Meine Damen und Herren! Ich war nicht darauf gefaßt, daß wir jetzt bei der zweiten Lesung schon in etwa eine Generaldebatte haben würden. Ich darf Sie deshalb um Entschuldigung bitten, daß ich auf die Generaldebattenthemen an dieser Stelle nicht eingehe. Dazu wird bei der dritten Lesung noch genügend Zeit sein. Aber ich möchte doch aus den Begründungen der drei Anträge, die hier vorgelegt worden sind, einige entscheidende Argumente aufgreifen, um dazu das Notwendige zu sagen.
Herr Bertram hat erklärt, wir hätten es hier mit einer Enteignung zu tun. Daß die Ausarbeitung dieses Gesetzes uns allen nicht gerade leicht fällt und daß wir sehr ernsthaft mit den Problemen zu ringen gehabt haben, darüber kann kein Zweifel bestehen. Wenn es nicht so außerordentlich schwerwiegende volkswirtschaftliche Gesichtspunkte und Sorgen für die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft gewesen wären, hätte man sicher etwas anderes vorgezogen. Aber von einer Enteignung, Herr Bertram, kann man doch bestimmt nicht sprechen, wenn demjenigen, der Mittel für die Investitionsfinanzierung in den Grundstoffindustrien zur Verfügung stellt, ein Gegenwert in voller Höhe entweder in Form von Aktien, in der Form von Wandelschuldverschreibungen oder in der Form von normalen Schuldverschreibungen gegeben wird. Diese Wertpapiere werden unter allen Umständen, soweit es Schuldtitel sind, zu 100 % zurückgezahlt und werden im übrigen ihre volle Verzinsung erhalten und bei den Aktien einen unmittelbaren Substanzanspruch gewährleisten.
Wenn Sie vorhin darauf abgestellt haben, daß bis zum Jahre 1956 eine steuerliche Abzugsfähigkeit von Veräußerungsverlusten ausgeschlossen ist, so ist dazu zu sagen: Es ist ja niemand gezwungen, diese Titel zu veräußern oder gar zu Verlusten zu veräußern. Im übrigen glauben wir, daß die Veränderungen, die dieses Gesetz im Laufe der Ausschußberatungen erfahren hat, insbesondere hinsichtlich einer Weitersicherung der Durchführung der notwendigen Investitionen über den § 36, auch die erforderliche Wertsicherung für die Titel, die die Aufbringungspflichtigen erhalten, gewährleisten. Die Behauptung, daß hier eine Enteignung vorliege, kann also in keiner Weise durchschlagen.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, daß wir hier vor nicht allzulanger Zeit das Gesetz über die Rentenbankkreditanstalt mit der Aufbringungsumlage der Landwirtschaft beschlossen haben, die in diesem Falle sogar ein viel weitergehendes Opfer auf sich genommen hat; denn sie bekommt unmittelbar von dieser Rentenbankauflage, die zugunsten der Förderung der Produktivität der deutschen Landwirtschaft und der Steigerung der deutschen Nahrungsmittelerzeugung von uns beschlossen worden ist, gar keinen Gegenwert, sondern sie erhält nur indirekt den Anspruch, daß auch ihr selber im Bedarfsfalle von der Rentenbank ein Kredit gewährt wird. Wenn Sie also diese Parallele ziehen, dann sehen Sie, daß das jetzt zu beschließende Investitionshilfegesetz Maßnahmen fordert, mit denen wir in sehr viel geringerem Umfang etwa mit dem Grundgesetz in Kollision kommen als bei dem damals beschlossenen Gesetz über die Rentenbankkreditanstalt.
Ich möchte noch auf ein anderes Argument von Ihnen mit ganz besonderer, ich möchte schon fast sagen: Bitternis antworten. Ich habe es nicht begreifen können — und ich glaube, daß das auch ein sehr erheblicher Teil des Hauses nicht hat begreifen können -, wie Sie von einer deutschen Industrie wie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie, die- in einem heute zum Teil wohl auch vom Ausland nicht mehr begriffenen Ausmaß Demontagen anheimgefallen ist, sagen konnten, daß sie noch über die derzeitigen Produktionsmöglichkeiten hinaus erhebliche Kapazitätsreserven besitze.
