Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Darf ich zunächst bitten, die vier Interpellationen der Fraktion der SPD zu begründen. Wer wird das tun? — Ich bitte Herrn Abgeordneten Dr. Mommer!
Dr. Mommer , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eben versucht, europäische Verfassungen zu machen, und jetzt wollen wir einmal versuchen, kleine europäische Nägel, aber dafür mit Köpfen zu machen.
In der. 119. Sitzung des Bundestages hat die SPD den Antrag eingereicht, daß sich die Bundesregierung an die europäischen Staaten mit dem Angebot wendet, den Visumzwang im gegenseitigen Reiseverkehr aufzuheben. Der Visumzwang soll möglichst für alle beseitigt werden. Wenn es sich in einzelnen Fällen als schwierig erweisen sollte, dieses Gesamtziel zu erreichen, dann sollte im Interesse der deutschen Jugend, die dies gebieterisch verlangt, versucht werden, zu bewirken, daß wenigstens für Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren der Visumzwang aufgehoben wird.
Diese Forderung meiner Fraktion ist inzwischen Allgemeingut in Deutschland geworden und sie bleibt .auf der Tagesordnung der Politik. Vorher ist sie nur nicht so konkretisiert worden, wie wir es getan haben.
— Herr Kollege, es ist immer die Frage, wie man es anfaßt. Das gilt für all diese europäischen Dinge. Durch unseren Antrag ist dieser Gedanke in die richtige Bahn gekommen, und es besteht nunmehr die Möglichkeit — und die nutzen wir aus —, die Sache von allen Seiten anzufassen.
Wenn ich mit Kollegen im Europarat spreche, dann benutze ich jede Gelegenheit, um sie zu fragen: „Wir reden so viel über Europa! Wie steht es nun mit so kleinen Dingen wie mit diesem Angebot der Deutschen Bundesregierung?" Nur mit dieser Methode können wir weiterkommen.
Die Interpellation, die meine Fraktion heute einbringt, hat zum Zweck, diese Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen und dem deutschen Volke mitzuteilen, was man insbesondere in den europabegeisterten Ländern über dieses bescheidene Angebot gesagt hat. Wir wollen wissen, ob der Beschluß des Bundestages ausgeführt worden ist. Wir wollen wissen, welche Staaten und wie sie geantwortet haben. Wir möchten insbesondere wissen, wie man in Paris reagiert hat. In Paris ist man sehr europabegeistert — angeblich — und entwickelt eine sehr große Aktivität. Man ist dort bemüht, auch deutschen jungen Mensch en wieder eine europäische Uniform anzuziehen. Es interessiert uns, was die französische Republik zu unserer Forderung nach Aufhebung des Visumzwangs zwischen den beiden Ländern im allgemeinen und für Jugendliche im besonderen gesagt hat. Wir wollen weiter wissen, welche Schritte die Bundesregierung auf den anderen möglichen Aktionsfeldern bei der OEEC und im Ministerrat des Europarats getan hat. Wir verfolgen mit dieser Interpellation den Zweck, diese Fragen immer wieder aufzurühren und die anderen zu zwingen, zu ihren Worten zu stehen. Paul Henry Spaak, der Präsident der Europäischen Beratenden Versammlung, hat kürzlich einmal gesagt, man müsse in der Politik den Mut zu den Konsequenzen von dem haben, was man will. Wenn man Europa angeblich will, dann muß man auch so kleine Konsequenzen wollen wie die, die hier gefordert werden.
Ich darf dann weiter zu der Drucksache Nr. 2648 Stellung nehmen und die Interpellation begründen.
