Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsparteien fällt in eine Zeit, da die Spannung zwischen Ost und West andauert, da der Bundeskanzler zu Gesprächen mit den westlichen Außenministern in Paris weilt und da sich alle wesentlichen Probleme der europäischen Politik, in vollem Gärungsprozeß begriffen, ungelöst in der Schwebe befinden, das Vertragswerk, das an die Stelle des Besatzungsstatuts treten soll, der Schumanplan, der erst von einem der sechs Vertragsstaaten ratifiziert worden ist, das Projekt der europäischen Armee und des europäischen Verteidigungsministers und vor allem die Schicksalsfrage eines föderativ geeinten Gesamtdeutschlands als Mitglied einer europäischen Konföderation.
Sofort erhebt sich die Frage, ob Europa in seinem ursprünglichen politischen, geographischen und geschichtlichen Bestande gemeint ist, ob das Land Johann Sobieskis, das Land der ehemaligen Stephanskrone, ob Österreich, die Schweiz, Spanien, Portugal, die nicht Mitglieder des Europarats sind, zu Europa im Sinne der weiteren Planungen gehören sollen, ob nur kontinentaleuropäische Nationen oder auch England eingeschlossen sein sollen oder ob an eine Konstruktion gedacht ist, welche sich gegebenenfalls nur auf einen Teil der außerhalb des östlichen Kombinats befindlichen europäischen Welt beschränkt.
Nach dem Antrag sollen die vom Bundestag in die Versammlung des Europarats entsandten Abgeordneten mit Delegierten anderer Nationen die Verfassung einer europäischen Föderation nicht nur beraten, sondern auch vereinbaren. Es ist aufschlußreich, daß von den Initiatoren ganz nach dem hergebrachten Denkschema eine bundesstaatliche, im weiteren Verlauf erfahrungsgemäß sich stets zentralistisch entwickelnde,
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nicht eine echt föderative, staatenbündische Organisationsform, eine Konföderation gewollt ist.
Die Antragsteller wissen natürlich, daß die Beratende Versammlung des Europarats nur ein einflußloses, ohnmächtiges Konsultativorgan ist. Es ist ihnen selbstverständlich auch bekannt, daß England wegen seiner Verbindung mit dem Commonwealth und dem Sterlingblock es bisher streng abgelehnt hat, den gegenwärtigen Status des Europarats weiter zu entwickeln. Es ist bis jetzt nicht sichtbar geworden, ob die konservative britische Regierung bereit ist, hierin von der Linie des Labourkabinetts abzugehen. Nichts deutet darauf hin, daß es geschieht. Darum will der Antrag, daß die Delegierten des Bundestags mit gleichgesinnten und willigen Delegierten der im Europarat vertretenen Nationen, also offenbar in einem Gremium außerhalb der Versammlung, zusammenwirken. Aber ist eine solche Teilaktion nicht schon in der zweiten Straßburger Tagung im August/November 1950 gescheitert bzw. im Sande verlaufen? In der letzten Vollsitzung der August-Tagung waren diejenigen, welche im Falle des Abseitsstehens eines Teiles der europäischen Staaten eine Teilföderation befürworteten, in der Minderheit geblieben. Und was ist aus dem sogenannten Verfassungsausschuß geworden, den Delegierte mehrerer westeuropäischer Länder außerhalb des Europarats zu dem Zweck ins Leben riefen, einen Verfassungsentwurf für ein vereinigtes Europa auszuarbeiten?
Ein prominenter Abgeordneter dieses Hauses hat am 22. August vorigen Jahres vor Pressevertretern erklärt, er habe den Eindruck gewonnen, daß die Beratende Versammlung den in den ersten Tagen ihrer August-Beratungen dokumentierten revolutionären Geist in Richtung auf die praktische Verwirklichung der Einheit Europas nicht nur bewahrt habe, sondern angesichts der zu erwartenden Widerstände des Ministerrats noch verstärken werde; es werde wahrscheinlich zu einer Machtprobe kommen. Nun, die Delegierten des Straßburger Europarats ließen es im November nicht darauf ankommen. Was wurde aus der Hochspannung der angekündigten revolutionären Entschlossenheit, was aus dem Europäischen Aktionsrat, was aus dem Rat der Dreißig, was aus der Initiative der drei föderalistischen Verbände, der Union Européenne, der Nouvelles Equipes, des Mouvement Socialiste? Die Hochspannung wurde in die Niederspannung des Conseil Européen de l'Orangerie umgeformt, der den Europarat nicht unter Druck setzen konnte, weil er selbst ohne innere Spannung war.
Ich fasse den Standpunkt der Fraktion der Bayernpartei, die sich zu einem einigen Gesamteuropa bekennt, wie folgt zusammen: 1. Ziel und Mittel einer europäischen Zusammenarbeit und Gemeinschaft ist die Bildung einer staatenbündischen, Zentralismus und Majorisierung ausschließenden Konstruktion, nicht einer bundesstaatlichen Föderation, sondern einer bündischen Konföderation. 2. Eine europäische Konföderation kann wie jede andere nur nach den Prinzipien der Partnerschaft und Zusammenarbeit, das ist auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung der konföderierten Staaten, erfolgen. 3. Nicht ein Teil Deutschlands, sondern nur ein bündisch aufgebautes Gesamtdeutschland kann Mitglied einer europäischen Konföderation werden. 4. Der Gedanke einer europäischen Konföderation kann nur und erst verwirklicht werden, wenn der politische und wirtschaftliche Nationalismus der Vergangenheit angehört. Die jüngste Entscheidung des militärischen Sicherheitsamtes der Besatzungsmächte, durch welche die maßvollen Remontageanträge der August-Thyssen-
Hütte schroff und. ohne Angabe der Gründe abgewiesen wurden, beweist, daß diese Voraussetzung noch nicht erfüllt ist. 5. Die Fraktion der Bayernpartei gibt der Meinung Ausdruck, daß außenpolitische Initiativen, welche die in einer bestimmten Phase bestehenden Verhältnisse, Realitäten und Entwicklungstendenzen außer acht lassen, mehr schaden als nützen und den Vorwurf des politischen Literarismus hervorrufen können.
Meine Fraktion hält die Einbringung des vorliegenden Antrags der Koalitionsparteien im gegenwärtigen Zeitpunkt für unzweckmäßig und wird sich der Stimme enthalten.