Rede von
Volker
Rühe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Serie barbarischer Ter-
rorangriffe in den USA stellt uns vor eine grundlegend
neue Lage. Darin stimmen wir alle überein. Was bislang
unter dem Stichwort asymmetrische Bedrohung ab-
strakte Theorie war, ist in diesen Tagen grauenvolle Rea-
lität geworden. Bislang waren vor allem Kriege zwischen
Staaten und bewaffnete Konflikte innerhalb eines Landes
denkbar. Jetzt kommen nicht staatliche internationale Ak-
teure mit unübersehbaren Zerstörungspotenzialen hinzu,
und die Verwundbarkeit unserer hoch technisierten,
äußerst mobilen, auch digital vernetzten Gesellschaften
stellt uns vor völlig neue Herausforderungen.
Was sich am 11. September in den Vereinigten Staaten
von Amerika ereignet hat, kann sich morgen in einem an-
deren Land, in anderer Form auch bei uns wiederho-
len, und es sind so schrecklich diese Vorstellung ist; ich
will das nicht ausbuchstabieren, aber wir müssen es wis-
sen noch Steigerungen des Terrors denkbar. Deshalb
liegt die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in unser aller Interesse.
Der Angriff vom 11. September war ein Angriff auf uns
alle. Deshalb müssen wir uns auch gemeinsam wehren.
Das hat der Verteidigungsminister am Wochenende zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Bundesminister Joseph Fischer
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Recht gesagt. Ich hoffe, dies ist die Einstellung der ganzen
Regierung: ein Angriff auf uns alle wir müssen uns auch
gemeinsam wehren! Es geht eben nicht nur um die Soli-
darität unter Bündnispartnern, sondern die Beteiligung
Deutschlands am Kampf gegen den internationalen Terro-
rismus ist ein überragendes Eigeninteresse unseres Lan-
des. Das muss eine politische Führung im Gespräch mit
der Bevölkerung deutlich machen, damit wir die Stärke
aufbringen, die wir in dieser Situation brauchen.
Was letztlich zählt, Herr Bundesaußenminister ge-
rade auch langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völ-
ker ist das, was real geschieht. Wir können das ja an uns
selbst feststellen. Manche erinnern sich noch daran, was
Ende der 50er-Jahre die Unterstützung der Vereinigten
Staaten von Amerika für das neue Deutschland an Chan-
cen für uns alle bedeutete, und wir sehen, wie sehr das
heute noch lebendig ist. Es gibt solche Situationen und
wir erleben jetzt eine solche Situation , von denen man
sich noch in Jahrzehnten daran erinnern wird, wie wir uns
verhalten haben. Was letztlich zählt gerade eben auch
langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völker , ist
das, was real geschieht.
Deswegen ist es die Aufgabe der nächsten Tage und
Wochen, die eindrucksvollen deutschen Solidaritätsbe-
kundungen auch in konkretes Handeln umzusetzen. Jetzt
ist es an den europäischen Demokratien und gerade auch
an Deutschland, zu zeigen, ob sie so wehrhaft sind, wie sie
zu sein glauben und wie sie immer sagen.
Klar ist jedenfalls, dass sich das, was uns im Golfkrieg
unter den damaligen Umständen, als wir als Bundesrepu-
blik Deutschland in dieser Auseinandersetzung einen
finanziellen Beitrag geleistet haben dazu gab es keine
Alternative , den Vorwurf der Scheckbuchdiplomatie
eingebracht hat, nicht wiederholen darf. Das wäre auch
nicht vereinbar mit der erklärten Politik der Bundesregie-
rung einer uneingeschränkten Solidarität mit den Ver-
einigten Staaten von Amerika. Das müssen wir alle wis-
sen, und das ist angesichts mancher Diskussionen eine
Warnung an die Regierung.
Die Entwicklung der letzten beiden Wochen das ist
ebenfalls deutlich geworden, nicht zuletzt gestern in der
Rede des Präsidenten Putin gibt aber auch Anlass zur
Zuversicht. Wir sehen, wie die Vereinigten Staaten auf die
neue globale Bedrohung mit einer globalen Politik rea-
gieren. Weltweit entsteht eine Koalition, die entschlossen
ist, den Kampf gegen den Terrorismus aufzunehmen. Sie
geht weit über die NATO hinaus und schließt Russland,
China, Indien sowie die gemäßigten islamischen Länder
ein.
Die Denkmuster des Kalten Krieges haben ausgedient;
das ist richtig. Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine
gemeinsame Aufgabe der gesamten zivilisierten Welt ge-
worden. Der Bundeskanzler hat von der uneingeschränk-
ten Solidarität mit den Amerikanern gesprochen. Aller-
dings darf sich unsere Solidarität nicht auf eine punktuelle
Krisensolidarität beschränken.
