Rede von
Dr.
Hermann
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Für die nun folgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgeschlagen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Als Bundesratsbevollmächtigter hat der Herr Innenminister von Nordrhein-Westfalen Dr. Flecken das Wort.
Dr. Flecken, Innenminister des Landes NordrheinWestfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 2471 ist Ihnen ein Initiativgesetz des Bundesrates vorgelegt worden. Der Bundesrat möchte mit diesem Entwurf die in § 14 Abs. 2 des Ursprungsgesetzes vorgesehene Frist von 3 Monaten auf ein Jahr erstreckt wissen. Das würde also bedeuten, daß die Ausgleichsabgabe nach dem Stande vom 1. April 1952 zu zahlen wäre.
Aus der Vorgeschichte des Gesetzes zur Art. 131 wissen Sie, daß schon damals, wie der Herr Berichterstatter soeben vorgetragen hat, im Bundesrat gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 2 lebhafteste Bedenken bestanden haben; der Deutsche Bundesrat aber, um jede Gesamtverzögerung dieses unbestreitbar wichtigen Gesetzes zu vermeiden, mit knapper Mehrheit dahin Stellung genommen hat, daß der Vermittlungsausschuß nicht angerufen werden soll. Er hat jedoch schon damals klar zum Ausdruck gebracht, daß er hinsichtlich des § 14 Abs. 2 in Bälde von sich aus die Initiative ergreifen würde. Insofern konnten Bundestag und Bundesregierung — das darf ich hier noch einmal sagen —von der Vorlage dieses Initiativantrages des Deutschen Bundesrates nicht überrascht sein.
Ich darf die Bedenken, die schon damals gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 2 des Gesetzes bestanden, nochmals stichwortartig ganz kurz rekapitulieren. Sie gingen dahin, daß nach der ganzen Entwicklung seit 1945 die Situation der einzelnen Anstellungskörperschaften außerordentlich verschieden gewesen ist. Während der Bund und eine Reihe von Ländern völlig neue Verwaltungseinrichtungen aufbauen mußten und demgemäß verdrängte Be- amte unschwer in relativ großem Umfang einstellen konnten, war namentlich bei den sogenannten alten Ländern und ebenso bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden, um die. es sich hier vorzüglich handelt, eine ganz andere Lage gegeben. Sie übernahmen zunächst den vorhandenen Personalbestand. Als sie dann die politisch belasteten Beamten und Angestellten ausscheiden mußten, blieb ihnen im Interesse der schon für die ersten
7238 Deutscher Bundestag — 7238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1951
Stunden der Besatzung erforderlichen Funktionsfähigkeit der Verwaltung nichts anderes übrig, als den Personalbestand sofort aus örtlich vorhandenen und mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Beamten und Angestellten wieder aufzufüllen. Für viele dieser Anstellungskörperschaften waren in der ersten Zeit der Entwicklung verdrängte Beamte und Angestellte überhaupt nicht greifbar. Hinzu kam in zahlreichen Städten und Gemeinden ein Zerstörungsgrad, der auch in der Folgezeit, also in der Zeit des durch die Zwangswirtschaft erforderlichen weiteren Ausbaues der Verwaltung, die Heranziehung auswärtiger Kräfte — mit der Notwendigkeit, sie in Wohnungen unterzubringen — fast unmöglich gemacht hat. Bedenken Sie nur, daß nach den statistischen Unterlagen auch heute noch 226 000 frühere Hamburger, 195 000 Kölner Bürger und 99 000 Düsseldorfer nicht in ihre Heimatstadt zurückkehren konnten, und zwar trotz des Drängens der Evakuierten und ihres verständlichen und auch von den Städten. selbst anerkannten Wunsches, wieder Heimatsitz und Heimatrecht an ihrem alten und angestammten Orte zu gewinnen.
