk, denn die Angehörigen brauchen Beratung und Un-
terstützung. Sie müssen wissen, was auf sie zukommt. Sie
müssen lernen, dass sie mit der Aggression der Kranken
nicht persönlich gemeint sind; sie lernen damit umzuge-
hen. Deshalb sind im Netz auch Angehörigengruppen und
Selbsthilfegruppen mehr als gefragt.
Aber auch wir wollen mit allen Beteiligten gemeinsam
lernen. Wir wollen lernen, wie die Zukunft am besten ge-
staltet werden kann. Dazu werden fünf Jahre lang 20 Mil-
lionen Euro Jahr für Jahr für Modellvorhaben zur Verfü-
gung gestellt.
Also, auch die Pflege braucht Pflege. Pflege braucht
neue Versorgungsformen. Pflege muss an die gesell-
schaftliche Entwicklung angepasst werden. Pflege muss
auf die individuellen Bedürfnisse des Pflegebedürftigen
und seiner Angehörigen ausgerichtet sein. Pflege muss
das Selbstbestimmungsrecht respektieren und stärken. Sie
sehen, wir sind auf dem richtigen Weg.
Zu einer Kurz-
intervention gebe ich dem Kollegen Ulf Fink das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer hat
dargetan, was die Regierungskoalition Großartiges für die
Pflegebedürftigen tun will. Ich muss nur darauf hinwei-
sen, dass im Gesetzentwurf der Regierungskoalition und
der Bundesregierung null Verbesserungen ich wieder-
hole: null Verbesserungen für die Dementen in den
Heimen vorgesehen ist.
Aber gerade dort besteht der allergrößte Bedarf. Fast die
Hälfte der Menschen, die in den Heimen leben, sind de-
ment.
Sie wollen den Leuten zwar ein neues Kontrollgesetz
aufbürden, dadurch werden die Pflegekräfte zusätzlich
mit Bürokratie belastet. Aber eine Hilfestellung geben
Sie ihnen nicht. Sie haben gesagt, jetzt könnten sich
wenigstens diejenigen, die zu Hause sind, die Verwand-
ten, einmal zwei bis drei Stunden am Tag eine Hilfe be-
sorgen. Ich kann Ihnen nur sagen, was das, was Sie vor-
schlagen, bedeutet. Das bedeutet für ambulant Demente
2,50 DM pro Tag. Versuchen Sie einmal, für 2,50 DM am
Tag irgendjemanden zu finden, der Sie für zwei oder drei
Stunden entlastet. Ich habe das bisher noch nicht gese-
hen.
Sie haben schon ein sehr merkwürdiges Verständnis
von Solidarität und Gerechtigkeit. Sie sagen, Sie hätten
kein Geld, um die notwendigen Verbesserungen für die
Pflegebedürftigen, für die Dementen einzuleiten. Aber
Sie hatten das Geld. Nun haben Sie den Krankenkassen
1 Milliarde DM aufgebürdet, weil Sie der Meinung wa-
ren, dass die Selbstbeteiligung nicht 9, 11 und 13 DM,
sondern nur 8, 9 und 10 DM betragen soll. Dafür hatten
Sie 1 Milliarde DM, obwohl es Härtefallklauseln, Über-
forderungsklauseln usw. gibt. Aber hier lassen Sie die
Menschen allein, ohne jede Härtefallklausel, ohne jede
Überforderungsklausel. Was ist denn das für ein Ver-
ständnis von Gerechtigkeit?
Herr Kol-
lege Schmidbauer, möchten Sie antworten?
Ich möchte
den Kollegen nur fragen: Was haben Sie, während Sie Re-
gierungsverantwortung trugen, aus den neuen Er-
kenntnissen, die Ihnen heute Abend so plötzlich gekommen
sind, an Konsequenzen gezogen? Fehlanzeige! Null!
Sie haben wissentlich diese Aspekte außen vor gelassen.
Ich meine, unser entscheidender Vorteil ist, dass wir
lernfähig sind. Wir haben gelernt, dass es für das Problem
der Dementen nicht die Lösung gibt, die teilweise am
Anfang der Diskussion stand, sondern wir haben von den
Angehörigen, den Selbsthilfegruppen, den großen Orga-
nisationen gelernt, dass wir dazu eine bestimmte Ange-
botspalette brauchen. Diese Angebotspalette gilt es jetzt
zu entwickeln. Es ist ein genialer und richtig angelegter
Zug der Ministerin gewesen,
dass sie dies mit einem 20-Millionen-Euro-Modellpro-
gramm begleitet hat, um die Entwicklung voranzutreiben
und sie wissenschaftlich zu unterstützen, damit wir in
Deutschland die notwendige Erfahrung bekommen, um
entscheiden zu können, welchen Weg wir in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten zielorientiert gehen müssen, um
diese schwierige Aufgabe zu erfüllen.
Ich persönlich habe mich am meisten darüber gefreut,
dass unsere Idee, niederschwellige Angebote zu unterbrei-
ten und entsprechende Bausteine einzuführen, mit denen
der Bedarf von den betreuenden Familienangehörigen ab-
gerufen werden kann, gerade bei den Selbsthilfegruppen
auf unheimlich hohe Akzeptanz gestoßen ist.
: Das kam doch gar
nicht von Ihnen! Das war doch gar nicht eure
Idee!)
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Schmidbauer
18487
Die Menschen sind uns dankbar. Wir lassen es nicht zu,
dass Sie dies mies machen. Wir werden in der nächsten
Stufe auch über die Dinge in den Heimen sprechen müs-
sen. Dazu haben wir die ersten Maßnahmen eingeleitet,
auf Qualitätssicherungsaspekte hingewiesen und entspre-
chende Rahmenbedingungen geschaffen.
: Aber kein Geld!)
Auch die Heime können ich denke, das ist möglich jetzt
auf diese Herausforderungen entsprechend reagieren.
Der Einstieg ist richtig. Die 500 Millionen Euro zusätz-
lich zu dem Modellvorhaben sind ein angemessener Rah-
men. Das zeigt, dass wir es ernst meinen. Ich denke, die
Menschen draußen werden es honorieren, auch wenn Ih-
nen dazu die Größe fehlt.
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe
auf den Drucksachen 14/6891, 14/6893 und 14/6949 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6893
soll zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Sozial-
ordnung und an den Verteidigungsausschuss überwiesen
werden. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6949 soll
zusätzlich an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ein-
zelplan 17, auf.
Mit Blick auf die angesetzten Fraktionssitzungen bitte
ich darum, auf die Einhaltung der Redezeiten besonders
achten.
Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Lassen Sie mich, bevor ich zu der eigentlichen Haus-
haltsdebatte komme, noch ein paar Worte sagen.
Die unfassbaren Anschläge in New York und Wa-
shington haben so denke ich bei uns allen Spuren hin-
terlassen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche ist es
schwer, diese Eindrücke zu verarbeiten und mit diesen
Bildern fertig zu werden. Die vielen Aktionen der Solida-
rität an den Schulen, in der Jugendarbeit und in den Kitas
und die vielen Gespräche, die Eltern und Erziehungsver-
antwortliche mit den Kindern führen, um die Angst zu
überwinden, sind auch ein positives Zeichen für das
menschliche Klima in unserem Land.
Ich möchte noch einmal besonders darauf hinweisen,
wie viele Initiativen von Kindern und Jugendlichen aus-
gegangen sind. Sie haben Wandzeitungen erstellt und
Trauerveranstaltungen organisiert. Ich sage das, weil wir
über diese Generation häufig nicht nur freundlich reden.
Wir müssen auch einmal wahrnehmen, dass Kinder und
Jugendliche in dieser Situation Anteil genommen und ver-
sucht haben, Hilfe zu leisten.
Das gilt auch für die vielen Initiativen und Vereine, die
zum Teil auch von uns unterstützt werden. Sie haben ver-
mehrt Angebote für Eltern sowie Erzieherinnen und Erzie-
her bereitgestellt, um ihnen bei Telefonberatungen und wo
auch immer zu helfen. Wir werden das weiter unterstützen
und in den nächsten Tagen eine Internetseite aufbauend
auf unsere Akiju-Plattform bereitstellen, um Möglichkei-
ten für Eltern und Jugendliche zu bieten, sich auszutau-
schen. Wir werden dies auch moderieren und das eine oder
andere Informationsmaterial für die Beratungsstellen zur
Verfügung stellen, um diese wichtige Arbeit zu unter-
stützen. Ich wollte an dieser Stelle auch einmal dafür dan-
ken, dass sich diese Menschen, die das meist ehrenamtlich
machen, so schnell mit diesem Thema auseinander gesetzt
haben.
Familien brauchen Unterstützung nicht nur in Kri-
senzeiten. Ich bin froh, dass der Stellenwert von Familien
für unsere Gesellschaft endlich wieder deutlich geworden
ist. Endlich wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf eine Zukunftsfrage für unser Land ist.
Endlich wird auch deutlich, dass Familienpolitik eine
Aufgabe ist, die Männer und Frauen gleichermaßen an-
geht, also nicht nur Frauen.