Die großen Herausforderungen, vor denen wir heute ste-
hen, machen uns Europäern mehr denn je deutlich, dass
die Gemeinsamkeiten, die wir mit den Amerikanern ha-
ben, bei weitem wichtiger sind als die Differenzen. Auch
dies ist ein Punkt, in dem die Koalition in der Vergangen-
heit gelegentlich gesündigt hat.
Was wir im Übrigen brauchen, ist eine transatlantische
strategische Solidarität nicht nur in der Krise, sondern
eine strategische Solidarität bei der Gestaltung und Si-
cherung unserer gemeinsamen Zukunft. Das ist die Poli-
tik, die wir von der Bundesregierung verlangen.
Was heißt das? Amerika wird als Antwort auf die globa-
len Gefahren des Terrorismus noch mehr als bisher Auf-
gaben außerhalb Europas wahrnehmen; es wird neue Pri-
oritäten setzen, nicht zuletzt den Schutz des eigenen
Territoriums, und die Amerikaner werden von uns Euro-
päern zu Recht erwarten, dass wir sie in Europa entlasten
und gemeinsam internationale Verantwortung überneh-
men. Wer jetzt nicht bereit ist, dafür die notwendigen
Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen oder sie schnellstens
zu schaffen, der verhält sich nicht nur unsolidarisch, son-
dern was noch wichtiger ist er schadet auch seinen ei-
genen Interessen. Viel zu lange haben wir Europäer uns in
unseren eigenen Angelegenheiten auf die USA verlassen
zu stark. Jetzt reicht es nicht mehr, nur von der Über-
nahme größerer Verantwortung zu reden, jetzt müssen wir
dies auch durch unser Handeln beweisen.
Das betrifft Herr Bundesaußenminister, da bin ich
ganz anderer Meinung als Sie auch Mazedonien. Wir
Europäer werden unserer Verantwortung für die Friedens-
sicherung in dieser Region nur dann gerecht, wenn wir
sicherstellen, dass die durch die EU- und NATO-Vermitt-
lung erreichten politischen Vereinbarungen dauerhaft ver-
wirklicht werden. Die eher symbolische Waffen-
entgegennahmeaktion hat keine echte Verbesserung der
Sicherheitslage in Mazedonien gebracht.
Das haben wir so auch vorausgesagt.
Die NATO wird heute ihren Auftrag als erfüllt erklären,
ohne dass erkennbar ist, dass die politischen Vereinbarun-
gen tatsächlich im mazedonischen Parlament angenom-
men sind. Sie selbst haben die Gefahr eines sicherheits-
politischen Vakuums und einer ethnischen Teilung
eingeräumt und fordern eine militärische Absicherung der
Implementierungsanstrengungen.
Um zu vermeiden, dass der Bürgerkrieg wieder
aufflammt, müssen Sie jetzt kurzfristig nachbessern und
eine neue Mission vorsehen, obwohl von Anfang an
klar war, dass Essential Harvest nicht zur notwenigen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Rühe
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Stabilisierung und zur Vertrauensbildung in der Bevölke-
rung Mazedoniens beitragen wird.
Es ist genau das eingetreten, wovor wir gewarnt haben
ich zitiere aus meiner Rede von Ende August; lesen Sie
die Protokolle nach :
Ein neuer Einsatz wird notwendig werden. Er wird
härter und länger. Unsere Soldaten werden in größe-
rer Zahl und längerfristig in Mazedonien gebunden
sein.
Wir haben Ihnen damals in der Debatte gesagt: Das wird
eintreten. Das war eine richtige Beschreibung der Si-
tuation.
Die neue Mazedonien-Mission muss deshalb wirksamer
zur Friedenssicherung beitragen. Es zeigt sich im Übrigen
auch wenn das neue Engagement auf die Bundeswehr
zukommt , wie richtig es war, dass wir eine stärkere
finanzielle Absicherung der Bundeswehr gefordert ha-
ben.
Größere Verantwortung wahrzunehmen heißt, den euro-
päischen Einigungsprozess konsequent voranzutreiben. Ich
glaube, es ist vielleicht der wichtigste Beitrag Europas zur
Stabilisierung der Weltpolitik, dass wir in diesem Bereich
europäische Einigungspolitik und Öffnung nach Osten
energisch vorangehen. Zur Übernahme größerer Verant-
wortung und zur Aufgabenteilung mit Amerika muss auch
gehören, dass wir zügig die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik verwirklichen und die dafür notwen-
digen militärischen Fähigkeiten schaffen. Bei strategi-
schem Transport, Aufklärung und Kommunikation sind wir
sehr stark auf amerikanische Fähigkeiten angewiesen. Seit
dem 11. September ist dies ein noch knapperes Gut. Wenn
sich Europa diese Fähigkeiten nicht bald in ausreichendem
Maße beschafft, wird es schon bald die unangenehme Er-
fahrung machen, dass diese Ausrüstung gerade anderswo
im Einsatz ist, wenn es sie vielleicht selber braucht.
