Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 176. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Dr. Baade für drei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Wartner für drei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Rische für sechs Wochen wegen Krankheit und die Abgeordnete Frau Strohbach für acht Wochen wegen Krankheit; für die drei letzteren liegen Atteste vor.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Kühling, Erler, Dr. Schmid , Dr. Vogel, Frau Albertz, Dr. Laforet, Dr. Greve, Freitag, Kuhlemann, Schmücker, Hilbert, Graf von Spreti, Nellen.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Kopf, Dr. Tillmanns, Kühn, Reimann, Kohl , Vesper, Harig, Gockeln, Ribbeheger.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß Sie die Urlaubsgesuche, soweit sie über eine Woche hinausgehen, genehmigt haben. — Das ist der Fall.
Zwischen den Fraktionen ist eine Verständigung dahingehend erzielt worden, den Punkt 2 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Nr. 1102 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung (Nr. 2759 der Drucksachen),
von der Tagesordnung abzusetzen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Da der gedruckte Bericht zu Punkt 1 der Tagesordnung — Soforthilfeanpassungsgesetz — erst um 15 Uhr 15 vorliegen wird und der Herr Abgeordnete Kunze, der an Stelle des Abgeordneten Ewers die Berichterstattung übernimmt, auch erst dann zur Verfügung steht, schlage ich Ihnen vor, daß wir mit dem Punkt 6 der Tagesordnung beginnen:
Erste Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes .
Die Regierung verzichtet angesichts des Vorliegens einer schriftlichen Begründung auf eine mündliche Begründung. Ich darf Ihnen vorschlagen, daß diese erste Beratung ohne Aussprache stattfindet und die Vorlage an den Ausschuß überwiesen wird. — Das Haus ist damit einverstanden. Der Ausschuß beabsichtigt, möglichst umgehend zusammenzutreten und sich mit der Frage zu befassen.
Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz vor. — Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Dann schlage ich Ihnen vor, daß wir zunächst den Punkt 3 der Tagesordnung nehmen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU, FDP, DP betreffend Ermächtigung der Delegierten zum Europarat zur Vereinbarung der Verfassung einer europäischen Föderation .
Darf ich fragen: Herr Abgeordneter Dr. Becker wünscht, den Antrag zu begründen? — Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Dr. Becker (FDP), Antragsteller: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag, der Ihnen vorliegt und um dessen Annahme ohne Ausschußberatung zu bitten ich die Ehre habe, lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag ermächtigt die von ihm zu Mitgliedern der Beratenden Versammlung des Europarats gewählten Abgeordneten, zusammen mit ebenso bevollmächtigten Delegierten der im Europarat vertretenen Nationen die Verfassung einer europäischen Föderation zu vereinbaren — vorbehaltlich der Zustimmung der verfassungsmäßigen Organe der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, der Antrag bezweckt, die Befugnisse der Delegierten im Europarat zu erweitern, und zwar auf einer Basis, als hätte in Deutschland schon eine Wahl für eine konstituierende Versammlung zur Abfassung einer Verfassung für ein vereinigtes Europa stattgefunden.
Wir haben, als wir beschlossen, in den Europarat einzutreten, die Gründe, die dafür sprechen. erörtert. Diese Gründe sind — kurz zusammengefaßt — folgende. In der ganzen Welt, insbesondere auf dem asiatischen Festland, haben sich in den letzten Jahrzehnten derartige Umwälzungen zugetragen, daß demgegenüber die europäischen Staaten als außerordentlich mindermächtig erscheinen. Stellen Sie sich vor: China mit seinen 450 Millionen, Hindustan mit 350 Millionen, Pakistan mit 80 Millionen, die Indonesische Republik mit 80 Millionen Einwohnern, schließlich das jetzt durch den Friedensvertrag wieder selbständig gewordene Japan mit 83 Millionen Einwohnern; — alles Staaten mit ungeheuren Einwohnerzahlen! Demgegenüber in Europa Dänemark mit 4 Millionen, Holland mit 8 Millionen, Belgien mit 8 Millionen, Luxemburg mit 250 000 Einwohnern usw., — eine hoffnungslose Schwäche, wenn alle nur vereinzelt sind, wenn sie sich nicht vereinigen!
Stellen Sie sich ferner vor, daß Osteuropa unter die Botmäßigkeit einer bestimmten Macht, der Macht der Sowjets, gebracht ist, daß Staaten wie Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechoslowakei und unsere Ostzone von dieser abhängig sind und daß wir, selbst wenn wir heute ein Europa gründen wollen, sie im Augenblick nicht mit hineinnehmen können. Wir werden aber — und es liegt uns daran, das hier zum Ausdruck zu bringen — nie vergessen, daß auch diese Staaten ein Teil eines geeinten Europa sein und werden müssen.
Stellen Sie sich die Lage vor, wenn nach Korea diese Bedrohung weiter andauert! Stellen Sie sich vor, wie es im Falle eines Angriffs vom Osten, den Gott verhüten möge, etwa aussehen wird: Ganz Europa würde unter der Wucht des Angriffs liegen; denn die Luftlandedivisionen des Ostens würden früher in Kopenhagen, Antwerpen, Calais und Bordeaux sein, ehe etwa die Panzerspitzen vor Hamburg, Kassel und Regensburg stünden. Wir verstehen, meine Damen und Herren, wenn angesichts einer solchen Entwicklung unser Kollege Carlo Schmid einmal drüben im Saal die Worte
wiederholte, die man ihm auf einer Versammlung von Europafreunden zugerufen hatte, nämlich die Worte „faire l'Europe ou mourir", das heißt: wir müssen Europa schaffen, oder wir laufen Gefahr, zugrunde zu gehen.
Nun zu der Frage: Genügt denn der Europarat nicht für die Zwecke, die der Antrag verfolgt, die Zwecke nämlich, den Weg für eine Verfassung eines geeinigten Europa zu schaffen? Sie kennen die Prozedur des Europarates. Die Beratende Versammlung hat lediglich die Aufgabe und das Recht, Empfehlungen auszusprechen; allerdings muß sie diese mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Sind diese Empfehlungen angenommen, dann muß der Ministerrat, d. h. die Versammlung der Außenminister der beteiligten Länder, diese Empfehlungen einstimmig genehmigen. Dann erst gehen sie an die einzelnen Länder und müssen in diesen auf verfassungsmäßigem Wege angenommen werden.
Sie werden einwenden, daß wir das alles ja wußten, als wir in den Europarat hineingingen. Das ist richtig. Aber wir sind hineingegangen in der Erwartung, daß diese Prozedur sich ändern lassen werde, und einer Änderung dieser Prozedur, sei es im Rahmen des Europarates, sei es separat, soll ja unser Antrag dienen.
Es ist das Merkwürdige an diesem Europarat, daß machtvolle Politiker, Vertreter vieler europäischer Länder, die daheim in ihren Parlamenten über eine Fülle von Macht verfügen, dort zusammensitzen und in ihrer Gesamtheit, eingeschnürt in das Korsett des Straßburger Statuts, nahezu keine Macht haben. Gleichwohl sind Fortschritte dort gezeitigt worden. Entscheidend ist zunächst, daß man sich bei solchen Fragen niemals aus der Gesamtheit ausschließen soll, wenn man an ihr teilnehmen kann. Wir haben in Straßburg auch die Erfahrung gemacht, daß Deutschland, die deutsche Bundesrepublik, dort auf dem Boden des Europarates völlig gleichberechtigt gegenüber allen anderen Ländern behandelt wird. Wir haben aber auch sachliche Erfolge gehabt. Ich erinnere an die Vereinbarung über die Menschenrechte und über den Gerichtshof, der zur Sicherung dieser Menschenrechte geschaffen worden ist. Ich erinnere daran, daß eine Konvention über die Niederlassungsfreiheit in allen europäischen Ländern zustande gekommen ist, auch wenn sie noch nicht zum Inhalt der Gesetzgebung der einzelnen Länder gemacht worden ist.
Das Wichtigste aber ist, daß wir in Straßburg die Möglichkeit der offenen Aussprache haben,
einer Aussprache, die dahin geführt hat, daß, auch wenn dort jeder nur für sich, à titre personnel, gesprochen hat, auf diese Weise doch die Meinungen der einzelnen Länder in einer Form geklärt werden konnten, die auch für die Zukunft von Nutzen ist. So hat z. B. ein englischer Vertreter am 24. November 1950 — es ist nahezu ein Jahr her — in Straßburg gesagt:
Wiederholen wir doch nicht den Fehler, den wir nach dem Kriege 1914/18 begangen haben, als wir der Republik von Weimar die Konzessionen verweigert haben, die wir später der Regierung Hitler zu geben genötigt waren!
Der das sprach, war Herr McMillan, jetzt, im Churchill-Kabinett, Minister der britischen Krone. Frankreichs Außenminister, Herr Schuman, erklärte —auch im November des vergangenen Jahres — anläßlich seines Vorschlages zur Schaffung eines einigen Europa und einer europäischen Armee zur Frage der Verteidigung Europas ausdrücklich: „Pas de discrimination sera faite". Das heißt also: es gibt in dem Europa der Zukunft, und es gibt auch in der europäischen Armee, die geschaffen werden soll, keine Unterschiede, keine Europäer erster oder zweiter Klasse! Nun, das ist ein Ausspruch, mit dem das Wort Frankreichs praktisch für die ganzen Verhandlungen verpfändet worden ist.
Auch unsere deutschen Vertreter haben — vielleicht kann das in der Debatte erörtert werden — dort Meinungen zum Ausdruck gebracht, die eine fortschreitende politische Entwicklung auch auf dem Gebiete der Außenpolitik in die Wege geleitet und gefördert haben. Aber es muß zugegeben werden, daß wir einen europäischen Bundesstaat noch nicht haben schaffen können, noch nicht einmal einen europäischen Paß, obwohl sich unser verehrter Kollege Mommer sehr eifrig darum bemüht hat, und noch nicht einmal eine europäische Briefmarke, obwohl sich unser Postminister nach dieser Richtung bestimmt große Mühe gegeben hat. Immerhin aber: auf Teilgebieten sind doch Fortschritte gemacht worden, wenn sie vielleicht auch nicht sämtlichen im Europarat vertretenen Mächten zugute kommen. Diese Fortschritte auf Teilgebieten sind hervorgerufen durch die Initiative Frankreichs, das wir zu dieser Initiative an sich beglückwünschen möchten. Es handelt sich, wie Sie schon wissen, um den Schumanplan, und es handelt sich um die Frage einer europäischen Verteidigung, und zwar auf dem Wege, daß die europäischen Völker ihren Verteidigungsbeitrag im Rahmen einer europäischen Armee leisten und daß diese europäische Armee integriert wird in das Verteidigungssystem des Atlantikpakts. Sowohl der Schumanplan wie der Plevenplan haben Grundzüge einer bundesstaatlichen Verfassung in sich, die Exekutive, das Parlament, den Gerichtshof; bei der Europaarmee sind vorgesehen — wenigstens in dem Vorschlag, den Frankreich gemacht hat — eine demokratische Leitung, gemeinsame Finanzierung, die parlamentarische Kontrolle.
Es war am 12. Juli 1951, als wir den Schumanplan berieten und dabei auch die Frage der bundesstaatlichen Verfassung zur Sprache kam. Herr Carlo Schmid, unser Kollege, sprach zu diesem Punkt. Ich erlaubte mir, als er den Einwand brachte, daß die Hohe Behörde des Schumanplans eine zu starke unmittelbar eindringende Kompetenz habe, den Zwischenruf, daß das doch im Bundesstaat ohnehin dazugehöre. Er ging sehr freundlicherweise auf den Einwand ein und erklärte dazu folgendes — ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Teilverantwortungen und Teilkompetenzen sind in Staat und Überstaat nur möglich., wo ein Teilgebiet in sich ganz geschlossen ist und nicht auf andere wesentliche Gebiete entscheidend Einfluß zu nehmen vermag. Das ist in der Tat das Problem des Bundesstaates, und deswegen wird in jedem Bundesstaat die Lastenverteilung und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so vorgenommen, daß, was der Bund anrichtet, auch der Bund bezahlen muß und nicht etwa die Länder zu bezahlen haben.
So damals Herr Carlo Schmid. Ich glaube deshalb, annehmen zu können, daß Herr Carlo Schmid, der leider heute nicht anwesend ist, mir zustimmen
würde, wenn wir jetzt den Antrag stellen, durch eine Ermächtigung an unsere Delegierten eine bundesstaatliche Verfassung in dem Sinne, wie sie ihm vorgeschwebt hat, zu schaffen. Denn es handelt sich doch praktisch jetzt um nicht mehr und nicht weniger als folgendes: Wenn die Europaarmee geschaffen werden soll, wenn, mit anderen Worten, Europa sich eine Armee zur Verteidigung gibt, dann muß diese Armee auch von einem Kopf dirigiert werden;
und dieser Kopf kann nur ein europäisches Außenamt sein. Es wäre durchaus möglich, im selben Zuge gleichzeitig die Hohe Behörde des Schumanplans zu inkarnieren in ein europäisches Wirtschafts- und Sozialministerium; und es wäre aus beiden Gründen, namentlich aus dem Grunde der Finanzierung der Verteidigung Europas, notwendig, auch eine gemeinsame Finanzierungsbehörde zu schaffen und schließlich zur demokratischen Kontrolle des Ganzen das europäische Parlament und den europäischen Gerichtshof, in den der Gerichtshof aus der Konvention der Menschenrechte und der Gerichtshof aus dem Schumanplan ebenfalls eingebracht und in dem diese zu einem gemeinsamen, einheitlichen Gerichtshof verbunden werden könnten. Das sind Pläne, die nicht nur Illusionen sind, sondern Pläne, die der Außenminister Frankreichs, Herr Schuman, bereits in Ottawa angeregt und angekündigt hat.
Wenn derartige Anträge zur Debatte stehen und gestellt würden, dann müßten nach unserer Auffassung Vertreter Deutschlands bereit und in der Lage sein, nicht nur in der vagen Form wie bisher in Straßburg, in Form von Empfehlungen, zu arbeiten, sondern schon eine Konstitution auszuarbeiten, selbstverständlich in Verbindung nur mit Vertretern derjenigen anderen Länder, die von ihren Parlamenten in der gleichen Weise zu bevollmächtigen wären. Es wäre, mit anderen Worten, nicht anders, als wenn wir in Europa in den Staaten, die gewillt wären, endlich vom Reden zum Handeln zu kommen, eine Volksabstimmung, eine Wahl vornehmen würden, um Vertreter für eine verfassunggebende Versammlung für Europa zu schaffen. Der Weg einer solchen Abstimmung wird durch das hier vorgeschlagene Verfahren abgekürzt, indem die vom Parlament nach Straßburg geschickten Delegierten schon die entsprechende Ermächtigung erhalten.
Aber schon höre ich nun wieder einen Einwand: „Ja, mit wem zusammen? Ohne England? Soll es ein Klein-Europa werden?" Wir hätten natürlich den Wunsch, daß alle Länder, insbesondere England, mitmachen würden. Aber wenn von der englischen Seite zum Ausdruck gebracht wird, daß sie nicht in der Lage sei, einen Teil ihrer Souveränität an ein derartiges vereinigtes Europa abzutreten, dann müssen wir für eine derartige Auffassung Verständnis zeigen, Verständnis haben auch dafür, daß diese Auffassung sich aus den großen Interessen Englands herleitet, die es in seinem Commonwealth und in seinem Kolonialreich hat. Wir hatten am vergangenen Freitagabend in der Paulskirche in Frankfurt am Main im Zusammenhang mit dem Kongreß der Europaunion das Vergnügen, eine englische Politikerin zu hören; sie erklärte in ihrer frischen Art folgendes: „Wissen Sie, Sie werden weder von der Labourseite noch von der konservativen Seite je einen Antrag hören, daß die mit Ihnen ein vereinigtes Europa schaffen wollen; aber wir Engländer" — so sagte sie wiederholt — „sind praktische Leute, und als praktische Leute werden wir, sobald die Sache geht, sofort mitmachen."
— Also wir hoffen darauf, dåß sie dann mitmachen
werden, und freuen uns, wenn sie das tun werden.
Nun weiter: Man wendet ein: „Ein Klein-Europa, nur ein Teileuropa!" Oder es wird uns gesagt: „Nein, wir wollen sofort das ganze Europa; sonst machen wir es überhaupt nicht!" Ja, meine Damen und Herren, was haben wir denn drüben in dem Saal im Parlamentarischen Rat geschaffen? Haben wir da auch gesagt: „Nein, wir machen kein Grundgesetz, wir vereinigen die deutschen Länder nicht, wenn sie nicht alle — auch die hinter dem Eisernen Vorhang — zusammenkommen!"?
Nein, wir haben damals, als wir da drüben unsere Verfassung schufen, das, was wir wollten und als Endziel vor uns sahen, aus der Symbolik dieses Landes hier am Rhein genommen, nämlich aus der Symbolik im Hinblick auf Ernst Moritz Arndt, der vor hundert Jahren hier gelebt hat
und auf die Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland?" sich selbst und uns allen die Antwort gegeben hat: Das ganze Deutschland soll es sein!
Wenn wir in unserem Antrag eine Konföderation für Europa weiterführen wollen, dann heißt das: in dieses freie Europa gehört das ganze Deutschland hinein — genau so wie in das Europa der Zukunft das ganze Europa —, auch das, was heute noch hinter dem Eisernen Vorhang liegt, in Einigkeit und Recht und Freiheit.
Wir dachten, als wir an Ernst Moritz Arndt dachten noch an einen andern, und das war ein Bauernsohn hier aus der Nähe, aus Liblar bei Bonn, Karl Schurz, jenen Freiheitskämpfer und Revolutionär von 1848/49, der dann schließlich aus der muffigen Enge des Obrigkeitsstaates nach Amerika ging und sich dort vom Freiheitskämpfer unter Lincoln zum Staatsmann emporarbeitete. Das war Einigkeit, wie sie Ernst Moritz Arndt uns gezeigt hat, im Sinne der Freiheit von Karl Schurz. Diese Freiheit wollen wir für dieses Europa haben.
— Ich darf bitten, mir vielleicht noch einige Minuten zu gestatten, urn den Gedanken zu Ende zu führen.
Nun wird weiter eingewendet: Ja, wenn wir nun dieses Kleineuropa schaffen, in dem Italien, Frankreich, Deutschland, die Benelux-Staaten, vielleicht Dänemark, vereinigt sind, dann wird — so sagen die Deutschen — Frankreich das Übergewicht haben. Die Franzosen sagen: dann wird Deutschland das Übergewicht haben. Ich bitte Sie, würden wir, als wir drüben in diesem Saal die Bundesrepublik Deutschland schufen, die Schaffung dieser Bundesrepublik unterlassen haben, weil wir befürchtet hätten, daß vielleicht der Süden über den Norden oder der Norden über den Süden das Übergewicht hätte? Nein, man muß schon die Dinge so sehen, wie sie werden sollen, d. h. wie in einem einheitlichen Staat das Mißtrauen hinüber und herüber verschwindet.
Zu einem Punkt nur noch ein Wort. Es ist selbstverständlich, daß für die Lösung des europäischen Problems überhaupt und erst recht für die Lösung eines Kleineuropas das Verhältnis Deutschland und Frankreich das Entscheidende ist. Aber ich glaube, wir sind alle überzeugt, daß die Zeit, in der die Söhne beider Völker sich bekriegten und am Ende des Krieges jeweils die Grenze um 80 km weiter östlich oder westlich verschoben wurde, vorbeisein müßte, daß wir endlich lernen müßten, uns zu verständigen. Was heute zwischen uns noch steht, das ist das Mißtrauen Frankreichs, die Furcht vor einer künftigen Entwicklung oder die Sorge, daß sein Sicherheitsbedürfnis nicht befriedigt wäre. Wir wollen nicht darüber diskutieren, weder im Hinblick auf das 20. Jahrhundert noch im Hinblick auf das 18. Jahrhundert, ob dieses Bedürfnis berechtigt ist oder nicht. Wir nehmen einfach die Tatsache dieses Wunsches nach Sicherheit als eine politische Tatsache hin. Dieser politischen Tatsache wird durch den Schumanplan Rechnung getragen, weil durch die Gemeinsamkeit der Behandlung von Kohle und Eisen jede Gefahr einer heimlichen Rüstung unsererseits gegen Frankreich ausgeschlossen ist, ferner durch die europäische Armee, weil eine europäische Armee unter gemeinsamem Oberbefehl selbstverständlich jeden Streit untereinander ausschließt.
Schließlich noch die Frage: Ist die Zeit für diese Dinge denn auch wirklich reif, sind nicht die kürzlichen Entscheidungen des Sicherheitsamtes, sind nicht die Reden, die von jenseits des Rheins herüberdringen, ein Hindernis? Die Franzosen werden dann dagegen fragen: Ja, wie steht es denn mit euren Soldatenbünden und mit den Reden eurer Generale?
So könnten wir hinüber und herüber miteinander verhandeln und uns Vorwürfe machen. Die einzige Antwort kann doch nur die sein, daß es in einem gemeinsamen Staat, in einem Bundesstaat, der alle umschließt, gelingen muß, dieser Ressentiments und dieser Dinge, die wir beklagen und die die anderen beklagen, Herr zu werden. Ich glaube, man kann einmal ganz deutlich, was uns in Deutschland angeht, sagen: von jenen Soldatenbünden, soweit sie sich auf die Pflege der Tradition, auf die Pflege der Kameradschaft und auf die Pflege sozialer Angelegenheiten beschränken, hat kein Mensch Sorge, ebensowenig vor entsprechenden Bünden anderwärts. Im übrigen mögen manche sich zur Richtschnur dienen lassen, daß ein Moltke und ein Seeckt zu schweigen wußten und gerade erst recht, weil sie zu schweigen wußten, Moltke und Seeckt waren.
Das Entscheidende ist doch, daß es sich bei den
Trägern solchen Mißtrauens um die handelt, die
Stresemann die ewig-Gestrigen genannt hat, die
Leute, die hinter unserer Entwicklung herlaufen.
Unser verehrter Alterspräsident, Herr Löbe, wird
sich wohl noch der Szenen aus den 20er Jahren
erinnern, als Stresemann — ich glaube, Hugenberg
gegenüber — von den ewig-Gestrigen sprach, diesen ewig-Gestrigen, die sich als große Realpolitiker
vorkommen und in Wirklichkeit nur hinter den
Ereignissen herlaufen. Das sind diejenigen, die
durch eine Tätigkeit in einem gemeinsamen Staat
doch vielleicht bekehrt oder zum Schweigen verurteilt würden. Es wird an der Öffentlichkeit liegen, es wird eine Aufgabe der Presse sein, doch einmal nicht nur die Dinge vorzutragen, die das Volk auseinanderführen, die als Ressentiments von der einen oder der andern Seite gewürdigt werden. Es wird vielleicht einmal eine Aufgabe sein, die Millionen und aber Millionen insbesondere aus der deutschen Jugend dem Ausland gegenüber zum Sprechen zu bringen, die ihren Wunsch nach einer Verständigung und einer Aussöhnung, nach einem vereinigten Europa zum Ausdruck bringen wollnen. Unsere Aufgabe als eine Aufgabe der Verständigung müßte es sein, diese Stimmen in jeder Richtung zum Klingen zu bringen.
Als wir im vergangenen Jahre nach Straßburg kamen, habe ich von Franzosen, die mich nicht kannten und die ich nicht kannte, Briefe zum Teil erschütternden Inhalts bekommen, Briefe, aus denen diese große Sehnsucht nach Aussöhnung, nach Frieden und einem vereinten Europa herausklang. Ich möchte mit dem, was ich eben als wünschenswert bezeichnet habe, daß man nämlich diejenigen, die schneller als die Politiker einem vereinten Europa zustreben, zu Wort kommen lassen sollte, beginnen und darf Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur zwei kurze Schreiben vortragen, womit ich dann schließen will. Das eine kommt aus Nancy und lautet:
Ich bin ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener in Deutschland, und ich schreibe Ihnen, um Sie zu bitten, doch Straßburg nicht zu verlassen, bevor nicht eine Organisation für Europa in Gang gebracht ist. Während fünf Jahren habe ich Ihr Volk kennengelernt, und ich habe bei Ihnen zahlreiche Freunde zurückgelassen. Es wäre Ihnen zu danken, wenn der Traum eines vereinigten Europas endlich eine Wirklichkeit werden und wenn der ewige Antagonismus zwischen Frankreich und Deutschland einmal dahin geworfen werden könnte, wohin er gehört, nämlich auf den Kehrichthaufen. Es lebe Europa!
Und der andere Brief von einem Familienvater aus der Champagne, der im Kriege viele Verluste erlitten hat! Der Brief lautet:
Es ist ein Franzose, der es wagt, Ihnen seine
Hoffnungen zu schreiben. Die deutschen Bomben haben zwei meiner Kinder am 10. Mai
1940 getötet. Anschließend haben deutsche Offiziere mein Haus besetzt gehabt. Zweimal in
diesen 20 Jahren haben deutsche Granaten
unsere alte Kirche zerstört und beschädigt.
Und trotzdem: Niemals hat der Anblick einer
deutschen Uniform mir oder meiner Frau Haß
eingeflößt. Das sind ja alles unsinnige Streitigkeiten. Genug damit! Die Barbarei, die einen
Teil unserer christlichen Brüder unterdrückt:
soll sie uns noch alle verschlingen? Schaffen
Sie dieses Europa und genug dann mit diesen
brudermörderischen Kriegen. Es lebe Europa!
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich bekannt, daß der Ausschuß für Arbeit um 15 Uhr eine Sitzung in Zimmer 108 im Südflügel abhält.
Ich schlage vor, die Aussprache über den Antrag Drucksache Nr. 2790 auf 90 Minuten zu begrenzen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pünder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es sollte nicht das Ziel der gegenwärtigen Debatte sein, eine große außenpolitische Aussprache über die letzten schicksalhaften Fragen unserer Zukunft zu entfachen, über Schumanplan, Europaarmee, kleineuropäische Lösung, Lösung mit dem britischen Weltreich zusammen usw. Uns liegt der Antrag Drucksache Nr. 2790 mit der Ermächtigung an die Delegierten vor, die in wenigen Tagen nach Straßburg fahren. Über diesen Antrag, glaube ich, brauchten nicht sehr viele Worte gewechselt zu werden. Das Haus und die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes sind doch wohl der Auffassung, daß über dieses Problem schon reichlich genug Worte gewechselt sind und daß das deutsche Volk endlich Taten sehen möchte.
Darnach sehnt sich die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes. Dieser Sehnsucht hat schon unser Grundgesetz in verschiedenen Artikeln einen elementaren Ausdruck gegeben. Wir haben uns ja auch hier in diesem Hohen Hause mit diesem Problem schon recht eingehend befaßt. Ich darf Sie an die Entschließung Drucksache Nr. 1193 vom 19. Juli vorigen Jahres erinnern, in der wir in einigen wenigen lapidaren Sätzen dieser Sehnsucht des deutschen Volkes Ausdruck gegeben haben. Man könnte deshalb darüber streiten, ob es überhaupt notwendig gewesen wäre, einen solchen Antrag auf eine besondere Ermächtigung, wie sie hier erbeten wird, zu stellen.
Es liegt vielleicht auch noch ein anderer Schönheitsfehler vor. Damals trug die Entschließung Drucksache Nr. 1193 die Unterschrift von sechs Fraktionen. Heute haben nur die drei dort verzeichneten Fraktionen unterschrieben. Nun, trotz dieses vielleicht vorliegenden Schönheitsfehlers wollen wir uns ruhig und sachlich mit dieser Entschließung befassen.
Für meine politischen Freunde darf ich die Erklärung abgeben, daß wir diesem Antrage zustimmen werden, und zwar mit der ausdrücklichen Bitte, diesen Antrag nicht zuvor noch einem Ausschuß zu überweisen. Denn die Zeit drängt ja etwas. Wenn mit diesem Antrag überhaupt eine politische Wirkung erzielt werden soll, muß es schnell geschehen. Denn von Montag früh oder Sonntag abend ab befinden wir Delegierte uns ja bereits in Straßburg.
Sachlich wäre wohl nicht viel hervorzuheben, denn das Notwendige ist bereits im vorigen Jahr in der Entschließung Drucksache Nr. 1193 niedergelegt. Damals haben wir mit fast völliger Einstimmigkeit — nur vier Stimmen haben gefehlt — beschlossen, daß sich das deutsche Volk, dargestellt durch seinen Bundestag, für einen solchen europäischen Bundespakt einsetzt. Wir haben hierfür verschiedene Richtsätze aufgestellt: eine übernationale Bundesgewalt wollten wir geschaffen wissen. die nach allgemeinen, unmittelbaren und freien Wahlen gegründet werden sollte. Wir haben die Befugnisse, die diese übernationale Gewalt haben sollte, in bezug auf die Wirtschaft, die Sozialpolitik, die europäische Außenpolitik, die Gleichheit der Rechte, die Grundrechte und die menschliche Freiheit genau umrissen.
Ich hatte selber die Ehre, diese Entschließung des Deutschen Bundestages im Europarat in Straßburg bekanntzugeben. Wir fanden für diese deutsche Willensmeinung viel freundliches Echo. Immerhin: es ist mehr oder weniger bei diesem freundlichen Echo geblieben. Ein positives Echo ist leider einstweilen kaum zu verzeichnen gewesen. Vielleicht bietet dieser Antrag, der uns vorliegt, eine weitere Untermauerung unserer Stellung in Straßburg und unserer Autorisierung, in bezug auf dieses allseitig erstrebte Ziel mit unseren Bemühungen fortzufahren.
Wir sollten uns heute nicht zu sehr in Einzelheiten verlieren, was auch sicher nicht die Ansicht des verehrten Herrn Vorredners gewesen ist, der in seinem einleitenden Bericht nur das Gesamt- problem umrissen wissen wollte. Es bestünde sonst die Gefahr, daß wir uns heute ins Uferlose verlieren würden. Dann müßte tatsächlich eine Ausschußberatung eintreten, die aber aus diesem zeitlichen Grunde sicher nicht zweckmäßig wäre.
Dagegen würde ich der Meinung sein — und diese Meinung wird wohl von allen Delegierten des Straßburger Europarats geteilt —, daß sehr bald nach dieser Herbsttagung des Europarats das Hohe Haus sich die Zeit nehmen sollte, mindestens eine ganze Sitzung einmal diesen außerordentlich bedeutsamen europäischen Problemen zu widmen,
und zwar alsdann möglichst auch unter Beteiligung der Bundesregierung. Denn alles andere, was wir hier verrichten, wäre mehr oder weniger Kleinholzhacken, wenn wir nicht dauernd dieses große Ziel und diese Sehnsucht des deutschen Volkes vor Augen haben würden.
Damit will ich schließen. Wir sind gegen eine Ausschußberatung. Wir sind dafür, daß der Antrag Drucksache Nr. 2790 heute möglichst wieder mit einer überwältigenden Mehrheit, wie im vorigen Jahre, angenommen wird. Wir möchten es für zweckmäßig halten, nach der Herbsttagung die Delegierten von Straßburg zu beauftragen, über ihre Arbeit und die Ergebnisse von Straßburg zu berichten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der Bemerkung von Herrn Dr. Becker über den richtigen Zeitpunkt wage ich es doch, meine Kritik am Anfang wie folgt zusammenzufassen: Dieser Antrag steht zwar heute auf der Tagesordnung unserer Sitzung; aber er steht nicht auf der Tagesordnung der praktischen europäischen Politik.
— Ich werde Ihnen das jetzt im einzelnen darlegen.
Zunächst gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu der Form dieses Antrags. Es heißt dort, daß die Delegierten eine solche Verfassung vereinbaren sollen „vorbehaltlich der Zustimmung der Organe der Bundesrepublik". Wenn man sagt „vorbehaltlich der Zustimmung", dann meint man also, daß diese Delegierten in Wirklichkeit die Verfassung nur ausarbeiten, einen Text festlegen sollen.
Meine Damen und Herren, um das zu tun, brauchen wir keine Ermächtigung des Bundestages. Diese Verfassung können wir, wenn es uns Spaß macht, jeden Tag niederschreiben, und wir
brauchen uns dabei nicht einmal sehr in geistige Unkosten zu stürzen; denn das haben andere schon vor uns getan. An solchen Verfassungen, die auf dem Papier stehen und auf dem Papier stehenbleiben, ist weiß Gott kein Mangel in Europa. Ich darf nur in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß in Interlaken 1948 eine solche Verfassung ausgearbeitet wurde. In Basel entwarf kürzlich die Internationale Parlamentarier-Union eine weitere europäische Verfassung. In Lugano machte der sogenannte Rat der Völker, der Rat der Orangerie, eine dritte europäische Verfassung. Und das sind nur die bekanntesten; es gibt daneben noch viele andere!
Wenn aber mit dem Antrag gemeint ist, daß die Delegierten in ihrer Arbeit das tun sollten, was etwa die Regierungsvertreter bei der Ausarbeitung des Textes des Schuman-Plans getan haben, dann ist doch das Pferd am Schwanze aufgezäumt. Denn man muß doch zuerst mit den anderen eine Vereinbarung darüber treffen, wie man zu Werke geht, und kann nicht von sich aus eine wichtige Frage vorentscheiden, nämlich die Frage, wer für diese Staaten und Völker beauftragt und ermächtigt sein soll, die Verfassung auszuarbeiten. Sie treffen hier eine Vorentscheidung, die in keiner Weise in sich evident ist. Daß die wenigen Vertreter im Europarat die Repräsentanten des Volkes zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung sein sollen, die mehr sein soll als unverbindlicher Entwurf, nehme ich doch an. Diese Entscheidung ist eine äußerst wichtige Entscheidung, und sie muß doch zuerst mit den anderen abgesprochen werden. Wie aber aus den Darlegungen von Herrn Dr. Becker hervorgeht, ist eine solche Absprache nicht erfolgt, und es handelt sich um ein völlig isoliertes Vorgehen der Regierungsparteien des Deutschen Bundestages. Es kommt also in Wirklichkeit darauf hinaus, daß dieser Antrag den Wunsch ausdrückt, daß n o c h ein Entwurf einer europäischen Verfassung zu den anderen, die es schon gibt, ausgearbeitet werde.
Herr Dr. Pünder hat hier auf die frühere Entschließung des Bundestages Bezug genommen, die vom ganzen Hause angenommen worden ist und in der der Bundestag nicht etwas forderte, sondern sich zu einem europäischen Bundespakt bekannte. Meine Damen und Herren, das war im Juli 1950! Inzwischen haben wir gesehen, und zwar gerade in Straßburg, daß es nicht möglich ist, den gesamteuropäischen Bundespakt in diesem Zeitpunkt zustande zu bringen. Wir haben gesehen, daß es überhaupt unmöglich ist, Europa von einer bundesstaatlichen Verfassung her zustande zu bringen.
Man kann nicht mit dem Dach anfangen. Man kann nicht so verfahren, Herr Kollege, wie etwa der Parlamentarische Rat mit der Bundesrepublik. Dieser konnte eine Verfassung für das Bundesgebiet ausarbeiten, weil die Basen vorhanden waren, auf die das Dach gestützt werden konnte. In Europa sind die Basen nicht vorhanden, von denen man ausgehen muß, um schließlich bei dem Dach zu landen.
Ich habe hier ein anderes, wie mir scheint, nicht unwesentliches Argument. Sie hätten wahrscheinlich diesen Antrag nicht eingebracht, wenn Sie sich etwas mehr um das gekümmert hätten, was Sie vorher in Straßburg getan haben. Dort hat wohl im
Sommer vorigen Jahres Herr Kollege von Campe, mit Unterschrift auch der übrigen Vertreter der Regierungsparteien, in der Beratenden Versammlung einen Antrag auf Ausarbeitung einer Verfassung für einen europäischen Bundesstaat eingebracht. Welches ist das Schicksal dieses übrigens sehr viel konkreteren, sehr viel besseren Antrags im Europarat gewesen? Herr von Campe wollte, daß die Beratende Versammlung durch eine Verfassungskommission binnen drei Monaten eine bundesstaatliche Verfassung ausarbeiten lassen und daß binnen weiterer drei Monate die Beratende Versammlung im Juni 1951 zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten sollte, die endgültig über diese Verfassung zu beschließen gehabt hätte.
Nun, im Juni 1951 ist diese außerordentliche Sitzung natürlich nicht zustande gekommen. Aber im September hat der für solche Verfassungsfragen zuständige politische Ausschuß der Beratenden Versammlung über den Antrag von Campe und Genossen beraten, und da hat dieser Ausschuß einstimmig, einschließlich zweier Unterzeichner, zweier Mitglieder Ihrer Parteien, nämlich der Herren Dr. Gerstenmaier und von Rechenberg, den Antrag sang- und klanglos unter den Tisch fallen lassen,
weil man der Meinung war, daß das, was hier gewollt ist, weit jenseits der wirklichen politischen Möglichkeiten im gegenwärtigen Europa liege. Und keine Stimme, auch nicht aus Ihren Fraktionen, hat sich in diesem Ausschuß, wo man mit relativ viel Sachverstand an diese Dinge herangeht, für den Antrag von Campe erhoben.
Nun, Sie erneuern heute den Antrag von Campe in anderer und keineswegs besserer Form. Ich habe hier das Dokument; Sie können es vergleichen. Der Antrag von Campe wurde aus jener Atmosphäre in Straßburg geboren, in der dort historische Erinnerungen beschworen wurden und viele begeisterte Föderalisten einen Schwur leisten wollten, wonach sie nicht eher in Straßburg auseinandergehen würden, als bis sie den europäischen Völkern eine bundesstaatliche Verfassung gegeben hätten. Aber darum ist es still geworden. Es ist auch still geblieben, nachdem der Conseil de l'Orangerie ein wenig die vor Ungeduld kochende europäische Volksseele dargestellt hatte.
Die mögliche Entwicklung in Europa ist andere Wege als die der bundesstaatlichen Verfassung gegangen; die wirkliche Entwicklung ist in Richtung auf die Einrichtung von Sonderbehörden gegangen, eine an sich nicht zu beanstandende Behelfsform für europäische Entwicklungen. Nur haben die Franzosen, die französischen Diplomaten, die geniale Entdeckung gemacht, daß man durch geschickte Auswahl der Sektoren, auf denen man solche Sonderbehörden errichtet, und auch durch überlegenes Verhandlungs- und Gestaltungsgeschick — das muß man unserer Bundesregierung sagen — nationale französische politische Belange sehr wohl in europäische Formen kleiden kann. Aus dieser Politik ist der Vorschlag der Kohle- und Stahlunion entstanden, und in diesen Vorschlag ist alles Wesentliche aus der Besatzungsinstitution Ruhrbehörde hinübergerettet worden. In der Europaarmee hat man das Mittel gefunden, um die deutsche Wehrkraft mitzuverwenden, ohne deshalb Deutschland
gleichberechtigte Mitbestimmung in der politischen und in der strategischen Verwendung der Europaarmee zuzugestehen.
Im Zuge dieser französischen Politik, die Besatzungspolitik in europäische Formen umkleidet, ergab sich nun eine Lücke. Das Besatzungsstatut bröckelt ab und wird vielleicht gerade in dem entscheidenden Punkt über die Kontrolle der deutschen Außenpolitik abgeschafft. In Frankreich hat man wegen dieser Entwicklung große Sorgen, um so mehr, als das Problem der deutschen Einheit auf der Tagesordnung der Politik steht und als die Saar bei einem schlechten Gewissen auch sehr viel Sorge bereitet. Man überlegt sich in Paris, wie man auch weiterhin die deutsche Außenpolitik kontrollieren kann, so wie man es bisher mit dem Besatzungsstatut getan hat.
Aus dieser Überlegung ist der zweite Schuman-plan geboren. Das ist der Kern des ganzen Vorschlags eines politischen Pools, wie ihn Außenminister Schuman kürzlich gemacht hat, .und sehr viel weniger die sicher nicht geringen Schwierigkeiten, die auch die französische Politik mit der Verwirklichung des Schuman- und des PlevenPlans hat. Diese unsere Erfahrung mit den Tendenzen, die im Schuman-Plan und im Pleven-Plan enthalten sind und die doch auch von Ihnen nicht geleugnet werden, wenn Sie sie auch verkleinern, müßte uns zur Vorsicht mahnen. Wenn ein solcher Vorschlag aus Paris kommt, dann ist es nicht Aufgabe der deutschen Außenpolitik, sofort begeistert ja dazu zu sagen, sondern dann ist es die Aufgabe, so etwas sehr aufmerksam zu prüfen und mit seinem Urteil zurückhaltend zu sein.
Das Gegenteil ist aber der Fall. Heute zeigt es sich ja auch, daß der Antrag, der hier zur Debatte steht, als eine Unterstützung des zweiten SchumanPlanes gedacht ist. Dabei ist Ihnen aber eine Verkennung unterlaufen. Sie verkennen, daß der Vorschlag Schumans keineswegs ein Vorschlag zur Bildung der Kontinentalföderation in Europa ist, sondern er ist der Vorschlag zur Bildung einer neuen Sonderbehörde auf außenpolitischem Gebiet, und das ist etwas ganz anderes. Sie stellen sich mit Ihrem Vorschlag vor, daß die Föderation sehr vieles enthält, nicht nur die gemeinsame Außenpolitik; das darf ich doch annehmen. Sie meinen, daß da auch der gemeinsame europäische Markt geschaffen wird. Sie denken sicher nicht daran, daß es dann noch der Visen bedarf, um über die französische Grenze zu reisen. Der Schuman-Plan, so wie er jetzt entwickelt worden ist, enthält die Sonderbehörde, und Frankreich wird Ihnen weiterhin den Jugendpaß verweigern, wenn Sie ihn durch den Außenminister und Bundeskanzler beantragen sollten. Das ist also alles andere als eine europäische Föderation, das ist eine supranationale Sonderbehörde, in der mit Mehrheitsbeschlüssen auch über die deutsche Außenpolitik einschließlich der Fragen der deutschen Einheit und der Saar und der Oder-Neiße-Linie usw. beschlossen werden soll. Wenn Ihr Antrag auch in Straßburg wiederholt wird, läuft er Gefahr, das gleiche und doch nicht gerade rühmliche Schicksal zu erleiden wie der Antrag von Campe, der vor einem Jahr eingereicht wurde. Die Gefahr ist um so größer, als Sie ja nicht vergessen sollten, daß der Herr Außenminister Schuman mit seinem Vorschlag etwas voreilig gewesen ist und sich in Frankreich sehr viel Kritik dafür zugezogen hat. Sein eigenes Kabinett hat ihm die Erlaubnis versagt, seinen Plan auf der
kommenden Session in Straßburg als einen neuen französischen Vorschlag zur Einigung Europas vorzutragen.
Es hat einen zweiten französischen Fehlstart mit diesem Plan gegeben. Der Vorsitzende des allgemeinen Ausschusses der Beratenden Versammlung, der französische Sozialist Guy Mollet, hat versucht, den allgemeinen Ausschuß dazu zu bewegen, diesen Plan dem Europarat vorzuschlagen. Es zeigte sich aber eine so kritische Aufnahme, daß Guy Mollet darauf verzichten mußte. Die Kritik bei der Aufnahme des Plans war so groß, daß auch ein „eingeschrumpfter" Pool-Antrag, wie ihn der Belgier Struye vorschlug und der sich auf die Fragen beschränken wollte, die unmittelbar mit der Europa-Armee in Zusammenhang stehen, nicht der Beratenden Versammlung vorgelegt werden kann. Alle diese Pläne sind gescheitert.
Ich hatte geglaubt, daß Sie vielleicht in dieser Sache Verbindung mit den Italienern aufgenommen hatten. In jenem politischen Ausschuß der Beratenden Versammlung wurde von einem italienischen Delegierten ein Vorstoß in Richtung auf die Verwirklichung des zweiten Schumanplans gemacht. Aber auch die Italiener sind sich des Unterschiedes bewußt, der zwischen einer außenpolitischen Sonderbehörde und einer kontinental-europäischen Föderation besteht. Ich darf Ihnen einen Satz aus einem Dokument vorlesen, das der italienische christlich-soziale Delegierte Sandero unterbreitete. Da heißt es:
Wenn auch in diesem Augenblick eine Kontinentalföderation nicht zu empfehlen zu sein scheint, so ist doch eine engere Verbindung namentlich auf bestimmten Gebieten der Außenpolitik unerläßlich.
Er tritt also für den Vorschlag Schumans ein, sagt aber: „Eine Kontinentalföderation steht nicht auf der Tagesordnung der möglichen Politik".
Wenn der Vorschlag doch in Straßburg zur Debatte stehen sollte, so können wir Sozialdemokraten jetzt schon sagen, daß wir so, wie wir gegen den Pleven-Plan sind, konsequenterweise auch gegen den neuen Vorschlag von Robert Schuman sind.
— Warten Sie, ich sage es Ihnen. — Die SPD steht zu der großen Föderation so, wie wir seinerzeit in der Drucksache Nr. 1193 unseren Willen ausgedrückt haben. Diese Föderation steht aber nicht auf der Tagesordnung der möglichen Politik.
Wir sind für alle praktischen Schritte, die man in Richtung auf Abbau der Schranken zwischen den europäischen Nationen tun kann. Diese Schritte können groß oder klein sein; es kann sich um Visen oder um die Post oder um wirtschaftliche und soziale und politische Dinge handeln.
Die Voraussetzung dafür ist, daß Europa nicht mehr erneut aufgespalten wird, daß nicht zu der Spaltung in Ost und West noch eine Spaltung in Nord und Süd hinzutritt; und Voraussetzung ist, daß Deutschland gleichberechtigt — rechtlich und tatsächlich gleichberechtigt — in jede europäische Kombination eingehen kann.
Was im Augenblick verfassungsrechtlich möglich ist, wird in dem Bericht über ein neues Statut zusammengefaßt sein, das vom politischen Ausschuß
des Europarats jetzt der Session unterbreitet werden wird. Jedem, der sich dafür interessiert, kann ich dieses Dokument zum Studium empfehlen. Dort sind die Ideen des englischen Delegierten Mackay und des Italieners La Malfa verwertet. Dort werden Anfänge einer europäischen Exekutive vorgeschlagen. Dieser Vorschlag zeigt, wie verhindert werden kann, daß Europa weiter auseinanderfällt. An diesem Statut, das das äußerst Mögliche festhalten will, haben zwei Sozialdemokraten aktiv mitgearbeitet, und wir werden weiter überall da, wo praktische Schritte möglich sind, aktiv mitarbeiten.
Wir widersetzen uns der Politik Klein-Europas, und wir widersetzen uns auch jener Politik, die versucht, altmodische Besatzungspolitik in modische europäische Gewänder zu kleiden.
Wir halten uns außerdem fern von allen europäischen Konstruktionen über den Wolken. Wir glauben, daß es sich bei dem Anliegen dieses Antrags um SQ etwas handelt, und wir stimmen deshalb gegen diesen Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsparteien fällt in eine Zeit, da die Spannung zwischen Ost und West andauert, da der Bundeskanzler zu Gesprächen mit den westlichen Außenministern in Paris weilt und da sich alle wesentlichen Probleme der europäischen Politik, in vollem Gärungsprozeß begriffen, ungelöst in der Schwebe befinden, das Vertragswerk, das an die Stelle des Besatzungsstatuts treten soll, der Schumanplan, der erst von einem der sechs Vertragsstaaten ratifiziert worden ist, das Projekt der europäischen Armee und des europäischen Verteidigungsministers und vor allem die Schicksalsfrage eines föderativ geeinten Gesamtdeutschlands als Mitglied einer europäischen Konföderation.
Sofort erhebt sich die Frage, ob Europa in seinem ursprünglichen politischen, geographischen und geschichtlichen Bestande gemeint ist, ob das Land Johann Sobieskis, das Land der ehemaligen Stephanskrone, ob Österreich, die Schweiz, Spanien, Portugal, die nicht Mitglieder des Europarats sind, zu Europa im Sinne der weiteren Planungen gehören sollen, ob nur kontinentaleuropäische Nationen oder auch England eingeschlossen sein sollen oder ob an eine Konstruktion gedacht ist, welche sich gegebenenfalls nur auf einen Teil der außerhalb des östlichen Kombinats befindlichen europäischen Welt beschränkt.
