Rede von
Dr.
Guido
Westerwelle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
kanzler, Sie haben hier in der letzten Woche eine Regie-
rungserklärung abgegeben und auch heute in dieser De-
batte das Wort ergriffen. Ich habe Ihnen in der letzten
Woche geantwortet, dass es aus unserer Sicht eine wür-
dige Regierungserklärung gewesen ist. Dass Sie aller-
dings morgens im Deutschen Bundestag eine Regie-
rungserklärung abgegeben haben und die Abgeordneten
später auf dem Nachhauseweg aus den Nachrichten er-
fahren haben, dass Sie anschließend, also am Nachmittag,
im Kabinett beschlossen haben, die Steuern zu erhöhen,
das war absolut unwürdig, Herr Bundeskanzler.
Ich muss den Abgeordneten der Sozialdemokraten sagen:
Das hat nichts mehr mit Parteien zu tun. Das ist eine Frage
des Respekts gegenüber dem Deutschen Bundestag. Hat
Herr Müntefering Sie so eingeschüchtert, dass Sie so et-
was durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Sie können sich in der Außen- und Sicherheitspolitik
auf die Opposition verlassen. Das wissen auch Sie; denn
wir haben es Ihnen in der letzten Woche verschiedentlich
gesagt. Die Opposition weiß, dass sie hier Verantwortung
wahrzunehmen hat. Wir werden zuverlässig und staatspo-
litisch verantwortungsvoll handeln.
Herr Bundeskanzler, Ihr Problem in der Außen- und Si-
cherheitspolitik ist doch nicht die Opposition. Ihr Problem
ist in Wahrheit Ihr grüner Koalitionspartner, Ihre eigene
Regierung.
Sie haben im Sommer dieses Jahres in der Mazedonien-
frage keine eigene Mehrheit gehabt. Deswegen haben Sie
in Brüssel über dieses Mandat ungewöhnlich schlecht
verhandeln können. In der Abstimmung im Deutschen
Bundestag hatten Sie keine eigene Mehrheit. Die Koali-
tion brachte in der Frage der Mandatierung der deutschen
Soldaten in Mazedonien nicht einmal eine eigene Mehr-
heit zustande. Sie waren auf die Unterstützung aus den
Reihen der Oppositionsfraktion angewiesen. Das ist we-
niger innenpolitisch ein Problem. Das ist vielmehr außen-
politisch ein Problem, weil Sie als unser Vertreter im Aus-
land dann auch nicht so frei und so souverän verhandeln
können, wie Sie verhandeln müssten, wenn es um ent-
sprechende außenpolitische Aufträge geht.
Jetzt erleben wir wieder genau dasselbe. Herr Bundes-
kanzler, Sie sprechen von der uneingeschränkten Solida-
rität zum Bündnis. Der Bundesverteidigungsminister er-
klärte heute völlig zu Recht, dass er damit rechne, dass
dieser Bündnisfall jetzt auch tatsächlich festgestellt wird.
Das ist alles richtig. Nur, Sie richten Ihre diesbezüglichen
Ausführungen in Richtung Opposition. Eigentlich müss-
ten Sie jedes Mal, wenn Sie solche Ausführungen
machen, Ihren Blick von der Opposition weg hin zu Ihren
eigenen Leute richten. Die sind nämlich das große Pro-
blem!
Sie rufen dazwischen: Uns kennt er ja. Das ist ja das
Problem: Weil er euch kennt, hat er diese Schwierig-
keiten.
Das große Problem, das wir in der Außenpolitik haben,
ist, dass ein Landesverband der Grünen nach dem ande-
ren im wahrsten Sinne des Wortes von der Fahne geht.
Eines geht nicht: dass Sie vor lauter Überzeugungsar-
beit in der eigenen Koalition Ihre Hausaufgaben nicht
mehr machen. Ich sage Ihnen: Deutschland hat eine Re-
gierung verdient, die eine vernünftige Außenpolitik und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
18374
eine vernünftige Innenpolitik macht. Davon kann in kei-
ner Weise die Rede sein.
