Rede von
Adolf
von
Thadden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Renner sprach von der „größten und herrlichsten Repräsentation der Kräfte des Friedens". Herr Renner, gerade jetzt
gingen umfangreiche Artikel durch die Presse, in denen die Rede war von der Umorganisation der Roten Armee zu einem noch mächtigeren Angriffsinstrument, als sie es bisher schon nach allgemeiner Kenntnis ist. Mit der Repräsentation der Kräfte des Friedens ist es nicht so weit her, und es scheint uns durchaus nützlich, gegenüber diesen Friedenswölfen im Schafspelz etwas Nachhaltiges zu tun.
Nun wird aber hier der Antrag gestellt, die deutsche Delegation in Straßburg solle eine Verfassung für Europa mit vereinbaren. Meine Damen und Herren, eine solche Verfassung Europas ist doch letzten Endes nur eine Geschäftsordnung zur Regelung der Beziehungen der Völker Europas untereinander, die unter ein gewisses Motto und unter eine gewisse Linie gestellt werden sollen. Ich glaube, daß diese Verfassung, die in Straßburg für Europa ausgearbeitet werden soll, so lange nur Papier ist, ja nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt ist, als man zum Beispiel uns Deutsche von seiten der entscheidenden Westmächte weiter so sehr als minderwertig und zweitrangig behandelt, wie das in den letzten Wochen der Fall gewesen ist. Die Thyssen-Hütte wurde hier bereits zitiert. Die Anträge der Werft Blohm 8 Voß auf Erweiterung ihrer Genehmigung zur Ausführung von Schiffsreparaturen sind abgelehnt worden. Die Errichtung eines neuen Walzwerks im Watenstedt-Salzgitter-Gebiet ist abgelehnt worden; es bleibt also bei der Arbeitslosenzahl. Die Errichtung einer neuen Stahlpresse im Ruhrgebiet ist abgelehnt worden. Kurzum, man tut alles, um uns in unserer derzeitigen mißlichen Lage zu halten. Ich glaube nicht, daß wir aus dieser mißlichen Lage heraus auch nur einen einzigen Schritt weiterkommen, wenn eine solche Verfassung vereinbart wird. Vielmehr ist eine solche europäische Verfassung unseres Erachtens höchstens ein Abschlußstein einer Entwicklung, die heute noch im vollen Gange ist und die von uns aus in der Zukunft etwas positiver laufen sollte, als das bisher der Fall war.
Herr von Merkatz sprach davon, man solle den kranken Körper von den gesundgebliebenen Bezirken her sanieren. Schön und recht! Der kranke europäische Körper wird unseres Erachtens vorzüglich dadurch saniert, daß man sich Mühe gibt oder uns hilft, die Krankheitsstellen, die im Herzen Europas, in Deutschland nämlich, vorhanden sind, zu beseitigen. Alle Konzeptionen für den Abschluß einer europäischen Verfassung, der heute noch verfrüht ist, sind gut und recht, wenn zunächst praktische Vorarbeit dafür geleistet ist. Hierzu haben die Westmächte Zeit und Gelegenheit gehabt und haben sie auch heute noch. Aber, meine Damen und Herren, Mr. Armstrong sagte vor einigen Tagen: Wir fürchten Herrn Remer nicht, wir fürchten aber die IG! Damit hat er nicht die IG an sich gemeint, sondern wahrscheinlich die IG als Sammelbegriff für leistungsfähige deutsche Industrie. Gedenkt man auch in Zukunft unter diesem Motto zu arbeiten, dann sehen wir allerdings schwarz für die Zukunftschancen Europas.
Zusammenfassend möchte ich nur eines sagen: Die Westmächte haben in den Verhandlungen, die im Augenblick laufen, die Zeit und die Möglichkeit, die Voraussetzungen und das Fundament zu schaffen, auf dem dann eines Tages nach Vollendung der Arbeit eine solche Verfassung als abschließendes Dach errichtet werden kann.