Nach dem Antrag sollen die vom Bundestag in die Versammlung des Europarats entsandten Abgeordneten mit Delegierten anderer Nationen die Verfassung einer europäischen Föderation nicht nur beraten, sondern auch vereinbaren. Es ist aufschlußreich, daß von den Initiatoren ganz nach dem hergebrachten Denkschema eine bundesstaatliche, im weiteren Verlauf erfahrungsgemäß sich stets zentralistisch entwickelnde,
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nicht eine echt föderative, staatenbündische Organisationsform, eine Konföderation gewollt ist.
Die Antragsteller wissen natürlich, daß die Beratende Versammlung des Europarats nur ein einflußloses, ohnmächtiges Konsultativorgan ist. Es ist ihnen selbstverständlich auch bekannt, daß England wegen seiner Verbindung mit dem Commonwealth und dem Sterlingblock es bisher streng abgelehnt hat, den gegenwärtigen Status des Europarats weiter zu entwickeln. Es ist bis jetzt nicht sichtbar geworden, ob die konservative britische Regierung bereit ist, hierin von der Linie des Labourkabinetts abzugehen. Nichts deutet darauf hin, daß es geschieht. Darum will der Antrag, daß die Delegierten des Bundestags mit gleichgesinnten und willigen Delegierten der im Europarat vertretenen Nationen, also offenbar in einem Gremium außerhalb der Versammlung, zusammenwirken. Aber ist eine solche Teilaktion nicht schon in der zweiten Straßburger Tagung im August/November 1950 gescheitert bzw. im Sande verlaufen? In der letzten Vollsitzung der August-Tagung waren diejenigen, welche im Falle des Abseitsstehens eines Teiles der europäischen Staaten eine Teilföderation befürworteten, in der Minderheit geblieben. Und was ist aus dem sogenannten Verfassungsausschuß geworden, den Delegierte mehrerer westeuropäischer Länder außerhalb des Europarats zu dem Zweck ins Leben riefen, einen Verfassungsentwurf für ein vereinigtes Europa auszuarbeiten?
Ein prominenter Abgeordneter dieses Hauses hat am 22. August vorigen Jahres vor Pressevertretern erklärt, er habe den Eindruck gewonnen, daß die Beratende Versammlung den in den ersten Tagen ihrer August-Beratungen dokumentierten revolutionären Geist in Richtung auf die praktische Verwirklichung der Einheit Europas nicht nur bewahrt habe, sondern angesichts der zu erwartenden Widerstände des Ministerrats noch verstärken werde; es werde wahrscheinlich zu einer Machtprobe kommen. Nun, die Delegierten des Straßburger Europarats ließen es im November nicht darauf ankommen. Was wurde aus der Hochspannung der angekündigten revolutionären Entschlossenheit, was aus dem Europäischen Aktionsrat, was aus dem Rat der Dreißig, was aus der Initiative der drei föderalistischen Verbände, der Union Européenne, der Nouvelles Equipes, des Mouvement Socialiste? Die Hochspannung wurde in die Niederspannung des Conseil Européen de l'Orangerie umgeformt, der den Europarat nicht unter Druck setzen konnte, weil er selbst ohne innere Spannung war.
Ich fasse den Standpunkt der Fraktion der Bayernpartei, die sich zu einem einigen Gesamteuropa bekennt, wie folgt zusammen: 1. Ziel und Mittel einer europäischen Zusammenarbeit und Gemeinschaft ist die Bildung einer staatenbündischen, Zentralismus und Majorisierung ausschließenden Konstruktion, nicht einer bundesstaatlichen Föderation, sondern einer bündischen Konföderation. 2. Eine europäische Konföderation kann wie jede andere nur nach den Prinzipien der Partnerschaft und Zusammenarbeit, das ist auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung der konföderierten Staaten, erfolgen. 3. Nicht ein Teil Deutschlands, sondern nur ein bündisch aufgebautes Gesamtdeutschland kann Mitglied einer europäischen Konföderation werden. 4. Der Gedanke einer europäischen Konföderation kann nur und erst verwirklicht werden, wenn der politische und wirtschaftliche Nationalismus der Vergangenheit angehört. Die jüngste Entscheidung des militärischen Sicherheitsamtes der Besatzungsmächte, durch welche die maßvollen Remontageanträge der August-Thyssen-
Hütte schroff und. ohne Angabe der Gründe abgewiesen wurden, beweist, daß diese Voraussetzung noch nicht erfüllt ist. 5. Die Fraktion der Bayernpartei gibt der Meinung Ausdruck, daß außenpolitische Initiativen, welche die in einer bestimmten Phase bestehenden Verhältnisse, Realitäten und Entwicklungstendenzen außer acht lassen, mehr schaden als nützen und den Vorwurf des politischen Literarismus hervorrufen können.
Meine Fraktion hält die Einbringung des vorliegenden Antrags der Koalitionsparteien im gegenwärtigen Zeitpunkt für unzweckmäßig und wird sich der Stimme enthalten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Damen und Herren, darf ich bekanntgeben, daß der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen um 15 Uhr in Zimmer 104, Südflügel, eine Sitzung abhält.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von meinen Vorrednern ist bereits ausführlich dargelegt worden, wie sehr die Einigung Europas im Bewußtsein seiner auch noch heute für die Menschheit bedeutenden Aufgabe das Ziel der deutschen Politik sein sollte. Dieses nach zwei Weltkriegen verarmte und zerstückelte Europa kämpft verzweifelt um seine Existenz, während es vor Jahrzehnten noch die Weltherrschaft besaß, der Schöpfer von Reichtümern war, das Hirn der Welt, der Träger von Ideen, die das Gesicht der Völker bestimmten. Der zweite Weltkrieg hat die Vorstellungswelt dieses Europas begraben, das heute wie Deutschland zweigeteilt ist und mit seiner einen Hälfte in dem Machtbereich Rußlands liegt.
Und die weitere Tatsache, von der auch die Vorredner anläßlich der Frage der Europaarmee gesprochen haben, ist doch die, daß Europa sich nicht mehr selbst verteidigen kann und von einem außereuropäischen Staat gegen einen anderen außereuropäischen Staat geschützt wird. All das zeigt deutlicher als alles andere, wer den zweiten Weltkrieg verloren hat: nämlich Europa. Wenn Europa aus seinem jetzigen Zustand der Abhängigkeit von Amerika herauskommen soll, dann muß es auf der Basis der Gleichheit mit Amerika sprechen können. Schon aus dieser Betrachtungsweise kann niemand an der Notwendigkeit zweifeln, daß die europäische Föderation kommen muß, wenn Europa nicht zwischen den beiden Weltmächten Amerika und Rußland zerrissen werden soll.
In dieser gefährlichen Situation steht heute Westeuropa. Es war sehr interessant, daß die. Befürworter des Straßburger Europarats hier erklären mußten, daß dieses Westeuropa noch immer im Vorfeld seiner Bemühungen um die politische Einigung steht. Ebenso ist interessant, daß der französische Außenminister Schuman — mit Recht — die politische Einigung Europas und die Schaffung übernationaler Autoritäten als d a s Zentralproblem der europäischen Politik bezeichnet hat, wenn überhaupt die Aufstellung einer europäischen Armee noch irgendeinen Sinn haben soll. Insofern stimme ich den Ausführungen meiner Vorredner durchaus zu, die von der Notwendigkeit dieser Erkenntnisse gesprochen haben. Die Zentrumsfraktion hat auch insoweit volles Verständnis für den Antrag der Regierungsparteien, der die deutschen Delegierten des Europarats ermächtigen soll, die Verfassung einer
europäischen Föderation mit den Mitgliedern der
im Europarat vertretenen Nationen zu vereinbaren.
Aber so sehr meine politischen Freunde und ich das einsehen und wünschen, daß das Ziel der gesamteuropäischen Föderation erreicht wird, so müssen wir doch feststellen, daß eine echte Einigung nicht in dem Zusammenschluß nur eines Teils der europäischen Staaten gesehen werden kann, wie es Befürworter dieses Antrags hier getan haben. Ein europäischer Zusammenschluß ohne England und ohne die skandinavischen Staaten würde außer der bestehenden Teilung in Westeuropa und Osteuropa noch eine weitere künstliche Teilung herbeiführen.
Wir glauben also — das ist auch gesagt worden -, daß England in seiner gegenwärtigen Position, in seiner Stellung im mittleren und nahen Osten, in seiner Haltung zum Commonwealth nicht in der Lage sein wird, sich stärker in Europa zu engagieren, als es bis jetzt im Europarat geschehen ist. Die im Empire denkenden und verwurzelten englischen Staatsmänner Eden und Churchill werden bei aller Bejahung des Europagedankens ebenso wie Attlee und Morrison nicht bereit sein, über die bestehenden Verpflichtungen hinaus zur Schaffung übernationaler Autoritäten in Europa beizutragen. Herr Kollege Dr. Becker hat auf einer Tagung in Frankfurt von der Meinung einer englischen Frau gesprochen, die die Notwendigkeit einer europäischen Einigung einsieht. Ich glaube, dabei muß doch daran gedacht werden, wie die Konstruktion des Europarats aussieht, vor allen Dingen auch daran, daß im Ministerrat nicht die Vertreter der Völker, sondern die der Regierungen sitzen.
Ich möchte vor allen Dingen davor warnen, zu glauben, daß Europa mit einer kleineuropäischen Lösung, etwa entsprechend den Vorschlägen von Graf Coudenhove-Kalergi, zu schaffen ist.
Ich möchte auch noch auf ein weiteres Argument eingehen, das bereits von meinen Vorrednern angeführt worden ist und mir einen sehr wichtigen Gesichtspunkt zu enthalten scheint. Wenn von der Unzweckmäßigkeit dieses Antrags im gegenwärtigen Augenblick gesprochen wird, dann ist damit vor allen Dingen die Frage gemeint, wieweit die Wiederherstellung der deutschen Einheit von den Antragstellern mit ihrem Antrag gefördert oder behindert wird. Eine europäische Föderation, zu der nur Westdeutschland gehört, gibt es nicht. Europa ohne das ganze Deutschland bleibt ein zweigeteiltes Europa, dessen Trennungslinie dann bei West-Berlin bleiben würde. Gerade weil Deutschland, ganz Deutschland zu Europa gehört, geographisch wie historisch, geistesgeschichtlich wie wirtschafts- und sozialgeschichtlich, weil es keine Epoche der deutschen Geschichte gibt, die nicht in europäische Geschichte eingebettet wäre, darum gibt es — das auszusprechen scheint mir notwendig zu sein — kein Europa ohne ein ganzes Deutschland. Deshalb müssen wir uns auch fragen, ob das Bemühen um die Wiederherstellung der deutschen Einheit wirklich mit dem gegenwärtigen Antrag in Einklang zu bringen ist, der, wenn die darin erhobenen Forderungen jetzt durchgeführt würden, ohne daß wir auch der Frage der Wiederherstellung Gesamtdeutschlands nähergekommen wären, die Trennung Europas und die Trennung Deutsch-
lands nicht aufheben würde. Das scheint mir mit eine der Zentralfragen zu sein, die uns hier in Deutschland angehen.
In der Politik gibt es den Satz, daß der direkte Weg zwischen zwei Punkten der kürzeste ist. Mir scheint das der Weg der Verständigung zunächst hier in Deutschland zu sein: dem Willen des deutschen Volkes, ob in der Bundesrepublik oder in der Ostzone, Rechnung zu tragen, zur Einheit zu kommen und alles zu vermeiden, was sie verhindern kann. Das müssen wir sehen, und von hier aus ergibt sich auch die Rangordnung dessen, was in unserer Politik möglich ist. Jede Integration in ein europäisches System empfängt ihren Sinn erst aus den Möglichkeiten, die sie für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands bietet. Das ist die Realität, die wir bei dem vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 2790 nicht vergessen dürfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hat sich aus der bisherigen Diskussion über diesen Antrag ergeben? Bisher haben wir über die Konstitution des Europarats gehört, daß dieser Rat eine Zusammenfassung von politischen Persönlichkeiten ist, die ihre Tätigkeit darauf beschränken müssen, Empfehlungen zu erteilen. Heute haben wir gehört, daß die dort auftretenden Politiker à titre personel reden; und nun wird uns heute in diesem Antrage zugemutet, daß diese Versammlung von Persönlichkeiten, die nicht die Völker der im Europarat nur scheinbar zusammengefaßten Länder vertreten, eine der höchsten, wichtigsten Funktionen erfüllen soll, eine Funktion, die nur durch die Völker selber erfüllt werden kann, nämlich die, eine Verfassung für ein vereinigtes Europa zu schaffen.
Was wird uns heute als Grund genannt, heute, im Gegensatz zu dem, was Herr Euler bei Bekanntgabe dieses Antrags in der Presse gesagt hat? Er hat nämlich seinerzeit gesagt, daß dieser Antrag von der FDP ausginge und daß er bei der Debatte hier im Bundestag die Überzeugung erkennen lassen solle, daß „die deutsche Einheit in Freiheit nur in einer europäischen Föderation in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien geschaffen werden kann".
Herr Kollege Becker hat heute einige andere Gründe genannt, die die FDP und logischerweise auch die Koalition zu diesem Antrage geführt haben. Er hat seinen Antrag heute nicht damit begründet, Europa solle einiger werden, Europa solle geeint werden, sondern: Europa soll mächtiger werden. Er hat auch gesagt, gegen wen und gegen was. Er sprach von der Bedrohung Europas durch Asien. Dieser Sammelbegriff wurde heute in die Debatte geworfen. Er wurde konkreter, als er von der Bedrohung Europas durch die Sowjetunion sprach.
Ich habe hier schon zehnmal gesagt, daß es kein größeres Verbrechen am deutschen Volke gibt, als Dinge so darzustellen, als sei unsere Sicherheit durch die Völker der Sowjetunion bedroht.
- Das ist ein Betrug.
Das ist ein erbärmlicher Betrug am deutschen Volk.
Heute wurde also ausgesprochen, was der Europarat eigentlich sein soll. Er soll dieses Europa, dieses Partikelchen eines Europas, „mächtiger machen"; er soll es zu einem Instrument machen, das es nämlich bisher nicht sein durfte, zu einem Instrument, das positiv an der Remilitarisierung Europas mitarbeiten und mitwirken kann. Das ist der Zweck dieses Antrages. Mit Recht ist hier ausgesprochen worden, daß an die Stelle der „Planungen" dieser Konferenz von mehr oder minder schön redenden Politikern in der Zwischenzeit etwas viel Realeres getreten ist. Es ist hier auch ausgesprochen worden, was das ist. Man sprach mit Recht davon, daß an Stelle des Geschwätzes vom vereinigten Europa die Realität Schuman-Plan treten soll, dieser Schuman-Plan, der von den ewigGestrigen, Herr Kollege Becker, als ein Plan gedacht ist, der das realisieren soll, was bisher den deutschen Imperialisten trotz zweier Weltkriege nicht gelungen ist. Was die deutschen Imperialisten vom Schuman-Plan erwarten, das wurde auf der Präsidialkonferenz der Vereinigung der Industrie-und Handelskammern von Nordrhein-Westfalen sehr eindeutig ausgesprochen. Laut „Industrie-Kurier" vom 15. Juni 1950 wurde dort erklärt:
Seit Jahrzehnten steht die politische Einigung Europas als unerledigter Punkt auf der Tagesordnung der Konferenzen und auf dem Wunschzettel des kleinen Mannes. Wir erinnern uns an die Träume Napoleons des Ersten, an das Mitteleuropa von Friedrich Naumann, an das Großraumeuropa von Hitler. Nun wird mit dem Schuman-Plan
— so sagt diese Zeitung —
der Versuch gemacht, durch eine einheitliche Produktionsbasis von Kohle und Stahl auf wirtschaftlich begrenztem Raum die politische Einigung Europas einen Schritt vorwärts zu bringen.
Mit zynischer Offenheit wird hier also ausgesprochen, daß dieser Schuman-Plan dem Zweck dienen soll, die bereits zweimal mißglückten Aggressionspläne des deutschen Imperialismus mit neuen Methoden, mit demokratisch, — mit europäisch verbrämten Methoden zu verwirklichen, nämlich der Aufgabe, die gesamte westeuropäische Montanindustrie mit amerikanischer Hilfe unter dem Kommando der Rüstungsherren an der Ruhr zusammenzufassen, und zwar diesmal in dem Großraumeuropa des Herrn Konrad Adenauer
und des Herrn Schumacher. — Ja, Herr Pünder, haben Sie das „Aha!" geschrien? — Daß auch Sie ein Haar in der Suppe gefunden haben, das hat mir Ihr sehr gemäßigtes Auftreten für diesen Antrag hier am heutigen Tage bewiesen.
Und ein Wort an die Adresse der Kollegin Wessel. Dieser heutige Antrag hat einen konkreten, einen höchst gefährlichen Zweck, nämlich den Zweck, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu verhindern. Die Leute, die diese Frage hier heute in die Debatte hineinwerfen, wollen damit eine Vertiefung der von Deutschen ausgehenden Bestrebungen, Deutschland zu einigen, verhindern. Das ist der Sinn dieses Antrages, den diese ewig-Gestrigen heute hier eingebracht haben.
Dieses Europa, wie sie es sehen, wie es Herr Dr. Konrad Adenauer sieht, das ist kein Europa im Sinne eines Zusammenschlusses der friedliebenden Menschen Europas. Dieses Europa endet an der Elbe; dieses Europa richtet sich als Kriegsinstrument gegen die Kräfte des Friedens, die ihre größte und herrlichste Repräsentation in den Völkern der Sowjetunion und in ihrer Regierung finden.
Die Einigung Europas, die Herstellung eines wirklich friedlichen Europas kann nur durch die Völker Europas erfolgen. Ein geeintes, friedliches deutsches Volk kann und wird auch positiv an der Wiederherstellung dieser Einheit Europas im Sinne des ganzen Europas mitarbeiten. Wenn wir aus unserem Deutschland ein Land machen, in dem die Kräfte des Friedens, die Kräfte der echten Demokratie die Gesetze des Geschehens bestimmen,
dann werden wir auch fertigbringen, das Mißtrauen, das draußen in den Völkern gegen dieses von Ihnen geplante vereinigte Europa besteht, zu beseitigen. Dann werden auch solche Tatsachen aus der Welt zu schaffen sein, die nichts anderes sind als ein eklatanter Beweis für das berechtigte Mißtrauen gegen diese Herren, die heute in Westdeutschland die Einigung Europas unter diesem verlogenen Titel betreiben. Ich meine den Beschluß der belgischen Sozialistischen Partei, die auf ihrem Parteitag — alle Mann — noch einmal ihre Bedenken eindeutig ausgesprochen hat gegen Spaak, gegen den Europarat-Spaak, gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands, gegen diese Remilitarisierungspläne,
die die von Ihnen in der Mehrheit geforderten deutschen Formationen der Europa-Armee unter das Kommando der ehemaligen Nazi-, der Hitler-, der faschistischen Generäle stellen sollen.
Wir sagen deshalb mit derselben Klarheit und Eindeutigkeit, wie wir zum Europarat nein gesagt haben, auch zu diesem Antrag nein, der nichts anderes ist als ein Versuch, das aufzuhalten, was Sie nicht mehr aufhalten werden, nämlich die Herstellung der Einheit Deutschlands durch unser eigenes deutsches Volk.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Mode geworden, den Straßburger Rat und sein Verfahren vor der Öffentlichkeit als unwirksam herabzusetzen.
Wir sind der Auffassung, daß diese Mode, die auf dem Mißverständnis und der Unkenntnis der Möglichkeiten einer solchen Verhandlungsmethode beruht, als gefährlich bezeichnet werden muß. Wir sehen keinen anderen praktischen Weg, als über dieses Gremium das Riesenwerk zu unternehmen, das die Einigung Europas darstellt. Wenn hier gefragt warden ist, warum dieser Antrag gestellt worden ist und weshalb es zu diesem Zeitpunkt geschehen ist, so kann ich nur sagen: ich glaube,
wer Ohren hat zu hören, der hat eben aus dem Munde des Herrn Renner das Nötige gehört.
Deshalb sollte hier gar nicht weiter polemisiert werden.
Vor einem relativ uninteressierten Hause ist an Hand dieses Antrags eine Debatte in Gang gekommen, die doch sehr Wesentliches zutage gefördert hat, Wesentliches und, wie ich sagen möchte, zugleich Gefährliches. Herr Mommer hat drei Thesen aufgestellt, die sehr sorgfältig überlegt werden sollten. Die erste These, so wie ich sie im Gedächtnis behalten habe, lautet: Wir widersetzen uns einer kleineuropäischen Lösung, weil diese kleineuropäische Lösung eine zusätzliche Spaltung in unserer bereits so gespaltenen Welt bedeutet. Die zweite lautet: Wir widersetzen uns den Plänen, bestimmte Sonderbehörden auf lebenswichtigen Gebieten zu schaffen, weil sie die Gefahr in sich schließen, daß hierin die europäische à-la-modeVerkleidung des auf der Unterwerfung Deutschlands aufgebauten Besatzungsregimes enthalten ist.. Und die dritte These: Wir widersetzen uns all jenen wirklichkeitsfremden Versuchen, die wir als unpraktisch empfinden müssen, weil sie in der Straßburger Versammlung zum Versanden verurteilt sein müssen, da diesen Versuchen die reale Grundlage fehlt.
Diese drei Thesen, die die Opposition aufgestellt hat, veranlassen mich zu einer Antwort. Die erste These ist seinerzeit, als man im Parlamentarischen Rat mit der Ordnungszelle der Bundesrepublik versuchte, das deutsche Leben Schritt für Schritt wieder in eigene Verantwortung zu nehmen, in vergleichbarer Weise aufgetaucht. Ich glaube, daß man darüber nicht mehr viel reden sollte. Es ist doch ein ganz einfacher Vorgang, daß man einen erkrankten Körper aus seinen gesundgebliebenen Bezirken heraus zu heilen versucht.
Wir dürfen doch eines nicht vergessen: der Gedanke
des Vereinigten Europas ist in Osteuropa und in
Mitteldeutschland geboren und durchdacht worden.
Ich erinnere an den Namen Leibniz. Er hat zum erstenmal die moderne Konzeption der Vereinigung Europas ausgesprochen. Ich erinnere an Kant und an Herder. Herders großer Einfluß auf das Werden des Nationsbegriffes in Europa — und von dort nach dem Osten ausstrahlend — ist besonders deutlich. Glauben Sie wirklich ernsthaft, daß Sie dann, wenn ein wahrhaft wirksamer Schritt getan wird, um das hohe Werk des Friedens mit der Vereinigung Europas zu beginnen, und wenn es gelingt, dies von den Positionen aus, von denen es praktisch möglich ist, aufzubauen — also im Kleinen anfangend, um nach dem Größeren fortzuschreiten —, daß Sie dann nicht auch geistige Mächte mobilisieren, die wesenhaft dazu beitragen werden, das endgültige Ergebnis, die Einheit ganz Europas, voranzubringen? Letzthin ist das Gelingen der gesamteuropäischen Einheit unser deutsches Schicksal. Denn unsere Einheit als Gesamtstaat, die Überwindung der Spaltung unserer Nation und die europäische Einheit im Geiste des in gerechter Ordnung gesicherten Friedens, das ist doch das wesentliche nationale und zugleich europäische Anliegen, das wir haben. Im Ziel der Wiederherstellung der mitteleuropäischen Ordnung decken sich unser nationales Wollen und unser nationaler
Weg vollkommen mit dem, was im europäischen Sinne notwendig ist, um auf diesem alten Kontinent den Frieden wiederherzustellen.
Ich habe Herrn Renner einen einzigen Satz zu erwidern. Es ist eine völlige Verkehrung der Dinge, wenn man behauptet, daß diese europäische Idee nach ihrer ganzen Geschichte, ihrer Tradition und ihrem Gehalt irgend etwas mit Gedanken der Kriegsvorbereitung zu tun habe. Nein, der europäische Einigungsgedanke ist seinem ganzen Wesen nach die solide Ordnung eines Friedens, er bietet in seinem Ursprung und in seiner praktischen Durchführbarkeit die Gewähr dafür, daß in Europa, das aus so vielen Wunden blutet, der Frieden hergestellt und in einer menschenwürdigen Form wieder verwirklicht wird, menschenwürdig deshalb, weil die Basis dieses Friedens die praktische Verwirklichung und Erhaltung der Freiheit des einzelnen se in muß.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zum Abschluß sagen über die Vorstellungen, die man von einer europäischen Verfassung haben kann. Sie kennen den alten Gegensatz zwischen den Funktionalisten und den Föderalisten. Sie wissen, daß seinerzeit von Mackay ein Kompromißplan vorgeschlagen worden ist. Ich glaube, die Gespräche sind deshalb in eine Sackgasse geraten, weil man sich nicht darüber klar geworden ist, daß alle jene Begriffe vom Staatenbund und vom Bundesstaat oder von den verschiedenen Bündnissystemen letzthin nur Gedankenfiguren, juristische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts sind, daß hier das völlig neuartige Verfassungswerk einer Staatenverbindung aufgebaut werden muß, von einem festen Kern der Staaten ausgehend, die zu einer Aufgabe von Souveränitätsrechten bereit sind, und in Kreisen aufbauend, unter engerer oder loserer Einbeziehung möglichst aller europäischen Staaten, d. h. völlig neue Formen der Zusammenarbeit müssen juristisch entwickelt werden.
Der einzige Ort, an dem dies praktisch verhandelt werden kann, ist Straßburg. Gewiß, hier soll nur etwas ausgearbeitet werden, und der Antrag könnte zu Mißdeutungen Anlaß geben, wenn hier von Ermächtigung und Vereinbarung gesprochen wird. Es geht um die Abfassung des Textes eines Bundesvertrages, der nicht am grünen Tisch ersonnen werden kann, sondern der mühsam erarbeitet werden muß in der genauen Erkenntnis der Interessenlage der daran beteiligten Mächte. Den Leuten aber, die hier sagen, alle diese Wege führten zu einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands und der Spaltung unseres Kontinents, möchte ich entgegenhalten, daß sie sich von der Verantwortung für die praktische Aktion zurückziehen und damit in die Gefahr geraten, zu Proselyten des Kreml zu werden, ob sie das wollen oder nicht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Renner sprach von der „größten und herrlichsten Repräsentation der Kräfte des Friedens". Herr Renner, gerade jetzt
gingen umfangreiche Artikel durch die Presse, in denen die Rede war von der Umorganisation der Roten Armee zu einem noch mächtigeren Angriffsinstrument, als sie es bisher schon nach allgemeiner Kenntnis ist. Mit der Repräsentation der Kräfte des Friedens ist es nicht so weit her, und es scheint uns durchaus nützlich, gegenüber diesen Friedenswölfen im Schafspelz etwas Nachhaltiges zu tun.
Nun wird aber hier der Antrag gestellt, die deutsche Delegation in Straßburg solle eine Verfassung für Europa mit vereinbaren. Meine Damen und Herren, eine solche Verfassung Europas ist doch letzten Endes nur eine Geschäftsordnung zur Regelung der Beziehungen der Völker Europas untereinander, die unter ein gewisses Motto und unter eine gewisse Linie gestellt werden sollen. Ich glaube, daß diese Verfassung, die in Straßburg für Europa ausgearbeitet werden soll, so lange nur Papier ist, ja nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt ist, als man zum Beispiel uns Deutsche von seiten der entscheidenden Westmächte weiter so sehr als minderwertig und zweitrangig behandelt, wie das in den letzten Wochen der Fall gewesen ist. Die Thyssen-Hütte wurde hier bereits zitiert. Die Anträge der Werft Blohm 8 Voß auf Erweiterung ihrer Genehmigung zur Ausführung von Schiffsreparaturen sind abgelehnt worden. Die Errichtung eines neuen Walzwerks im Watenstedt-Salzgitter-Gebiet ist abgelehnt worden; es bleibt also bei der Arbeitslosenzahl. Die Errichtung einer neuen Stahlpresse im Ruhrgebiet ist abgelehnt worden. Kurzum, man tut alles, um uns in unserer derzeitigen mißlichen Lage zu halten. Ich glaube nicht, daß wir aus dieser mißlichen Lage heraus auch nur einen einzigen Schritt weiterkommen, wenn eine solche Verfassung vereinbart wird. Vielmehr ist eine solche europäische Verfassung unseres Erachtens höchstens ein Abschlußstein einer Entwicklung, die heute noch im vollen Gange ist und die von uns aus in der Zukunft etwas positiver laufen sollte, als das bisher der Fall war.
Herr von Merkatz sprach davon, man solle den kranken Körper von den gesundgebliebenen Bezirken her sanieren. Schön und recht! Der kranke europäische Körper wird unseres Erachtens vorzüglich dadurch saniert, daß man sich Mühe gibt oder uns hilft, die Krankheitsstellen, die im Herzen Europas, in Deutschland nämlich, vorhanden sind, zu beseitigen. Alle Konzeptionen für den Abschluß einer europäischen Verfassung, der heute noch verfrüht ist, sind gut und recht, wenn zunächst praktische Vorarbeit dafür geleistet ist. Hierzu haben die Westmächte Zeit und Gelegenheit gehabt und haben sie auch heute noch. Aber, meine Damen und Herren, Mr. Armstrong sagte vor einigen Tagen: Wir fürchten Herrn Remer nicht, wir fürchten aber die IG! Damit hat er nicht die IG an sich gemeint, sondern wahrscheinlich die IG als Sammelbegriff für leistungsfähige deutsche Industrie. Gedenkt man auch in Zukunft unter diesem Motto zu arbeiten, dann sehen wir allerdings schwarz für die Zukunftschancen Europas.
Zusammenfassend möchte ich nur eines sagen: Die Westmächte haben in den Verhandlungen, die im Augenblick laufen, die Zeit und die Möglichkeit, die Voraussetzungen und das Fundament zu schaffen, auf dem dann eines Tages nach Vollendung der Arbeit eine solche Verfassung als abschließendes Dach errichtet werden kann.
Das Wort hat zu einem Schlußwort Herr Abgeordneter Becker.
Dr. Becker (FDP), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Sie werden nicht erwarten, daß ich in diesem Schlußwort auf Herrn Renners Ausführungen eingehe. Im übrigen darf ich bemerken: die Diskussion litt zum Teil darunter, daß die Diskussionsreden oder auch -schreiben vorbereitet waren, ehe ich gesprochen habe;
denn wenn die Damen und Herren — ich meine nicht alle, sondern einige — meine Ausführungen abgewartet hätten, hätten sie manche Frage überhaupt nicht gestellt.
Herr Kollege Etzel z. B. hat gefragt, mit wem denn die Föderation abgeschlossen werden solle: Mit jedem europäischen Staat, der will. Ferner haben Sie gefragt, wie wir uns die Sache dächten. Ich habe auch das ausgeführt. Ich habe gesagt: wenn Sie eine Verfassung für Gesamtdeutschland schaffen wollen, dann wählen Sie eine verfassunggebende Versammlung, und wenn Sie eine Verfassung für Gesamteuropa schaffen wollen, dann wählen Sie eine konstituierende Versammlung für Europa. Da Sie nun aber für Europa im Europarat schon Delegierte haben, brauchen Sie diese Delegierten nur zu ermächtigen, eine solche Verfassung auszuarbeiten, die dann vorbehaltlich der Zustimmung der Parlamente wirksam würde.
Der Unterschied zwischen den papierenen Verfassungen, von denen Herr Kollege Mommer sprach, und dem, was hier vorgesehen ist oder für die Zukunft erwartet wird, ist folgendes: das eine sind Arbeiten noch nicht legitimierter Persönlichkeiten; das andere, was kommen soll, ist eben gerade eine Verfassung, die von Personen geschaffen werden sell, welche für Deutschland heute hier legitimiert werden, und wir hoffen, daß die anderen Staaten ihre Vertreter in ähnlicher Weise legitimieren. Kommt das nicht zustande, dann geht es natürlich nicht voran. Aber einer muß den Anfang machen, und ich glaube, daß wir es bei den Wünschen, die in Deutschland gehegt werden, insbesondere unserer Jugend schuldig sind, nun einmal einen Schritt voranzutun.
Unsere verehrte Kollegin Frau Wessel, die im Parlamentarischen Rat zusammen mit uns die Verfassung für diese unsere Bundesrepublik geschaffen hat, hat sich skeptisch geäußert und, wenn ich sie recht verstanden habe, gemeint, man könne nicht ,nur mit einem Teil Europas beginnen, sondern man müsse gleich das Ganze verlangen. Das ist vollkommen unrealistisch und widerspricht dem, was wir hier in der Bundesrepublik Deutschland gemacht haben. Wir haben auch zunächst die Einigung da geschaffen, wo sie zu schaffen war. Aber das alles habe ich in meiner Begründung schon gesagt.
Das Interessanteste aber war mir, daß wir an den Ausführungen von Herrn Kollegen Mommer, der im übrigen den Gedanken der europäischen Einigung so etwas mit Ironie, so etwas von oben herab behandelt hat, doch wieder nur, wie immer, die gleiche Feststellung treffen mußten. Über die ganze Rede von Herrn Kollegen Mommer können wir das eine Zitat setzen: Ihr sprecht vergebens viel, um zu versagen, der andre hört von allem nur das Nein! Immer dasselbe Nein, nein, Nein, nein, das dem deutschen Volke allmählich zum Halse heraushängt!
Damit ist die Besprechung geschlossen. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP auf Drucksache Nr. 2790. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Paßwesen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Nr. 2797 der Drucksachen)
;
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Blank (Oberhausen), Dr. von Campe, Dr. Seelos und Genossen betreffend Ausstellung von deutschen Reisepässen (Nrn. 2735, 2226 der Drucksachen);
c) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Visenzwang ;
d) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Einreise- und Ausreisekartei ;
e) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Schwarze Listen ;
f) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Abschaffung der Visen im gegenseitigen Reiseverkehr .
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Besprechungszeit von insgesamt 90 Minuten und eine Begründungszeit für die verschiedenen Interpellationen von insgesamt 15 Minuten vor.
Ich bitte zunächst den Herrn Abgeordneten Hoppe zur Berichterstattung zu Punkt 4 a. — Meine Damen und Herren, Sie erleichtern uns die Geschäftsführung insgesamt, wenn Sie etwas ruhiger sind und wenn Sie der Mahnung des Herrn Abgeordneten Dr. Becker folgen, uns möglichst nicht mit Vorlesungen zu versorgen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 164. Sitzung des Deutschen Bundestages hat der Herr Bundesminister des Innern einen Gesetzentwurf zur Regelung des Paßwesens eingebracht mit der Begründung, daß ein solches Gesetz notwendig sei, weil die Besatzungsmächte Paßausstellung und Paßkontrolle in die Hände des deutschen Volkes übergeben hätten, zum anderen aber auch, weil das veränderte
staatsrechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern einige maßgebliche Vorschriften über die Versagung oder Entziehung eines Passes und andere Bestimmungen notwendig mache. Ferner sollten Strafbestimmungen und Gebühren übernommen werden. Dieser vom Bundesminister des Innern eingebrachte Gesetzentwurf wurde durch Beschluß des Deutschen Bundestages dem Ausschuß für innere Verwaltung zur Beratung überwiesen. Der Ausschuß hat in seinen Sitzungen vom 18. und 26. Oktober dieses Jahres zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und in eingehenden Beratungen eine Reihe von Veränderungen an dem Entwurf vorgenommen.
In der Grundsatzdebatte wurde von allen Mitgliedern des Ausschusses dem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß in dem Gesetzentwurf der Sichtvermerkszwang eingeführt war, zum anderen aber auch darüber, daß die Besatzungsmächte sich in § 7 Abs. 2 b) das Vorbehaltsrecht eingeräumt hatten, daß auf ihren Einspruch hin eine Paßausstellung versagt werden kann. Die Mitglieder des Ausschusses erblickten darin eine Bevormundung des deutschen Volkes, insbesondere im Hinblick auf die von den Alliierten geführten sogenannten Schwarzen Listen. Sie waren der Auffassung, daß ein solches Recht der Alliierten eine Einschränkung unserer Souveränität bedeute, die sich mit einer gleichberechtigten Partnerschaft nicht vereinbaren lasse. Es wurde einmütig die Forderung erhoben, die Regierung erneut zu ersuchen, bei den alliierten Besatzungsmächten vorstellig zu werden und sie zu veranlassen, von der Führung dieser Schwarzen Listen Abstand zu nehmen.
Bezüglich der Einführung des Sichtvermerkzwanges für Deutsche, die auch vom Bundesrat abgelehnt worden war, hatte der Industrie- und Handelstag in einer Eingabe vom 17. Oktober dieses Jahres gebeten, diesen Sichtvermerkzwang abzulehnen. Auch der Ausschuß war einmütig für Streichung des Sichtvermerkzwanges aus dem Gesetz.
In der weiteren Debatte wurde von den Vertretern des Landes Berlin vorgeschlagen, in das Gesetz die Bestimmung einzubauen, daß das Gesetz auch für das Land Berlin Geltung hat, und überall dort, wo in dem Gesetz die Umgrenzung des Gebiets vorgenommen wird, zu bestimmen, daß die Bestimmungen auch für das Land Berlin gelten.
In Verfolg dieser Aussprache hat der Ausschuß in der Einzelberatung beschlossen, dem Bundestag die Annahme des Gesetzes mit folgenden Änderungen zu empfehlen.
In der Überschrift soll es bei dem einfachen Wort „Gesetz" — anstatt des Wortes „Bundesgesetz" — sein Bewenden haben.
Hinsichtlich der Präambel war der Ausschuß der Auffassung, daß die Formulierung „mit Zustimmung des Bundesrates" überflüssig ist. Er empfiehlt Ihnen die einfache Formulierung: „Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:".
Den § 1 empfiehlt der Ausschuß in folgender Fassung anzunehmen:
Ausländer, die in das Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes
— nicht, wie im Gesetzentwurf vorgesehen war, in das Bundesgebiet —
einreisen oder dieses Gebiet verlassen, und
Deutsche, die dieses Gebiet über eine Auslandsgrenze verlassen oder betreten, sind verpflichtet, sich durch einen Paß über ihre Person auszuweisen.
Der Abs. 2, der den Sichtvermerk regelt, soll gestrichen werden, desgleichen Abs. 3.
In § 2 soll genau wie in § 1 an Stelle der Worte
Bundesgebiet" eingesetzt werden: „im Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes ".
Zu § 3 empfiehlt Ihnen der Ausschuß, einen Abs. 1 a einzufügen, nach dem der Bundesminister des Innern durch Rechtsverordnung anordnen kann, daß Ausländer zum Betreten oder Verlassen des Gebietes des Geltungsbereiches des Grundgesetzes eines Sichtvermerkes der zuständigen Behörde bedürfen.
In § 4 schlägt der Ausschuß vor, die Worte „verfassungsmäßige demokratische Ordnung" durch die Worte „freiheitliche demokratische Grundordnung" zu ersetzen.
In § 5 soll hinter den Worten „Ausweisen als Pässen gestatten und" das Wort „gegebenenfalls" eingefügt werden.
Zu § 7 empfiehlt der Ausschuß, Abs. 2 b) des Regierungsentwurfs zu streichen und unter diesem Buchstaben folgende Bestimmung einzufügen:
bei unverheirateten Minderjährigen nicht die
Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur
Ausstellung des Passes beigebracht wird;
Am Anfang von Abs. 2 c) soll es „bei Auswanderung von Mädchen" heißen.
In Abs. 3 von § '7 sollen die Worte „des Geltungsbereiches des Grundgesetzes " eingefügt werden. Der Abs. 3 soll jetzt lauten:
Ein Paß zur Rückkehr in das Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes darf außer in den Fällen des Absatzes 2 Buchstabe a) nicht versagt werden.
Zu § 8 empfiehlt der Ausschuß, an Stelle der Worte „gerechtfertigt hätten" die Worte „rechtfertigen würden" zu setzen.
In § 9 Abs. 2 a) soll wieder die Formulierung „aus dem Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes " eingesetzt werden.
Der Abs. 2 d) soll jetzt lauten:
wenn der Sichtvermerksbewerber für seinen Aufenthalt im Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes oder einem deutschen Lande einer besonderen Aufenthaltserlaubnis bedarf, nicht im Besitz dieser Genehmigung der zuständigen deutschen Behörde ist;
In Abs. 2 e) aa) und bb) ist wiederum die Formulierung „Gebiet des Geltungsbereiches des Grundgesetzes " einzusetzen.
Der § 11 Abs. 1 Ziffer 1 soll jetzt lauten:
den Vorschriften der §§ 1 oder 2 oder den auf Grund des § 3 Absatz 1 oder 2 erlassenen Rechtsverordnungen zuwiderhandelt;
In § 12 soll Abs. 1 Ziffer 1 jetzt lauten:
als Deutscher eine Auslandsgrenze des Gebietes des Geltungsbereiches des Grundgesetzes oder als Ausländer die Grenze dieses Gebietes
an anderen Stellen als den zugelassenen Grenzübergängen oder außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden überschreitet;
Hinter § 13 soll entsprechend den Wünschen des Beauftragten des Landes Berlin ein § 13 a eingefügt werden, der lauten soll:
Dieses Gesetz sowie die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen und zu erlassenden Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften gelten auch im Land Berlin, wenn es gemäß Artikel 87 Absatz 2 seiner Verfassung die Anwendung dieses Gesetzes beschlossen hat.
In § 14 soll es heißen:
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
In Abs. 2 von § 14 sollen die Buchstaben von a) bis g) fortlaufend gezählt werden und ein weiterer Buchstabe h) mit folgendem Wortlaut eingefügt werden:
der Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über den Paß- und Sichtvermerkszwang sowie über den Ausweiszwang vom 20. Juli 1940
Ich habe von dem Ausschuß den Auftrag, Ihnen die Annahme der veränderten Fassung des Gesetzes, so wie sie Ihnen in Drucksache Nr. 2797 vorliegt, zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich darf dem Herrn Berichterstatter für die Zukunft folgendes vorschlagen. Ich glaube, Sie dürfen es wagen, zu unterstellen, daß die Mitglieder des Hauses die Texte der Drucksachen gelesen haben. Wir können uns die Arbeit etwas vereinfachen, indem wir uns das nochmalige Verlesen sparen.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt die zweite Beratung des Gesetzentwurfes über das Paßwesen vornehmen, dann die Berichterstattung zu Punkt 4 b), betreffend Ausstellung von deutschen Reisepässen, anschließend die Begründung der Interpellationen und die Beantwortung der Interpellationen und daß wir die allgemeine Besprechung in der dritten Beratung dieses Gesetzentwurfs mit der Beratung der Interpellationen und des Punktes 4 b) verbinden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist offenbar der Fall.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Paul.
Meine Damen und Herren! Ein Paßgesetz gehört zu den Fakten der Souveränität eines Staates. Aber niemand in diesem Hause wird behaupten, daß das deutsche Volk bereits über einen deutschen Staat und über seine vollen Souveränitätsrechte verfüge. Der westdeutsche Staat ist nicht aus dem Willen des Volkes heraus entstanden.
Herr Abgeordneter Paul, darf ich einmal unterbrechen. Wir sind nicht in der allgemeinen Besprechung der dritten Beratung.
Nein, das gehört zu § 1, Herr Präsident.
Bitte schön!
Er ist vielmehr auf Grund der Londoner Empfehlungen entstanden.
Selbst der Herr Carlo Schmid hat schon mehrfach den westdeutschen Staat ein staatsähnliches Gebilde genannt.
In § 1 wird aber die Frage des Paßwesens für die Deutschen geregelt. Wir sind der Meinung, daß das Paßwesen eben zu jenen Obliegenheiten eines einheitlichen Deutschlands und der kommenden deutschen Regierung gehört. Wir halten es nicht für zweckmäßig, ein solches Paßgesetz zu behandeln und zu verabschieden. Wir wünschen die ganze Angelegenheit bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, die doch die meisten Deutschen sehnlichst herbeiwünschen, zurückzustellen, damit dann für ganz Deutschland ein einheitliches Paßgesetz geschaffen werden kann, welches den demokratischen Rechten aller Bürger Deutschlands gerecht wird. Infolgedessen schlagen wir vor, zu erwägen, das Gesetz überhaupt zurückzustellen. Dieses Gesetz würde nämlich wie schon manche Gesetze auf anderen Gebieten die Spaltung Deutschlands vertiefen und nicht dazu beitragen, ein einheitliches Recht für alle Deutschen in Deutschland zu schaffen. Ich möchte Sie bitten, dieser Anregung zu entsprechen.
Ich kann Ihre Ausführungen nur so verstehen, daß Sie eine Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung beantragen. Ist das der Fall?
— Offenbar. Ich lasse über den Antrag der Kommunistischen Partei, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, abstimmen. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Außer den Antragstellern ist niemand dafür. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 1, da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Paragraphen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses; der Paragraph ist angenommen.
Ich rufe § 2 und § 3 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Auch das ist die Mehrheit des Hauses; beide Paragraphen sind angenommen.
Zu § 4 hat die kommunistische Fraktion Streichung beantragt. Wer wünscht den Antrag zu begründen? — Herr Abgeordneter Paul!
Darf ich vorschlagen, den § 8 gleichzeitig mit zu begründen, Herr Paul; den wollen Sie ebenfalls streichen. In § 7 wünschen Sie den Abs. 1 a) zu streichen. Ich rufe also auf §§ 4, - 5, — 6, — 7, — und 8.
— Herr Abgeordneter Huth, der Ausspruch „Quatsch" ist nicht parlamentarisch; ich weise ihn zurück.
— Es geht auch nicht um Sie, Herr Abgeordneter Paul, sondern um die Würde des Hauses!
Das vorliegende Paßgesetz unterscheidet sich wesentlich von dem Paßgesetz der Weimarer Zeit. In diesem Paßgesetz ist in § 4 gesagt:
Die Bundesregierung kann, wenn die
öffentliche Sicherheit oder die verfassungsmäßige demokratische Ordnung gefährdet ist, Einzelweisungen über die Sperrung der Ein-und Ausreise sowie über die Ausstellung von Pässen und Sichtvermerken erteilen.
In § 7 wird es noch deutlicher. Dort heißt es:
Der Paß ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß
a) der Antragsteller als Inhaber eines Passes die innere oder die äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland oder eines deutschen Landes gefährdet.
Meine Damen und Herren, im Grundgesetz wurde festgelegt, daß alle Deutschen vor dem Gesetz gleich sind und daß es nicht zweierlei Recht im westdeutschen Staat gibt. Aber durch diese Paragraphen und ihre Formulierung will man von vornherein eine große Menge deutscher Menschen von dem Recht auf Ausstellung eines Reisepasses ausschalten. Man will der Bundesregierung die Generalvollmacht geben, nach Belieben alle Leute, die ihr oder einer Polizeistelle nicht passen, einfach von der Ausstellung eines Reisepasses auszuschließen. Wer wagt da noch, die Behauptung auszusprechen, daß die Rechte, die den Bürgern im Grundgesetz gegeben worden sind, geachtet werden? In diesen Paragraphen werden für eine ganz große Menge deutscher Menschen Sonderrechte, Ausnahmerechte geschaffen. Wir sind der Meinung, daß diese Paragraphen untragbar sind. Man darf niemals einer Regierung Generalvollmachten geben, x-beliebigen Bürgern, die an der Politik der Regierung Kritik üben, einfach einen Paß zu verweigern.
Sie berufen sich so oft auf die sogenannten demokratischen Grundrechte, auf die Freiheit der Persönlichkeit; wenigstens tut das die Mehrheit dieses Hauses. Aber diese Formulierungen im Gesetz sind mit jenen Redensarten, die Sie sehr oft machen, nicht in Einklang zu bringen. Sie wollen allen Menschen, die nicht für die Spaltung Deutschlands sind, sondern die Wiedervereinigung Deutschlands wünschen, die die Gespräche zwischen Ost und West vertiefen wollen, die mit allen Völkern in Frieden leben wollen, offensichtlich durch diese Bestimmungen die Reisepässe verweigern.
Die Menschen draußen im Lande würden für die Annahme solcher Paragraphen keineswegs Verständnis aufbringen. Sie würden im Gegenteil bei Annahme eines solchen Gesetzes nur erkennen, mit welcher demokratischen Grundordnung wir es im westdeutschen Staat zu tun haben.