Mit dem Ablauf der Reichsmark-Zeit ergaben sich neue Hindernisse. Die Beseitigung der Zwangswirtschaft führte allenthalben zu einer Verminderung des Personalbestandes und aus verständlichen sozialen Gründen vielfach auch zu einer Umsetzung von Dienstkräften, die die Chance der noch außenstehenden Beamten und Angestellten selbstverständlich zusätzlich minderte. In die gleiche Zeit fällt auch nach den damaligen landesrechtlichen Regelungen die Rückkehr zahlreicher eigener, inzwischen entnazifizierter Beamter und Angestellter, die sich in der gleichen Richtung auswirkte. So ist es zwangsläufig, daß der Umfang der Unterbringung verdrängter Beamter je nach der Lage der Verhältnisse bei den einzelnen Anstellungskörperschaften zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes zu Art. 131 außerordentlich verschieden war. Diese Verschiedenheit findet in der verschiedenen Ausgangslage, wie ich sie soeben andeutete, ihre plausible Erklärung.
Es ist nun in der Personalpolitik öffentlicher Körperschaften bekanntlich nicht so, daß hier jederzeit freie Stellen in größerem Umfang zur Verfügung stünden, die in der Vorbereitungszeit des 131er-Gesetzes — ich betone besonders: auch in der Vorbereitungszeit — und in der ersten Zeit nach seinem Inkrafttreten schlagartig mit verdrängten Beamten und Angestellten hätten besetzt werden können. Die Stellenpläne aller Anstellungskörperschaften sind überall fast völlig ausgenutzt, so daß nur freiwerdende und in ganz geringem Umfange neu geschaffene Stellen für die Unterbringung der verdrängten Beamten und Angestellten bereitstehen. Im allgemeinen kann man nach den praktischen Erfahrungen davon ausgehen, daß bei einer Anstellungskörnerschaft der Personalabgang vom Gesamthestande um 3 v. H. je Jahr liegt. Aus all dem ersehen Sie unschwer, was in einer relativ kurzen Zeitspanne auf diesem Gebiet überhaupt möglich ist.
Es ist den Anstellungskörperschaften aber auch nicht gestattet, etwa im Wege der Entlassung oder Kündigung Stellen freizumachen. Der 6 76 des Gesetzes zu Art. 131 sagt hierzu bekanntlich ausdrücklich. daß Beamte. Angestellte und Arbeiter, die die nersönlichen und fachlichen Anforderungen ihrer Dienststellung erfüllen, nicht zu dem Zweck entlassen werden dürfen, um Dienstposten oder Arbeitsplätze zur Durchführung der Unterbringungsmaßnahmen nach diesem Gesetz freizumachen. Der Beamtenrechtsausschuß dieses Hauses wird nicht daran vorbeisehen können und wollen, daß neben und zu den angeführten Tatbeständen immer noch und immer wieder eigene Leute und eigener Nachwuchs mit Ein- und Aufrückwünschen vor der Türe stehen. Auch daran muß mindestens der Vollständigkeit halber erinnert werden. Das ist die Lage, wie sie sich tatsächlich darstellt.
Mit dem Inktrafttreten des Gesetzes zu Art. 131 ist nun ein neuer Anfang gesetzt. Alle Anstellungskörperschaft en sind gezwungen, verdrängte Beamte und Angestellte in dem gesetzlich vorgesehenen Rahmen einzustellen. Der Deutsche Bundestag hat nun geglaubt, den Unterbringungsprozeß dadurch beschleunigen zu können, daß er in Gestalt der Ausgleichsabgabe ein finanzielles Druckmittel in das Gesetz eingebaut hat.
Es geht hier nicht um das Problem dieser Ausgleichsabgabe allgemein; es geht ausschließlich darum, ob die Festlegung des Fälligkeitstermins auf den 1. Juli 1951 sinnvoll und richtig ist. Diese Frage verneint der Deutsche Bundesrat aus folgenden Gründen. Die Ausgleichsabgabe erfüllt ihren Zweck — die Förderung beschleunigter Unterbringung — nur dann, wenn man den Anstellungskörperschaften die Möglichkeit gibt, ihre Anstrengungen um die Unterbringung unter Beweis zu stellen. Das heißt, man muß ihnen eine hinreichend lange Frist geben, damit sie dem im Gesetz vorgeschriebenen Einstellungssoll näherkommen. Die im § 14 Abs. 2 gestellte Frist reicht dazu nicht aus. Abgesehen davon, daß die Frist überhaupt zu kurz war, darf doch nicht außer Betracht gelassen werden, daß das Gesetz erst sechs Wochen nach seinem Inkrafttreten verkündet wurde. Damit war die Hälfte der Dreimonatsfrist bereits verstrichen. Hinzu kam, daß es nach der Verkündung des Gesetzes an den erforderlichen Durchführungsbestimmungen fehlte. Sie stehen heute zum wesentlichen Teil noch aus. Daraus haben sich ganz natürliche Anlaufschwierigkeiten und Hemmungen ergeben.