Das Klima für Familien verändert sich in unserem
Land Schritt für Schritt. Das ist nun wirklich das Verdienst
dieser Regierung.
Ja, wir waren es. Wir haben die Rahmenbedingungen
für Familien in unserem Land ganz wesentlich verbes-
sert. Ich weiß, dass Sie das nicht gerne akzeptieren, aber
es ist so.
Wir haben in den drei Jahren der Regierungsarbeit die
finanziellen Leistungen für Familien ganz beträchtlich er-
höht. Ich will das nicht im Einzelnen aufzählen; es ist
auch heute Morgen schon getan worden. Das kann sich se-
hen lassen vom Kindergeld über die Steuererleichterun-
gen, über das Wohngeld bis zum BAföG und was noch al-
les dazu gehört. Das ist eine beträchtliche finanzielle
Entlastung für Familien, die sie auch bitter nötig haben.
Wir haben das seriös finanziert,
weil es für Familien auch nicht gut ist, wenn die Schulden
steigen. Das müssen wir uns doch nicht jedes Mal wieder
neu erzählen. Es sind die Familien, es sind die Kinder, die
am Ende die Lasten zu tragen haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Horst Schmidbauer
18488
Deswegen ist auch das, was Sie an finanziellen Leis-
tungen mit Ihrem Familiengeld vorschlagen, so unglaub-
würdig.
Die Menschen wissen, dass es nicht zu finanzieren ist,
außer durch mehr Schulden. Das wollen die wenigsten
Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Es ist auch in
sich unausgewogen.
Ich sage es noch einmal, obwohl wir es schon mehrfach
gesagt haben: Das, was Sie mit Ihrem Familiengeld vor-
schlagen, kommt vor allen Dingen den Besserverdienen-
den zugute. Denn Familien mit einem geringen Einkom-
men, die jetzt vom Erziehungsgeld profitieren und
Kindergeld beziehen, haben schon mindestens 900 DM,
mit der Budgetierung haben sie 1 200 DM an Förderung.
Das wollen Sie quasi allen geben, unabhängig von der
Einkommenshöhe. Ich glaube, hiermit kommen Sie bei
den Familien nicht allzu weit.
Wir haben über unsere finanziellen Leistungen hinaus
bessere Rahmenbedingungen für Familien geschaffen.
Das sollten Sie wirklich einmal anerkennen. Frau
Böhmer, ich wende mich jetzt einmal an Sie: Man kann ja
immer schon vorher lesen, was nachher kommen wird.
Das ist nett. Dann kann man sich schon ein bisschen da-
rauf einstellen.
Bei mir auch, klar. So ist das.
Sie haben geschrieben, Sie wollen eine familien-
freundliche Arbeitswelt. Na prima! Aber das, was wir
hier schon auf den Weg gebracht haben, haben Sie in gar
keiner Weise unterstützt. Wir haben Familienfreundlich-
keit in der Arbeitswelt gesetzlich beträchtlich verbessert.
Denken wir an das Bundeserziehungsgeldgesetz,
wonach Väter und Mütter zur gleichen Zeit Erziehungs-
urlaub nehmen können. Denken wir an das Teilzeitgesetz.
Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist natürlich sehr
wichtig für Familien. Was ist wichtiger als dies,
wenn es darum geht, Familie und Arbeitswelt in Überein-
stimmung zu bringen?
Wir haben nicht nur Gesetze gemacht. Wir haben dies
auch ganz kräftig mit Kampagnen begleitet. Im Rahmen
der Väter-Kampagne war ich in vielen Unternehmen unter-
wegs, um zu versuchen, Familienfreundlichkeit in den Be-
trieben zu verwirklichen, auch in kleinen. Das ist nicht nur
ein Thema für große Firmen, auch für kleine und mittlere.
Sie ziehen zum Teil prima mit das muss man auch einmal
sagen , weil sie in ihren Arbeitskräften auch die sozialen
Wesen und nicht nur die Arbeitskraft sehen. Darum geht es
dabei. Sie sind auch daran interessiert, die gut eingearbei-
teten Mütter und Väter im Unternehmen zu halten.
Bei solchen Dingen könnten Sie auch einmal die Größe
aufbringen zu sagen: Okay, das habt ihr gut gemacht, wir
könnten uns vielleicht noch mehr vorstellen, machen wir
es doch gemeinsam!
: Sagen Sie doch einmal etwas
zum Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft!)
Aber so etwas höre ich nicht. Das zeigt natürlich, wie
ernst Sie es mit Ihrem Vorhaben, Familienfreundlichkeit
in der Arbeitswelt durchzusetzen, wirklich meinen. Das
sind schlichtweg leere Worte.
Das Thema Familienfreundlichkeit spielt natürlich
auch bei der Vereinbarung zur Chancengleichheit in den
Unternehmen eine große Rolle. Ich sage allen Kritikern
und Kritikerinnen dieser Vereinbarung: Lesen Sie sie erst
einmal. Manchmal hilft das schon. Da sieht man, dass
eine Menge darin enthalten ist, womit man richtig etwas
machen kann. Es sind durchaus Vorgaben darin enthalten,
wie Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit umzu-
setzen sind. Es gibt eine Kontrolle. Wir sind im Moment
dabei, die Bestandsaufnahme mit den Unternehmen zu
vereinbaren. Wir haben eine wirksame Kontrolle bis zum
Jahr 2003. Es ist auch klar, was passiert, wenn die Unter-
nehmen sich nicht von der Stelle bewegen. Dafür haben
wir dann das Gesetz; das ist auch klar.
In diesem Bereich können wir durchaus agieren, vor al-
lem auch mit dem, was das Betriebsverfassungsgesetz auf
den Weg gebracht hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie
das Betriebsverfassungsgesetz begeistert begrüßt hätten.
Sich jetzt hinzustellen und zu fragen, warum wir hier kein
Gesetz gemacht haben, und das, was vorhanden ist, perma-
nent herunterzureden, ist auch nicht sehr überzeugend.
Sie wissen: Wir haben die Quotierung im Betriebsver-
fassungsgesetz eingeführt. Wir haben sowohl bei den Ar-
beitgebern als auch bei den Gewerkschaften auch die
brauchen manchmal den einen oder anderen Anschub
für Regelungen gesorgt, mit denen die Chancengleich-
heit wirklich vorangebracht wird. Das ist Bestandteil der
Personalplanung. Darüber muss berichtet werden. Die
Arbeitnehmer müssen sich um dieses Thema kümmern.
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Wenn Ihnen dieses
Thema so sehr am Herzen liegt, dann können wir versu-
chen, gemeinsam Vorschläge umzusetzen. Darauf kommt
es an.
Ein Satz zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in
Bezug auf Kinderbetreuung. Ich kann mich an Haushalts-
beratungen erinnern, in denen Sie mir immer vorgewor-
fen haben, ich würde mich allzu sehr um die Erwerbsar-
beit von Frauen kümmern. Über dieses Stadium sind wir
hinaus. Um diesen Punkt müssen wir uns aber nach wie
vor kümmern.
Dass Sie sogar anerkennen, dass die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie ein Thema ist und dass man sich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
18489
um die Kinderbetreuung kümmern muss, ist schön. Aber
machen Sie nun endlich etwas in den von Ihnen regierten
Ländern und Kommunen, denn dies ist deren Sache. Wir
haben den Ländern im zweiten Familienfördergesetz, das
von Ihnen sehr gescholten wurde, finanzielle Möglichkei-
ten eröffnet. Der Bund übernimmt beim Kindergeld einen
höheren Anteil, wodurch 2 Milliarden DM für die Kin-
derbetreuung an die Länder und Kommunen gehen. Das
haben auch einige Ministerpräsidenten anerkannt.
Was passiert in den Ländern? Wenn ich mir das nicht
sehr arme Land Bayern anschaue und feststelle, dass die
Versorgungsquote für Kinder unter drei Jahren bei mage-
ren 1,4 Prozent liegt, dann komme ich wirklich ins Grü-
beln. Das kann man nicht allzu ernst nehmen.
Ich will auf einen anderen Punkt eingehen, der nicht
nur mit der Familie etwas zu tun hat. Es geht um die Un-
terstützung der Erziehungskompetenz der Familien.
Ich habe in Ihrer Vorlage gelesen, dass sich Familien mit
wachsenden Herausforderungen konfrontiert sehen. Wei-
ter steht dort: Tradierte Verhaltensweisen erweisen sich
immer öfter als nicht mehr hilfreich. Danach kommen ein
paar vage Formulierungen. Es wird nicht konkret. Der
Analyse konnte man aber zustimmen.
Ich will darauf hinweisen, dass wir genau das, was Sie
allgemein formulieren man könnte es auch hohle Worte
nennen , umsetzen. Ich denke dabei an das Gesetz, das
den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung garan-
tiert. Hier werden wir konkret und liefern den Eltern ge-
zielte Hilfen. Wir verändern etwas im Bewusstsein der
Menschen.