Demgegenüber will man aber Leuten, die sich als Kriegsverbrecher betätigen, aller Wahrscheinlichkeit nach die Pässe geben. Das geschah bisher schon unter der Oberhoheit der Besatzungsmächte. Ein Herr Papen und ein Herr Schacht erhielten Reisepässe nach Indonesien und nach der Türkei und konnten ungehindert dorthin fahren, während man deutschen Menschen die Pässe zum Besuch ihrer Angehörigen oder ihrer Freunde in anderen Ländern verweigern will.
Ich möchte Sie im Interesse der demokratischen Grundrechte, die Sie selbst im Grundgesetz mit verankert haben,
ersuchen, diese Paragraphen gemäß unserem An- trag zu streichen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Antrag der Fraktion der KPD betreffend §§ 4 und 8 ist nichts anderes, als daß Sie in Aussicht stellen, daß Sie diese Paragraphen ablehnen würden.
Ich komme zur Abstimmung über § 4. — Ich bitte die Damen und Herren, die für § 4 sind, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. — Damit ist der Antrag der KPD insofern erledigt.
Ich bitte die Damen und Herren, die für § 5 und § 6 sind, eine Hand zu erheben. — Das ist ebenfalls die Mehrheit des Hauses.
Zu § 7 wünscht die Fraktion der KPD, den Abs. 1 a) zu streichen. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Streichung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist außer den Antragstellern niemand. — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die für § '7 in der Ausschußfassung sind, eine Hand zu erheben. — Das ist ebenfalls die Mehrheit.
Ich bitte die Damen und Herren, die für § 8 sind, eine Hand zu erheben. — Das ist ebenfalls die Mehrheit des Hauses.
Damit sind die kommunistischen Anträge erledigt.
Ich rufe auf § 9, — § 10, — § 11, — § 12, —§ 13, — § 13 a, — § 14, - Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses.
Damit sind diese Paragraphen angenommen. Die zweite Beratung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich bitte zunächst Herrn Abgeordneten Gleisner als Berichterstatter über den Antrag Drucksachen Nr. 2735 und Nr. 2226.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 2226 der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Blank und Genossen betreffend Schwarze Listen für die Ausstellung von deutschen Reisepässen wurde im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung behandelt. Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung war einmütig der Auffassung, daß die Schwarzen Listen mit der gleichberechtigten Partnerschaft der Bundesrepublik nicht zu vereinbaren sind. Der Bundesrat stellte sich ebenfalls auf diesen Standpunkt und sah es nicht als die Aufgabe der deutschen Gesetzgebung an, solche Vorbehalte der Besatzungsmächte gesetzlich festzulegen. Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung kam daher zu dem Ihnen vorliegenden Beschluß und bittet Sie, diesen anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Darf ich zunächst bitten, die vier Interpellationen der Fraktion der SPD zu begründen. Wer wird das tun? — Ich bitte Herrn Abgeordneten Dr. Mommer!
Dr. Mommer , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eben versucht, europäische Verfassungen zu machen, und jetzt wollen wir einmal versuchen, kleine europäische Nägel, aber dafür mit Köpfen zu machen.
In der. 119. Sitzung des Bundestages hat die SPD den Antrag eingereicht, daß sich die Bundesregierung an die europäischen Staaten mit dem Angebot wendet, den Visumzwang im gegenseitigen Reiseverkehr aufzuheben. Der Visumzwang soll möglichst für alle beseitigt werden. Wenn es sich in einzelnen Fällen als schwierig erweisen sollte, dieses Gesamtziel zu erreichen, dann sollte im Interesse der deutschen Jugend, die dies gebieterisch verlangt, versucht werden, zu bewirken, daß wenigstens für Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren der Visumzwang aufgehoben wird.
Diese Forderung meiner Fraktion ist inzwischen Allgemeingut in Deutschland geworden und sie bleibt .auf der Tagesordnung der Politik. Vorher ist sie nur nicht so konkretisiert worden, wie wir es getan haben.
— Herr Kollege, es ist immer die Frage, wie man es anfaßt. Das gilt für all diese europäischen Dinge. Durch unseren Antrag ist dieser Gedanke in die richtige Bahn gekommen, und es besteht nunmehr die Möglichkeit — und die nutzen wir aus —, die Sache von allen Seiten anzufassen.
Wenn ich mit Kollegen im Europarat spreche, dann benutze ich jede Gelegenheit, um sie zu fragen: „Wir reden so viel über Europa! Wie steht es nun mit so kleinen Dingen wie mit diesem Angebot der Deutschen Bundesregierung?" Nur mit dieser Methode können wir weiterkommen.
Die Interpellation, die meine Fraktion heute einbringt, hat zum Zweck, diese Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen und dem deutschen Volke mitzuteilen, was man insbesondere in den europabegeisterten Ländern über dieses bescheidene Angebot gesagt hat. Wir wollen wissen, ob der Beschluß des Bundestages ausgeführt worden ist. Wir wollen wissen, welche Staaten und wie sie geantwortet haben. Wir möchten insbesondere wissen, wie man in Paris reagiert hat. In Paris ist man sehr europabegeistert — angeblich — und entwickelt eine sehr große Aktivität. Man ist dort bemüht, auch deutschen jungen Mensch en wieder eine europäische Uniform anzuziehen. Es interessiert uns, was die französische Republik zu unserer Forderung nach Aufhebung des Visumzwangs zwischen den beiden Ländern im allgemeinen und für Jugendliche im besonderen gesagt hat. Wir wollen weiter wissen, welche Schritte die Bundesregierung auf den anderen möglichen Aktionsfeldern bei der OEEC und im Ministerrat des Europarats getan hat. Wir verfolgen mit dieser Interpellation den Zweck, diese Fragen immer wieder aufzurühren und die anderen zu zwingen, zu ihren Worten zu stehen. Paul Henry Spaak, der Präsident der Europäischen Beratenden Versammlung, hat kürzlich einmal gesagt, man müsse in der Politik den Mut zu den Konsequenzen von dem haben, was man will. Wenn man Europa angeblich will, dann muß man auch so kleine Konsequenzen wollen wie die, die hier gefordert werden.
Ich darf dann weiter zu der Drucksache Nr. 2648 Stellung nehmen und die Interpellation begründen.
Die Visen sind eine Schikane, die sich einige europäische Völker noch gegenseitig auferlegen. Die Einreise- und Ausreisekartei ist eine Besatzungsschikane; sie ist uns Deutschen einseitig auferlegt und besteht darin, daß in ziemlich diskreter Weise bei jedem Grenzübertritt, gleichviel welcher Staatsangehörigkeit der Reisende ist, eine kleine Karte mit den Personalien des Reisenden ausgefüllt wird. Diese Karteikarte wandert dann in eine Zentralkartei des Combined Travel Board in Salzuflen. Von dort aus werden dann alleStaatsbürger in ihren Bewegungen über die Grenze hinweg überwacht. Natürlich nur die harmlosen Staatsbürger; denn die Harmlosen gehen auf diese Art über die Grenze. Wenn jemand etwa ein Agent einer fremden Macht ist, dann hat er es nicht nötig, sich dieser Kontrolle zu unterwerfen. Er verfügt über falsche Pässe, die echter aussehen als die echten; somit entgeht er dieser Polizeikontrolle. Wie ich gehört habe, wird sie nicht immer sehr streng gehandhabt. Bei einer Kontrolle an der Schweizer Grenze stellte sich heraus, daß auf der deutschen Seite — ich glaube - ein Fünftel weniger registiert waren als auf der Schweizer Seite einmal probehalber registriert worden waren. Unsere deutschen Beamten scheinen sehr viel gesunden Menschenverstand mitzubringen und, wenn sie wichtigere andere Arbeit haben, die Karteikarten etwas zu vernachlässigen. Für die Millionen-Kartei, die in Salzuflen geführt wird, ist natürlich sehr viel Personal notwendig; es soll in die Hunderte gehen. Wir werden in Beantwortung unserer Frage vom Herrn Innenminister hoffentlich Genaueres darüber hören. Auch hört man, daß wegen dieser unwirksamen und kleinlichen Polizeischikanen, die uns Deutschen allein reserviert sind, ein Fünftel mehr Kontrollbeamte an den Grenzübergangsstellen stehen, als früher dort gestanden haben.
Ich darf zur nächsten Interpellation kommen, das ist die Drucksache Nr. 2647, die Visum-Frage für Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Es geht um folgenden Sachverhalt.
Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika reisen in alle westeuropäischen Länder ein, ohne ein Einreisevisum zu haben, und zwar ist das der einzige Fall; in dem diese Länder, wegen der sehr begehrten Dollars natürlich, den Visumzwang einseitig aufgehoben haben. Zur Einreise nach Deutschland brauchen die amerikanischen Staatsbürger ein Visum. Als ich kürzlich einmal in einer Unterredung mit dem Herrn Innenminister darauf zu sprechen kam, war er der Meinung, daß man natürlich im Interesse unserer Devisenbilanz in Deutschland nicht anders verfahren könne als in den anderen westeuropäischen Staaten, also auch wir den Visumzwang für die amerikanischen Staatsbürger abschaffen sollten, und zwar in diesem Falle ohne Gegenseitigkeit. Es handelt sich um eine wichtige ökonomische Frage. In einem jüngsten OEEC-Bericht heißt es, daß 1949 der Touristenverkehr aus dem Dollargebiet 286 Millionen Dollar nach Europa brachte; das waren fast 25 % des Exportwertes der europäischen Staaten nach dem Dollarraum. Dieser Touristenverkehr hat steigende Tendenz, so daß diese Dollareinkünfte für die Devisen-, für die Dollarbilanz der europäischen Länder immer bedeutender werden. Deutschland ist in diesem Devisengeschäft sicher schon von vornherein be- nachteiligt. Es gibt natürliche psychologische Hemmungen. Unser Fremdenverkehrsgewerbe dürfte durch die Kriegseinwirkung nicht auf der Höhe sein, auf der es in anderen Ländern ist. Dazu kommt dann die Erschwernis, daß nur zur Einreise nach Deutschland ein Visum erforderlich ist. Es ist sicher, daß dadurch sehr viele amerikanische Besucher von Deutschland abgehalten werden. Nach
dem, was ich gehört habe, sollen die Amerikaner diese Anregung abgelehnt haben; bei der Hohen Kommission soll man sehr sauer auf den Vorschlag reagiert haben, daß wir den Staatsbürgern ihres Landes die freie Einreise nach Deutschland ermöglichen möchten. Und da fängt die Sache an, sehr politisch zu werden. Dann haben wir das Faktum, daß den Bürgern der Vereinigten Staaten durch die Militärbürokratie der Vereinigten Staaten in Deutschland ihre Rechte ein wenig beschnitten werden. Wir möchten alles tun, was wir können, damit ein freier Verkehr der Personen statthaben kann. Die Bürokratie dort möchte mit polizeistaatlichen Mitteln den eigenen Staatsbürgern diese Freiheit verwehren. Wir bitten in unserer Interpellation die Regierung um Auskunft darüber, wie es sich mit diesen Dingen ganz genau verhält. Ich darf dann zu der letzen Interpellation, der Drucksache Nr. 2649 übergehen, die sich auf die Schwarzen Listen bezieht. Auch, hier ist es nötig, daß wir In- und Ausländer gegen polizeistaatliche Methoden in Schutz nehmen. Als die Paßhoheit am 1. Februar 1951 in deutsche Hände zurückkam, wurde uns die Auflage der geheimen Listen gemacht. Die Alliierten überreichten den deutschen Stellen fertige Listen mit Namen von Personen, denen, soweit sie Deutsche sind, keine Pässe ausgehändigt werden dürfen, soweit sie Ausländer sind, kein Visum für die Einreise nach Deutschland gewährt werden darf. In der Schwärze dieser Listen gibt es verschiedene Grade von A bis D. Die einen sind nur grauschwarz, die andern sind sehr schwarz. Bei den Kategorien A und B gibt es gelegentlich noch Möglichkeiten, nach Rückfrage doch den Paß zu erhalten bzw. das Visum erteilt zu bekommen. Für diejenigen, die in C und D eingereiht worden sind, ist die Sache hoffnungslos. Mehrere tausend Namen sollen auf diesen Listen stehen. Die Besatzungsbehörden haben keinerlei Auskunftspflicht gegenüber den deutschen Behörden. Man weiß nicht, wie der eine auf die Liste kommt, und natürlich weiß man auch nicht, wie der andere dazu kommt, nicht auf ihr zu sein.
Es wird dabei auch die Verantwortung verschoben. Ich habe schon eine Reihe von Fällen zu behandeln gehabt, in denen deutsche Staatsbürger auf die deutsche Verwaltung sehr wütend waren und sie wegen ihres Bürokratismus, wegen ihres hochmütigen Gehabens heftig beschimpften. In Wirklichkeit mußten die armen deutschen Behörden nur die Befehle ausführen, die ohne Begründung vom Combined Travel Board an sie gegeben werden!
Nun eine Frage: wer steht auf diesen Listen? Auf den Listen stehen Personen, die in bestimmte Kategorien eingereiht worden sind. Da stehen z. B. die Entnazifizierten der Gruppen I und II, frühere Angehörige der Abwehr; da stehen alle die, die in den Oststaaten Europas geboren sind. Dann stehen anscheinend antidemokratische Elemente darauf; aber man findet immer wieder Fälle, in denen man sich fragt,. wie ist es möglich, daß der Betreffende auf die schwarze Liste kommt. Ich hatte selbst den Fall eines jungen Sozialdemokraten, der in einer mittleren deutschen Stadt bei der Polizei die Paßstelle leitet und selbst die Pässe ausgibt. Nun wollte der junge Mann eine Reise nach England machen und beantragte einen Paß. Er erlebte das Wunder, daß er selbst auf der schwarzen Liste stand. Es hat monatelanger Schreibereien und wiederholter Schritte bedurft, um ihn von dieser Liste wieder herunterzubringen. In diesem Falle ist es gelungen, in anderen Fällen gelingt es nicht.
Das Schlimme dabei ist, daß die drei Besatzungsmächte gewisse menschliche Schwächen und Fehler, die allgemein sind, addieren. Es genügt, daß eine Besatzungsmacht findet, daß der Mann X auf die Schwarze Liste kommen soll, nun, dann kommt er drauf. So habe ich einen andern Fall von jemand behandelt, der in einer bestimmten Besatzungszone bis zum Februar dieses Jahres immer einen Paß bekam und der des öfteren Auslandsreisen gemacht hat. Jetzt ging die Paßhoheit in deutsche Hände über, und plötzlich bekam er keinen Paß mehr. Er dachte: das sind diese verdammten deutschen Behörden — Entschuldigung! —, die ihm jetzt den Paß verweigern. Als man der Sache nachging, fand man: Nein, es war eine andere Besatzungsmacht, der er nicht genehm war, und die hat veranlaßt, daß er auf die schwarze Liste kam. Es handelt sich immer um dunkles, echt polizeistaatliches Verfahren: ohne Wissen kommt man auf die Liste, ohne Gründe wird der Paß verweigert, es gibt kein ordentliches Verfahren.
Es scheint so — und darauf bezieht sich unsere Frage Nr. 2 —, daß die Schwarzen Listen auch als ein Mittel zu unlauterem Wettbewerb benützt werden. Es, scheint so, daß dort Namen von Menschen stehen, die z. B. zu deutschen Industrieausstellungen kommen möchten und die für unseren Außenhandel von Bedeutung wären. Durch den Umstand, daß sie auf der Liste stehen und kein Visum erhalten, werden sie von Deutschland ferngehalten, und wir haben den Schaden zu tragen. Mir liegt ein Brief eines Amerikaners vor, der bei den Besatzungsbehörden gearbeitet hat und der, als er nach Amerika zurückkam, dort durch Einflußnahme auf Kongreßmitglieder erreicht hat, daß ein Betrieb, der auf der Demontageliste stand und wider alle Vernunft demontiert werden sollte, von der a Liste abgesetzt wurde. Es scheint, daß die Besatzungsbehörden den betreffenden Amerikaner aus Rache dann auf die Schwarze Liste gesetzt haben, und wenn er jetzt wieder versucht, nach Deutschland zu reisen, dann kann er es nicht.
Bekanntgeworden sind auch andere Fälle, so der Fall des Paters Reichenberger. Es gibt amerikanische Staatsbürger — es gibt deren sogar sehr viele - die die Besatzungspolitik, die hier getrieben worden ist, nicht für der Weisheit letzten Schluß halten, und es gibt einige, die das sehr laut in Deutschland zum Ausdruck gebracht haben, und diese Kritik ist den Amerikanern dann äußerst unerwünscht. Was macht man dann? Man reagiert polizeistaatlich, — man setzt sie auf die Schwarze Liste; und die Betreffenden können nicht mehr nach Deutschland kommen. So werden sie mundtot gemacht und so werden ihre Bürgerrechte beschnitten.
Ich habe dann eine sehr schwerwiegende Frage, Herr Innenminister, die nicht in unserer Interpellation steht, weil ich erst später angeregt wurde, diese Frage zu stellen. Mir wurde von ernsthafter Seite versichert, daß die Schwarzen Listen nicht nur Paß-und Visenlisten seien, sondern die Schwarzen Listen seien auch Verhaftungslisten für den Fall, nun, sagen wir, ernsthafter Komplikationen in Europa. Diese Frage bedarf der Aufklärung. Wenn das wahr wäre, dann wäre die Willkür, mit der hier vorgegangen wird, doppelt unverantwortlich. Denn viele der Menschen, die auf den Listen stehen, würden in jenem Falle x in äußerste Gefahr, in Lebensgefahr geraten. Es ist notwendig, das aufzuklären, und, wenn es zutrifft, mit um so größerer Energie gegen das System der Schwarzen Listen anzugehen. Wenn es zutrifft, dann wird hier
leichtfertig mit dem Leben von Menschen gespielt, so leichtfertig, wie es nur in einer Diktatur möglich ist. Wir müssen energisch dagegen protestieren und um so mehr verlangen, daß die deutschen Stellen bei der Aufstellung dieser Listen gefragt werden und daß die Listen überhaupt im Maße des Möglichen verschwinden.
Zur Beantwortung der Interpellationen hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Abgeordneten Vogel und Genossen ist bereits am 9. Mai gestellt worden. Er ist durch die Verhandlungen über die Aufhebung des Besatzungsstatuts, die inzwischen stattgefunden haben, an sich überholt. Ich habe seinerzeit bei der Einbringung des Paßgesetzes am 26. September vor Ihnen ausführlich über das Paßgesetz und auch über die Schwarzen Listen gesprochen und dabei zum Ausdruck gebracht, daß diese immer noch bestehenden Sperrlisten tatsächlich eine Einschränkung unserer Souveränität bedeuten, die auf die Dauer mit gleichberechtigter Partnerschaft nicht vereinbar ist. Aber, wie gesagt, die Verhandlungen über die Aufhebung des Besatzungsstatuts schweben gegenwärtig, und ich werde die in den verschiedenen Interpellationen gestellten Fragen gleich noch im einzelnen beantworten. Das, was ich eben ausgeführt habe, bezieht sich auf die Drucksachen Nrn. 2735 und 2226, den Antrag der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Blank, Dr. von Campe, Dr. Seelos und Genossen.
Ich komme zu der Drucksache Nr. 2647, der Interpellation der SPD betreffend Visenzwang. Zu der ersten Frage habe ich folgendes auszuführen. Der derzeitige Visumzwang für die Einreise in die Bundesrepublik ist nicht von der Bundesregierung eingeführt worden, sondern beruht auf einer alliierten Anordnung, deren Aufhebung bisher nicht erreicht werden konnte.
Zu der zweiten Frage gebe ich folgende Auskunft. Von Vertretern des Amtes des Hohen Kommissars der USA ist die deutsche Anregung, den deutschen Visumzwang zugunsten von USA-Bürgern aufzuheben, nicht gebilligt worden.
Ich komme zu der Interpellation auf Drucksache Nr. 2648. Zu dieser Interpellation der Fraktion der SPD habe ich folgendes auszuführen. Zu Nr. 1: Die Ausfüllung der Kontrollkarten bei der Ein-und Ausreise findet durch die mit der Paßnachschau beauftragten Beamten statt. Der dadurch erwachsene Mehrbedarf an Kontrollpersonal kann auf etwa 20 % der Kosten geschätzt werden. Wieviel Arbeitskräfte sonst für die Bearbeitung erforderlich sind, läßt sich nicht angeben, da diese Personen aus dem Besatzungshaushalt besoldet werden. Es handelt sich um eine Mehrinanspruchnahme von etwa 300 Arbeitskräften und, vorsichtig geschätzt, um eine Mehrausgabe von mindestens anderthalb Millionen.
Zu der zweiten Frage habe ich zu erklären: Die Bundesregierung hat gegen das Verfahren der Kontrollkarten mehrfach Vorstellungen erhoben. Diese Vorstellungen sind mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß das Verfahren im Interesse der Sicherheit der Besatzungsmächte notwendig sei und sich im übrigen in den Vereinigten Staaten und England unter polizeilichen Gesichtspunkten bewährt habe. Die Bundesregierung ist nach wie vor bemüht, zum mindesten eine Begrenzung dieser Kontrollmaßnahmen auf bestimmte Personenkreise und damit eine Einschränkung dieses kostspieligen Verwaltungsapparates zu erreichen. In erster Linie sind wir aber bemüht, die Aufhebung des gesamten Kontrollapparates herbeizuführen.
Ich komme zu der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Schwarze Listen auf Drucksache Nr. 2649. Dazu ist folgendes zu sagen. Zu 1: Deutsche Stellen haben keinen Einfluß auf die Aufstellung der Schwarzen Listen, und sie haben bisher auch keinerlei Einfluß nehmen können. Zu 2: Es ist wiederholt beobachtet worden, daß im Wirtschaftsleben, insbesondere im Exportgeschäft tätigen Personen auf Grund der Schwarzen Listen die Ausstellung von Reisedokumenten verweigert werden mußte. Zu 3: Die bisherigen Erfahrungen mit den Schwarzen Listen müssen als ungünstig bezeichnet werden. Durch die Verweigerung der Angabe von Gründen wird der demokratische Grundsatz, niemanden in seiner individuellen Freiheit ohne rechtliches Gehör zu beschränken, verletzt. Dies führt zu berechtigten Klagen der Betroffenen. Die gegenwärtige Handhabung erfordert zudem eine große Verwaltungsarbeit, da alliierte ui d deutsche Stellen in der gleichen Angelegenheit nebeneinander tätig werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang die Frage beantworten, die außerhalb der Interpellation an mich gerichtet worden ist, ob es sich bei diesen Listen nicht nur um Paßlisten und den Paßverkehr, sondern im gegebenen Fall auch um Verhaftungslisten handle. Diese Frage kann ich eindeutig verneinen; es handelt sich ausschließlich um Paßlisten.
Ich komme zu der letzten Interpellation, zu der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Abschaffung der Visen im gegenseitigen Reiseverkehr, Drucksache Nr. 2650. Dazu möchte ich folgendes bemerken. Zu 1: Der Beschluß des Bundestages ist ausgeführt. Wir sind an die Organisation for European Economic Cooperation der bekannten OEEC-Staaten mit der Anregung herangetreten, im Wege zweigleisiger Verhandlungen zu einer Abschaffung des Sichtvermerks zu gelangen.
Zweitens. Die Antworten, die wir seinerzeit bekommen haben, waren im wesentlichen abwartend. Dagegen hat kürzlich der Generalsekretär des Europarats zur Vorbereitung für die Sitzung, die am 15. dieses Monats in Straßburg begonnen hat, eine Sachverständigenkonferenz zur Vereinfachung der Pässe einberufen. Für diese Konferenz hat der Herr Generalsekretär einen Fragebogen herausgegeben, bei dessen Beantwortung die Regierungen sich im allgemeinen positiv geäußert haben. In der Sitzung des Sachverständigenausschusses in Straßburg vom 16. dieses Monats ist einstimmig der Beschluß gefaßt worden, dem Ministerrat grundsätzlich die Aufhebung des Sichtvermerkzwangs für alle Mitgliedstaaten des Europarats zu empfehlen. Als geeigneter Weg wird der Abschluß zweiseitiger Abkommen bezeichnet und dabei ausdrücklich hervorgehoben, daß die anwesenden Vertreter bei ihrem Beschluß insbesondere die Aufhebung des Sichvermerkzwangs im Verkehr mit Deutschland im Auge gehabt haben. Der Sachver-
ständigenausschuß hat bei Gelegenheit dieses Beschlusses die Bitte um tunlichst beschleunigte Behandlung der Angelegenheit durch die beteiligten Regierungen ausgesprochen. Angesichts dieser veränderten Sachlage besteht die Aussicht, daß die jetzt eingeleiteten diplomatischen Verhandlungen mit den einzelnen Mitgliedstaaten bald fortgesetzt und diesmal zu einem positiven Ergebnis geführt werden können, soweit nicht einige wenige Staaten auf Grund der bei ihnen gegebenen besonderen Verhältnisse gewisse Vorbehalte gegenüber einer sofortigen Verwirklichung des Grundsatzes der Aufhebung des Sichtvermerkzwangs noch glauben machen zu müssen.
Zum dritten Punkt. Mit der französischen Regierung sind Verhandlungen über einen Jugendpaß im Gange. Da die französische Regierung bislang glaubte, von der Beibehaltung des Sichtvermerkzwangs auch bei Jugendlichen bis zu 25 Jahren nicht absehen zu können, erscheinen nur kleinere Erleichterungen wie Gebührenerlaß und erleichterter Aufenthalt bis zu 3 Monaten erreichbar.
Zur vierten und fünften Frage. Die Bundesregierung hat sowohl die eben von mir erwähnte OEEC wie den Europarat über ihren Wunsch auf Abschaffung des Sichtvermerkzwangs und ihre dieserhalb bei den Mitgliedstaaten unternommenen Schritte unterrichtet. Der Europarat hat die weitere Behandlung aufgenommen. Über das Ergebnis habe ich Ihnen vorhin schon Mitteilung gemacht.
Damit sind die Interpellationen beantwortet.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes über das Paßwesen ein. Sie soll mit der Aussprache über die Interpellationen verbunden werden. Unter diesen Timständen brauche ich nicht erst die Frage zu stellen, ob eine Aussprache über die Interpellationen gewünscht wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Maier .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Ende des vergangenen Jahres bekannt wurde, daß die Alliierten die von ihnen seit der Besetzung ausgeübte Paßhoheit an die deutsche Bundesregierung mit Wirkung vom 1. Februar 1951 zurückgeben würden, war man geneigt, sich über ein neues Stückchen zurückgewonnener Souveränität zu freuen; das um so mehr, als die Hohen Kommissare auf ihre bis dahin erhobene Forderung der zentralen Paßausstellung durch eine Bundesbehörde verzichtet hatten. Die Freude wurde aber getrübt, als sich herausstellte, daß an die Übertragung der Paßhoheit Vorbehalte geknüpft waren, die nicht nur die deutsche Souveränität stark einschränkten, sondern darüber hinaus die Diskriminierung eines bestimmten Personenkreises offenkundig werden ließen. Zu dem Erbe, das die Bundesregierung aus der Hand des Combined Travel Board empfing, gehörte auch die Verpflichtung der Anerkennung der Schwarzen Listen, jener Kataloge mit den Namen von einigen Tausend Deutschen, von denen bei der Begründung der Interpellationen schon die Rede gewesen ist. Die Beachtung dieser Sperrlisten durch die deutschen Paßbehörden hat neben der Unannehmlichkeit für den deutschen Beamten, dem Antragsteller die Gründe für die Verweigerung eines Passes nicht angeben zu dürfen, die weitere, daß
durch dieses Kontrollsystem eine Verzögerung in der Paßausstellung von bis zu 10 Tagen eintritt, es sei denn, daß der Antragsteller die nicht geringen Kosten für telegraphische Rückfragen bei den Zentralstellen übernimmt.
Man hätte nun erwarten dürfen, daß die Bundesregierung, die, wie der Herr Bundesinnenminister soeben ausführte, Anstrengungen unternommen hat, bei den Alliierten darauf hinzuwirken, die Listen zu beseitigen, alles vermieden hätte, was den Eindruck erwecken konnte, daß deutsche Stellen die Auffassung der Alliierten teilten. Statt dessen hat der uns im Ausschuß zur Beratung vorliegende Entwurf eines Gesetzes über das Paßwesen auf Drucksache Nr. 2509 in seinem § 7 Abs. 2 Buchstabe b noch die Bestimmung enthalten, daß ein Paß zu versagen sei, wenn der Ausstellung des Passes von den Besatzungsmächten widersprochen wird. Hätten nicht der Bundesrat und der zuständige Ausschuß dieses Hohen Hauses diese Bestimmung gestrichen, dann würde Ihnen heute die Beschlußfassung über die Festlegung alliierten Rechtes in einem deutschen Gesetz obliegen.
Aber es blieb nicht bei diesem Schönheitsfehler im Regierungsentwurf. Im § 1 Abs. 2 des Entwurfs war verlangt, daß der Paß für Deutsche wie für Ausländer vor dem Grenzübertritt eines Sichtvermerkes bedürfe. Meines Wissens war die Einführung des Sichtvermerks für Deutsche eine nazistische Erfindung, die dazu diente, die Gestapo aktiv in das Paßwesen einzuschalten. Schon allein die Erinnerung an jene Zeit übelster politischer Schnüffelei hätte hier zur Vorsicht mahnen müssen. ganz abgesehen von dem stets betonten Willen zur Völkerverständigung, den man am besten praktiziert, wenn man es den Menschen erleichtert, zusammenzukommen, anstatt ihnen durch bürokratische Maßnahmen das Kontaktnehmen zu erschweren. Handelt es sich etwa hier auch um eine von alliierter Seite beeinflußte Bestimmung oder liegen etwa deutscherseits politische oder besondere polizeiliche Interessen vor, den Paßinhaber unter Kontrolle zu haben? Für die letzte Vermutung spräche die gleichfalls im Regierungsentwurf enthalten gewesene, vom Ausschuß beseitigte Strafbestimmung im § 11 Abs. 2, wonach Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahre demjenigen angedroht war, der eigenmächtig von den Reisezielen oder Reisewegen abweicht oder die Reisefristen überschreitet, die ihm in einer für das Überschreiten der Auslandsgrenze erforderlichen oder bestimmten Urkunde vorgeschrieben sind.
Man stelle sich diese Bestimmung in der Praxis vor. Ein deutscher Erholungsreisender gibt bei Einreichung seines Antrages auf Erteilung eines Visums dem Schweizer Konsulat als Zielstation seiner Reise Zürich an, ändert aber seinen Plan und nimmt Aufenthalt in Genf. Von dort benutzt er einen Ausflugsomnibus eines Reisebüros, um einen Besuch im französischen Chamonix zu machen. Nach der im Regierungsentwurf noch enthaltenen Vorschrift würde er sich in doppeltem Sinne strafbar gemacht haben und hätte, wenn er nach Deutschland zurückgekehrt war, zum mindesten eine ordentliche Geldbuße zu erwarten gehabt.
Neben der Gefahr der Bespitzelung, die eine solche Bestimmung in sich schlösse, wäre der entstehende Straftatbestand auch rechtlich eine Merkwürdigkeit. Das Abweichen von Reisezielen und
Reisewegen wäre eine Tat, die, im Ausland begangen, der Gerichtsbarkeit eben dieses Landes zu unterstellen, keinesfalls aber durch ein deutsches Gericht zu ahnden gewesen wäre.
Daß hingegen eine entsprechende Vorschrift für Ausländer in den § 11 Abs. 2 aufgenommen wurde, wobei als Ausländer alle Nichtdeutschen gelten, ist aus Gründen der inneren Sicherheit berechtigt. Wir haben alles Interesse daran, den Fremdenverkehr in der deutschen Bundesrepublik durch alle möglichen Erleichterungen bei der Einreise zu fördern, und haben deshalb auch einer Ermächtigung für die Länder zugestimmt, die ihnen gestattet, den kleinen Grenzverkehr gesondert zu regeln.
Wir würden es auch begrüßen, wenn zunächst alle an der europäischen Union interessierten Länder, wie es der Herr Bundesinnenminister schon anregte, auf den Sichtvermerks- und Visumzwang in Gegenseitigkeitsabkommen verzichteten. Wir müssen aber, solange das nicht geschehen ist, auch für den Bundesgesetzgeber das Recht in Anspruch nehmen, die Bundesrepublik gegen illegales Verhalten von Ausländern zu schützen.
In diesem Zusammenhang darf mit Genugtuung festgestellt werden, daß man sich im schwedischen Reichstag dafür einsetzte, mit der Bundesregierung Verhandlungen mit dem Ziele der Abschaffung des gegenseitigen Visumzwanges herbeizuführen. Andererseits mußten wir nach Pressemeldungen registrieren, daß der Bundesrat der Schweiz zu unserem Bedauern einem entsprechenden deutschen Verschlag gegenüber eine ablehnende Antwort erteilte.
Während der Ihnen heute zur Beschlußfassung vorliegende Ausschußbericht das Ergebnis von Bemühungen ist, die darauf abzielten, in der Regierungsvorlage enthaltene bürokratische Erschwernisse zu beseitigen, mußte andererseits eine im § 9 enthaltene Schutz- und Sicherungsbestimmung eine nicht unbedeutende Verschärfung erfahren. Anlaß dazu war die Mitteilung eines Regierungsvertreters über beobachtete starke Auswüchse im Hausierhandel durch Ausländer. Seit Monaten wurde beobachtet, daß namentlich in den westlichen Grenzgebieten der Bundesrepublik Stoffhändler meist italienischer Herkunft durch den illegalen Verkauf minderwertiger Anzug- und Kleiderstoffe ihr Unwesen trieben. Diese zugewanderten fliegenden Händler fanden bei ihrer Einreise nach Deutschland die Unterstützung von in der Bundesrepublik vorhandenen landsmännischen Organisationen. Durch das Angebot großer Mengen von betrügerisch als Importware gekennzeichneten minderwertigen Stoffen werden nicht nur die Käufer und der reguläre Handel geschädigt, sondern es gehen auch dem Fiskus viele Millionen an Steuern verloren. Anknüpfend an die fremdenpolizeilichen Vorschriften wurde deshalb in § 9 unter b) eine Sicherungsbestimmung gegen solche unerwünschten Elemente getroffen.
Wir stellen mit Genugtuung fest, daß das neue Gesetz eine Bestimmung enthält, wonach einem Deutschen ein Paß zur Rückkehr in das Gebiet des Geltungsbereichs des Grundgesetzes nicht verweigert werden kann.
Ebenso begrüßen wir, wie der Herr Berichterstatter schon ausführte, die Einfügung der Worte „" und die Aufnahme der nun bei deutschen Gesetzen üblichen Berlin-Klausel.
Wir schließen uns auch der im Ausschuß einmutig vertretenen Auffassung an, daß überall dort, wo im Gesetz von einer Auslandsgrenze die Rede ist, sich dieses nach deutschem Recht nie auf die östliche Saargrenze oder eine Zonengrenze beziehen kann.
Desgleichen findet die Vorschrift in § 12 unsere Zustimmung, wonach bei leichteren Paßvergehen das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. Juli 1949 in der Fassung vom 29. März 1950 bis zum Erlaß eines entsprechenden neuen Gesetzes Anwendung findet.
Wenn wir auch dem Paßgesetz in der Fassung der Ausschußvorlage unsere Zustimmung geben, so haben wir doch an seine Durchführung eine Reihe von Wünschen und Forderungen zu knüpfen, über die mein Parteifreund Mommer schon in der Begründung unserer Interpellationen teilweise gesprochen hat. Da bleibt, wie wir der Regierungsantwort entnehmen, der Wunsch nach einem Jugendpaß weiterhin offen.
Daß Verhandlungen zur Erzielung von Erleichterungen beim Grenzübertritt gerade mit Frankreich zu keinem positiven Ergebnis gekommen sind, befremdet uns um so mehr, als sowohl der französische Hohe Kommissar als auch Außenminister Schuman bei wiederholten Gelegenheiten in ihren Ansprachen sich dahin geäußert haben, daß zunächst und sofort mindestens der Jugend eine Gelegenheit gegeben werden müsse, ohne Paßerschwernisse über die Grenzen hinweg zusammenzukommen. Uns will scheinen, daß die Ablehnung eines Jugendpasses, der den friedlichen Gedankenaustausch fördern soll, schlecht zu der EuropaPropaganda paßt, die ganz besonders von Frankreich betrieben wird. Auf der anderen Seite aber läßt man Jugend frei die Grenze passieren, wenn es sich um den Eintritt in die Fremdenlegion handelt; und es ist auch kaum anzunehmen, daß deutsche Jungens etwa im Gewande eines PlevenPlan-Soldaten Paßschwierigkeiten bekommen, wenn sie über die Grenze geführt werden sollten.
Dann besteht das Ersuchen an die Bundesregierung weiter, den Angriff auf den Visumzwang energisch fortzusetzen. Die Abschaffung des Visumzwangs in allen Ländern des freien Europas war eine der von den Delegierten der Hamburger Europa-Konferenz vom September dieses Jahres einmütig erhobenen Forderungen. Teilziel solcher Verhandlungen müßte auch im Interesse des deutschen Fremdenverkehrs sein, die im Paßgesetz noch notwendig gewesenen Vorschriften über den Sichtvermerkzwang für Ausländer durch Gegenseitigkeitsabkommen überflüssig zu machen. Mit großer Befriedigung dürfen wir feststellen, daß die Bundesrepublik Österreich dabei mit gutem Beispiel vorangegangen ist, indem sie den deutschen Paßinhabern bei Erteilung eines gebührenfreien Permits, das in Gestalt eines Stempelabdrucks in den Reisepaß erteilt wird und dessen Erlangung nur eine Minute Zeit beansprucht, einen vierwöchigen Aufenthalt in den von den Westmächten besetzten Teilen des Landes gestattet.
Ernstestes Anliegen und deshalb immer neu zu erhebende Forderung bleibt das Verlangen nach Beseitigung der Überwachung aller die Grenzen der Bundesrepublik überschreitenden Personen durch eine Zentralkartei der Alliierten und die Aufhebung der ebenso diskriminierenden Schwarzen Listen. Ihre Aufrechterhaltung ist schon deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil das Recht auf die Nachprüfung eines Verwaltungs-
Von der Stadt Düsseldorf z. B. erhielt mein Kollege Abgeordneter Fisch folgende Mitteilung:
Von der auf Grund Kontrollrats-Direktive
t Nr. 43 zur Entscheidung über Interzonenpaßanträge zuständigen Besatzungsbehörde bin ich ermächtigt, Ihnen mitzuteilen, daß Ihrem Antrag vom 30. Oktober 1951 nicht stattgegeben werden kann.
Stimmt es, daß Sie selbst bei Herrn Flecken interveniert haben, um den kommunistischen Bundestagsabgeordneten die Pässe abzutreiben? Darauf wünschen wir eine klipp und klare Antwort.
Der Abgeordnete Maier der Sozialdemokratischen Partei hat sich eingehend mit den Schwarzen Listen und mit der Beschränkung der Bürgerrechte, die im Gegensatz zum Grundgesetz steht, beschäftigt. Ich habe mich über seine Erkenntnisse gefreut. Aber, lieber Kollege Maier, die Konsequenz müßte sein, daß die sozialdemokratische Fraktion gegen das Paßgesetz stimmt. Ich habe bereits bei der Behandlung des Paßgesetzes darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz wesentliche Einschränkungen und Beschneidungen der demokratischen Bürgerrechte für eine ganze Anzahl Menschen aus Westdeutschland vorsieht. Ich habe an Hand der Formulierungen des Gesetzes darauf hingewiesen, daß der Bundesregierung Generalvollmacht zur Verweigerung von Pässen für Personen erteilt werden soll, die irgendwie im Verdacht stehen könnten, nicht der Politik zuzustimmen, wie sie die Bundesregierung betreibt. Sehr geehrter Kollege Maier, ziehen Sie bitte aus Ihren eigenen Erkenntnissen die Konsequenz. Wir müssen gemeinsam dafür einstehen, daß die Diskriminierungen von alliierter, aber auch von deutscher Seite aufhören.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zu den Bernerkungen des Herrn Kollegen Mommer, der gefragt hat: „Handelt es sich bei diesen Schwarzen Listen um Verhaftungslisten?" Der Herr Innenminister hat gesagt, darüber könne er nichts sagen. Aber Tatsache ist, daß schlagartig vor einigen Wochen in Japan über tausend kommunistische Funktionäre verhaftet wurden,
und zwar von amerikanischer und japanischer Polizei.
Hier liegt der wohlbegründete Verdacht nahe, daß
diese Schwarzen Listen auch in wichtigen Momenten für solche Zwecke zur Verwendung gelangen.
Wir sind der Meinung, daß alle diese Maßnahmen mit dem Grundgesetz nicht in Einklang stehen. Wenn man diese Beschränkungen und Einschränkungen der Bürgerrechte, wie sie im Grundgesetz formuliert wurden, weiter im Paßgesetz beläßt, dann wird ganz offensichtlich. daß man es in Westdeutschland mit einem Polizeistaat zu tun hat.
Diese Maßnahmen sind nur zu verstehen, wenn
man die Gesamtpolitik der Bundesregierung begreift, nämlich daß gegen den Willen des Volkes
die Spaltung Deutschlands aufrechterhalten wird
und daß die Kriegsvorbereitungen weitergetrieben werden. Wer diesen Weg nicht will, wer will, daß jeder Bürger gleiche Rechte hat,
der muß verlangen, daß die Diskriminierungen durch Schwarze Listen aufgehoben werden. Der muß auch verlangen, daß die Diskriminierungen durch die Bundesregierung gegenüber den Bürgern aufhören; der muß das vorliegende Paßgesetz ablehnen.
Weitere -Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ach so, Herr Abgeordneter Wittmann! Ich habe Sie vorhin aufgerufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Geehrte Damen und Herren! Die Existenz, Aufrechterhaltung und Handhabung der sogenannten Schwarzen Listen wirft in einer Zeit, da man soviel von Demokratie, Umerziehung und Erhaltung der Freiheit in Europa, von der Rettung der christlich-abendländischen Kultur und der Neugestaltung des europäischen Raumes spricht, sehr dunkle Schatten auf die Lehrmeister und auf die atomstarken Machtbesitzer, dies um so mehr, als es sich hier zum Teil nicht um Leute handelt, die etwa antidemokratisch gesinnt sind, die kommunistische Funktionäre oder Mitglieder der Kommunistischen Partei sind. Es ist doch nicht so, als ob hier nur die Kommunisten auf die Märtyrersäule erhoben werden könnten. Es sind ganz andere Leute auf den Schwarzen Listen, die nie in diesen Verdacht kommen können. Es sind keine Entnazifizierten, keine Antidemokraten; es sind auch keine Devisenschieber. Ich erlaube mir, zur Klarstellung gerade dieser Angelegenheit nur auf zwei Personen hinzuweisen, bezüglich derer ich genaue Kenntnisse habe, auf den schon erwähnten Pfarrer Reichenberger und Professor Dr. App.
In der Begründung der Drucksache betreffend die Schwarzen Listen ist vorzüglich auch darauf hingewiesen worden, daß man in vielen Fällen nicht weiß, wie der eine dazu gekommen ist, daß er auf die Schwarzen Listen gekommen ist, und wie der andere dazu gekommen ist, daß er nicht auf die Listen gelangt ist. Dr. App und Pfarrer Reichen-berger, beides Männer von charakterlichem Format und demokratischer Gesinnung und Haltung, sind den Fabrikanten der Schwarzen Listen unbequem und wurden mehr behindert als jene Gruppe, die beim kommunistischen Jugendfest mit dem Sternenbanner ins Berliner Stadion eingezogen ist. Und doch sind beide für nichts anderes eingetreten als dafür, wozu uns Deutsche Herr G. Textor bereits im Jänner 1948 aufgemuntert hat.
Zur Untermauerung habe ich einige Quellen zu zitieren, und ich bitte den Herrn Präsidenten um die freundliche Erlaubnis hierzu. Textor schreibt 1948 bereits besonders in Beziehung auf die Deutschen:
Wahre Gemeinschaft erfordert Menschen, die frei denken, sprechen, handeln und glauben können, was ihnen ihr Gewissen vorschreibt, ohne Behinderung und Furcht von Verfolgung.
In diesem Sinne sprachen und schrieben sowohl App als auch Reichenberger. Das läßt sich leicht nachkontrollieren.
Ich darf kurz auf die Bücher dieser Männer hinweisen. Dr. App schrieb: „Hungerpolitik", „Frauenschändung", „Friedensgrundlage", „Der erschrekkendste Friede". Reichenberger schrieb: „Ostdeutsche Passion", „Fahrt durch befreites Land", „Europa in Trümmern", „Die neue Herrenrasse", „Besuch bei armen Brüdern", „Appell an das Weltgewissen". Ihr Kampf in Wort, Schrift und Vor-
trägen galt doch dem gleichen Ziel, dem auch der amerikanische Staatspräsident zu dienen angibt. Dieser sagte:
Wir müssen glauben an den endlichen Sieg der Wahrheit und Sittlichkeit und Freiheit, glauben, daß die Menschheit in Freiheit leben wird.
Lasset uns frei sein von Bosheit und Haß,
damit es von nun an unter uns weder Sieger
noch Besiegte, sondern nur gleichberechtigte
Partner des Friedens gebe.
Beide Männer haben doch in ihren Schriften und Vorträgen nichts anderes zum Ausdruck gebracht als z. B. der amerikanische Senator William Langer, der wörtlich gesagt hat:
Die Massenaustreibung ist eines der größten Verbrechen, an welchem auch wir Amerikaner direkt Anteil nahmen. Es ist unglaublich, daß amerikanische Vertreter an diesen gewaltsamen Massenwanderungen beharrenden Anteil haben sollten. In der ganzen Geschichte findet sich nirgends ein so scheußliches Verbrechen aufgezeichnet wie in den Berichten über die Begebenheiten in Ost- und Mitteleuropa. Frauen, Kinder, Alte, Hilfslose, Unschuldige und Schuldige wurden Greueltaten ausgesetzt, die noch von niemanden übertroffen wurden.
Ich zitiere weiter Rechtsanwalt Gerhard Charles, ebenfalls Amerikaner, der gesagt hat:
Wir sind eine Gruppe von Amerikanern, die es für ihre Pflicht hält, das Möglichste zu tun, um dieses schwere Verbrechen gegen ein unschuldiges Volk zu berichtigen.
Man könnte auch an den amerikanischen Außenminister denken, der gesagt hat:
Der erwähnte Friede bedeutet für uns die Möglichkeit auch im Sinne der Konvention über die Menschenrechte, Art. 13, in voller Freiheit unser eigenes Leben zu führen und in wahrer Freundschaft mit allen Völkern dieser Erde zusammenzuarbeiten, um bessere Lebensmöglichkeiten zu schaffen.
Betreffend Reichenberger, App und auch andere, die auf den Schwarzen Listen stehen, darf ich noch hinweisen, daß sie in keiner Weise Nazisten waren. Pfarrer Reichenberger hat zum Beispiel gegen den Geist des braunen Bolschewismus bereits zu einer Zeit gekämpft, als die späteren „Kreuzfahrer" mit dem Braunauer noch auf freundschaftlichem Fuße standen. Wer die Werke beider Männer inhaltlich kennt, ist über ihren sachlichen Freimut und ihren Gerechtigkeitssinn begeistert.
— Ich bitte noch um einen kleinen Augenblick, um
nicht mehr Zeit, als die beiden Kollegen drüben
hinzubekommen haben.
Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß! Furchtlos und unerschrocken nennen diese Männer jene seit 1945 begangenen Verbrechen der Beraubung und Heimatvertreibung mit dem ihnen zukommenden Namen. Wir sind erstaunt und erschüttert zugleich über den schreienden Unterschied zwischen der Wort- und Werk-Demokratie demokratischer Lehrmeister. Am stärksten sind die Starken, wenn sie Recht und Gerechtigkeit walten lassen, und selig zu preisen sind jene Sieger, die ohne Schwarze Listen und dunkle Taten selber sauber bleiben. Der trutzige und dreistirnige Petersberg wird nur dann in der Geschichte des neuen Europas rühmlich genannt werden, wenn dieses demokratische Dreigestirn und ihre Regierungen nicht nur im Worte, sondern vor allem rechtzeitig und ausreichend auch im Werk mutvoll eintreten für Wahrheit und Recht, für Gerechtigkeit und persönliche Freiheit. Im Namen meiner Wähler und wohl auch im Sinne der 10 Millionen Heimatvertriebenen des Westens bitte ich die Bundesregierung, die, wie wir heute gehört haben, es j a bereits tut, energisch dafür einzutreten, daß Männer wie Reichenberger und andere jederzeit in die Bundesrepublik kommen und hier ungehindert wirken können. Die Schwarzen Listen wünschen wir ersetzt zu sehen durch lichtvolle Taten auch bezüglich der persönlichen Bewegungsfreiheit im gesamten Raume der Bundesrepublik.