Die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr ver-
hindert schon heute, dass Deutschland alle seine Bünd-
nisverpflichtungen erfüllen kann,
und macht alle Pläne über eine stärkere europäische Rolle
zu bloßem Gerede. Es besteht die Gefahr und das ist für
Deutschland beschämend , dass die mit dem EU-Gipfel
in Köln eingeleitete europäische Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik wegen unzureichender Beiträge ausge-
rechnet an Deutschland scheitern könnte. Der Generalin-
spekteur der Bundeswehr hat in den letzten Tagen erneut
vor mangelnder Einsatzfähigkeit gewarnt. Ich glaube, in
dieser Situation ist es international und national ein Skan-
dal, dass hier nur einmal für ein Jahr eine beschränkte
Summe zur Verfügung gestellt wird. Wir bleiben dabei:
Die dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr muss
beseitigt werden. Wir brauchen eine längerfristige Per-
spektive zur Überwindung der dringendsten Engpässe,
damit Deutschland seiner außen- und sicherheitspoliti-
schen Verantwortung gerecht werden kann.
Es kommt darauf an, nach diesen schrecklichen Atten-
taten neue Prioritäten für die innere und die äußere
Sicherheit zu setzen und die finanziellen Ressourcen neu
zu ordnen. Zur uneingeschränkten Solidarität gehört aus
unserer Sicht eben auch, dass es jetzt endlich zu der not-
wendigen finanziellen Kehrtwende kommt.
Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsi-
dent hat einen langen Feldzug aller, die an Fortschritt, Plu-
ralismus, Toleranz und Freiheit glauben, angekündigt.
Wir Deutschen wollen diesen schwierigen, aber un-
ausweichlichen Weg mit unseren amerikanischen Freun-
den mitgehen: im Rahmen der NATO, aber auch im Rah-
men der transatlantischen Partnerschaft der EU mit den
USA. Wir wollen diesen Weg unter Inanspruchnahme
aller zur Verfügung stehenden Mittel politisch, wirt-
schaftlich und militärisch mitgehen. Außenpolitisch müs-
sen wir uns an der Bildung der weltweiten Koalition ge-
gen den Terrorismus beteiligen und für ihren dauerhaften
Zusammenhalt sorgen. Wenn wir die weltweite Gefahr
von Terrorismus und Extremismus aber dauerhaft bändi-
gen wollen ich denke, darin sind wir uns einig , müs-
sen wir unsere sicherheitspolitischen Überlegungen durch
ein umfassendes und langfristiges außen- und entwick-
lungspolitisches Konzept ergänzen.
Manche haben sich in der Diskussion, die stattgefun-
den hat, vergaloppiert, als sie versuchten, direkte Gründe
oder gar Entschuldigungen für den internationalen Terro-
rismus zu finden. Es ist gar keine Frage, dass es einen
Nährboden für Terrorismus überall dort auf der Welt
gibt, wo Armut, Perspektivlosigkeit und Frustration herr-
schen und es an Bildung mangelt. Das ist aber etwas an-
deres; denn es geht nicht darum, Entschuldigungen und
direkte Motive zu finden, sondern es geht darum, zu über-
legen, wo es einen Nährboden gibt, der den Terroristen die
Chance bietet, junge Menschen zu finden, die im interna-
tionalen Terrorismus eine Lebensperspektive sehen und
sich auf diese Weise für ihn einsetzen. Wir müssen des-
wegen versuchen, auch dieses in unsere Strategie einzu-
beziehen.
Wir unterstützen das, was die Bundesregierung im Na-
hen und Mittleren Osten unternimmt. Aber wenn man die
Bilder von dort sieht, fragt man sich, wie ein Friede zu-
stande kommen soll, wenn wenige Kilometer von Israel
entfernt junge Menschen zu Hass und zur Unversöhnlich-
keit erzogen werden und ihnen als Vorbilder Selbstmord-
attentäter vorgehalten werden. Wir müssen mit aller
Klarheit den Terrorismus mit all den politischen, ökono-
mischen und militärischen Möglichkeiten, die wir haben,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Volker Rühe
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bekämpfen, aber wir müssen auch alles tun, um den Nähr-
boden auszutrocknen. Dazu gehört ein außen- und
entwicklungspolitisches Konzept. Dazu gehört auch, dass
wir mit aller Deutlichkeit klar machen: Wir tolerieren
nicht, dass irgendwo eine junge Generation zu Hass und
Intoleranz erzogen wird.
Vielen Dank.