Wir haben große Kampagnen gestartet, die weiterhin
laufen. Unsere Hilfsangebote werden viel in Anspruch ge-
nommen. Ich bin sehr froh, dass wir von vielen gesell-
schaftlichen Gruppen Unterstützung erfahren. Wir setzen
an der Wurzel an, wo die Gewalt entsteht. Es ist leider so,
dass Gewalterfahrungen zuallererst in der Familie ge-
macht werden. Also muss man hier ansetzen.
Sie von der Opposition haben dies nicht unterstützt. Im-
mer, wenn es konkret wird, machen Sie nicht mit.
Im Bereich der Gewalt gegen ältere Menschen ha-
ben wir einiges getan. Wir haben ein Modellprojekt zum
Abschluss gebracht, das mit seinen Erfahrungen für die
Kommunen sehr wichtig ist, die entsprechende Ange-
bote für Betroffene und Angehörige bereitstellen. Auch
mit dem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von häus-
licher Gewalt haben wir viel angestoßen. In den Län-
dern und Kommunen gibt es zum Teil Aktionspro-
gramme. Dazu gehört das Gewaltschutzgesetz. Endlich
sind wir so weit, dass die Täter und nicht die geprügel-
ten Frauen mit ihren Kindern die Wohnung verlassen
müssen.
Vielleicht werden Sie sogar zustimmen. Das hoffe ich
jedenfalls. Aber es ist ein mühsames Geschäft, mit Ihnen
einen Konsens zu finden.
Ich habe Ihnen gerade die Beispiele genannt. Ich könnte
dies noch fortsetzen. Wenn es konkret wird, ist von Ihnen
nicht mehr viel zu sehen.
Ich will noch die Altenpflege ansprechen, weil ich
mich vorhin über einen Beitrag hierzu geärgert habe. Herr
Thomae von der FDP hat sich darüber beschwert, dass
nicht genügend zur Aufwertung der Altenpflege getan
wird. Ich darf daran erinnern, dass wir gegen die Stimmen
der Opposition ein Gesetz verabschiedet haben.
Ja, die FDP hat zugestimmt. Ich korrigiere mich. Was
soll ich denn noch alles tun?
Bayern klagt gegen dieses Gesetz beim Bundesverfas-
sungsgericht. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir
dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Der Beruf des
Altenpflegers wird dadurch aufgewertet. Wir wollen, dass
ältere Menschen, wenn sie pflegebedürftig sind, würde-
voll behandelt werden.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz zur Freiwilli-
genarbeit sagen. Wir haben das Internationale Jahr der
Freiwilligen. Es ist viel Neues in Gang gekommen; auch
bisher gab es schon viel Positives.
Doch, doch. Wir können darüber an anderer Stelle dis-
kutieren.
Wir werden unsere Vorhaben weiterführen; in diesem
Bereich geht es uns um Nachhaltigkeit und Freiwilligkeit.
Wir wissen, dass es viel Engagement gibt; das hat sich
deutlich erwiesen. Wir wollen die freiwilligen Jahre aus-
weiten. Es laufen bereits Modellversuche. In der nächsten
Woche wird ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommen, um
im Sport- und Kulturbereich das freiwillige soziale und
das freiwillige ökologische Jahr zu erweitern. Ich sehe,
dass es zu diesem Punkt eine große Zustimmung gibt; das
ist erfreulich. Wir wollen die Freiwilligkeit erhalten; was
wir nicht brauchen können, sind Pflichtjahre, am allerwe-
nigsten Pflichtjahre für Senioren. Eine Diskussion darü-
ber Herr Schönbohm hat das Thema auf den Tisch ge-
bracht ist ein nicht zu überbietender Zynismus.
Wir brauchen die Älteren, die auf freiwilliger Basis
viel leisten. Wir brauchen aber auch Junge, die sich enga-
gieren. Deswegen machen wir im Jugendbereich eine ak-
tivierende Politik. Wir werden in den nächsten Wochen
ein Regierungsprogramm zur Jugendpolitik vorlegen. Wir
stärken die Beteiligung von Jugendlichen. Ich lade Sie
ein mitzumachen. Im November gibt es einen Auftakt zu
einer bundesweiten Beteiligungsbewegung für Jugendli-
che. Es geht uns darum, Jugendliche noch stärker an die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
18490
Demokratie heranzuführen. Ich bin der Meinung, dass das
funktioniert, wenn wir die richtige Form finden. Wir se-
hen, wie stark Jugendliche bei der Bekämpfung des
Rechtsextremismus in Projekten mitarbeiten. Auf diesem
Feld laufen sehr viele Aktivitäten.
Ich will zum Schluss betonen, dass wir mit dem, was
wir in der Politik angeschoben haben, die wichtigen The-
men nicht nur angeschnitten, sondern kräftig vorangetrie-
ben haben. Wir haben auf diesem Feld noch viel zu tun;
nach 16 Jahren Ihrer Regierung ist das klar. Ich bedanke
mich für die Unterstützung, soweit sie gegeben wurde.
Vielleicht sind in dem einem oder anderen Bereich noch
Verbesserungen möglich.
Danke.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dr. Maria
Böhmer.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Ministerin Bergmann, ich würde Sie wirklich gerne ein-
mal für innovative, richtungsweisende Lösungen loben,
aber wo ich auch hinsehe, muss ich feststellen: Fehlan-
zeige. Sie müssen auch erst einmal in den eigenen Reihen
werben. Als der Bundeskanzler vor der Sommerpause
seine große Pressekonferenz gab bekanntlich ging es um
die Erfolge dieser Bundesregierung , wurde über vieles
gesprochen. Es wurde über die Steuerreform, die Rente
und die Greencard gesprochen, es wurde aber kein Wort
über die Familienpolitik verloren. Wenn selbst der Bun-
deskanzler bei seiner Erfolgsbilanz die Familienpolitik
nicht aufzählt, dann muss es um die Familienpolitik die-
ser Bundesregierung düster bestellt sein.
Sie sollten auch mehr auf Ihren eigenen Beirat hören.
Die Frankfurter Rundschau schrieb im Mai die Pres-
semitteilung ist also noch nicht so alt : Rot-grüne Fami-
lienpolitik gerügt. In dieser Zeitung wahrlich kein
Blatt, das auf der Seite der CDU/CSU steht, sondern eher
bei Ihnen zu orten ist wurde deutlich gesagt: Der Wis-
senschaftliche Beirat des Bundesfamilienministeriums
kritisiert massiv die Gerechtigkeitslücke bei der Famili-
enpolitik der rot-grünen Koalition. Das ist die Wahrheit
und darüber täuscht nichts hinweg.
Das war im Jahr 2001.
Sie glauben, die Familienpolitik neu erfunden zu ha-
ben. Ich muss Ihnen sagen, Frau Bergmann: All das, was
Sie eben aufgezählt haben familienfreundliche Arbeits-
welt, Kinderbetreuung, Erziehungsurlaub und dessen
Weiterentwicklung , ist von der früheren Bundesregie-
rung geschaffen worden von niemandem sonst.
In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerken-
nung von Kindererziehungszeiten bei der Rente gegeben.
In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerken-
nung von Erziehungszeiten und keinen Erziehungsurlaub
gegeben. In diesem Land hätte es ohne die Union keinen
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gegeben.
Da Sie vielleicht eher der amtlichen Statistik glauben als
mir das ist ja, wie ich es eben bei Ihnen gemerkt habe,
durchaus realistisch , will ich einmal nachschauen, wie es
mit der Kinderbetreuung in den einzelnen Bundeslän-
dern aussieht. Denn in der Tat gilt: Handeln, nicht reden.
Ich habe mir die amtliche Statistik Kindergartenplätze
pro 100 Kinder für die Drei- bis Sechsjährigen des Statis-
tischen Bundesamtes angeschaut. Spitzenreiter ist Baden-
Württemberg, das bekanntlich seit vielen Jahren CDU-re-
giert ist.
Ich nehme Sie gerne mit in das Boot.
Wenn Sie sich die neuen Bundesländer, die diese Sta-
tistik anführen, anschauen, stellen Sie fest: In Thüringen
gibt es pro 100 Kinder 153 Plätze
und in Sachsen 135 Plätze. In Baden-Württemberg sind es
125 Plätze. Das sind Spitzenleistungen.
Das kann ich Ihnen gern sagen: In Bayern sind es
97 Plätze. Bayern liegt deutlich vor Nordrhein-Westfalen,
Schleswig-Holstein und Hamburg; denn in Hamburg ste-
hen nur ganze 75 Plätze zur Verfügung.
Nach 44 Jahren eindeutiger SPD-Regierung in Hamburg
ist die bisherige Regierung nicht nur wegen der inneren
Sicherheit, sondern auch wegen einer verfehlten Famili-
enpolitik abgewählt worden.
Wenn ich schon in Richtung Norden blicke, möchte ich
Ihnen auch einmal die Situation in Schleswig-Holstein
schildern:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
18491
Liebe Frau Ministerin Bergmann,
Ich glaube, Sie müssen erst noch in den eigenen Reihen
für Ihre Ideen werben. Denn Frau Simonis hat sich am
30. August dieses Jahres gegen weitere Kindergeld-
erhöhungen ausgesprochen. Sie sollten in den Reihen der
Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einmal
aufräumen. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass
eine solche Aussage von einer Ministerpräsidentin ge-
troffen wird. Davon kann auch nicht dadurch abgelenkt
werden, dass anschließend gesagt wird, sie wolle das ein-
gesparte Geld für einen Ausbau der Kinderbetreuungs-
möglichkeiten verwenden.