Die Visen sind eine Schikane, die sich einige europäische Völker noch gegenseitig auferlegen. Die Einreise- und Ausreisekartei ist eine Besatzungsschikane; sie ist uns Deutschen einseitig auferlegt und besteht darin, daß in ziemlich diskreter Weise bei jedem Grenzübertritt, gleichviel welcher Staatsangehörigkeit der Reisende ist, eine kleine Karte mit den Personalien des Reisenden ausgefüllt wird. Diese Karteikarte wandert dann in eine Zentralkartei des Combined Travel Board in Salzuflen. Von dort aus werden dann alleStaatsbürger in ihren Bewegungen über die Grenze hinweg überwacht. Natürlich nur die harmlosen Staatsbürger; denn die Harmlosen gehen auf diese Art über die Grenze. Wenn jemand etwa ein Agent einer fremden Macht ist, dann hat er es nicht nötig, sich dieser Kontrolle zu unterwerfen. Er verfügt über falsche Pässe, die echter aussehen als die echten; somit entgeht er dieser Polizeikontrolle. Wie ich gehört habe, wird sie nicht immer sehr streng gehandhabt. Bei einer Kontrolle an der Schweizer Grenze stellte sich heraus, daß auf der deutschen Seite — ich glaube - ein Fünftel weniger registiert waren als auf der Schweizer Seite einmal probehalber registriert worden waren. Unsere deutschen Beamten scheinen sehr viel gesunden Menschenverstand mitzubringen und, wenn sie wichtigere andere Arbeit haben, die Karteikarten etwas zu vernachlässigen. Für die Millionen-Kartei, die in Salzuflen geführt wird, ist natürlich sehr viel Personal notwendig; es soll in die Hunderte gehen. Wir werden in Beantwortung unserer Frage vom Herrn Innenminister hoffentlich Genaueres darüber hören. Auch hört man, daß wegen dieser unwirksamen und kleinlichen Polizeischikanen, die uns Deutschen allein reserviert sind, ein Fünftel mehr Kontrollbeamte an den Grenzübergangsstellen stehen, als früher dort gestanden haben.
Ich darf zur nächsten Interpellation kommen, das ist die Drucksache Nr. 2647, die Visum-Frage für Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Es geht um folgenden Sachverhalt.
Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika reisen in alle westeuropäischen Länder ein, ohne ein Einreisevisum zu haben, und zwar ist das der einzige Fall; in dem diese Länder, wegen der sehr begehrten Dollars natürlich, den Visumzwang einseitig aufgehoben haben. Zur Einreise nach Deutschland brauchen die amerikanischen Staatsbürger ein Visum. Als ich kürzlich einmal in einer Unterredung mit dem Herrn Innenminister darauf zu sprechen kam, war er der Meinung, daß man natürlich im Interesse unserer Devisenbilanz in Deutschland nicht anders verfahren könne als in den anderen westeuropäischen Staaten, also auch wir den Visumzwang für die amerikanischen Staatsbürger abschaffen sollten, und zwar in diesem Falle ohne Gegenseitigkeit. Es handelt sich um eine wichtige ökonomische Frage. In einem jüngsten OEEC-Bericht heißt es, daß 1949 der Touristenverkehr aus dem Dollargebiet 286 Millionen Dollar nach Europa brachte; das waren fast 25 % des Exportwertes der europäischen Staaten nach dem Dollarraum. Dieser Touristenverkehr hat steigende Tendenz, so daß diese Dollareinkünfte für die Devisen-, für die Dollarbilanz der europäischen Länder immer bedeutender werden. Deutschland ist in diesem Devisengeschäft sicher schon von vornherein be- nachteiligt. Es gibt natürliche psychologische Hemmungen. Unser Fremdenverkehrsgewerbe dürfte durch die Kriegseinwirkung nicht auf der Höhe sein, auf der es in anderen Ländern ist. Dazu kommt dann die Erschwernis, daß nur zur Einreise nach Deutschland ein Visum erforderlich ist. Es ist sicher, daß dadurch sehr viele amerikanische Besucher von Deutschland abgehalten werden. Nach
