Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Herr Schlauch, Sie haben uns empfoh-
len, einmal Ihr Wahlprogramm zu lesen. Ich empfehle der
grünen Fraktion, gelegentlich einmal wieder ihr eigenes
Wahlprogramm zu lesen. Dann werden Sie feststellen,
wie wenig davon in der Regierungspolitik umgesetzt ist.
Unseres können Sie auch lesen; das trägt immer zur
Läuterung und Bildung bei.
Man kann in diesem Jahr die Haushaltsdebatte nicht so
führen wie früher; das liegt einfach an den Ereignissen
vom 11. September. Mehr oder weniger wirkte sich das
auf alle Reden des heutigen Tages aus, vielleicht bei Herrn
Westerwelle etwas weniger als bei den anderen. Die Er-
schütterung bei unserer Bevölkerung und weltweit hat
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001
Rezzo Schlauch
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zum Ausdruck gebracht, dass Terror auf unserem Erdball
in keiner Form akzeptiert werden kann.
Es war auch ganz wichtig, dass dieses Haus einmütig ge-
gen den Terror Stellung genommen und auch einmütig
Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika und
dem amerikanischen Volk bekundet hat.
Die Ergreifung der Täter ist ein ganz wichtiger Um-
stand bei der Bekämpfung des Terrorismus. Niemand, der
so etwas veranlasst oder unterstützt oder sich in sonstiger
Form an einer solchen Tat beteiligt, darf damit durch-
kommen. Die Hintermänner sind das muss man sich
einmal klar machen selbst reich und bringen junge Män-
ner dazu, ihr eigenes Leben wegzuwerfen. Sie radikali-
sieren diese jungen Männer und machen sie extremistisch,
wodurch Tausende Unschuldige zu Schaden kommen.
Dazu kann ich nur sagen: Das darf ihnen nicht durchge-
hen; sie müssen wissen, dass die gerechte Strafe sie trifft.
Das setzt natürlich einen Nachweis, Ortung und Aus-
lieferungsanträge und im Falle der Ablehnung auch Ak-
tionen voraus, um die Täter zu ergreifen. Diesbezüglich
sind wir auch bereit, über alle Varianten zu diskutieren.
Nur sind Militärschläge oder Krieg mit Sicherheit die
falsche Antwort. Nun gibt es doch viele Truppenvorberei-
tungen, die zumindest die Befürchtung groß werden las-
sen, dass es dazu kommen könnte. Militärschläge und
Krieg aber bedeuten weitere unschuldige Opfer, eine Spi-
rale von Gewalt und Gegengewalt. Aus dieser Spirale
müssen wir uns herausbewegen, wenn wir zivile Lösun-
gen auch und gerade im Kampf gegen Terrorismus finden
wollen.
Uneingeschränkte Solidarität klingt gut. Aber wenn
sich das Wort uneingeschränkt eben auch auf Militär-
fragen bezieht, Herr Bundeskanzler, dann macht es uns
Sorgen; das will ich hier zumindest deutlich formulieren.
Ich wiederhole: Krieg und Militärschläge können nicht
die Antwort sein.
Übrigens wäre es gut, wenn die USA ihre eigene Hal-
tung zum Internationalen Gerichtshof einmal überdäch-
ten, denn ein solcher Gerichtshof wäre auch für die Ver-
urteilung solcher Täter geeignet und zuständig.
Dasselbe gilt für die Weigerung der USA, die Antiterror-
konvention der UNO zu unterschreiben, wozu es meines
Erachtens höchste Zeit ist.
Richtig ist allerdings hier entwickelt sich einiges ,
dass man eine internationale Koalition gegen den Ter-
rorismus braucht. Aber das heißt auch, dass wir die be-
deutende Rede, die Präsident Putin gestern hier gehalten
hat, ernst nehmen müssen.
Es war eben ein falscher Weg, eine unilaterale Welt zu
installieren, in der nur noch eine Weltmacht das Sagen hat.
Putin hat es gestern ganz deutlich gesagt: Wir sind bei
allen wichtigen Entscheidungen nicht gefragt worden und
hinterher sollten wir zustimmen.
Eine Antwort muss mehr Demokratie in den interna-
tionalen Beziehungen sein, muss auch die Stärkung der
UNO und der OSZE und nicht deren Schwächung sein.