Man kann nicht die eine Gruppe von Eltern damit be-
strafen, dass man der anderen etwas gibt. Eltern verdienen
die gleiche Förderung. Dies ist nicht als Alternative zu se-
hen nach dem Motto: Für die einen die Kinderbetreuung,
für die anderen die Familienförderung. Wir brauchen ein
Gesamtkonzept einer zukunftsorientierten Familienpoli-
tik, die beides einschließen muss.
Sie muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie
die finanzielle Gerechtigkeit für Familien in diesem Land
einschließen.
Da Sie häufig auf die Lebensbedingungen abheben, die
in SPD-regierten Zeiten unwahrscheinlich gut seien,
möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mir einmal die Er-
werbsstatistik von Frauen in den einzelnen Bundeslän-
dern angesehen. Auch dies ist die Stunde der Wahrheit.
Wo bestehen die höchsten Erwerbsquoten? Sie würden
wahrscheinlich vermuten: in Nordrhein-Westfalen oder
vielleicht sogar in Hamburg, weil Sie dort ja so lange an
der Macht waren.
Die stärkste Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit
62,3 Prozent in Bayern und in Baden-Württemberg mit
60,9 Prozent. Nordrhein-Westfalen steht mit 53,6 Prozent
an drittletzter Stelle. Daran sieht man doch, wer wirklich
etwas für Frauen und Familien tut und wer sie im Regen
stehen lässt.
Jetzt muss ich Ihnen etwas zu den Themen Kindergeld-
erhöhung und Besserstellung der Familien, die hier im-
mer wieder angeführt werden, sagen: Auch hier ist die
Stunde der Wahrheit. Wenn es um die Kindergeld-
erhöhung geht, ist festzuhalten: Sie haben 30 DM mehr
gegeben.
Sie haben 30 DM mehr gegeben.
Ich finde es wunderschön, dass Sie mir das noch einmal
sagen. Für diejenigen, die, wie Sie, daran erinnert werden
wollen, was die damalige Bundesregierung aus Union und
FDP getan hat, sage ich: Wir haben das Kindergeld von
damals 50 DM in dieser Höhe haben wir es übernom-
men auf 220 DM erhöht.
An eine solche Steigerung des Betrages müssen Sie erst
einmal herankommen.
Deshalb sollten Sie aufhören, solche Märchen zu er-
zählen. Denn dadurch, dass Sie Märchen erzählen, wird die
Situation nicht besser. Denn auf der einen Seite gehen Sie
hin und geben den Familien 30 DM mehr Kindergeld, aber
auf der anderen Seite wir haben ja gerade die Gesund-
heitsdebatte geführt und auch Sie sind, wie ich, einige Zeit
dabei gewesen hat eine völlig verfehlte Gesundheitspoli-
tik zu einem Ansteigen der Kassenbeiträge geführt.
Wenn man ein durchschnittliches Einkommen von
5 000 DM im Monat zugrunde legt, macht ein halber Pro-
zentpunkt 25 DM mehr aus, die den Menschen aus dem
Portemonnaie genommen werden. Damit ist die Kinder-
gelderhöhung durch Ihre verfehlte Politik von den Sozial-
abgaben verfrühstückt worden.
Frau Kolle-
gin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Irmingard Schewe-Gerigk?
Aber gerne.
erkennen, dass Sie nicht das Kindergeld von 50 DM auf
200 DM erhöht haben, sondern dass es zu der Zeit, als das
Kindergeld 50 DM betrug, noch einen zusätzlichen Kin-
dersteuerfreibetrag gab, sodass die Differenz sehr viel ge-
ringer war? Würden Sie dies dem Hohen Hause einmal er-
läutern?
Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, Sie wissen, dass wir den dualen Famili-
enleistungsausgleich eingeführt haben. Sie setzen ihn ja
auch fort, allerdings am unteren Rand, sodass die finanziell
schwächeren Familien, die mehr Geld brauchen, im Re-
gen stehen bleiben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Maria Böhmer
18492
Ihre Verbesserungen nützen gar nichts. Hinzu kommt,
dass Sie die Familien mit einer Familienstrafsteuer, näm-
lich der Ökosteuer, belastet haben.
All dies bedeutet, dass Sie keine Verbesserungen für Fa-
milien erreicht haben. Vielmehr sind die Belastungen für
Familien in diesem Land größer geworden, seit Sie an der
Regierung sind.
Nun schauen wir einmal, was sich im Bereich der
Frauenpolitik getan hat. Hinsichtlich dieses Politikfeldes
hatte ich immer die Erwartungshaltung, nach dem Regie-
rungswechsel werde alles besser, für die Frauen werde
eine neue Zeit anbrechen und wir könnten den Leistungen
der Bundesregierung endlich einmal Beifall zollen. Aber
was lese ich beim Deutschen Frauenrat? Nachdem Sie das
Gleichberechtigungsgesetz endgültig eingemottet haben,
schrieb der Deutsche Frauenrat ich zitiere die Vorsit-
zende nach einer Pressemeldung vom 3. Juli 2001 :
Versprochen hat uns die Regierung ein Gesetz, nun
wollen die Spitzenverbände der Wirtschaft ihren
Mitgliedern die Förderung empfehlen. Es ist ein
Hohn, wie sich die Regierung das versprochene Ge-
setz hat abschwatzen lassen. Die rot-grüne Gleich-
stellungspolitik wurde wie beim Sommerschlussver-
kauf verramscht.
Das ist die Wahrheit über die Frauenpolitik dieser Bun-
desregierung.
Wer so für Familien und Frauen im Lande Politik
macht, bei dem wundere ich mich nicht mehr, dass er in
der Erfolgsbilanz nicht vorkommt. Die Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land wissen sehr wohl, woran sie mit
Ihnen sind, denn die Waagschale geht in Sachen Famili-
enkompetenz für diese Bundesregierung nach unten.
Wenn das eine Frage sein sollte, Herr Präsident, werde
ich sie gern beantworten.
Ich sehe
noch keine Frage.
Das war ein Zwi-
schenruf. Aber ich beantworte Ihre Frage trotzdem
gern: Wir haben eine Alternative entwickelt. Wir sagen
nicht nur, wo es Schwachpunkte gibt und wo Hilflosig-
keit herrscht. Wir sagen, dass wir für die Familie eine
zukunftsorientierte Politik brauchen, die auf drei Säulen
steht: auf der besseren Vereinbarkeit von Familie und
Beruf mit einem deutlichen Ausbau der Kinderbetreu-
ungsmöglichkeiten, auf einer gerechten finanziellen
Förderung mit einem Familiengeld, das diesen Namen
wirklich verdient und keine Minischritte beinhaltet,
sondern die Kinder aus der Sozialhilfe holt. Frau
Bergmann, dieses Familiengeld würde nicht zu einer
Schlechterstellung der Familien führen; denn wer bis
zum dritten Lebensjahr eines Kindes 1 200 DM erwar-
ten kann, wäre deutlich besser gestellt als jetzt. Drittens
wollen wir die Erziehungskompetenz der Familien stär-
ken; denn die Familien und die Kinder sind das wich-
tigste Gut, das wir haben. Deshalb brauchen wir in die-
sem Lande eine starke Familienpolitik. Daran werden
wir arbeiten und dafür werden wir kämpfen.
Ich danke.
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Irmingard Schewe-Gerigk.
legen! Frau Böhmer, Sie wissen selbst, dass Sie mir auf
meine Frage nicht geantwortet haben. Diesen Abwehr-
mechanismus, diesen pawlowschen Reflex, immer wieder
die Ökosteuer anzusprechen, hätten Sie sich eigentlich
sparen können.
Mit dem Haushaltsplan 2002 ist es uns gelungen, im
Einzelplan 17 ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Konsolidierung und gestalterischer Politik herzustellen.
Die Einsparungen in Höhe von 79 Millionen Euro resul-
tieren hauptsächlich aus der Umsetzung des Zukunftspro-
gramms 2000 im Bereich des Zivildienstes. Ich bin froh,
dass die Arbeit des Bundesamtes nicht beeinträchtigt
wird. Durch die Verkürzung des Zivildienstes auf zehn
Monate konnte hier problemlos eingespart werden. Damit
nimmt auch die Bedeutung des Zivildienstes als Ausfall-
bürge für Arbeitsplatzverkürzungen im sozialen Bereich
ab. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in den alten Tätig-
keitsfeldern der Zivildienstleistenden neue Arbeitsplätze
geschaffen werden. Die Reduzierung geht also nicht, wie
Sie von der Opposition immer so gern behauptet haben,
auf Kosten der bis dato Betreuten.
Im letzten Haushalt hatten wir einmalig Mittel in Höhe
von 15,3 Millionen Euro zur Bekämpfung des Rechts-
extremismus eingesetzt. Diese Mittel sind im Haushalt
2002 nicht mehr vorhanden. Allerdings haben wir für wei-
tere Projekte gegen Rechtsextremismus 5 Millionen Euro
veranschlagt.