Die Ausstattung der Bundeswehr ist immer noch kärg-
lich. Dann haben wir jetzt erlebt, wie Sie einen neuen Fi-
nanzierungsvorschlag gemacht haben; auf den Umgang
mit und auf das Verfahren gegenüber dem Parlament habe
ich bereits Bezug genommen. Dabei geht es um 3 Milli-
arden DM bei einem Haushalt von fast 500 Milliar-
den DM. Der Finanzminister und der deutsche Bundes-
kanzler sagen, nicht einmal 3 Milliarden DM könnten sie
in einem Haushalt von fast 500 Milliarden DM durch Um-
schichtungen erwirtschaften. Das ist eine Bankrotter-
klärung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Es ist in Wahrheit ökonomisch nicht überzeugend, was
Sie gemacht haben. Finanzpolitisch ist es doch auch nicht
überzeugend. Sie erzählen, Sie müssten jetzt die Tabak-
steuer und die Versicherungsteuer erhöhen, damit ein Pa-
ket für innere Sicherheit beschlossen werden könne. Das
ist übrigens ein Popanz und ein Vorwand. Gesetzesände-
rungen kosten kein Geld. Wenn Sie das Vereinsprivileg
für extremistische religiöse Organisationen aufheben,
kostet das den Steuerzahler keinen Pfennig. In Wahrheit
haben Sie einen Vorwand für Steuererhöhungen gesucht.
Ich sage Ihnen: Das war der Beginn einer Steuererhö-
hungsspirale, aber das Gegenteil wäre in Deutschland
nötig.
Das ist doch eine völlig konzeptionslose Finanzpolitik.
Die Rente bezahlen wir angeblich an der Tankstelle, über
die Ökosteuer. Die innere Sicherheit sollen wir jetzt durch
das Rauchen bezahlen. Rauchen für die Sicherheit,
Rasen für die Rente das ist keine Finanzpolitik, das ist
gaga. Das hat keine Konzeption, das ist doch nicht über-
zeugend!
Als ob irgendeine dieser Steuereinnahmen an irgendeiner
Stelle zweckgebunden wäre! Auch wenn Sie in der
Außenpolitik die Rückendeckung der Opposition haben:
In der Innenpolitik werden wir Ihnen diese Auseinander-
setzung nicht ersparen, weil das Nachdenken darüber in
diesem Hause nicht aufgehört hat.
Was ist denn von all Ihren Äußerungen übrig geblie-
ben, Herr Innenminister? Am Vormittag haben Sie, gera-
dezu zur Begeisterung der Opposition und zum Erschau-
dern Ihres grünen Koalitionspartners, eine Rede gehalten,
die bemerkenswert war. Übrigens, Herr Glos, auch die In-
tonierung war in meinen Augen völlig unproblematisch.
Wenn man in einer solchen Situation wie eine Maschine
redet, hat man eher Probleme. Sie haben hier gesagt, was
Sie alles machen wollen, alles machen werden, was pas-
sieren müsste, und haben von Fingerabdrücken gespro-
chen. Nichts von dem haben Sie am Nachmittag be-
schlossen. Warum haben Sie es nicht beschlossen? Weil
Sie für das ganze Paket der inneren Sicherheit in Wahrheit
keine Einigkeit mit Ihrem grünen Koalitionspartner hin-
bekommen. Das hat Deutschland nicht verdient!
Es ist doch jedes Mal dasselbe: Bei der Zuwanderung
möchten Sie und wir wollen auch. Dann machen Sie doch
endlich! Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen.
Bei der inneren Sicherheit möchten Sie und wir wollen
auch. Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen. Bei
der Außenpolitik möchten Sie und wir wollen endlich
auch. Machen Sie! Sie machen nicht, weil die Grünen Ih-
nen jedes Mal Knüppel zwischen die Beine werfen.
Genau das ist die Lage.
Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir völlig klar.
Aber das werden Sie noch häufiger hören.
Weil Sie den Zwischenruf Hamburg, innere Sicher-
heit gemacht haben:
Sie werden den Freien Demokraten kaum vorwerfen kön-
nen, dass sie bei der inneren Sicherheit in Koalitionsver-
handlungen das vorsehen, was Herr Schily hier vorgelegt
hat.
Das mag Ihnen vielleicht unangenehm sein.
