Rede von
Ulla
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
gerade daran gedacht, dass das alles gut zusammenpasst;
denn gesunde Ernährung ist auch gut für die Gesundheit.
Menschen, die sich dank der Politik der Landwirtschafts-
ministerin gesund ernähren, bleiben länger fit, und wer
länger fit bleibt, bleibt länger gesund.
Ich bin zuständig für die Gesundheitspolitik. Wenn Sie
dafür zuständig wären, wüssten Sie, dass ein gesundes Le-
ben oder eine gesunde Ernährung und die Verantwortung
für die eigene Gesundheit etwas mit Gesundheitspolitik
zu tun haben.
Meine Damen und Herren, die aktuellen Auseinander-
setzungen über Einsparungen im Arzneimittelbereich zei-
gen erneut, dass es in der Gesundheitspolitik immer auch
um Geld geht. Insgesamt steuert das Bundesgesund-
heitsministerium ein Ausgabenvolumen von rund
520 Milliarden DM. Bei diesen Zahlen ist es kein Wun-
der, dass es immer wieder zu großen Verwerfungen und
Streitereien kommt, dass immer wieder um alles hart ge-
rungen wird.
Demgegenüber ist der Haushalt des Bundesgesund-
heitsministeriums, den wir heute einbringen, mit knapp
1,4 Milliarden Euro eine geradezu verschwindend kleine
Größe. Grund dafür ist, dass das Finanzvolumen, das im
Bereich Gesundheit bewegt wird, in den Haushalten der
Kassen und zum Teil auch in den Haushalten der Länder
vorkommt. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, dass mit diesen Geldern verantwortlich umge-
gangen wird.
Auch die aktuellen Gesetzesvorhaben, die wir heute
mit beraten, sind Weichenstellungen für die Zukunft. Sie
sollen dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung an
den Bedürfnissen der Menschen orientiert wird und dass
die Ausgaben zwei Forderungen gerecht werden: Aus-
gaben sollen qualitätsgesichert und wirtschaftlich erfol-
gen.
Angesichts der Debatten der letzten Wochen ist es viel-
leicht notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass
wir in Deutschland ein leistungsfähiges Gesundheitswe-
sen haben, um das uns viele Länder beneiden. Wir haben
eine flächendeckende Behandlung durch Ärzte und
Zahnärzte, eine flächendeckende Behandlung durch
Krankenhäuser. Bei uns gibt es keine Wartelisten für Ope-
rationen.
Dieser Anspruch ist unabhängig vom Alter, vom Ge-
schlecht, vom Familienstand und vom Einkommen. Und
das ist gut so, Herr Kollege Thomae!
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; in meiner Stadt ist
die Versorgung so.
Weil das so ist, halten wir an der solidarischen Kran-
kenversicherung fest. Eine Aufteilung ihres Angebots in
Grund- und Wahlleistungen kann nicht die Sicherheit, wie
wir sie heute haben, bieten.
Ich will nicht verschweigen, dass wir vor großen He-
rausforderungen, auch in der Gesundheitspolitik stehen.
Ich nenne hier nur einmal die Herausforderungen durch
den medizinischen Fortschritt, Herausforderungen auf-
grund der demographischen Entwicklung und aufgrund
der wachsenden Zahl multimorbider Menschen und chro-
nischer Erkrankungen. Deshalb ist eine Weiterentwick-
lung des Systems notwendig, eine Weiterentwicklung hin
zu mehr Patientenorientierung, mehr Versorgungsqua-
lität, vor allem für chronisch kranke Menschen, und mehr
Wirtschaftlichkeit.
Ich darf heute sagen: Knapp drei Jahre nach dem Regie-
rungswechsel haben wir vieles erreicht.
Die Stärkung der hausärztlichen Versorgung, mehr Qua-
lität und Transparenz, eine bessere Verzahnung der Leis-
tungsbereiche
sowie die Förderung der Prävention und Selbsthilfe be-
deuten nichts anderes als mehr Orientierung an den Pati-
enten und deren Bedürfnissen.
Trotz Leistungsverbesserungen da sollten Sie mal gut
zuhören , trotz einer Entlastung der Patientinnen und Pa-
tienten bei den Zuzahlungen
und trotz einer rapide voranschreitenden Entschuldung
der Kassen in den neuen Bundesländern, die Sie ja stop-
pen wollten,
konnten wir, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU und der FDP, die Beiträge stabil halten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18473
Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz liegt im-
mer noch bei 13,6 Prozent.
Das war genau der Beitragssatz, den uns der Kollege
Seehofer übergeben hat,
nachdem unter seiner Ägide der Beitragssatz in sieben
Jahren um durchschnittlich 0,2 Prozent jährlich angestie-
gen war.