Für die Integration junger Migrantinnen und
Migranten wurde mit der Veranschlagung von 41 Milli-
onen Euro eine deutliche Aufstockung der Mittel erreicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Maria Böhmer
18493
und das ist auch gut so, denn Sprachförderung ist das
wissen wir alle für die Integration besonders wichtig.
Was wir wollten, darüber entscheiden wir nicht. Es geht
um das, was im Haushalt steht, Frau Kollegin.
An dieser Stelle ein Wort zur Familienzusammen-
führung: Natürlich ist es für die Integration besser, wenn
die Kinder von Migrantinnen und Migranten möglichst
jung nach Deutschland kommen. Aber eine Aufspaltung
der Gruppen von Kindern in solche, die bis zur Vollen-
dung des 18. Lebensjahres nachziehen dürfen, weil deren
Eltern hochqualifiziert sind, und solche, die nur bis zum
12. Lebensjahr nach Deutschland kommen sollen, weil
deren Eltern weniger qualifiziert sind, werden wir nicht
zulassen.
Nach unserem Grundgesetz steht die Familie unter
dem besonderen Schutz des Staates. Das darf natürlich
nicht nur für deutsche Familien gelten. Damit bin ich bei
der Familienpolitik, Frau Böhmer. Gerade auf diesem Ge-
biet hat die rot-grüne Bundesregierung Enormes geleistet
und das lassen wir uns auch von ihnen nicht kleinreden.
Ich nenne Ihnen die Zahlen. Durch das Zweite Fami-
lienförderungsgesetz erreichten wir eine zusätzliche Ent-
lastung in Höhe von 2,3 Milliarden Euro und erfüllten
damit termingerecht die Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts. Dies, die Erhöhung des Kindergeldes in
dieser Legislaturperiode um 41 Euro, Verbesserungen
beim BAföG und beim Wohngeld sowie die Erhöhung
von Freibeträgen das macht im Jahr 2001 insgesamt
98 Milliarden DM aus. Das können Sie sich auf der Zunge
zergehen lassen. Die Tendenz ist steigend.
Natürlich könnte es immer noch etwas mehr sein.
Wenn Sie aber bedenken, dass trotz einer Erhöhung des
Etats für familienpolitische Leistungen um 20 Milliar-
den DM seit dem Regierungsantritt der Konsolidierungs-
kurs weitergeführt wurde, wir also nicht länger wie Sie
auf Kosten der nächsten Generation leben, dann sollten
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, uns
dafür ein Kompliment machen.
Solche Beträge für die Familien haben Sie bei Ihrem
Finanzminister, der ja auch immer Familienminister sein
sollte, nicht durchsetzen können. Darum nützt es Ihnen
auch gar nichts, wenn Sie nun in der Opposition die
Spendierhosen anhaben und allen Familien, ob sie es
brauchen oder nicht, ein Familiengeld von 1 200 DM zah-
len wollen. Sie haben folgendes Problem: Niemand glaubt
Ihnen, dass Sie das machen würden, denn Sie hätten ja
viele Jahre Gelegenheit gehabt, das durchzusetzen.
Aber wir haben nicht nur finanzielle Verbesserungen
für Familien durchgesetzt. Damit Väter und Mütter Er-
werbsarbeit und Familienarbeit besser vereinbaren kön-
nen, wurden Regelungen zur Elternzeit geschaffen, um auf
die individuellen Bedürfnisse der Eltern Rücksicht neh-
men zu können. Ich hoffe mit guten Grund, dass künftig
mehr Väter als bisher davon Gebrauch machen. Nehme ich
die Mitarbeiter meiner Fraktion zum Maßstab, so wird es
in Deutschland künftig die neue Väterlichkeit geben.
Es ist ein schöner Gedanke für mich, nicht länger in einer
vaterlosen Gesellschaft zu leben. Das könnten wir durch
einen 14-tägigen Vaterschaftsurlaub, wie es ihn in Frank-
reich gibt, noch attraktiver machen. Aber natürlich müs-
sen auch Staat und Wirtschaft ihren Beitrag zu einer
kinderfreundlichen Gesellschaft leisten. So haben wir
noch enormen Nachholbedarf bei der Errichtung von Kin-
derbetreuungseinrichtungen, gerade in den alten Bundes-
ländern.
Aus dem Titel Frauenpolitik wird eine Vielzahl von zu-
kunftsweisenden Projekten finanziert, im Übrigen auch
für Männer, die sich immer über ihre Benachteiligung be-
klagen;
denn eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft ist nur
vorstellbar, wenn sich nun endlich auch die Männer än-
dern und ihr eingeengtes Rollenverhalten ablegen.
Ich danke der Ministerin ausdrücklich dafür, dass sie die
Väter-Kampagne umgesetzt hat, denn das ist ein Beitrag
zum gender mainstreaming.
Lassen Sie mich noch auf eines der Frauenprojekte
besonders eingehen, die Förderung des bundesweiten Ko-
ordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an
Frauen in Migrationsprozessen. Dieses Projekt läuft im
November des nächsten Jahres aus, und wir alle mit-
einander sollten ein Interesse daran haben, dass diese
wichtige Arbeit weitergeführt werden kann.
Natürlich brauchen wir begleitend zu dem Gesetzesvor-
haben hinsichtlich der Verbesserung der Situation von
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Irmingard Schewe-Gerigk
18494
Prostituierten auch eine Kampagne, damit Prostituierte
über ihre neuen Rechte informiert werden und diese auch
nutzen können. Dafür muss der Haushaltstitel nicht
zwangsläufig ausgeweitet werden.
Zum Schluss noch ein Wort zur Seniorenpolitik. Dort
sind die Haushaltsansätze nahezu gleich geblieben. Aller-
dings haben wir zwei wichtige Gesetze auf den Weg ge-
bracht: das Heimgesetz und das Altenpflegegesetz. Worü-
ber wir in diesem Parlament aber insgesamt noch einmal
nachdenken sollten, sind grundsätzliche Veränderungen
im Heimbereich. Der Anteil der alten und hochbetagten
Menschen wird in den kommenden Jahren enorm steigen.
Darum brauchen wir neue Formen des Wohnens, der
Pflege und der Betreuung. Aus diesem Grund begrüße ich
die Initiative, die unter anderem die Universität Bielefeld
ins Leben gerufen hat, in der nächsten Legislaturperiode
eine Enquete-Kommission des Bundestages dazu einzu-
richten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nur das
Geld ausgeben, das wir einnehmen. Darum ist es umso
wichtiger, unseren Gestaltungsspielraum um kreative und
zukunftstaugliche Maßnahmen zu erweitern. Das muss
nicht zwangsläufig Mehrausgaben zur Folge haben. Die
Menschen erwarten von uns, dass wir auch mit knapperen
Ressourcen verantwortungsvoll umgehen. Ich danke Ihnen.
Ich gebe
dem Herrn Kollegen Klaus Haupt das Wort. Er spricht für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Chancen und
die Perspektiven unserer Kinder und Jugendlichen geht,
ist die Politik mehr denn je gefordert. Der Anteil der jun-
gen Menschen in unserer Gesellschaft, die aus Immigran-
tenfamilien stammen, wächst immer mehr an, während
die Geburtenrate in Deutschland auf niedrigem Niveau
verharrt. Daher wird die Jugendpolitik immer mehr zu
einem Element der Zuwanderungspolitik. Die Integra-
tion von Zuwanderern ist ein großes Problem, eine ent-
scheidende Herausforderung für unsere Gesellschaft.
Der Etatansatz für die Integration junger Zuwanderer
ist durch Übertragung der Mittel aus dem BMA-Haushalt
erhöht worden. Eine wirkliche Steigerung ist daraus nicht
ablesbar; in Anbetracht der immensen Aufgabe, die uns
hier bevor steht, wäre aber genau dies notwendig.
Migrationsexperten stellen mittlerweile fest, dass ge-
rade die Bildung von abgeschotteten kulturellen Diaspora-
Gruppen ethnischen Extremismus und religiösen Funda-
mentalismus massiv begünstigt. Hier besteht also ein
dringender Handlungsbedarf, den wir schon bei den Haus-
haltsberatungen der vergangenen Jahre angemahnt haben.
Aber leider ist den Weiter-so-Haushalten der Jugend-
ministerin nicht anzusehen, dass das Problem in seiner
ganzen Tragweite wirklich erfasst worden ist.
Das Gesamtsprachkonzept der Bundesregierung ist an
sich zwar begrüßenswert, aber der Finanzrahmen wird
dem Bedarf nicht gerecht. Für alle Zuwanderer ist das Er-
lernen der deutschen Sprache wesentliche Voraussetzung
für eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesell-
schaft und für eine erfolgreiche Zukunft auf dem Arbeits-
markt.
Erfolgreiche Integrationsarbeit ist auch eine wesent-
liche Voraussetzung für die Bekämpfung des Rechts-
extremismus unter Inländern. Ich halte es deshalb für be-
denklich, dass die Bundesregierung die Mittel zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus kürzt auch die
Mittel zur Hilfe für die Opfer rechtsextremer Gewalt.
Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auch
die Kürzung der Mittel für die politische Bildung. Ich
fürchte, hier spart die Ministerin entschieden an falscher
Stelle.
Wichtig für den Kampf gegen Rechtsextremismus sind
auch internationale Bildung und Verständigung der Ju-
gend. Deshalb begrüßen wir die Aufstockung der Mittel
für das deutsch-polnische Jugendwerk. Wir fordern aber
auch die Errichtung eines deutsch-russischen Jugend-
werkes.
Dabei sind wir uns durchaus über die in beiden Ländern
sehr unterschiedliche Jugendarbeit im Klaren. Aber ge-
rade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zu-
stande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größte
Land Europas besser in die europäische Völkergemein-
schaft, wie Präsident Putin in seiner Rede gestern hier
wünschte, eingebunden wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße aus-
drücklich, dass Kinder- und Familienpolitik in unserer
Gesellschaft in den Vordergrund tritt. Ich bedaure aber,
dass in unserem Land offenkundig vor allem das
Bundesverfassungsgericht dafür zuständig ist.
Ich bedaure auch, dass bei Rot-Grün die Förderung der
Familien weitgehend durch die Familien selbst finanziert
wird und dass Alleinerziehende und Familien mit vielen
Kindern benachteiligt werden. Ein Beispiel: Der Präsi-
dent des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger,
hat kürzlich moniert, dass in Deutschland sogar Katzen-
futter unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz fällt, auf
Kinderbedarf wie Kindernahrung, Windeln und Kinder-
bekleidung dagegen mehr als der doppelte Satz erhoben
wird. Das ist eine Schande. Wir alle müssen uns fragen,
ob wir nicht viel entschlossenere Schritte für Familien mit
Kindern tun müssen; auch, aber nicht nur, angesichts der
demographischen Schieflage.
Wir bürden jungen Familien im Moment immense
Kosten auf, obwohl sie ihre Leistungen im Interesse der
gesamten Gesellschaft erbringen. Wir müssen ihnen eine
Perspektive bieten, sich ein Leben mit Kindern wirklich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Irmingard Schewe-Gerigk
18495
leisten zu können. Wir müssen Kindern in unserer Gesell-
schaft endlich nicht nur einen höheren Stellenwert, son-
dern einen hohen Stellenwert geben.
Das bedeutet aber mehr als nur Diskussionen über Geld.
Kinder dürfen nicht nur als Bilanzproblem und als Belas-
tung gesehen werden. Kinder sind kein Gut Kinder sind
gut.
Sie sind eine Bereicherung der Gesellschaft. Ja, Kinder-
lärm ist Zukunftsmusik. Das ist eine gesellschaftspoliti-
sche Herausforderung an alle ich betone: an alle , für
die sich jede Mühe lohnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Haus-
haltsentwurf sinkt insgesamt um circa 79 Millionen Euro
gegenüber dem Vorjahresetat. Dieses Einsparvolumen
geht fast vollständig auf Kosten der Zivildienstleisten-
den. Die Bundesregierung spart aber nicht, indem sie
etwa eine neue Struktur für den Zivildienst aufbaut, son-
dern indem sie einfach an der Dienstzeitschraube dreht.
Die anhaltenden und neuerdings wieder verstärkten Dis-
kussionen um Sinn oder Unsinn der Wehrpflicht führen
nicht dazu, dass Vorbereitungen getroffen würden, Dau-
erarbeitsplätze im Sozialbereich zu schaffen, die in ab-
sehbarer Zeit die Zivildienstleistenden ersetzen könnten.
Ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Zivildienst ist
nicht erkennbar.
Gestatten Sie mir ein Wort zur Seniorenpolitik. Auch
seniorenpolitisch ist in diesem Haushalt offenbar Stagna-
tion Trumpf. Demographischer Wandel ist das Thema der
Gesellschaftspolitik nur im Haushalt der Senioren-
ministerin spiegelt sich das nicht wider. Es ist eine große
Aufgabe, die Ressourcen, die die älteren Menschen in un-
serer Gesellschaft bieten, besser in das Leben unserer Ge-
sellschaft zu integrieren und zu nutzen. Hier hätte ich mir
aus dem zuständigen Ministerium doch eine entspre-
chende Akzentsetzung gewünscht.
Im Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend ist eine weitgehende Fortschreibung der bis-
herigen Zahlen bei einigen Umtitelungen vor allem
schmerzlichen Kürzungen oder stagnierenden Zuwen-
dungen gerade im Bereich der derzeitigen gesellschaftli-
chen Problemfelder festzustellen. Wir Liberalen meinen:
Jugend, Familie, Senioren und Frauen verdienen einen
höheren Stellenwert in der deutschen Politik, als im Haus-
halt von Frau Bundesministerin Bergmann deutlich wird.
Für die
Fraktion der PDS spricht nun die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Was im Nachfolgeprozess zur vierten
Weltfrauenkonferenz immer wieder betont worden ist, hat
für uns alle in unserem Bewusstsein seit dem 11. Septem-
ber eine neue Dimension bekommen. Es gibt einen un-
auflöslichen Zusammenhang zwischen Gleichberech-
tigung, Entwicklung und Frieden. Bewaffnete Konflikte,
Angriffskriege und Terror sind schwerwiegende Hinder-
nisse für die Förderung von Frauen.
Ich denke, auch wir haben uns auf nationaler Ebene zu
fragen, was daraus folgt, dass Frauen in Entscheidungs-
gremien zur Friedenssicherung und Konfliktlösung nach
wie vor unterrepräsentiert sind, dass Frauen einen großen
Beitrag zur Friedenserhaltung und -schaffung im Dialog
der Kulturen leisten und die Zivilgesellschaft, insbeson-
dere die NGOs und die Frauen eine große Rolle dabei
spielt.
Wenn ich den Bundeshaushalt 2002 betrachte, dann
denke ich vor allem an Schlussfolgerungen für die insti-
tutionelle und die Projektförderung. Ich gehe davon
aus, dass es durchaus notwendig ist, hier neue Akzente zu
setzen. Ich gebe nur Stichworte in die Runde. Dazu
gehören Integrationsprojekte für Migrantinnen und Mi-
granten. Ich denke aber auch an bilaterale Austausch-
projekte. Der Kollege Haupt hat gerade vom Jugendaus-
tausch gesprochen; darüber hinaus gibt es aber auch
bilaterale Frauenforen. Ich denke aber auch an Planspiele
wie das National Model United Nations oder das Europä-
ische Jugendparlament, in dem junge Leute den Dialog
der Kulturen seit Jahren ziemlich professionell praktizie-
ren.
Zu allererst denke ich aber an den notwendigen Kampf
gegen den Rechtsextremismus. Ich empfinde es als fata-
les Signal, dass der Haushalt in diesem Bereich um
40 Millionen DM, insbesondere beim Kinder- und Ju-
gendplan, gekürzt wird. Wir waren uns in den letzten Jah-
ren in diesem Hause darüber einig, dass die Bekämpfung
des Rechtsextremismus tatsächlich Priorität haben muss
und solche Projekte nachhaltig unterstützt werden müs-
sen.
Ich denke dabei an das Programm Civitas, das nicht nur
verstetigt, sondern auch in die alten Bundesländer ausge-
dehnt werden muss. Bei Prävention, Beratung und Opfer-
unterstützung darf es keine Kürzungen geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wollte die Gleichstellung von Mann und Frau zu einem
großen gesellschaftlichen Reformprojekt machen. Ich
gehe davon aus, dass es dafür grundlegender Änderungen
in den Bereichen der Arbeitsförderung, der Gleichstellung
in der privaten Wirtschaft sowie bei der Vereinbarkeit von
Berufstätigkeit und Familie bedarf.
Schauen wir in den Etatentwurf 2002, so sehen wir
zunächst, dass der Zuschuss an die Bundesanstalt für Ar-
beit um 614 Millionen Euro auf null reduziert wird. Das
halte ich angesichts der Tatsache, dass nach wie vor ein
Großteil der Langzeitarbeitslosen Frauen sind und Frauen
strukturell auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden,
für einen frauenpolitischen Offenbarungseid.
Nun haben Sie sich als rot-grüne Bundesregierung zu
Recht den Anspruch gestellt, die Frauendiskriminierung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Klaus Haupt
18496
im Arbeitsförderungsrecht abzubauen. Sie haben das
Job-Aqtiv-Gesetz in dieser Woche vorgelegt. Zu be-
grüßen ist zweifellos die Einbeziehung von Pflege- und
Erziehungszeiten in die Arbeitslosenversicherung.
Hier möchte ich aber gleich eine Frage stellen: Woher soll
der Finanzbedarf in Höhe von 1 Milliarde Euro, den Sie
selbst ermittelt haben, kommen? Dazu habe ich im Haus-
halt nichts gesehen.