Damit ist die Rednerliste erschöpft und die Aussprache geschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Vorlage in der dritten Beratung. Ich rufe auf § 1, —§ 2, — § 3, — § 4, — § 5. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen der Vorlage zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe weiter auf § 6, — § 7, — § 8, — § 9, —§ 10, — § il, — § 12, — § 13, — § 13 a, — § 14. — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den angerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen ist das Gesetz auch im ganzen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses zu Punkt 4 b) der Tagesordnug, Drucksache Nr. 2735. Ich bitte diejenigen, die der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt, nachdem auch die Interpellationen besprochen worden sind.
Wir kommen zurück zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes über den von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Stundung von Soforthilfeabgabe und über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe (Soforthilfeanpassungsgesetz) (Nr. 2848 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hatte sich in seiner Beratung über diesen Punkt mit verschiedenen Änderungsvorschlägen zu
befassen, die der Bundesrat in seiner Sitzung am 9. November gemacht hatte. Es dreht sich im wesentlichen um drei Änderungsvorschläge des Bundesrats. Der eine Vorschlag ging dahin, den Art. 1 § 1 zu streichen. Der zweite ging dahin, bei Art. 1 § 1 die Ziffern 2 und 3 zu streichen. Und der dritte Vorschlag ging dahin, den zweiten Satz des § 6 zu streichen. Dazu lag ein Eventualantrag vor, bei dem zweiten Satz lediglich zu sagen:
Sie sind aus Mitteln des Bundeshaushalts zu erstatten
und dann den Schlußsatz:
Eine etwaige Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern wegen teilweiser Rückerstattung der aus dem Bundeshaushalt erstatteten Beträge bleibt vorbehalten
zu streichen.
Zunächst ist heute morgen im Ausschuß festgestellt worden, daß im Bundesrat bei der Behandlung des § 1 zweifellos mit Zahlen operiert worden ist, die nicht mit den wirklichen Stundungen gemäß § 1 Ziffern 1, 2 und 3 übereinstimmen. Jeder kann irren. Und wenn nun einmal ein Land, besonders ein kleines Land, auf Grund seiner Verhältnisse Schätzungen vornimmt und dann den Fehler macht, die Schätzungen auf das Gesamtgebiet der Bundesrepublik zu übertragen, dann kann das passieren. Ich stelle diesen Tatbestand ohne jede Kritik fest.
Wir haben dann als Ergebnis unserer Beratungen den in der Drucksache Nr. 2848 abgedruckten Beschluß als Vorschlag gegen zwei Stimmen bei fünf Stimmenthaltungen angenommen. Dieser Vorschlag bedeutet, daß das Gesetz so bleibt, wie es der Bundestag bei Enthaltung der KPD-Fraktion, im übrigen aber einstimmig beschlossen hatte, und lediglich im § 6 der zweite Satz gestrichen wird und § 6 infolgedessen lautet:
Die Teuerungszuschläge nach diesem Gesetz
werden bis zum Inkrafttreten des Gesetzes
über einen Allgemeinen Lastenausgleich vorschußweise aus dem Soforthilfefonds geleistet. Das bedeutet ferner, daß die Beträge einstweilen vorschußweise gezahlt werden und daß die Frage endgültig im Gesetz über den Lastenausgleich entschieden wird. Der Vermittlungsausschuß hat dies mit dem angegebenen Stimmenverhältnis beschlossen.
Ich habe aber namens der Fraktionen dieses Hohen Hauses heute morgen im Vermittlungsausschuß erklärt — und möchte das zur Feststellung der Haltung des Hauses auch hier tun —, daß die Fraktionen, wie in den Ausschußberatungen und im Plenum ersichtlich wurde, grundsätzlich der Auffassung sind und bleiben werden, daß Teuerungszuschläge nicht aus dem Volksvermögen genommen werden dürfen. Das würde sonst bedeuten, daß wir die 190 Millionen DM, die pro Jahr auf diese Teuerungszuschläge entfallen, aus den Mitteln des Soforthilfefonds bzw. des Lastenausgleichsfonds zu nehmen hätten und damit in dieser Höhe Volksvermögen, welches vom produktiven Vermögen weggenommen wird, um an der anderen Stelle wieder produktiv zu dienen, in den Konsum bringen würden. Das erschien uns sowohl in den Beratungen hier wie auch vorher im Ausschuß untragbar. Dieser Meinung des Ausschusses und des Hohen Hauses habe ich im Vermittlungsausschuß gegenüber dem Bundesrat klar und unmißverständlich Ausdruck gegeben.
Ich schlage daher namens des Vermittlungsausschusses vor, der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Änderung, die lediglich in der Streichung des Satzes 2 im § 6 besteht, die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es handelt sich hier um eine Stellungnahme zu einer Vorlage des Vermittlungsausschusses. Es ist also nur die Möglichkeit gegeben, Erklärungen abzugeben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag des Vermittlungsausschusses grundsätzlich zu, obwohl wir schwere Bedenken gegen die Streichung des zweiten Satzes in § 6 haben. Wir nehmen die Erklärung des Herrn Berichterstatters zur Kenntnis, daß im Lastenausgleichsgesetz festgelegt wird, daß die Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe aus Bundesmitteln getragen werden, und werden darüber wachen, daß es tatsächlich geschieht.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Vorlage des Ausschusses Drucksache Nr. 2848 zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu Punkt 5 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des vom. Bundesrat eingebracht en Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht (Nr. 2754 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes bestimmt in § 14, daß während der Zeit, in der im Bereich einer obersten Bundesbehörde der Pflichtanteil von 20 v. H. des Besoldungsaufwandes nicht erreicht ist, jede Einstellung einer nicht an der Unterbringung teilnehmenden Person der Zustimmung der Bundesminister des Innern und der Finanzen bedarf.
Soweit im Bereich eines andern Dienstherrn nach Ablauf von drei Monaten seit Inkrafttreten des Gesetzes, also seit dem 1. April dieses Jahres, der Pflichtanteil des Besoldungsaufwandes in Höhe von 20 v. H. nicht erreicht ist, ist ein Ausgleichsbetrag in Höhe von 25 v. H. des Unterschiedes zu zahlen. Die Ausgleichsbeträge sind nach § 18 an den Bund zu leisten und ausschließlich für Zwecke dieses Gesetzes zu verwenden.
Gegen diese zweite Bestimmung über den Ausgleichsbetrag, die bereits bei der zweiten und dritten Beratung in diesem Hause umstritten war, richtete sich bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Bundesrat in der Sitzung vom 23. Mai die hauptsächliche Einwendung. Bei dieser Beratung kam die Anschauung zur Erörterung, daß diese Bestimmung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sei, einen Eingriff in die Rechte der Län-
der wie in das Selbstverwaltungsrecht der Gemein- den bedeute und die Gemeinden mit einer Sondersteuer belege, die von Bundes wegen zur Erhebung kommen.
Durch die Vermittlung des Herrn Präsidenten des Bundesrats unterblieb jedoch die Anrufung des Vermittlungsausschusses, um das Zustandekommen des Gesetzes nicht hinauszuziehen. Der Bundesrat nahm aber eine von dem Vertreter des Landes Hamburg gegebene Anregung auf, durch ein Initiativgesetz die Frist zur Bezahlung der Ausgleichsabgabe von drei Monaten auf ein Jahr zu erstrecken.
Der Gesetzentwurf vom 7. Juli dieses Jahres, Bundestagsdrucksache Nr. 2471, hat diese Absicht des Bundesrats verwirklicht. Die Begründung beschränkt sich auf die Kürze der Frist, nachdem das Gesetz erst am 1. April in Kraft getreten ist.
Der Ausschuß für Beamtenrecht hat sich mit dem Gesetzentwurf nach der Überweisung vom 28. September 1951 am 15. Oktober eingehend befaßt. Der Ausschuß hat durchaus gewürdigt, daß die Absicht, ein Initiativgesetz vorzulegen, dem Bundesrat die Verabschiedung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses ermöglicht hat.
Dagegen konnte die Mehrheit des Ausschusses die im Bundesrat gegen den § 14 Abs. 2 am 27. April und für den neuen Gesetzentwurf am 23. Mai dieses Jahres geltend gemachten Einwendungen und Begründungen nicht als berechtigt anerkennen.
Das Gesetz zu Art. 131 beruht auf der Sonderermächtigung dieser grundgesetzlichen Bestimmungen. Die Einwendung einer Verletzung des Rechtes der Gemeinden auf Selbstverwaltung hat der Ausschuß einhellig als unbegründet beurteilt, weil sie nur im Rahmen der Gesetze besteht und Schranken für sie in einer großen Zahl von Verwaltungs- und Steuergesetzen gegeben sind. Die Mehrheit des Ausschusses hielt die Frist für die Fälligkeit der Ausgleichsabgabe deshalb nicht für zu kurz, weil die Dienstherren mindestens seit der Vorlage des Gesetzentwurfs zu Art. 131 des Grundgesetzes am 31. August 1950 mit der Ausgleichsabgabe gerechnet haben mußten.
Es gibt Landkreise und Stadtgemeinden, die rechtzeitig Personen des öffentlichen Dienstes verwendet haben und zu einer Ausgleichsabgabe nurmehr in geringem Betrage oder überhaupt nicht mehr verpflichtet sind. Besonderen Schwierigkeiten und Härten im einzelnen Falle können und wollen die Bundesministerien des Innern und der Finanzen im Verwaltungswege Rechnung tragen. Die Minderheit des Ausschusses machte geltend, daß die Wiederverwendung von Personen des öffentlichen Dienstes durch die Bestimmungen für die Unterbringung, insbesondere durch die Notwendigkeit der Zustimmung der obersten Bundes- und Landesbehörden an nicht an der Unterbringung teilnehmende Bewerber und durch die Zahlungsverpflichtungen bei Zuwiderhandlungen hinreichend gesichert sei.
Die Mehrheit des Ausschusses vertrat demgegenüber die Anschauung, daß diese Bestimmung nur die Unterbringung im Einzelfalle unterstütze, Zuwiderhandlungen zwar belaste, aber nicht beseitige, während die Verpflichtung zu einem sich mit dem Fortschreiten der Unterbringung ermäßigenden Ausgleichsbetrag die grundsätzliche Bereitschaft der Dienstherren zur Mitwirkung an der Unterbringung fördere, was sich bereits jetzt gezeigt habe. Die Ausgleichsbeträge seien deshalb kein finanzieller Beitrag zu den Kosten des Gesetzes, sondern dienten nur der Durchsetzung der Unterbringung und dadurch der Verminderung der Versorgungslasten. Wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes seien genügende Erfahrungen über seine Auswirkungen noch nicht gegeben, um eine immerhin für die Sicherung seiner Aufgaben wesentliche Bestimmung bereits aufzuheben oder abzuschwächen.
Entgegen dieser Stellungnahme des Ausschusses für Beamtenrecht hat der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung am 16. November 1951 mit 8 Stimmen gegen 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen beschlossen, dem Bundestag die Annahme des Gesetzentwurfes zu empfehlen.
Nach dem Mehrheitsbeschluß des federführenden Ausschusses Nr. 25 habe ich dem Bundestag die Ablehnung des Gesetzentwurfs vorzuschlagen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Für die nun folgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgeschlagen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Als Bundesratsbevollmächtigter hat der Herr Innenminister von Nordrhein-Westfalen Dr. Flecken das Wort.
Dr. Flecken, Innenminister des Landes NordrheinWestfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 2471 ist Ihnen ein Initiativgesetz des Bundesrates vorgelegt worden. Der Bundesrat möchte mit diesem Entwurf die in § 14 Abs. 2 des Ursprungsgesetzes vorgesehene Frist von 3 Monaten auf ein Jahr erstreckt wissen. Das würde also bedeuten, daß die Ausgleichsabgabe nach dem Stande vom 1. April 1952 zu zahlen wäre.
Aus der Vorgeschichte des Gesetzes zur Art. 131 wissen Sie, daß schon damals, wie der Herr Berichterstatter soeben vorgetragen hat, im Bundesrat gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 2 lebhafteste Bedenken bestanden haben; der Deutsche Bundesrat aber, um jede Gesamtverzögerung dieses unbestreitbar wichtigen Gesetzes zu vermeiden, mit knapper Mehrheit dahin Stellung genommen hat, daß der Vermittlungsausschuß nicht angerufen werden soll. Er hat jedoch schon damals klar zum Ausdruck gebracht, daß er hinsichtlich des § 14 Abs. 2 in Bälde von sich aus die Initiative ergreifen würde. Insofern konnten Bundestag und Bundesregierung — das darf ich hier noch einmal sagen —von der Vorlage dieses Initiativantrages des Deutschen Bundesrates nicht überrascht sein.
Ich darf die Bedenken, die schon damals gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 2 des Gesetzes bestanden, nochmals stichwortartig ganz kurz rekapitulieren. Sie gingen dahin, daß nach der ganzen Entwicklung seit 1945 die Situation der einzelnen Anstellungskörperschaften außerordentlich verschieden gewesen ist. Während der Bund und eine Reihe von Ländern völlig neue Verwaltungseinrichtungen aufbauen mußten und demgemäß verdrängte Be- amte unschwer in relativ großem Umfang einstellen konnten, war namentlich bei den sogenannten alten Ländern und ebenso bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden, um die. es sich hier vorzüglich handelt, eine ganz andere Lage gegeben. Sie übernahmen zunächst den vorhandenen Personalbestand. Als sie dann die politisch belasteten Beamten und Angestellten ausscheiden mußten, blieb ihnen im Interesse der schon für die ersten
7238 Deutscher Bundestag — 7238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1951
Stunden der Besatzung erforderlichen Funktionsfähigkeit der Verwaltung nichts anderes übrig, als den Personalbestand sofort aus örtlich vorhandenen und mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Beamten und Angestellten wieder aufzufüllen. Für viele dieser Anstellungskörperschaften waren in der ersten Zeit der Entwicklung verdrängte Beamte und Angestellte überhaupt nicht greifbar. Hinzu kam in zahlreichen Städten und Gemeinden ein Zerstörungsgrad, der auch in der Folgezeit, also in der Zeit des durch die Zwangswirtschaft erforderlichen weiteren Ausbaues der Verwaltung, die Heranziehung auswärtiger Kräfte — mit der Notwendigkeit, sie in Wohnungen unterzubringen — fast unmöglich gemacht hat. Bedenken Sie nur, daß nach den statistischen Unterlagen auch heute noch 226 000 frühere Hamburger, 195 000 Kölner Bürger und 99 000 Düsseldorfer nicht in ihre Heimatstadt zurückkehren konnten, und zwar trotz des Drängens der Evakuierten und ihres verständlichen und auch von den Städten. selbst anerkannten Wunsches, wieder Heimatsitz und Heimatrecht an ihrem alten und angestammten Orte zu gewinnen.
Mit dem Ablauf der Reichsmark-Zeit ergaben sich neue Hindernisse. Die Beseitigung der Zwangswirtschaft führte allenthalben zu einer Verminderung des Personalbestandes und aus verständlichen sozialen Gründen vielfach auch zu einer Umsetzung von Dienstkräften, die die Chance der noch außenstehenden Beamten und Angestellten selbstverständlich zusätzlich minderte. In die gleiche Zeit fällt auch nach den damaligen landesrechtlichen Regelungen die Rückkehr zahlreicher eigener, inzwischen entnazifizierter Beamter und Angestellter, die sich in der gleichen Richtung auswirkte. So ist es zwangsläufig, daß der Umfang der Unterbringung verdrängter Beamter je nach der Lage der Verhältnisse bei den einzelnen Anstellungskörperschaften zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes zu Art. 131 außerordentlich verschieden war. Diese Verschiedenheit findet in der verschiedenen Ausgangslage, wie ich sie soeben andeutete, ihre plausible Erklärung.
Es ist nun in der Personalpolitik öffentlicher Körperschaften bekanntlich nicht so, daß hier jederzeit freie Stellen in größerem Umfang zur Verfügung stünden, die in der Vorbereitungszeit des 131er-Gesetzes — ich betone besonders: auch in der Vorbereitungszeit — und in der ersten Zeit nach seinem Inkrafttreten schlagartig mit verdrängten Beamten und Angestellten hätten besetzt werden können. Die Stellenpläne aller Anstellungskörperschaften sind überall fast völlig ausgenutzt, so daß nur freiwerdende und in ganz geringem Umfange neu geschaffene Stellen für die Unterbringung der verdrängten Beamten und Angestellten bereitstehen. Im allgemeinen kann man nach den praktischen Erfahrungen davon ausgehen, daß bei einer Anstellungskörnerschaft der Personalabgang vom Gesamthestande um 3 v. H. je Jahr liegt. Aus all dem ersehen Sie unschwer, was in einer relativ kurzen Zeitspanne auf diesem Gebiet überhaupt möglich ist.
Es ist den Anstellungskörperschaften aber auch nicht gestattet, etwa im Wege der Entlassung oder Kündigung Stellen freizumachen. Der 6 76 des Gesetzes zu Art. 131 sagt hierzu bekanntlich ausdrücklich. daß Beamte. Angestellte und Arbeiter, die die nersönlichen und fachlichen Anforderungen ihrer Dienststellung erfüllen, nicht zu dem Zweck entlassen werden dürfen, um Dienstposten oder Arbeitsplätze zur Durchführung der Unterbringungsmaßnahmen nach diesem Gesetz freizumachen. Der Beamtenrechtsausschuß dieses Hauses wird nicht daran vorbeisehen können und wollen, daß neben und zu den angeführten Tatbeständen immer noch und immer wieder eigene Leute und eigener Nachwuchs mit Ein- und Aufrückwünschen vor der Türe stehen. Auch daran muß mindestens der Vollständigkeit halber erinnert werden. Das ist die Lage, wie sie sich tatsächlich darstellt.
Mit dem Inktrafttreten des Gesetzes zu Art. 131 ist nun ein neuer Anfang gesetzt. Alle Anstellungskörperschaft en sind gezwungen, verdrängte Beamte und Angestellte in dem gesetzlich vorgesehenen Rahmen einzustellen. Der Deutsche Bundestag hat nun geglaubt, den Unterbringungsprozeß dadurch beschleunigen zu können, daß er in Gestalt der Ausgleichsabgabe ein finanzielles Druckmittel in das Gesetz eingebaut hat.
Es geht hier nicht um das Problem dieser Ausgleichsabgabe allgemein; es geht ausschließlich darum, ob die Festlegung des Fälligkeitstermins auf den 1. Juli 1951 sinnvoll und richtig ist. Diese Frage verneint der Deutsche Bundesrat aus folgenden Gründen. Die Ausgleichsabgabe erfüllt ihren Zweck — die Förderung beschleunigter Unterbringung — nur dann, wenn man den Anstellungskörperschaften die Möglichkeit gibt, ihre Anstrengungen um die Unterbringung unter Beweis zu stellen. Das heißt, man muß ihnen eine hinreichend lange Frist geben, damit sie dem im Gesetz vorgeschriebenen Einstellungssoll näherkommen. Die im § 14 Abs. 2 gestellte Frist reicht dazu nicht aus. Abgesehen davon, daß die Frist überhaupt zu kurz war, darf doch nicht außer Betracht gelassen werden, daß das Gesetz erst sechs Wochen nach seinem Inkrafttreten verkündet wurde. Damit war die Hälfte der Dreimonatsfrist bereits verstrichen. Hinzu kam, daß es nach der Verkündung des Gesetzes an den erforderlichen Durchführungsbestimmungen fehlte. Sie stehen heute zum wesentlichen Teil noch aus. Daraus haben sich ganz natürliche Anlaufschwierigkeiten und Hemmungen ergeben.
Aus allem folgt, daß für die Anstellungskörperschaften während der Dreimonatsfrist keine Möglichkeiten gegeben waren, ihrem Unterbringungssoll in entsprechendem Maße näherzukommen. Wird die Ausgleichsabgabe trotz dieser Verhältnisse zu dem in § 14 Abs. 2 vorgesehenen Zeitpunkt, der nun schon Monate hinter uns liegt, erhoben, so verfehlt sie ihren Zweck vollständig. Sinnvoll und wirksam kann diese Ausgleichsabgabe nur werden, wenn ihre Fälligkeit auf einen Zeitpunkt abgestellt wird, der es den Anstellungskörperschaften wirklich ermöglicht, bis zu dieser Fälligkeit ihr Einstellungssoll zu verbessern. Es liegt also geradezu im Sinne der Intentionen des Deutschen Bundestages, wie sie bei der Beratung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen sind, diesen Fälligkeitszeitpunkt zu verschieben.
Ich sagte bereits, daß die Ausgleichsabgabe ein finanzielles Druckmittel darstellen soll. Mit ihrer Erhebung schon nach dem Stand vom 30. Juni 1951 verliert sie diesen Charakter
aber aus den eben dargelegten Gründen völlig,
und sie verwandelt sich gegen die Intentionen des Gesetzgebers völlig in eine echte Strafabgabe.
— Es ist eine klare Strafabgabe, die nicht dazu beiträgt, daß ein Mann mehr eingestellt wird.
Sie verwandelt sich in eine echte, klare Strafabgabe, die von den einzelnen Anstellungskörperschaften bei der geschilderten verschiedenen Ausgangslage mit vollem Recht als unbillig empfunden wird. Dabei handelt es sich für die einzelnen Körperschaften keinesfalls um Beträge, die nicht zu Buch schlügen.
Man kann es nicht relativ sehen; denn ich hoffe ja, daß Mark noch Mark ist, und jede Mark, die hier abgezogen wird, wird auf einem anderen Gebiet fehlen.
Gestatten Sie mir, einige Zahlen zu nennen, die das Bild beleuchten. Nach dem Stand vom 30. Juni 1951 hätte Köln 1,7 Millionen DM zu zahlen.
— Darauf kommt es nicht an, wieviel Prozent des Etats es sind. 1,7 Millionen sind 1,7 Millionen, die im Etat fehlen und die nach dem Willen dieses Hohen Hauses sicherlich für andere Zwecke erstrangig eingestellt werden müßten
als für eine fruchtlose Abgabe, die nichts anderes ist als eine Strafmaßnahme. — Ich darf die Zahlen nennen: Köln 1,7, Nürnberg 1,3, Stuttgart 1,35, Frankfurt 1,2,
Düsseldorf 1,4 Millionen, Mannheim 850 000, Augsburg 428 000, Heidelberg 306 000, Krefeld 453 000, Aachen 369 000, Rheydt 172 000, Neuß 117 000,
Herford 75 000.
— Was heißt „die Städte blamieren"? Darf ich als Mitglied des Bundesrates einmal die Gegenfrage stellen: Was haben denn die örtlichen Abgeordneten getan, um vorher das geschehen zu lassen, was sie jetzt mit diesem Druckmittel durchsetzen wollen?
Was diese Beträge für die ohnehin beengte Finanzwirtschaft unserer Gemeinden und entsprechend auch der Gemeindeverbände ausmachen, brauche ich hier nicht näher darzulegen. Vom Standpunkt der Länder aus kann ich nur die Befürchtung aussprechen, daß ein wesentlicher Teil dieser Lasten zwangsläufig auf die Länder und von daher auf den Bund zurückfließt. Auch vom Standpunkt der finanziellen Belastung aus sollten Sie deshalb dem Initiativantrag des Deutschen Bundesrates zustimmen. Es ist nicht zu verantworten, die sachlichen Leistungen der Länder und Gemeinden z. B. für den Wohnungsbau und das Schulwesen um eben die Summen einzuschränken, die sie an Ausgleichsabgaben abzuführen haben, nachdem man ihnen nicht Gelegenheit gegeben hat, durch eigene Anstrengungen bei der Unterbringung die finanzielle Last der Ausgleichsabgabe auf ein erträgliches Maß zu senken.
Der Deutsche Bundesrat legt besonderen Wert darauf, auch an dieser Stelle klarzustellen, daß das von ihm aufgegriffene Problem der Ausgleichsabgabe mit der Unterbringung der verdrängten Beamten und Angestellten äußerstenfalls nur am Rande etwas zu tun hat.
Er ist der Auffassung, daß die Unterbringung im Rahmen des überhaupt Möglichen scheu durch die sonstigen Vorschriften des Gesetzes vollauf gesichert ist.
Ich bitte Sie ausdrücklich darum, den Antrag des Deutschen Bundesrates nicht etwa dahin zu verstehen, daß er sich in irgendeiner Weise gegen die auch von uns als durchaus notwendig anerkannte Hilfe für die verdrängten Beamten und Angestellten richte.
Ich bemerke dabei für meine Person — das geht auch Sie an, Herr von Thadden —, daß ich hier nicht etwa nur aus der Seele des Kommunalministers spreche, sondern daß ich mich vielmehr in gleicher Weise als Beamtenminister, und zwar für alle Beamten, fühle und in meiner Amtsführung bisher keine Möglichkeit ausgelassen habe, namentlich den vertriebenen Beamten überall da zu ihrem Recht und zur Verbesserung ihrer Lage zu verhelfen, wo das irgend menschenmöglich war.
— Was ich hier sage, sind nicht schöne Worte, sondern das ist ein Tatsachenbericht, und Sie haben nicht das Recht, das zu bezweifeln.
Die Länder der Bundesrepublik haben seit dem Zusammenbruch alles in ihren Kräften Stehende getan, um die Wiedereingliederung der verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes und der Angehörigen aufgelöster Dienststellen in den Beruf zu fördern.
So hat das Land Nordrhein-Westfalen, von dem ich aus eigener Kenntnis zu sprechen vermag, bereits in den §§ 8 und 9 der Dritten Sparverordnung vom 19. März 1949 einen Stellenvorbehalt für diese Personen festgelegt. Auch auf dem Gebiete der Versorgung sind die Länder nicht untätig geblieben. Wiederum kann ich von Nordrhein-Westfalen sagen, daß wir die heimatvertriebenen Ruhegehalts-, Witwen- und Waisengeldempfänger bereits mit Wirkung vom 1. April 1949 den einheimischen Versorgungsempfängern gleichgestellt haben.
Auch die anderen Länder haben nach Kräften geholfen. Sie mögen daraus ersehen, daß die Länder der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu jedem Zeitpunkt für die Belange der heimatvertriebenen und sonstigen verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes und der Angehörigen aufgelöster Dienststellen eingetreten sind.
Wenn ich Sie heute namens des Deutschen Bundesrates bitte, der von uns vorgeschlagenen Änderung des § 14 Abs. 2 Ihre Zustimmung zu geben, so möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit herausstellen, daß sich diese Änderung nicht gegen die betroffenen Angehörigen des Personenkreises nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes richtet, sondern ausschließlich darauf gerichtet ist, eine ungerechtfertigte finanzielle Belastung durch
die Verpflichtung zur Entrichtung von Geldbeträgen, die besser anderen Zwecken zugute kämen, von dem betroffenen Dienstherren abzuwenden.
Lassen Sie mich noch eines in aller Eindringlichkeit sagen. Nach unserer Auffassung wird die vorgeschlagene Änderung bei einer den 131ern — für die allenthalben nach besten Möglichkeiten Positives geschieht — günstigen Atmosphäre dazu beitragen, die Aufnahmefreudigkeit der in Frage kommenden Dienstherren zu erhöhen und damit die Wiedereingliederung der unterbringungsberechtigten Personen in ihren Beruf zu fördern. Ich bitte deshalb namens des Deutschen Bundesrates, der sich in dieser Frage nicht nur für die Länder, sondern auch für die Gemeinden und die Gemeindeverbände verantwortlich fühlt, dringend, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Mit dieser Zustimmung geben Sie der Ausgleichsabgabe erst den Sinn, den Sie ihr in dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes selbst geben wollten.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort erteile, möchte ich noch eine kurze Mitteilung für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses Nr. 46 machen: Die heute auf 18 Uhr anberaumte Sitzung findet nicht statt.
Ich darf empfehlen, daß wir die Art. I und II gleichzeitig beraten, nicht einzeln behandeln, weil der Art. II lediglich das Inkrafttreten des Gesetzes bestimmt.
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Der Beamtenrechtsausschuß hat zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des § 14 Abs. 2, der dem Bundestag vom Bundesrat zugeleitet worden ist, Stellung genommen und schlägt dem Bundestag vor, diesen Antrag abzulehnen. Die Fraktion der Kommunisten ist gegen diesen Antrag des Ausschusses. Sie lehnt ihn ab, weil damit an der Bestrafung der Gemeinden festgehalten werden soll, wie sie in dem Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Mit der Bestrafung der Gemeinden aber werden unserer Auffassung nach nur Illusionen bei dem Personenkreis erweckt, der auf Unterbringung bei den Gemeinden, bei den Städten und bei den Ländern wartet, Illusionen, die angesichts der Lage, in der sich dieser Personenkreis befindet, nicht angebracht sind.
Zum anderen handelt es sich aber auch um Eingriffe in die Gemeindeangelegenheiten, die, wie bereits zum Ausdruck gekommen ist, nach der Verfassung unzulässig sind. Mit Recht wehren sich die Gemeinden gegenüber dem Eingriff des Bundes in ihre Gemeindeobliegenheiten. So hat z. B. die Stadt Offenbach am Main bereits eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingebracht. Die Stadt Offenbach fordert, daß die §§ 11 bis 18 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes für nichtig erklärt werden. Ich kann leider wegen der Kürze der Redezeit wichtige Teile aus der Begründung der Beschwerde der Stadt Offenbach nicht vortragen und will mich aus diesem Grunde mit einem ganz kurzen Abschnitt der Begründung begnügen. Sie bestätigt die Richtigkeit. unserer Auffassung, daß die Mittel, wie sie in dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes vorgesehen sind, den Interessen des größeren Teils der auf Unterbringung wartenden Personen des öffentlichen Dienstes nicht Rechnung tragen. Unter anderem wird in der Beschwerdeschrift der Stadt Offenbach gesagt:
Um dem Einwand zu begegnen, daß bei einer etwaigen Verlängerung der Dreimonatsfrist, die bisher noch nicht erfolgt ist, sich rechtlich ein anderes Bild ergeben würde, wird darauf hingewiesen, daß auch bei längerer Fristgewährung sogar auf Jahre hinaus die Unterbringung in dem gedachten Umfang nicht möglich sein wird. Der natürliche Personenabgang in der Verwaltung stellt jährlich nur einen Bruchteil der benötigten Stellen dar. Dabei wird bei der Neubesetzung der Stellen einen großen Teil auch der Personenkreis haben müssen, der auf Grund des Wiedergutmachungsgesetzes vom 11. 5. 1951 Anspruch auf Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst hat, so daß damit eine weitere Schmälerung der vorhandenen Stellen eintritt.
Damit wird die Auffassung meiner Fraktion bestätigt, daß die Unterbringung von Personen im
Behördendienst auf Grund des Gesetzes zu Art. 131
des Grundgesetzes nicht möglich ist, auch dann
nicht, wenn die Gemeinden unter Strafe gestellt
werden. Der größere Teil der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, die auf Unterbringung im Behördendienst warten, weil ihnen das
Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes dies verspricht, wird jahrelang vergeblich warten müssen
und wird weiter vegetieren.
Dieser Zustand kann nur geändert werden, wenn die Spaltung unseres Vaterlandes überwunden
wird.
und wenn freundschaftliche Beziehungen zu allen Völkern -der Erde hergestellt werden. Nur ein solcher Zustand würde dazu führen, daß alle arbeitsfähigen Personen
in der Wirtschaft und bei den Behörden einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz finden.
Das ist der Ausweg aus der heutigen Situation.
Weil wir Kommunisten eine Politik der Illusionen ablehnen und diesen Personenkreis nicht betrügen wollen,
lehnen wir den Antrag des Beamtenrechtsausschusses in dieser Angelegenheit ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer unvoreingenommenen Prüfung und Abwägung der beiderseitigen Interessen der unterbringungsberechtigten Personen und der unterbringungspflichtigen Dienstherren wird man zu folgender Stellungnahme gelangen.
Es erschien, wenn schon eine Frist unter Androhung einer Buße in das Gesetz aufgenommen werden sollte, angebracht, sie, um einen wirksamen Druck zur Beschleunigung der ganzen Unterbringungsaktion auszuüben, nicht zu weit zu erstrecken, sie andererseits in Berücksichtigung der personalpolitischen und finanziellen Möglichkeiten der Dienstherren aber auch nicht zu kurz zu be-
messen. Da das Gesetz erst am 10. April dieses Jahres vom Bundestag in der dritten Beratung beschlossen wurde und noch die Gesetzgebungsphase des Art. 77 des Grundgesetzes sowie die Zeit für die Gegenzeichnung des Kanzlers und des Fachministers, ferner für die Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten nach Art. 82 des Grundgesetzes in Betracht zu ziehen waren, konnte es von vornherein zweifelhaft sein, ob die Dreimonatsfrist für das auf den 1. April bezogene Gesetz ausreichend gesetzt war. Tatsächlich hat der Bundesrat das Gesetz erst am 27. April verabschieden können; die Ausfertigung erfolgte am 11. Mai.
So kam es, daß, wie der Herr Innenminister des Bundesstaates Nordrhein-Westfalen bereits ausgeführt hat, am Tage der Verkündung des Gesetzes, also am 13. Mai, bereits die Hälfte der Dreimonatsfrist verstrichen war. Wahrscheinlich hätten die an die Beschlußfassung des Bundestages sich anschließenden Stadien der Gesetzgebung etwas rascher durchschritten werden können, und es zeigt sich auch in diesem Falle, daß die in der Plenarsitzung am 14. November behandelte Interpellation über die Verkündung der beschlossenen Gesetze nicht ganz unbegründet war. Aber sehr viel Zeit wäre gleichwohl kaum einzusparen gewesen.
Der etwaige Einwand, daß die öffentlichen Dienstherren, insbesondere auch die Gemeinden, schon durch das vorgeschaltete Gesetz über Sofortmaßnahmen vom 14. März dieses Jahres auf die kommende Regelung hingewiesen und vorbereitet worden seien und damit Zeit gehabt hätten, sich darauf einzurichten, schlägt kaum durch, da die beiden Gesetze nicht übereinstimmen und überdies das vorgeschaltete Gesetz auch erst am 19. März verkündet worden ist.
Dem Hinweis, daß die fristgemäße Erfüllung der Unterbringungspflicht u. a. auch dadurch erschwert war, daß bis zum 30. Juni dieses Jahres keine allgemeinen Durchführungsbestimmungen erlassen waren, kann wohl eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. In der Tat sind bis heute keine allgemeinen Ausführungsvorschriften zu dem Gesetz erlassen worden. Erst am 12. November dieses Jahres ist eine erste Verordnung zur Durchführung des § 19 Abs. 3 und des § 31 Abs. 2 des Gesetzes vom 11. Mai dieses Jahres ergangen, die sich also ausschließlich auf die Frage der Berücksichtigung von Beförderungen beschränkt, und eine zweite Verordnung, ebenfalls vom 12. November, zur Durchführung des § 32 Abs. 2 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes, die sich mithin nur auf die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge der volksdeutschen Vertriebenen bezieht.
Der Einwand der Bundesregierung, die Verlängerung der Frist würde bei den verpflichteten Dienstherren den Willen zur Unterbringung schwächen, ist eine kaum begründete Annahme; ich will nicht so weit gehen, zu sagen: Unterstellung. Ebensowenig erscheint ihre Befürchtung berechtigt, die öffentlichen Dienstherren würden dann über den Bundesrat versuchen, die Frist überhaupt zu Fall zu bringen. Eine solche etwaige Spekulation unterbringungsunwilliger Dienstherren hätte, wenn sie überhaupt bestehen sollte, sicher keine Aussicht auf Erfolg.
Natürlich ist es immer mißlich, ein erst vor kurzem verkündetes Gesetz alsbald wieder zu ändern; aber die Schuld liegt j a in diesem Falle nicht bei den unterbringungspflichtigen Dienstherren. Zudem ist die Änderung nicht umfänglich.
Die Bundesregierung hat bis zur jüngsten Gegenwart nicht gezögert, Gesetzesvorschläge zur Änderung kaum in Kraft getretener Gesetze einzubringen, und sie wird es, nehme ich an, auch in der Zukunft nicht tun.
Die Fraktion der Bayernpartei ist der Meinung, daß der Antrag des 25. Ausschusses abgelehnt und damit der Weg für die zweite und dritte Beratung des Entwurfs Drucksache Nr. 2471 freigemacht werden sollte. Dann bestünde die Möglichkeit, durch einen Änderungsantrag zu Art. I auf die Ersetzung der Worte „eines Jahres" durch die Worte „von neun Monaten" hinzuwirken. Die Bayernpartei wird daher gegen den Antrag des Ausschusses im Mündlichen Bericht stimmen und gegebenenfalls den erwähnten Änderungsantrag einbringen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, dem Antrag des 25. Ausschusses zuzustimmen. Die Situation ist doch folgende. Der Inhalt des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen ist seit langer Zeit bekannt. Die Kommunen haben sehr gut funktionierende kommunale Spitzenverbände, die ihnen in Permanenz, solange die Beratungen liefen und die Verabschiedungen hier stattfanden, Informationen über den Stand der Dinge haben zukommen lassen. Jede Gemeinde in Westdeutschland, auch jede Großstadt im Rheinland, war in der Lage, sich spätestens ab Herbst 1950 auf das Gesetz und seine Konsequenzen einzurichten. Der Herr Minister Flecken hat hier große Zahlen aus Städten in Westdeutschland genannt; aber er hat vergessen, Zahlen aus etwas ostwärts gelegenen deutschen Ländern der Bundesrepublik zu nennen. Von dort könnte er nämlich mit solchen Zahlen nicht aufwarten.
Dort haben nämlich die Kommunen, Kreise usw. unter dem Druck der Vertriebenen seit langer Zeit bereits entsprechend höhere Quoten eingestellt und ihren Anteil erfüllt. Ich kenne aus zahllosen Verhandlungen meines Gemeinderates den Gang der Dinge und weiß, wie wir uns rechtzeitig darauf eingestellt haben und daß wir nicht zu zahlen brauchen. Das hat auch die überwiegende Mehrheit aller gutwilligen Kreise und Kommunen getan. Es wäre eine grobe Nachlässigkeit gegen sie, wenn man den, ich möchte einmal sagen, Rebellen hier nachgeben wollte.
Aus grundsätzlichen Erwägungen sollte dies nicht geschehen.
Meine Damen und Herren, ich anerkenne selbstverständlich, daß Nordrhein-Westfalen in mancher
Beziehung sehr vorbildlich gearbeitet hat. Es hat
die Gleichstellung der Vertriebenen-Pensionäre mit
den einheimischen durchgeführt; aber NordrheinWestfalen hatte auch wesentlich mehr Geld als
andere Länder, um das durchführen zu können. Der
Herr Minister Flecken hat nun auch gefragt, was
clie Bundestagsabgeordneten der einzelnen Orte getan haben. Darauf kann ich von mir, aber auch von
vielen anderen, sagen, daß wir rechtzeitig auf diese
Dinge hingewiesen und uns dafür eingesetzt haben,
daß dem Gesetz, das in der Vorbereitung war und ja dann auch verabschiedet wurde, voll Rechnung getragen wurde.
Zum Schluß noch etwas anderes. Ich bin der Auffassung, daß der Strafcharakter dieser Gesetzesbestimmung
—
doch, es ist eine Strafe, nämlich eine Strafe für Nachlässigkeit —
unter allen Umständen aufrechterhalten werden muß. Wenn er fiele, würden wir nur diejenigen unterstützen, die bisher zu faul, zu müßig gewesen sind. Herr Kuntscher, Sie lachen mich die ganze Zeit schon so freundlich an; ich hoffe sehr, daß Sie als Vertriebenen-Abgeordneter der CDU, also einer Partei, die wesentlich stärker ist als die meine,
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf ist schon bei seiner Einbringung hier lebhaft umkämpft gewesen. Sie ersehen aus der verschiedenartigen Abstimmung der beiden beteiligten Ausschüsse, daß er in seinem § 14 heute noch ebenso lebhaft bekämpft wird wie früher.
Lassen Sie mich aus einer zwanzigjährigen Praxis in der kommunalen Verwaltung, aus der Zeit meiner Tätigkeit im Rheinischen, im Preußischen und Deutschen Städtetag bekennen, daß ich der
Meinung bin: diese Vorschrift bietet die einzig wirksame Möglichkeit, die Erfüllung des Pflichtanteils des Besoldungsaufwands wirklich durchzusetzen.
Bei aller kommunalen Freundlichkeit muß man doch sagen: Wie schön wäre es, wenn alle kommunale Engel wären! Aber sie sind es leider nicht.
Es ist ein Akt der Gerechtigkeit des Hohen Hauses, den die Regierung erbittet, daß diejenigen, die ihr Bestes tun, um die 131er unterzubringen, nun gegenüber denen etwas geschützt werden, die es mit ihren Pflichten leichter nehmen.
Es ist hier soviel von Millionenbeträgen für einige große Städte geredet worden. Ich möchte dazu sagen: das zeigt andererseits auch, wie stark diese Städte mit der Erfüllung ihrer Pflicht zurückgeblieben sind.
Ich bitte Sie, doch einmal zu bedenken, daß, was
ich bei der Einbringung des Gesetzes schon ausgeführt habe, diese 5 % des Besoldungsaufwands
doch beileibe nicht als eine Strafe angesehen
werden müssen, sondern daß sie nur 5 % des gesamten Besoldungsaufwands für Beamte und Angestellte — die Arbeiterschaft hier nicht eingeschlossen — darstellen. Sie müssen diese ganzen
5 % auch noch einmal im Rahmen des Gesamthaushaltsplans betrachten. Tun Sie das, dann bleiben diese 5 % immer unter 1 % der Gesamtausgaben zurück.
Also so erschütternd ist das gar nicht.
Ich habe auch die Ausführungen des Herrn Kollegen Flecken nicht so aufgefaßt, daß er gegen das Prinzip ist, sondern daß ihn hauptsächlich der Stichtag bekümmert hat.
— Selbstverständlich! — Und dieser Stichtag hat insofern etwas Fatales, als die Verkündung des Gesetzes wirklich spät, sechs Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt ist.
Deshalb habe ich mich als zuständiger Minister mit dem Finanzkollegen in Verbindung gesetzt und bin von ihm ermächtigt, vor Ihnen zu sagen, daß im Hinblick auf diese späte Verkündung die Ausgleichsbeiträge, die sich in der Zeit vom 1. Juli bis 15. August 1951 ergeben, in der Regel nach § 54 der Reichshaushaltsordnung niedergeschlagen werden sollen. Damit ist praktisch die Frist bis zum 15. August 1951 verlängert. In diesem Sinne bitte ich Sie im Namen der Regierung um die Ablehnung des Entwurfs.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Matzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nach den sachlichen Darlegungen des Vertreters des Bundesrates im Namen meiner Parteifreunde noch folgende kurze Erklärung zu diesem Abänderungsgesetz hinsichtlich § 14 Abs. 2 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes abzugeben.
Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages hat während der Beratung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes ihre großen Bedenken gegen den Ausgleichsbeitrag der unterbringungspflichtigen Körperschaften vorgetragen. Die von uns in der zweiten Lesung beantragte Streichung fand unter dem Eindruck der gewichtigen Argumente eine Mehrheit, die leider bei der dritten Lesung nicht mehr gegeben war.
Der heute vorliegende Initiativantrag des Bundesrates hat nicht die Beseitigung dieser Ausgleichsabgabe zum Ziele, er will lediglich den Beginn der Zahlungsverpflichtung auf den 1. April 1952 verlegen. Dieses Anliegen ist nach unserer Meinung durchaus berechtigt.
Die stichhaltige Begründung liegt schon darin, daß das Gesetz erst am 11. Mai 1951 verkündet werden konnte, also die Frist von drei Monaten wegen rückwirkenden Inkrafttretens des Gesetzes bis auf den 1. April 1951 schon am 1. Juli, also nach knapp sieben Wochen, auslief.
Es müßte doch allgemein anerkannt werden, daß
den hiervon betroffenen Ländern, Gemeinden und
anderen Körperschaften eine angemessene Zeit ge-
lassen werden sollte, ihre Maßnahmen nach den Bestimmungen des Gesetzes einzurichten.
Die verlangte Fristverlängerung bis 1. April 1952 ist Unter diesem Gesichtspunkt verständlich und notwendig.
Dazu kommen aber noch weitere sehr gewichtige Gründe, die aus den inzwischen festgestellten und nachgeprüften Belastungen stammen, von denen vor allem die Gemeinden betroffen werden. Es darf nicht übersehen werden, daß die in so kurzer Frist — und nur um diese Frist handelt es sich heute — eintretenden Belastungen eine schwere Erschütterung der Finanzgebarung in den Gemeinden darstellen. Sie würden sich ohne Zweifel zu Lasten anderer lebenswichtiger Aufgaben auswirken und hier nicht zuletzt zum Schaden des großen entwurzelten Personenkreises, von dem der im Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes nur einen kleinen Teil darstellt. Die Unterbringung dieses Personenkreises ist durch die klaren Bestimmungen des Gesetzes im Anlauf vollständig gesichert, und der größte Teil der unterbringungspflichtigen Körperschaften bemüht sich unter den schwierigsten Verhältnissen um die Erfüllung dieses Gesetzes.
Wir sind deshalb der Meinung, daß es aus politischen und psychologischen Gründen erforderlich ist, diesen anlaufenden Eingliederungsprozeß nicht mit den in so kurzer Frist eintretenden Belastungen mit ihren wahrscheinlichen Folgen zu stören. Die Fraktion der SPD wird deshalb den Ausschußantrag ablehnen und bittet nochmals alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, dem Initiativantrag des Bundesrates in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Debatten in diesem Hause werden immer dann schwierig, wenn es sich um die Wahrung von Interessen bestimmter Gruppen handelt.
Auch bei dieser Debatte stehen Interessen einander gegenüber, Interessen, deren grundsätzliche Berechtigung ich keiner von beiden Seiten absprechen möchte: einerseits kommunale Finanzinteressen, die sicherlich sehr viel für sich haben, und auf der anderen Seite das Interesse an der möglichst schnellen und durchgreifenden Unterbringung des Personenkreises zu Art. 131.
Ich möchte nun diese beiderseitigen Interessen einmal mit ganz wenigen Sätzen gegeneinander abwägen, um zu prüfen, welche Interessen im vorliegenden Fall als die überwiegenden und staatspolitisch dringlicheren anzusehen sind.
Zunächst etwas zu dem Einwand, die Gemeinden hätten, da das Gesetz erst Mitte Mai verkündet worden sei, nicht genügend Zeit gehabt, sich auf die Einstellungsverpflichtung einzurichten. Dazu ist erstens zu sagen, daß nach der soeben vom Herrn Bundesinnenminister abgegebenen Erklärung die im Gesetz vorgesehene Dreimonatsfrist praktisch wiederhergestellt worden ist. Darüber hinaus aber ist es völlig unzutreffend, anzunehmen, die Gemeinden hätten vorher nicht die Möglichkeit gehabt, sich auf die Dinge einzurichten;
denn diesem Gesetz zu Art. 131 ging ja ein anderes Gesetz voraus, das Gesetz über die Sicherung der Unterbringung der 131er, das bereits im März dieses Jahres verkündet und schon im Dezember vorigen Jahres vom Bundestag beschlossen worden ist. Das Gesetz konnte lediglich infolge des damaligen Eingreifens des Bundesrates nicht früher verkündet werden, da sich der Bundesrat auch damals berufen fühlte, die Interessen der einstellungspflichtigen Körperschaften zu vertreten. Dadurch wurde das Inkrafttreten dieses Gesetzes hinausgeschoben.
Zweitens: Es ist sicherlich richtig, daß die Handhabung der Ausgleichsabgabebestimmung eine Härte bedeutet für solche Einstellungspflichtigen, die wirklich unschuldigerweise — und deren gibt es gewiß genug — dieser Einstellungsverpflichtung nicht rechtzeitig haben nachkommen können. Aber leider müssen wir unsere Gesetze nun einmal so machen, daß auch Böswillige — und die gibt es wie unter den Menschen so auch unter den Gemeinden — sich den gesetzlichen Verpflichtungen nicht allzu leicht entziehen können.