Es wissen wohl alle bei uns in Deutschland, daß leider das absolute Gegenteil der Fall ist. Wir können es auch nicht begreifen, wie gegenwärtig noch, kurz von der Ingangsetzung des Schuman-plans, uns Entscheidungen die im europäischen Interesse liegende Erweiterung der Eisen- und Stahlerzeugung verweigern.
Lassen Sie mich noch zu dem weiteren Argument etwas sagen, daß der Rohstoffindex so erheblich mehr gestiegen sei als der Index der Fertigerzeugnisse. Herr Bertram, das ist völlig unbestritten; aber das ist doch eine vollkommen klare und beinahe natürliche Tatsache. Denn die Rohstoffe als solche sind ja nun einmal die Urprodukte, die mit fortschreitender Veredlung mit einem immer geringer werdenden Anteil in die Enderzeugnisse eingehen. Wenn also nach der Koreakrise der Weltwollpreis um 400 % gestiegen ist, dann ist es ganz verständlich, daß bei einem fertigen Wollstrickkleid, dessen Anteil Wolle nur noch 30 % beträgt, höchstens noch eine Preissteigerung um 100 % gerechtfertigt erscheint. Also aus der Tatsache, daß der Rohstoffindex stärker angestiegen ist als der Index der Fertigerzeugnisse, ableiten zu wollen, daß eine Berechtigung für die Investitionshilfe oder die Notwendigkeit für sie nicht gegeben sei, das ist, glaube ich, ein Schluß, der innerlich wirklich keine Berechtigung hat.
Herr Kurlbaum, ich habe mich außerordentlich gefreut über den von den bisherigen Debatten von
seiten der Opposition sich wirklich wohltuend abhebenden Ton Ihrer heutigen Erklärungen.
Gestatten Sie aber, daß ich hier einmal auf eines aufmerksam mache. Sie haben ausgeführt, der Brutto-Produktionswert der Industrie sei von 14.2 Milliarden im ersten Halbjahr 1950 auf 20,6 Milliarden DM im ersten Halbjahr 1951, d. h. um 44 %, und die Bruttolohnsumme von 5,4 auf 7,2 Milliarden, d. h. um 33 %, gestiegen. Es ist doch wohl eines klar: Aus diesen Zahlen kann man das, was Sie damit beweisen wollten, gar nicht beweisen.
Stellen Sie sich einmal vor, diese 33 % Mehrlohnsumme sei an die Hälfte der vorjährigen Beschäftigten ausgezahlt worden.
Dann hätte diese Hälfte der vorjährigen Beschäftigten in Wirklichkeit eine Lohnerhöhung um 66 % erfahren.
— Herr Kalbitzer, das ist nicht der Fall; darauf wollte ich ja abstellen. Es nützt Ihnen nämlich diese Zahl gar nichts, wenn Sie nicht die Zahl der Beschäftigten auf der einen Seite und die Preisentwicklung der industriellen Produkte auf der andern Seite dazunehmen.
— Das habe ich längst getan, Herr Kurlbaum; aber ohne die Zahl der Beschäftigten, auf die die Lohnsumme entfällt, und ohne die durchschnittlichen Preise für die industriellen Erzeugnisse, die hier in ihrem gesamten Produktionswert um 44 % gestiegen sind,
sagt Ihnen das absolut nichts aus. Ich könnte zu dem Brutto-Produktionswert genau so sagen: Er kann sich bei einer durchschnittlich 50 %igen Preisermäßigung gesteigert haben; und er kann sich bei einer durchschnittlich 50 %igen Preissteigerung erhöht haben. Es kommt einzig und allein, wenn Sie etwas beweisen wollen, auf die Zahl der Beschäftigten, auf die durchschnittlichen Stundenlöhne, auf die Bruttolöhne und auf die Lebenshaltungskosten an.