dem, was ich gehört habe, sollen die Amerikaner diese Anregung abgelehnt haben; bei der Hohen Kommission soll man sehr sauer auf den Vorschlag reagiert haben, daß wir den Staatsbürgern ihres Landes die freie Einreise nach Deutschland ermöglichen möchten. Und da fängt die Sache an, sehr politisch zu werden. Dann haben wir das Faktum, daß den Bürgern der Vereinigten Staaten durch die Militärbürokratie der Vereinigten Staaten in Deutschland ihre Rechte ein wenig beschnitten werden. Wir möchten alles tun, was wir können, damit ein freier Verkehr der Personen statthaben kann. Die Bürokratie dort möchte mit polizeistaatlichen Mitteln den eigenen Staatsbürgern diese Freiheit verwehren. Wir bitten in unserer Interpellation die Regierung um Auskunft darüber, wie es sich mit diesen Dingen ganz genau verhält. Ich darf dann zu der letzen Interpellation, der Drucksache Nr. 2649 übergehen, die sich auf die Schwarzen Listen bezieht. Auch, hier ist es nötig, daß wir In- und Ausländer gegen polizeistaatliche Methoden in Schutz nehmen. Als die Paßhoheit am 1. Februar 1951 in deutsche Hände zurückkam, wurde uns die Auflage der geheimen Listen gemacht. Die Alliierten überreichten den deutschen Stellen fertige Listen mit Namen von Personen, denen, soweit sie Deutsche sind, keine Pässe ausgehändigt werden dürfen, soweit sie Ausländer sind, kein Visum für die Einreise nach Deutschland gewährt werden darf. In der Schwärze dieser Listen gibt es verschiedene Grade von A bis D. Die einen sind nur grauschwarz, die andern sind sehr schwarz. Bei den Kategorien A und B gibt es gelegentlich noch Möglichkeiten, nach Rückfrage doch den Paß zu erhalten bzw. das Visum erteilt zu bekommen. Für diejenigen, die in C und D eingereiht worden sind, ist die Sache hoffnungslos. Mehrere tausend Namen sollen auf diesen Listen stehen. Die Besatzungsbehörden haben keinerlei Auskunftspflicht gegenüber den deutschen Behörden. Man weiß nicht, wie der eine auf die Liste kommt, und natürlich weiß man auch nicht, wie der andere dazu kommt, nicht auf ihr zu sein.
Es wird dabei auch die Verantwortung verschoben. Ich habe schon eine Reihe von Fällen zu behandeln gehabt, in denen deutsche Staatsbürger auf die deutsche Verwaltung sehr wütend waren und sie wegen ihres Bürokratismus, wegen ihres hochmütigen Gehabens heftig beschimpften. In Wirklichkeit mußten die armen deutschen Behörden nur die Befehle ausführen, die ohne Begründung vom Combined Travel Board an sie gegeben werden!
Nun eine Frage: wer steht auf diesen Listen? Auf den Listen stehen Personen, die in bestimmte Kategorien eingereiht worden sind. Da stehen z. B. die Entnazifizierten der Gruppen I und II, frühere Angehörige der Abwehr; da stehen alle die, die in den Oststaaten Europas geboren sind. Dann stehen anscheinend antidemokratische Elemente darauf; aber man findet immer wieder Fälle, in denen man sich fragt,. wie ist es möglich, daß der Betreffende auf die schwarze Liste kommt. Ich hatte selbst den Fall eines jungen Sozialdemokraten, der in einer mittleren deutschen Stadt bei der Polizei die Paßstelle leitet und selbst die Pässe ausgibt. Nun wollte der junge Mann eine Reise nach England machen und beantragte einen Paß. Er erlebte das Wunder, daß er selbst auf der schwarzen Liste stand. Es hat monatelanger Schreibereien und wiederholter Schritte bedurft, um ihn von dieser Liste wieder herunterzubringen. In diesem Falle ist es gelungen, in anderen Fällen gelingt es nicht.