Wenn man nun sagt, daß die Belastung, die durch die Ausgleichsabgabe im einzelnen auf die Gemeinden, auch unschuldige, gelegt wird, zu hoch sei, so weise ich demgegenüber darauf hin, daß wir auch einmal an das allgemeine Interesse der Gesamtheit der Steuerzahler denken sollten, die, wenn das Gesetz nicht mit allem Nachdruck durchgeführt wird, ein Vielfaches dieser Ausgleichsabgabe in Form von Übergangsgehältern für die einzustellenden Beamten über den Bundesetat zu bezahlen haben.
Wir wollen aber mit unseren Maßnahmen die Gesamtheit der Steuerzahler vor höheren Aufwendungen bewahren, auch auf die Gefahr hin, daß bei den Gemeinden ein kleiner Nachteil hängen bleibt; schließlich haben ja auch die Gemeinden ein Interesse an der steuerlichen Entlastung ihrer Bürger.
Es ist dann auf das Fehlen der Ausführungsbestimmungen hingewiesen worden. Nun, deren zwei sind ja endlich im letzten oder vorletzten Bundesgesetzblatt erschienen. Im übrigen ist die dritte und wichtigste seit längerem in dringlicher Vorbereitung. Man sagt uns aber immer wieder, die Verhandlungen mit dem Bundesrat nähmen so lange Zeit in Anspruch, daß die Ausführungsbestimmungen noch nicht hätten verkündet werden können. Ich benutze daher die Gelegenheit der Behandlung dieses Gesetzentwurfes, sowohl den Bundesrat als auch das Bundesinnenministerium., vor allem aber auch manche Landesregierung auf das nachdrücklichste zu bitten, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen, um die Realisierung des Gesetzes zu Art. 131 nun endlich zu ermöglichen.
— Ich weiß zufällig, Herr Kollege, daß die Dinge in Hesse n am schlimmsten sind!
Meine Damen und Herren, ich habe die Dinge eben vom Standpunkt der Gemeinden behandelt. Ich gebe zu, daß vieles, was an Grundsätzlichem vom gemeindlichen Standpunkt gesagt worden ist, durchaus berechtigt ist. Die Frage, die nun auftritt, ist lediglich die, ob nicht die Notwendigkeit, die 131er mit allen nur denkbaren Mitteln unterzubringen, nicht noch vordringlicher ist als das finanzpolitische Interesse der Gemeinden.
Wir müssen uns doch einmal vor Augen halten, wie
dringlich die Sorge unseres Staates ist, unsere vertriebenen Beamten und unsere Berufsunteroffiziere,
für die sich die Sozialdemokratische Partei sonst immer so sehr zu interessieren vorgibt,
so schnell wie möglich endlich in unseren Behörden unterzubringen,
um diesen Personenkreis nicht von unserem demokratischen Staat abzudrängen, ihn nicht in feindselige Opposition hineinzutreiben. Daher ist es eine dringende staatspolitische Notwendigkeit, nun unter allen Umständen die Türen der Behörden zu öffnen, damit diese Einstellungsverpflichtung endlich realisiert wird. Demgegenüber tritt diese relativ kleine finanzielle Belastung der Gemeinden wirklich in den Hintergrund.
Man komme uns doch nicht mit den Millionenbeträgen von Köln und Düsseldorf! Es geht hier doch darum: wenn eine Gemeinde einen Personaletat von 100 000 DM hat, dann können, wenn sie keinen 131er eingestellt hat, äußerstenfalls 5000 DM erhoben werden; wenn sie wirklich keinen eingestellt hat, soll sie das auch bezahlen. Hat sie nur die Hälfte des Solls eingestellt, dann muß sie 2500 DM bezahlen. Das sind 2 1/2% des Personaletats und weit weniger als 1% des Gesamtetats. Man könnte also eher sagen, daß der Druck, der ausgeübt wird, zu gering ist, als daß man sagt, er wäre finanziell zu stark.
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß es eine ausgesprochene Staatsnotwendigkeit und eine unserer wichtigsten Nachkriegsaufgaben ist, den vertriebenen Beamten und den alten Berufssoldaten bei der Erfüllung ihres Unterbringungsanspruches zu helfen. Dieser Gedanke muß über den verhältnismäßig geringfügigen kommunalen oder Länder-Finanzinteressen stehen. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag des Beamtenrechtsausschusses zuzustimmen und den Gesetzentwurf des Bundesrates abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vielen Beratungen im Ausschuß für Beamtenrecht und auch hier im Plenum ist mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß ein Hauptteil dieses Gesetzes die Unterbringung der noch arbeitsfähigen Menschen wäre. Ich glaube, das ist die Sache; und die Terminfragen und auch die Finanzfrage müßten unter dem Gesichtspunkt der Unterbringung der noch Arbeitsfähigen gesehen werden. Die andere Hauptgruppe, die der Pensionäre, ist hinsichtlich der Bezüge mit den einheimischen Ruheständlern gleichgestellt worden. Bevor das Gesetz hier verabschiedet war, haben wir Überbrückungsbeihilfen zahlen müssen; nach der
Verabschiedung des Gesetzes bekamen diese Menschen Übergangsgehälter. Die Übergangsgehälter sind so niedrig gehalten, weil man ja nur mit einer vorübergehenden Zeit rechnete und glaubte, daß die Unterbringung oder die Wiederbeschäftigung sehr viel schneller vor sich gehen würde.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Unterbringung nicht fördern, werden wir in nicht allzu ferner Zeit diesen Menschen die Übergangsgehälter wesentlich erhöhen müssen. Dann wird also die finanzielle Seite auch dort erheblich anders.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ausführungen des Vertreters des Bundesrats, des Herrn Ministers von Nordrhein-Westfalen, dahin aufgefaßt, daß das wesentlichste Anliegen in diesem Initiativgesetz darin zu sehen sei, die Frist zu verlängern. Herr Minister, Sie sagten, das bedeute in Wirklichkeit eine Verlängerung von drei auf zwölf Monate, und das würde bedeuten, daß die Ausgleichsabgabe erst ab 1. April 1952 fällig würde. — Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es hier gar nicht so sehr um die Fristerweiterung geht, sondern ich habe nach den Verhandlungen im Bundesrat am 27. April dieses Jahres und nach der nochmaligen Lektüre seines Verhandlungsprotokolls den Eindruck, daß es im wesentlichen darum geht, Zeit zu gewinnen, und daß dann in der gewonnenen Zeit der § 14 Abs. 2 geändert, oder noch deutlicher, daß er aus dem Gesetz entfernt werden soll. Ich glaube, ich kann für diese meine Meinung eine ganze Menge Stützen beibringen.
Als die Beratung am 27. April im Bundesrat vor sich ging, hat sich der damalige Präsident, Herr Dr. Ehard, sehr verdient darum gemacht, daß es überhaupt zur Annahme kam und der Vermittlungsausschuß nicht angerufen werden mußte. Aber er erklärte: „Es ist meine feste Überzeugung, daß die Diskussion über den § 14 Abs. 2 nicht zur Ruhe kommen wird". Und an einer anderen Stelle sagte er: „Allerdings müßte für den § 14 Abs. 2 eine Sonderregelung oder irgend etwas Ähnliches angestrebt werden". Ja, er erklärte sogar, man könne das Bundesverfassungsgericht anrufen, weil ja § 14 Abs. 2 einen sehr starken Eingriff in die Selbstverwaltung darstelle. Und am Schluß, als mit 21 zu 18 Stimmen bei vier Enthaltungen das Gesetz zur Annahme gekommen war, stellte er fest, die Bedenken zu § 14 Abs. 2 seien mit der Annahme nicht aus der Welt geschafft worden; sie müßten in irgendeiner Form weiter verfolgt werden.
Ergänzt wurden seine Darlegungen damals durch die Ausführungen eines Sprechers aus Nordrhein-Westfalen. Der Sprecher aus Nordrhein-Westfalen wollte einen Beschluß vom Bundesrat, der die Bundesregierung ersuchen sollte, das Gesetz auch nach der Annahme mit seinen §§ 14 Abs. 2 und 18 auszusetzen. Er wurde von seinem bayerischen Kollegen Herrn Dr. Ringelmann unterstützt, der erklärte, nicht nur § 14 Abs. 2 sei auszusetzen, sondern der ganze § 14, auch Abs. 1, damit man dann einen Weg offen behalte, Zeit zu weiteren Verhandlungen zu bekommen.
Meine Damen und Herren, was heißt das? Es soll weiter verhandelt werden, um den § 14 Abs. 2 tatsächlich zu beseitigen. Herr Minister, ich hätte mich gefreut, wenn Sie gesagt hätten: Es sind noch vier Monate bis dahin; in diesen vier Monaten geben wir allen beteiligten Stellen und Dienstherren die
Anweisung, soviel wie möglich dieser Menschen in Beschäftigung zu bringen; ab 1. April zahlen diejenigen Stellen, die es nicht schaffen konnten in der Unterbringung, willig den Ausgleichsbetrag. Wir hören so oft gerade von den Jahrgängen zwischen 40 und 50, daß ihre Bewerbungsschreiben abgelehnt werden, zwar mit dem Hinweis, es fehle an den Planstellen; aber sie hätten doch den Eindruck, daß sie ihres Alters wegen nicht mehr in Frage kämen. Meine Damen .und Herren, das sind gerade die, die am allerübelsten daran sind. Das sind Menschen, die durch ihre Teilnahme am Krieg oder durch ihr Festgehaltenwerden in der Gefangenschaft zehn und noch mehr Jahre verloren haben. Für diese Menschen müssen wir sorgen.
Ich wundere mich, Herr Kollege Matzner: bis zur zweiten Lesung — kurz vor dem Abschluß — in unserem Beamtenrechtsausschuß waren auch die Vertreter Ihrer Partei für einen solchen Paragraphen, der eine Ausgleichsabgabe fordert.
Von dieser zweiten Lesung ab war das auf einmal nicht mehr Ihre Meinung. Wir haben sagen hören, daß für diese Meinungsänderung sehr wesentlich die Kommunalpolitiker aus Ihrer Fraktion mitverantwortlich seien. Es ist auch von Ihnen, Herr Kollege Matzner, in der Lesung des Beamtenausschusses kürzlich, als wir den Beschluß faßten, gesagt worden, man möge doch dieses Gesetz des Bundesrats annehmen, weil man ja doch zukünftig mit dem Bundesrat in bestem gemeinsamem Arbeiten zusammen schaffen wolle. — Ja, meine Damen und Herren, dann müßte man aber gerade umgekehrt formulieren; dann hätte doch der Bundesrat seine Bedenken gegen § 14 Abs. 2 um des guten Zusammenarbeitens mit uns willen aufgeben sollen, da der Bundestag j a dieses Gesetz geschaffen hat.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion stimmt dem Vorschlag des Ausschusses für Beamtenrecht zu. Sie wird dem Initiativgesetz des Bundesrates die Zustimmung versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Innenminister hier. die Änderung des Stichtages bekanntgegeben hat, so daß das, was in § 14 zu beanstanden war, ausgeräumt ist, gibt es praktisch keine Einwendungen mehr gegen die Regelung des § 14.
Diejenigen, die jetzt noch gegen diese Regelung sind — anders fassen es meine Freunde nicht auf, und nach dem, was soeben der Kollege Gaul gesagt hat, stimmt das auch —, wollen sich vor ihrer Verpflichtung drücken, verdrängte Beamte, vor allen Dingen vertriebene Beamte unterzubringen.
Gerade wir aus den Vertriebenenländern wissen, wie sich die anderen Länder verhalten haben. Sie haben trotz vertraglicher Verpflichtung Vertriebene nicht aufgenommen. Darüber wird morgen noch zu reden sein.
Diese vertriebenen Beamten gehören in dieselbe Kategorie. Hier wäre einmal zu zeigen gewesen, daß man bereit ist, wenigstens in diesem kleinen Kreise seine Pflicht zu tun.
Es ist soeben darauf hingewiesen worden, daß die SPD im Ausschuß bis zur zweiten Lesung — und ich habe laut Protokoll darauf aufmerksam machen müssen — eine andere Stellung eingenommen hat. Der Herr Kollege Gaul hat soeben schon gesagt, warum.
Ich möchte aber noch ein anderes, was da mitgespielt hat, nennen; ich vermute das. Es handelt sich bei den 131ern nicht um einen Kreis von gewerkschaftlich organisierten Leuten, und darum interessiert er natürlich die SPD nicht.
Ich kann es mir nicht anders erklären.
Ich bin gewohnt, ein offenes Wort zu sprechen, und muß auch das ganz offen hier sagen.
Meine Fraktion stimmt dem Ausschußantrag zu und lehnt den Antrag des Bundesrates ab. Wir bedauern, daß der Herr Vertreter des Bundesrates heute hier nicht in der sachlich-nüchternen Form eines Berichts, sondern in der Form eines Abgeordneten, sogar in polemischer Form gesprochen hat. Wir möchten hoffen, daß das in Zukunft in diesem Hause nicht wieder in dieser Form vorkommt.
Das Wort hat der Abgeordnete Fröhlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits anläßlich der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes nach Art. 131 des Grundgesetzes wurden Anträge eingebracht, um den § 14 Abs. 2 nach der Richtung abzuändern, daß die Pflicht zur Wiedereinstellung der verdrängten Beamten abgeschwächt wird. Die damals vorgetragenen Argumente sind die gleichen wie heute. Sie waren damals ebensowenig durchschlagend, wie sie heute überzeugend wirken. Tatsache ist - und das lehren Einzelbeispiele —, daß die bisherigen Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes nach Art. 131 sehr schlechte sind. Der hier betroffene Personenkreis legt den allergrößten Wert darauf, daß der Druck zur Wiedereinstellung verstärkt wird. Diese Menschen haben, wie hier schon erwähnt wurde, nicht die Absicht, die Unterhaltsgelder zu beziehen, sondern sie wollen so schnell als möglich wieder in Arbeit und Brot kommen. Wir bedauern es sehr, daß heute von seiten des Bundesrates nicht ein Vertreter der Länder gesprochen hat, die die meisten Vertriebenen aufgenommen haben. Es wäre gut gewesen, wenn das geschehen wäre; dann wäre auch die andere Seite einmal zur Sprache gekommen.
Nach unserer Auffassung geht es bei der Abänderung des § 14 Abs. 2 nur darum, daß man sich um die Verpflichtung der Unterbringung herumdrücken
7246 Deutscher Bundestag 178 Sitzung Bonn, Donnerstag, den 22. November 1951
will. Um nichts weiter geht es. Weiterhin muß darauf hingewiesen werden, daß in dem Personenkreis nach Art. 131 des Grundgesetzes die Enttäuschung bereits so groß ist, daß wir es uns nicht leisten können, sie durch eine Verwässerung dieses Gesetzes ins Unermeßliche zu steigern. Der Herr Kollege von Thadden hat davon gesprochen, daß es sich hierbei um ein Strafgeld handele. Ich glaube, so kann man es nicht bezeichnen.
Nach unserer Auffassung ist es nichts weiter als ein gerechter Lastenausgleich zwischen denen, die guten Willens waren, und den anderen, die von sich aus nicht bereit waren, ihren menschlichen und staatspolitischen Verpflichtungen nachzukommen. So liegen die Dinge.
Ich darf darum bitten, daß das Initiativgesetz des Bundesrates abgelehnt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint, wenn es um § 14 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen geht, komme ich immer zu Wort, wenn so die richtige Stimmung hier im Hause ist. Ich will Sie heute nicht reizen, muß aber doch einiges sagen.
— Die Stimmung ist schon da! — Wir befinden uns, wenn wir für die Beibehaltung der Fassung dieses Paragraphen eintreten, in einer recht guten Gesellschaft. Denn auch die Regierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Initiativgesetzesantrag des Bundesrates klar und deutlich ausgesprochen, daß sie diesen Antrag ablehnt, weil sie die starke Befürchtung hat, daß bei einer Verlängerung des Termins auf ein Jahr die Dienstherren in der Erfüllung ihrer Pflicht nur noch lauer werden, als es ohnedies der Fall ist.
Weiter sagt die Regierung in ihrer Stellungnahme, daß dieser Initiativantrag des Bundesrates auf Erstreckung der Frist auf ein Jahr nur eine vorläufige Maßnahme bezweckt. Man trägt sich in Bundesratskreisen mit der Absicht, nach einem Jahr durch eine neue gesetzliche Maßnahme diesen Ausgleichsbetrag überhaupt zu Fall zu bringen. Aus diesem Grunde sind unsere Bedenken voll berechtigt. Es geht hier um eine ganz wichtige Angelegenheit, nämlich darum, daß endlich die Menschen zu dem Recht kommen, für das sie seit Jahren gekämpft und gestritten haben, und daß diejenigen, die ihnen heute vielfach dieses Recht noch vorenthalten, durch die Bestimmungen dieses § 14 Abs. 2 dazu angehalten werden, diese ihre Pflicht auch tatsächlich zu erfüllen.
Wenn ich noch etwas dazu zu sagen habe, so ist es das, daß ich die von dem Sprecher des Bundesrats genannten Zahlen über die Höhe des Ausgleichsbetrages anzweifle. Auch wir haben uns bemüht, durch das Innenministerium und durch Fachleute festzustellen, wie hoch die Prozentsätze dieser Ausgleichsabgaben im Verhältnis zu den Personaletats nach den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen
sind. Und da wurde festgestellt, daß viele Gemeinden, welche Beträge, die in die Hunderttausende gehen, oder gar Millionenbeträge für diese Ausgleichsabgaben nennen, bei der Berechnung von einem falschen Schlüssel ausgegangen sind, indem sie nämlich den gesamten Besoldungsaufwand, d. h. nicht nur für die aktiv Dienenden, sondern auch für ihre Pensionäre und die Renten der Hinterbliebenen als Berechnungsgrundlage nehmen und dann die errechnete Differenz als den Ausgleichsbetrag betrachten. Dadurch sind diese hohen Summen entstanden. Das muß hier einmal klargestellt werden. Ich könnte durch einen praktischen Fall den Nachweis dafür erbringen, wo in einem Landkreis in Niedersachsen bei den letzten Haushaltsberatungen ein Ausgleichsbeitrag eingestellt wurde, ausgehend vom gesamten Personalaufwand, also für die aktiv Dienenden und für die Versorgungsberechtigten des Kreises, woraus sich ein doppelt so hoher Beitrag ergab, als tatsächlich notwendig war.
Und zum' Schluß kommt es mir, meine Damen und Herren von der Linken, doch so vor, als ob nicht allein die Kommunalinteressen bei Ihnen das Maßgebende sind. In der letzten Sitzung des Beamtenrechtsausschusses, in der über diese Frage beraten wurde, ist mir eine Äußerung des Kollegen Matzner sehr sonderbar aufgefallen. Er stellte die Frage: Wem kommen denn diese Beträge an aufgebrachten Ausgleichsbeiträgen zugute? — Doch nur dem Bund, und der Bund wird damit in seinen Ausgaben für die 131er entlastet. Ich nehme an, daß damit der wahre Grund Ihrer Ablehnung offen ausgesprochen wurde. Das Kommunalinteresse wird vorgeschützt; in Wirklichkeit soll aber dem Bund auch auf diesem Wege eine Einnahme verweigert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Wir haben ja einige sehr kluge Reden hier gehört, und man merkte förmlich, daß einige Kollegen in diesem Hause, vor allen Dingen soweit sie sich mit meiner Fraktion beschäftigten, geradezu das Gras wachsen hören. Aber, Herr Kollege Kuntscher, wer hat denn in den letzten Sitzungen des Hohen Hauses hier dem Bunde die Einnahmen verweigert? Waren es denn nicht die Koalitionsparteien, die sich in einer heftigen Weise gegen die Vorschläge ihres eigenen Finanzministers ausgesprochen haben?
Ich habe schon bei der zweiten Beratung im Namen der kommunalen Spitzenverbände hier eine Verwahrung einlegen müssen, und ich bin leider auch heute wieder dazu gezwungen, und zwar angesichts der Ausführungen von Herrn Kollegen Farke. Ich bin zwar der Überzeugung, daß man es nicht allzu tragisch nehmen soll. Aber wenn Herr Farke hier behauptet hat, daß diejenigen, die die Einstellungen vorzunehmen hätten, sich davor drücken wollten, dann ist das eine so infame Unterstellung angesichts der Gesamtleistungen, die die Kommunen nicht nur für die Beamten, sondern insgesamt für die Vertriebenen aufgebracht haben,
daß Sie sich so etwas sehr überlegen sollten.
Der Herr Innenminister hat den Oberbürgermeister und das Vorstandsmitglied des Deutschen Städtetages Lehr aus der Zeit vor 20 Jahren be-
schworen. Herr Innenminister, ich bin der Überzeugung, daß der Oberbürgermeister Lehr und das Vorstandsmitglied des Städtetages Lehr, wenn er den jetzigen Innenminister sähe, ein Wort aussprechen würde, das Sie sich einmal von den Berlinern sagen lassen müssen. Ich möchte es hier an dieser Stelle nicht wiederholen, aber seien Sie überzeugt: es würde sehr eindeutig sein! Allerdings sind die Erkenntnisse bei Ihnen, Herr Innenminister, ja wohl nicht nur im Laufe von zwei Jahrzehnten nicht die gleichen geblieben; denn wenn ich mir Ihre Darlegungen vergegenwärtige, die Sie auf dem Städtetag im Juli dieses Jahres in München gemacht haben,
und sie mit dem vergleiche, was Sie heute hier gesagt haben, so ist das doch auch wohl ein mindestens so großer Unterschied wie der Unterschied zwischen dem Oberbürgermeister vor 20 Jahren und dem jetzigen Innenminister.
Aus welchen Gründen Sie in München so gesprochen haben, will ich dann allerdings hier nicht weiter erörtern.
Und nun zu der Angelegenheit drei Punkte!
Herr Fröhlich war es, der darauf hingewiesen hat, daß der Personenkreis, der hier in Frage kommt, erwartet, daß dieses Gesetz angenommen wird. Ach, Herr Fröhlich und all die anderen Vertriebenen-Abgeordneten und auch Sie, Herr Innenminister, hätten einmal daran denken sollen, als vor einigen Wochen das Gesetz über die Pensionserhöhung beschlossen wurde! Da haben Sie, Herr Innenminister, es nicht verstanden, sich gegenüber dem Finanzminister durchzusetzen, genau so wenig wie die Koalition! Sie haben damals die Gleichstellung nicht erreicht.
Und das betrifft, Herr Schütz, ja schließlich einen wesentlich größeren Personenkreis! So billig, wie es heute hier geschehen ist, soll man sich die Agitation wirklich nicht machen!
Dann ist darauf hingewiesen worden, daß ja letzten Endes, was die Gemeindevertreter angeht, — —
— Herr Kuntscher, Sie können mich nicht reizen; dazu haben Sie nicht das Format!
Meine Damen und Herren! Darf ich an Sie appellieren, diese Auseinandersetzungen im sachlichen Bereich zu belassen und sie nicht auf das persönliche Gebiet zu verlagern.
Meine Damen und Herren, es ist darauf hingewiesen worden, daß durch die Vereinbarung zwischen Innenminister und Finanzminister dahingehend, die Frist um sechs oder acht Wochen zu verlängern, die Schwierigkeiten beseitigt seien. Die Diskussionsredner haben hier völlig vergessen, daß die Gemeinden dieses Gesetz mitten im Haushaltsjahr getroffen hat und daß gerade deshalb die Verhältnisse so außerordentlich schwierig geworden sind.
— Weil man nämlich im Nachtragshaushalt die Einnahmen nicht beliebig erhöhen kann, läßt sich das eben nicht erledigen!
Aber, meine Damen und Herren, diejenigen, die vom Standpunkt der Vertriebenen-Abgeordneten diese Dinge hier so stark betont haben, sollten doch einmal an eines denken: In jeder Gemeindevertretung haben Sie heute die Diskussion über diese Frage, und in jeder Gemeindevertretung wird über die mehr oder weniger große Höhe dieses Beitrages, der ja letzten Endes, wie auch Herr von Thadden mit Recht gesagt hat, ein Strafgeld ist, erheblich debattiert. Sie dürfen nicht vergessen — ich habe das bei der zweiten Lesung schon gesagt —, daß damit insgesamt eine Stimmung erzeugt wird, die der Politik, die für die Vertriebenen allgemein, nicht nur für die Beamten, getrieben werden muß, nicht gerade förderlich ist.
Dann, Herr Innenminister, möchte ich Ihnen noch folgendes sagen: Sie sollten in Ihrem Ministerium einmal eine Überlegung anstelle. Gewiß, die Bundesgesetze sind von den Ländern auszuführen. Aber diejenigen, die die letzte Last zu tragen haben und auf deren guten Willen auch die Bundesregierung angewiesen ist, sind ja wohl die Gemeinden. Ich glaube, der Kommunalpolitiker hätte einigen Wert darauf zu legen, daß die Gemeinden diese Aufgabe, die sie gewissermaßen im Auftrage des Bundes erfüllen, gern und freudig erfüllen, daß sie es mit Freuden tun und nicht mit Seufzen. Wenn Sie diese Strafgelder auferlegen, werden Sie allerdings dazu kommen, daß die Gemeinden diese Aufgabe nur noch mit Seufzen tun, und ich glaube, das wäre, auch wenn man es sich einmal von der Gesamtpolitik der Bundesregierung aus ansieht, nicht gerade förderlich.
Meine Damen und Herren, wer ehrlich und klar, ruhig und nüchtern die Dinge überlegt, der weiß, daß es hierbei nicht nur um die Frage der Gemeinden geht, sondern letzten Endes um die Gesamteinstellung zu der Vertriebenen-Politik und zu den Fragen der Vertriebenen überhaupt. Mit der Annahme des Ausschußantrages aber leisten Sie dieser Vertriebenen-Politik den allerschlechtesten Dienst.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der die Dinge kennt und der in den letzten anderthalb Jahren in diesen Fragen mitgearbeitet hat, weiß, daß dieses die Kardinalfrage für die Unterbringung der 131er ist.
Da die Unterbringungsfrage auch zugleich die Lebensfrage für den Teil der 131er ist, die noch einmal wieder in Brot und Arbeit kommen wollen, also für die aktiven Ostbeamten und die noch nicht wieder eingestellten Westbeamten, steht oder fällt mit der Regelung der Unterbringung letzten Endes auch der Erfolg oder Nichterfolg des ganzen 131erGesetzes.
Die Koalitionsparteien, Herr Mellies, können jedenfalls im Gegensatz zur SPD für sich in An-
spruch nehmen, daß sie in dieser entscheidenden Frage zu keiner Zeit irgendwie geschwankt haben. Vom ersten Tag der Ausschußberatung an bis zur letzten Lesung des Gesetzes haben sie immer den Standpunkt vertreten, daß hinter die Unterbringung ein finanzieller Druck gesetzt werden muß.
Dementsprechend gedenkt auch die FDP ihre Haltung, die sie im Frühjahr bei den entscheidenden Abstimmungen zur zweiten und dritten Lesung eingenommen hat, heute nicht zu ändern. Gerade die Tatsache, daß es eine Reihe der vorhin aufgezählten Städte in den ganzen vergangenen sechs Jahren noch nicht einmal dazu gebracht hat, überhaupt auch nur 5 % der 131er unterzubringen, ist leider ein schlagender Beweis dafür, daß es ohne Druck nicht geht! Es hat sich ja gerade — gewissermaßen als Anklage — aus den Worten des Ministers von Nordrhein-Westfalen ergeben, daß die Städte und Kommunalverbände jetzt mit entsprechenden finanziellen Verpflichtungen belastet sind, eben weil sie zum Teil bisher nur drei oder vier Prozent der 131er untergebracht haben. Die Stadtväter, die selbst so herzlos gegenüber den verdrängten Beamten waren, können sich nicht wundern, wenn jetzt ihr Jammergeschrei bei uns nicht mehr verfängt.
Mögen sie nun ruhig dafür die entsprechende Buße zahlen! Mitleid ist hier nicht angebracht!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine
D Damen und Herren! Herr Abgeordneter Mellies hat es für richtig befunden, Ausführungen meines Fraktionskollegen Farke als infam zu bezeichnen. Ich weiß, daß nach den Gepflogenheiten und den Regeln der Geschäftsordnung eine solche Bezeichnung eine Kritik ist, also keinen Ordnungsruf verdient. Ich muß mich aber mit aller Entschiedenheit im Interesse meines Fraktionskollegen dagegen verwahren, daß seinen Ausführungen eine Unterstellung dieser Art gemacht worden ist. Meine politischen Freunde sind in Niedersachsen in sehr weitgehendem Maße in der Kommunalpolitik tätig. Das, was vom Herrn Kollegen Mellies hier nüchtern über den Ausgleich der beiderseitigen Interessen gesagt worden ist, ist auch von uns reiflich überlegt worden. Wir wissen, daß die Kommunen für die Vertriebenen zum Teil Außerordentliches geleistet haben. Um dieses Problem geht es hier aber nicht. Es geht darum, ein wirksames Mittel zu finden, von dem letzthin die praktische Durchsetzung einer außerordentlich schwierigen Angelegenheit abhängt. Dieser Lastenausgleich ist nötig. Ich glaube, es ist durchaus falsch gesehen, in dieser Frage einen Gegensatz zwischen Vertriebenen und Einheimischen zu konstruieren. Es wäre besser gewesen, wenn Herr Kollege Mellies seinen Ausführungen nicht diese vollkommen unnötige Schärfe gegeben hätte.
Herr Abgeordneter Kuntscher wünscht noch das Wort. Meine Damen und Herren, ich appelliere noch einmal an Sie: Wir wollen die Diskussion nicht auf die persönliche Ebene ziehen.
Nein, das will. ich eben nicht. Ich will Herrn Abgeordneten Mellies nur sagen, daß ich um seine Gunst nicht buhle. Was er als Format ansieht, ist mir ganz gleichgültig, doch diese Schulmeisterei lehne ich ab.
Zum Schluß hat der Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen das Wort.
Dr. Flecken, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ein paar kurze Bemerkungen zu der Debatte machen, die ich auf mich habe wirken lassen.
Zuerst mache ich mich selbst zum Berichterstatter, und zwar für den Herrn Abgeordneten Farke, damit er weiß, wieso und warum ich hier stehe. Herr Farke, ich stehe hier als der Vertreter des Bundesrates, der das Recht auf ein Initiativgesetz hat und der weiter das Recht hat, dieses Gesetz zu begründen und zu vertreten. Davon lasse ich mich, da ich meine Pflicht einhalte, nicht abbringen.
Zweitens darf ich zur Sache selbst feststellen: Auch der Herr Abgeordnete Dr. Wuermeling, der nicht für das Initiativgesetz ist, hat sehr betont erklärt, daß auch Unschuldige — deutlich: Unschuldige — getroffen werden. Herr Bundesinnenminister Dr. Lehr hat von der Frist, um die es hier geht, das Wort gebraucht: Die Frist ist fatal. Das fiel uns vom Bundesrat auf.
Noch einmal darf ich sagen: Sie haben hier über das Gesamtproblem debattiert. Das ist sicherlich Ihr gutes Recht. Zur Begründung des Initiativantrages darf ich aber noch einmal sagen: Es handelt sich hier ausschließlich darum, ob Sie die erbetene Frist bewilligen wollen oder nicht.
Nur um diese Frist handelt es sich. Etwas anderes steht nicht im Gesetz, und ich habe von all den Herren nichts gehört, was irgendwie geeignet sein könnte, zu belegen, daß die Frist keine ehrlich beantragte Angelegenheit ist, mit der man dem Ganzen helfen will.
Darf ich Sie doch auch daran erinnern, daß die Vertreter des Bundesrates nichts anderes sind als Sie auch, nämlich die Vertreter unserer Bundesrepublik. Das Problem steht vor uns allen gleichmäßig. Wir wehren uns nur dagegen, daß Sie Einstellungskörperschaften mit einer Strafe belegen,
mit einem Geldbetrag, der praktisch keine Wirksamkeit hat und der das gar nicht mehr erzielen kann — weil die Fristen abgelaufen sind —, was bei rechtzeitiger Verkündung und Inkraftsetzung des Gesetzes und bei rechtzeitiger Übermittlung der Ausführungsvorschriften — die ja der Bundesrat im Augenblick überhaupt noch nicht hat, mit Ausnahme der Ausführungsvorschriften zu dem Komplex der §§ 19 und 31 — vielleicht hätte wirksamer exerziert werden können als im Augenblick.
Ich darf also vielleicht, soweit es unseren Bundesratsantrag angeht, die Diskussion auf das eigentliche Thema, auf das es ankommt, zurückführen, nämlich auf unsere Bitte, die Frist bis zum 1. April
1952 zu verlängern. Ich kann Ihnen dazu auch sagen, daß sich die Länder ihrerseits auf diese Frist einstellen und daß diese Fristbewilligung keineswegs eine Grundlage dafür ist, irgend etwas anderes an dem Gesetz später einmal kritisieren oder ändern zu wollen. Ob aus anderen Zusammenhängen solche Anträge kommen, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen, da ich erstens kein Prophet bin und zweitens nicht weiß,
was von anderer Seite etwa kommen kann. Vielleicht kommen solche Anträge zu diesem Gesetz sogar aus Ihrer eigenen Mitte.
Ich sage das nicht als irgendeinen Vorbehalt, um mich gegen etwas, was kommen könnte, abzudecken; sondern ich kann Ihnen nur das sagen, was im Augenblick für mich überblickbar ist. Das, was ich Ihnen gesagt habe, ist durch Unterlagen, die in meiner Hand sind, belegt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelbesprechung der zweiten Beratung zu den aufgerufenen Artikeln I und II und darf Ihnen vorschlagen, daß gleichzeitig Einleitung und Überschrift des Gesetzes aufgerufen werden, damit wir die Abstimmung gegebenenfalls nicht zu wiederholen brauchen.
Ich komme zur Abstimmung über Artikel I, Artikel II, Einleitung und Überschrift des Gesetzes, das vom Bundesrat eingebracht worden ist. Ich bitte die Damen und Herren, die für die aufgerufenen Artikel, für die Einleitung und Überschrift sind, eine Hand zu erheben. — Nachdem sich geklärt hat, wofür und wogegen man stimmen will, darf ich um die Gegenprobe bitten. — Meine Damen und Herren, der Vorstand ist überfordert, wenn er sagen soll, welches die Mehrheit ist. Ich bitte Sie, das im Wege des Hammelsprungs zu klären. Wer für das Gesetz ist, geht durch die Ja-Tür, wer dagegen ist, durch die Nein-Tür.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen und die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, zum Schluß der Abstimmung zu kommen. Ich bitte, die Türen zu schließen und die Abstimmung zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für die aufgerufenen Artikel des Gesetzes haben gestimmt 149 Abgeordnete, dagegen 165; Enthaltungen 15. Damit sind alle Teile des Gesetzentwurfs abgelehnt. Weitere Beratung und Abstimmung unterbleiben.
Ich rufe auf Punkt 7:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nr. 2758 [neu] der Drucksachen)
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Etzel. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meine Damen und meine Herren! Gestatten Sie mir, einleitend auf zwei Fehler in der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 2758 hinzuweisen. In § 6 Abs. 3 Buchstabe b ist das Wort „mehreren" durch das Wort „mehr" zu ersetzen. In § 31 ist folgender Satz 2, der sich notwendigerweise aus dem Zusammenhang mit § 32 ergibt und der infolge einer Umformulierung des Satzes 1 versehentlich nicht umgedruckt wurde, hinzuzufügen:
Diese Verpflichtung entfällt, soweit Erwerbsberechtigte von einem Angebot des Kreditinstituts zur Übernahme anderer neu auszugebender Wertpapiere gemäß § 32 Absatz 4 Gebrauch machen.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, dem Herrn Berichterstatter durch etwas mehr Ruhe die Arbeit zu erleichtern.
Meine Damen und Herren! Bei dem Gesetz über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft handelt es sich um die Umlegung von Investitionsmitteln im Gesamtwert von 1 Milliarde DM von der verarbeitenden Industrie, dem Handel und dem Gewerbe auf die Grundstoffindustrien. Die Aufbringung soll nach dem vorliegenden Entwurf einmalig erfolgen. In den Grundstoffindustrien besteht Kapitalmangel durch gebundene Preise, weil gewisse Kapazitätserweiterungen erforderlich sind und weil durch ERP-Mittel anfinanzierte Objekte in der Energiewirtschaft nicht fortgeführt werden können, wenn ihre Fortfinanzierung nicht sichergestellt ist. Die Leistungssteigerung, die mit dem Gesetz angestrebt werden soll, wird bei Kohle, Eisen und Stahl und bei der Energie erstrebt. Dieses Ziel sollte auf verschiedenen Wegen erreicht werden; jedenfalls lagen zu Anfang des Jahres verschiedene Pläne vor. Sie sind schließlich in das Angebot der gewerblichen Wirtschaft durch den Gemeinschaftsausschuß eingemündet. Dieses Angebot wurde dann die Grundlage für den vorliegenden Gesetzentwurf.
Die Grundkonzeption des Gesetzes beruht auf folgenden Punkten. Zunächst wird der Kreis der Begünstigten festgelegt; das sind im wesentlichen die Grundstoffindustrien, außerdem die Zweige, die in § 1 .Abs. 2 aufgeführt werden. Dann wird eine Definition der Aufbringungsverpflichteten gegeben, und die Befreiungen werden festgestellt. Anschließend wird die Bemessungsgrundlage und hiervon abhängig der Aufbringungsbetrag festgelegt, wobei § 10, der gewisse Varianten für besondere Gewerbezweige vorsieht, zu berücksichtigen ist. Es folgen die Vorschriften über Stundung und Erlaß; schließlich die Bestimmungen über die Verwaltung der aufgebrachten Mittel und deren Verteilung. Hier werden Voraussetzungen entwickelt, unter denen Darlehen an Begünstigte vergeben werden sollen, und über die Ansprüche, die die Aufbringungspflichtigen für die Hergabe der Mittel haben. Schließlich folgen Bestimmungen über die Abwicklung des Sondervermögens.
An dieser Grundkonzeption des Gesetzes ist im Ausschuß nichts geändert worden; aber alle grundlegen den Bestimmungen sind modifiziert worden. Dazu ist eine Erweiterung über die steuerliche Begünstigung von Abschreibungen in den Grundstoffindustrien gekommen. Der Grund hierfür war die Erkenntnis, daß diese 1 Milliarde DM grundsätzlich nicht genügt, den Investitionsbedarf im gesamten
abzudecken, und die Notwendigkeit, sich darüber hinaus schon jetzt Gedanken über die weitere Finanzierung zu machen.
Der Gesetzentwurf wurde in der 158. Vollsitzung am 9. Juli 1951 an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß, für Geld und Kredit, für Finanz- und Steuerfragen, für Verkehr und für Post- und Fernmeldewesen überwiesen. Infolge der Parlamentsferien wurden die Beratungen nicht aufgenommen. Nach den Parlamentsferien haben wir zunächst den Schumanplan behandelt und dann in insgesamt 14 Sitzungen das Gesetz eingehend beraten. Die übrigen Ausschüsse — Geld und Kredit, Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — haben das Gesetz ebenfalls selbständig beraten, und schließlich ist es in fünf abschließenden Sitzungen der Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, Geld und Kredit und Finanz- und Steuerfragen noch einmal insgesamt behandelt worden. Die Beratungen waren schwierig, da der Bundesrat in wesentlichen Punkten von der Regierungsvorlage abgewichen ist. Die Schwierigkeiten erstreckten sich insbesondere auf die Bemessungsgrundlage und auf die Befreiungen. Dem Ausschuß wurde eine Fülle von Eingaben vorgelegt. Es wurde eine größere Zahl von Anträgen behandelt, und es wurden auch laufend Sachverständige gehört.
Nach Abschluß der Ausschußberatungen haben wir von uns aus Beratungen mit Vertretern des Bundesrates aufgenommen in der Hoffnung, auf diese Weise bereits eine so weitgehende Annäherung der beiderseitigen Standpunkte zu erreichen, daß sich eine nachträgliche Anrufung des Vermittlungsausschusses erübrigt. Das Ergebnis der gemeinsamen Beratungen waren die Änderung der Bemessungsgrundlage und eine gewisse Vororientierung über Erweiterung in § 36 betreffend die Sonderabschreibungen der Grundstoffindustrien. Darauf ist es zurückzuführen, daß wir Ihnen heute die Drucksache Nr. 2758 vorlegen müssen.
Begünstigte sind nach § 1 des Gesetzes der Kohlenbergbau, die eisenschaffende Industrie und die Energiewirtschaft. Sie sind aber — das muß mit aller Klarheit hier herausgestellt werden — von der Aufbringungspflicht selber nicht befreit. Insbesondere sind von der Aufbringung auch die Nebenbetriebe nicht befreit. Durch § 29 Abs. 6, der gern übersehen wird, ist sichergestellt, daß die Grundstoffindustrien in Nebenbetrieben nicht investieren dürfen, wenn sie selber Investitionshilfe in Anspruch nehmen wollen. Wegen der weitgehenden Stundungsmöglichkeiten bei den in § 1 aufgeführten Industriegruppen sind diese Gruppen von der Aufbringung der 1 Milliarde DM allerdings ausgenommen, weil die Meinung bestand, daß die 1 Milliarde DM sonst vielleicht durch solche Stundungen wesentlich verringert werden könnte.
Erlauben Sie mir, daß ich nun kurz auf die einzelnen Vorschriften eingehe. Der Ausschuß ist in Abs. 1 der Formulierung des Bundesrats gefolgt. Lediglich die Betriebe der öffentlichen Wasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs und die Hafenbetriebe wurden mit in Abs. 2 aufgenommen, da sie bei den Stundungsvorschriften des § 20 entsprechend enthalten sind. Der Ausschuß glaubte, auf eine ausdrückliche Angabe der Zeit, für die die Investitionshilfe erhoben wird, verzichten zu können, da einmal durch die Worte „einmaliger Beitrag" klargestellt war, daß es sich nicht um eine Dauerabgabe handelt, weiter durch die Festlegung der Termine für die Aufbringung die Dauer des Gesetzes klar umrissen war.
Der Abs. 2 des § 1 wurde aus folgendem Grund beschlossen. Der Ausschuß konnte sich nicht entschließen, der ursprünglich in § 28 Abs. 2 vorgesehenen zehnprozentigen Reserve, die dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eine Handhabe zur Beseitigung von Engpässen der Zubringerindustrien gab, zuzustimmen. Da durch diesen zehnprozentigen Reservefonds u. a. auch die Wasserwirtschaft und der Güterwagenbau der Bundesbahn gefördert werden sollte, fielen die hierfür vorgesehenen Kredite durch die Streichung der sogenannten 10-%-Klausel in § 29 Abs. 2 fort. Der Ausschuß hat sich jedoch von der Notwendigkeit dieser beiden Investitionsvorhaben überzeugen müssen, da feststand, daß die geförderte Kohle nicht transportiert werden kann, wenn der Güterwagenbau der Bundesbahn nicht unterstützt wird. Aus diesem Grunde empfiehlt der Ausschuß für Wirtschaftspolitik, dem § 1 Abs. 2 der Ihnen vorliegenden Fassung zuzustimmen, wonach als vordringlicher Investitionsbedarf auch diejenigen Investitionen für die Wasserwirtschaft und den Güterwagenbau der Bundesbahn gelten, ohne die die Kohlenförderung, die Eisen- und Stahlerzeugung nicht gesteigert oder volkswirtschaftlich nutzbar gemacht werden könnten. Mit diesem Beschluß wurde dem Antrag des Verkehrsausschusses Rechnung getragen, wonach bei der Verteilung der in § 29 Abs. 2 vorgesehenen 10 %-Quote insbesondere der Verkehr zu berücksichtigen ist.
Zu § 2. Der Ausschuß empfiehlt die Annahme des Abs. 1 in der Fassung des Bundesrats, die keine materielle Änderung gegenüber der Regierungsvorlage enthält.
Der Ausschuß konnte sich nicht entschließen, gemäß dem Vorschlag des Bundesrates den Abs. 2 zu streichen. Der Ausschuß war grundsätzlich der Meinung, daß es den Rundfunkunternehmen zuzumuten sei, zur Aufbringung der Investitionshilfe herangezogen zu werden. Die Rundfunkunternehmen werden ebenfalls zur Körperschaftsteuer herangezogen, d. h. der Hinweis, sie seien Unternehmen öffentlich-rechtlichen Charakters, ist nicht stichhaltig. Eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz war lediglich deshalb erforderlich, weil die Rundfunkunternehmen nicht unter die Bestimmungen der Gewerbesteuer fallen. Der Ausschuß konnte sich davon überzeugen, daß die Liquiditätslage bei den Rundfunkgesellschaften so günstig ist, daß die Heranziehung zur Investitionshilfe keinen entscheidenden Einfluß auf die Finanzlage des Rundfunks haben wird. Der Ausschuß brachte jedoch zum Ausdruck, daß sichergestellt werden möge, daß die Rundfunkunternehmen diejenigen Beträge, die sie außerhalb ihrer eigenen Zwecke für kulturelle Zwecke bisher aufgewendet haben, nicht schmälern.
Der Ausschuß hat Abs. 3 der Regierungsvorlage gestrichen, da durch die Formulierung des Abs. 1, wonach jeder Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts der Aufbringungspflicht unterliegt, Abs. 3 nicht mehr erforderlich ist.
In § 3 hat der Ausschuß beschlossen, bezüglich der Ziffer 1 der Regierungsvorlage zu folgen, da der Befreiungskatalog im wesentlichen den Gewerbesteuerrichtlinien folgt. Der Ausschuß glaubte, dem Antrag des Verkehrsausschusses, der sich der Auffassung des Bundesrates angeschlossen hat, nicht folgen zu können, da durch seine Annahme neue Ungleichheiten gegenüber den privaten Verkehrsbetrieben geschaffen würden. Den notwendigen Ausnahmen — die insbesondere dann, wenn
soziale Fahrpläne oder Fahrplanzwang vorliegen oder wenn die Sicherheit gefährdet ist, notwendig sein mögen — wird durch die Stundungs- und Erlaßvorschriften gemäß § 20 Abs. 1 Buchstabe a und Abs. 3 Buchstabe b sowie § 21 Abs. 1 und 2 unseres Erachtens Genüge getan. Die Ziffer 2 ist unverändert in der Fassung der Regierungsvorlage übernommen.
Die Ziffer 3 der Regierungsvorlage wurde entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates um die Vertriebenenbank und entsprechend dem Wunsche der Landwirtschaft um die Landwirtschaftliche Rentenbank und die Deutsche Genossenschaftskasse erweitert. Ferner wurden diejenigen Institute, die sich am 30. Juni 1951 in Liquidation befanden oder zum Zwecke der Abwicklung als verlagert anerkannt wurden, mit aufgenommen. Hier folgten wir einem Antrag des Ausschusses für Geld und Kredit. Ziffer 3 wurde in 3 Ziffern aufgegliedert, um die Bestimmungen übersichtlicher zu gestalten.
Der Ausschuß empfiehlt, Ziffer 4 der Regierungsvorlage dahingehend zu erweitern, daß auch die Kreditgenossenschaften in die Befreiung miteinbezogen werden. — Ziffern 5 und 6 alter Fassung sind unverändert nach der Regierungsvorlage übernommen und tragen die neuen Ziffern 7 und 8.
Zu Ziffer 9 — in der alten Fassung Ziffer 7 — empfiehlt der Ausschuß, lediglich die Hochsee- und Küstenfischerei von der Aufbringungspflicht zu befreien. Dem Beschluß des Bundesrats, eine Befreiung auch für die Hochsee- und Küstenschiffahrt vorzusehen, glaubte der Ausschuß mit Rücksicht auf die derzeitige Geschäftslage der Hochsee- und Küstenschiffahrt nicht folgen zu können. Ebenso wurde der Antrag des Verkehrsausschusses, die Binnenschiffahrt zu befreien, mit Rücksicht auf die Streichung der Hochsee- und Küstenschiffahrt abgelehnt. Es wurde auf die Ausnahmemöglichkeiten nach § 10 verwiesen, außerdem auf die Stundungsmöglichkeit des § 20 und die Erlaßvorschriften des § 21, auf die hier ausdrücklich verwiesen werden muß, weil bei volkswirtschaftlich vernünftigen Investierungen den berechtigten Belangen der Schifffahrt hier ohne weiteres Genüge getan werden kann.