Unser Gesundheitswesen
Es ist nicht pleite, da brauchen Sie gar keine Angst zu
haben. Ich habe da auch keine Sorgen. Wenn man aktuelle
Schwierigkeiten hat, muss man darauf reagieren.
Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen.
Wir brauchen vor allen Dingen eines: Wir müssen das Ge-
sundheitswesen mehr als bisher an medizinischen Be-
dürfnissen ausrichten.
Dazu gehört richtigerweise, dass wir uns mit einer umfas-
senden Umgestaltung der Entgeltsysteme auseinander
setzen müssen.
Für den niedergelassenen ärztlichen und zahnärztlichen
Bereich werden die Vergütungssysteme grundlegend re-
formiert. Daran arbeiten zurzeit die Selbstverwaltungsgre-
mien. Im Krankenhaus wird mit dem heute eingebrachten
Gesetz zur Einführung der Fallpauschalen ebenfalls ein
leistungsorientiertes Preissystem eingeführt und damit die
bislang umfassendste Reform im Krankenhausbereich ein-
geleitet. Die konkrete Umsetzung erfolgt mit dem Fall-
pauschalengesetz. Da wir uns in der Zielsetzung einig
sind, gehe ich davon aus, dass wir uns auch bei der Frage
der konkreten Umsetzung, so wie wir sie im Gesetzent-
wurf vorgesehen haben, einig werden.
Ich glaube, dass der große Fortschritt darin besteht,
dass wir mit dem Fallpauschalensystem wirklich eine
starre, fiskalisch orientierte Budgetierung im Kranken-
haus überwinden und dass ein modernes, prozessoffenes
Vergütungssystem auf den Weg gebracht wird. Das Geld
muss der medizinischen Leistung folgen. Es muss klar er-
kennbar sein, wohin die Ressourcen fließen und für wel-
che Leistungen sie gebraucht werden.
Diese Transparenz schaffen wir mit dem Fallpauschalen-
system. Dies ist eine wirklich große Reform, die auch
langfristig Wirtschaftlichkeitsreserven im größten Ausga-
benbereich der Krankenversicherungen erschließen und
die Qualität verbessern wird.
Wer Ja sagt zur Leistungsorientierung und dazu, dass
die Krankenhäuser mehr Freiräume erhalten sollen, der
muss auch zu den Instrumenten Ja sagen, die wir brau-
chen, um sicherzustellen, dass nur das medizinisch Not-
wendige dies aber in jedem Fall erbracht wird und dass
Leistungen in der Qualität abgesichert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
deshalb müssen die Kontrollmechanismen und die Prüf-
möglichkeiten der Krankenkassen und der Medizini-
schen Dienste angepasst werden. Ich sage dies auch an
die Kritiker gerichtet, die oft aus den Krankenhäusern
kommen: Wer mehr Freiheit will und das wollen ja
alle ,
der muss sich der fachlichen Überprüfung stellen, Herr
Kollege Lohmann. Ich glaube, wir sind uns einig, dass
dies notwendig ist.
Der Gesetzentwurf wird dem, was zurzeit diskutiert
wird, gerecht: Es herrscht die Befürchtung, dass die Kran-
kenhäuser durch die Verzögerung der Softwareeinführung
in Bedrängnis kommen. Wir sehen eine behutsame und
abgestufte Einführung der Fallpauschalen vor,
sodass alle Beteiligten Krankenhäuser und Krankenkas-
sen eine faire Chance zur Anpassung haben und man
wirklich sagen kann, dass dies ein lernendes System ist.
Die Krankenhäuser können ab 1. Januar 2003 starten,
aber wir verlängern die budgetneutrale Phase um ein Jahr,
sodass spätestens zum 1. Januar 2004 alle Krankenhäuser
in diesen Prozess eintreten und wir dann Zeit haben, zwei
Jahre lang zu beobachten, wo es Schwierigkeiten gibt und
wie sie überwunden werden können.
Deshalb trifft der Gesetzentwurf auch noch keine Fest-
legungen für die Zeit ab 2007. Es versteht sich von selbst,
dass wir bei einem lernenden System erst im Jahre 2006
aufgrund der Erfahrungen der Zeit davor festlegen kön-
nen, wie es nach 2007 weitergehen soll.
Sonst würden wir Dinge vorwegnehmen, die man im
Grunde genommen heute nicht entscheiden kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
18474
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schritt für Schritt,
das ist auch die Maxime für die Verbesserungen der
Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutsch-
land. Ein Baustein ist die bessere Versorgung demenz-
kranker Menschen durch das Pflege-Leistungsergän-
zungsgesetz.