Das Schlimme dabei ist, daß die drei Besatzungsmächte gewisse menschliche Schwächen und Fehler, die allgemein sind, addieren. Es genügt, daß eine Besatzungsmacht findet, daß der Mann X auf die Schwarze Liste kommen soll, nun, dann kommt er drauf. So habe ich einen andern Fall von jemand behandelt, der in einer bestimmten Besatzungszone bis zum Februar dieses Jahres immer einen Paß bekam und der des öfteren Auslandsreisen gemacht hat. Jetzt ging die Paßhoheit in deutsche Hände über, und plötzlich bekam er keinen Paß mehr. Er dachte: das sind diese verdammten deutschen Behörden — Entschuldigung! —, die ihm jetzt den Paß verweigern. Als man der Sache nachging, fand man: Nein, es war eine andere Besatzungsmacht, der er nicht genehm war, und die hat veranlaßt, daß er auf die schwarze Liste kam. Es handelt sich immer um dunkles, echt polizeistaatliches Verfahren: ohne Wissen kommt man auf die Liste, ohne Gründe wird der Paß verweigert, es gibt kein ordentliches Verfahren.
Es scheint so — und darauf bezieht sich unsere Frage Nr. 2 —, daß die Schwarzen Listen auch als ein Mittel zu unlauterem Wettbewerb benützt werden. Es, scheint so, daß dort Namen von Menschen stehen, die z. B. zu deutschen Industrieausstellungen kommen möchten und die für unseren Außenhandel von Bedeutung wären. Durch den Umstand, daß sie auf der Liste stehen und kein Visum erhalten, werden sie von Deutschland ferngehalten, und wir haben den Schaden zu tragen. Mir liegt ein Brief eines Amerikaners vor, der bei den Besatzungsbehörden gearbeitet hat und der, als er nach Amerika zurückkam, dort durch Einflußnahme auf Kongreßmitglieder erreicht hat, daß ein Betrieb, der auf der Demontageliste stand und wider alle Vernunft demontiert werden sollte, von der a Liste abgesetzt wurde. Es scheint, daß die Besatzungsbehörden den betreffenden Amerikaner aus Rache dann auf die Schwarze Liste gesetzt haben, und wenn er jetzt wieder versucht, nach Deutschland zu reisen, dann kann er es nicht.
Bekanntgeworden sind auch andere Fälle, so der Fall des Paters Reichenberger. Es gibt amerikanische Staatsbürger — es gibt deren sogar sehr viele - die die Besatzungspolitik, die hier getrieben worden ist, nicht für der Weisheit letzten Schluß halten, und es gibt einige, die das sehr laut in Deutschland zum Ausdruck gebracht haben, und diese Kritik ist den Amerikanern dann äußerst unerwünscht. Was macht man dann? Man reagiert polizeistaatlich, — man setzt sie auf die Schwarze Liste; und die Betreffenden können nicht mehr nach Deutschland kommen. So werden sie mundtot gemacht und so werden ihre Bürgerrechte beschnitten.
Ich habe dann eine sehr schwerwiegende Frage, Herr Innenminister, die nicht in unserer Interpellation steht, weil ich erst später angeregt wurde, diese Frage zu stellen. Mir wurde von ernsthafter Seite versichert, daß die Schwarzen Listen nicht nur Paß-und Visenlisten seien, sondern die Schwarzen Listen seien auch Verhaftungslisten für den Fall, nun, sagen wir, ernsthafter Komplikationen in Europa. Diese Frage bedarf der Aufklärung. Wenn das wahr wäre, dann wäre die Willkür, mit der hier vorgegangen wird, doppelt unverantwortlich. Denn viele der Menschen, die auf den Listen stehen, würden in jenem Falle x in äußerste Gefahr, in Lebensgefahr geraten. Es ist notwendig, das aufzuklären, und, wenn es zutrifft, mit um so größerer Energie gegen das System der Schwarzen Listen anzugehen. Wenn es zutrifft, dann wird hier
leichtfertig mit dem Leben von Menschen gespielt, so leichtfertig, wie es nur in einer Diktatur möglich ist. Wir müssen energisch dagegen protestieren und um so mehr verlangen, daß die deutschen Stellen bei der Aufstellung dieser Listen gefragt werden und daß die Listen überhaupt im Maße des Möglichen verschwinden.