Zu Ziffer 10 wird empfohlen, den Vorschlag des Bundesrates, wonach Betriebe, die sich wirtschaftlich ausschließlich in der Hand von Körperschaften des öffentlichen Rechts befinden und die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr und dem Hafenbetrieb dienen, befreit werden, nicht anzunehmen, da nach §§ 20 Abs. 3 b und 21 Abs. 2 diese Betriebe von der Aufbringung unter der Voraussetzung befreit werden können, daß sie den erforderlichen Nachweis eigener, volkswirtschaftlich dringender Investitionen erbringen.
Zu § 4, Aufbringungsschuldner, empfiehlt der Ausschuß, hier durch die Bestimmung „hinsichtlich der Haftung der Kommanditisten bleibt § 171 Abs. 1 HGB unberührt" eine Erweiterung vorzunehmen, da nach der ursprünglichen Fassung die Möglichkeit bestanden hätte, daß Kommanditisten wie Gesamtschuldner haften. Der Ausschuß hat sich bezüglich der Streichung des Abs. 2 dem Vorschlage des Bundesrats angeschlossen.
§ 5 behandelt den Inhalt der Aufbringungspflicht. Der Ausschuß folgt in Abs. 1 dem Vorschlage des Bundesrats. In Abs. 2 Satz 2 wird folgende Änderung vorgeschlagen:
Die Erwerbsberechtigung ist vor Ablauf von drei Monaten nach voller Zahlung der Aufbringungspflicht nicht übertragbar.
Der Ausschuß hat diese Änderung beschlossen, da die von der Regierung vorgesehene Nichtübertragbarkeit der Erwerbsberechtigungen den Kreditbedürfnissen der Betriebe nicht hinlänglich Rechnung trägt. Durch diese Änderung soll die Möglichkeit geschaffen werden, daß Unternehmen auf Grund der Erwerbsberechtigungen Kredite von ihrer Hausbank im Rahmen der Kreditrichtlinien der Banken erhalten.
Weiter wurde in Abs. 2 folgender Satz 3 als notwendige Folge des Satzes 2 angefügt:
Wird ein Teil der Aufbringungsschuld erlassen, so wird die Erwerbsberechtigung in Höhe der geleisteten Beträge mit dem Erlaß des Restbetrages übertragbar.
Die Absätze 3 und 4 folgen mit Ausnahme einer redaktionellen Änderung in Abs. 4 dem Vorschlag des Bundesrats.
§ 6 ist die Vorschrift gewesen, .die am meisten umkämpft war, die den größten zeitlichen Arbeitsaufwand erforderte und die auch am häufigsten geändert wurde. Der Ausschuß ist zunächst der Regierungsvorlage gefolgt. Er stand auf dem Standpunkt, daß die von der Regierung vorgelegte Bemessungsgrundlage dem gewünschten Ziel, Investitionsmittel von der verarbeitenden Industrie auf die Grundstoffindustrie umzulenken, am nächsten kam. Die von der Regierung vorgeschlagene Aufwands- und Ertragsrechnung berücksichtigte am ehesten die tatsächlich vorhandenen liquiden Mittel.
In den Ausschußberatungen wurden alsdann die abzugsfähigen Kosten überprüft und erweitert. Das Ergebnis lag zunächst im Mündlichen Bericht auf Drucksache Nr. 2758 vor. Da es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf aber um ein Zustimmungsgesetz handelt, wurde es gerade hier für zweckmäßig gehalten, das zunächst vorgelegte Beratungsergebnis mit Mitgliedern des Bundesrates abzustimmen. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Besprechung war die Abänderung der Bemessungsgrundlage auf Grund der Empfehlungen des Bundesrates. Durch die verspätete Vorlage des Gesetzes ist es nunmehr möglich, den Bemessungszeitraum auf das Kalenderjahr 1951 abzustellen. Damit ist der Einwand der mangelnden Zeitnähe, der ursprünglich gegen die Bemessungsgrundlage des Bundesrates — Kalenderjahr 1950 — geltend gemacht wurde, nicht mehr geltend zu machen. Der Bundesrat legte entscheidenden Wert darauf, daß die Bemessungsfaktoren der Steuerpraxis entsprechen und daher von den Finanzämtern ohne wesentliche Mehrarbeit überprüft werden könnten. Außerdem wurde vom Bundesrat geltend gemacht, daß durch die Ausweitung des Katalogs der abzugsfähigen Posten die ursprünglich vom Ausschuß beschlossene Fassung des § 6 praktisch zum gleichen Ergebnis führe wie der Bundesratsvorschlag.
Der vom Ausschuß geltend gemachte Einwand, daß die Bemessungsgrundlage des Bundesrats vorwiegend die kapitalintensiven Betriebe belaste, wurde dadurch ausgeglichen, daß man sich dahingehend verständigte, einen gewissen Prozentsatz der Umsätze zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Die Frage, ob man auf die Umsatzsteuer selbst abstellen sollte, wurde eingehend geprüft. Man kam zu dem Ergebnis, daß die verschiedenen Sätze der Umsatzsteuer nicht unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen, sondern mit Rücksicht auf die Konsumenten festgesetzt seien, so daß es der Systematik des Gesetzes, die Leistungsfähigkeit des Betriebs zu be-
lasten, widersprechen würde, die Umsatzsteuer als Ausgangspunkt zu nehmen. Es wurde beschlossen, 4 % der steuerbaren Umsätze dem gewerblichen Gewinn hinzuzuziehen. Der Ausschuß war sich darüber im klaren, daß eine Heranziehung von 4 % der steuerbaren Umsätze manche Gewerbezweige, z. B. den Großhandel, die Zuckerwirtschaft, den Kaffee- und Baumwollhandel, zu stark belaste. Es bestand aber Einigkeit darüber, hier keine individuelle Gestaltung vorzunehmen, sondern durch Rechtsverordnungen, die nach § 10 möglich sind, z. B. für den Großhandel, eingeschlossen den Import- und Export-Großhandel, andere Prozentsätze zu ermöglichen. Die unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen Handelsbranchen, z. B. beim Getreide- und Baumwollhandel, ließen es nicht zu, einen einheitlichen Prozentsatz für den Großhandel im Gesetz selbst vorzusehen.
Zunächst war daran gedacht, für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nur von dem Kalenderjahr 1951 auszugehen. Mit Rücksicht auf diejenigen Betriebe — insbesondere die exportorientierten Unternehmen —, die in den vergangenen Jahren eine ungleichmäßige Gewinnentwicklung hatten, wurde die Frage geprüft, ob der Bemessungszeitraum auf ein Jahr, also 1951, oder auf 1950 und 1951 oder schließlich auf die Zeit nach der Währungsreform begrenzt werden solle. Mit Rücksicht darauf, daß die ersten 18 Monate nach der Währungsreform nicht einen normalen Wirtschaftsverlauf darstellten, wurde von einer Zugrundelegung von 3 1/2 Jahren abgesehen. Die Mehrheit des Ausschusses entschloß sich, die Kalenderjahre 1950 und 1951 zugrundezulegen.
Hiernach ergibt sich folgende Bemessungsgrundlage. Der Summe der Gewinne aus Gewerbebetrieb, die sich bei der Veranlagung der Kalenderjahre 1950 und 1951 nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes ergibt, sind folgende Beträge hinzuzuziehen: einmal die, die nach den §§ 7 bis 7 e des Einkommensteuergesetzes bei der Ermittlung des Gewinns vom Gewinn abgesetzt worden sind, zum andern 4 % der steuerbaren Umsätze. Der Begriff „steuerbare Umsätze" folgt dabei aus § 1 Nrn. 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes. Ausgenommen bei der Ermittlung des Umsatzes sind die reinen Geldumsätze, wie sie sich aus § 4 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes ergeben. Weiter sind ausgenommen Geschäftsveräußerungen im Sinne des § 85 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz.
Einzelunternehmen können nach Abs. 3 an der sich ergebenden Bemessungsgrundlage 10 000 DM für jedes Jahr als Unternehmerlohn kürzen. Personengesellschaften können eine entsprechende Kürzung vornehmen, und zwar für zwei Mitunternehmer einen Pauschbetrag von 10 000 DM und für drei und mehr Mitunternehmer einen Pauschbetrag von 12 000 DM für jedes Jahr. Diese Bestimmung wurde mit Rücksicht auf die kleinen Handwerksbetriebe und Mittelstandsunternehmungen vorgesehen. Unter Berücksichtigung dieser Bestimmung und der Freigrenze nach § 11 würde demnach beispielsweise ein Kleinhändler bei Annahme eines Gewinnes von 10 %, bezogen auf den Umsatz, und etwa 1 % Abschreibung des Umsatzes bei einem Jahresumsatz von zirka 110 000 DM von der Aufbringungspflicht befreit sein. Ein Handwerker
würde bei 20%igem Verdienst und hohen Abschreibungen etwa bei 60 000 DM Umsatz frei sein.
Um eine Bevorzugung juristischer Personen, die die Bezüge der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer als Unkosten bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer absetzen können, zu vermeiden, sieht Abs. 4 vor, daß juristische Personen der ermittelten Bemessungsgrundlage die Bezüge der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, vermindert um einen Pauschbetrag von insgesamt 12 000 DM pro Jahr, hinzuziehen müssen.
Abs. 5 sagt, daß für Betriebe, die im Jahre 1950 gegründet worden sind, für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage lediglich das Kalenderjahr 1951 zugrunde zu legen ist.
In Abs. 6 wird die von der Bundesregierung vorgesehene Plafondbestimmung übernommen. Die Bestimmung wurde jedoch der neuen Bemessungsgrundlage angepaßt und besagt nunmehr, daß die Bemessungsgrundlage im Höchstfall 30 vom Hundert der Umsätze im Sinne des Abs. 2 betragen darf.
Zu § 7. Unter Zugrundelegung der neuen Bemessungsgrundlage ergibt sich für die Jahre 1950/51 ein Bemessungsbetrag von 30 Milliarden DM. Hieraus folgt, daß der Aufbringungssatz 3 1/2 % betragen muß. Abs. 1 wurde daher entsprechend geändert. Abs. 2 wurde neu aufgenommen, da nunmehr eine Bestimmung erforderlich war, welcher Bemessungssatz für Betriebe, die nach dem 31. Dezember 1950 gegründet wurden, zum andern für Betriebe, die während des Jahres 1950 gegründet wurden, zugrunde zu legen ist. Für diese Betriebe soll das Jahr 1951 als Bemessungsgrundlage herangezogen werden; der Aufbringungssatz soll 7 % betragen.
Abs. 3 entspricht der Regierungsvorlage. Er wurde jedoch auf Anregung des Ausschusses für Geld und Kredit im letzten Halbsatz dahin ergänzt, daß der Aufbringungssatz in dem Ausmaß zu erhöhen oder zu ermäßigen ist, in dem eine Abänderung notwendig erscheint, um den Betrag von einer Milliarde DM bis zum 1. Dezember 1952 zu erbringen. Der Ausschuß für Geld und Kredit wünschte diese Änderung, damit eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, daß die eine Milliarde DM innerhalb eines Jahres aufgebracht werden soll. Das Datum des 30. Juni wurde abgeändert auf den 31. August.
§ 8. Der Ausschuß stimmt hier der Fassung des Bundesrats zu. Der Termin vom 30. Juni 1952 wurde abgeändert auf den 30. September 1952. Außerdem wurde vorgesehen, daß die Aufbringungsbeträge tunlichst in Monatsraten abgerufen werden. Hierdurch soll erreicht werden, daß die Aufbringungspflichtigen möglichst gleichmäßig belastet werden.
Zu § 9. Die Abänderung der Bemessungsgrundlage machte eine Änderung dieser Bestimmung in den Abs. 1 und 2 erforderlich. Nach Abs. 1 wird geregelt, daß der vorläufige Aufbringungsbetrag 7 vom Hundert der auf das Kalenderjahr 1950 bezogenen Bemessungsgrundlage beträgt. Abs. 2 regelt den Fall, daß der endgültige Aufbringungsbetrag niedriger ist als der vorläufige. In diesem Fall hat das Finanzamt auf Antrag und bei entsprechendem Nachweis den vorläufigen Aufbringungsbetrag dem endgültigen Aufbringungsbetrag anzupassen. Abs. 3 und 4 folgen der Regierungsvorlage.
§ 10 betrifft die abweichende Berechnung der Bemessungsgrundlage. Der Ausschuß stimmt der Fassung des § 10 in der vom Bundesrat be-
schlossenen Formulierung grundsätzlich zu. Sie wurde jedoch redaktionell überarbeitet, um eindeutig zum Ausdruck zu bringen, daß durch Rechtsverordnung eine abweichende Bemessungsgrundlage testgelegt werden soll, wenn a) die allgemeine Bemessungsgrundlage infolge der besonderen Verhältnisse dieser Gewerbezweige nicht anwendbar ist oder b) sie offensichtlich zu einer übermäßigen, unangemessenen Belastung führen würde. Im Ausschuß bestand Einmütigkeit darüber, daß die Rechtsverordnungen nach § 10 nur auf diejenigen Unternehmungsgruppen Anwendung finden sollten, auf die die Bemessungsgrundlage des § 6 nicht anwendbar ist. Für die Fälle nach a) war im wesentlichen an den Rundfunk und die Dienstleistungsgewerbe gedacht, für die Fälle nach b) kamen in erster Linie die Großhandelsunternehmungen sowie die Import-und Export-Großhandelsunternehmungen in Frage. Ich darf dabei darauf hinweisen, daß hier auch den Fällen Rechnung getragen werden soll, in denen Umsätze ungewöhnlich hohe Ausgaben an Verbrauchsteuern enthalten. Ich nenne hier ausdrücklich Zucker, ich nenne Kaffee, Tabak und denke noch an andere. Diese sollen unter die Sonderregelung nach § 10 fallen.
§ 11 enthält die Bestimmungen über die Freigrenze. Mit Rücksicht auf die veränderte Bemessungsgrundlage mußte nunmehr der Freibetrag von 400 DM auf 560 DM erhöht werden, wenn man an dem Grundsatz festhalten wollte, daß ein Betrieb mit einer Bemessungsgrundlage von 8000 DM pro Jahr von der Aufbringungspflicht befreit sein solle. Ergänzend wurde vorgesehen, daß diejenigen Aufbringungspflichtigen ebenfalls befreit sind, deren Umsatz in den beiden Jahren insgesamt unter 100 000 DM liegt.
Zu § 12. Der Ausschuß hat der Fassung in der Formulierung des Bundesrats zugestimmt.
Zu § 13. Der Ausschuß ist der Fassung der Bundesregierung in der Stellungnahme zu den Empfehlungen des Bundesrates gefolgt, er hat jedoch einige Terminänderungen vorgenommen. Statt 20. August 1951 wurde bestimmt: 20. Februar 1952. Im übrigen wurde der Termin vom 20. Februar 1952 im letzten Halbsatz gestrichen. Statt dessen wurde bestimmt, daß die endgültige Erklärung zugleich mit der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärung einzureichen ist. Dies geschah aus Gründen der Vereinfachung.
Was die „Behandlung der Erklärungen" nach § 14 anlangt, so ist zu sagen, daß der Ausschuß die vom Bundesrat empfohlene Formulierung angenommen hat. Da jedoch nach Abwandlung der Bemessungsgrundlage die Erklärungsdaten nunmehr ohne weiteres durch das Finanzamt überprüfbar sind, hat der Ausschuß beschlossen, die Bestimmung, nach welcher bisher das Finanzamt die Erklärung überprüfen konnte, nunmehr in eine zwingende Vorschrift abzuwandeln.
§ 15. Der Ausschuß hat diese Bestimmung in der vom Bundesrat empfohlenen Formulierung unverändert übernommen.
§ 16, Verzugszuschlag. Der Ausschuß hielt es für erforderlich, daß der Verzugszuschlag mit Rücksicht auf die kleineren Unternehmungen gestaffelt wird. Er empfiehlt daher, einen Verzugszuschlag von
1 vom Hundert für den ersten Monat und von
2 vom Hundert für jeden weiteren angefangenen Monat des Verzugs vorzusehen.
§ 17 enthält eine Bestimmung über die spätere Herabsetzung des Aufbringungsbetrages. Hier empfiehlt der Ausschuß die Annahme dieser Bestimmung in der vom Bundesrat vorgesehenen Fassung.
§ 18. Auch hier empfiehlt der Ausschuß die Annahme dieser Bestimmung in der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung.
§ 19. Zustimmung zu der Regierungsvorlage.
§ 20, Stundung, eine sehr wichtige Vorschrift. In Abs. 1 sind folgende materielle Erweiterungen gegenüber der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung aufgenommen:
a) Buchstabe b), der eine Stundungsmöglichkeit für Unternehmer, die Heimatvertriebener, politischer Flüchtling oder rassisch, religiös, weltanschaulich oder politisch Verfolgter sind, oder weiter, wenn der Gewerbebetrieb Kriegs- oder Kriegsfolgenschaden im Bundesgebiet erlitten hat und diese Schäden sich noch erheblich auswirken.
b) Auf Antrag des Ausschusses für Geld und Kredit wurde in Satz 2 eine Bestimmung vorgesehen, wonach eine Stundung nicht gewährt werden kann, wenn die Illiquidität auf Aufwendungen für Investitionen zurückzuführen ist, soweit diese auf Verpflichtungen beruhen, die nach dem 1. Juli 1951 eingegangen wurden.
Die Absätze 2, 3 und 4 folgen im wesentlichen der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung. Der Ausschuß hat diese Bestimmungen lediglich redaktionell geändert. Ich erwähne hier ausdrücklich die Verkehrsbetriebe, um Mißdeutungen, die auf diesem Gebiet immer wieder vorkommen, von vornherein abzuriegeln. Wir sind uns darüber klar, daß die Verkehrsbetriebe unter diese Bestimmungen fallen, daß Verkehrsbetriebe insbesondere dann, wenn sie für volkswirtschaftlich wichtige Zwecke, insbesondere auch für den Zweck der Herstellung der Verkehrssicherheit, selbst Investitionen vornehmen müssen, unter den Voraussetzungen des Gesetzes ebenfalls in den Genuß der Stundungs-
und Erlaßmöglichkeiten kommen.
§ 21 enthält die Erlaßbestimmungen. Er entspricht dem § 20 a der Regierungsvorlage in der Stellungnahme zum Bundesratsvorschlag. Der Ausschuß stimmt im wesentlichen der von der Bundesregierung vorgelegten Fassung zu. Die Einfügung von „in der Regel" in Abs. 1 soll besagen, daß die letzte und ausschließliche Entscheidung über den Erlaß bei den Finanzbehörden liegt.
§ 22. Der Ausschuß stimmt der Fassung des Bundesrates zu, ändert jedoch mit Rücksicht darauf, daß in § 33 die Wertpapiere lediglich in der Börsenzulassung gesperrt sind, Abs. 2, nach dem nunmehr Wertabschreibungen oder Abschreibungen von Veräußerungsverlusten auf die Erwerbsberechtigungen oder auf die an ihre Stelle tretenden Wertpapiere erst nach Zulassung dieser Wertpapiere zum Börsenhandel möglich sind. Abs. 3 ist auf Beschluß des Ausschusses neu aufgenommen.
§ 23 enthält die Bestimmungen über das Sondervermögen. Er entspricht dem § 22 der Bundesratsvorlage. Der Ausschuß folgt der Fassung des Bundesrates. Die Absätze 2 und 3 dienen der Klarheit.
Die §§ 24 und 25 über die Organisation des Sondervermögens entsprechen den §§ 23 und 24 der Bundesratsvorlage. Der Ausschuß folgte auch hier im wesentlichen der Vorlage des Bundesrates.
§ 26 über das Kuratorium entspricht grundsätzlich dem § 25 der Bundesratsvorlage. Die vorliegende Fassung wurde im Ausschuß mit Mehrheit beschlossen. Es wurde insbesondere hinzugenom-
men, daß die beschließenden Mitglieder nicht der begünstigten Industrie angehören dürfen.
§ 27 betreffend die innere Ordnung des Kuratoriums entspricht dem § 26 der Bundesratsvorlage mit redaktionellen Änderungen. Der Ausschuß stimmt dieser Fassung zu.
§ 28, Berichterstattung des Kuratoriums, entspricht dem § 27 der Bundesratsvorlage. Der Ausschuß stimmt dieser Fassung ebenfalls zu.
§ 29 entspricht dem § 28 der Bundesratsvorlage. Der Ausschuß folgt im wesentlichen der Bundesratsvorlage. In Abs. 2 wird jedoch auf Grund von Mehrheitsbeschluß Satz 2 gestrichen, nach dem eine 10%ige Reserve zur Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft zur Beseitigung von Engpässen in der Wirtschaft vorgesehen ist. In Abs. 3 wird der letzte Satz gestrichen, da sich diese Bestimmung durch die Zusammensetzung des Kuratoriums von selbst versteht. Abs. 6 wurde auf Beschluß des Ausschusses aufgenommen, um sicherzustellen, daß die den Begünstigten zur Verfügung gestellten Mittel auch im Sinne dieses Gesetzes angewandt werden. Das ist eine sehr wichtige Bestimmung, ich verweise besonders auf sie.
§ 30 über die Voraussetzungen für die Bewilligung von Investitionsmitteln entspricht § 29 der Bundesratsvorlage. In Abs. 1 Satz 1 wurden auf Beschluß des Ausschusses die Worte „nach Maßgabe der Darlehnsverträge" und in Abs. 4 die Worte „entgegen den Bestimmungen des Darlehnsvertrages" eingefügt, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß in den Darlehnsverträgen geregelt werden muß, welche Wertpapiere von den Begünstigten zur Zeichnung angeboten werden sollen. Weiter sollen die Begünstigten verpflichtet werden, zum Zeitpunkt der Börsenzulassung die Anmeldung der Papiere vorzunehmen. In Abs. 2 wird zur Klarstellung ergänzt, daß in Fällen, in denen das Unternehmen an der Begebung von Wertpapieren behindert ist, dies auch durch die Rechtsform des Unternehmens verursacht sein kann. Die übrigen Absätze des § 30 folgen der Vorlage der Bundesregierung, jedoch ist in Abs. 4 der Zinssatz auf 4 vom Hundert erhöht worden, um einen Ausgleich gegen die Abschreibungsmöglichkeit dieser Zinsen zu schaffen.
§ 31 handelt von der Ausgabe von eigenen Schuldverschreibungen des Kreditinstitutes. Er entspricht dem § 30 der Bundesratsvorlage. Diese Bestimmung wurde dahingehend abgeändert, daß im Gesetz nunmehr geregelt ist, daß die Ausstattungsbedingungen nach dem Zinsaufkommen der auf das Kreditinstitut nach § 34 zu übertragenden Deckungsmittel und unter Berücksichtigung des Kapitalmarktes festgesetzt werden. Eine derartige Bestimmung schien dem Ausschuß zum Schutze der Gläubiger erforderlich.
§ 32 über die Zuteilung der Wertpapiere folgt in den Absätzen 1 und 2 der Fassung des Bundesrates. Abs. 3 ist mit Rücksicht auf die Fassung von § 5 Abs. 2, nach dem Erwerbsberechtigungen zu einem bestimmten Zeitpunkt übertragbar sind, abgeändert, da nunmehr auch die Zwischenscheine übertragbar sein müssen und ihre Ausgabe nicht mehr an eine Zustimmung der Bundesregierung gebunden sein kann. Die Abs. 4 und 5 folgen der Vorlage des Bundesrates.
§ 33 über die Sperrzeit entspricht der Bundesratsvorlage. Mit Rücksicht auf die Beschlüsse zu § 5 Abs. 2 und § 32 Abs. 2 können die auszugebenden Wertpapiere nach Zuteilung nicht für die
Dauer von drei Jahren gesperrt sein, wenn sowohl die Erwerbsberechtigungen als auch die Zertifikate übertragbar sind. Aus diesem Grunde beschloß der Ausschuß,
lediglich die Zulassung der auszugebenden Wertpapiere zum Börsenhandel für die Dauer von 3 Jahren nach Zuteilung zu sperren. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß eine Lombardierung der Wertpapiere beim Zentralbanksystem ausgeschlossen ist.
Die Bestimmung des § 34 übernimmt in Abs. 1 die Bestimmung des § 32 der Bundesratsvorlage. Die folgenden Absätze 2 bis 4 regeln den Fall, daß sich zum Zeitpunkt des Übergangs der Vermögensmasse des Sondervermögens auf das Kreditinstitut ein Fehlbetrag ergibt. Abs. 2 bestimmt, in welcher Weise dieser Fehlbetrag festgestellt werden soll. Abs. 3 besagt, daß im Falle eines Fehlbetrages die Restbestände des Sondervermögens ebenfalls auf das Kreditinstitut übergehen sollen. Abs. 4 regelt den Fall, daß diese Restbestände nach Abs. 3 zur Deckung des Fehlbetrages nicht ausreichen. In diesem Fall ist eine Nachschußpflicht der Aufbringungspflichtigen im Verhältnis der Aufbringungsbeträge vorgesehen. Das Nähere soll eine Rechtsverordnung der Bundesregierung regeln.
§ 35 enthält die Bestimmung über das Erlöschen des Sondervermögens und folgt der Fassung des Bundesrates.
Es ist dann ein Teil III angehängt worden betreffend die steuerliche Begünstigung bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag. Im Ausschuß bestand Einigkeit darüber, daß die nach dem Gesetzentwurf aufzubringende eine Milliarde DM weder den Investitionsbedarf der Grundstoffindustrien deckt noch hinreichend Mittel zur Beseitigung der Engpässe zur Verfügung stellt. Es bestand weiter Einigkeit darüber, daß es zweckmäßig sei, im vorliegenden Gesetzentwurf sofort Wege aufzuzeigen, um die im Interesse der gesamten Volkswirtschaft erforderlichen Investitionen fortzuführen.
Nach der vorliegenden Fassung des § 36 sollen Unternehmen des Kohle- und Eisenerzbergbaus, der eisenschaffenden Industrie und der Energiewirtschaft 3 Jahre lang die Möglichkeit haben, a) für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bis zur Höhe von insgesamt 50 v. H., b) für unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bis zur Höhe von insgesamt 30 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzuschreiben. Voraussetzung für diese Abschreibungsmöglichkeit ist, daß a) die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter unmittelbar und ausschließlich der Steigerung der Kohle- und Eisenerzförderung, der Eisen- oder Stahlerzeugung einschließlich der Eisen- oder Stahlmaterialerzeugung oder der Energieerzeugung oder Energieverteilung zu dienen bestimmt und geeignet sind, b) die Anschaffung oder Herstellung volkswirtschaftlich förderungswürdig ist, c) die Abschreibungsbeträge unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Verzögern für die Anschaffung oder Herstellung der betreffenden Wirtschaftsgüter verwandt werden und d) die Oberste Landesbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen zu a) und b) bescheinigt hat.
Die Mehrheit des Ausschusses glaubt, diese Fassung vertreten zu können, da nach Auskunft der Bundesregierung eine derartige Bestimmung bei Ansatz theoretischer Höchstwerte einen Steuerausfall verursachen würde, der tragbar ist. Dieser
Bruttoausfall vermindert sich jedoch um das zusätzliche Aufkommen an Lohn-, Einkommen- und Umsatzsteuer, die infolge der zusätzlichen Investitionen anfallen werden.
Nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums ist für das Jahr 1952 mit einer voraussichtlichen Investition von 1,5 Milliarden DM zu rechnen. Dies würde unter Zugrundelegung der vorgeschlagenen Bestimmung des § 36 zu einer durchschnittlichen Abschreibung von 20 % führen. Der Ansatz einer höheren Investitionsrate scheint aus Mangel an einer ausreichenden Materialdeckung zunächst nicht möglich. Dem Einwand, daß diese Sonderabschreibungsmöglichkeit Mittel der Steuerzahler in das Vermögen einiger Unternehmer umwandele, wurde entgegengehalten, daß es sich nicht um neue Abschreibungen, sondern um eine zeitliche Verschiebung der Abschreibungen handle. Abs. 1 besagt ausdrücklich, daß diese Abschreibungsmöglichkeit sowohl für Teilanschaffungen als auch für Teilherstellungen gegeben sein soll. Als Abschreibungszeitraum sind die Jahre 1952 bis 1954 und die beiden der Anschaffung oder Herstellung folgenden Jahre vorgesehen, so daß sich insgesamt ein Zeitraum von 5 Jahren ergibt.
Ich muß dabei erklären, daß die Ermächtigung des § 37 Ziffer 3 zu a, die nähere Abgrenzung der steuerbegünstigten Unternehmen vorzunehmen, die Bundesregierung auch ermächtigt, in einer Durchführungsverordnung festzustellen, daß die Abschreibungsfreiheit dann nicht Platz greift, wenn für dieselbe Anlage bereits die Steuerbegünstigungen der Verordnung vom 26. Oktober 1944 in Anspruch genommen werden können.
Für die Klärung der Frage, was das „ganz oder zum Teil" in § 36 Abs. 1 Satz 1 bedeutet, soll die Bundesregierung zur Deutlichmachung Durchführungsvorschriften nach § 37 Ziffer 3 zu b erlassen.
Die §§ 37 und 38 enthalten die Schlußbestimmungen, die gegenüber den früheren Vorlagen auf Grund der Ausschußbeschlüsse überarbeitet worden sind.
Damit habe ich mich meiner Verpflichtung als Berichterstatter über die Gestaltung des Gesetzes entledigt.
Vizepräsident Dr. Schäfer: Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Wie mir mitgeteilt worden ist, besteht eine interfraktionelle Vereinbarung, nunmehr, nach der Berichterstattung, die Sitzung zu unterbrechen und nach einer Stunde mit der Einzelberatung der zweiten Lesung zu beginnen.
— Nein, es ist eine Stunde vereinbart, und ich glaube, daß auch eine Menge Gründe dafür maßgebend gewesen sind, so zu beschließen.
Wir treten also wieder zusammen um 20 Uhr 45.
Die Sitzung wird um 20 Uhr 47 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und heiße die anwesenden Abgeordneten herzlich willkommen.
Ich rufe § 1 des Teils I auf. Dazu liegen einige Abänderungsanträge vor, und zwar des Zentrums — Umdruck Nr. 364, Ziffer 1 —, der SPD — Umdruck Nr. 367, Ziffer 1 —, des Zentrums —Umdruck Nr. 353 — und zu Abs. 2 ein Änderungsantrag der Deutschen Partei — Umdruck Nr. 366, Ziffer 1 —. Wer wünscht, die Anträge zu begründen? — Herr Abgeordneter Dr. Bertram, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Herrn Präsidenten eben verlesene Änderungsantrag zu § 1 ist ein Eventualantrag für den Fall, daß unser Antrag auf Umdruck Nr. 364, die Teile I und II mit den Paragraphen 1 bis 35 zu streichen, der Ablehnung verfallen sollte. Ich werde deshalb zunächst nur den weitestgehenden Antrag zu begründen haben, die §§ 1 bis 35 zu streichen.
Zunächst halte ich das Gesetz in verschiedenen Punkten nicht für mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung stehend. Man kann darüber streiten, ob es sich bei der Investitionshilfe um eine Steuer oder um eine öffentliche Abgabe besonderer Art handelt. Jedenfalls fällt sie unter den Begriff der öffentlichen Abgaben im Sinne des § 18 der Reichsabgabenordnung und ist deshalb eine Abgabe, die den entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes unterliegt, und zwar hier insbesondere dem Artikel 110 des Grundgesetzes, der die Totalität des Haushalts vorschreibt. Nach Art. 110 des Grundgesetzes ist die Verwaltung der aufkommenden Beträge durch ein Kuratorium ohne weiteres nicht möglich. Die Verwaltung, wie sie hier vorgesehen ist, verstößt gegen den Grundsatz der Totalität des Haushalts, da alle Ausgaben in den Haushaltsplan eingesetzt werden müssen.
Das Gesetz verstößt auch gegen Art. 14 des Grundgesetzes insofern, als es einen Entzug von Vermögenswerten vorsieht, eine Enteignung also, ohne daß auf der anderen Seite eine gleichwertige Gegenleistung gewährt wird. Nach. Art. 14 des Grundgesetzes ist eine Enteignung ohne vollwertige Entschädigung nicht möglich. Daß es sich hierbei nicht um eine vollwertige Entschädigung handelt, liegt auf der Hand und ist in dem Gesetz selbst ja auch zum Ausdruck gekommen, indem bestimmt worden ist, daß etwaiger Minderwert bei der Steuerbilanz nicht zum Abzug gebracht werden kann. Der Verfasser des Gesetzes ist also von vornherein davon ausgegangen, daß die gewährten Gegenleistungen nicht vollwertig sind, sondern einen entsprechenden Minderwert darstellen. Dieser Minderwert kann von jedem Verpflichteten — wenn wir uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß es sich um eine in den Haushalt einzustellende öffentliche Abgabe handelt — sogar vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden, und die ordentlichen Gerichte wären in der Lage, hier festzustellen, daß insofern das Gesetz dem Grundgesetz widerspricht. — Diese rein rechtlichen Betrachtungen nur zuvor.
Aber auch die volkswirtschaftlichen Grundlagen des Gesetzes sind mehr als umstritten. Zunächst beweist die Produktionsentwicklung in der eisenschaffenden Industrie nichts für die Kapazität in der eisenschaffenden Industrie. Bei der eisenschaffenden Industrie sind große Kapazitätsreserven vorhanden, die sich aus der Zahl der stillliegenden Hoch- und Siemens-Martin-Öfen infolge der Kohlennot ergeben.
Die entscheidende Differenz liegt darin, daß die innerdeutsche Kohlenförderung nicht ausreicht, um die eisenschaffende Industrie voll auszulasten. Die Produktion der eisenschaffenden Industrie ist in den letzten Monaten zu 30% auf ausländischem Brennstoff aufgebaut worden. Das beweist doch eindeutig, daß der eigentliche Engpaß zur Zeit jedenfalls nicht in der eisenschaffenden Industrie, sondern in der Kohlenindustrie liegt.
Dazu ist zu sagen, daß die Gesamtkapazität der eisenschaffenden Industrie einschließlich der Kohlenindustrie bei weitem nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft zu decken. Das Problem ist hier aber auch nicht aktuell, sondern hier, bei der Investitionshilfe, ist die Frage aktuell, wo die Mittel schwerpunktmäßig eingesetzt werden müssen, um im gegenwärtigen Zeitpunkt die vorhandenen Engpässe zu beseitigen; und diese Engpässe sind nicht bei der eisenschaffenden Industrie, sondern — das beweisen die Kohleneinfuhren ganz deutlich — bei der Kohlenindustrie zu suchen.
Es kommt hinzu, daß die Demontagen ganz bestimmte Werke viel härter getroffen haben als andere Werksgruppen. Die Kapazitätsausweitung gerade bei den durch die Demontage am härtesten betroffenen Werken ist aber zur Zeit noch gar nicht möglich.
Der entscheidende Grund für die sogenannte Investitionshilfe ist aber die Behauptung, daß die verarbeitende Industrie stark begünstigt warden sei, da sie dem Preisstop nicht unterlegen habe, während die Grundstoffindustrie dem Preisstop unterlegen habe.
— Ich will das bestreiten. Ich will Ihnen gleich die Gründe dafür sagen, Herr Preusker. Die Behauptung, daß ein Teil der Wirtschaft dem Preisstop unterlegen hat, ein anderer nicht, ist zwar richtig. Es ist aber nicht richtig, daß etwa die unter dem Preisstop liegende Wirtschaft schlechtere Preise erzielt hätte als andere.
— Das ist zwar der Sinn des Preisstops; der Preisstop ist aber seit langem in sein Gegenteil verwandelt worden, wie der Preisindex für Stahl beweist, der mit 291 ganz erheblich über dem Preisindex für die verarbeitende Industrie von 202 liegt.
Ich bitte, das in den letzten statistischen Monatsberichten des Statistischen Bundesamtes nachzulesen. Ich bitte, es nachzulesen; Sie können sich überzeugen.
Ich behaupte nur, daß die Preisentwicklung bei der eisenschaffenden Industrie wesentlich stärker nach oben tendiert hat — trotz Preisstops! — als bei der eisenverarbeitenden Industrie. Und die eisenverarbeitende Industrie hat ja auch diese Rohstoffe, dieses Eisen verarbeiten müssen.
Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Das Eisen ist ja von der eisenschaffenden Industrie an die eisenverarbeitende Industrie zum großen Teil zu erheblichen Überpreisen geliefert worden. Außerdem sind große Mengen in das Exportgeschäft gegangen, Mengen von monatlich 180 000 t,
die ganz außerordentliche Überpreise ermöglicht haben, wenn man davon ausgeht, daß der durchschnittliche Mehrerlös des Exports bei rund 250 DM je Tonne gelegen hat. Es ist also zweifellos nicht richtig, wenn man behauptet, daß der Preisstop eine unterschiedliche Begünstigung der Grundstoffindustrie und der verarbeitenden Industrie, zum mindesten was die Eisenindustrie anlangt, bewirkt habe.
Die Art der Entschädigung ist ebenfalls so, daß wir sie nicht akzeptieren können. Es ist vorgesehen, daß neben Aktien, also neben wertbeständigen Sachwerten, auch Entschädigungsbeträge in Form von Darlehen, die allerdings durch Hypotheken gesichert sein sollen, gewährt werden. Derartige Darlehen basieren aber auf der Verrechnungseinheit D-Mark und sind in keiner Weise sachwertgesichert. Während die Darlehensempfänger berechtigt sind, sich ihrerseits Sachwerte mit den Mitteln der Investitionshilfe anzuschaffen, ist der sogenannte Verpflichtete nicht gegen irgendwelche Preisänderungen geschützt.
Die Einschaltung des Kuratoriums kann daran nichts ändern, da auch das Kuratorium — —
— Gestatten Sie bitte, wenn Sie von Währungssabotage reden, dann wären Sie als Mitglied der Regierungskoalition wahrscheinlich in der Lage gewesen, die Preisentwicklung, die in den letzten Jahren den Wert der D-Mark entsprechend herabgesetzt hat, zu verhindern.
— Herr Kollege, es dreht sich nicht um Währungssabotage, sondern um die Preisentwicklung.
— Also darüber mag ich mit Ihnen hier nicht streiten. — Es kommt lediglich darauf an, daß die Preise in der letzten Zeit in erheblichem Maße in die Höhe gegangen sind und daß niemand von uns sagen kann, wie die Preisentwicklung in Zukunft angehalten werden kann.
— Ich behaupte ja auch nicht, daß im Ausland eine andere Entwicklung als in Deutschland gewesen sei. Ich behaupte lediglich, daß hier keine Wertsicherung vorgenommen worden ist, sondern daß die empfangende Industrie in der Lage ist, reine D-Mark-Verbindlichkeiten zu kontrahieren, für die eine Wertsicherung in dem Gesetz nicht vorhanden ist.
— Ich kenne genau die Art der Behandlung dieses Gesetzes in den verschiedenen Ausschüssen, insbesondere die Art der Abstimmung, Herr Kollege. Wir haben uns darüber in den Ausschüssen schon unterhalten.
Der entscheidende Gesichtspunkt aber, der gegen die §§ 1 bis 35 dieses Gesetzes spricht, ist doch der, daß von Freiwilligkeit auch nicht mehr das geringste übriggeblieben ist. Damals wurde behauptet, der Gemeinschaftsausschuß des Bundesverbandes der Deutschen Industrie habe freiwillig eine
Leistung versprochen, habe freiwillig eine Leistung bestimmter begünstigter Industriezweige zugunsten der benachteiligten Grundstoffindustrien zugesagt. Wir haben das angebliche Versprechen im Sommer vorigen Jahres gehört. Ganz abgesehen davon, daß die Versprechenden zu diesem Versprechen nicht legitimiert waren - sie waren dazu weder gewählt, noch hatten sie sonst irgendeine Vollmacht zu diesem Versprechen —, ist doch das Entscheidende, daß dieses Versprechen in keiner Weise innegehalten wurde. Wir haben jetzt über das Gesetz fast ein halbes Jahr debattiert. In diesem halben Jahr hätten von denjenigen, die sich so groß hingestellt haben, schon einmal irgendwelche Beträge geleistet werden können.
Davon ist nicht die Rede. An Freiwilligkeit hat im Ernst wahrscheinlich niemand gedacht, sondern im Ernst war von vornherein eine Art von Zwangssparen vorgesehen. Der Zwangssparcharakter dieses Gesetzes ist es, der uns am meisten mißfällt. Wir sind grundsätzlich gegen derartige kollektivistische Maßnahmen
— ja, immer schon, Herr Etzel —, auch wenn sie von rechts kommen. Es kommt gar nicht darauf an, von wem derartige Maßnahmen ausgebrütet werden, sondern es kommt darauf an, daß hier das System der Freiwilligkeit durchbrochen worden ist und daß wir es hier mit einem rein kollektivistischen Zwangssparen zu tun haben, wie wir es aus vergangenen Zeiten bei uns in höchst unguter Erinnerung haben und wie wir es aus östlichen Nachbarländern kennen. Der Erfolg wird der sein, daß der gesamte Kapitalmarkt weiter in Verfall gerät, wenn die Methode des Zwangssparens mit diesem Gesetz überhaupt begonnen wird. Auch wer am Kapitalmarkt gespart hat, wer Aktien gezeichnet hat, muß nach diesem Gesetz Investitionshilfe leisten. Der Sparsame wird wieder einmal zugunsten des leichtsinnigen Finanziers bestraft. Der Kreis der Berechtigten ist im übrigen weit über die ursprünglich vorgesehene Grenze hinaus erweitert worden.
— Sie sagen: Im Gegenteil! Nach den jetzt vorliegenden Bestimmungen muß beispielsweise ein Elektromeister mit mitarbeitender Ehefrau bei einem Jahresumsatz von 80 000 DM 840 DM Investitionshilfe bezahlen.
— Das will ich gern tun. Bei einem Elektromeister mit mitarbeitender Ehefrau, der 80 000 DM Umsatz hat, beträgt der Gewinn plus Abschreibung plus 4% vom Umsatz rund 20 %; macht 32 000 DM. Minus Freibetrag 20 000 DM macht 12 000 DM. Davon die 7 %!
— Die Zahlen, die ich Ihnen hier vortrage, stammen von einer Buchstelle des Handwerks und sind nicht gegriffen, sondern aus den tatsächlichen Buchführungsunterlagen entnommen. Ich kann auch auf das Beispiel eines Kürschners verweisen, der bei einem Umsatz von 60 000 DM bereits 623 DM Investitionshilfe zu zahlen hätte, will aber die Einzelaufzählung hier nicht durchführen, um Sie nicht aufzuhalten. Jedenfalls ist doch sicher richtig: Was hat der Kürschner mit der Investitionshilfe zu tun?
Er muß aber bezahlen, ohne daß irgendeine innere Gerechtigkeit dafür spricht.
Ein anderes Beispiel! Wenn eine ländliche Konsum- und Absatzgenossenschaft im Norden unseres Vaterlandes einen Jahresumsatz von 45 Millionen DM und eine Abschreibung von 300 000 DM hat, so muß sie bei dem jetzigen System 147 000 DM abführen. Daß das gar nicht möglich ist und daß bei einer solchen Berechnung die betreffende Genossenschaft ohne weiteres Konkurs anmelden müßte, liegt auf der Hand. Aber man sagt, nach § 10 bestehe die Möglichkeit, entsprechende Erleichterungen zu gewähren. Meine Damen und Herren, wenn Sie so auf § 10 verweisen, dann müssen Sie praktisch die eigentliche Steuergrundlage in den § 10 hineinsetzen, und für den Normalfall bleibt nicht mehr viel übrig. Und das darf doch nicht der Sinn eines Steuergesetzes sein, daß die Ausnahmefälle die Regel werden und die Regel, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, die wirtschaftliche Ausnahme ist.
Die §§ 1 bis 35 entsprechen also nicht unserer grundsätzlichen Einstellung. Entscheidend ist, daß es sich um eine zwangswirtschaftliche Maßnahme handelt, die wir unter allen Umständen vermeiden wollen,
die Zwangswirtschaft, die wir fürchten, auch wenn sie von rechts kommt. — Sie haben sich so auf die Marktwirtschaft berufen, Herr Preusker, und jetzt lachen Sie, wenn ich Sie an Ihre eigenen Versprechungen in bezug auf die Marktwirtschaft erinnere! — Wir haben deshalb den Antrag gestellt, zunächst die §§ 1 bis 35 zu streichen, haben aber nicht das absolut vorhandene Investitionsbedürfnis übersehen und deshalb beantragt, eine Bestimmung in § 37 a einzusetzen. Eine solche Bestimmung wird das Investitionsbedürfnis, das vorhanden ist, besser und marktgerechter zu befriedigen gestatten, als es auf dem Wege über das hier befohlene Zwangssparen möglich wäre. Ich werde mir erlauben, zu diesen unseren weiteren Anträgen die Begründung zu geben, wenn die betreffenden Paragraphen aufgerufen sein werden.
Herr Abgeordneter Dr. Bertram, ich weiß nicht, ob Sie in bezug auf die Annahme dieser Anträge sehr positiv sind. Falls das nicht der Fall sein sollte, würde ich Ihnen vorschlagen, den Antrag Umdruck Nr. 353 auch gleich zu begründen.
— Schön, das ist mir recht. —
Dann kommen wir zum Antrag der SPD Umdruck Nr. 367.
Herr Abgeordneter Kurlbaum, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 1 regelt Umfang und Dauer der gesamten Investitionshilfe und ist damit entscheidend für die Wirkung dieses Gesetzes überhaupt. Aus diesem Grunde wird es nötig sein, daß ich auch einmal etwas Grundsätzliches über Investitionspolitik und über die Bedeutung sage, die der Investitionspolitik im Rahmen unserer Wirtschaftspolitik zukommt.
Es ist unsere Konzeption in der Wirtschaftspolitik, daß wir grundsätzlich Eingriffe in die persönliche Entscheidungsfreiheit in wirtschaftlicher Beziehung bei der großen Menge der Verbraucher und kleinen Gewerbetreibenden vermeiden wollen.
Wir wissen aber, daß es zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist, die Wirtschaftsfreiheit einer kleinen Minderheit einzuschränken, Und in diesem Sinne sind wir allerdings für eine Einschränkung der Freiheit der kleinen Minderheit der wirtschaftlich Starken. Das einmal zu sagen, ist, glaube ich, nötig — da man immer wieder den Versuch macht, uns die Zwangswirtschaft zu unterschieben, die wir ebenso verdammen, wie Sie, meine Herren von den Koalitionsparteien, es immer von sich sagen —, um einmal klarzumachen, daß wir uns von ihr genau so absetzen wollen.
— Das gelingt uns sehr wohl! Ich möchte einmal versuchen, den grundsätzlichen Unterschied zwischen uns beiden gerade an Hand dieses Gesetzes darzustellen.
Ihnen, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, die Freiheit einer kleinen Minderheit wirtschaftlich Starker möglichst weit auszudehnen.
Wir sind der Meinung, daß das mit der wirtschaftlichen Freiheit der großen Mehrheit der Verbraucher nicht vereinbar ist.
— Wenn Herr Bertram anderer Meinung ist, hat das mit mir nichts zu tun.
Was bedeutet das nun für die Investitionshilfe? Wir sind allerdings der Meinung, daß eine aktive Investitionspolitik, weil sie ja letzten Endes nur in die wirtschaftliche Freiheit eines sehr eng begrenzten Kreises eingreift, das geeignete Mittel ist, um unser Ziel des Schutzes der großen Mehrheit zu erreichen. Auch wir bevorzugen natürlich Mittel, die die Freiheit nur soweit einschränken, als es zur Erzielung dieses konkreten Zweckes unmittelbar notwendig ist. Das ist der Grund, warum wir der Investitionslenkung, und zwar einer staatlichen Investitionslenkung die allergrößte Bedeutung beimessen.
Aus diesem Grunde hat unsere Partei auch von Anfang an in diesem Hause immer wieder auf die Investitionspolitik den allergrößten Wert gelegt. Ich verweise nur auf unsere Interpellation zur Investitionspolitik vom Januar 1950. Ich verweise in diesem Zusammenhang — gerade weil immer wieder davon gesprochen wird, unsere Partei habe niemals konkrete und reale Vorschläge — auf die sehr konkreten Vorschläge, die im März dieses Jahres von dem Sprecher unserer Partei über die Aufbringung einer Investitionsanleihe im Wege der Steuergesetzgebung gemacht worden sind.