Sie schrecken in diesem Gesetz vor verbindlichen Re-
gelungen zurück. Zentrale frauenpolitische Forderungen
werden nicht aufgenommen. Ich erinnere an die Wieder-
einführung des Berufs- und Qualifikationsschutzes, an
den Abbau der frauendiskriminierenden Pendelzeiten, an
die Einbeziehung ausschließlich geringfügig Beschäftig-
ter in die aktive Arbeitsmarktpolitik und in die Arbeitslo-
senversicherung sowie an die Verbesserung der eigen-
ständigen Existenzsicherung durch den Wegfall der
Bedürftigkeitsprüfung in der Arbeitslosenhilfe.
Mit dem Rückzieher bei der gesetzlichen Regelung der
Gleichstellung in der Privatwirtschaft sei er auch noch
so schöngeredet wie heute wieder haben Sie nicht nur
auf ein politisches Schwerpunktthema verzichtet, sondern
auch auf den diesbezüglichen politischen Gestaltungsan-
spruch. Ich erinnere an die massiven Proteste zum Bei-
spiel der 100 Frauen, aber auch der Gewerkschaften, hier
nicht locker zu lassen. Die PDS hat dazu einen Antrag in
die parlamentarische Beratung eingebracht.
Abschließend möchte ich noch einen kurzen Kom-
mentar zum angekündigten Paradigmenwechsel in der
Familienpolitik machen. Wir haben die Schritte in die
richtige Richtung durchaus wohlwollend begleitet: die
Erhöhung des Kindergeldes und die Festschreibung des
Rechts auf einen Teilzeitarbeitsplatz mit Rückkehrrecht.
Der richtige Paradigmenwechsel fehlt aber nach wie vor.
Ich möchte auf die Alternativvorlage der PDS auf-
merksam machen, in der ein Zeitkonto bei der Freistel-
lung von erwerbstätigen Eltern, eine einjährige Lohner-
satzleistung und ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung
in den ersten 14 Lebensjahren eingefordert werden.
Lassen Sie mich angesichts der aktuellen Situation in
Afghanistan noch kurz einen Vorschlag machen. Wir ha-
ben seit Jahren überfraktionell über das Elend der Frauen
unter der Gewaltherrschaft des Talibanregimes diskutiert.
Im Moment ist die Lage so prekär, dass wir Frauen uns in-
terfraktionell recht schnell darauf verständigen sollten,
hier tätig zu werden. Wir sollten den Vorschlag der Aus-
länderbeauftragten Marieluise Beck, rasche humanitäre
Hilfe zu leisten, aufnehmen. Danke.
Die Kolle-
gin Christel Humme spricht nun für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Böhmer, wenn Sie schon
Statistiken anführen, dann sollten Sie sie auch vollständig
vortragen. Wir freuen uns natürlich, dass Sie das Ziel der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Ihr Programm
aufgenommen haben. Aber wenn dieses Ziel erreicht wer-
den soll, dann müssen in ausreichendem Maße Plätze für
die Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung ge-
stellt werden.
Ich führe jetzt ein paar Zahlen auf, die in der von Ihnen
vorgetragenen Statistik nicht vorgekommen sind. In Ba-
den-Württemberg beträgt die Versorgungsquote im Be-
reich der Ganztagsbetreuungsplätze in Kindergärten
4,3 Prozent. In Bayern liegt die Versorgungsquote im Be-
reich der Hortplätze bei 3 Prozent. Das sind 20 Plätze für
1 000 Kinder. Bei den Krippenplätzen kommen 14 Plätze
auf 1 000 Kinder. Das entspricht einer Versorgungsquote
von 1,4 Prozent. Ich denke, Ihre Statistik musste um diese
Zahlen ergänzt werden, um deutlich zu machen, wie es
um die Kompetenz für die Familie, die Sie für sich ein-
gefordert haben, tatsächlich bestellt ist.
Sie reden immer von Familienoffensive, Familiengeld
und liberaler Familienförderung. In Sonntagsreden wett-
eifern Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU
und der FDP, um die Gunst der Familien. Diese schönen
Begriffe können allerdings nicht über die Unglaubwür-
digkeit Ihrer Familienpolitik hinwegtäuschen. Sie ist un-
glaubwürdig, weil Sie in Ihrer Regierungsverantwortung
genug Zeit hatten, Politik für Familien und Kinder zu ma-
chen, Familienpolitik aber quasi nicht vorkam.
Als wir 1998 damals waren wir noch in der Opposition
das Kindergeld auf 250 DM erhöhen wollten Sie soll-
ten ruhig zuhören , haben Sie dies verhindert.
Und heute? Heute wollen Sie plötzlich ein Familien-
geld in Höhe von 1 200 DM, so Angela Merkel, oder
1 000 DM, so Edmund Stoiber, einführen.
Doch, das wollen Sie. Das würde eine jährliche Haus-
haltsbelastung von bis zu 60 Milliarden DM ausmachen.
Auch hier zeigt sich Ihre Unglaubwürdigkeit, weil Sie
schnell in Verlegenheit kämen, wenn Sie deutlich machen
müssten, wo Sie die Milliarden hernehmen wollen.
Anzunehmen ist, dass Sie Ihre Politik in alter Manier
über Schulden finanzieren wollen. Genau das geht nicht,
liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU. Sie
leisten mit Ihrem Familiengeld den Familien einen
Bärendienst; denn Familienpolitik über Schulden zu fi-
nanzieren ist nicht seriös und hieße, Familienpolitik zulas-
ten derjenigen zu machen, die man eigentlich entlasten
will.
Die Zeche für nicht finanzierbare Konzepte von heute
zahlen morgen und übermorgen unsere Kinder.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Petra Bläss
18497
Darüber hinaus leisten Sie auch den Frauen einen
Bärendienst. Für den Betrag Ihres Familiengeldes bleibt
kaum ein Mann zu Hause. Mütter dagegen werden durch
dieses Familiengeld in das berufliche Abseits geschickt;
denn jeder weiß, wie schwierig ein beruflicher Wieder-
einstieg nach einer längeren Pause ist.
Der von der rot-grünen Bundesregierung eingebrachte
Haushaltsentwurf für 2002 macht dagegen deutlich: Wir
rücken die Familien dahin, wo sie hingehören, nämlich in
das Zentrum unseres politischen Handelns. Wir schaffen
beides: Wir setzen den soliden Konsolidierungskurs fort
und stellen trotzdem mehr Mittel für die Förderung der
Familien zur Verfügung. Rund 102 Milliarden DM beträgt
das Gesamtvolumen der Leistungen und der Steuerer-
leichterungen für Familien im Jahr 2002. Das sind rund
24 Milliarden DM mehr als bei unserem Regierungsantritt
im Jahr 1998, also 24 Milliarden DM mehr, als Sie, meine
Herren und Damen von der Opposition, für Familien
übrig hatten.
Die rot-grüne Regierungskoalition hat in Sachen Fa-
milienpolitik ein gerechtes Reformpaket geschnürt, das
sich im Haushaltsentwurf 2002 deutlich widerspiegelt.
Familien erhalten ab dem 1. Januar 2002 mehr Kinder-
geld. Frau Böhmer, das sind in der Tat 80 DM mehr in-
nerhalb einer kurzen Zeit.
Sie hatten 16 Jahre Zeit. 80 DM mehr, das sind 36 Prozent
mehr für die Familien und ihre Kinder.
Familien können auch einen höheren Freibetrag für
Betreuung, Erziehung und Ausbildung steuerlich geltend
machen. Gleichzeitig wird der Kinderfreibetrag für den
existenziellen Sachbedarf eines Kindes endlich den ge-
stiegenen Lebenshaltungskosten angepasst.
Familien profitieren nicht nur im Rahmen des Gesetzes
zur Familienförderung, sondern auch hören Sie ruhig
zu! von der Steuerreform. Gerade Familien mit kleinem
und mittlerem Einkommen werden erheblich weniger
Steuern zahlen. Klar, Ökosteuer ist das Stichwort. Diese
Entlastung bleibt auch dann noch bestehen, wenn man die
Belastung durch die Ökosteuer hinzurechnet. Wir haben
für eine umfangreiche Entlastung gesorgt; denn keine Fa-
milie kann so viele Kilometer fahren, dass die Entlastung,
die wir den Familien zukommen lassen, durch die Öko-
steuer aufgehoben wird.
Darüber hinaus haben wir viele andere Maßnahmen
für Familien auf den Weg gebracht. Der Sorge der Fami-
lien um die berufliche Zukunft ihrer Kinder treten
wir unter anderem mit dem Sofortprogramm gegen
Jugendarbeitslosigkeit entgegen. Das JUMP-Programm
hat zu einer deutlichen Senkung der Jugendarbeitslosigkeit
geführt. Da dieses Programm so erfolgreich war, versteti-
gen wir die Maßnahmen und übernehmen wesentliche
Elemente in das neue SGB III, in die reformierte Arbeits-
förderung.
Auch eine weitere Sorge beschäftigt die Familien: die
Gefahr des Rechtsextremismus, der Jugendliche ausge-
setzt sind. Frau Bläss, Sie haben gerade gesagt, dass wir
in unserem Haushalt eine Kürzung von 40 Millionen DM
vornehmen. Das ist so nicht richtig. Sie wissen ganz ge-
nau, dass wir in den Haushalt 2001 einmalig einen Kin-
der- und Jugendplan im Umfang von 30 Millionen DM
eingestellt haben. Den Etat für Projekte gegen
Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern versteti-
gen wir mit 10 Millionen DM im Jahr 2002.