Es ist ja von Ihnen selbst gesagt worden, daß die Einkommen- und Körperschaftsteuern, selbst wenn man den Einfluß der Steuerermäßigung ausschalten und die Entwicklung in sich weiter rechnen würde, erheblich weniger stark gestiegen sind. Ich glaube, daß darin der deutlichste Beweis liegt, daß die Entwicklung jedenfalls nicht in dem Maße zugunsten der Gewinne der Industrie gegangen ist.
Lassen Sie mich jetzt, damit wir etwas mehr zu den Dingen kommen, die uns hier im Augenblick zu bewegen haben, noch etwas über eine ebenso gefährliche Äußerung des Herrn Kollegen Bertram hinzufügen, der davon sprach, daß durch diese Maßnahmen die Gefahr einer ständigen Senkung des Wertes der D-Mark heraufbeschworen werden könnte. Herr Kollege Bertram, die D-Mark hat im Augenblick und nach der Währungsreform und danach im Ausland 20 Schweizer Franken für 100 DM notiert. Sie ist seitdem in die Nähe der rechnerischen Parität von rund 90 Schweizer Franken für 100 DM gestiegen.
Die Ausländer haben offenbar, wenn sie die D-Mark mit mehr als dem Vierfachen ihres Wertes von vor drei Jahren bewerten, die ganz entgegengesetzte Auffassung von der Wirkung und den Erfolgen der deutschen Wirtschaftspolitik.
Lassen Sie mich noch etwas Weiteres zu dem einen Zahlenbeispiel sagen, das Sie hier vorhin von dem Handwerksmeister vorgerechnet haben, der 80 000 DM Umsatz hat und der nun in der glücklichen Lage sein soll, ein erhebliches Einkommen in Höhe von 20 % zu versteuern. 20 % sind wirklich als Nettoeinkommen eine erhebliche Summe. Das sind also 16 000 DM.
Dann hätte er nach dem Tenor dieses Gesetzes dazu noch 4 % des Umsatzes, d. h. 3 200 DM, in die Bemessungsgrundlage einzurechnen; das sind also 19 200 DM. Dabei hat er zunächst eine Freigrenze von 10 000 DM; es blieben also 9 200 DM übrig;
und die wären also, wenn wir das jetzt als Durchschnitt oder als Einkommen nur eines Jahres einmal rechnen, mit 7 % als Investitionshilfe zu zeichnen. Das wären also an und für sich 644 DM. Davon hat er aber nach dem § 11 des Gesetzes noch eine Freigrenze von 560 DM, so daß für den Mann mit einem relativ hohen steuerpflichtigen Einkommen insgesamt eine Investitionshilfe-Beteiligung zugunsten der Grundstoffindustrien von sage und schreibe 84 und nicht 840 DM in Frage kommt. Es scheint da bei Ihnen einfach ein Rechenfehler unterlaufen zu sein.
Ich glaube daher, daß die Bestimmungen, die wir in dem Gesetz zugunsten eines wirksamen Schutzes der Klein- und Mittelbetriebe vorgesehen haben und die wir auch schon deswegen gewünscht haben, um nicht den ganzen technischen Apparat ins Ungeheuerliche sich aufblähen zu lassen, tatsächlich in der Weise wirken, daß Betriebe, mit einem Jahresumsatz zwischen 90 000 und 100 000 DM, wie es in dem Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaftspolitik gesagt worden ist, praktisch aus der Aufbringungspflicht herausfallen. Herr Kurlbaum, ich glaube, daß damit schon ein erheblicher Teil von schutzwürdigen Interessen berücksichtigt worden ist.