Deshalb war es eben falsch, die UNO zum Beispiel beim
Jugoslawienkrieg und auch bei den Entscheidungen hin-
sichtlich Mazedoniens auszuschalten. Wir müssen diese
internationalen Organisationen wieder stärken, die Arro-
ganz muss aus der Außenpolitik heraus. Wir müssen mit
den Staaten zusammenarbeiten. Das gilt für alle west-
lichen Länder.
Wir brauchen das ist hier mehrfach erwähnt worden
wirklich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Die
Welt rückt zusammen, aber es gibt zwischen den Gesell-
schaften Entwicklungsunterschiede von 300 bis 500 Jah-
ren. Das verträgt diese Erde nicht, das verträgt diese
Menschheit nicht. Deshalb müssen wir völlig neu über
Entwicklungshilfe nachdenken und sie im Vergleich zu
früheren Jahren auch strukturell verändern.
Frieden muss attraktiv sein. Wir stehen vor der trauri-
gen Tatsache, dass es Menschen gibt, für die Frieden nicht
attraktiv ist. Das entzieht sich fast unserer Fantasie. Des-
halb sage ich, weltweite soziale Wohlfahrt ist ganz wich-
tig. Menschen müssen auch etwas zu verlieren haben.
Wenn sie nicht einmal an ihrem eigenen Leben hängen,
funktioniert keine unserer Sicherheitslogiken. Darauf
müssen wir uns einstellen, damit müssen wir uns aus-
einander setzen und hier zu anderen Lösungen kommen.
Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Bundeskanzler, wenn
Sie sagen, gegen die internationalen Finanzströme des
Terrorismus müsse vorgegangen werden. Es ist heute so
absurd, dass jemand, der eine so schreckliche Tat plant,
auch noch vorher weiß, wie sich die Aktienkurse ent-
wickeln werden, und damit ein Riesenkapital machen
kann. Das muss man sich einmal ernsthaft überlegen. Nur
erinnere ich auch daran, dass meine Fraktion und ich hier
seit zehn Jahren gefordert haben, dass wir diese interna-
tionale Finanzspekulation regulieren müssen. Alle Neoli-
beralen behaupteten immer, es sei ganz wichtig, dass man
sie nicht reguliert. Ich glaube, das hat sich jetzt als in je-
der Hinsicht falsch erwiesen.
Im Übrigen erklärte auch die deutsche Bundesregierung,
als die UN untersagte, dass Finanzströme an die UCK ge-
hen, dass sie nicht in der Lage sei, sie zu kontrollieren. Es
ist vielleicht doch wichtig, solche Dinge zu kontrollieren.
Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Es gibt
Ängste, Befürchtungen und Sorgen der Menschen. Man
muss jeden Vorschlag sehr genau prüfen. Das werden
auch wir machen und dabei gar nicht irgendwelche
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Dr. Gregor Gysi
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ideologischen Schemata zugrunde legen. Aber eines sage
ich auch: Wenn jetzt, wie ich höre, vornehmlich auf Mi-
litär und Geheimdienste gesetzt wird, heißt das, nicht zu
begreifen, was eigentlich geschehen ist. Die Vereinigten
Staaten von Amerika haben die bestgerüstete Armee. Sie
haben die finanziell, personell und materiell bestausge-
statteten Geheimdienste der Welt. Das hat den Terroran-
schlag nicht verhindert; vielleicht haben sie ihn dadurch
sogar eher auf sich gezogen. Müssen wir nicht aus einer
bestimmten Art des Sicherheitsdenkens von heute heraus-
finden und neu darüber nachdenken, wie man auch zu ei-
ner persönlichen Sicherheit für die Bürgerinnen und Bür-
ger kommt? Wer allein auf solche Maßnahmen setzt das
beweisen doch die USA, das beweist dieser entsetzliche
Terrorakt , kann sich dagegen nicht wirksam schützen.
Wir brauchen andere Lösungsansätze und nicht alte Hüte,
die übrigens zum Teil schon ausdiskutiert waren.
Deshalb ist mir die Herangehensweise des Herrn Schill
äußerst suspekt:
weil er ausschließlich auf Repression setzt und sich über-
haupt keine Gedanken darüber macht, wie man die zu-
grunde liegende Motivation übrigens auch die zu Kri-
minalität im Inneren deutlich abbauen kann. Dabei geht
es dann auch um ökonomische und soziale Fragen.