Ich gebe Ihnen aber Recht, dass wir vielleicht noch ein
bisschen mehr tun müssen. Vielleicht sollten wir darüber
hinaus gemeinsam genauer hinschauen, welche Projekte
besonders erfolgreich waren, und in der parlamenta-
rischen Debatte einen höheren Betrag zur Verstetigung
der zielorientierten präventiven Jugendarbeit einfordern.
Da teilen wir Ihre Auffassung.
Konsolidierung der Haushalte, Reformierung der Fa-
milienförderung, Steuerreform, Reform des Erziehungs-
geldes, BAföG-Reform, Wohngeldreform das sind
Maßnahmen, die bei den Familien unmittelbar ankom-
men. Im Mittelpunkt des rot-grünen Haushaltsent-
wurfs 2002 steht eindeutig die Familie.
Frau Lenke, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen:
Es ist so.
Unsere Familienpolitik sorgt für mehr soziale Gerech-
tigkeit. Unsere Familienpolitik schafft die Voraussetzun-
gen für mehr Bildungsbeteiligung von Familien mit nied-
rigem und mittlerem Einkommen. Unsere Familienpolitik
sorgt für Chancengleichheit von Männern und Frauen.
Frau Kolle-
gin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Lenke?
Nein, ich möchte jetzt zum
Schluss kommen. Danach kann Frau Lenke gerne etwas
sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie sehen: Wir handeln, Sie halten Sonntagsreden.
Danke schön.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Christel Humme
18498
Als letzter
Redner in dieser Debatte spricht nun der Kollege Klaus
Holetschek für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Was Sie hier geboten haben,
wäre noch nicht einmal in einem schlechten Bauernthea-
ter zu verkraften. Was Sie uns hier als Familienpolitik vor-
setzen wollen, das ist doch wohl eine Zumutung.
Sie brüsten sich hier irgendwelcher Wohltaten, zum Bei-
spiel der Kindergelderhöhung. Denken Sie einmal da-
ran, was Sie eigentlich für diejenigen Familien tun, die
mehr als zwei Kinder haben! Wo sind denn da Ihre Leis-
tungen?
Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.
Sie stellen sich hierhin und behaupten: Früher war al-
les schlecht; wir sind jetzt drei Jahre an der Regierung; wir
können jedoch nichts ändern und nichts für die Familien
tun, weil uns die nötigen Mehrheiten fehlen. Es ist ganz
einfach: Sie versuchen, schwarzer Peter zu spielen; aber
das klappt nicht immer. Auch die Leute draußen werden
Ihnen das nicht abkaufen.
Sie nehmen eine Umverteilung vor. Ich kann Ihnen
die Fraktion der Grünen ist nur noch mit einer Person
vertreten das Wort Ökosteuer nicht ersparen.
Es ist eine typische Umverteilung: raus aus der einen Ta-
sche und rein in die andere Tasche. Das wird nicht klap-
pen und das werden die Menschen draußen im Lande Ih-
nen auch übel nehmen.
Es besteht kein Zweifel: Wir sind für die Wahlfreiheit
zwischen Familie und Erwerbstätigkeit. Aber Sie müssen
auch die Leistungen der Mütter und Hausfrauen in unse-
rem Land anerkennen und gleich werten.
Da ist es wenig hilfreich hören Sie bitte zu; vielleicht
können Sie daraus etwas mitnehmen , wenn Ihr Bundes-
presseamt Kampagnen unter dem Motto startet: Internet
ist in und die drei K Kinder, Küche, Kirche sind out.
Es ist letztendlich eine Diffamierung auch derer, die da-
heim als Mutter und Hausfrau tätig sind. Es gibt nicht nur
Ihr Familienleitbild, sondern ein vielfältiges Bild der
Familie. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Die Prioritätensetzung in Ihrer Familienpolitik ist
klar. Sie verwenden viel Zeit darauf, ein Lebenspartner-
schaftsgesetz auf den Weg zu bringen.
Kein Thema: Wir sind tolerant; andere Lebensformen
müssen respektiert werden. Aber vielleicht hätten Sie ein
bisschen mehr Zeit auf eine nachhaltige Familienpolitik
verwenden müssen.
Am 1. August waren sehr viele von Ihnen auf den Stan-
desämtern; Sie haben sich um die Standesämter förmlich
gedrängelt. Vielleicht gehen Sie auch einmal hin, wenn
normale Eheschließungen stattfinden, und gratulieren
auch diesen Menschen.
Frau Ministerin, freiwilliges soziales Jahr und Entsen-
degesetz: Es war eine große Ankündigung, dass Sie für
die freiwillig im Ausland Tätigen etwas tun wollen. Was
ist bis jetzt passiert? Gar nichts. Sie haben gesagt, Sie
machen ein Entsendegesetz, um die sozialversicherungs-
rechtliche Absicherung auch dieser Personen zu gewähr-
leisten. Jetzt wollen Sie uns einen Entwurf zur Reform des
freiwilligen sozialen und des freiwilligen ökologischen
Jahres verkaufen. Da werden die entsprechenden Rege-
lungen hineingemixt. Ich habe schon die Ankündigung
aus Ihrem Ministerium gehört, dass in der nächsten Wahl-
periode ein Entsendegesetz kommen wird. Es wird si-
cherlich kommen, aber hoffentlich nicht unter Ihrer Re-
gierung.
Hier ist eindeutig noch nichts passiert, obwohl es ein
wichtiger Bestandteil in Ihrer Koalitionsvereinbarung
war.
Den Zivildienst hat die Kollegin Böhmer schon ange-
sprochen. Die Kürzungen sind uns alle bekannt. Es sind
auch keine Qualitätsverbesserungen in Bezug auf Fort-
und Ausbildung zu spüren. Im Gegenteil: Hier ist gestri-
chen worden.
Ich komme zum Ehrenamt. Für dieses Jahr haben Sie
einen großen Ansatz für das Ehrenamt im Haushalt. Das ist
sehr gut. Aber er wird im nächsten Jahr erheblich gekürzt.
Es kann nicht sein, dass man ein Jahr das Ehrenamt und die
Regierung für ihr Engagement feiert; aber im nächsten Jahr
ist wieder Schluss damit. Wir haben eine Enquete-Kom-
mission, die sich diesem Thema widmet. Das Ehrenamt
muss nachhaltig gefördert werden, weil die Leistungen für
unsere Gesellschaft von unvorstellbarem Wert sind.
Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass es sich nur um
Plattitüden und Ankündigungen handelt.
Familienpolitik hat nicht nur etwas mit materiellen
Dingen zu tun. Wir haben ein geschlossenes Konzept des
Familiengeldes. Ich weiß, dass Sie Schwierigkeiten mit
der Unterscheidung zwischen einer Vision und einer Uto-
pie haben. Familiengeld ist eine Vision, die wir haben und
die sich auch umsetzen und finanzieren lässt. Ich erinnere
daran: Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslo-
senhilfe, bessere Durchsetzung des Lohnabstandsgebots,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18499
Abschaffung der Sozialleistungen, wenn zumutbare Ar-
beit nicht angenommen wird, und vieles mehr. Das alles
trägt zu einer Finanzierung bei.
Die Bereitschaft, die Familien immateriell zu fördern,
und Erziehungskompetenz sind bei Ihnen nicht zu finden.
Die Werte, die für die Familien als Fundament und Keim-
zelle unserer Gesellschaft wichtig sind, kommen eindeu-
tig zu kurz. Angesichts Ihrer Politik brauchen wir nicht
nur ein Bündnis für Arbeit, sondern ein Bündnis für Fa-
milienwerte, die vermittelt werden müssen und die wieder
im Zentrum stehen müssen.
In ein solches Bündnis für Werte gehören auch die Kir-
chen.
Minimallösungen auf Ihrer Seite und kein Gesamtkon-
zept. Ich kann nur wiederholen: Wenn wir der Familien-
politik den Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumen,
den jeder hier fordert, dann müssen wir auch die Prioritä-
ten dementsprechend setzen. Ich vermisse eindeutig die
Prioritätensetzung bei Ihnen.
Ein weiteres Thema wäre sicher auch der familienori-
entierte Umbau der sozialen Sicherungssysteme, wie wir
ihn auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Pflegeversicherung jetzt vorgegeben bekommen haben.
Auch das müssen wir uns zu Herzen nehmen.
Die Zeit drängt. Die demographische Entwicklung
zwingt uns zum Handeln. Ich sage Ihnen noch einmal:
Stoppen wir diesen Trend! Widmen wir uns den Familien
als Basis unserer Gesellschaft! Das Ziel darf dabei nicht
nur die ökonomisch optimierte Familie, sondern das Ziel
muss die glückliche Familie sein. Das muss auch die Po-
litik erkennen.
Ich schließe
die Aussprache.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tags auf morgen, Donnerstag, den 27. September 2001,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.