Wir machen diesen Weg der Investitionshilfe für die Grundstoffindustrie schweren Herzens mit,
tun das aber letzten Endes nicht deshalb, um auf
die Dauer einen nebulosen Schutz für eine „Mehr-
heit" zu bekommen, sondern um die politische und soziale Freiheit des ganzen deutschen Volkes zu sichern. Man hat ein solches Ziel bisher nicht erreicht. Die Ursachen dafür liegen nicht etwa in einer verfehlten Wirtschaftspolitik der Freiheit auf diesen Gebieten,
sondern sind darin zu suchen, daß entgegen unseren Wünschen im Wirtschaftsrat unmittelbar vor der Währungsreform der Mut nicht gefunden wurde, auf diesen Gebieten das gleiche zu tun, was man in der übrigen Wirtschaft getan hat,
nämlich die ganzen zwangswirtschaftlichen Eingriffe zu unterbinden.
Wenn man nun mit dem Ergreifen einer solchen Maßnahme mit Aussicht auf Erfolg einen Weg beschreiten kann, an dessen Ende auch die Freiheit auf dem Gebiet der Grundstoffe steht, und wenn damit die Startbedingungen gegeben sind, um in der Kohleförderung, in der Stahl- und Energieerzeugung den gleichen Aufschwung zu erreichen, wie wir ihn auf den anderen Gebieten erlebt haben, dann rechtfertigt dies schon aus ganz anderen Überlegungen und mit ganz anderen Zielen — darüber sind wir uns klar —, als Sie sie vor Augen haben, daß wir einen solchen Weg, wie ich sagte, zwar schweren Herzens, aber mit Rücksicht auf den beabsichtigten und von uns zielbewußt weiter angestrebten Erfolg der völligen Freiheit doch nunmehr gehen werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Sie haben die Frage aufgeworfen: Reicht denn die eine Milliarde aus? Sie haben erklärt, der § 36 allein könne es auch nicht schaffen. Darin sind wir mit Ihnen völlig einer Meinung. Der § 36 kann nur ein weiteres Hilfsmittel sein, aber immerhin ein nicht ganz unwesentliches Hilfsmittel, um nachzuholen, was aus der verfehlten Zwangswirtschaft bei den Grundstoffindustrien in den vergangenen Jahren nicht geschehen ist. Es gehört allerdings noch etwas weiteres dazu, und das ist, was wir immer und immer wieder hier betont haben, die Preisfreiheit bei den Grundstoffindustrien,
von der wir mit Sicherheit wissen, daß sie nicht zu einer Preissteigerung für die gesamte verbrauchende Wirtschaft führt. Man möge einmal bedenken, daß heutzutage für Schwarze Kohle 150 DM je Tonne gezahlt werden.
— Herr Erhard hat die Zwangswirtschaft bei den Grundstoffindustrien genau so beseitigen wollen wie wir, nur hat er nicht mit uns zusammen die erforderliche Mehrheit gefunden, die die Voraussetzung für das Ergreifen dieser Maßnahmen gewesen wäre. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde es keine Kohle-, keine Stahl- und keine Energieprobleme in Deutschland mehr geben.
Es werden 150 DM für Schwarze Kohle, 110 DM für US-Kohle und für Spitzenkohle und sonstwas gezahlt.
— Herr Dr. Schumacher, der Durchschnitt, der bei
einer Freigabe, wenn man den Mut zu einer solchen
hätte, herauskommen würde, würde, was die
Kostenseite der deutschen Wirtschaft anlangt, um genau so viel niedriger liegen, wie es bei der Freigabe des Benzins und bei all den anderen Dingen der Fall gewesen ist; das haben wir ja erlebt.
Diesen Mut müssen wir in Kürze finden, denn das ist für uns das A und O. Mit dieser Auflage machen wir dieses Gesetz überhaupt nur mit, daß es der Weg in die Freiheit ist.
Deshalb bitte ich Sie, die Anträge abzulehnen, die von Vorstellungen ausgehen, die uns weiter in der Verzerrung des Zwangs halten wollen.