Und noch etwas: Wer in Berlin, in Mecklenburg-Vor-
pommern und in Sachsen-Anhalt mit der PDS regiert, der
erzählt mir in Koalitionsfragen ganz gewiss nicht, was die
moralischen Maßstäbe in Deutschland sind. Das verges-
sen Sie einmal ganz schnell!
Dann lese ich eine Agenturmeldung über Herrn
Müntefering. Herr Müntefering sagt, die CDU höre, wenn
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Guido Westerwelle
18375
sie jetzt in Hamburg verhandle, auf, eine große liberale
Volkspartei zu sein, und die FDP höre damit auf, eine
liberale Partei zu sein.
Der Mann, der Abgeordnete seiner eigenen Partei so un-
ter Druck setzt, dass er eine Strafanzeige aus diesen Rei-
hen bekommt, erzählt mir doch nicht, was liberal in
Deutschland ist! Das haken Sie einmal ab!
Es fehlt Ihnen in dieser Regierung in der Innen-, Wirt-
schafts- und Finanzpolitik an Gestaltungskraft. Das ist das
große Problem. Da Sie die ganze Zeit das Wort Makro-
ökonomie so bemüht haben ich war tief beeindruckt,
Herr Bundeskanzler , möchte ich das noch einmal auf
den Punkt bringen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Makroökonomie
sprechen, dann müssten Sie feststellen, dass sich die
japanische Wirtschaft in Wahrheit schon längst in einer
Rezession befindet. Sie müssten ferner feststellen, dass
sich die amerikanische Wirtschaft in der Gefahr befindet,
in eine Rezession zu kommen. Schließlich müssten Sie
feststellen, dass Deutschland die Wirtschaftslokomotive
in Europa und Europa die Wirtschaftslokomotive in der
Welt werden müsste. Das erreichen Sie nicht, indem Sie
die Konjunktur durch Steuererhöhungen abwürgen.
Durch Steuersenkungen könnten Sie dies erreichen.
Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen uns
als Opposition und Ihnen als Regierung.
Die Regierung sagt: Deutschland kann sich Steuersen-
kungen nicht leisten. Die Opposition sagt: Wir können es
uns nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzichten. Nur
durch Steuersenkungen springt die Konjunktur an und es
könnten endlich neue Arbeitsplätze in Deutschland ge-
schaffen werden. Es kann nämlich nur derjenige Steuern
zahlen, der Arbeit hat.
Zur Erreichung dieses Ziels müssten wir die Steuer-
senkungsakzente durchsetzen; zumindest müsste die
nächste Stufe der Ökosteuer ausgesetzt werden. Sie hätten
auf die Steuererhöhungen verzichten müssen.
Sie reden das ist der pawlowsche Reflex des Finanz-
ministers von einem Finanzbedarf in Höhe von 3 Milli-
arden DM und erhöhen die Steuern. Die Auseinanderset-
zungen im Golf haben etwa 17 Milliarden DM gekostet.
Um wie viele Punkte wollen Sie die Mehrwertsteuer ei-
gentlich erhöhen, wenn wir in die Situation kommen? Sie
werden die Steuern immer weiter erhöhen. Das ist Gift für
die Wirtschaft. Sie vergessen immer, dass die Versiche-
rungsteuer Gift für den Mittelstand ist. Herr Bundeskanz-
ler, Sie orientieren sich immer noch an Holzmann und
nicht am Mittelstand. Das ist ein Problem.
Hier muss Klartext geredet werden.
Sie müssen in der Lage sein, neben einer Steuersen-
kungspolitik ein Sofortprogramm für mehr Wirt-
schaftswachstum und Beschäftigung aufzulegen. Das
fordern wir von Ihnen. Das hat mit Konjunkturprogram-
men überhaupt nichts zu tun. Diesen Unterschied wollen
Sie ja bewusst verwischen, Herr Wirtschaftsminister.
Es geht darum, dass in Deutschland die Strukturen ver-
ändert werden müssen.
Dazu zählen die Steuerstruktur, die Frage der Steuerver-
einfachung und die Entbürokratisierung. Allein der Mit-
telstand leidet unter Bürokratiekosten in Höhe von
60 Milliarden DM jährlich. Dazu zählt auch, dass Sie das
Arbeits- und Tarifrecht endlich flexibilisieren. Auch das
muss ausgesprochen werden.