- Das waren die Vorschläge, die Herr Kollege Dr. Harald Koch über diese Dinge gemacht hat.
- Jawohl! Im Wege der Steuergesetzgebung,
um zu erzwingen, daß bestimmte Sparbeträge aufgebracht werden! Ich empfehle Ihnen, sich diese Vorschläge einmal genau anzusehen. Sie scheinen es bisher nicht getan zu haben, Herr Dr. Bucerius! Die Vorschläge meines Kollegen Dr. Koch sind es bestimmt wert.
Nun möchte ich auch einige andere Meinungen wiedergeben; man könnte sonst auf dem Standpunkt stehen, das, was ich bisher gesagt habe, sei nur unsere eigene Meinung. Ich möchte einmal etwas zitieren, was der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums schon im Dezember 1950 gesagt hat. Er hat erklärt, daß es notwendig sei, die bisherige Investitionspolitik auf andere Gebiete zu lenken.
Das Bundeskanzler-Wirtschaftsministerium im Bundeskanzleramt
hat bekanntlich einen Gutachterausschuß zusammengestellt. Dieser hat im Februar 1951 — es ist das bekannte Stratus-Gutachten, das ich Ihnen auch sehr empfehlen möchte — eine planvolle Investitionspolitik vorgeschlagen.
Schließlich möchte ich auf das Memorandum der Bundesregierung an die OEEC vom März 1951 verweisen. Hier hat man die konkrete Zusage gemacht, daß man dafür sorgen würde, daß die erforderlichen Investitionskapitalien in die Schlüsselindustrien geführt werden würden.
Man könnte nun meinen, daß auf Grund dieser einhelligen Meinung über die Wichtigkeit einer wirklich aktiven Investitionspolitik die Bundesregierung eine gewisse Aktivität entfaltet hätte. Genau das Gegenteil ist der Fall gewesen, meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich trotz dieser sehr konkreten Zusagen darauf beschränkt, in einer sehr bedauerlichen 'Weise die Gesetzesinitiative an eine reine Interessentengruppe abzugeben. O
Meine Damen und Herren, wer an den Unterhaltungen im Wirtschaftsausschuß teilgenommen hat, der hat allerdings einen anderen Eindruck. In den ersten Beratungen des Wirtschaftsausschusses haben wir auf die Frage nach der Zweckmäßigkeit bestimmter Einzelheiten — daran möchte ich Sie erinnern, Herr Dr. Schröder — von den Vertretern der Bundesministerien die Antwort bekommen: „Ja, wir wollten es ja so vorlegen, wie es uns vom Gemeinschaftsausschuß vorgelegt worden ist!"
Damit hat man nun versucht, uns zu überzeugen!
Wir stellen also fest, daß sich die Koalitionsparteien und die Bundesregierung — und das ist das bedauerlichste — in einer Abhängigkeit von gewissen Wirtschaftskreisen zu befinden scheinen, die der Sache sehr wenig dienlich ist.
Ein zweiter Grund mag allerdings auch noch mitgespielt haben, daß die Bundesregierung unfähig war, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen; die sehr bedauerliche Rivalität zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister.
Ein Beispiel davon auf ganz anderem Gebiete!
— Ich glaube nicht, daß sie erstaunt sind! — Ich
möchte die Herren aus Ihrer Fraktion einmal an das
erinnern, was sich in den letzten Wochen z. B. be-
züglich der Devisenkontrolle abgespielt hat. Wir hatten ja die Freude, in dem Unterausschuß Devisenkontrolle die Schriftsätze dieser beiden Ministerien zu lesen, und ich glaube, in der Beurteilung der Gegensätzlichkeit der Auffassungen dieser beiden Schriftsätze hat es in dem Unterausschuß einschließlich der Herren selbst keinerlei Zweifel gegeben.
— Aber in diesem Fall waren erfreulicherweise alle Parteien in der Beurteilung der Zusammenarbeit bzw. der Nicht-Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ministerien nur einer Meinung!
Die Folge dieser Entwicklung ist nun gewesen, daß wir das Investitionshilfegesetz ungefähr genau ein Jahr später bekommen haben, als wir es hätten bekommen müssen.
Die Erkenntnis, daß diese Dinge notwendig waren, war bereits vor einem Jahr vorhanden. Wir von der Opposition sind gar nicht so, meine Damen und Herren, daß wir der Bürokratie der Bundesministerien nicht zugetraut hätten, dem Bundestage ein solches Gesetz in verhältnismäßig kurzer Zeit vorzulegen. Aber hier handelt es sich um etwas ganz anderes: Hier war entweder nicht die Fähigkeit vorhanden, im Kabinett eine gemeinsame Grundlage für dieses Gesetz zu finden, oder man wagte nicht, gewissen Interessentengruppen eine Lösung aufzuzwingen.
Die Folge dieser sehr uhgünstigen Entwicklung war, daß wir ein Gesetz bekommen haben, über das sich die Interessentenverbände zunächst einmal monatelang intern gestritten haben. Als wir dann wenige Tage vor den Sommerferien dieses Gesetz vorgelegt bekamen, um es im Hundsgalopp, wie von uns verlangt wurde, hier durchzupeitschen, haben wir uns mit Recht gewehrt. Ich erinnere an die Entrüstungsstürme, die unsere Weigerung hier erzeugt hat.
Ich erinnere Sie daran, was sich nach den Ferien abgespielt hat; es war notwendig, in wochenlangen Verhandlungen im Wirtschaftspolitischen Ausschuß aus diesem äußerst mangelhaften Gesetz überhaupt erst etwas rein technisch Brauchbares zu machen! Aus dieser Entwicklung kann man, glaube ich, wenigstens eine Hoffnung schöpfen: Die Öffentlichkeit hat erkannt, daß der Weg, den die Bundesregierung in diesem Falle gegangen ist, nämlich die Gesetzesinitiative in einer so wichtigen Angelegenheit an eine Interessentengruppe zu vergeben, unter keinen Umständen jemals wieder gegangen werden kann.
— Das hat mit dem Streik gar nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns aber das Gesetz an, wie es aus dem Ausschuß gekommen ist. § 1, wie ihn uns die Koalitionsparteien vorgelegt haben, sieht also eine Dauer der Investitionshilfe von einem Jahr vor und beschränkt sich auf eine einmalige Aufbringung von insgesamt einer Milliarde. Wenn Sie nun alle fachmännischen Äußerungen zusammenfassen, dann können Sie feststellen, daß über die Höhe der Investitionsmittel, die aufgebracht werden müssen, praktisch überhaupt keine Meinungsverschiedenheit besteht; ich möchte von den Ausführungen des Herrn Dr. Bertram einmal ganz absehen. Aber ich glaube, zwischen den Koalitionsparteien und uns besteht nicht die geringste Meinungsverschiedenheit über den Umfang der notwendigen Investitionen. Das kann ich schon damit dartun, daß in Ihrem Niederbreisiger Programm eine Ziffer von 6 Milliarden genannt wird. Ich glaube daher, daß über diesen Punkt nichts mehr im einzelnen gesagt werden muß. Im übrigen wird sich nachher noch ein Sprecher unserer Partei zur Frage der eisenschaffenden Industrie und zu dem, was hier eben gesagt worden ist, im einzelnen äußern.
Wir müssen also von diesen 6 Milliarden ausgehen, von der Notwendigkeit, Investitionen in der Höhe von 6 Milliarden nun wirklich durchzuführen. Jedem, der sich einmal praktisch mit Investitionsfragen beschäftigt hat, muß klar geworden sein, daß man ein solches Programm nicht etwa in einem Jahr durchführen kann. Die Durchführung eines solchen Programms in einem Jahr würde eine höchst unrationelle Verwendung der Mittel bedeuten, die wir uns bei unserem Kapitalmangel unter keinen Umständen leisten können. lm übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß nicht nur die augenblicklichen Engpässe geschlossen werden müssen, sondern daß wir auf lange Sicht auf dem Gebiet der planmäßigen Investierungen etwas tun müssen, weil letzten Endes das gesamte Wachstum unseres Sozialprodukts und die Steigerung des Lebensstandards davon abhängt.
Wir haben uns daher in den Ausschußverhandlungen sehr darüber gewundert, daß man uns über diesen inneren Widerspruch überhaupt keine Aufklärung geben konnte, nämlich über die Einhelligkeit der Meinung, daß ungefähr 6 bis 7 Milliarden notwendig sind, und daß man uns ein Gesetz vorgelegt hat, das nur 1 Milliarde vorsieht. Ich bin nicht der Auffassung des Berichterstatters, daß von Anfang an die Meinung vorhanden war, jetzt schon weitere Maßnahmen zu treffen, die auch die späteren Investitionen sicherstellen sollten. Wir haben jedenfalls nichts davon gemerkt. Man hat uns in den Ausschußverhandlungen sehr irreale Dinge genannt. Auf unsere Frage, wie man dann die Differenz zwischen 6 und 1 Milliarde überbrücken will, haben wir von dem Vertreter des Wirtschaftsministeriums sehr merkwürdige Dinge gehört: den Hinweis auf den Schumanplan, den Hinweis auf eine Kredithilfe der USA und dann — ich glaube, das ist das größte aller Phantome — auf das demnächst selbsttätige Funktionieren des Kapitalmarkts. Es befindet sich wohl kein ernsthafter Mensch unter uns, der daran glaubt, daß der deutsche Kapitalmarkt innerhalb der nächsten Jahre zu einem selbständigen Funktionieren gebracht werden kann.
— Meine Damen und Herren, wir wollen uns hier nicht über solche Schlagworte unterhalten. Ich habe schon mal an Sie als Koalitionsparteien den Wunsch gerichtet: Wir wollen doch endlich damit aufhören, uns die Worte Planwirtschaft und freie Wirtschaft an den Kopf zu schmeißen; wir wollen versuchen, uns über konkretere Maßnahmen zu unterhalten.
Dann wird unser Ansehen in der deutschen Öffentlichkeit steigen. Sie werden feststellen, daß ich in
der Tat heute den Versuch mache, mich mit Ihnen über sehr konkrete Maßnahmen zu unterhalten.
— Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir das zugeben.
Bis vor wenigen Tagen wußten wir also nicht, wie dieses Rätsel „6 zu 1" gelöst werden sollte. Da hat man uns dann nach Abschluß der Ausschußverhandlungen, nach Abschluß des Drucks des ersten Berichts sozusagen eine Minute vor 12 diesen wunderbaren § 36 aufgetischt.
Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Warum ist
dieser § 36 innerhalb unserer Konzeption kein — —
— Herr Wellhausen, wenn wir uns darüber unterhalten wollen, ob wir den § 1 im Sinne unseres Vorschlages so ausbauen wollen, daß er auch in der weiteren Zeit wirksam ist, dann müssen wir uns allerdings über die Frage unterhalten, ob Ihr § 36 ein vollständiger Ersatz für die von uns vorgeschlagene Verlängerung ist. Ich glaube, darüber kann gar kein Zweifel bestehen.
Wie sieht es nun damit aus? Ich glaube, der § 36 ist leider ein völliger Fremdkörper in diesem Gesetz. Er sieht keine Investitionsumlenkung vor. Das ist das Entscheidende für uns, und darum müssen wir den § 36 zur Zeit — so, wie die Wirtschaftslage bei uns jetzt ist — unter allen Umständen ablehnen. Wir können es uns jetzt nicht leisten, auf eine Beschränkung der Investitionen in gewissen Wirtschaftszweigen, wo sie nicht nötig sind, zu verzichten. Wir können es uns nicht leisten und können es der Bevölkerung nicht zumuten, alle diese sinnlosen Investitionen, die wir jahrelang auf gewissen Gebieten hatten, weiter mit anzusehen. Ich verweise nur auf die zahllosen Tankstellen, auf die luxuriösen Verwaltungsgebäude der Versicherungsgesellschaften und Banken.
Ich glaube, Sie werden auch zugeben, daß das Dinge sind, die uns aus der augenblicklichen Klemme überhaupt nicht herausführen können und die nicht im geringsten zur Steigerung des allgemeinen Lebensstandards beigetragen haben. Das ist das Entscheidende: Wir brauchen eine Investitionspolitik, die die Investitionen in den Wirtschaftszweigen, wo keine Investition notwendig ist, eindeutig beschränkt. Dieser Erfolg wird weder durch den § 36 noch kann er durch den § 36a erreicht werden, wie er außerdem noch vorgeschlagen worden ist.
Und noch etwas zu diesem Thema! Wenn Sie also darauf verzichten, die Investitionen in bestimmten Bereichen einzuschränken, wenn Sie also darauf hinauswollen, daß das Investitionsvolumen im ganzen erhöht wird — das wird die Folge Ihres Vorschlages sein —, dann müssen Sie unter den heutigen Verhältnissen bei den Engpässen, die wir haben, mit Preissteigerungen rechnen. Das ist der zweite Grund, warum wir diese Vorschläge ablehnen müssen; die Gefahr von Preissteigerungen liegt nun einmal im Wesen der von Ihnen und der Bundesregierung geführten Wirtschaftspolitik. Preissteigerungen führen aber in jedem Fall unter unseren Verhältnissen dazu, daß der Anteil der Arbeitnehmer, der Rentenempfänger am Sozialprodukt geschmälert wird. Das ist eine ganz eindeutige Angelegenheit.
— Viel unerfreulicher ist für uns, meine Herren, wenn der Anteil der Arbeitnehmerschaft und der Rentner, der Empfänger von Sozialrenten am Sozialprodukt geschmälert wird.
— Die werden sehr wohl tangiert; ich werde Ihnen gleich einige Zahlen dazu sagen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf das eingehen — weil wir jetzt über allgemeine wirtschaftspolitische Fragen sprechen —, was vom Kollegen Etzel und vom Kollegen Dr. Wuermeling vor einiger Zeit im Bundestag gesagt worden ist. Der Kollege Wuermeling hatte extra Wert darauf gelegt, daß wir zu seinen Ausführungen Stellung nehmen. Ich möchte dazu folgendes sagen: es nützt nichts, wenn wir Vergleiche ziehen über die Lohn-und Preisentwicklung. Damit überzeugen Sie uns nicht von der Güte Ihrer Politik, das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende habe ich eben schon angedeutet, es ist der Anteil der Arbeitenden an dem gesamten Sozialprodukt.
Dazu möchte ich Ihnen gern einige Zahlen nennen, die ich der Statistik des Bundesamtes entnommen habe.
Das Sozialprodukt, das im ersten Halbjahr 1950 0 in der Industrie entstanden ist, betrug 14,2 Milliarden. Es ist im ersten Halbjahr 1951 auf 20,6 Milliarden gestiegen. Es ist also um 44 % gestiegen.
- Darauf sind Sie besonders stolz; ich werde Ihnen aber zeigen, warum Sie nicht so sehr stolz darauf sein können. Die Bruttolöhne sind in derselben Zeit vom ersten Halbjahr 1950 von 5,4 Milliarden auf 7,2 Milliarden im ersten Halbjahr 1951 gestiegen, d. h. nur um 33 %. Damit komme ich zu dem Kriterium, das für uns ein Kriterium für die soziale Gerechtigkeit einer Wirtschaftspolitik ist, und es ist für uns auch das Kriterium für eine gerechte Einkommensverteilung. Ich meine die Tatsache, daß die Wertschöpfung in der Industrie einschließlich der Preiserhöhung wesentlich stärker gestiegen ist als die Löhne. In den entsprechenden Industriezweigen bedeutet das, daß der Anteil der Lohn- und Gehaltsempfänger am Sozialprodukt gesunken ist.
— Das ist keine falsche Betrachtungsweise, Herr Etzel. Sie haben nachher Gelegenheit, sich zu diesen Dingen zu äußern. Jetzt kann ich mich nicht auf Zwischenrufe einlassen, daß diese Dinge hier „falsch" seien; denn dafür hat, glaube ich, dieses Wort „falsch" keine Beweiskraft!
— Das hat doch mit der Betrachtung der Verhältnisse in der Industrie nichts zu tun!
— Meine Damen und Herren, es läßt sich doch ebenso klar nachweisen — das wird nachher ein anderer Sprecher unserer Partei noch tun —, daß die Steuern, die in dem gleichen Zeitraum gezahlt worden sind, sogar geringer geworden sind.
— Herr Kollege Wuermeling, ich empfehle Ihnen, sich einmal wirklich mit diesen Dingen zu beschäftigen;
weil die Zwischenrufe, die Sie machen, mir leider beweisen, daß Sie das, wovon ich gesprochen habe, überhaupt nicht verstanden haben!
Ich glaube, Sie müssen sich etwas stärker konzentrieren. Ich habe das Thema bisher nicht begrenzt, wir haben aber doch keine allgemeine Wirtschaftsdebatte.
Ich bin leider gezwungen worden, auf Zwischenrufe zu diesen Dingen Stellung zu nehmen. Ich darf den Herrn Präsidenten bitten, diese Kritik an die Zwischenrufer zu richten.
Das habe ich gleichzeitig damit getan. Das war keine Kritik, Herr Abgeordneter Kurlbaum!
Dafür bin ich außerordentlich dankbar.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch kurz auf den § 36 eingehen. Mir scheint also, wenn wir die gesamte Geschichte dieses § 36 an uns vorüberziehen lassen, müssen wir zu dem Ergebnis kommen: er ist nicht nur ein vollständiger Fremdkörper im Rahmen dieses Gesetzes, er verfälscht nicht nur den ganzen Inhalt dieses Gesetzes, er ist in Wirklichkeit leider nur ein trauriges Kompromiß zwischen den beiden Hauptpartnern dieser Koalition, und ich bedauere es außerordentlich, daß unter dem Druck der Drohung der FDP, diesem Gesetz nicht zuzustimmen, die CDU/CSU sich dazu hat verleiten lassen, sich auf diesen Weg abdrängen zu lassen. Ich möchte darauf hinweisen, daß unsere Partei sehr wohl willens gewesen wäre, den Weg einer echten Investitionshilfe mitzugehen.
Wir wären durchaus willens gewesen, hier einen konstruktiven, konkreten Beitrag zum Wiederaufbau zu liefern.
Ich möchte daher zusammenfassend folgendes sagen. Die Fassung, die wir für § 1 beantragt haben, gibt allein die Möglichkeit, eine wirklich planvolle und rationelle Investitionspolitik auf lange Sicht zu treiben. Die §§ 36 und 36 a bieten keine verläßliche Grundlage, da niemand von Ihnen voraussagen kann, was auf Grund dieser beiden Paragraphen nun tatsächlich für Investitionen zur Verfügung stehen. Sie werden mit mir aber der Meinung sein, daß man einen Investitionsplan nur durchführen kann, wenn man weiß, welche Mittel vorhanden sind. Ferner gibt allein die Fassung, die wir vorschlagen, die Garantie dafür, daß wir auch in Zukunft Preissteigerungen vermeiden, daß wir endlich zu einer Stabilität unserer Wirtschaftsverhältnisse kommen und daß nicht von neuem durch eine Veränderung in der Aufteilung des Einkommens auf die einzelnen Teile dieser Volkswirtschaft die soziale Einkommensverteilung gefährdet wird. Ich bitte Sie also, unserem Antrag zuzustimmen.
Zur Begründung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei, Umdruck Nr. 366 Ziffer 1, hat das Wort der Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich widerstehe der Versuchung, dem Höhenflug der beiden Vorredner in irgendeiner Weise zu folgen.
Sie sind zweifellos von dem Rahmen des § 1, der uns hier gezogen ist, in die Regionen der Wolken da oben geflogen, aus denen man ja doch nicht viel herunterholen kann.
Im übrigen überlasse ich es anderen Herren, die Polemik hier aufzunehmen.
Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, um unsern Antrag zu § 1 Abs. 2 zu begründen. Das wird natürlich angesichts der hochfliegenden Pläne, von denen wir eben gehört haben, eine sehr nüchterne, aber eine sehr reale Angelegenheit sein. In Abs. 2 des § 1 heißt es: „Als vordringlicher Investitionsbedarf gemäß Absatz 1 gelten auch Investitionen für die Wasserwirtschaft und den Güterwagenbau der Bundesbahn." Der Herr Berichterstatter hat in seinem Bericht ausgeführt, daß dieser Abs. 2 einen Ersatz dafür bietet, daß auf Grund eines späteren Paragraphen etwa 10 % des Gesamtaufkommens dem Wirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt werden sollen. Dafür haben wir im Wirtschaftspolitischen Ausschuß diesen Ersatz in den Gesetzentwurf gebracht.
Ich möchte nun Ihre besondere Aufmerksamkeit auf den Güterwagenbau der Bundesbahn lenken. Ich habe im Wirtschaftspolitischen Ausschuß gerade diese Formulierung mit bilden helfen; ich habe mich aber nach eifrigem Nachdenken dazu bekehren müssen, daß man für den Transport von Kohle und Eisen nicht bloß Güterwagen braucht, sondern auch Schiffe, und zwar sowohl in der Binnenschiffahrt als auch in der Hochseeschiffahrt. Deshalb möchte ich im Namen meiner Fraktion bitten, den Absatz in bezug auf den Güterwagenbau der Bundesbahn allgemeiner zu fassen und dafür einen Ausdruck zu gebrauchen, der früher vom Reichsgericht in irgendeiner Entscheidung gebraucht worden ist, nämlich „Transportgefäße" zu sagen. Das ist ein etwas merkwürdiger Ausdruck; aber er ist nun einmal in der Rechtssprache geschaffen worden.
Also das sind Transportgefäße, in denen Kohle und
Eisen befördert werden sollen, und das ist die allgemeine Bezeichnung dafür, daß wir die Unter-
stützung nicht bloß für Güterwagen brauchen, sondern auch für Schiffe.
— Nein, lassen Sie doch diesen allgemeinen Ausdruck stehen!
— Wenn Sie „Kohleneimer" sagen wollen und glauben, daß das vom juristischen Standpunkt aus richtig wäre, so tun Sie es! Ich spreche mich dafür aus, hier „Transportgefäße" zu sagen, und beantrage namens meiner Fraktion, die Worte „und den Güterwagenbau der Bundesbahn" zu streichen und durch die Worte zu ersetzen: „und den Bau von Transportgefäßen für Eisenerz, Kohle, Eisen und Stahl". Damit haben wir die Unterstützungsmöglichkeiten wesentlich erweitert, so daß das, was für die Wagen der Bundesbahn ausgegeben werden soll, für diesen allgemeinen Zweck aufgebracht werden kann. Wir sind damit auf einen ganz realen Punkt gekommen, und ich bitte Sie nun, unserm Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Ich war nicht darauf gefaßt, daß wir jetzt bei der zweiten Lesung schon in etwa eine Generaldebatte haben würden. Ich darf Sie deshalb um Entschuldigung bitten, daß ich auf die Generaldebattenthemen an dieser Stelle nicht eingehe. Dazu wird bei der dritten Lesung noch genügend Zeit sein. Aber ich möchte doch aus den Begründungen der drei Anträge, die hier vorgelegt worden sind, einige entscheidende Argumente aufgreifen, um dazu das Notwendige zu sagen.
Herr Bertram hat erklärt, wir hätten es hier mit einer Enteignung zu tun. Daß die Ausarbeitung dieses Gesetzes uns allen nicht gerade leicht fällt und daß wir sehr ernsthaft mit den Problemen zu ringen gehabt haben, darüber kann kein Zweifel bestehen. Wenn es nicht so außerordentlich schwerwiegende volkswirtschaftliche Gesichtspunkte und Sorgen für die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft gewesen wären, hätte man sicher etwas anderes vorgezogen. Aber von einer Enteignung, Herr Bertram, kann man doch bestimmt nicht sprechen, wenn demjenigen, der Mittel für die Investitionsfinanzierung in den Grundstoffindustrien zur Verfügung stellt, ein Gegenwert in voller Höhe entweder in Form von Aktien, in der Form von Wandelschuldverschreibungen oder in der Form von normalen Schuldverschreibungen gegeben wird. Diese Wertpapiere werden unter allen Umständen, soweit es Schuldtitel sind, zu 100 % zurückgezahlt und werden im übrigen ihre volle Verzinsung erhalten und bei den Aktien einen unmittelbaren Substanzanspruch gewährleisten.
Wenn Sie vorhin darauf abgestellt haben, daß bis zum Jahre 1956 eine steuerliche Abzugsfähigkeit von Veräußerungsverlusten ausgeschlossen ist, so ist dazu zu sagen: Es ist ja niemand gezwungen, diese Titel zu veräußern oder gar zu Verlusten zu veräußern. Im übrigen glauben wir, daß die Veränderungen, die dieses Gesetz im Laufe der Ausschußberatungen erfahren hat, insbesondere hinsichtlich einer Weitersicherung der Durchführung der notwendigen Investitionen über den § 36, auch die erforderliche Wertsicherung für die Titel, die die Aufbringungspflichtigen erhalten, gewährleisten. Die Behauptung, daß hier eine Enteignung vorliege, kann also in keiner Weise durchschlagen.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, daß wir hier vor nicht allzulanger Zeit das Gesetz über die Rentenbankkreditanstalt mit der Aufbringungsumlage der Landwirtschaft beschlossen haben, die in diesem Falle sogar ein viel weitergehendes Opfer auf sich genommen hat; denn sie bekommt unmittelbar von dieser Rentenbankauflage, die zugunsten der Förderung der Produktivität der deutschen Landwirtschaft und der Steigerung der deutschen Nahrungsmittelerzeugung von uns beschlossen worden ist, gar keinen Gegenwert, sondern sie erhält nur indirekt den Anspruch, daß auch ihr selber im Bedarfsfalle von der Rentenbank ein Kredit gewährt wird. Wenn Sie also diese Parallele ziehen, dann sehen Sie, daß das jetzt zu beschließende Investitionshilfegesetz Maßnahmen fordert, mit denen wir in sehr viel geringerem Umfang etwa mit dem Grundgesetz in Kollision kommen als bei dem damals beschlossenen Gesetz über die Rentenbankkreditanstalt.
Ich möchte noch auf ein anderes Argument von Ihnen mit ganz besonderer, ich möchte schon fast sagen: Bitternis antworten. Ich habe es nicht begreifen können — und ich glaube, daß das auch ein sehr erheblicher Teil des Hauses nicht hat begreifen können -, wie Sie von einer deutschen Industrie wie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie, die- in einem heute zum Teil wohl auch vom Ausland nicht mehr begriffenen Ausmaß Demontagen anheimgefallen ist, sagen konnten, daß sie noch über die derzeitigen Produktionsmöglichkeiten hinaus erhebliche Kapazitätsreserven besitze.
Es wissen wohl alle bei uns in Deutschland, daß leider das absolute Gegenteil der Fall ist. Wir können es auch nicht begreifen, wie gegenwärtig noch, kurz von der Ingangsetzung des Schuman-plans, uns Entscheidungen die im europäischen Interesse liegende Erweiterung der Eisen- und Stahlerzeugung verweigern.
Lassen Sie mich noch zu dem weiteren Argument etwas sagen, daß der Rohstoffindex so erheblich mehr gestiegen sei als der Index der Fertigerzeugnisse. Herr Bertram, das ist völlig unbestritten; aber das ist doch eine vollkommen klare und beinahe natürliche Tatsache. Denn die Rohstoffe als solche sind ja nun einmal die Urprodukte, die mit fortschreitender Veredlung mit einem immer geringer werdenden Anteil in die Enderzeugnisse eingehen. Wenn also nach der Koreakrise der Weltwollpreis um 400 % gestiegen ist, dann ist es ganz verständlich, daß bei einem fertigen Wollstrickkleid, dessen Anteil Wolle nur noch 30 % beträgt, höchstens noch eine Preissteigerung um 100 % gerechtfertigt erscheint. Also aus der Tatsache, daß der Rohstoffindex stärker angestiegen ist als der Index der Fertigerzeugnisse, ableiten zu wollen, daß eine Berechtigung für die Investitionshilfe oder die Notwendigkeit für sie nicht gegeben sei, das ist, glaube ich, ein Schluß, der innerlich wirklich keine Berechtigung hat.
Herr Kurlbaum, ich habe mich außerordentlich gefreut über den von den bisherigen Debatten von
seiten der Opposition sich wirklich wohltuend abhebenden Ton Ihrer heutigen Erklärungen.
Gestatten Sie aber, daß ich hier einmal auf eines aufmerksam mache. Sie haben ausgeführt, der Brutto-Produktionswert der Industrie sei von 14.2 Milliarden im ersten Halbjahr 1950 auf 20,6 Milliarden DM im ersten Halbjahr 1951, d. h. um 44 %, und die Bruttolohnsumme von 5,4 auf 7,2 Milliarden, d. h. um 33 %, gestiegen. Es ist doch wohl eines klar: Aus diesen Zahlen kann man das, was Sie damit beweisen wollten, gar nicht beweisen.
Stellen Sie sich einmal vor, diese 33 % Mehrlohnsumme sei an die Hälfte der vorjährigen Beschäftigten ausgezahlt worden.
Dann hätte diese Hälfte der vorjährigen Beschäftigten in Wirklichkeit eine Lohnerhöhung um 66 % erfahren.
— Herr Kalbitzer, das ist nicht der Fall; darauf wollte ich ja abstellen. Es nützt Ihnen nämlich diese Zahl gar nichts, wenn Sie nicht die Zahl der Beschäftigten auf der einen Seite und die Preisentwicklung der industriellen Produkte auf der andern Seite dazunehmen.
— Das habe ich längst getan, Herr Kurlbaum; aber ohne die Zahl der Beschäftigten, auf die die Lohnsumme entfällt, und ohne die durchschnittlichen Preise für die industriellen Erzeugnisse, die hier in ihrem gesamten Produktionswert um 44 % gestiegen sind,
sagt Ihnen das absolut nichts aus. Ich könnte zu dem Brutto-Produktionswert genau so sagen: Er kann sich bei einer durchschnittlich 50 %igen Preisermäßigung gesteigert haben; und er kann sich bei einer durchschnittlich 50 %igen Preissteigerung erhöht haben. Es kommt einzig und allein, wenn Sie etwas beweisen wollen, auf die Zahl der Beschäftigten, auf die durchschnittlichen Stundenlöhne, auf die Bruttolöhne und auf die Lebenshaltungskosten an.
Es ist ja von Ihnen selbst gesagt worden, daß die Einkommen- und Körperschaftsteuern, selbst wenn man den Einfluß der Steuerermäßigung ausschalten und die Entwicklung in sich weiter rechnen würde, erheblich weniger stark gestiegen sind. Ich glaube, daß darin der deutlichste Beweis liegt, daß die Entwicklung jedenfalls nicht in dem Maße zugunsten der Gewinne der Industrie gegangen ist.
Lassen Sie mich jetzt, damit wir etwas mehr zu den Dingen kommen, die uns hier im Augenblick zu bewegen haben, noch etwas über eine ebenso gefährliche Äußerung des Herrn Kollegen Bertram hinzufügen, der davon sprach, daß durch diese Maßnahmen die Gefahr einer ständigen Senkung des Wertes der D-Mark heraufbeschworen werden könnte. Herr Kollege Bertram, die D-Mark hat im Augenblick und nach der Währungsreform und danach im Ausland 20 Schweizer Franken für 100 DM notiert. Sie ist seitdem in die Nähe der rechnerischen Parität von rund 90 Schweizer Franken für 100 DM gestiegen.
Die Ausländer haben offenbar, wenn sie die D-Mark mit mehr als dem Vierfachen ihres Wertes von vor drei Jahren bewerten, die ganz entgegengesetzte Auffassung von der Wirkung und den Erfolgen der deutschen Wirtschaftspolitik.
Lassen Sie mich noch etwas Weiteres zu dem einen Zahlenbeispiel sagen, das Sie hier vorhin von dem Handwerksmeister vorgerechnet haben, der 80 000 DM Umsatz hat und der nun in der glücklichen Lage sein soll, ein erhebliches Einkommen in Höhe von 20 % zu versteuern. 20 % sind wirklich als Nettoeinkommen eine erhebliche Summe. Das sind also 16 000 DM.
Dann hätte er nach dem Tenor dieses Gesetzes dazu noch 4 % des Umsatzes, d. h. 3 200 DM, in die Bemessungsgrundlage einzurechnen; das sind also 19 200 DM. Dabei hat er zunächst eine Freigrenze von 10 000 DM; es blieben also 9 200 DM übrig;
und die wären also, wenn wir das jetzt als Durchschnitt oder als Einkommen nur eines Jahres einmal rechnen, mit 7 % als Investitionshilfe zu zeichnen. Das wären also an und für sich 644 DM. Davon hat er aber nach dem § 11 des Gesetzes noch eine Freigrenze von 560 DM, so daß für den Mann mit einem relativ hohen steuerpflichtigen Einkommen insgesamt eine Investitionshilfe-Beteiligung zugunsten der Grundstoffindustrien von sage und schreibe 84 und nicht 840 DM in Frage kommt. Es scheint da bei Ihnen einfach ein Rechenfehler unterlaufen zu sein.
Ich glaube daher, daß die Bestimmungen, die wir in dem Gesetz zugunsten eines wirksamen Schutzes der Klein- und Mittelbetriebe vorgesehen haben und die wir auch schon deswegen gewünscht haben, um nicht den ganzen technischen Apparat ins Ungeheuerliche sich aufblähen zu lassen, tatsächlich in der Weise wirken, daß Betriebe, mit einem Jahresumsatz zwischen 90 000 und 100 000 DM, wie es in dem Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaftspolitik gesagt worden ist, praktisch aus der Aufbringungspflicht herausfallen. Herr Kurlbaum, ich glaube, daß damit schon ein erheblicher Teil von schutzwürdigen Interessen berücksichtigt worden ist.
Wir machen diesen Weg der Investitionshilfe für die Grundstoffindustrie schweren Herzens mit,
tun das aber letzten Endes nicht deshalb, um auf
die Dauer einen nebulosen Schutz für eine „Mehr-
heit" zu bekommen, sondern um die politische und soziale Freiheit des ganzen deutschen Volkes zu sichern. Man hat ein solches Ziel bisher nicht erreicht. Die Ursachen dafür liegen nicht etwa in einer verfehlten Wirtschaftspolitik der Freiheit auf diesen Gebieten,
sondern sind darin zu suchen, daß entgegen unseren Wünschen im Wirtschaftsrat unmittelbar vor der Währungsreform der Mut nicht gefunden wurde, auf diesen Gebieten das gleiche zu tun, was man in der übrigen Wirtschaft getan hat,
nämlich die ganzen zwangswirtschaftlichen Eingriffe zu unterbinden.
Wenn man nun mit dem Ergreifen einer solchen Maßnahme mit Aussicht auf Erfolg einen Weg beschreiten kann, an dessen Ende auch die Freiheit auf dem Gebiet der Grundstoffe steht, und wenn damit die Startbedingungen gegeben sind, um in der Kohleförderung, in der Stahl- und Energieerzeugung den gleichen Aufschwung zu erreichen, wie wir ihn auf den anderen Gebieten erlebt haben, dann rechtfertigt dies schon aus ganz anderen Überlegungen und mit ganz anderen Zielen — darüber sind wir uns klar —, als Sie sie vor Augen haben, daß wir einen solchen Weg, wie ich sagte, zwar schweren Herzens, aber mit Rücksicht auf den beabsichtigten und von uns zielbewußt weiter angestrebten Erfolg der völligen Freiheit doch nunmehr gehen werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Sie haben die Frage aufgeworfen: Reicht denn die eine Milliarde aus? Sie haben erklärt, der § 36 allein könne es auch nicht schaffen. Darin sind wir mit Ihnen völlig einer Meinung. Der § 36 kann nur ein weiteres Hilfsmittel sein, aber immerhin ein nicht ganz unwesentliches Hilfsmittel, um nachzuholen, was aus der verfehlten Zwangswirtschaft bei den Grundstoffindustrien in den vergangenen Jahren nicht geschehen ist. Es gehört allerdings noch etwas weiteres dazu, und das ist, was wir immer und immer wieder hier betont haben, die Preisfreiheit bei den Grundstoffindustrien,
von der wir mit Sicherheit wissen, daß sie nicht zu einer Preissteigerung für die gesamte verbrauchende Wirtschaft führt. Man möge einmal bedenken, daß heutzutage für Schwarze Kohle 150 DM je Tonne gezahlt werden.
— Herr Erhard hat die Zwangswirtschaft bei den Grundstoffindustrien genau so beseitigen wollen wie wir, nur hat er nicht mit uns zusammen die erforderliche Mehrheit gefunden, die die Voraussetzung für das Ergreifen dieser Maßnahmen gewesen wäre. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde es keine Kohle-, keine Stahl- und keine Energieprobleme in Deutschland mehr geben.
Es werden 150 DM für Schwarze Kohle, 110 DM für US-Kohle und für Spitzenkohle und sonstwas gezahlt.
— Herr Dr. Schumacher, der Durchschnitt, der bei
einer Freigabe, wenn man den Mut zu einer solchen
hätte, herauskommen würde, würde, was die
Kostenseite der deutschen Wirtschaft anlangt, um genau so viel niedriger liegen, wie es bei der Freigabe des Benzins und bei all den anderen Dingen der Fall gewesen ist; das haben wir ja erlebt.
Diesen Mut müssen wir in Kürze finden, denn das ist für uns das A und O. Mit dieser Auflage machen wir dieses Gesetz überhaupt nur mit, daß es der Weg in die Freiheit ist.
Deshalb bitte ich Sie, die Anträge abzulehnen, die von Vorstellungen ausgehen, die uns weiter in der Verzerrung des Zwangs halten wollen.
Herr Abgeordneter Juncker, Sie haben nicht das Wort.
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst bitten, daß wir uns doch etwas auf den Sinn einer zweiten Beratung, nämlich einer Einzelbesprechung, beschränken und nicht § 1 zu dem Nagel machen, an dem wir die Generaldebatte aufhängen.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Der Zweck des Gesetzes wird in § 1 dargelegt: es soll mehr Kapital als Investitionshilfe für die Modernisierung der Grundstoffindustrie aufgebracht werden. Im allgemeinen spricht man von der Beseitigung der Engpässe in den Grundstoffindustrien. Es gibt in der Tat heute Engpässe. Die Menschen draußen im Lande merken das, wenn sie keine Hausbrandkohle erhalten.
Auch die Baustoffhändler merken es, weil die Baustoffabriken nicht mehr so viel Baustoffe wie vor Monaten ausstoßen; denn die Kohlenzuteilung ist geringer geworden. Wir sind aber verpflichtet, nach den tieferen Ursachen dieser Engpässe zu suchen. Sind sie im allgemeinen in der verfehlten Wirtschaftspolitik des Herrn Bundeswirtschaftsministers Erhard zu suchen? Nur zum Teil! Die Engpässe sind im wesentlichen durch eine Politik hervorgerufen warden, die der Bundesregierung zum Teil von außen aufgezwungen, zum Teil aber auch freiwillig von ihr gemacht wird. Diese Politik soll die westdeutsche Wirtschaft eingliedern, unterordnen und ausnutzen für die Rüstungen des Atlantikpaktes, für die Remilitarisierung Westdeutschlands und damit für die Vorbereitung eines dritten Weltkrieges..
Herr Abgeordneter Paul, ich bitte Sie, zu § 1 zu sprechen und keine allgemeinen Ausführungen zu machen.
Ich spreche zu § 1.
Sie haben den § 1 zitiert. Sie machen allgemeine Ausführungen. Ich bitte Sie, zur Sache zu kommen, und rufe Sie zum ersten Mal zur Sache.
Vor der Korea-Intervention war die Lage so, daß in zahlreichen Stahlwerken — ich denke hier z. B. an Huckingen — Stahl auf Lager war und man sich schon mit dem
Gedanken trug, einige Abteilungen kurzarbeiten zu lassen. Ich mache darauf aufmerksam, daß es bereits vor der Intervention der USA in Korea auf den Kohlengruben große Bestände an Kohle gab. Sie verschwanden in dem Augenblick, in dem die militärische Intervention in Korea und damit, wie man in der westdeutschen Wirtschaft sagt, eine bestimmte Korea-Konjunktur einsetzte. Der westdeutschen Wirtschaft wurde ein ungeheurer Zwangsexport an Kohle und an Halbfabrikaten der eisenschaffenden Industrie auferlegt, um den sogenannten Beitrag für die Wiederaufrüstung und den Atlantikpakt zu leisten. Das sind die wesentlichen Ursachen für die Engpässe in der westdeutschen Grundstoffindustrie.
Ich habe bereits vor Monaten bei der Beratung über die Zuteilung der ECA-Mittel an die Wirtschaft aus einem vertraulichen Rundschreiben der Wirtschaft hier bekanntgemacht, daß die ECA-Mittel in erster Linie in jene Industriezweige gelenkt werden sollten, die für die Wiederaufrüstung, d. h. für den sogenannten Wehrbeitrag von entscheidender Bedeutung seien.
Dieses Investitionsgesetz, das uns jetzt vorgelegt wurde, dient gar keinem anderen Zweck als dem, Mittel in die Grundstoffindustrie zu leiten, um die Produktion zu steigern, aber nicht im Interesse des friedlichen Bedarfs der deutschen Bevölkerung und der Durchführung eines friedlichen Handels mit allen Völkern, sondern um die Grundlagen zu schaffen für die Wiederaufrüstung, für die Durchführung jener Anweisungen und Maßnahmen, die jetzt in Rom und in Paris weiter zum Schaden des deutschen Volkes ausgeheckt werden.
Wir sind die letzten, die dagegen wären, daß man die Engpässe in der Wirtschaft mit Hilfe des ganzen Volkes beseitigen sollte, wenn diese Hilfe der Hebung des Lebensstandards des ganzen Volkes, der Steigerung der friedlichen Produktion und eines friedlichen Außenhandels diente. Aber dem ist nicht so. Und weil dem nicht so ist, muß man sich diesem Gesetz aus nationalen und sozialen Gründen im Interesse des Volkes widersetzen. Man will in der Tat zugunsten der Rüstungsindustrie eine Zwangssteuer eintreiben.
Meine Damen und Herren, in einer demokratischen, dem Frieden dienenden Volkswirtschaft hätte man nicht 58 Milliarden DM so wahllos und so planlos angelegt, wie es nach der Währungsreform in Westdeutschland geschehen ist. Man hätte die Gelder zugunsten der Beseitigung der Engpässe angelegt und damit zum Nutzen des gesamten deutschen Volkes.
Aber das hat man nicht getan. Im Gegenteil: Freibeutertum auf der ganzen Linie auf Kosten und zu Lasten der breiten Volksmassen. Die Preise klettern unweigerlich immer mehr in die Höhe, und das Realeinkommen der Arbeiter und Angestellten geht auf Grund dieser Wirtschaftspolitik gewaltig zurück.
Wir Kommunisten fragen uns, und wir richten diese Frage auch an die sozialdemokratischen Abgeordneten: Für wen beantragt die sozialdemokratische Fraktion in ihrem Änderungsantrag zu § 1 die Aufbringung von Mitteln im laufenden Jahr in Höhe von 1 Milliarde und in den folgenden Jahren in Höhe von 2 Milliarden DM? Ich frage die sozialdemokratische Fraktion: Ist denn die Grundstoffindustrie bereits in Gemeinwirtschaft übergeführt?
Ist die Grundstoffindustrie bereits in Volkseigentum übergeführt, oder ist es nicht so, daß in der Grundstoffindustrie durch die Einwirkungen der Alliierten und durch die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung heute wieder die alten Monopol-und Konzernherren am Ruder sind?
Man hat durch alliierte Gesetze bestimmt, daß die Altaktien, selbst bei den neuen Gesellschaften, im Verhältnis 1 zu 1 umzutauschen sind. Und Sie beantragen jetzt in Ihrem Abänderungsantrag, daß man zugunsten dieser großkapitalistischen Eigentümer und zum Teil zugunsten amerikanischer Be sitzer aus den deutschen Volksmassen eine, sogar zwei Milliarden Mark herausholen soll,
um sie in der Grundstoffindustrie zu investieren. Kein sozialdemokratischer Arbeiter in der Kohlenindustrie und in der Stahlindustrie, der täglich den Druck dieser Konzernherren spürt, wird — davon bin ich fest überzeugt — diese wirtschaftliche Konzeption der Sozialdemokratischen Partei begreifen. Hier kommt es darauf an, daß, wie wir es vor Wochen gefordert haben, die Grundstoffindustrien, damit sie nicht an die kapitalistischen Freibeuter und an die Rüstungsherren ausgeliefert werden, zuerst einmal in das Eigentum des Volkes übergeführt werden. Dann werden die Grundstoffindustrien, die die entscheidenden Industrien sind, dem Volksganzen dienen.
Tausende und aber Tausende von Gewerkschaftskollegen sind mit mir der Auffassung, daß dieses Gesetz und auch die Abänderungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion zu § 1 nicht im Interesse der arbeitenden Masse liegen. Wir werden jedenfalls mit aller Entschiedenheit gegen jene Tendenzen ankämpfen, die Monopolherren in ihrem Machtstreben auf Kosten der verarbeitenden Industrie noch weiter zu festigen; denn letzten Endes werden doch nur wieder die Millionenmassen der Verbraucher diese Zwangssteuer aufzubringen haben. Die verarbeitende Industrie und alle anderen Industriezweige, die diese Abgaben aufzubringen haben, werden versuchen, einen Teil der Zwangssteuer umzulegen und sie den breiten Volksmassen aufzuerlegen.
Aus den genannten Gründen werden wir weder dem § 1 noch dem ganzen Gesetz unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Juncker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß für einen Teil meiner Freunde in der FDP einen anderen Standpunkt einnehmen, als ihn mein Kollege Preusker eben begründet hat. Es scheint, als solle hier aus Gründen der Optik ein Gesetz zum Zuge kommen, von dessen Unwirksamkeit man von vornherein überzeugt ist.
Der Antrag der Zentrumsfraktion Umdruck Nr. 364 geht ganz richtig von der Tatsache aus, daß das Schwergewicht der Investitionshilfe nicht mehr auf der Aufbringung von einer Milliarde beruht, sondern auf dem neu eingefügten § 36, und zwar aus der Erkenntnis heraus, daß die beispielsweise der Eisen- und Stahlindustrie aus der Umlage von einer Milliarde zugedachten 2- bis 300 Millionen nur einen Tropfen auf einen heißen Stein bedeuten, während mit dem § 36 schließlich doch eine organische Lösung der finanziellen Schwierigkeiten der Grundstoffindustrien angestrebt wird, die dazu beitragen dürfte, die Engpässe durch Selbstfinanzierung zu beseitigen. § 36 räumt nämlich die früher nach § 7 a des Einkommensteuergesetzes gewährten Vergünstigungen der Abschreibungsmöglichkeiten wieder ein, wobei ich allerdings ausdrücklich davor warnen möchte, in der Selbstfinanzierung die alleinige Quelle der Kapitalaufbringung zu sehen, denn zweifellos sind auch vor dem Kriege nicht alle Investitionen für `Kohle, Eisen, Stahl und Energie aus Gewinnerträgen erstellt worden.
Aber lassen Sie mich zu diesem Gesetz auch einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Meine Damen und Herren, auch wir sind im Prinzip der Auffassung, daß auf eine Investitionshilfe nicht verzichtet werden kann und daß den Notwendigkeiten einer Produktionsausweitung Rechnung getragen werden muß, soweit das für Kohle und Energie in Frage kommt, denn die beiden Wirtschaftszweige dürften kaum in der Lage sein, die für die Produktionsausweitung notwendigen Kapitalien aus eigenen Betriebserträgnissen aufzubringen. Wir sind aber andererseits auch der Meinung, daß insbesondere die verarbeitenden Industrien, die in der Lage waren zu investieren, keinen Nutzen hätten bzw. daß diese Investitionen illusorisch würden, wenn die vorgelagerten Stufen praktisch außerstande wären, den Mehrbedarf zu decken. Ich kann eigentlich nicht einsehen, warum man nicht insbesondere auf die Betriebe zurückgreift, die einmal durch die Produktionsausweitung in die Lage versetzt werden, an dieser Produktionssteigerung unmittelbar zu profitieren, die aber andererseits auch durch die bisher bereits getätigten Investitionen es praktisch als ein Äquivalent auffassen müßten, auf diese Weise etwas zu tun. Es würde zu weit führen, hier auf Einzelheiten einzugehen, deren Erörterung ich der Generaldebatte in der dritten Lesung vorbehalten möchte.