Wenn Sie sagen, Herr Westerwelle, die SPD hätte we-
gen der Koalition mit der PDS kein Recht, Ihnen die ge-
plante Koalition mit Schill vorzuwerfen, dann erwarte ich
als Minimum von Ihnen als Liberalen, dass Sie sagen:
Wenn wir das machen, dann haben wir auch nie wieder ein
Recht, der SPD eine Koalition mit der PDS vorzuwerfen.
Das wäre das Mindeste, was Sie dann hinzufügen müssten.
Die Vergleiche stimmen aber aus keiner Sicht, denn Sie
können der PDS viel vorwerfen, aber ganz bestimmt
nicht, dass wir uns in den letzten zehn oder elf Jahren in
diesem Deutschen Bundestag nicht auch für Rechts-
staatlichkeit und diesbezüglich für Liberalität eingesetzt
hätten.
Noch ein Wort zur Logik: Die CDU hat die Wahlen in
Hamburg verloren. Sie verhelfen dem Wahlverlierer das
bezeichnen Sie auch noch als Übersetzung von Wahl-
ergebnissen zur Regierungsmacht. Das heißt, für Re-
gierungsmacht tun Sie wirklich fast alles. Das ist tatsäch-
lich keine besonders liberale Vorstellung.
Eigentlich, Herr Bundeskanzler, wollte ich gern über
ein paar andere Dinge reden. Sie haben heute in Ihrer Re-
gierungserklärung die Arbeitslosigkeit überhaupt nicht
erwähnt. Ich glaube schon, dass die Arbeitslosigkeit nach
wie vor ein großes inneres Problem ist. Welches sind die
Wege, dagegen anzugehen? Ich habe von Ihnen dazu
nichts gehört, auch in den letzten Jahren nicht. Im Wahl-
kampf haben Sie 1998 gesagt, Sie wollten auf unter 3 Mil-
lionen Arbeitslose kommen, dann haben Sie gesagt, Sie
wollten auf unter 3,5 Millionen kommen, und Sie haben
erklärt, Sie wollten sich daran messen lassen. Das Ein-
zige, was sich seitdem geändert hat, ist: Sie wollen sich
daran nicht mehr messen lassen,
denn wir haben nach wie vor fast 4 Millionen Arbeitslose,
und es sieht auch nicht nach Besserung aus. Vielleicht
müsste man doch einmal über die Arbeitszeit nachdenken.
Herr Struck hat es im Sommer getan und wurde gleich
wieder zurückgepfiffen.
Fakt ist, dass wir im letzten Jahr 1,85 Milliarden Über-
stunden hatten; rein rechnerisch entspricht das 1,13 Mil-
lionen Vollzeitarbeitsplätzen. Wir werden um die Diskus-
sion von Arbeitszeit nicht herumkommen, auch nicht um
die Diskussion einer Strukturreform bei den Lohnneben-
kosten und auch nicht um die Diskussion von Kaufkraft,
denn der Binnenmarkt ist zu schwach.
Ich hätte gerne auch etwas zu Ihrer Steuerreform ge-
sagt, die in Wirklichkeit Aktiengesellschaften befördert
und kleine und mittelständische Unternehmen eher belas-
tet hat.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie haben die Ver-
käufe von Unternehmen und Anteilen erleichtert, indem
Sie sie steuerfrei gestellt haben. Sie sehen doch schon
jetzt, was passiert: Überall dort, wo verkauft wird, ge-
schieht das mit dem Ziel, das Unternehmen danach mög-
lichst zu schließen, möglichst keine Sozialpläne aufzu-
stellen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu
entlassen und dies alles auch noch kostenlos, weil Sie
die Steuer dafür abgeschafft haben. Ich glaube, dass dies
der falsche Weg war.
Gerne hätte ich mit Ihnen auch über die ökologische
Steuerreform diskutiert, an der ja der Gedanke richtig ist,
den Energieverbrauch sozusagen anders in Anspruch zu
nehmen als in der Vergangenheit.
Nur, sozial hat sie nicht funktioniert, weil sie eben die
wirklichen Verbraucher der Energie eher schützt; sie hat
auch ökologisch keine Auswirkungen, ist ungerecht usw.
Sie haben völlig Recht, wenn Sie jetzt zur Erhöhung der
Tabaksteuer und der Versicherungsteuer sagen, nichts an-
deres haben die damaligen Herrschaften beim Golfkrieg
gemacht. Das ist wahr. Dieser Schritt wird aber nicht da-
durch zu einer richtigen Antwort, dass Sie ihn jetzt tun.
Das möchte ich ebenfalls deutlich sagen.
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Dr. Gregor Gysi
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