Aus allem folgt, daß für die Anstellungskörperschaften während der Dreimonatsfrist keine Möglichkeiten gegeben waren, ihrem Unterbringungssoll in entsprechendem Maße näherzukommen. Wird die Ausgleichsabgabe trotz dieser Verhältnisse zu dem in § 14 Abs. 2 vorgesehenen Zeitpunkt, der nun schon Monate hinter uns liegt, erhoben, so verfehlt sie ihren Zweck vollständig. Sinnvoll und wirksam kann diese Ausgleichsabgabe nur werden, wenn ihre Fälligkeit auf einen Zeitpunkt abgestellt wird, der es den Anstellungskörperschaften wirklich ermöglicht, bis zu dieser Fälligkeit ihr Einstellungssoll zu verbessern. Es liegt also geradezu im Sinne der Intentionen des Deutschen Bundestages, wie sie bei der Beratung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen sind, diesen Fälligkeitszeitpunkt zu verschieben.
Ich sagte bereits, daß die Ausgleichsabgabe ein finanzielles Druckmittel darstellen soll. Mit ihrer Erhebung schon nach dem Stand vom 30. Juni 1951 verliert sie diesen Charakter
aber aus den eben dargelegten Gründen völlig,
und sie verwandelt sich gegen die Intentionen des Gesetzgebers völlig in eine echte Strafabgabe.
— Es ist eine klare Strafabgabe, die nicht dazu beiträgt, daß ein Mann mehr eingestellt wird.
Sie verwandelt sich in eine echte, klare Strafabgabe, die von den einzelnen Anstellungskörperschaften bei der geschilderten verschiedenen Ausgangslage mit vollem Recht als unbillig empfunden wird. Dabei handelt es sich für die einzelnen Körperschaften keinesfalls um Beträge, die nicht zu Buch schlügen.
Man kann es nicht relativ sehen; denn ich hoffe ja, daß Mark noch Mark ist, und jede Mark, die hier abgezogen wird, wird auf einem anderen Gebiet fehlen.
Gestatten Sie mir, einige Zahlen zu nennen, die das Bild beleuchten. Nach dem Stand vom 30. Juni 1951 hätte Köln 1,7 Millionen DM zu zahlen.
— Darauf kommt es nicht an, wieviel Prozent des Etats es sind. 1,7 Millionen sind 1,7 Millionen, die im Etat fehlen und die nach dem Willen dieses Hohen Hauses sicherlich für andere Zwecke erstrangig eingestellt werden müßten
als für eine fruchtlose Abgabe, die nichts anderes ist als eine Strafmaßnahme. — Ich darf die Zahlen nennen: Köln 1,7, Nürnberg 1,3, Stuttgart 1,35, Frankfurt 1,2,
Düsseldorf 1,4 Millionen, Mannheim 850 000, Augsburg 428 000, Heidelberg 306 000, Krefeld 453 000, Aachen 369 000, Rheydt 172 000, Neuß 117 000,
Herford 75 000.
— Was heißt „die Städte blamieren"? Darf ich als Mitglied des Bundesrates einmal die Gegenfrage stellen: Was haben denn die örtlichen Abgeordneten getan, um vorher das geschehen zu lassen, was sie jetzt mit diesem Druckmittel durchsetzen wollen?
Was diese Beträge für die ohnehin beengte Finanzwirtschaft unserer Gemeinden und entsprechend auch der Gemeindeverbände ausmachen, brauche ich hier nicht näher darzulegen. Vom Standpunkt der Länder aus kann ich nur die Befürchtung aussprechen, daß ein wesentlicher Teil dieser Lasten zwangsläufig auf die Länder und von daher auf den Bund zurückfließt. Auch vom Standpunkt der finanziellen Belastung aus sollten Sie deshalb dem Initiativantrag des Deutschen Bundesrates zustimmen. Es ist nicht zu verantworten, die sachlichen Leistungen der Länder und Gemeinden z. B. für den Wohnungsbau und das Schulwesen um eben die Summen einzuschränken, die sie an Ausgleichsabgaben abzuführen haben, nachdem man ihnen nicht Gelegenheit gegeben hat, durch eigene Anstrengungen bei der Unterbringung die finanzielle Last der Ausgleichsabgabe auf ein erträgliches Maß zu senken.