Es mag sein, dass Ihnen das nicht gefällt,
weil 85 Prozent der SPD-Abgeordneten Mitglied in einer
Gewerkschaft sind. Das ist akzeptabel und nachvollzieh-
bar.
Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte in
der Zeit auf die Frage, ob der Flächentarifvertrag am
Ende sei: Leider nein. Es wäre zum Abbau der hohen Ar-
beitslosigkeit aber wünschenswert, dass der flächen-
deckende Lohntarif an sein Ende gebracht würde. Das
sagt nicht die Opposition, das sagt Helmut Schmidt. Vor
dem werden Sie hoffentlich Respekt haben, meine sehr
geehrten Damen und Herren.
Herr Bundeskanzler, gerade Volkswagen hat ja gezeigt,
dass wir in den Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern
und Unternehmensführungen zu mehr Betriebsnähe kom-
men müssen. Das ist notwendig. Wir wissen, dass es
natürlich auch dazu kommen wird. Es ist nur eine Frage
der Zeit.
Die Bundesregierung antwortet auf die Frage nach der
Lage der Konjunktur in Europa das müssen wir Ihnen
vorhalten mit seltsam gewundenen Erklärungen. Tatsa-
che ist, dass es auch früher Zeiten schlechten Wirtschafts-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Dr. Guido Westerwelle
18376
wachstums gab. Da waren wir aber wenigstens, relativ ge-
sehen, an der Spitze in Europa. Der Unterschied jetzt ist,
dass wir beim Wirtschaftswachstum seit zwei, drei Jahren
im Vergleich aller Euroländer das Schlusslicht bilden. Das
hat nichts mit globaler Weltwirtschaft zu tun.
Das hat etwas damit zu tun, dass wir offensichtlich durch
nationale Wirtschaftspolitik mit den Veränderungen der
Weltwirtschaft schlechter zurechtkommen als alle ande-
ren Euroländer.
Das muss von Ihnen aufgegriffen werden. Sie können
nicht mit ruhiger Hand regieren. Hier ist eine handelnde,
eine zupackende Hand gefragt. Die Strukturen müssen
verändert werden. Das ist dann auch die Stunde, in der die
Opposition das bei Ihnen einklagen darf. Darauf kommt
es jetzt an.
Sie sprechen in einem Interview ich habe es dabei
davon, dass es kein Wunder sei, dass das Wirtschafts-
wachstum in Deutschland schlechter sei als in den ande-
ren europäischen Ländern, wir seien ja schließlich auch
anders als andere europäische Länder eine gesättigte
Volkswirtschaft.
Das ist wirklich bemerkenswert. Sie sind den ganzen
Sommer über durch Ostdeutschland gereist. Sie sind in
Regionen mit einer Arbeitslosenquote von 20, 30 und
mehr Prozent gewesen und sprechen von einer gesättigten
Volkswirtschaft zur Entschuldigung Ihrer verfehlten Wirt-
schaftspolitik. Herr Bundeskanzler, das geht daneben und
es wird Ihnen nicht gelingen, uns von Ihrer Politik zu
überzeugen.
Nein, Herr Bundeskanzler, Sie können sich in der
Außen- und Sicherheitspolitik, Sie können sich in der
Friedenspolitik darauf verlassen, dass die Opposition
weiß, was Staatsräson ist. Das müssen Sie eher Ihrem grü-
nen Koalitionspartner erklären.
Aber Sie müssen davon ausgehen, dass wir, wenn Sie be-
züglich der inneren Sicherheit nur Maßnahmen ankündi-
gen, aber nicht handeln, dies auch erwähnen,
dass wir auch erwähnen, dass Sie in der Wirtschaftspoli-
tik den falschen Weg gehen. Dass Sie in der Bildungspo-
litik nicht zu Potte kommen und in Wahrheit die Zukunfts-
chancen der jungen Generation immer schlechter werden
lassen, werden wir auch erwähnen. Das Nachdenken ist
jetzt nicht beendet. Ganz im Gegenteil: Wir wissen, dass
wir in der Außen- und Sicherheitspolitik Verantwortung
wahrnehmen. In der Innenpolitik werden Sie die scharfen
Worte der Opposition nicht vermissen. Das versprechen
wir Ihnen.