Ich habe ein Baustein gesagt, Kollege Lohmann, weil
ich mir darüber im Klaren bin,
dass dies vor dem Hintergrund der begrenzten finanziel-
len Mittel der Pflegeversicherung nur ein erster Schritt
sein kann. Es müssen weitere Schritte folgen, aber ich
halte es für einen wichtigen Schritt.
Wir machen mit diesem Gesetzentwurf vor allem den-
jenigen ein Angebot, die zu Hause rund um die Uhr de-
menzkranke Angehörige pflegen und sehr viel Kraft in
diese Aufgabe stecken. Ich weiß, dass sehr viel mehr Geld
nötig wäre.
Aber 900 DM im Jahr für den, der einen demenzkranken
Menschen betreut, machen immerhin 500 Millionen DM
in der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Wir müssen ja
auch sehen, es ist ein Baustein, ein erster Schritt.
Die Mittel sind zweckgebunden für die Tages- und
Nachtpflege, die Kurzzeitpflege und andere niedrig-
schwellige Betreuungsangebote. Wir sind in Gesprächen
mit den Landesarbeitsämtern bzw. mit dem Bundesar-
beitsministerium, um zu erreichen, dass durch ergänzende
Maßnahmen die Vorraussetzungen dafür geschaffen wer-
den, dass mit diesem Geld Betreuung finanziert werden
kann. Es sind vor allen Dingen Frauen, die die Kranken
pflegen, und unser Ziel ist es, dass man für sie ein Stück
Entlastung erreicht.
Darüber hinaus sollen Modellvorhaben zur Entwick-
lung neuer Versorgungskonzepte und -strukturen auf den
Weg gebracht und gefördert werden. Wir wollen mit die-
sem Gesetzentwurf ein Netz von abgestuften, bedarfsori-
entierten und gemeindenahen Hilfen anbieten. Ich sage es
noch einmal: Wir werden dies ausbauen müssen, auch im
Zuge der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, weil
hier ein großer Bedarf besteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen Schritt für
Schritt die Reform des Gesundheitswesens an:
Solidarität mit den Kranken, Wettbewerb um die beste
Versorgung, optimale Leistungen, auch bei Beratung,
Vorsorge und Prävention. Die weitere Eindämmung der
Kosten und die Stabilisierung der Beiträge sind und blei-
ben unser Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir dieses
Ziel am Ende auch erreichen werden.
Diesem Ziel diente auch das vorgestern mit den Spit-
zenverbänden der Kassen, der Selbstverwaltung der Kas-
sen und dem DGB vereinbarte Maßnahmenpaket zur Ein-
dämmung der Kosten im Arzneimittelsektor. Wenn man
sich einmal die großen Leistungsbereiche in der gesetzli-
chen Krankenversicherung ansieht, ist neben dem Bereich
der Krankenhäuser und dem Bereich der ambulanten Ver-
sorgung der Arzneimittelbereich derjenige, der die größten
Zuwächse zu verzeichnen hat. Es hat im ersten Halbjahr
2001 etwas stattgefunden, was wirklich zu einer Wende
führt, wenn wir nicht dagegenhalten, nämlich dass für die
Arzneimittel im Bereich von Apotheken und anderen mehr
Geld ausgegeben wird als für die gesamte Vergütung im
ambulanten Bereich. Da kann etwas nicht stimmen, meine
Damen und Herren. Da kann man sich Gedanken machen,
wie wir in diesem Bereich zu Einsparungen kommen.
Das, was wir vorschlagen und auch in den nächsten
Wochen hier diskutieren werden, führt zusammen mit der
Absenkung der Festbeträge und der Initiative der Selbst-
verwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der
Krankenkassen, im Hinblick auf die Steuerung der Arz-
neimittelausgaben Schritt für Schritt zur Sicherung unse-
res solidarischen Systems. Das führt dazu, dass wir die
Beiträge auch langfristig stabil halten können.
Mit diesem Schritt das geht noch einmal an Sie ha-
ben wir einen Weg gefunden, bei steigenden Kosten nicht
Ihre Politik fortzusetzen, die immer darin bestanden hat,
dass Sie bei Kostenexplosionen die Zuzahlungen für die
Kranken erhöht
und zusätzlich Leistungen eingeschränkt haben. Würde
man diese Politik fortsetzen, untergräbt man die Akzep-
tanz der solidarischen Versicherung, weil die Menschen
nicht bereit sind, das hinzunehmen.
Wir haben einen besseren Weg gefunden. Ich hoffe auf
Ihre Unterstützung, damit wir die gesetzliche Kranken-
versicherung gemeinsam stabilisieren.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt
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