Der Deutsche Bundesrat legt besonderen Wert darauf, auch an dieser Stelle klarzustellen, daß das von ihm aufgegriffene Problem der Ausgleichsabgabe mit der Unterbringung der verdrängten Beamten und Angestellten äußerstenfalls nur am Rande etwas zu tun hat.
Er ist der Auffassung, daß die Unterbringung im Rahmen des überhaupt Möglichen scheu durch die sonstigen Vorschriften des Gesetzes vollauf gesichert ist.
Ich bitte Sie ausdrücklich darum, den Antrag des Deutschen Bundesrates nicht etwa dahin zu verstehen, daß er sich in irgendeiner Weise gegen die auch von uns als durchaus notwendig anerkannte Hilfe für die verdrängten Beamten und Angestellten richte.
Ich bemerke dabei für meine Person — das geht auch Sie an, Herr von Thadden —, daß ich hier nicht etwa nur aus der Seele des Kommunalministers spreche, sondern daß ich mich vielmehr in gleicher Weise als Beamtenminister, und zwar für alle Beamten, fühle und in meiner Amtsführung bisher keine Möglichkeit ausgelassen habe, namentlich den vertriebenen Beamten überall da zu ihrem Recht und zur Verbesserung ihrer Lage zu verhelfen, wo das irgend menschenmöglich war.
— Was ich hier sage, sind nicht schöne Worte, sondern das ist ein Tatsachenbericht, und Sie haben nicht das Recht, das zu bezweifeln.
Die Länder der Bundesrepublik haben seit dem Zusammenbruch alles in ihren Kräften Stehende getan, um die Wiedereingliederung der verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes und der Angehörigen aufgelöster Dienststellen in den Beruf zu fördern.
So hat das Land Nordrhein-Westfalen, von dem ich aus eigener Kenntnis zu sprechen vermag, bereits in den §§ 8 und 9 der Dritten Sparverordnung vom 19. März 1949 einen Stellenvorbehalt für diese Personen festgelegt. Auch auf dem Gebiete der Versorgung sind die Länder nicht untätig geblieben. Wiederum kann ich von Nordrhein-Westfalen sagen, daß wir die heimatvertriebenen Ruhegehalts-, Witwen- und Waisengeldempfänger bereits mit Wirkung vom 1. April 1949 den einheimischen Versorgungsempfängern gleichgestellt haben.
Auch die anderen Länder haben nach Kräften geholfen. Sie mögen daraus ersehen, daß die Länder der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu jedem Zeitpunkt für die Belange der heimatvertriebenen und sonstigen verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes und der Angehörigen aufgelöster Dienststellen eingetreten sind.
Wenn ich Sie heute namens des Deutschen Bundesrates bitte, der von uns vorgeschlagenen Änderung des § 14 Abs. 2 Ihre Zustimmung zu geben, so möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit herausstellen, daß sich diese Änderung nicht gegen die betroffenen Angehörigen des Personenkreises nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes richtet, sondern ausschließlich darauf gerichtet ist, eine ungerechtfertigte finanzielle Belastung durch
die Verpflichtung zur Entrichtung von Geldbeträgen, die besser anderen Zwecken zugute kämen, von dem betroffenen Dienstherren abzuwenden.
Lassen Sie mich noch eines in aller Eindringlichkeit sagen. Nach unserer Auffassung wird die vorgeschlagene Änderung bei einer den 131ern — für die allenthalben nach besten Möglichkeiten Positives geschieht — günstigen Atmosphäre dazu beitragen, die Aufnahmefreudigkeit der in Frage kommenden Dienstherren zu erhöhen und damit die Wiedereingliederung der unterbringungsberechtigten Personen in ihren Beruf zu fördern. Ich bitte deshalb namens des Deutschen Bundesrates, der sich in dieser Frage nicht nur für die Länder, sondern auch für die Gemeinden und die Gemeindeverbände verantwortlich fühlt, dringend, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Mit dieser Zustimmung geben Sie der Ausgleichsabgabe erst den Sinn, den Sie ihr in dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes selbst geben wollten.