Vor allem möchte ich noch kurz auf etwas hinweisen, was auch Herr Kollege Kurlbaum schon erwähnte. Wenn man sich die heutige Fassung des Gesetzes ansieht, so kann man es nur begrüßen, daß seinerzeit, kurz vor den Parlamentsferien, das Gesetz nicht auf Anhieb verabschiedet wurde. Ich bin der Auffassung, daß man sich auch einmal Gedanken darüber machen sollte, worauf eigentlich die Animosität gegen dieses Gesetz beruht. Es kann nicht bestritten werden, daß die derzeitigen Versorgungsschwierigkeiten tatsächlich in einer Weise ausgenutzt worden sind, daß weite Kreise der verarbeitenden Industrie und auch des Handels sich heute dazu verurteilt sehen, Geld aufzubringen für Zweige der Wirtschaft, die durch die von ihnen geforderten Überpreise zweifellos in der Lage wären, diese Investitionen selbst zu machen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch das Bundeswirtschaftsministerium eindringlich bitten, sich doch einmal um diese Auswüchse zu bekümmern; ich bin gern bereit, Namen und Firmen zu
nennen, die hierfür verantwortlich zeichnen. Wenn derartigen Manipulationen nicht Einhalt geboten wird, meine Damen und Herren, leidet nicht nur das Ansehen der Bundesregierung, sondern darüber hinaus auch das Ansehen der Demokratie.
— Sicher, dazu haben die anderen Redner ja auch hur gesprochen.
Lassen Sie mich nur die Dinge noch kurz von der Seite der Aufbringung her beurteilen. Es kann nicht bestritten werden, daß sowohl die konjunkturellen als auch die betrieblichen Voraussetzungen sich grundsätzlich geändert haben. Es muß als wirtschaftlicher Wahnsinn bezeichnet werden, wenn heute, bei einer gewissen Liquiditätssorge in der gewerblichen Wirtschaft, Betriebe tatsächlich gezwungen sind, kurz- und mittelfristige Kredite aufzunehmen, die nunmehr in langfristige umgewandelt werden müßten, damit sie der Abgabepflicht genügen können.
Aus all diesen Gründen bedaure ich, im Augenblick einen anderen Standpunkt nicht einnehmen zu können. Ich muß auch erklären, daß mir der von Herrn Kollegen Bertram eingereichte Antrag auf Beseitigung der §§ 1 bis 35 am sympathischsten erscheint.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor Jahr und Tag die Notwendigkeit der Erhöhung der unzulänglich gewordenen Kapazitäten der Grundstoffindustrien und der Nachholung der unterbliebenen Rationalisierung immer dringender wurde, da stellte sich das Problem der Finanzierung dieser Maßnahmen in voller Schärfe. Die gesamte Wirtschaft hat damals den Entschluß gefaßt, in einer ihrer Selbstverwaltung zu übergebenden Organisation durch Selbstaufbringung diese Mittel zu beschaffen. Der Gedanke war liberal, er war elastisch, er war großzügig. Was aus dem ursprünglichen Plan geworden ist, das sehen wir heute in dem vorliegenden Gesetzentwurf. Er hat meines Erachtens nur wenig mit dem Ausgangsgedanken zu tun. Die Akzente des Staatsinterventionismus und der Reglementierung sind unverkennbar. Durch die Einbeziehung der 4 % Umsatzsteuer in die Bemessungsgrundlage ist ein völlig neuer Gesichtspunkt hineingetragen worden. An und für sich wäre, wenn die Wirtschaft richtig funktioniert hätte, die Deckung des Finanzbedarfs mit den ordentlichen Mitteln des Marktes selbst möglich gewesen. Das war aber deswegen nicht möglich, weil allzu lange preisgestoppte und preisfreie Sektoren in einer im übrigen grundsätzlich preisfreien Wirtschaft nebeneinander aufrechterhalten blieben, so daß gerade den Grund-stoffindustrien einschließlich der Energiewirtschaft durch die Niedrighaltung der Entgelte, die sie zu vereinnahmen hatten, die Möglichkeit der Bildung von Rücklagen versperrt wurde. Der Appell an den Kapitalmarkt konnte nicht erfolgen, weil nichts Wesentliches geschehen war, um die zerrütteten Kapital- und Effektenmärkte zu ordnen, das Vertrauen der Sparer zu gewinnen und ihren Willen zum Konsumverzicht zu stärken. Ich erinnere nur daran, daß bis heute die von allen jetzt als notwendig erkannte Aufwertung der Altsparerguthaben einschließlich des Pfandbriefaltbesitzes unterblieben ist.
Herr Abgeordneter Dr. Etzel, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir keine Generaldebatte haben, sondern zu § 1 sprechen. Sie sprechen zur Generaldebatte!
Der Grundgedanke, der in § 1 niedergelegt ist, ist meines Erachtens durch zwei Faktoren in seinem Ausgangspunkt verändert worden. Einmal ist die Tatsache nicht abzuleugnen, daß doch ein Durchbruch der zwangsweise niedrig gehaltenen Preise erfolgt ist. Die ursprünglich als Schwarzmarkt- oder Graumarktpreise zu erachtenden, über die Höchstgrenze hinausgehenden Preise haben sich mehr oder weniger zu regulären Preisen entwickelt. Vor allem aber ist durch die in letzter Stunde erfolgte Einfügung des § 36 ein völlig neues Moment in die Gesetzesvorlage hineingekommen. Ich bin der Auffassung, daß einmal die Frage zu prüfen ist, ob nicht die tatsächliche Preis- und Kursentwicklung in den Grundstoffindustrien in der letzten Zeit eine Entwicklung genommen hat, die eine neue Betrachtung erfordert, und daß es zum andern der Mühe verlohnt, den Grundgedanken, der in § 36 niedergelegt ist, zu untersuchen und zu entwickeln. Er bedeutet schließlich nicht mehr und nicht weniger, als daß man zu dem ursprünglichen Gedanken der Begünstigung der Selbstfinanzierung durch steuerpolitische Mittel zurückgekehrt ist. Wir sind der Meinung, daß diese beiden wichtigen neuen Gesichtspunkte eine neue Überlegung erfordern und daß es nicht schwer sein müßte, durch die Entwicklung des Grundgedankens des § 36 die §§ 1 bis 35 entbehrlich zu machen. Dazu wäre allerdings meines Erachtens eine Neuberatung im Ausschuß für Wirtschaftspolitik erforderlich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu § 1 liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung über die vorliegenden Änderungsanträge. Ich darf unterstellen, daß Sie bereit sind. über den Antrag der Fraktion des Zentrums — Umdruck Nr. 364 Ziffer 1 — nicht nur hinsichtlich des § 1, sondern auch hinsichtlich der Streichung der §§ 1 bis 35 sofort abzustimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Meine Damen und Herren, das ist offenbar keine Mehrheit des Hauses.
Herr Abgeordneter Dr. Bertram wünschte für den Fall dieses Ergebnisses, seinen Abänderungsantrag — Umdruck Nr. 353 — zu begründen.
— Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Dr. Bertram wünscht Feststellung der Enthaltungen. Ich darf also zunächst fragen: Wer ist gegen den Antrag der Fraktion des Zentrums? — Wer enthält sich? — Und eine größere Zahl von Abgeordneten nimmt überhaupt an der Abstimmung nicht teil.
Herr Abgeordneter Dr. Bertram wünscht, seinen Antrag — Umdruck Nr. 353 — zu begründen. Er hat mir gesagt, daß das nur wenige Minuten in Anspruch nehmen wird.
Meine Damen und Herren! Unser Antrag, die eisenschaffende Industrie aus § 1, nicht aber aus §§ 36 und 36 a, zu streichen, hat als Grund im wesentlichen ein Zeitmoment. Wir sind der Ansicht, daß, wenn das Aufkommen der Investitionshilfe eine Milliarde DM beträgt, diese Milliarde dort konzentriert werden muß, wo die größten Engpässe stecken. Die größten Engpässe stecken aber in der Kohle — wie der dauernde Import amerikanischer Kohle beweist —, die größten Engpässe stecken in der Energiewirtschaft. Die Konzentration der Mittel auf diese beiden Sparten ist zur Zeit vordringlich. Hier läßt sich dann etwas Vollwertiges erreichen, während auf der anderen Seite die eisenschaffende Industrie selbst in der Lage ist, für sich etwas Erhebliches — im laufenden Jahr zumindest noch — zu tun. Die Möglichkeit, beispielsweise Thyssen, Krupp, WatenstedtSalzgitter zu finanzieren, hängt davon ab, daß es uns gelingt, gerade für diese Werke das Produktionspermit zu bekommen. Auf das Produktionspermit für diese Werke können wir aber nicht erst warten.
Wenn der Abgeordnete Preusker eben darauf hingewiesen hat,
— ja, es sind doch nur ein paar Sätze! —, daß ich über die Gefahr einer Entwertung der D-Mark im Verhältnis zum Ausland gesprochen, also den Kurswert bezweifelt hätte, so stelle ich dazu fest, daß ich darüber gar nicht gesprochen habe. Ebenso habe ich gar nicht darüber gesprochen, daß es sich etwa bei der Notwendigkeit, der eisenschaffenden Industrie zu helfen, darum handle, daß die Kapazität an sich zu groß sei; ich habe nur darüber gesprochen, daß die derzeitige Kohlesituation eine entsprechende Ausnutzung der Kapazität der eisenschaffenden Industrie nicht gestatte, die wesentlich größer sei, als unsere Kohlesituation sie auszunutzen gestatte.
Wenn wir deshalb die eisenschaffende Industrie aus diesem Antrag herausstreichen, so tun wir der eisenschaffenden Industrie nicht weh. Im übrigen ist es auch so, daß die Investitionen in einem privatwirtschaftlich organisierten Marktsystem Aufgabe der Privatwirtschaft sind. Erst wenn die Privatwirtschaft nicht in der Lage wäre, sich zu helfen, und die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten erkennen ließen, daß die privatwirtschaftliche Hilfe nicht ausreicht, könnte eine öffentliche Hilfe gerechtfertigt sein. Die eisenschaffende. Industrie wäre aber in der Lage, sich selbst zu helfen, weil der große Teil der eisenverarbeitenden Industrie im Besitz der eisenschaffenden Industrie ist. Die eisenschaffende Industrie wäre in der Lage, sich durch Abstoßung ihres rentablen Besitzes an der eisenverarbeitenden Industrie erhebliche Mittel zu verschaffen, ein Verfahren, das man der aufbringungspflichtigen Wirtschaft zumutet. Im Investitionshilfegesetz steht ausdrücklich drin, die Mittel der Investitionshilfe müssen notfalls durch Veräußerung beschafft werden. Dieses Verfahren, das man den aufbringungspflichtigen Betrieben zumutet, mutet man der eisenschaffenden Industrie nicht zu. Nach dem augenblicklichen Stand der Neuordnung der eisenschaffenden Industrie gehört zur eisenschaffenden Industrie eine große Reihe von verarbeitenden Werken, angefangen bei Brückenbaufirmen, Kettenfabriken, Stahlbaufirmen, Drahtindustriefirmen usw.
— Ich will Ihnen die Firmen, die zu der Neuordnung der eisenschaffenden Industrie gehören, gern mitteilen.
Ich möchte noch auf einen entscheidenden Gesichtspunkt hinweisen. Wenn Sie, wie der Herr Kollege Juncker soeben schon gesagt hat, einmal die Übererlöse, die die eisenschaffende Industrie zur Zeit erzielt, kennenlernen wollen, dann müssen Sie zu einem bestimmten Ober in einem bestimmten Hotel in Düsseldorf gehen. Ich habe hier einen Brief bekommen. Fragen Sie diesen Ober, ob er Bleche besorgen kann, dann wird er Ihnen einen Herrn oder eine Dame zuführen, mit der Sie alles Weitere abmachen können. Sie müssen jedoch noch während der Bürozeit mit dem Ober sprechen. Der Aufpreis beträgt etwa 250 bis 300 DM je Tonne, Lieferzeit kurzfristig, etwa drei bis vier Wochen. Weitere Angaben könnte ich noch machen.
Unter diesen Umständen ist es tatsächlich zur Zeit nicht richtig, der eisenschaffenden Industrie derartige Mittel zuzuführen.
Das Wort zu diesem Antrag hat der Abgeordnete Dr. Nölting.
Meine Damen und Herren! Der Abänderungsantrag der Fraktion des Zentrums auf Umdruck Nr. 353 ist für meine politischen Freunde und mich aus sehr naheliegenden und, wie mir scheint, schlüssigen ökonomischen Gründen nicht akzeptabel.
Die Volkswirtschaft hat nun einmal ein Proportionsgefüge, in das man nicht willkürlich eingreifen darf. Und, Herr Kollege Bertram, nur an den Kohlenengpaß zu denken, bedeutet eine sehr verhängnisvolle Einbahnstraße des Denkens. Stößt man nämlich nur im Kohlesektor vor und vernachlässigt man die Stahlerzeugung, so ergeben sich nur neue Inkongruenzen und neue Verzerrungen. Die eisenschaffende Industrie leidet ja nicht nur unter dem Kohlemangel, der uns im vergangenen Jahr auf 12,1 Millionen t zurückgeworfen hat, während wir sonst 13,5 Millionen t hätten produzieren können. Auch diese 13,5 Millionen t wären viel zu wenig. Wir brauchen erheblich mehr, sagen wir, 15 bis 16 Millionen t —
— aber Herr Dr. Wuermeling! —, sie sind nur durch entsprechende Investitionen sowohl bei den Walzwerken wie bei den Stahlwerken und bei den Hochöfen zu erreichen. Bei den Walzwerken liegt ein unmittelbarer Bedarf von 350 Millionen DM vor, bei den Stahlwerken von 30 Millionen DM und bei den Hochofenwerken von 10 Millionen DM. Sonstige Investitionen zur Sicherstellung der Energie-, Wasser- und Koksversorgung erfordern 80 Millionen DM. Wenn wir dann noch die Aufwendungen für notwendigste Modernisierungsarbeiten mit 500 Millionen DM in Rechnung stellen, kommen wir auf 1 Milliarde DM. Ich darf darauf verweisen, daß eine einzige moderne komplette
Breitbandstraße 80 Millionen DM kostet. Wir könnten in den beiden nächsten Jahren je 1 Milliarde DM gut gebrauchen und könnten sie auch materialmäßig verkraften. Dieses Ziel sollte nach meiner Ansicht ernsthaft und zielbewußt angesteuert werden. Freilich die „Einjährig-freiwillige" Milliarde reicht dazu nicht aus.
Der § 36 ist für uns eingeschmuggelte Konterbande. Aber es muß deshalb eben die Aufbringungssumme, das Investitionsvolumen erhöht werden. Dagegen kann man nicht an dem Investitionsbedarf willkürliche Abstriche vornehmen. Wir werden demzufolge den Abänderungsantrag des Zentrums ablehnen.
Weiter wird das Wort nicht gewünscht, auch nicht für wenige Minuten.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Zentrums Umdruck Nr. 353. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Um es vollständig zu machen: Enthaltungen? — Offenbar auch wenige. Damit ist dieser Antrag erledigt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 367 Ziffer 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei Umdruck Nr. 366 Ziffer 1, den Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens begründet hat. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich glaube, das Haus verzichtet auf die Gegenprobe; der Antrag ist abgelehnt.
Nachdem sämtliche Abänderungsanträge abgelehnt sind, komme ich zur Abstimmung über den § 1 in der Ausschußfassung.
Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, die Mehrheit ist vom Vorstand nicht eindeutig zu entscheiden. Ich bitte, im Wege des Hammelsprungs abzustimmen.
Ich wäre dankbar, wenn das Verlassen des Saales beschleunigt werden könnte.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, zum Schluß der Abstimmung zu kommen. — Ich bitte, die Abstimmung zu schließen. —
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für § 1 haben 134 Abgeordnete, dagegen 148 bei vier Enthaltungen gestimmt. § 1 ist also abgelehnt.
Ich rufe auf § 2. Wer wünscht, den Abänderungsantrag zu begründen? —
Herr Abgeordneter Mellies zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren! Wir stehen doch wohl alle unter dem Eindruck, daß
nach der Ablehnung des § 1 die Weiterberatung zunächst sinnlos geworden ist.
Es wird auch keinen Zweck mehr haben, jetzt die weiteren Paragraphen zu beraten, und ich glaube, Herr Präsident, das Haus wird sich darin einig sein, daß die Beratung dieses Gesetzes jetzt abgebrochen werden muß.
Meine Damen und Herren, es besteht kein geschäftsordnungsmäßiger Anlaß, ohne weiteres abzubrechen. Die Beratung kann nur abgebrochen werden, wenn sämtliche Bestimmungen in zweiter Lesung abgelehnt sind. Wenn der Antrag auf Absetzung des Punktes von der Tagesordnung gestellt wird — so verstehe ich Ihre Ausführungen —, muß ich darüber abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die für Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung sind, eine Hand zu erheben. — Meine Damen und Herren, ich brauche keine Gegenprobe zu machen. Es ist die Mehrheit des Hauses. Der Punkt der Tagesordnung ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Gebühren durch die Außenhandelsstelle des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ;
Meine Damen und Herren, wir müssen in unserer Arbeit fortfahren; ich bitte Sie, das durch freundliche Unterstützung möglich zu machen.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kriedemann. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen vorschlagen, daß die wichtigen und dringenden Gespräche nach Möglichkeit draußen abgehalten werden!
Meine Damen und Herren, überraschende Ereignisse kommen in allen Teilen dieses Hauses vor. Darüber brauchen wir uns nicht besonders zu erregen. Ich bitte Herrn Abgeordneten Kriedemann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird einigermaßen schwierig sein, jetzt Ihre Aufmerksamkeit für eine Angelegenheit zu erwecken, die lange im Ausschuß gelegen hat, wodurch unter Beweis gestellt ist, daß sie doch eine gewisse Bedeutung für sich in Anspruch nehmen kann, zumal sie für wesentliche Kreise unserer Wirtschaft auch von materieller Bedeutung ist.
Darüber hinaus handelt es sich auch bei diesem
Punkt um eine Frage von prinzipieller Bedeutung.
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung von. Gebühren durch die Außenhandelsstelle vorgelegt; Sie finden ihn in Drucksache Nr. 2448. Auf Drucksache Nr. 2798 legen Ihnen der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und in Übereinstimmung mit dessen Beschlüssen der Ausschuß für Außenhandelsfragen die Vorschläge der beiden Auschüsse vor.
Soweit es sich um die §§ 1, 2 und 3 handelt, ist die Angelegenheit offenbar ohne Problem. Es ist eine alte Übung, daß solche Ämter für die Leistungen, die sie dem Publikum anbieten, Gebühren erheben, und nicht mehr und nicht weniger wird in den ersten Paragraphen des Gesetzes gesagt. Die vom Ausschuß vorgenommene Abänderung in § 2 ist unerheblich. Im zweiten Absatz ist aus dem Wort „Einfuhrerlaubnis" das Wort „Erlaubnis" gemacht worden. Es handelt sich da um nichts anderes, als daß eben solche Gebühren nicht nur für Einfuhrerlaubnisse, sondern für alle Handlungen der Einfuhr- und Vorratsstellen, also z. B. auch für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen, erhoben werden können.
Mit dem § 4 der ursprünglichen Vorlage fängt nun das Problem an. In der Regierungsvorlage soll mit diesem § 4 gesagt werden, daß diese Gebührenordnung rückwirkend in Kraft gesetzt werden soll, und zwar vom 1. Oktober 1949 an. Sofort nach Bekanntwerden der Regierungsvorlage hat sich in den an der Frage interessierten Wirtschaftskreisen eine sehr lebhafte Debatte entsponnen. Dieser Paragraph sollte uns auch in einer verhältnismäßig aufgeregten Situation einige Aufmerksamkeit abnötigen; denn ich fürchte sehr, daß wir uns draußen mit der Frage noch länger werden auseinandersetzen müssen. Für jeden ist es wahrscheinlich auffallend, wenn hier mit einem Gesetz eine Gebührenordnung rückwirkend für einen so langen Zeitraum in Kraft gesetzt werden soll. Ich glaube, es ist Aufgabe der Berichterstattung, Sie mit den Ursachen für diese Auffälligkeit vertraut zu machen.
Zunächst muß festgestellt werden, daß die von der Außenhandelsstelle seit geraumer Zeit erhobenen Gebühren keine Rechtsgrundlage haben; eine Gebührenordnung besteht tatsächlich nicht. Dieser Umstand wird erhärtet durch mehrere gerichtliche Entscheidungen zugunsten solcher Klienten der Außenhandelsstelle, die die Erlegung der von ihnen geforderten Gebühren verweigert haben. Durch diese Urteile ist zutage getreten, daß die Auffassung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, nach der die Erhebung von Gebühren — zum mindesten die Erhebung dieser Gebühren — ohne eine spezielle Gebührenordnung rechtswirksam sein sollte, zweifellos nicht zutrifft.
Mit der Vorlage der Regierung sollte nun in Form eines rückwirkenden Gesetzes Klarheit geschaffen werden oder, um einen Ausdruck aus der Begründung zu gebrauchen, sollte die zweifelhaft gewordene Rechtslage geklärt werden.
Um der Ordnung dieses Hauses willen darf ich bitten, daß sich die Damen und Herren, die nicht glauben zuhören zu müssen, draußen unterhalten.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß gleich nach Bekanntwerden der Vorlage sehr erhebliche Proteste laut
geworden sind. In diesen Protesten hat es an Ausdrücken wie „rechtsstaatliche Grundsätze" und „Vertrauen des Staatsbürgers in die Gesetzgebung" usw. usw. nicht gefehlt. Es kann auch kaum bestritten werden, daß der Umstand, um den es sich hier handelt, auffällig ist. Die Regierung hat in ihrer Vorlage den Versuch, dieser Gebührenordnung rückwirkende Kraft zu verleihen, sozusagen mit höherer Gewalt begründet. Die andere Seite, die Wirtschaftskreise, die sich durch diesen Versuch beschwert fühlten, haben sehr viel weniger vornehme Begründungen bei der Hand gehabt; es ist das mehr mit „Schlamperei" und ähnlichen Bemerkungen abgetan worden, zum mindesten mit einer sehr unfreundlichen Kritik.
Das hat den Ausschuß veranlaßt, besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Regierungsvorlage zugestimmt werden oder ob sie in der von der Regierung vorgelegten Form dem Hause zur Annahme empfohlen werden könne. Zu Anfang der Untersuchungen war unsere Meinung, es werde sich herausstellen, daß sich vielleicht aus der totalen Niederlage oder der Tatsache, daß wir in sehr vielen Dingen in unserem Staatswesen nicht frei sind, eine Erklärung anbieten werde, mit der man ausreichend hätte begründen können, daß die Regierung nicht in der Lage war, eine solche Gebührenordnung früher zu erlassen. Wäre das der Fall gewesen, dann hätte sich der Ausschuß zweifellos auch nicht gescheut, Ihnen — den besonderen Umständen unserer Situation Rechnung tragend — auch einmal ein Gesetz vorzuschlagen, das rückwirkende Kraft hat.
Nach genauer Prüfung kann aber tatsächlich nicht in vollem Umfang der Begründung beigetreten werden, die die Regierung ihrem Entwurf mit auf den Weg gegeben hat. Zweifellos hat am Anfang der Tätigkeit der Außenhandelsstelle ein Zustand bestanden, der es den damals verantwortlichen Stellen nicht möglich gemacht hat, eine Gebührenordnung zu erlassen; aber von einem gewissen Zeitpunkt ab hat diese Möglichkeit zweifellos bestanden. Wir müssen uns in diesem Hause daran erinnern, daß zum Beispiel bei der Vorlage des Berichtes jenes Untersuchungsausschusses, der seinerzeit auf Antrag der Bayernpartei über die Einfuhrverfahren und über das Verfahren der Außenhandelsstelle überhaupt hier erstattet worden ist, schon auf den Umstand hingewiesen wurde, daß eine solche Gebührenordnung nicht vorlag. Bei der Verhandlung ist damals von der Regierung zugesagt worden, sie zu erlassen. Das ist indessen erst in dem Augenblick geschehen, in dem uns die Vorlage zugegangen ist.
Nachdem feststand, daß mit der Begründung nicht all die sehr gewichtigen Einwände und Beschwerden abgetan werden könnten, haben wir uns nicht entschließen können, den § 4 im Gesetzentwurf stehen zu lassen; denn wir wollten das Parlament unter gar keinen Umständen dem Verdacht aussetzen, daß es in jedem Augenblick auf Wunsch bereit sei, ein Gesetz nachzuliefern, wenn versäumt worden ist, ein Gesetz rechtzeitig zu erlassen.
Das Resultat dieser Überlegungen war zunächst einmal die Streichung des § 4 in der Fassung der Vorlage; das ist also die Ablehnung der rückwirkenden Kraft des Gesetzes. Wir konnten uns allerdings mit dieser Streichung alleine nicht begnügen. Das hätte nämlich bedeutet, daß alle diejenigen, die ihre Gebühren bezahlt haben und damit der Übung entsprochen haben, die solchen Ämtern und solchen Amtshandlungen gegenüber nun einmal von alters her am Platze ist, damit das
Recht erhalten hätten, die Gebühren zurückzufordern. Das hätte für die Bundeskasse eine sehr erhebliche Belastung bedeutet.
Aber nicht nur damit mußten wir uns auseinandersetzen, sondern auch mit dem Umstand, daß diese Rückzahlung einen zusätzlichen Gewinn für einige wenige Teilnehmer an der Wirtschaft bedeutet hätte; denn die Gebühren — soweit sie bezahlt sind, und der überaus große Teil der von der Außenhandelsstelle geforderten Gebühren ist bezahlt worden — sind natürlich von den Importeuren, bei denen sie zunächst erhoben wurden, im Preis an die nächste Stufe weitergegeben worden. Zu einem Teil sind die Gebühren in den Betrag eingegangen, der der Subventionierung zugrunde gelegt wurde, soweit es sich um Nahrungsmittel gehandelt hat — wie z. B. Getreide —, die subventioniert werden, um den höheren Auslandspreis auf einen niedrigeren Inlandspreis herunterzubringen. In anderen Fällen sind sie bei der Einfuhrpreisbildung auch mit einkalkuliert und deshalb immer weitergegeben worden. Hätte man also nun die Importeure einfach nur in die Lage versetzt, die Gebühren aus dem Grunde zurückzufordern, weil eine Gebührenordnung eben nicht bestand, dann wären die Leute nicht in der Lage gewesen, die weitergegebenen Gebühren nun ihren Kunden zu erstatten; sie hätten sie wohl oder übel behalten müssen, und die Erfassung durch die Steuer wäre nur zu einem geringen Teil möglich gewesen.
Wir haben auf der anderen Seite nicht geglaubt, daß es die Aufgabe des Gesetzgebers sei, zuzulassen, daß auf diese Weise eine zweifellos vorhandene Lücke dazu benutzt wird, eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, Ihnen den § 3 a in der Form der Beschlüsse des 19. Ausschusses zur Annahme vorzuschlagen. Zweifellos ist es auch so noch keine sehr elegante Lösung; aber es wird so der Tatsache Rechnung getragen, daß eben heute etwas getan werden muß, was leider zu seiner rechten Zeit nicht getan werden konnte und zu einer besseren Zeit als der gegenwärtigen leider nicht getan worden ist. Ich sage noch einmal: Auch für uns, die wir Ihnen diesen Vorschlag machen, ist die Lösung nicht befriedigend. Sie scheint uns aber notwendig zu sein, damit größeres Unheil verhütet wird und man einem ausgesprochenen Unrecht zuvorkommen kann.
Wir haben dabei sehr wohl die Argumente ernsthaft gewürdigt, die aus Prinzip gegen ein Gesetz mit rückwirkender Kraft vorgebracht worden sind. Wir haben uns aber auch andererseits der Erkenntnis nicht verschließen können, daß sehr viele mit dem Hinweis auf so hehre Grundsätze wie die der rechtsstaatlichen Ordnung und der Beschwerde gegen ein rückwirkendes Gesetz doch etwas für sich verteidigen wollen, was sie auf eine andere, offenere Weise nicht für sich zu reklamieren wagen würden.
Ich glaube, daß es in diesem Fall notwendig war, in der Berichterstattung etwas eingehender auf die Problematik der Dinge einzugehen, denn ich fürchte, wir haben mit einer Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit seitens der beteiligten Kreise zu rechnen, und es scheint mir notwendig zu sein, daß alle an der Abstimmung Beteiligten darüber genau im Bilde sind. Ich glaube außerdem, daß es Pflicht des Ausschusses und die Pflicht seines Berichterstatters ist, auch in aller Offenheit darauf hinzuweisen, daß es sich eben um den Versuch handelt, eine Lücke zu schließen, ein Versäumnis
auszugleichen, das aus der Welt zu reden unsere Aufgabe nicht ist.
Namens des Ernährungsausschusses und des mit der Sache vom Hause ebenfalls beauftragten Ausschusses für Außenhandelsfragen habe ich Ihnen die Annahme der Vorlage vorzuschlagen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf § 1, — 2 und 3. — Keine Wortmeldungen zu diesen Paragraphen? —
Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Paragraphen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Sie sind angenommen.
Zu § 3 a wird der Antrag der Fraktion des Zentrums Umdruck Nr. 363, in dem irrtümlicherweise § 4 gesagt worden war, zurückgezogen.
— Ich habe es so richtig verstanden. — Zu § 3 a liegt ein Antrag des Abgeordneten Spies vor. Wollen Sie ihn begründen, Herr Abgeordneter?
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Zu Nr. 2798 der Drucksachen habe ich folgenden Änderungsantrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
in § 3 a sind in Zeile 4 die Worte: „wenn der Rückforderer nachweist" bis zum Schluß dieses Paragraphen zu streichen und dafür zu setzen: „und dem Reingewinn der nachgewiesenen Jahresschlußbilanz des Rückforderers zuzusetzen. Die durch die Rückzahlung der Gebühren fällig werdende Einkommensteuer ist bei der Rückzahlung abzuziehen".
Meine Damen und Herren, wir können den § 3 a in der vorliegenden Fassung so oder anders auslegen. Er ist und bleibt ein Gesetz mit rückwirkender Maßnahme. Vor rückwirkenden Maßnahmen sollen wir uns aber hüten. Ich erinnere nur an das unselige Entnazifizierungsgesetz, unter dem heute noch, wir dürfen sagen, Tausende von Staatsbürgern leiden, weil sie immer noch die Angaben machen müssen und dadurch keine Anstellung bekommen können. Ich will nicht untersuchen, ob von der Verwaltung oder den gesetzgebenden Körperschaften eine Unterlassungssünde begangen worden ist; aber sie ist begangen worden, und daß wir hier für diese Unterlassungssünde andere, ich möchte sagen, für die Sünden der Väter die Kinder - wenn auch die großen Kinder — büßen lassen,
— ich glaube, da können wir nicht zustimmen.
— Hier das Parlament! Das muß j a das naturgegebene Rechtsempfinden des Volkes kennen, das wir durch Gesetze nicht erschüttern wollen, und daher bitte ich Sie, dem Antrag, den ich gestellt habe, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
In so vorgerückter Stunde scheint es manchmal zweckmäßiger zu sein, auf solche Anträge und ihre Begründung im einzelnen nicht einzugehen. Ich habe aber immer die Sorge, daß gerade von solchen Reden etwas hängenbleibt, obwohl es nach meiner Kenntnis der Sachlage der zu dieser Frage geleisteten Arbeit wahrlich nicht gerecht wird. Wir haben den Vorschlag der Regierung, das Gesetz so zu gestalten, daß die Gebührenordnung rückwirkend in Kraft gesetzt wird, abgelehnt, und ich glaube, daß aus der Berichterstattung hervorgegangen ist, mit welchen Gründen das geschehen ist. Es muß also nicht erst der Herr Abgeordnete Spies mit einem Antrag kommen, um uns davor zu bewahren, ein Gesetz mit rückwirkender Kraft zu schaffen.
Wir haben uns aber außerdem mit dem anderen Tatbestand auseinanderzusetzen gehabt, daß nämlich die großen Kinder, wie Sie freundlicherweise gewisse Leute angeredet haben — sicherlich nicht uns —, nicht für die Sünden der Väter, mit denen Sie offenbar die Regierung und ihre Versäumnisse gemeint haben, büßen wollten, sondern daß sie von den Fehlern profitieren wollten, und wir haben es nicht für unsere Aufgabe gehalten, das unter der Überschrift „rechtsstaatliche Grundsätze" zu sanktionieren. Wir haben vielmehr nach einer Möglichkeit gesucht, wie einer solchen nicht zu vertretenden Bereicherung, wie einem solchen, ich muß schon sagen, Mißbrauch eines Umstandes, der von zwei Seiten gesehen werden muß und den ich hier gar nicht zu entschuldigen oder zu beschönigen habe, vorgebeugt werden kann, und haben deshalb diese Fassung des § 3 a gewählt. Ich bitte Sie, nicht dem Antrag des Herrn Abgeordneten Spies, sondern der Vorlage zuzustimmen, die der Ernährungsausschuß vorgelegt hat.
Der Abgeordnete Dannemann wünscht das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann der Auffassung sein, daß Gesetze mit rückwirkender Kraft grundsätzlich nicht erlassen werden sollten. Das trifft zweifellos auch für die Gebührenordnung zu. Diesen Standpunkt haben auch wir im Ernährungsausschuß, wie der Herr Berichterstatter Kriedemann sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat, fast einstimmig angenommen, und wir haben uns dagegen verwahrt, daß das Gesetz mit rückwirkender Kraft von 1949 Geltung haben sollte. Aber wie liegen die Verhältnisse hier? Auf Anordnung der Militärregierungen vom 20. Mai 1947 wurden seinerzeit mehrere Außenhandelsstellen errichtet, die ermächtigt wurden, für ihre Tätigkeit bestimmte Gebühren zu erheben. Später sind die verschiedenen Außenhandelsstellen zu einer Außenhandelsstelle vereinigt worden, ohne daß nochmals eine besondere Gebührenordnung erlassen worden ist. Tatsächlich sind auch, ohne daß eine besondere Gebührenordnung vorgelegen hat, von etwa 98 % aller Firmen die bisherigen Gebühren freiwillig weiter entrichtet worden,
während nur 2 % glaubten, sich aus formaljuristischen Bedenken heraus dagegen wehren zu müssen.
Dabei steht noch keineswegs fest, ob sie bei Verwertung der eingeführten Waren den Gebührenbetrag nicht noch abgewälzt haben. Wo ein Rückforderer nachweist, daß das nicht geschehen ist, steht ihm ja nach § 3 a der jetzigen Fassung das Recht zu, die Gebühr zurückzuverlangen. Andernfalls ist doch wahrhaftig nicht. einzusehen, daß derjenige, der geschäftlich entsprechenden Nutzen gezogen hat, dafür nicht in Anspruch genommen werden soll.
Ich bitte daher, dem Vorschlag des Herrn Berichterstatters zu folgen, und möchte Sie auch von mir aus bitten, den Antrag des Herrn Kollegen Spies abzulehnen.
Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde den Antrag meines Fraktionskollegen recht merkwürdig. Man kann § 3 a ablehnen oder annehmen; dazu braucht's gar keines besonderen Antrags. Im übrigen stehe ich auf dem Standpunkt meines Herrn Vorredners, daß § 3 a mit Recht eine Schutzbestimmung für die anständigen Leute ist, die der Meinung waren, daß die Gebühren noch zu zahlen waren. Der Staat hat gar keine Veranlassung, die Gebühren zurückzuzahlen und sie denen, die die Gebühren in ihrer Bilanz nicht zurückgestellt haben, gewissermaßen nachträglich noch zu schenken. Ich bitte dringend, diesem § 3 a, der eine Trennung zwischen anständigen und unanständigen Leuten herstellt, die Zustimmung zu erteilen.
Meine Damen und Herren, bei dieser Geschlossenheit erübrigen sich wohl weitere Wortmeldungen. — Ich stelle das fest.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Spies. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —
Ich habe den Eindruck, daß er einstimmig abgelehnt worden ist,
mit Ausnahme des Herrn Antragstellers natürlich, und darf die Annahme des § 3 a in der Ausschußfassung feststellen.
Ich rufe auf § 4, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wünscht jemand zur allgemeinen Besprechung das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Besprechung.
Zur Einzelbesprechung rufe ich auf §§ 1, — 2,
3, — 3 a, — 4, — Einleitung und Überschrift. — ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; die Paragraphen sind angenommen.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Erhebung von Gebühren durch die Außenhandelsstelle des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Land-
wirtschaft ; Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) (Nr. 2799 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Dr. Müller . Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
— Es ist ein schriftlicher Bericht erstattet worden. Wollen Sie ihn noch mündlich erläutern, Herr Abgeordneter?
Ich hatte nicht die Absicht, Herr Präsident, aber Sie haben mich aufgerufen. Ich wollte das Haus bitten — ich nehme an, daß jedes Mitglied des Hauses den schriftlichen Bericht zur Kenntnis genommen hat —, sogleich die Abstimmung vorzunehmen.
Da der Ältestenrat Ihnen vorschlägt, auf eine Aussprache zu verzichten, können wir so verfahren.
Ich rufe auf §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-
7, — 8, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
— Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den eben aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift auch in der dritten Beratung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ohne Enthaltungen angenommen.
Ich komme zum Punkt 10 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über gesetzliche Handelsklassen für Erzeugnisse der Landwirtschaft und Fischerei ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) (Nr. 2821 der Drucksachen). (Erste Beratung: 147. Sitzung.)
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr.
Schmidt . Es liegt uns kein schriftlicher Bericht vor. — Bitte, Herr Abgeordneter Dr.
Schmidt.
Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf über gesetzliche Handelsklassen für Erzeugnisse der Landwirtschaft und Fischerei war dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß überwiesen worden. Ich kann mich in der Berichterstattung sehr kurz fassen und beziehe mich dabei insbesondere auf die Begründung des Gesetzentwurfs in der Drucksache Nr. 2287. Es sind keine wesentlichen Änderungen zu verzeichnen, da der
Ausschuß in seiner Gesamtheit mit den Tendenzen des Gesetzentwurfs einverstanden war.
In den §§ 1, 2, 6 und 10 sind keine oder nur ganz formelle Änderungen zu verzeichnen. In § 3 ist vom Ausschuß eine Erweiterung hinzugefügt worden: Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung bestimmen, daß für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse von den Haftungsvorschriften abgewichen werden kann. Das bezieht sich insbesondere auf die Kartoffeln. Es hat hierbei eine lebhafte Auseinandersetzung gegeben, wobei die Minderheit mit dem Argument auftrat, daß man eine Auflockerung des Qualitätsbegriffes vermeiden sollte. In § 4 sind die Änderungen des Bundesrats angenommen. Ich beziehe mich auch dabei auf die Begründung in der Drucksache Nr. 2287. § 5 ist nur formell geändert worden. § 7 ist in der Fassung des Bundesrats angenommen worden. § 8 entfällt, weil alle in diesem Paragraphen enthaltenen Bestimmungen bereits außer Kraft sind. Der Paragraph ist daher überflüssig. § 9 erhält ebenfalls nur eine formelle Änderung. Der § 9 a ist neu eingefügt; er enthält die BerlinKlausel.
Zusammenfassend darf ich sagen, daß es ein sehr wesentliches Gesetz ist, daß es ein Meilenstein in den Bemühungen um die Verbesserung unserer landwirtschaftlichen Produktion sein kann. Es kann ebenso ein echter Beitrag sein, um unsere Konkurrenzfähigkeit gegenüber der ausländischen Landwirtschaft zu heben. Namens beider Ausschösse darf ich Sie um die Annahme der Vorlage bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf die §§ 1 bis 7, — 9, — 9 a, — 10, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe ist nicht erforderlich; angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
— Keine Wortmeldungen zur allgemeinen Besprechung. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über gesetzliche Handelsklassen für Erzeugnisse der Landwirtschaft und Fischerei. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei fünf Enthaltungen angenommen.
Ich komme zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Heinrich Keseberg, Leiter der Landesgruppe SRP Nordrhein-Westfalen, wegen Beleidigung des Bundestages gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 27. August 1951 (Nr. 2781 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Mende. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität lag ein Schreiben des Bundesjustizministers vom 11. August 1951 vor mit der Bitte, eine Entschließung des Bundestags darüber herbeizuführen, ob der Bundestag die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 197 StGB gegen den Leiter der SRP-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen erteilt.
Der Landesgruppenleiter der SRP Heinrich Keseberg aus Wuppertal-Elberfeld hat in einer Rede vor etwa 120 bis 140 Menschen in Langenfeld/ Rheinland-Pfalz am 6. April 1951 schwere Beleidigungen gegen das Parlament als Institution und gegen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgestoßen, insbesondere gegen den Herrn Bundeskanzler und gegen den Herrn Führer der Opposition. Der Bundestag ist dadurch beleidigt worden, daß Herr Keseberg ihn als eine kommunistische Tarnorganisation bezeichnet hat.
Herr Keseberg behauptet, daß der Bundestag in seiner überwiegenden Mehrheit die Interessen der kommunistischen Weltanschauung zumindest teilweise vertrete. Der Oberstaatsanwalt sieht in dieser Äußerung eine öffentliche Verleumdung einer politischen Körperschaft im Sinne der §§ 187, 197 und 200 StGB.
Zu der Person des Herrn Keseberg dürfte vielleicht noch interessieren: Herr Keseberg ist in der Zeit zwischen 1936 und 1949 zehnmal vorbestraft:
wegen Betrugs, fortgesetzten Betrugs, schwerer Urkundenfälschung und Untreue, Betrugs im Rückfalle und fortgesetzter Beiseiteschaffung lebenswichtiger Erzeugnisse. Seine letzte Strafe datiert vom 7. 3. 1949. Der Bundestag hat durch sein Amnestiegesetz Herrn Keseberg in die Rechtswohltat einer Bewährungsfrist kommen lassen, die bis zum 15. 9. 1952 laufen würde.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Bemerkung zur Person auch deswegen gemacht werden muß, weil das Haus ein Anrecht darauf hat, zu erfahren, wer es beleidigt hat und wer die SRP in Nordrhein-Westfalen repräsentiert.
Im übrigen darf ich an die 160. Sitzung des Bundestages erinnern. Wir haben damals beschlossen, Beleidigungen des Parlaments als Institution grundsätzlich gemäß § 197 mit der Freigabe der Strafverfolgung zu behandeln. Wir haben damals bedauert, daß wir nicht die Möglichkeit haben, die das englische Parlament hat, den Beleidiger vor die Schranken des Parlamentes zu zitieren und ihn sogar in eigener Gerichtsbarkeit zu bestrafen. Wir haben damals aber auch festgestellt, daß in der Beleidigung des Parlaments letzten Endes das deutsche Volk selbst beleidigt wird, dessen Repräsentant ja das Parlament ist.
Ich bitte Sie, sich dem einstimmig gefaßten Beschluß des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität anzuschließen und die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Herrn Keseberg zu erteilen.
Wünscht jemand das Wort?
— Das ist nicht der Fall.
— Meine Damen und Herren, nun abends um 23 Uhr 15 noch Angriffe gegen die Anwälte, — das geht ja doch zu weit!
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage des Ausschusses auf Drucksache Nr. 2781 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag angenommen.
—Ich rufe auf den Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Reismann gemäß Schreiben des Notars Dr. jur. Mandelarzt, Becker, Sterkrade, vom 3. Juli 1951 (Nr. 2472 [neu] der Drucksachen).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Sassnick. Darf ich ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität habe ich Ihnen folgendes vorzutragen.
Die Rechtsanwälte Dr. Mandelarzt und Becker in Sterkrade haben über den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Reismann beantragt, um in Vollmacht des Bundesfinanzministers Schäffer Privatklage gegen Dr. Reismann zu ermöglichen, weil dieser in einer Kundgebung der Fliegergeschädigten am 16. Juni 1951 den Bundesfinanzminister öffentlich beleidigt haben soll.
Es wird angeführt, Dr. Reismann habe dort behauptet:
Minister Schäffer ist der Mann, der über Millionen-Fonds verfügte, mit deren Hilfe er Teile der Bayernpartei von der Bayernpartei abgebröckelt
und zu sich herübergezogen hat.
Zweitens: Das ist der Mann, der MillionenFonds der Industrie für seine eigene und andere Parteien zur Verfügung hat.
Das sind die beiden inkriminierenden Stellen der Rede des Herrn Dr. Reismann.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich eingehend mit der Sache befaßt. Die Angelegenheit hat schon einmal dem Hause vorgelegen; sie ist aber dann auf Antrag des Herrn Abgeordneten Gengler von der Tagesordnung wieder abgesetzt worden, um dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität erneut die Möglichkeit einer Nachprüfung zu geben.
Der Beschuldigte selbst hat in einem Schreiben, das er an den Vorsitzenden des Ausschusses für Geschäftordnung und Immunität gerichtet hat, geltend gemacht:
Ich überreiche Ihnen hierneben als dem Vorsitzenden des Immunitätsausschusses vier Erklärungen von Versammlungsteilnehmern — ich bemerke nebenbei, daß diese Erklärungen eidesstattlichen Charakter tragen — über den Inhalt meiner in Betracht kommenden Rede. Ich bitte daraus zu entnehmen, daß ich in wahrheitsgetreuer Berichterstattung über die öffentliche Sitzung des Bundestags gehandelt habe . Ich habe meine eigene Rede zitiert, die ich in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestags gehalten habe. Daß der Bericht wahrheitsgetreu war, ergibt sich aus einem Vergleich dessen, was die Anlagen belegen, mit dem amtlichen Protokoll über die 148. Sitzung Seite 5905 usw. Was ich dabei über die Empfehlung gesagt habe, die Minister Schäffer ausgesprochen hat, bezüglich der Verwendung der von der Wirtschaft zur Verfügung gestellten Fonds, entspricht der eidlichen Aussage des Herrn Ministers Schäffer selbst. Das Wort von den „goldenen Ketten" bedeutet und sollte auch nichts anderes sein als die wertungsfreie Schilderung von Tatsachen, nämlich der Tatsachen, daß die Unterstützung auch eine Belastung bedeutet, ob die Koalition das nun will oder nicht.
Auf Grund der beigefügten eidesstattlichen Bekundungen über den Inhalt der Rede Reismanns stellte sich eine Mehrheit des Ausschusses — und zwar war das Stimmenverhältnis 10 zu 5 — auf den Standpunkt, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Immunität nicht aufzuheben, zumal es sich um eine politische Angelegenheit handelt und den Abgeordneten grundsätzlich das Recht zugestanden werden muß, aus ihren Reden im Parlament wahrheitsgetreu in Versammlungen vorzutragen.
Ich bitte, dem Antrag des 3. Ausschusses zuzustimmen und die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Reismann zu versagen.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auch in diesem Falle auf eine Aussprache zu verzichten.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 2472 , der eben von dem Herrn Berichterstatter vorgetragen worden ist, dem ich für seine Berichterstattung danke. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, ich bin nicht in der Lage, eindeutig zu klären, welches die Mehrheit ist. Ich muß bitten, diese Frage durch Hammelsprung zu entscheiden. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, muß durch die Ja-Tür gehen, wer dagegen ist, durch die Nein-Tür.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten — da wir alle ein Interesse an der baldigen Erledigung unserer Sitzung haben —, den Saal möglichst schnell zu verlassen. — Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, die Abstimmung zu schließen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis
der Abstimmung bekannt. Für den Antrag des
Ausschusses haben gestimmt 129 Abgeordnete, — —
— Meine Damen und Herren, ich habe die Stimmenzahl bekanntzugeben und nicht, wer dafür oder dagegen gestimmt hat.
Also 129 dafür, 97 dagegen, 6 Enthaltungen.
Damit ist der Antrag des Ausschusses angenommen. Ich rufe Punkt 13 auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich bitte die Damen und Herren, die der Überweisung zustimmen, eine Hand zu erheben. — Das ist offenbar die Mehrheit.
Ich komme zu Punkt 14:
Beratung der Übersicht Nr. 42 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen .
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen der Ausschüsse über Petitionen nach der Übersicht Nr. 42 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags, die 177., auf morgen,
den 23. November 1951, 9 Uhr 30, und schließe die 176. Sitzung des Deutschen Bundestags.